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Ballett Intern 2/2008 - Deutscher Berufsverband für Tanzpädagogik

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Ist es wirklich Zufall oder Fügung, dass ich schon einige Jahre,<br />

bevor ich zum ersten Mal nach Europa kam, zutiefst beeindruckt<br />

gewesen bin von dem <strong>Ballett</strong> »Antigone« – ausgerechnet<br />

von John Cranko – das ich während einer Tournee des Londoner<br />

Royal Ballet in Chicago sah. Zufall oder Fügung, dass ich nicht<br />

in die <strong>Ballett</strong>schule des Königlich-Dänischen <strong>Ballett</strong>s aufgenommen<br />

werden konnte, da<strong>für</strong> aber an die Royal <strong>Ballett</strong>schule in<br />

London, als ich ein letztes Studienjahr in Europa verbringen wollte<br />

– nicht zuletzt um europäische Kultur – vor allem die Malerei<br />

der italienischen Renaissance – näher kennen zu lernen.<br />

Zufall? Dass, obwohl die Pädagogin Vera Volkova in Kopenhagen,<br />

bei der ich das große Glück gehabt habe, in meiner<br />

Ferienzeit Privatunterricht zu erhalten, mich John Cranko bei seinem<br />

Besuch am Königlichen Theater vorgestellt hat, obwohl sie,<br />

Volkova, fest überzeugt war, dass ich zu George Balanchine<br />

nach New York zurückkehren müsste.<br />

War es wirklich der größte Zufall, dass Marcia Haydée und<br />

Ray Barra mich bei einem Mazurkaschritt im Frühling 1962 gesehen<br />

und mir danach eine Position in John Crankos neu begonnenem,<br />

aufregendem Stuttgarter <strong>Ballett</strong> angeboten haben?<br />

Und war es dann der letzte Zufall, dass Dame Ninette de Valois,<br />

damals Direktorin des Royal Ballet, die mich George Balan-<br />

chine persönlich empfohlen hatte, mir von seiner Reaktion zwei<br />

Monate zu spät berichtete und ich inzwischen meinen ersten<br />

Vertrag mit Stuttgart schon unterschrieben hatte? Es war entschieden!<br />

Ich ging nach Stuttgart, in eine Stadt, deren Namen ich<br />

noch nie zuvor gehört hatte. Wenn es denn wirklich Zufall war,<br />

habe ich mich dagegen gewehrt – denn im April 1963 schrieb<br />

ich an George Balanchine:<br />

»Lieber Mr. Balanchine, Sie kennen mich nicht, aber als Madame<br />

Ninette de Valois im vergangenen Frühling mit dem Royal<br />

Ballet in New York war, hat sie mich Ihnen empfohlen. Ich bin<br />

amerikanischer Staatsbürger, 20 Jahre alt, und war Schüler der<br />

Royal Ballet School London mit einem einjährigen Stipendium.<br />

Als Amerikaner kann ich nicht in England arbeiten, und Madame<br />

de Valois hat sich freundlicherweise angeboten, mit Ihnen<br />

über meine Zukunft zu sprechen. Erst jetzt habe ich erfahren,<br />

dass Sie doch bereit waren, mich anzusehen und mich danach<br />

evtl. in Ihre Schule oder Compagnie aufzunehmen. Ich bin sehr<br />

glücklich und dankbar <strong>für</strong> Ihr Angebot!<br />

Leider wartete Madame de Valois fast zwei Monate nach<br />

ihrer Rückkehr aus Amerika, um mir Ihr freundliches Angebot<br />

mitzuteilen. Inzwischen habe ich eine Position in John Crankos<br />

Stuttgarter <strong>Ballett</strong> angenommen, da ich ohne Geld nicht länger<br />

hätte studieren können.<br />

Aber mein Vertrag läuft nur bis zum 1. Juli 1964, und ich<br />

hoffe sehnlichst, dass, wenn ich nach New York zurückkehre, Ihr<br />

Angebot noch besteht.<br />

Mit Respekt und Dank, Ihr JN«<br />

Ich habe natürlich nie von George Balanchine gehört, und eine<br />

der wenigen Verletzungen meiner Tänzerkarriere hat mich daran<br />

gehindert, mich nach der ersten Stuttgarter Saison beim New<br />

York City Ballet vorzustellen und Balanchine an sein Angebot zu<br />

erinnern. Zufall?<br />

Die erste Zeit in Stuttgart war aufregend. Ich versuchte schnell<br />

Deutsch zu lernen – und versuche es immer noch – obwohl ich<br />

John Crankos Vorschlag, meinen Vornamen »John« in »Hans« umzuändern,<br />

um ganz deutsch zu scheinen, nach reiflicher Überlegung<br />

(Gott sei Dank!) abgelehnt habe!<br />

Die kreative und praktische handwerkliche Arbeit mit John<br />

Cranko war lehrreich. Schon in Amerika hatte ich angefangen<br />

zu choreographieren – ja, so lange ich denken kann, beinhaltete<br />

Tanz <strong>für</strong> mich in erster Linie Kreativität. Aber die Menschen,<br />

mit denen ich zusammenarbeiten konnte, inspirierten mich erneut<br />

zu meiner wirklichen Berufung, Choreograph zu sein: Marcia,<br />

Crankos wirkliche Muse, vor allem, aber auch die Tänzer, die<br />

an meine eigene schöpferische Vision geglaubt und mit mir daran<br />

gearbeitet haben: zuerst Marianne Kruuse, Truman Finney,<br />

Max Midinet, und später wurde einer meiner »Entdecker«, der<br />

Stuttgarter Star-Tänzer Ray Barra, als <strong>Ballett</strong>meister unendlich<br />

wichtig <strong>für</strong> mich, als ich viel früher, als es jeder erwartet hätte,<br />

Direktor meines eigenen Ensembles in Frankfurt wurde.<br />

Zufall wurde zur Aufgabe, Aufgabe zu freudiger Herausforderung,<br />

als ich von Intendant Ulrich Erfurt berufen wurde, eine<br />

Compagnie von 28 Tänzern <strong>für</strong> die Oper in Frankfurt im Dezember<br />

1969 zu übernehmen. Die Zufälle, die in meiner Entwicklung<br />

als Künstler in dieser sehr kreativen Frankfurter Zeit eine<br />

wichtige Rolle gespielt haben, sind zu viele, um sie alle hier<br />

aufzuzählen.<br />

Man denke nur an das aus Vorstellungsnot erfundene, von<br />

mir als Sujet und Musik zuerst gehasste »Nussknacker«-<strong>Ballett</strong> –<br />

inzwischen meine Huldigung an das Klassische <strong>Ballett</strong> und ein<br />

Blick in meine Autobiographie – das mehrere hundert Vorstellungen<br />

in verschiedenen Compagnien und in aller Welt erlebt hat.<br />

Durch den Zufall »Stuttgart« begegnete ich Jürgen Rose, der zum<br />

<strong>Ballett</strong> <strong>Intern</strong> 2/<strong>2008</strong> 13

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