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Historie<br />
TOPIC<br />
Historie<br />
KANT und die<br />
Künstliche Intelligenz<br />
Es ist mir vollkommen klar, dass man mit Philosophie immer nur einen recht kleinen Teil<br />
der Bevölkerung begeistern kann, wenngleich diese Wissenschaft in Wahrheit ja das<br />
vielzitierte „Große Ganze“ auszuloten vermag. Nicht zuletzt, da mir ja mein zweiter Vorname,<br />
Immanuel, in ehrfürchtiger Verneigung vor dem großen Philosophen Kant verliehen<br />
wurde, möchte ich dennoch in dieser Kolumne versuchen, aktuelle Fragen der<br />
Wirtschaft, Gesellschaft und Technik in einen Kontext mit philosophischen Quellen zu<br />
bringen und durch das Ergebnis zum Weiterdenken motivieren.<br />
D<br />
as Thema KI ist aus keiner<br />
medialen Ebene mehr wegzudenken,<br />
vor allem nicht,<br />
weil sich die KI ja mittlerweile Teilen<br />
der medialen Berichterstattung – bislang<br />
noch vorwiegend in den Weiten<br />
des Internets – auch autorenseitig<br />
bemächtigt. Ja, es werden sogar<br />
schon Unkenrufe laut, die behaupten,<br />
die KI könne bereits in wenigen Jahren<br />
die meisten derzeit tätigen Journalisten<br />
ersetzen. Und glaubt man<br />
aktuellen Studien, so sind es längst<br />
nicht nur die Journalisten oder andere<br />
Vertreter der schreibenden Zunft,<br />
die alsbald durch die künstliche Intelligenz<br />
für obsolet erklärt werden<br />
könnten. Einer Vielzahl von Berufen<br />
und Berufsgruppen hat die KI schon<br />
heute ein zeitnahes Ablaufdatum<br />
aufgeprägt, was eine Stärkung der<br />
gesellschaftlichen Abwehrhaltung<br />
gegenüber dem uneingeschränkten<br />
Siegeszug der künstlichen Intelligenz<br />
immer mehr spürbar macht. Es<br />
ist eine brodelnde Mischung aus Unglauben,<br />
Ohnmacht und Angst, die<br />
da mancherorts die Menschen sogar<br />
zu erklärten Gegnern der KI erstarken<br />
lässt oder doch zumindest zu düsteren<br />
Propheten des gesellschaftlichen<br />
Untergangs.<br />
Es ist nicht zuletzt die Angst davor,<br />
dass diese mystische Größe der KI<br />
irgendwann alles besser können wird<br />
als man selbst und sich somit zu einer<br />
unüberwindbaren Konkurrenz für die<br />
meisten Bereiche unseres heutigen<br />
Lebens auswachsen wird. Denn was<br />
vermag einer mit einer noch so profunden<br />
Allgemeinbildung gegen eine<br />
Allmacht auszurichten, der das „gesamte<br />
Wissen der Menschheit“ – zumindest<br />
soweit dieses bereits digitalisiert<br />
wurde – in Sekundenschnelle zur<br />
Verfügung steht? Und mehr noch, die<br />
KI lernt mit einer beeindruckenden Rasanz<br />
auch obendrein noch dazu sich<br />
eloquent, wortgewaltig und grammatikalisch<br />
korrekt zu artikulieren. Ist die KI<br />
also in vielerlei Hinsicht bereits heute<br />
der bessere Mensch von morgen?<br />
Um diese Frage beantworten zu können,<br />
müssten wir uns natürlich erstmal<br />
darüber Gedanken machen, was denn<br />
ein guter und in der Folge ein besserer<br />
Mensch ist. Genau da kommen wir<br />
auf das weite Feld der Ethik zu sprechen,<br />
jener philosophischen Disziplin,<br />
nach der man in Verbindung mit KI<br />
und deren Folgen immer häufiger herangezogen<br />
wird, wenn die argumentative<br />
Decke immer dünner zu werden<br />
scheint und die Vorteile der KI ganz<br />
klar zu überwiegen scheinen.<br />
Sittenlehre fungiert also gewissermaßen<br />
als Anstandsdame für die<br />
künstliche Intelligenz, um ihr bereits<br />
in jungen Jahren genügend Moral mit<br />
auf den Weg zu geben, um uns Menschen<br />
immer noch als lebenswürdig<br />
anzusehen, denn zugegebenermaßen<br />
hat die KI schon einiges vom<br />
Übermenschen an sich, der mit seiner<br />
moralischen Allmacht am Ende selbst<br />
seinen Schöpfer Friedrich Nietzsche<br />
in den Wahnsinn getrieben hat. Ähnlich<br />
wie bei Nietzsche, gilt auch hier<br />
die Furcht der absoluten, moralisch<br />
völlig ungehemmten Entscheidungsfreiheit.<br />
Ohne ein gewisses ethisches<br />
Finetuning könnte die KI Entscheidungen<br />
treffen, zu denen Menschen<br />
aufgrund ihrer Erziehung oder auch<br />
ihres sozialen Umfelds nicht in der<br />
Lage wären. Ein gutes Beispiel hierfür<br />
sind KI basierte Programme, die nicht<br />
nur die Mitarbeitereffektivität überwachen<br />
sollen, sondern am Ende sogar<br />
aufgrund ihrer Erkenntnisse Kündigungen<br />
veranlassen könnten. Eine<br />
entmenschlichte Art des Umgangs<br />
mit Human Resources unter Zuhilfenahme<br />
des Buhmanns KI.<br />
Aber lassen Sie uns doch kurz zurück<br />
gehen, zur Ethik und zu Kant. Was genau<br />
hat es denn damit genau auf sich?<br />
Immanuel Kant, einer der bedeutendsten<br />
Philosophen der Neuzeit, hat die<br />
unendlichen Weiten der Philosophie<br />
mit nur drei Fragen umrissen: 1. Was<br />
kann ich wissen? 2. Was soll ich tun?<br />
und 3. Was darf ich hoffen?<br />
Vor allem in der Fragestellung „Was<br />
soll ich tun?“ sieht Kant die große<br />
moralische Frage, da sich dies ja<br />
auch auf die Frage nach dem „moralisch<br />
Richtigen“ bezieht. In der heutigen<br />
Zeit, in das immer mehr Entscheidungen<br />
von Algorithmen und KI<br />
getroffen werden, ist es also wichtiger<br />
denn je, auch hierfür eine Art von<br />
moralischem Regelwerk festzulegen,<br />
da diese Programme zwar Daten effizient<br />
verarbeiten können, aber dazu<br />
explizite Anweisungen und Entscheidungskriterien<br />
benötigen.<br />
Aber wenn wir der KI einen für sie<br />
gültigen Moralkompass zur Seite<br />
stellen wollen, wo soll dann ihr magnetischer<br />
Nordpol sein, oder besser<br />
gesagt, nach welchem Wertekodex<br />
ist dieser Kompass auszurichten?<br />
Und da kommen wir auf schnellstem<br />
Wege wieder zurück in die gedankenzerklüffteten<br />
Lande der Ethik, die<br />
da fragt: Wie verhält man sich richtig?<br />
Aber gibt es so etwas wie „Das Richtige“<br />
überhaupt?<br />
Stellt man diese Frage der KI, so erhält<br />
man nach einer Aufzählung von<br />
Faktoren wie beispielsweise Respekt,<br />
Toleranz, Verantwortung und Fairness<br />
folgende Aussage: „Das Streben nach<br />
ständiger Selbstverbesserung und<br />
die Bereitschaft zur Anpassung an<br />
verschiedene Situationen sind ebenfalls<br />
wichtige Aspekte eines „richtigen“<br />
Verhaltens.“ Wenig überraschenderweise<br />
legitimiert damit die KI ihr<br />
eigenes Verhalten als „richtiges“ Verhalten.<br />
Aus philosophischer Sicht ist<br />
da also bereits beinahe das Kind mit<br />
dem Bade ausgeschüttet, da als Antwort<br />
ein Glaubenssatz formuliert wird.<br />
„Ich bin gut so wie ich bin!“, was uns<br />
wiederum an biblische Äußerung eines<br />
göttlichen Wesens erinnern mag.<br />
Wie kann man aber überhaupt eine<br />
Macht noch in Frage stellen, die bereits<br />
selbst die Antworten auf alle<br />
Fragen zu kennen scheint?<br />
Kant selbst geht in seiner auch als<br />
Pflichtethik bekannten Deontologie<br />
davon aus, dass moralisches Handeln<br />
nicht von den Folgen unserer Handlungen<br />
abhängig sein sollte, sondern<br />
von der Einhaltung bestimmter moralischer<br />
Prinzipien, die er als kategorische<br />
Imperative benennt. Er weist<br />
also rationalen Überlegungen ganz<br />
klar die Vorherrschaft über subjektive<br />
Empfindungen oder eben auch die<br />
Konsequenzen der jeweiligen Handlung<br />
zu und erschafft somit im weitesten<br />
Sinne etwas wie einen Moral-Algorithmus,<br />
durch dessen Anwendung<br />
moralische Prinzipien universell und<br />
objektiv entwickelt werden sollen.<br />
Wäre es also nicht das Einfachste, die<br />
KI mit der Kant´schen Deontologie zu<br />
koppeln? Aber sicher doch und eben<br />
auch auf gar keinen Fall!<br />
Warum nicht, ganz einfach, die Zeiten<br />
haben nicht nur viel, sondern auch<br />
uns ein Stück weit geändert. Während<br />
Kant sich noch damit begnügen konnte,<br />
den kategorischen Imperativ einzufordern,<br />
gilt es heute bereits, den<br />
sogenannten ontologischen Imperativ<br />
abzuverlangen. Das bedeutet, dass<br />
der Mensch per se diesem Imperativ<br />
Folge zu leisten habe, indem er sein<br />
Potential nicht verkümmern lässt und<br />
das Beste aus sich selbst macht. Wer<br />
dem zuwiderhandelt – so zumindest<br />
der Ansatz von Nicholas Rescher,<br />
dem eigentlichen Vater dieses Gedankens<br />
– könne nicht mehr zur Kategorie<br />
„Person“ gezählt werden, da<br />
dazu das Moralischsein konstitutiv<br />
gehört, womit der anders Handelnde<br />
selbst zum „Soziopathen“ konstituiert.<br />
Würden wir uns also auf die KI verlassen,<br />
so würden wir geistig träge<br />
werden und kaum mehr das Streben<br />
nach dem Besten in uns bewerkstelligen<br />
können, womit selbst eine<br />
ethisch ausgerichtete künstliche<br />
Intelligenz am Ende nicht den Anspruch<br />
eines ontologischen Imperativs<br />
standhalten könne. Es wäre also<br />
die Krücke, die nicht als Gehhilfe verstanden<br />
wird, sondern die zur Gehfaulheit<br />
animieren würde, eine Art<br />
von elektronisch gesteuertem heiligen<br />
Judas, dem Schutzpatron der<br />
hoffnungslosen Fälle, der uns immer<br />
und überall aus höchster Wissensnot<br />
befreit.<br />
Zugegeben, die KI kann vieles erleichtern,<br />
ja am Ende gewiss sogar vieles<br />
überhaupt erst ermöglichen. Aber all<br />
das darf nur unter Bezugnahme auf<br />
eine zutiefst menschliche Form der<br />
Ethik geschehen, da Computer zwar<br />
immer nur Empathie simulieren, sie<br />
aber niemals empfinden können.<br />
Text: Nikolaus IMMANUEL Köhler<br />
48 MEGA Mechatronik Ausgabe 2/2023 1/2022<br />
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