Rozmowa - Zbliżenia Interkulturowe
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<strong>Zbliżenia</strong> literackie<br />
Sollte Fonty also der bessere Wissenschaftler<br />
sein? Ganz so ist es nun auch<br />
wieder nicht. Sicher ist, daß er in dem<br />
Erzählprojekt ‚Fontane-Biographie‘ so<br />
manche Lücke schließt. Dabei läßt er sich<br />
im Gegensatz zu seinen Schöpfern jedoch<br />
von „keinem „sekundäre(n) Geräusch“<br />
(WF, 780) beirren. Und gerade darin liegt<br />
seine Stärke. Nehmen wir beispielsweise<br />
„Dresden und die Folgen“ (WF, 414) oder<br />
„Lyon und die Folgen“ (ebd.), jene peinlichen<br />
Episoden in Fontanes Privatleben,<br />
die der ungesicherten Quellenlage nach<br />
nur lückenhaft oder, schlimmer noch,<br />
überhaupt nicht mehr zu erschließen<br />
sind. Bis Fonty einspringt und sie auf der<br />
Folie seines eigenen Lebens, frei nach den<br />
Regeln der Grass’schen Fabulierlust,<br />
plaudernd aufklärt: mittels Sachverstand,<br />
Intuition und Phantasie. Der ironische<br />
Nebenbefund: Alle „auch uns irritierende(n)<br />
Details“, die er auf diese Weise<br />
zutage fördert, werden den Archivisten<br />
„durch spätere Manuskriptfunde bestätigt.“<br />
(WF, 206) Und so ist der Privatforscher<br />
aus Passion ihnen letztlich immer<br />
schon um eine Nasenlänge voraus.<br />
So will es zumindest die Grass’sche Fiktion,<br />
die damit gewissermaßen als Plädoyer<br />
für einen weiteren Umgang mit Wissenschaft<br />
im Dienste der Aufklärung gelesen<br />
werden kann.<br />
Mit dieser humorigen kleinen Einlage<br />
hat das Erzähler-Kollektiv „Wir vom<br />
Archiv“ die üblichen Bewertungskriterien<br />
und Hierarchien auf dem Feld literarischer<br />
Öffentlichkeit einmal mehr<br />
auf den Kopf gestellt: Wenn ausgerechnet<br />
ein Fabulierkünstler wie Fonty dazu imstande<br />
ist, die seriösen Forschungsergebnisse<br />
des Potsdamer-Fontane-Archivs vorwegzunehmen,<br />
dann ist damit jene „per-<br />
40<br />
manente Selbstfeier des Sekundären“ 17 ,<br />
von der Grass andernorts spricht, mindestens<br />
fragwürdig geworden. Auf die Kurzformel<br />
gebracht: In Gestalt Fontys erhält<br />
das Primäre wieder vor dem Sekundären<br />
das Wort. Und so verwundert es nicht,<br />
daß die Figur im Prozeß der Erzählung<br />
zunehmend an Eigenleben gewinnt, die<br />
Grenzen zwischen Schöpfer und Geschöpf<br />
mehr und mehr verwischen. So<br />
daß man sich schließlich fragen könnte:<br />
Wer erzählt hier eigentlich? Das Erzähler-<br />
Kollektiv oder Fonty? Und wer profitiert<br />
bei diesem mehrstimmigen Erzählprojekt<br />
Fontane-Biographie eigentlich mehr<br />
von wem: die Archivisten von ihrer<br />
,Kopfgeburt’ und deren veritablen Lügengeschichten<br />
oder jene vom Fußnotenfleiß<br />
ihrer Erfinder?<br />
Die Antwortet lautet: sowohl als auch.<br />
Und eben dieses ‚sowohl als auch‘ ist<br />
nicht nur für die Erzählsituation, sondern<br />
zugleich für die dahinter stehende<br />
Vision bezeichnend: Was hier im Disputierfeld<br />
‚Literarische Öffentlichkeit‘<br />
mit einem für Grass typischen Augenzwinkern<br />
geboten wird, ist ein vielstimmiges<br />
„Aufklärungsexperiment“ 18 , bei<br />
dem die Archivisten-Autoren mit dem<br />
Fabulierkünstler und Privatforscher<br />
Fonty – und d.h. im übertragenen Sinne<br />
Autor und Figur, Wissenschaft und<br />
Kunst, Sekundäres und Primäres – Hand<br />
in Hand arbeiten. Wie übrigens, das sei<br />
hier wenigstens am Rande erwähnt, im<br />
17 Günter Grass: Über das Sekundäre aus primärer<br />
Sicht. In: Der Schriftsteller als Zeitgenosse<br />
(1999). S. 280<br />
18 So Harro Zimmermann über »Die Blechtrommel«,<br />
in: Günter Grass / Harro Zimmermann:<br />
Vom Abenteuer der Aufklärung. Werkstattgespräche.<br />
Göttingen 2000, S. 39