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Zur Medizingeschichte der Votivtafeln in der Kirche auf dem ...

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Versprechungen führten so weit, daß die Reliquienverehrung und das Wallfahrtswesen<br />

<strong>dem</strong> Klerus teilweise gänzlich aus <strong>der</strong> Hand glitten. Die <strong>Kirche</strong> mußte mit drakonischen<br />

Maßnahmen gegen die Wallfahrten vorgehen, um die schlimmsten Auswüchse zu verh<strong>in</strong><strong>der</strong>n.<br />

E<strong>in</strong>e nicht zu unterschätzende Wirkung hatte Paracelsus <strong>auf</strong> das Votivtafelwesen.<br />

„Sche<strong>in</strong>bar unvermittelt erleben wir plötzlich den von breitesten Schichten des Volkes,<br />

von Kle<strong>in</strong>bürgern und Bauern, von Handwerkern und Soldaten und nicht zuletzt von<br />

<strong>der</strong> Frauenwelt bevorzugt geübten Wallfahrtsbrauch, von seelischen und leiblichen Nöten<br />

diktierte Gelübde und Gebete zu Gnadenstätten und himmlischen Nothelfern —<br />

sowohl <strong>in</strong> Bitte als auch Danksagung — <strong>in</strong> zahllos <strong>auf</strong>geopferten Votivbil<strong>der</strong>n zu verewigen.<br />

Die meist als Erklärung dieses Brauches angeführte Aktivierung alles kirchlichen<br />

Lebens seit Beg<strong>in</strong>n <strong>der</strong> Gegenreformation kann nicht alle<strong>in</strong> maßgeblich se<strong>in</strong>." 16<br />

Erw<strong>in</strong> Richter will nicht alle<strong>in</strong> durch die Gegenreformation den gewaltigen Wallfahrts<strong>auf</strong>schwung<br />

im 17. Jahrhun<strong>der</strong>t beson<strong>der</strong>s <strong>in</strong> Süddeutschland erklären. Der Brauch,<br />

<strong>Votivtafeln</strong> zu stiften, wurde zum Teil <strong>in</strong> <strong>der</strong> Unfähigkeit großer Teile <strong>der</strong> Bevölkerung<br />

gesehen, we<strong>der</strong> lesen noch schreiben zu können. Detaillierte Darstellungen, die den genauen<br />

Hergang des Mirakels bildnerisch veranschaulichten, waren daher bei Analphabeten<br />

sehr beliebt. Die Votivbil<strong>der</strong> geben den Vorstellungen und Sitten Raum, die über<br />

die Behandlung von Krankheiten seit Jahrhun<strong>der</strong>ten im Volk verwurzelt s<strong>in</strong>d. Stellenweise<br />

lassen sich entsprechende Bräuche bis <strong>in</strong> die Zeit <strong>der</strong> Germanen und sogar <strong>der</strong><br />

Antike zurückführen. Heidnisches und Christliches vermischten sich <strong>in</strong> den Vorstellungen<br />

um Wallfahrt und Votivmalerei mit volksmediz<strong>in</strong>ischem Wissen und erreichten<br />

ihren Höhepunkt <strong>in</strong> <strong>der</strong> von Paracelsus entwickelten mediz<strong>in</strong>ischen Denkweise. Die<br />

Lehren dieses bekannten Volksarztes erreichten erst nach se<strong>in</strong>em Tod breitere Schichten<br />

des Volkes, eben zu <strong>der</strong> Zeit, <strong>in</strong> <strong>der</strong> sich <strong>der</strong> Brauch <strong>der</strong> Votivtafel verbreitete. Die<br />

„Transplantatio morborum", die Übertragung <strong>der</strong> Krankheit, konnte sich <strong>der</strong> e<strong>in</strong>fache<br />

Mensch <strong>auf</strong> diese Votivbil<strong>der</strong> gut vorstellen, wenn er die entsprechend angelegten Darstellungen<br />

sah. Richter 17 sieht <strong>in</strong> den Votiven nicht mehr nur re<strong>in</strong>e Geschenkopfer,<br />

son<strong>der</strong>n auch Gaben, <strong>auf</strong> die sich die Krankheit übertragen lassen konnte. In se<strong>in</strong>er Signaturenlehre<br />

beschreibt Paracelsus die Wechselbeziehungen zwischen Krankheit und<br />

Abbild: „Dah<strong>in</strong> stehet iezt <strong>der</strong> erznei biltnus <strong>in</strong> se<strong>in</strong> glid, <strong>in</strong> das es gehört . . . Dan das<br />

sollent ir wissen, das alle chirurgiealischen kranckheiten durch physikalisch Arznei mögent<br />

geheilt werden, so <strong>der</strong> physicus anatomiam essentiae weißt und verstet, <strong>der</strong>en ich<br />

wenig gesehen hab." 18 Er fährt weiter fort: „dan nit also sol die arznei gehen, son<strong>der</strong><br />

sie füret sich selbst durch kraft ihrer biltnis <strong>der</strong> äugen, daraus folget nun so sie e<strong>in</strong>genommen<br />

wird, so stellet sie sich <strong>in</strong> ir gut und <strong>in</strong> die form des glits, also das eufragia e<strong>in</strong><br />

ganz aug wird, welche erznei ist nun, die da könte e<strong>in</strong>e an<strong>der</strong>e zum äugen und <strong>in</strong> das<br />

aug füren <strong>der</strong>maßen und stellen? alle gli<strong>der</strong> <strong>der</strong> menschen haben ir form <strong>der</strong>maßen <strong>in</strong><br />

wachsenden d<strong>in</strong>gen, auch <strong>in</strong> den geste<strong>in</strong>en, auch <strong>in</strong> metallen und m<strong>in</strong>eralibus etc. und<br />

was corpus e<strong>in</strong> essentia ist, da ist doch dieselbig biltnuss." 19 Sieht man die dargestellten<br />

Votivorgane und liest die Bräuche nach, mit denen sie geopfert wurden, so drängen sich<br />

Zusammenhänge <strong>auf</strong>. Paracelsus verweist auch beson<strong>der</strong>s dar<strong>auf</strong>, daß se<strong>in</strong>e Vorstellungen<br />

christliche Vorstellungen ausdrücklich mite<strong>in</strong>schließen: „ Wir Christen sollen durch<br />

das gebet, das ist bitten, suchen, anklopfen im glauben alles erlangen, <strong>in</strong> disen dreien<br />

hauptpunkten stehet al unser grünt <strong>der</strong> magischen und cabalistischen kunst, dardurch<br />

wir alles das, so wir begeren und uns wünschen mögen, erlangen und zu wegen br<strong>in</strong>gen<br />

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