R. C. SPROUL Miteinander als Christen leben (Römer 12,3-11) Ein Auszug aus dem Römerbrief-Kommentar 34 | <strong>Die</strong> <strong>Kraft</strong> <strong>des</strong> <strong>Evangeliums</strong> 3/<strong>2023</strong>
Paulus erklärt nun, was es für die zwischenmenschlichen Beziehungen unter Gläubigen bedeutet, ein lebendiges Opfer zu sein. Denn ich sage kraft der Gnade, die mir gegeben ist, jedem unter euch … Welch eine wunderbare Aussage! Paulus hätte die volle Autorität seines Apostelamtes geltend machen können. Er sprach mit nichts Geringerem als mit der Autorität Jesu Christi, <strong>des</strong> Herrn der Gemeinde. Doch er hätte keinerlei Autorität gehabt, außer durch die Gabe, die Gott ihm gegeben hatte. Welche Führungskraft oder Fähigkeit er auch immer besaß – sie kam nur von daher, dass Gott ihm gnädig gewesen war. … dass er nicht höher von sich denke, als sich zu denken gebührt, sondern dass er auf Bescheidenheit bedacht sei, wie Gott jedem einzelnen das Maß <strong>des</strong> Glaubens zugeteilt hat (V. 3). Wenn wir die richtige Sicht auf die Dinge behalten wollen, müssen wir immer zwei Faktoren im Sinn behalten. Zuallererst müssen wir uns daran erinnern, wer Gott ist, und zweitens müssen wir bedenken, wer wir sind. Wenn wir wirklich wissen, wer Gott ist, sollte es nicht allzu schwierig sein, herauszufinden, wer wir sind. Wenn wir wissen, wer Gott ist, dann wissen wir, dass wir in dieser Welt ohne die Gnade Gottes keinen nennenswerten Schritt tun können. Wenn wir wissen, dass wir für jede Errungenschaft, die wir in dieser Welt genießen, vollkommen von der Gnade abhängig sind, wie können wir dann anders als demütig sein? <strong>Die</strong>ser Vers verbietet Stolz und Arroganz, eine prahlerisch überhöhte Meinung von uns selbst. Doch die Tragweite <strong>des</strong> Textes geht noch tiefer. Was ebenfalls untersagt ist, ist eine zu geringe Meinung von uns selbst. Wenn wir nur den ersten Teil <strong>des</strong> Verses lesen, könnten wir denken, wir seien wertlos und unbedeutend. Doch unsere Bedeutung kommt von Gott, und alles, was Gott uns zuweist, ist wertvoll. Du bist vielleicht nicht so bedeutend, wie du gerne sein möchtest, aber du bist bedeutend. Ein nüchternes, vernünftiges Urteil bedeutet, eine vernünftige Bewertung unserer Gaben, unserer Stärken und unserer Schwächen vorzunehmen. Uns selbst nüchtern zu beurteilen, ist sehr schwierig, denn wir neigen dazu, uns selbst fünf Minuten lang durch eine rosarote Brille anzusehen, dann die rosarote Brille abzusetzen und vor Neid bitter zu werden! Während meiner mehrjährigen Arbeit in der Gemeinde habe ich festgestellt, dass es ein Fehler ist, Menschen zu Leistungen bewegen zu wollen, die nicht ihren Motivationen und Fähigkeiten entsprechen. Manchmal erweisen wir Menschen einen schrecklichen Bärendienst, indem wir versuchen, sie zu Leistungen in Bereichen zu zwingen, für die sie einfach nicht begabt sind. Zum Teil liegt dies an unserer eigenen Tendenz, mehr von uns selbst zu halten, als wir sollten. Wenn ich eine gewisse Kompetenz in einer bestimmten Tätigkeit erlangt habe, dann möchte ich das zum Maßstab machen. Wir neigen dazu, unsere eigenen Stärken hervorzuheben, weil wir glauben, dass sie die wichtigsten seien, nämlich diejenigen, die wirklich zählen. Das ist absolut todbringend für den Leib Christi. Wir müssen verstehen, dass Gott jeder Person ein gewisses Maß an Glauben zugeteilt hat, und dass die Menschen unterschiedliche Persönlichkeiten sind und unterschiedliche Stärken, unterschiedliche Schwächen und unterschiedliche Gaben besitzen. Es gibt eine Vielfalt im Leib Christi, und reifes Christsein beinhaltet, dies anzuerkennen. Tatsächlich wird uns an anderer Stelle gesagt, dass wir den anderen über uns selbst stellen sollten, dass wir in Ehrfurcht und Bewunderung andere Gaben betrachten sollen, welche Menschen haben und die wir nicht haben. Anstatt auf sie eifersüchtig zu sein oder sie abzulehnen, sollten wir sie ehren und respektieren. Paulus verwendet seine Lieblingsanalogie für die Gemeinde, den Leib Christi: Denn gleichwie wir an einem Leib viele Glieder besitzen, nicht alle Glieder aber dieselbe Tätigkeit haben, so sind auch wir, die vielen, ein Leib in Christus, und als einzelne untereinander Glieder (V. 4-5). Der menschliche Leib besteht aus verschiedenen Körperteilen, und jeder voiceofhope.de | 35