Ballett Intern 2/2008 - Deutscher Berufsverband für Tanzpädagogik
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Die Metamorphosen<br />
des Prix de Lausanne<br />
Der 36. Prix de Lausanne macht<br />
zukunftweisende Schritte<br />
Von Sylvia Garcia<br />
Der Prix de Lausanne hört nicht auf sich zu<br />
verwandeln. Er ist der alte in Bezug auf seine<br />
Ziele, dennoch sichtbar erneuert, wo es<br />
um Vorbereitungen und Abläufe geht. Vor<br />
allem hat man die Türen weit geöffnet <strong>für</strong><br />
ein interessiertes Publikum, das vom Balkon<br />
des Théâtre de Beaulieu aus sämtliche Prüfungen<br />
verfolgen konnte. Eine Brücke zu<br />
schlagen zwischen klassischem <strong>Ballett</strong> und<br />
moderner Tanztechnik und Vorurteile abzubauen,<br />
ist ein Anliegen von Samuel Würsten,<br />
Mitglied des künstlerischen Komitees,<br />
der seit 1997 Unterricht <strong>für</strong> Modernen Tanz<br />
am Prix de Lausanne erteilt. Es ist ihm besonderes<br />
wichtig, dass <strong>für</strong> Tänzerinnen und<br />
Tänzer, die hier erstmals mit Modernem<br />
Tanz konfrontiert werden, diese Erfahrung<br />
positiv ist. Der Prix hat sich in den über dreieinhalb<br />
Jahrzehnten seines Bestehens immer<br />
mit dem Tanz zusammen weiterentwickelt. Ein bedeutender<br />
Schritt <strong>für</strong> den Wettbewerb ist es, dass die modernen Choreographien,<br />
die zum Pflichtpensum gehören, gleichwertig zu den<br />
klassischen Komponenten beurteilt werden.<br />
In den vergangenen Jahren war die fernöstliche Dominanz<br />
enorm. Japan, China und Korea stellten mehr als die Hälfte der<br />
Teilnehmer. In diesem Jahr waren die 22 Nationalitäten bunt gemischt.<br />
Spanien, Norwegen, Schweden, Ungarn, Großbritannien,<br />
Brasilien, USA, Australien, Philippinen, Japan, Korea und<br />
die Schweiz waren im Finale vertreten. 52 Mädchen und 22<br />
Jungen waren anhand von DVD Aufzeichnungen nach Lausanne<br />
eingeladen worden, darunter erstaunliche Talente aus Brasilien.<br />
Erstmals hat man altersmäßig unterschieden zwischen den 15-<br />
bis 16- und den 17- bis 18-Jährigen. Ein kluger Beschluss, da<br />
sich in diesen Jahren eine Reife in der Entwicklung entscheidend<br />
manifestiert. Für die Juroren war es eine Ausdauerleistung, alle<br />
74 Teilnehmer in ihrer klassischen und modernen Variation zu<br />
beurteilen. Die modernen Variationen stammten aus <strong>Ballett</strong>en<br />
von Jurypräsident John Neumeier. Er macht übrigens keinen Hehl<br />
daraus, dass er Wettbewerbe eigentlich schrecklich findet: »Es<br />
gibt junge Tänzer, die mehr Zeit brauchen <strong>für</strong> ihre Entwicklung,<br />
deswegen sind sie nicht schlechter. Der ›Prix‹ ist ein wichtiges<br />
Schaufenster, denn hier geht es darum, Potenzial zu erkennen<br />
und zu fördern. Erst die Technik gibt die Freiheit, Emotionen darzustellen.«<br />
Einen beschränkten Einblick in die Bandbreite des<br />
Schaffens von John Neumeier erhielt man in den verschiedenen<br />
modernen Variationen, die einstudiert wurden. Beeindruckend<br />
wie beklemmend das Kranke, Manische in »Nijinsky« zu Musik<br />
von Schostakowitsch. Hinreißend die Musikalität, Eleganz und<br />
Beschwingtheit, die einige der jungen Tänzerinnen in der Bach-<br />
Suite II zeigten. War es früher oft die Diskrepanz in der Qualität<br />
dieser modernen Variationen, die <strong>für</strong> ein Weiterkommen entscheidend<br />
sein konnte, so war mit dieser Entscheidung <strong>für</strong> eine<br />
choreographische Handschrift ein mögliches Hindernis aus dem<br />
PRIX<br />
DE LAUSANNE<br />
Weg geräumt. Eine überaus sympathische Dienstleistung bieten<br />
die dem »Prix« verbundenen Schulen, deren Vertreter sich zu informativen<br />
Gesprächen zur Verfügung halten. Wohl bestückt mit<br />
Unterlagen und Broschüren über die professionelle Ausbildung,<br />
die Möglichkeiten an allgemeinbildenden Schulen, Unterbringung,<br />
Stipendien – das Angebot wurde reichlich genutzt.<br />
Das jährliche Budget des Prix beträgt mittlerweile 2 Mio.<br />
Schweizerfranken, (1,4 Mio. Euro.) Ein Betrag, der durch die<br />
Stadt Lausanne, den Kanton Waadt, Firmen, Banken, aber auch<br />
private Mäzene erbracht wird. 10.000 Euro,<br />
(16.000 Sfr) erhalten die Preisträger zusätzlich<br />
zum Studienplatz an einer Schule nach<br />
Wahl oder eine Spielzeit in einer Compagnie,<br />
die auf ein Jahr begrenzt ist. Die Kanadierin<br />
Mavis Staines hat dem Wettbewerb als<br />
künstlerische Leiterin während der vergangenen<br />
sieben Jahren wichtige Impulse gegeben.<br />
Sie wird abgelöst von Wim Broeckx, 1980<br />
selbst Preisträger in Lausanne, öfters bereits<br />
Jurymitglied, seit 2002 Direktor <strong>für</strong> Tanz am<br />
Konservatorium in Den Haag. Zwei Persönlichkeiten,<br />
die im vergangenen Jahr verstarben,<br />
wurden gebührend gewürdigt: Elvire<br />
Kremis-Braunschweig, 1973 Mitbegründerin<br />
des Prix de Lausanne. Ihr Leben und künstlerischer<br />
Werdegang wurde in einem berüh-<br />
renden Porträt gezeichnet. Und Maurice Béjart,<br />
ihm widmete John Neumeier sein »OPUS<br />
100 – for Maurice« vor gut zehn Jahren zum 70. Geburtstag,<br />
zur Musik von Simon & Garfunkel, getanzt von Ivan Urban und<br />
Yohan Stegli, Solisten des Hamburg <strong>Ballett</strong>. Wie ein Versprechen<br />
an die Zukunft erlebte man die Aufführung von »Yondering«,<br />
einer Choreographie zu Songs des amerikanischen Komponisten<br />
Stephen Foster, die Neumeier <strong>für</strong> die National Ballet<br />
School of Canada geschaffen hatte. Hier wurde das Stück von<br />
über 40 Studenten der <strong>Ballett</strong>schulen von Toronto, Hamburg und<br />
Paris getanzt. Ein begeisterndes Miteinander, voll beglückender<br />
Heiterkeit, wo Bewegung zum Ausdruck von Zukunftsglaube<br />
wird. »Yondering« bedeutet eine Grenze überschreiten, hin zum<br />
Abenteuer.<br />
21 Finalisten (zehn Mädchen und elf Jungen) haben sich<br />
im großen Finale der Jury und einem großen Publikum im ausverkauften<br />
Haus gestellt. Dabei erstaunt immer wieder, zu welcher<br />
Hochform die jungen Tänzerinnen und Tänzer in dieser<br />
fordernden Situation auflaufen. Sieben ertanzten sich einen der<br />
begehrten Preise. Erstaunlich der Spanier Aleix Martinez, der<br />
Jüngste unter allen, 15-jährig, der die technischen Schwierigkeiten<br />
seiner Bournonville-Variation mit stupender spielerischer Leichtigkeit<br />
gestaltete und <strong>für</strong> »Spring and Fall« (auch von Neumeier)<br />
gleich noch die Auszeichnung <strong>für</strong> die beste moderne Variation<br />
in Empfang nehmen durfte. Lili Felméri aus Ungarn bezauberte<br />
durch die Eleganz ihrer Gesten, ihre Musikalität und ihren subtilen<br />
Gestaltungswillen. Dylan Tedaldi, ein Amerikaner, erstaunte<br />
durch die Reife, mit der er sich in »Nijinsky«, den schon Gebrochenen,<br />
hineinzufühlen schien. Die weiteren Preisträger: Kyle<br />
Davis, USA, Irlan Silva und Marcella de Paiva, beide Brasilien,<br />
Akane Takada, Japan, holte nicht nur ein Schulstipendium, sondern<br />
auch den Publikumspreis. Schließlich wurde wieder einmal<br />
ein Preis <strong>für</strong> die »beste Schweizer Kandidatin« verliehen, die das<br />
Finale erreicht hatte. Aus der Talentschmiede der Tanzakademie<br />
Zürich stammt die junge Türkin, Gozde Ozgur, die eine fabelhafte<br />
Kitri (Don Quichote) auf die Bühne zauberte. ■<br />
22 <strong>Ballett</strong> <strong>Intern</strong> 2/<strong>2008</strong>