FineTobacco[+] 04|23
FREUDE AM LEBEN. SPASS AM GENUSS
FREUDE AM LEBEN. SPASS AM GENUSS
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Stammkunden. „Auf dieser Welle bin ich losgeritten – ich<br />
habe da ein ziemlich cooles Zeitfenster erwischt“, lächelt der<br />
Tätowierer. Dass er damals noch nicht so lange dabei gewesen<br />
sei, interessierte niemanden. Die Qualität seiner Arbeiten<br />
überzeugte und die Mundpropaganda zeigte Wirkung.<br />
Hamsterrad-Vollbremsung<br />
Nach nicht einmal zwei Jahren war auch er ausgebucht.<br />
Etwa 18 Monate wartete man seinerzeit auf einen Termin<br />
beim Hütmôlar. „Das war schon ein tolles Gefühl, weil die<br />
Tätowierer immer mit solchen Zahlen angegeben haben“, erinnert<br />
sich Daniel. Es sei eine Art Erfolgsmaßstab gewesen,<br />
„was natürlich totaler Quatsch ist“. Für einen jungen Selbständigen<br />
bedeutete es aber wirtschaftliche Sicherheit. Die<br />
Kehrseite der Medaille: „Du bist für anderthalb Jahre verplant.<br />
Deinen Urlaub musst du lange im Voraus einrichten.<br />
Falls du krank wirst und nicht alle kommenden Termine der<br />
nächsten Monate verschieben willst, opferst du dafür deinen<br />
Urlaub. Und auf Hochzeiten oder andere Feste deiner<br />
Freunde kannst du nicht spontan gehen.“ Abgesehen davon,<br />
dass sich in der 18-monatigen Wartezeit der Geschmack eines<br />
Kunden verändern kann, kollidierte die Vorplanung mit<br />
Bensmanns künstlerischer Entfaltung: „In anderthalb Jahren<br />
habe ich mich ja hoffentlich weiterentwickelt. Dann liefere<br />
ich vielleicht etwas anderes ab, als es sich der Kunde<br />
ursprünglich vorgestellt hatte.“ Für den Tätowierer war klar,<br />
dass da etwas falsch lief, denn das selbstgewählte Hamsterrad<br />
drehte sich immer schneller und es ging nur noch ums<br />
Abarbeiten. 2013 trat der Künstler beherzt auf die Bremse.<br />
Ein Jahr lang nahm er keine Kunden mehr an und strukturierte<br />
seine Terminplanung komplett um. Heute findet nur<br />
drei Mal im Jahr eine Terminvergabe statt. Dann ist auf seiner<br />
Homepage an einem bestimmten Tag für 24 Stunden ein<br />
Anmeldeformular online, in das man sich eintragen kann.<br />
„Das ist zwar ziemlich straight, weil ich auch für Stammkunden<br />
keine Ausnahme mache,“ erklärt der Mann aus Bad<br />
Hindelang „aber es funktioniert für beide Seiten perfekt“.<br />
Maximale Wartezeit: Fünf Monate.<br />
Lebendige Bilder<br />
Als durchorganisierter, strukturierter Typus passt Daniel<br />
Bensmann so gar nicht ins Klischee eines Künstlers. Aber<br />
er macht inzwischen nur die Dinge, die ihm wichtig sind,<br />
gerne Themen, mit denen er noch nie gearbeitet hat, wo er<br />
sich selbst und seinen ganz eigenen Tattoo-Stil einbringen<br />
kann. „Ein bunter japanischer Rücken ist zwar cool, aber<br />
dafür bin ich nicht der Richtige.“ Seine Unterhautmalerei ist<br />
eine Komposition aus Schwarz und Weiß, weichen Schattierungen<br />
und sehr akzentuierten Kontrasten. Dadurch besitzen<br />
die Bilder eine Tiefe und Lebendigkeit, die verblüfft. „Ich<br />
kann alles noch viel realistischer machen, aber das ist nicht<br />
mein Anreiz“, erklärt der 34-jährige. Ihm geht es um den lebendigen<br />
Gefühlsausdruck, den ein Bild vermittelt. So, dass<br />
der Betrachter stehenbleibt, es anschaut und dabei etwas<br />
empfindet. Auch bei der Malerei sei das für ihn ein extrem<br />
wichtiger Punkt. In seiner freien Zeit tauscht er die Tätowiermaschine<br />
gerne gegen einen Pinsel und vertieft sich in seine<br />
teilweise tiefdunklen, ausdrucksstarken Gemälde.<br />
Von der Tinte zur Tusche<br />
Seit 2016 sind die Öl- und Acrylfarben auf Leinwand aber einer<br />
„neuen“ alten Technik gewichen – Daniel Bensmann malt<br />
mit Tusche auf Tierhäute. Und er macht klar: „Ich erfinde hier<br />
nicht das Rad neu. Schon vor 2000 Jahren hat man auf Pergament<br />
geschrieben.“ Im Gegensatz zum Leder wird Tierhaut<br />
nicht gegerbt, sondern nur konserviert. Das Ergebnis ist ein<br />
trockenes, lichtdurchlässiges und sehr robustes Material, mit<br />
dem auch Trommeln bespannt wurden. Auf diesen historischen<br />
Malgrund wurde der Künstler aufmerksam, als er den<br />
Jagdschein machte und die Verantwortung für einen Teil des<br />
Reviers der Jagdgenossenschaft Bad Hindelang übernahm.<br />
Da es kaum noch Gerbereien gibt, die bei Schlachtungen in<br />
Metzgereien oder jagdlichen Abschüssen Häute zu Leder<br />
verarbeiten, werden die meisten Häute einfach entsorgt.<br />
„Das ist wirtschaftlich nachvollziehbar, aber eine Riesenverschwendung“,<br />
sagt der Allgäuer. Nachhaltigkeit bedeute<br />
für ihn, möglichst alle Teile eines Tieres zu verwenden. Und<br />
da sein Vater das Handwerk beherrscht, eine Haut nur mit<br />
Quellwasser, Kalk und Sonnenlicht zu konservieren, fügte<br />
sich alles harmonisch zusammen: „Du hast eine Haut, die<br />
aus Kohlenstoff und Wasser besteht und malst darauf mit einer<br />
von Hand angerührten Tusche, die aus Wasser und Kohlenstoff<br />
besteht. Damit kreierst du etwas, das es schon vor<br />
ein paar tausend Jahren gegeben hat, aber viele Menschen<br />
zum Staunen bringt. Das finde ich total spannend!“ Ebenso<br />
spannend sind seine expressiven Gemälde, dynamisch, kraftvoll,<br />
manchmal nachdenklich. Tatsächlich hat sich das Malen<br />
zum zweiten Standbein entwickelt, doch im Gegensatz zum<br />
Tätowieren bedeutet es für den Künstler die absolute Freiheit:<br />
„Ich liebe meine Arbeit mit den Tattoos, aber beim Malen<br />
gibt es keine Auftragsarbeiten, keinerlei Einschränkungen.“<br />
Auf den Tierhäuten bringt Daniel das zum Ausdruck, was ihn<br />
bewegt: Die Jahreszeiten der heimatlichen Natur, die Menschen<br />
in seiner Umgebung, die Tierwelt der Allgäuer Berge.<br />
Für jedes Werk muss er eine eigene Staffelei bauen, weil die<br />
Häute (von Hirsch, Reh und inzwischen auch Rind) immer<br />
unterschiedlich groß sind. Im Detail hat auch jede Hautform<br />
einen anderen Umriss und andere Wellen im Material, sodass<br />
das rahmenlose Bild Schatten an die Wand wirft. Dann verbinden<br />
sich Dreidimensionalität und Motiv auf eine besondere<br />
Weise. Für den Hütmôlar ist das Malen ein Ausgleich zum<br />
Hauptberuf. Doch so unterschiedlich das Tätowieren einer<br />
lebenden Haut und das Bemalen von Pergament auch sein<br />
mag, sie haben doch eines gemeinsam – jeder St(r)ich muss<br />
sitzen. „Ich kann nichts vormalen, nichts korrigieren, nichts<br />
wegwischen“, erklärt Daniel Bensmann und lächelt: „Das<br />
macht beides so spannend und einzigartig.“<br />
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