Freund und als Kostüm- und Bühnenbildner zentraler Partner bei vielen Kreationen wurde. Ich wusste nicht, wer August Everding war, als eine liebe Opernsekretärin (ich hatte damals keine eigene!) mir von seinem Wunsch, mich kennen zu lernen berichtete. Ich war sehr streng, absolut und jung-mutig konsequent in meinen Bedingungen über die Möglichkeit, meine geliebte erste Compagnie in Hamburg weiter zu entwickeln. Ich war aber letztendlich überzeugt, dass meine Vision von einem humanen <strong>Ballett</strong>-Theater, in dem – ob traditionelles Handlungsballett oder Neuschöpfung – der Mensch im Mittelpunkt steht, größeren Raum braucht. »Schwanensee« wäre in Frankfurt unmöglich zu verwirklichen gewesen. Ich wollte ein »Dornröschen« auf der Bühne sehen, dem ich trotz Virtuosität glauben könnte. Figuren der Weltliteratur wollte ich durch Bewegung dreidimensional gestalten, wollte neue Formen <strong>für</strong> einen <strong>Ballett</strong>abend finden, ein intelligentes, ein emotional sensibles Ensemble schaffen, erziehen und entwickeln. Menschen waren – und sind Gott sei Dank immer noch – mein geliebtes »Arbeitsmaterial«. Ich <strong>für</strong>chte, einige, die mir in Erinnerung kommen, zu nennen, aus Angst, andere zu vergessen und zu verletzen. Denn ich glaubte und glaube immer noch an das, was man Ensemble nennt: eine Gruppe von unterschiedlichen, individuellen, starken Persönlichkeiten, die mit Kraft, Können und Demut <strong>für</strong> das eine arbeiten: <strong>für</strong> die Kreation – das <strong>Ballett</strong> – das daraus entstehende Werk ist das Wichtigste. Trotzdem, einige meiner wichtigsten Arbeiten wären nicht ohne die schon erwähnte Marianne Kruuse, ohne Persephone Samaropoulo, Beatrice Cordua, François Klaus, Kevin Haigen, Egon Madsen, Gigi Hyatt, Violette Verdy, Ivan Liška, Gamal Gouda, Natalia Makarova oder Marcia Haydée, entstanden – ja, die Liste könnte noch viel länger sein. Interessanterweise habe ich damals niemals daran gedacht, eine »deutsche« Compagnie aufzubauen. Ich bin und bleibe Amerikaner und der Anfang unseres heutigen Programms mit »Yondering« zu der bewegenden volkstümlichen Musik von Stephen Foster, oder George Gershwins »I got rhythm variations«, zeugen – glaube ich – von meiner wahren Herkunft. Es war in Tokio, beim ersten Gastspiel des HAMBURG BAL- LETT im Jahre 1986, als ich nach der Premiere eine Rede halten musste und da<strong>für</strong> zwischen den Flaggen Deutschlands und Japans stand – die Flaggen, die ich auf einmal erkannt habe als die der zwei »Erzfeinde« meiner Kindheit! Ich war auf einmal tief bewegt, als Amerikaner dieses internationale, deutsche Ensemble präsentieren zu dürfen als Botschafter <strong>für</strong> Versöhnung und Frieden. Auf einmal bemerkte ich, wie weit ein Zufall – oder mehrere Zufälle – mich gebracht hatten. Und mich hoffentlich heute noch weiter bringen. Wenn man vom Zufall spricht – war es wirklich Zufall, dass 1975 wir beide, der berühmte französische Choreograph Maurice Béjart und ich, sich entschieden hatten, die »Dritte Sinfonie von Gustav Mahler« zu choreographieren, und wie wunderbar, dass ich durch diesen Zufall die Möglichkeit erhielt, ein großes Vorbild und eine große Inspiration <strong>für</strong> mich, Maurice, kennen zu lernen, als ich sein Ballet du XXe Siècle zu unseren Ersten Hamburger <strong>Ballett</strong>-Tagen als Alternative zu meinem ersten sinfonischen Werk eingeladen habe. Es war aber sicherlich kein Zufall, wie unsere Freundschaft wuchs und über die Jahre immer tiefer wurde – und Krönung dieser Freundschaft war seine fantastische und tief bewegende Kreation »Die Stühle« <strong>für</strong> Marcia Haydée und mich. Bei der Tanzpreis-Verleihung vor 20 Jahren war ich stolz und glücklich, dass Maurice Béjart die Laudatio <strong>für</strong> mich gehalten hat. Und ist es Fügung, dass Marcia Haydée, meine »Semiramis«, Partnerin in »Die Stühle«, heute die Laudatio gehalten hat? Den Verlust dieses Freundes und großen Künstlers betrauere ich sehr – sicher wie wir alle – und der letzte Beitrag des heutigen Programms ist bewusst und mit Liebe Maurice gewidmet. Ja, Jubiläen verleiten dazu, nachzudenken. Nach 70 Premieren, Tourneen in mehr als 100 Gastspielorten in 28 Ländern, in denen das HAMBURG BALLETT nahezu 800 Vorstellungen getanzt hat, mehr als 175 <strong>Ballett</strong>-Werkstätten, nachdem eine Schule gegründet, ein einmaliges <strong>Ballett</strong>zentrum errichtet, eine wissenschaftliche <strong>Ballett</strong>stiftung ins Leben gerufen wurden, während »mein« HAMBURG BALLETT von September 1973 bis heute etwa 3600 Vorstellungen getanzt hat, ist die Reise noch nicht zu Ende. Inzwischen besitze ich auch die deutsche Staatsbürger- schaft, (und freute mich, am letzten Sonntag zum ersten Mal an einer Wahl in meiner Wahlheimat Hamburg teilzunehmen!) Manchmal, wenn man von Zufall spricht, scheint es etwas von »Glücksspiel« zu haben, oberflächlich zu sein. In meinem Fall – wenn es wirklich Zufall wäre – war es glücklicherweise ernsthaft: Meine zufällige Zeit, mein zufälliger Aufenthalt in Deutschland bedeutet die Realisierung einer ernsten Berufung, die durch Akzeptanz, Verständnis, Aufgabe, Inspiration, Kritik, Enttäuschung, Freude, Herausforderung und Verantwortung und immer wieder Neugier zum wirklichen Inhalt meines aus polnisch-deutscher Herkunft stammenden amerikanisch-deutschen (or whatever) Lebens zu sein. Ich bin tief bewegt und stolz, diesen Deutschen Jubiläums- Tanzpreis entgegenzunehmen. Danke. ■ 14 <strong>Ballett</strong> <strong>Intern</strong> 2/<strong>2008</strong>
NRZ vom 3.3.<strong>2008</strong> Der Deutsche Jubiläums-Tanzpreis <strong>2008</strong> im Spiegel der Presse www.tanznetz.de <strong>Ballett</strong> <strong>Intern</strong> 2/<strong>2008</strong> 15