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Festspielzeit Winter 2023

Das Magazin der Bregenzer Festspiele

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Auf der Bühne wird man zelebriert,<br />

das ist toll, aber wenn man von<br />

der Bühne abtritt, wird man als<br />

normaler Mensch behandelt und<br />

darauf würde ich nie verzichten<br />

wollen. Klar, auf der Waldbühne<br />

bekommt man einen enormen<br />

Adrenalin-Kick und das beflügelt,<br />

aber man landet sehr schnell wieder<br />

auf dem Boden.<br />

Zum Beispiel beim Unterrichten.<br />

Seit diesem Semester sind Sie in Wien<br />

an der Universität für Musik und darstellende<br />

Kunst. Dort haben Sie die<br />

Möglichkeit, viel weiterzugeben.<br />

Das ist der Gedanke dahinter.<br />

Bevor wir allerdings über musikalische<br />

Konzepte sprechen, liegt mein<br />

Fokus darauf, den Studierenden<br />

zu vermitteln, wie man gezielt und<br />

effizient arbeitet. Es ist ein offenes<br />

Geheimnis, dass das korrekte Üben<br />

enorm wichtig ist.<br />

Bleibt für Sie neben Üben, Unterrichten,<br />

Proben und Konzerten noch Zeit<br />

für Hobbys?<br />

Ich bin kein Fan von Reisen, obwohl<br />

sie einen Teil meines Lebens ausmachen.<br />

Beim Unterwegssein schaue<br />

ich gerne Filme – als Zuflucht und<br />

Ablenkung. Ich spiele online Schach<br />

und mache Sport, bin lange gejoggt<br />

und habe letzes Jahr Crossfit für<br />

mich entdeckt. Das kann man gut<br />

unterwegs machen.<br />

Wo ist aktuell Ihr Basislager?<br />

Ich habe mehrere Stationen: In<br />

Koblach bin ich nach wie vor gerne,<br />

ich lebe in Zürich und in Wien und<br />

ansonsten bin ich, wo der Wind<br />

mich hinweht.<br />

... und haben immer Ihr Cello dabei.<br />

Welches Instrument spielen Sie?<br />

Seit ein paar Jahren spiele ich ein<br />

Stradivari-Cello. Diese Leihgabe<br />

ist ein großes Privileg. Das Cello<br />

ist aus dem Jahr 1694 und trägt<br />

den Beinamen »The London, ex<br />

Boccherini«. Luigi Boccherini war<br />

ein bedeutender Komponist und<br />

Cellist. Mir selbst gehört nur ein<br />

einziges Cello und das habe ich<br />

einer Studentin geborgt.<br />

Was fasziniert Sie an Ihrem Meister-<br />

Cello besonders?<br />

Es hat eine einmalige Klangfarbe, in<br />

der ich mich so wohl fühle. Es ist wie<br />

eine Stimme für mich. Ich würde sie<br />

als Bariton beschreiben. Die höchste<br />

Saite, die A-Saite, ist strahlend und<br />

markant, die mittleren Register<br />

sind schön weich und in der Tiefe ist<br />

es ein eher schlanker Klang.<br />

Haben Sie Vorbilder am Cello?<br />

Giovanni Sollima, der seine eigenen<br />

Kompositionen spielt. Yo-Yo Ma,<br />

der Brücken zwischen Cello und<br />

anderen Kulturen und Musiken<br />

auf allerhöchstem Level mit extrem<br />

gutem Gespür schlägt. Steven<br />

Isserlis als purer klassischer Musiker<br />

mit unheimlicher Gesanglichkeit<br />

und Natürlichkeit. Sie sind<br />

für mich die Heilige Dreifaltigkeit<br />

des Cellospielens.<br />

Bei den Bregenzer Festspielen<br />

wurden Sie in den letzten beiden<br />

Saisonen für Dmitri Schostakowitschs<br />

Cellokonzert Nr. 1 und Nr. 2<br />

gefeiert. Im Sommer 2024 spielen<br />

Sie RobertSchumanns Cellokonzert.<br />

Was verbinden Sie mit diesem Stück?<br />

Ich habe das Schumann-Konzert<br />

mit den Wiener Symphonikern<br />

und der Dirigentin Giedrė Šlekytė<br />

bereits diesen Oktober gespielt und<br />

es lief sehr, sehr gut. Mein Professor<br />

wollte, dass ich wirklich reif bin für<br />

dieses Stück, deshalb spielte ich das<br />

Konzert mit 25 Jahren zum ersten<br />

Mal, das ist spät für einen Cellisten.<br />

In den letzten fünf, sechs Jahren<br />

habe ich es oft gespielt und diesen<br />

Dezember nehme ich das Konzert<br />

endlich auf.<br />

In dem Konzert gibt es ein wunderbares<br />

Liebesduett zwischen zwei<br />

Celli – dem Solocello und dem Solocello<br />

im Orchester. Ein herrlicher<br />

Moment. Der erste Satz ist der herausforderndste,<br />

weil man als Cellist<br />

nicht typischerweise als Virtuose<br />

gefordert ist, sondern man ist mehr<br />

als Poet gefragt, es ist ein ständiges<br />

Zwischensingen und -sprechen.<br />

Dazu kommt das Hin- und Hergerissene<br />

von Schumann, von himmelhoch<br />

euphorisch zu tief betrübt<br />

innerhalb einer Sekunde. Das verlangt<br />

einem emotional sehr viel ab.<br />

Der zweite Satz ist mit Abstand<br />

der schönste und der dritte Satz<br />

ist sehr freudig.<br />

Haben Sie Rituale vor dem Auftritt?<br />

Eine Stunde vor dem Konzert fange<br />

ich an, das Stück auf der Bühne<br />

ganz langsam durchzuspielen.<br />

Kurz vor dem Saaleinlass wechsle<br />

ich in das Übezimmer und mache<br />

dort weiter. Danach folgen zehn<br />

Minuten Atemübungen, die ich von<br />

einem Tenniscoach gelernt habe,<br />

und dann sitze ich bis zum letzten<br />

Moment wieder am Cello und wiederhole<br />

meditativ die erste Phrase<br />

des Konzerts.<br />

Was wünschen Sie sich für Ihre<br />

musikalische Zukunft?<br />

Ich möchte möglichst viele neugeschriebene<br />

Stücke auf die Konzertbühnen<br />

der Welt bringen. Am liebsten<br />

eigene Kompositionen, aber<br />

dieser Wunsch wird wahrscheinlich<br />

seltener in Erfüllung gehen. Doch<br />

ich möchte mit Komponist:innen<br />

arbeiten: Jedes Jahr zwei neue große<br />

Werke für Cello und Orchester<br />

uraufzuführen, das wäre ein Traum.<br />

Eine Übersicht zum Programm<br />

der Orchesterkonzerte finden<br />

Sie in der Heftmitte.<br />

Die Orchesterkonzerte<br />

werden präsentiert von<br />

KIAN SOLTANI<br />

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