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Festspielzeit Winter 2023

Das Magazin der Bregenzer Festspiele

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EHRLICH<br />

Ein nicht anpassungswilliger Melancholiker im Kampf<br />

gegen die Heuchelei der Gesellschaft und für die Liebe<br />

zu einer Frau: Molières Der Menschenfeind kommt am<br />

Osterwochenende auf die Bühne des Festspielhauses.<br />

DER MENSCHENFEIND<br />

Alceste verachtet die ihn<br />

umgebende Gesellschaft<br />

für ihre Heuchelei und<br />

Oberflächlichkeit. Sein Ideal ist<br />

die unbedingte Aufrichtigkeit und<br />

Wahrhaftigkeit. Fanatisch versucht<br />

er, sein Umfeld zu bekehren.<br />

Alcestes Weigerung, sich den<br />

gesellschaftlichen Spielregeln<br />

anzupassen und sich diplomatisch<br />

zu verhalten, führt zu bitteren<br />

Erfahrungen. Da er den Dichter<br />

Oronte nicht lobt, sondern radikal<br />

kritisiert, macht er sich diesen zum<br />

Feind. Den von Oronte angestrengten<br />

Prozess verliert Alceste, da er<br />

sich weigert, die Richter zu bestechen.<br />

Die gut gemeinten Ratschläge<br />

in Lebensfragen seines treuen<br />

Freundes Philinte schlägt er in den<br />

Wind. Die schwerste Niederlage<br />

erfährt Alceste aber in der Liebe:<br />

Die von ihm umworbene lebenslustige<br />

Witwe Célimène lehnt es trotz<br />

ihrer Zuneigung zu Alceste ab, zusammen<br />

mit ihm die Einsamkeit auf<br />

dem Land zu suchen. Ob Alceste die<br />

von ihm angekündigte Weltflucht<br />

am Ende allein antritt, bleibt offen.<br />

Mit der Figur des Alceste hat<br />

der Dramatiker, Schauspieler und<br />

Regisseur Jean-Baptiste Poquelin,<br />

genannt Molière (1622–1673), den<br />

wohl bekanntesten Menschenfeind<br />

der Literaturgeschichte geschaffen.<br />

Molière verankert ihn in der<br />

Gesellschaft seiner Zeit – einer<br />

Gesellschaft im Umbruch, in der<br />

es zu grundlegenden Veränderungen<br />

der sozialen und politischen<br />

Praxis kommt und in der die Regeln<br />

gesellschaftlichen Umgangs neu definiert<br />

werden. Die herrschaftlichen<br />

Häuser von Adel und Bürgertum<br />

öffnen sich, es werden von Frauen<br />

geführte »Salons« eingerichtet,<br />

repräsentative Räume, in denen<br />

Gäste empfangen werden können.<br />

Mit dem Öffnen dieser Räume<br />

verändert sich die Kommunikationssituation,<br />

es ergeben sich neue<br />

Möglichkeiten, Herausforderungen<br />

und Zumutungen der zwischenmenschlichen<br />

Begegnung. Höflichkeit<br />

gilt als wesentliches Merkmal<br />

einer gelingenden Kommunikation.<br />

Diese Förmlichkeit im Umgang ist<br />

gleichzeitig auch eine Form von<br />

Abgrenzung gegenüber jenen, die<br />

nicht am Hof verkehren, und kann<br />

elegant und eloquent maskieren,<br />

wie viel Brutalität, Konkurrenz,<br />

Korruption und Eigeninteressen<br />

in der (höfischen) Gesellschaft<br />

lauern. In Der Menschenfeind lotet<br />

Molière in Gestalt des Alceste (den<br />

er wie so oft selbst gespielt hat)<br />

die Vielfalt und die Grenzen der<br />

Höflichkeit aus.<br />

19<br />

JEAN-BAPTISTE POQUELIN,<br />

GENANNT MOLIÈRE<br />

Seine Grenzverletzungen und<br />

-überschreitungen machen diese<br />

Grenzen überhaupt erst sichtbar<br />

und zeigen nicht nur gelingende,<br />

sondern auch kollabierende Gesprächssituationen<br />

– Stoff für die<br />

Komödie und gleichzeitig eine subversive<br />

Kritik am herrschenden<br />

Zeitgeist und an den Autoritäten.<br />

Auf der einen Seite hat man<br />

also einen unglücklich verliebten,<br />

egozentrischen, rechthaberischen

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