Ballett Intern 2/2008 - Deutscher Berufsverband für Tanzpädagogik
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Ensemble verfasste einen Solidaritätsbrief. Erst das Argument, es<br />
gehe nicht um die DDR, sondern um Kapitalismuskritik, machte<br />
insgesamt vier Aufführungen möglich. Auch das Recht, »Le Sacre<br />
du Printemps« zu inszenieren, presste ich dem Intendanten ab.<br />
Elf Jahre war ich Choreograph in Leipzig, acht davon parallel<br />
an der Staatsoper Unter den Linden, bis ich körperlich, psychisch<br />
und kreativ total erschöpft war. Für Berlin choreographierte ich<br />
auch »Die Glocke«: Russland war darin die durchsichtige Mutterglocke,<br />
unter der es brodelt und die auseinander bricht. Ich wollte<br />
zeigen, wie Menschen an ihrer Revolution verbrennen. Empörte<br />
Leserbriefe im »Neuen Deutschland« erzwangen eine Absetzung<br />
des Stücks, wiewohl ich im Osten überwiegend Verrisse erntete,<br />
während ich im Westen gelobt wurde. So kam es zu meiner<br />
internationalen Karriere, die mich bis heute in 35 Länder führte,<br />
auch nach Neu-Delhi, Kalkutta, zum Taj-Mahal-Festival in Agra,<br />
nach Kairo, wo meine Viereinhalb-Stunden-Show »1000 Jahre<br />
Kairo« sechs Jahre ausverkauft lief. Mit 27 hatte man mich auf<br />
zwei Jahre nach Ägypten delegiert, dort lernte ich auch Arabisch<br />
und beschäftigte mich mit dem Koran. Für Mexiko City entstanden<br />
zum Cervantes-Festival ein neuer »Sacre« und ein Stück über<br />
1992: »Kleistiana« – ein Tanztheater in drei Akten, Choreographie Dietmar<br />
Seyffert, stehend im Hintergrund Gregor Seyffert, <strong>Deutscher</strong> Tanzpreis<br />
2003 (Foto: Annette Höfer)<br />
indianische Historie, beides lief live im Fernsehen. So ab 1985<br />
merkte ich, dass der Kommunismus eine glänzende, aber nicht<br />
durchsetzbare Idee war. Heute gefällt mir der Buddhismus am<br />
besten, das göttliche Moment in sich zu finden. Für die Bühne<br />
gilt: Man muss etwas zu sagen haben!<br />
Gerade <strong>für</strong> Ihre modernen Beiträge gewannen Sie bei großen<br />
<strong>Ballett</strong>wettbewerben viele Preise. Kam so die spektakuläre Zusammenarbeit<br />
mit Ihrem Sohn Gregor zustande?<br />
Was er an der Komischen Oper zu tanzen hatte, reichte nicht<br />
<strong>für</strong> eine internationale Karriere. Ich wollte ihn fördern, auch durch<br />
Sprechunterricht. »Back Home« als Kriegsheimkehrerdrama hieß<br />
einer der ersten Wettbewerbserfolge. »Clown Gottes«, das Solo<br />
um Nijinsky, mit dem er noch heute weltweit tourt, schenkte ich<br />
ihm zum Geburtstag, Uraufführung im Berliner Hebbel-Theater.<br />
Als das Stück ins Repertoire der Komischen Oper überging, entstand<br />
als zweiter Teil »Wölfe«, eine Zeitkritik. Ich bin stolz darauf,<br />
dass Gregor heute selbst choreographiert und so vielseitig ist.<br />
Weshalb sieht man von Ihnen kein Stück mehr auf deutschen<br />
Bühnen?<br />
Noch nach der Wende habe ich viel in Deutschland gearbeitet.<br />
Vor neun Jahren erlitt ich an der Deutschen Oper Berlin<br />
meinen größten Misserfolg. Möglicherweise war das Stück nicht<br />
gut, obgleich es bei der Uraufführung in San Francisco als bestes<br />
Antikriegsstück seit »Der Grüne Tisch« gefeiert worden war.<br />
In Berlin drosch die Kritik erbarmungslos auf mich ein, wollte<br />
wohl den Ost-Dino mal so richtig abwatschen. Ich verstand die<br />
Welt nicht mehr und arbeite seither nicht mehr in Deutschland.<br />
Vielleicht eine Überreaktion.<br />
Was war der Anlass, das in Europa einzigartige Choreographie-Studium<br />
in Berlin einzurichten?<br />
Es gab <strong>für</strong> die vielen Ensembles der DDR zu wenige Choreographen<br />
und auch keine Valuta, um Ausländer einzukaufen.<br />
Mein Vorschlag, einen Diplom-Studiengang<br />
<strong>für</strong> die eigenen Ressourcen einzurichten,<br />
stieß beim Kulturministerium auf offene Ohren.<br />
Man berief mich zum Professor und gab<br />
mir, neben meiner Tätigkeit an der Leipziger<br />
Oper, ein Jahr Zeit, die Lehrpläne auszuarbeiten.<br />
Ich selbst hatte ja ein vierjähriges<br />
Choreographie- und Psychologiestudium in<br />
Leipzig und eine zweijährige Aspirantur im<br />
damaligen Leningrad absolviert. Gewünscht<br />
war die Anbindung des Studiums an die Berliner<br />
<strong>Ballett</strong>schule. Mir schien aber die Schauspielschule<br />
der richtige Platz, weil dort die<br />
Studenten mit angehenden Schauspielern,<br />
Regisseuren, Dramaturgen in Berührung kommen.<br />
Unsere Studenten bekamen Unterricht<br />
in Regie und Szenenstudium, im Gegenzug<br />
vermittelten wir den Schauspiel- und Regiestudenten<br />
etwa Raumlehre, Umgang mit Gestik<br />
und theatraler Zeit.<br />
Was wurde in Ihrem Studiengang noch gelehrt?<br />
Insgesamt gab es über vier Jahre verteilt 27 Fächer, vom täglichen<br />
Training über Raum- und Bewegungslehre, Bewegungskomposition,<br />
Inszenierungsmethodik und choreographischen<br />
Einzelunterricht bis zu Anatomie, Biorhythmik, Sprecherziehung,<br />
Bühnenbild/Kostüm, Lichtdesign. Eine breit gefächerte Ausbildung,<br />
die auf alle Einsatzgebiete vorbereiten sollte, ob Theater,<br />
freie Szene, Show, Zirkus oder Eisrevue. Das Handwerk ist überall<br />
das gleiche. Schließlich hat auch Balanchine <strong>für</strong> Elefanten<br />
und Spoerli <strong>für</strong> Reitpferde in der Manege choreographiert. Viele<br />
Eiskunstlaufpaare der DDR errangen mit Choreographien von mir<br />
Weltmeistertitel, und mir hat dieser Ausgleich Spaß gemacht. Von<br />
den 15 Bewerbern <strong>für</strong> den ersten Studiengang, der nur jedes<br />
zweite Jahr immatrikulierte, habe ich damals fünf genommen. In<br />
den vergangenen zwei Jahrzehnten haben rund 50 Absolventen<br />
unsere Schule verlassen, viele besetzen Chefpositionen in Theatern,<br />
wie der hochbegabte Mario Schröder in Kiel, andere arbeiten<br />
in der freien Szene, wie Christoph Winkler oder Sven Sören<br />
Beyer, oder im eigenen Cabaret wie Sylvia Schmidt. Von den 40<br />
Prozent Ausländern arbeiten heute viele in ihren Heimatländern.<br />
20 <strong>Ballett</strong> <strong>Intern</strong> 2/<strong>2008</strong>