Ärzt*in für Wien 2023/9
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AM PULS COVERSTORY<br />
Interview<br />
Ärztliche Zwangsverpflichtung ist<br />
<strong>für</strong> die Ärztekammer keine Option<br />
Von der Politik wurde jüngst wieder gefordert, Ärztinnen und Ärzte <strong>für</strong> eine gewisse Zeit in das<br />
öffentliche Gesundheitswesen zu zwingen. Die Idee ist allerdings stark umstritten, zumal ihre<br />
rechtliche Haltbarkeit angezweifelt wird. Dazu hat die <strong>Wien</strong>er Ärztekammer jüngst ein entsprechendes<br />
Gutachten präsentiert. Das Urteil fällt eindeutig aus. Interview mit dem Vizepräsidenten<br />
und Obmann der Kurie angestellte Ärzte, Stefan Ferenci.<br />
Von Ben Weiser<br />
<strong>Ärzt*in</strong> <strong>für</strong> <strong>Wien</strong>: Herr Vizepräsident, von<br />
Politik und Sozialversicherung wird immer wieder<br />
eine ärztliche Zwangsverpflichtung ins Spiel<br />
gebracht. Jüngst kam das Thema durch Bundeskanzler<br />
Karl Nehammer wieder auf. Was<br />
sagen Sie dazu?<br />
Ferenci: Grundsätzlich kann Zwang aus<br />
meiner Sicht keine Strategie sein. Wir haben<br />
im öffentlichen Gesundheitswesen ohnehin<br />
schon mit einem gefährlichen „Brain-Drain“<br />
zu kämpfen, die Abwanderung junger Ärztinnen<br />
und Ärzte gerade in die Schweiz oder<br />
Deutschland ist enorm. Zwang befördert<br />
dieses Phänomen nur noch mehr. Entscheidend<br />
ist aber, dass eine Umsetzung rechtlich<br />
unhaltbar wäre. Das zeigt ein Gutachten von<br />
Professor Karl Stöger (Medizinrechtler an der<br />
Universität <strong>Wien</strong>, Anm.), das wir in Auftrag<br />
gegeben haben.<br />
Stefan Ferenci: „Eine Zwangsverpflichtung ist keine Strategie.“<br />
<strong>Ärzt*in</strong> <strong>für</strong> <strong>Wien</strong>: Zu welchem Schluss<br />
kommt dieses Gutachten?<br />
Ferenci: Ärztinnen und Ärzte gesetzlich in<br />
das öffentliche Gesundheitswesen zu zwingen,<br />
ist nicht nur verfassungswidrig, sondern<br />
auch unionsrechtswidrig. Zu diesem Schluss<br />
kommt Professor Stöger. Ehrlich gesagt liest<br />
sich das <strong>für</strong> mich so, dass eine allfällige Berufspflicht<br />
eine Art „DDR-Zwangsphantasie“<br />
darstellt. Wir waren selbst überrascht, wie<br />
eindeutig das Gutachten ist. Es ist nichts, was<br />
„Ärztinnen und Ärzte gesetzlich<br />
in das öffentliche Gesundheitswesen<br />
zu zwingen, ist nicht nur<br />
verfassungswidrig, sondern auch<br />
unionsrechtswidrig.“<br />
sich tatsächlich umsetzen ließe, auch nicht<br />
durch rechtliche Schlupflöcher.<br />
<strong>Ärzt*in</strong> <strong>für</strong> <strong>Wien</strong>: Welche Begründungen<br />
werden im Gutachten genannt?<br />
Ferenci: Rechtlich gesehen gibt es klare<br />
Grenzen: Wer in die Grund- und Freiheitsrechte<br />
eingreifen will – und das wäre laut Europäischer<br />
Menschenrechtskommission bei<br />
einer Einführung von Zwangsverpflichtung<br />
der Fall – darf das nur, wenn der Eingriff verhältnismäßig<br />
ist. Ein solch massiver Eingriff<br />
muss im öffentlichen Interesse liegen, zur<br />
Zielerreichung geeignet sein, er muss aber<br />
auch erforderlich sein, das heißt, es muss sich<br />
um das gelindeste Mittel handeln. Das ist hier<br />
aber nicht der Fall. Das Mittel muss mit Blick<br />
auf Ziel und Einsatz übrigens auch adäquat<br />
sein.<br />
<strong>Ärzt*in</strong> <strong>für</strong> <strong>Wien</strong>: Im öffentlichen Interesse<br />
läge eine solche Zwangsverpflichtung wohl<br />
schon.<br />
Ferenci: Das ist richtig, zu diesem Schluss<br />
kommt auch das Gutachten. Allerdings ist<br />
ein derartiger Zwang zur Zielerreichung<br />
nicht geeignet. Schließlich gibt es keinen<br />
Ärztemangel, der das rechtfertigen würde,<br />
sondern vielmehr ein Verteilungsproblem.<br />
Mangelfächer wie etwa Kinderheilkunde<br />
oder Dermatologie sind <strong>für</strong> viele angehende<br />
Ärztinnen und Ärzte unattraktiv, weil die sogenannte<br />
„Gesprächsmedizin“ weniger gut<br />
honoriert wird und das Patientenvolumen<br />
daher umso größer sein muss, um ein vernünftiges<br />
Einkommen zu erzielen. Es fehlt<br />
dann an Zeit <strong>für</strong> die Patientinnen und Patienten.<br />
Frust und Unzufriedenheit in der<br />
Ärzteschaft sind die Folge, die Fächer dün-<br />
Foto: Oliver Topf<br />
28 <strong>Ärzt*in</strong> <strong>für</strong> <strong>Wien</strong> 09_<strong>2023</strong>