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Gesund & Leben in Wien - 07_08/23

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IM GESPRÄCH<br />

In kaum e<strong>in</strong>em Land ist die Wissenschaftsfe<strong>in</strong>dlichkeit so<br />

Als<br />

ausgeprägt wie <strong>in</strong> Österreich. Wissenschaftshistoriker<strong>in</strong><br />

Daniela Angetter-Pfeiffer über das Spannungsfeld zwischen<br />

ungebrochenem Pioniergeist und hartnäckiger Ignoranz.<br />

DIE DUMMHEIT<br />

die Forschung<br />

ERSCHLUG<br />

18 GESUND & LEBEN <strong>07</strong> & <strong>08</strong> /<strong>23</strong><br />

FOTOS: ISTOCK_ERHUI1979, MAREN JELEFF<br />

elbst große Namen ernteten eisigen Gegenw<strong>in</strong>d.<br />

Und dennoch wurde Chirurg und Geburtshelfer<br />

Ignaz Semmelweis zum „Retter der<br />

Mütter“. Carl Djerassi zum Vater der Anti-<br />

Baby-Pille. Und Sigmund Freud, C. G.<br />

Jung, Viktor Frankl sowie Erw<strong>in</strong> R<strong>in</strong>gel zu<br />

Weltstars der Psychoanalyse beziehungsweise<br />

Psychiatrie. „Die Erfolgsgeschichte der österreichischen<br />

Mediz<strong>in</strong> ist e<strong>in</strong>e schwierige“, lautet die Diagnose von<br />

Dr. Daniela Angetter-Pfeiffer, 52, Mitarbeiter<strong>in</strong> der Österreichischen<br />

Akademie der Wissenschaften mit Schwerpunkt<br />

Mediz<strong>in</strong> und Naturwissenschaften. Nicht umsonst heißt ihr<br />

aktuelles Buch „Als die Dummheit die Forschung erschlug“.<br />

GESUND & LEBEN bat die Wissenschaftshistoriker<strong>in</strong> zum<br />

Interview.<br />

GESUND & LEBEN: Haben Sie beim Buchtitel an die<br />

Bewältigung der Pandemie <strong>in</strong> Österreich gedacht?<br />

Angetter-Pfeiffer: Natürlich. Aber auch an andere wissenschaftliche<br />

Entwicklungen und Errungenschaften. Es war nie<br />

leicht <strong>in</strong> Österreich.<br />

Warum ist die Impfskepsis hier derart ausgeprägt?<br />

Das ist aus der Geschichte erklärbar. Es geht um viel Unwissenheit<br />

und Angst vor etwas Neuem. Im 19. Jahrhundert<br />

haben sich die Fans des Naturheilverfahrens formiert. Sie<br />

wollten nicht, dass ihnen e<strong>in</strong>e Substanz <strong>in</strong> den Körper e<strong>in</strong>geimpft<br />

wird. Sogar bekannte Persönlichkeiten wie der Philosoph<br />

Immanuel Kant schürten Impfskepsis. Motto: „Menschen,<br />

die e<strong>in</strong>e Kuhpockenimpfung durchführen lassen,<br />

wachsen Euter oder Hörner.“ Es gab sogar Karikaturen davon.<br />

Die andere Seite setzte h<strong>in</strong>gegen Pfarrer und Hebammen zur<br />

Information über die und Bewerbung der Impfung e<strong>in</strong>. In<br />

der Habsburgermonarchie wurden alle Frauen, die gerade<br />

entbunden haben, mit e<strong>in</strong>em Schriftstück <strong>in</strong> allen Sprachen<br />

des Reiches aufgeklärt: Über die Vorteile des Impfens. Auch<br />

damals gab es Impfschäden und Menschen, die trotz der Vakz<strong>in</strong>e<br />

an Pocken erkrankt s<strong>in</strong>d. Das Verhältnis von Risiko und<br />

Nutzen war natürlich e<strong>in</strong> wesentlich ungünstigeres als heute.<br />

Wir haben wirksame Impfstoffe, die jedoch mitunter<br />

stark abgelehnt werden.<br />

Klar, manche Menschen haben durch die Impfung gegen<br />

Covid-19 oder andere Erreger e<strong>in</strong>e Schädigung erlitten. Doch<br />

die Relation e<strong>in</strong>es potenziellen Schadens und des großen<br />

Nutzens ist e<strong>in</strong>e völlig andere als damals. Die Corona-Impfung<br />

rettete sehr vielen Menschen das <strong>Leben</strong>.<br />

Forschende haben und hatten <strong>in</strong> Österreich e<strong>in</strong>en schweren<br />

Stand. Wissenschaftsskepsis hat bei uns Tradition.<br />

Warum?<br />

Alles Neue und Unbekannte wird erst e<strong>in</strong>mal abgelehnt.<br />

Außerdem waren <strong>in</strong> Österreich immer wieder Persönlichkeiten<br />

an der Macht, die Wissenschaftsskepsis gefördert haben.<br />

Zum Beispiel der Leibarzt dreier Kaiser, Andreas Freiherr<br />

von Stifft. Er war pr<strong>in</strong>zipiell gegen alles Neue, lehnte Innovationen<br />

ab und blieb alten Traditionen treu. Purer Egoismus,<br />

nach dem Motto: Ich habe nicht die Fähigkeiten, die Operation<br />

nach der neuen Methode durchzuführen, also b<strong>in</strong> ich<br />

dagegen. Dieses Denken hat sich über Jahrzehnte gehalten.<br />

Schließlich geht es um viel Geld: Forschung kostet enorme<br />

Summen, beispielsweise die Evolution vom e<strong>in</strong>fachen Röntgenapparat<br />

bis h<strong>in</strong> zu modernen bildgebenden Verfahren.<br />

Früher gab es nur das chirurgische Messer. Heute führen<br />

Computer Präzisions-Operationen durch.<br />

Österreich, (k)e<strong>in</strong> Land der Forschenden?<br />

Wir s<strong>in</strong>d e<strong>in</strong> Land der Freunderlwirtschaft. Das wird <strong>in</strong> der<br />

Geschichte deutlich, zum Beispiel beim Röntgenpionier<br />

Guido Holzknecht. Er wurde lange ausgegrenzt, denn die<br />

mediz<strong>in</strong>ischen Fakultäten nahmen immer Menschen auf,<br />

mit denen sie gut konnten, befreundet oder familiär verbandelt<br />

waren. Man achtete nicht darauf, wer die relevante Größe<br />

für die Position ist. Und ich fürchte, das ist oft noch immer<br />

so. Nicht umsonst heißt es: Man muss nicht jemand se<strong>in</strong>, nur<br />

jemanden kennen.<br />

Dennoch kommen viele Mediz<strong>in</strong>-Innovationen aus Österreich.<br />

Wie passt das zusammen?<br />

Die Forschenden, die sich durchgesetzt haben, hatten enormen<br />

Mut und e<strong>in</strong>en eisernen Willen. Sie vermarkteten ihre<br />

Erf<strong>in</strong>dungen, machten sie <strong>in</strong> der Bevölkerung publik und<br />

wandten sie gegen alle Anfe<strong>in</strong>dungen an. Viele mussten<br />

grenzwertige Wege gehen: Otto Mayrhofer Krammel experimentierte<br />

an dem Narkosemittel, das wir heute alle kennen.<br />

In Versuchen ließ er sich selbst narkotisieren<br />

– unter Beobachtung zweier<br />

Kollegen, die Blutdruckwerte<br />

und Puls kontrollierten. E<strong>in</strong><br />

Grenzgang. Oder Lorenz Böhler:<br />

Er hatte die Rettungskräfte<br />

<strong>in</strong> <strong>Wien</strong> bestochen, damit sie<br />

Menschen <strong>in</strong> se<strong>in</strong> neues Spital<br />

br<strong>in</strong>gen. Heute wäre das<br />

illegal. Aber nur so konnte<br />

er zeigen, wie wirkungsvoll<br />

se<strong>in</strong>e Maßnahmen bei der<br />

Knochenbruchbehandlung<br />

s<strong>in</strong>d. Bei starkem Gegenw<strong>in</strong>d<br />

ist die Motivation<br />

hoch, es sich und anderen zu<br />

beweisen. Zum Wohle aller.<br />

Liegt die Abwehr von<br />

Neuem <strong>in</strong> der menschlichen<br />

DNA?<br />

Leider ja. Im Alltag haben<br />

wir Angst, e<strong>in</strong> neues Kochrezept<br />

auszuproben. Aber<br />

wenn wir sehen, es funktioniert,<br />

machen wir es<br />

Dr. Daniela Angetter-Pfeiffer, Mitarbeiter<strong>in</strong><br />

der Österreichischen Akademie<br />

der Wissenschaften mit Schwerpunkt<br />

Mediz<strong>in</strong> und Naturwissenschaften<br />

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