HÜTMÔLAR•PORTRAIT Stahl, der unter die Haut geht Im Rückblick scheint sein Weg klar vorgezeichnet. Schon als Kind waren Stifte, Pinsel und Leder Teile seines Lebens. Entweder saß er übers Papier gebeugt oder war in der Werkstatt seines Vaters, dem Lederhosenmacher Klaus Bensmann (siehe Fine Tobacco 01.2022). Als in seiner Jugend neue Einflüsse (wie die Musik) hinzukamen, trat das Zeichnen in den Hintergrund. Und wie schon viele andere vor ihm, stand er gegen Ende der Schulzeit ratlos da. Die berufliche Zukunft war nicht greifbar. „Ich hätte am liebsten etwas Künstlerisches gemacht, etwas das mich beflügelt“, erinnert sich Daniel Bensmann. Statt dessen tauschte er seine persönlichen Interessen gegen die gesellschaftlich anerkannte Vernunft und ergatterte 2006 eine Lehrstelle als Bauschlosser. Nach dem Motto „Wenn ich etwas mache, will ich es auch gut machen“, gab er in seiner Ausbildung Vollgas, hatte Spaß in dem gut funktionierenden Betrieb und wurde abschließend sogar Innungssieger. Doch dann trat wieder die Frage an ihn heran: Was nun? Ein Maschinenbaustudium vielleicht? „Tief in mir drin wusste ich, dass ich das nicht für immer machen würde.“ Inzwischen hatte er das Zeichnen für sich wiederentdeckt, während ihn die Welt der Tattoos immer mehr einnahm. Der junge Mann unterhielt sich mit den Tätowierern, von denen er sich stechen ließ, beobachtete sie bei ihrer Arbeit sehr genau und war fasziniert von dieser ganz persönlichen, irreversiblen Kunstform. Der Wunsch, diesen Beruf zu ergreifen, war ebenso groß wie die Zweifel: Bin ich dafür gut genug? Sollte ich dafür in eine Stadt ziehen? Angesichts solcher Zukunftspläne hätten andere Eltern in Bad Hindelang vielleicht entsetzt den Kopf geschüttelt, doch Bensmann junior erhielt moralische Rückendeckung von zuhause. „Irgendwann habe ich es einfach versucht – ich hatte nichts zu verlieren“, sagt er heute. Akribisch erarbeitete sich der Allgäuer das Kunsthandwerk, während er beharrlich nach Weiterentwicklung strebte. Ende 2010 eröffnete er sein eigenes Studio und ist seitdem hauptberuflich Tätowierer. Auf der Welle des Erfolgs „Das Glück ist mit den Tüchtigen“ lautet ein Sprichwort. Und falls es einen Schutzpatron für „Hütmôlar“ (sprich: Hautmaler) geben sollte, so nahm dieser den jungen Künstler schnell unter seine Fittiche. Daniel Bensmann war auch zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Jahrzehntelang haftete Tätowierungen ein gesellschaftsfähiger Makel an, doch nun waren sie populärer denn je: Egal ob Fußballer, Popstar oder Schauspieler – jeder präsentierte selbstbewusst seinen Körperschmuck, während die Medien und die Werbung frohlockten. Tattoos wurden alltagstauglich. Dafür musste man nicht mehr Seemann, Sträfling oder polynesischer Ureinwohner sein. Plötzlich gingen Menschen unterschiedlichen Alters und Herkunft in die Studios, um sich ihr Wunschmotiv stechen zu lassen. „Das hat mir enorm geholfen“, sagt der Hindelanger Künstler. Seinem Heimatort ist er treu geblieben, auch wenn dort manche Augenbraue verwundert nach oben ging, als sich der damals 21-jährige für den unorthodoxen Beruf entschied. Von Anfang an hatte er zu tun, denn seine Kollegen in der Region waren monatelang ausgebucht, und aus den angeschwemmten Neukunden wurden bald 72 <strong>FineTobacco</strong>[+] 04·2023
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