Ballett Intern 2/2008 - Deutscher Berufsverband für Tanzpädagogik
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Er hat gesagt: »Machen wir Kleopatra.« Mir war es egal, was<br />
er macht, wenn er nur ein abendfüllendes <strong>Ballett</strong> macht. Denn<br />
das Wichtige ist, dass er nach Stuttgart kommt und <strong>für</strong> unsere<br />
Compagnie ein abendfüllendes <strong>Ballett</strong> macht. Und das war nach<br />
einer Probe zu »Hamlet«. Wir sind in ein türkisches Restaurant<br />
gegangen. Ich saß vor Dir und war an diesem Tag so müde, ich<br />
hatte keine Schminke, ich war einfach fertig. Und plötzlich sehe<br />
ich in seine Augen. Die bleiben ganz still und gucken mich an.<br />
So habe ich mich auch nicht bewegt und nur geguckt. Da sagt<br />
er: »Kameliendame! Machen wir Kameliendame!« Ich glaube,<br />
in diesem Moment hatte er schon die tote Marguerite vor sich<br />
gesehen. Und dann begann das Stuttgarter Fieber mit der »Kameliendame«.<br />
Das hatte die ganze Stadt, das Theater, die Compagnie:<br />
Wir waren »Kameliendame« und wir wollten nur noch<br />
»Kameliendame«. Alle haben auf diese Premiere gewartet. Und<br />
es war wirklich eine Explosion, diese »Kameliendame«.<br />
Ich erinnere mich an alles, an jedes Wort, das Du zu mir<br />
gesagt hast – vom Anfang der »Kameliendame« bis zum Ende.<br />
Bei Dir sind nicht die großen Schritte das Wichtigste, aber das,<br />
was dazwischen passiert, alle Details. »Kameliendame« – ich erinnere<br />
mich – das war Detail nach Detail, Detail nach Detail bis<br />
zum Ende. Einmal, im ersten Pas de deux, ging ich zum Spiegel<br />
und Du hast eine Stunde lang mit mir probiert. Du wolltest, dass<br />
das Publikum versteht, dass in diesem Moment, in dem sie sich<br />
in dem Spiegel sieht, sieht sie ihre Krankheit, sieht das Ende.<br />
Und war nur eine Armbewegung, nur eine Hand. Aber das war<br />
nicht so einfach. Eine Stunde hat es gedauert, bis Du gefunden<br />
hattest, welche Bewegung die Hand machen muss bis zum Gesicht.<br />
Und so war die ganze »Kameliendame«.<br />
»Die Kameliendame« ist in meine Haut eingeprägt. Nachher<br />
hast Du mich mit nach Hamburg genommen, und ich habe mit<br />
Deiner Compagnie getanzt. Danach kam der Film. Und in diesem<br />
Film ist es faszinierend zu sehen, wie John morgens kam<br />
und schon ganz genau wusste: Licht hier und da, da und da. Er<br />
hat keine Zeit verloren, überhaupt keine Zeit verloren. Ich werde<br />
nun eine Sache erzählen, da habe ich Dich nie um die Erlaubnis<br />
gebeten, aber ich erzähle das sowieso: Sie wissen, dass<br />
ich aus Brasilien komme. In Brasilien beschäftigt man sich mit<br />
Astrologie, mit allem Möglichen, mit dem Mond, wo der Mond<br />
ist, wo Jupiter ist und so. Als dann John den schwarzen Pas de<br />
deux machen wollte – und ich weiß, <strong>für</strong> ihn war der schwarze<br />
Pas de deux ganz schwierig – habe ich in meinen Büchern nachgesehen,<br />
das wird an einem Montag probiert, Montag und die<br />
Stunde. Dann habe ich meine Astrologin in Brasilien angerufen:<br />
»Sag’ mir, wie stehen die Planeten da am Montag?« Und sie<br />
hat gesagt: »Hm, bis 16 Uhr ist ganz schwierig, nach 16 Uhr<br />
alles ok.« Da habe ich gedacht, was mache ich nun? Dann<br />
habe ich John angerufen und gesagt: »John, vielleicht denkst Du,<br />
ich bin verrückt, aber ich muss es Dir sagen.« Dann habe ich<br />
es ihm gesagt und er sagte nur: »Hm, ok.« Am nächsten Tag,<br />
morgens – bestimmt erinnert er sich daran – wollen wir mit dem<br />
schwarzen Pas de deux anfangen. John kommt – ganz langsam<br />
– und er guckt und sagt: »Nein! Licht ist alles falsch. Wir müssen<br />
alles wechseln.« Das ganze Team hat ihn angesehen, weil die<br />
es gewöhnt waren, dass er ganz genau weiß, was er macht.<br />
Und dann haben sie gewechselt. »Nein, nein. Ich bin noch nicht<br />
zufrieden. Ich glaube, da …« Das ging so weiter bis halb drei<br />
nachmittags. Um halb drei hat er dann gesagt: »Ok, wir machen<br />
alles wie es war am Anfang!« Und genau um 16 Uhr hat er mit<br />
dem schwarzen Pas de deux angefangen.<br />
Ein weiterer Grund ist, John, dass ich Dir so dankbar bin,<br />
dass wir auch mit »Kameliendame« einen Film gemacht haben.<br />
Mein Solo hast Du mit mir an einem Nachmittag geprobt. Und<br />
Du hast gesagt: »Noch einmal, noch einmal, und noch einmal,<br />
und noch einmal.« Meine Füße waren schon keine Füße mehr,<br />
aber ich habe es gemacht – bis er zufrieden war. Dann kam er<br />
zu mir und hat zu mir gesagt: »Marcia, dieser Film bleibt ewig.<br />
Das bedeutet, dass Tänzer, die Dich nie gesehen haben, werden<br />
Dich eines Tages sehen. Und ich will Dich so perfekt wie<br />
möglich.«<br />
Das vergesse ich nicht, denn Du warst so streng mit mir in<br />
dem Film. Du hast wirklich auf alles aufgepasst. Und wenn Du<br />
nicht zufrieden warst: nochmal und nochmal und nochmal. Und<br />
deswegen bin ich Dir von ganzem Herzen dankbar.<br />
Nach der »Kameliendame« kam das andere Meisterwerk<br />
»Endstation Sehnsucht«. Und »Endstation Sehnsucht – ich weiß<br />
nicht, ob ich Dir das schon einmal gesagt habe: Als Marcia,<br />
als Frau, als Mensch gibt es ein ›Vor-Endstation‹ und ein ›Nach-<br />
Endstation‹. Die Arbeit mit Dir in »Endstation Sehnsucht« war<br />
so intensiv, so intensiv. Als Du mir sagtest, dass Du »Endstation<br />
Sehnsucht« machen möchtest, habe ich gedacht: Wie macht der<br />
das? Denn ich kannte das Spiel, das Theater-Stück, den Film mit<br />
Vivian Leigh. Aber alles wurde gesprochen. Alles findet in dem<br />
Kopf dieser Frau statt. So, wie zeigst Du es dem Publikum, was<br />
ist in Deinem Kopf? Und ich hätte diese Blanche nicht geschafft<br />
ohne Dich. Ohne Dich – und das meine ich wirklich so – Du hast<br />
<strong>Ballett</strong> <strong>Intern</strong> 2/<strong>2008</strong> 11