Mein Leben nach der ILB - Lernwerkstatt Brigittenau
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Der Newsletter <strong>der</strong> Integrativen <strong>Lernwerkstatt</strong> <strong>Brigittenau</strong> Nr. 6 - April 2008<br />
Das Herz <strong>der</strong> <strong>ILB</strong>: die Integrationskin<strong>der</strong>, die „Nicht-Normalität“<br />
Sobald <strong>der</strong> Redaktionsplan für TILL fest<br />
stand und sich eine Schwerpunktnummer<br />
zum Thema Integration abzeichnete,<br />
wusste ich: <strong>Mein</strong>e Glosse muss sich des<br />
Herzstücks dieser Schule annehmen!<br />
Als wir kürzlich im Kardinal-König-Haus<br />
(siehe geson<strong>der</strong>ter Bericht in diesem TILL)<br />
den TeilnehmerInnen des Kongresses von<br />
Inclusion Europe die <strong>ILB</strong> vorstellten, habe<br />
ich meinen persönlichen Zugang zur<br />
Integration mit 2 Stichworten umrissen:<br />
1. „Reia Reia“<br />
2. „wenn schon – denn schon“ (Integration<br />
als Herzstück und Nagelprobe für eine<br />
gemeinsame Schule)<br />
Die Auflösung: Reia Reia war jener<br />
geheimnisvolle, bucklerte, hatscherte,<br />
sprach- aber nicht stimmlose Mann unbestimmten<br />
Alters, <strong>der</strong> in den 60er Jahren die<br />
Klostermauer im Grazer Herz-Jesu-Viertel<br />
umstrich und uns aus (sicherer!) Ferne<br />
anbrüllte. O<strong>der</strong> anschrie. O<strong>der</strong> vielleicht<br />
sein ganzes Leid, sein Unverstandensein<br />
und seine geheime Affinität zu uns<br />
„unschuldigen“ Kin<strong>der</strong>n in die Welt<br />
hinaus rief. Freilich kamen seine Rufe<br />
bei uns Kin<strong>der</strong>n nicht so herzlichfriedlich-freundlich<br />
an. Wir fürchteten uns<br />
gemeinsam und lustvoll, „tratzten“ ihn,<br />
for<strong>der</strong>ten ihn zu ungleichen Verfolgungsjagden<br />
heraus und dennoch war es ein<br />
ganz spezieller Regenbogen, eine<br />
eigenartige Nähe und schaurig-schöne<br />
Aura, die sich da zwischen dem<br />
ReiaReia und uns aufspannte. Er war<br />
eine dem Glöckner von Notre-Dame<br />
ebenbürtige Schreckgestalt, ein außerirdischer<br />
Grenzgänger, eine faszinierende<br />
Gestaltwerdung <strong>der</strong> „Nicht-<br />
Normalität“!<br />
ReiaReia: Ein Aufrüttler aus<br />
Selbstverständlichkeiten und Selbstgefälligkeiten.<br />
Wenn wir uns denn<br />
aufrütteln lassen wollen!<br />
Und als solchen kann ich den Menschen<br />
ReiaReia heute viel mehr und ganz<br />
an<strong>der</strong>s schätzen als damals, als <strong>der</strong><br />
tretrollerfahrende, eher introvertierte<br />
Bub, <strong>der</strong> ich war.<br />
<strong>Mein</strong>e damalige Angst vor dem<br />
ungestümen ReiaReia fand ein<br />
eigenartiges Gegenstück in <strong>der</strong> Angst<br />
vor meinem schneidig-bissigen Onkel.<br />
Derselbe war keine 2 Jahrzehnte<br />
davor in <strong>der</strong> nationalsozialistischen<br />
SS mitmarschiert war und<br />
<strong>nach</strong>kriegslebendiger Gegenbeweis<br />
für Österreichs „Opferrolle“.<br />
Im Laufe von Jahrzehnten habe ich<br />
eine immer größere Neugier und<br />
Interesse für Menschen (und<br />
Gesellschaften) in Ausnahmesituationen<br />
entwickelt: Was macht mir<br />
Angst und warum. Vor allem aber:<br />
Wie gehe ich damit um, worin erkenne<br />
ich mich wie<strong>der</strong>, wie steht es um<br />
meine höchstpersönliche Zivilcourage<br />
wenn es um das alltägliche <strong>Leben</strong> und<br />
Erleben von Ausgrenzung geht. Wenn<br />
es darum geht, ein respektvolles,<br />
solidarisches Miteinan<strong>der</strong> zu versuchen.<br />
Wenn es darum geht, die<br />
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