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Ballett Intern 2/2008 - Deutscher Berufsverband für Tanzpädagogik

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Freund und als Kostüm- und Bühnenbildner zentraler Partner bei<br />

vielen Kreationen wurde.<br />

Ich wusste nicht, wer August Everding war, als eine liebe<br />

Opernsekretärin (ich hatte damals keine eigene!) mir von seinem<br />

Wunsch, mich kennen zu lernen berichtete. Ich war sehr streng,<br />

absolut und jung-mutig konsequent in meinen Bedingungen über<br />

die Möglichkeit, meine geliebte erste Compagnie in Hamburg<br />

weiter zu entwickeln. Ich war aber letztendlich überzeugt, dass<br />

meine Vision von einem humanen <strong>Ballett</strong>-Theater, in dem – ob traditionelles<br />

Handlungsballett oder Neuschöpfung – der Mensch<br />

im Mittelpunkt steht, größeren Raum braucht. »Schwanensee«<br />

wäre in Frankfurt unmöglich zu verwirklichen gewesen.<br />

Ich wollte ein »Dornröschen« auf der Bühne sehen, dem ich<br />

trotz Virtuosität glauben könnte. Figuren der Weltliteratur wollte<br />

ich durch Bewegung dreidimensional gestalten, wollte neue Formen<br />

<strong>für</strong> einen <strong>Ballett</strong>abend finden, ein intelligentes, ein emotional<br />

sensibles Ensemble schaffen, erziehen und entwickeln.<br />

Menschen waren – und sind Gott sei Dank immer noch – mein<br />

geliebtes »Arbeitsmaterial«. Ich <strong>für</strong>chte, einige, die mir in Erinnerung<br />

kommen, zu nennen, aus Angst, andere zu vergessen und<br />

zu verletzen. Denn ich glaubte und glaube immer noch an das,<br />

was man Ensemble nennt: eine Gruppe von unterschiedlichen,<br />

individuellen, starken Persönlichkeiten, die mit Kraft, Können und<br />

Demut <strong>für</strong> das eine arbeiten: <strong>für</strong> die Kreation – das <strong>Ballett</strong> – das<br />

daraus entstehende Werk ist das Wichtigste.<br />

Trotzdem, einige meiner wichtigsten Arbeiten wären nicht<br />

ohne die schon erwähnte Marianne Kruuse, ohne Persephone<br />

Samaropoulo, Beatrice Cordua, François Klaus, Kevin Haigen,<br />

Egon Madsen, Gigi Hyatt, Violette Verdy, Ivan Liška, Gamal<br />

Gouda, Natalia Makarova oder Marcia Haydée, entstanden<br />

– ja, die Liste könnte noch viel länger sein.<br />

Interessanterweise habe ich damals niemals daran gedacht,<br />

eine »deutsche« Compagnie aufzubauen. Ich bin und bleibe<br />

Amerikaner und der Anfang unseres heutigen Programms mit<br />

»Yondering« zu der bewegenden volkstümlichen Musik von Stephen<br />

Foster, oder George Gershwins »I got rhythm variations«,<br />

zeugen – glaube ich – von meiner wahren Herkunft.<br />

Es war in Tokio, beim ersten Gastspiel des HAMBURG BAL-<br />

LETT im Jahre 1986, als ich nach der Premiere eine Rede halten<br />

musste und da<strong>für</strong> zwischen den Flaggen Deutschlands und<br />

Japans stand – die Flaggen, die ich auf einmal erkannt habe<br />

als die der zwei »Erzfeinde« meiner Kindheit! Ich war auf einmal<br />

tief bewegt, als Amerikaner dieses internationale, deutsche<br />

Ensemble präsentieren zu dürfen als Botschafter <strong>für</strong> Versöhnung<br />

und Frieden. Auf einmal bemerkte ich, wie weit ein Zufall – oder<br />

mehrere Zufälle – mich gebracht hatten. Und mich hoffentlich<br />

heute noch weiter bringen.<br />

Wenn man vom Zufall spricht – war es wirklich Zufall, dass<br />

1975 wir beide, der berühmte französische Choreograph Maurice<br />

Béjart und ich, sich entschieden hatten, die »Dritte Sinfonie<br />

von Gustav Mahler« zu choreographieren, und wie wunderbar,<br />

dass ich durch diesen Zufall die Möglichkeit erhielt, ein großes<br />

Vorbild und eine große Inspiration <strong>für</strong> mich, Maurice, kennen<br />

zu lernen, als ich sein Ballet du XXe Siècle zu unseren Ersten<br />

Hamburger <strong>Ballett</strong>-Tagen als Alternative zu meinem ersten sinfonischen<br />

Werk eingeladen habe. Es war aber sicherlich kein<br />

Zufall, wie unsere Freundschaft wuchs und über die Jahre immer<br />

tiefer wurde – und Krönung dieser Freundschaft war seine fantastische<br />

und tief bewegende Kreation »Die Stühle« <strong>für</strong> Marcia<br />

Haydée und mich. Bei der Tanzpreis-Verleihung vor 20 Jahren<br />

war ich stolz und glücklich, dass Maurice Béjart die Laudatio<br />

<strong>für</strong> mich gehalten hat. Und ist es Fügung, dass Marcia Haydée,<br />

meine »Semiramis«, Partnerin in »Die Stühle«, heute die Laudatio<br />

gehalten hat? Den Verlust dieses Freundes und großen Künstlers<br />

betrauere ich sehr – sicher wie wir alle – und der letzte Beitrag<br />

des heutigen Programms ist bewusst und mit Liebe Maurice gewidmet.<br />

Ja, Jubiläen verleiten dazu, nachzudenken. Nach 70 Premieren,<br />

Tourneen in mehr als 100 Gastspielorten in 28 Ländern,<br />

in denen das HAMBURG BALLETT nahezu 800 Vorstellungen<br />

getanzt hat, mehr als 175 <strong>Ballett</strong>-Werkstätten, nachdem eine<br />

Schule gegründet, ein einmaliges <strong>Ballett</strong>zentrum errichtet, eine<br />

wissenschaftliche <strong>Ballett</strong>stiftung ins Leben gerufen wurden, während<br />

»mein« HAMBURG BALLETT von September 1973 bis heute<br />

etwa 3600 Vorstellungen getanzt hat, ist die Reise noch nicht zu<br />

Ende. Inzwischen besitze ich auch die deutsche Staatsbürger-<br />

schaft, (und freute mich, am letzten Sonntag zum ersten Mal an<br />

einer Wahl in meiner Wahlheimat Hamburg teilzunehmen!)<br />

Manchmal, wenn man von Zufall spricht, scheint es etwas<br />

von »Glücksspiel« zu haben, oberflächlich zu sein. In meinem<br />

Fall – wenn es wirklich Zufall wäre – war es glücklicherweise<br />

ernsthaft: Meine zufällige Zeit, mein zufälliger Aufenthalt in<br />

Deutschland bedeutet die Realisierung einer ernsten Berufung,<br />

die durch Akzeptanz, Verständnis, Aufgabe, Inspiration, Kritik,<br />

Enttäuschung, Freude, Herausforderung und Verantwortung und<br />

immer wieder Neugier zum wirklichen Inhalt meines aus polnisch-deutscher<br />

Herkunft stammenden amerikanisch-deutschen<br />

(or whatever) Lebens zu sein.<br />

Ich bin tief bewegt und stolz, diesen Deutschen Jubiläums-<br />

Tanzpreis entgegenzunehmen.<br />

Danke. ■<br />

14 <strong>Ballett</strong> <strong>Intern</strong> 2/<strong>2008</strong>

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