31.01.2024 Aufrufe

FineTobacco[+] 04|23

FREUDE AM LEBEN. SPASS AM GENUSS

FREUDE AM LEBEN. SPASS AM GENUSS

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

Stammkunden. „Auf dieser Welle bin ich losgeritten – ich<br />

habe da ein ziemlich cooles Zeitfenster erwischt“, lächelt der<br />

Tätowierer. Dass er damals noch nicht so lange dabei gewesen<br />

sei, interessierte niemanden. Die Qualität seiner Arbeiten<br />

überzeugte und die Mundpropaganda zeigte Wirkung.<br />

Hamsterrad-Vollbremsung<br />

Nach nicht einmal zwei Jahren war auch er ausgebucht.<br />

Etwa 18 Monate wartete man seinerzeit auf einen Termin<br />

beim Hütmôlar. „Das war schon ein tolles Gefühl, weil die<br />

Tätowierer immer mit solchen Zahlen angegeben haben“, erinnert<br />

sich Daniel. Es sei eine Art Erfolgsmaßstab gewesen,<br />

„was natürlich totaler Quatsch ist“. Für einen jungen Selbständigen<br />

bedeutete es aber wirtschaftliche Sicherheit. Die<br />

Kehrseite der Medaille: „Du bist für anderthalb Jahre verplant.<br />

Deinen Urlaub musst du lange im Voraus einrichten.<br />

Falls du krank wirst und nicht alle kommenden Termine der<br />

nächsten Monate verschieben willst, opferst du dafür deinen<br />

Urlaub. Und auf Hochzeiten oder andere Feste deiner<br />

Freunde kannst du nicht spontan gehen.“ Abgesehen davon,<br />

dass sich in der 18-monatigen Wartezeit der Geschmack eines<br />

Kunden verändern kann, kollidierte die Vorplanung mit<br />

Bensmanns künstlerischer Entfaltung: „In anderthalb Jahren<br />

habe ich mich ja hoffentlich weiterentwickelt. Dann liefere<br />

ich vielleicht etwas anderes ab, als es sich der Kunde<br />

ursprünglich vorgestellt hatte.“ Für den Tätowierer war klar,<br />

dass da etwas falsch lief, denn das selbstgewählte Hamsterrad<br />

drehte sich immer schneller und es ging nur noch ums<br />

Abarbeiten. 2013 trat der Künstler beherzt auf die Bremse.<br />

Ein Jahr lang nahm er keine Kunden mehr an und strukturierte<br />

seine Terminplanung komplett um. Heute findet nur<br />

drei Mal im Jahr eine Terminvergabe statt. Dann ist auf seiner<br />

Homepage an einem bestimmten Tag für 24 Stunden ein<br />

Anmeldeformular online, in das man sich eintragen kann.<br />

„Das ist zwar ziemlich straight, weil ich auch für Stammkunden<br />

keine Ausnahme mache,“ erklärt der Mann aus Bad<br />

Hindelang „aber es funktioniert für beide Seiten perfekt“.<br />

Maximale Wartezeit: Fünf Monate.<br />

Lebendige Bilder<br />

Als durchorganisierter, strukturierter Typus passt Daniel<br />

Bensmann so gar nicht ins Klischee eines Künstlers. Aber<br />

er macht inzwischen nur die Dinge, die ihm wichtig sind,<br />

gerne Themen, mit denen er noch nie gearbeitet hat, wo er<br />

sich selbst und seinen ganz eigenen Tattoo-Stil einbringen<br />

kann. „Ein bunter japanischer Rücken ist zwar cool, aber<br />

dafür bin ich nicht der Richtige.“ Seine Unterhautmalerei ist<br />

eine Komposition aus Schwarz und Weiß, weichen Schattierungen<br />

und sehr akzentuierten Kontrasten. Dadurch besitzen<br />

die Bilder eine Tiefe und Lebendigkeit, die verblüfft. „Ich<br />

kann alles noch viel realistischer machen, aber das ist nicht<br />

mein Anreiz“, erklärt der 34-jährige. Ihm geht es um den lebendigen<br />

Gefühlsausdruck, den ein Bild vermittelt. So, dass<br />

der Betrachter stehenbleibt, es anschaut und dabei etwas<br />

empfindet. Auch bei der Malerei sei das für ihn ein extrem<br />

wichtiger Punkt. In seiner freien Zeit tauscht er die Tätowiermaschine<br />

gerne gegen einen Pinsel und vertieft sich in seine<br />

teilweise tiefdunklen, ausdrucksstarken Gemälde.<br />

Von der Tinte zur Tusche<br />

Seit 2016 sind die Öl- und Acrylfarben auf Leinwand aber einer<br />

„neuen“ alten Technik gewichen – Daniel Bensmann malt<br />

mit Tusche auf Tierhäute. Und er macht klar: „Ich erfinde hier<br />

nicht das Rad neu. Schon vor 2000 Jahren hat man auf Pergament<br />

geschrieben.“ Im Gegensatz zum Leder wird Tierhaut<br />

nicht gegerbt, sondern nur konserviert. Das Ergebnis ist ein<br />

trockenes, lichtdurchlässiges und sehr robustes Material, mit<br />

dem auch Trommeln bespannt wurden. Auf diesen historischen<br />

Malgrund wurde der Künstler aufmerksam, als er den<br />

Jagdschein machte und die Verantwortung für einen Teil des<br />

Reviers der Jagdgenossenschaft Bad Hindelang übernahm.<br />

Da es kaum noch Gerbereien gibt, die bei Schlachtungen in<br />

Metzgereien oder jagdlichen Abschüssen Häute zu Leder<br />

verarbeiten, werden die meisten Häute einfach entsorgt.<br />

„Das ist wirtschaftlich nachvollziehbar, aber eine Riesenverschwendung“,<br />

sagt der Allgäuer. Nachhaltigkeit bedeute<br />

für ihn, möglichst alle Teile eines Tieres zu verwenden. Und<br />

da sein Vater das Handwerk beherrscht, eine Haut nur mit<br />

Quellwasser, Kalk und Sonnenlicht zu konservieren, fügte<br />

sich alles harmonisch zusammen: „Du hast eine Haut, die<br />

aus Kohlenstoff und Wasser besteht und malst darauf mit einer<br />

von Hand angerührten Tusche, die aus Wasser und Kohlenstoff<br />

besteht. Damit kreierst du etwas, das es schon vor<br />

ein paar tausend Jahren gegeben hat, aber viele Menschen<br />

zum Staunen bringt. Das finde ich total spannend!“ Ebenso<br />

spannend sind seine expressiven Gemälde, dynamisch, kraftvoll,<br />

manchmal nachdenklich. Tatsächlich hat sich das Malen<br />

zum zweiten Standbein entwickelt, doch im Gegensatz zum<br />

Tätowieren bedeutet es für den Künstler die absolute Freiheit:<br />

„Ich liebe meine Arbeit mit den Tattoos, aber beim Malen<br />

gibt es keine Auftragsarbeiten, keinerlei Einschränkungen.“<br />

Auf den Tierhäuten bringt Daniel das zum Ausdruck, was ihn<br />

bewegt: Die Jahreszeiten der heimatlichen Natur, die Menschen<br />

in seiner Umgebung, die Tierwelt der Allgäuer Berge.<br />

Für jedes Werk muss er eine eigene Staffelei bauen, weil die<br />

Häute (von Hirsch, Reh und inzwischen auch Rind) immer<br />

unterschiedlich groß sind. Im Detail hat auch jede Hautform<br />

einen anderen Umriss und andere Wellen im Material, sodass<br />

das rahmenlose Bild Schatten an die Wand wirft. Dann verbinden<br />

sich Dreidimensionalität und Motiv auf eine besondere<br />

Weise. Für den Hütmôlar ist das Malen ein Ausgleich zum<br />

Hauptberuf. Doch so unterschiedlich das Tätowieren einer<br />

lebenden Haut und das Bemalen von Pergament auch sein<br />

mag, sie haben doch eines gemeinsam – jeder St(r)ich muss<br />

sitzen. „Ich kann nichts vormalen, nichts korrigieren, nichts<br />

wegwischen“, erklärt Daniel Bensmann und lächelt: „Das<br />

macht beides so spannend und einzigartig.“<br />

<strong>FineTobacco</strong>[+] 04·2023 75

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!