Das Karlshospital in Kassel - Christian Presche
Das Karlshospital in Kassel - Christian Presche
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Beim <strong>Karlshospital</strong> ist nun der ursprünglichen barocken Form der Vorrang e<strong>in</strong>zuräumen: Der<br />
Denkmalwert beruht überwiegend auf der ersten Nutzung als Erziehungs- und Besserungshaus<br />
und auf der künstlerischen und städtebaulichen Qualität des barocken Entwurfs.<br />
Die Nutzung als Strafanstalt tritt deutlich dah<strong>in</strong>ter zurück, die Umbauten jener Zeit s<strong>in</strong>d nur<br />
von Zweckmäßigkeit bestimmt, ohne künstlerischen oder städtebaulichen Anspruch.<br />
E<strong>in</strong>e weitere große, sozialgeschichtliche Bedeutung hatte nur das <strong>Karlshospital</strong> ab 1928; mit<br />
Ausnahme der Fenstere<strong>in</strong>brüche und der abgängigen Nordtreppe s<strong>in</strong>d die Zutaten aus jener<br />
Zeit aber 1943 zumeist zerstört worden; dies betrifft vor allem die <strong>in</strong>nere E<strong>in</strong>richtung und<br />
Nutzung, welche die eigentliche sozialgeschichtliche Bedeutung jener Phase dokumentierten.<br />
Die Veränderungen dieser beiden Nutzungsphasen bee<strong>in</strong>trächtigen sogar den künstlerischen<br />
und städtebaulichen Wert, anstatt ihn zu unterstützen oder sogar noch zu steigern 163 . Dies gilt<br />
vor allem für die Fenstere<strong>in</strong>brüche an der Hauptfassade, welche den klaren axialen Aufriß<br />
zerstören und zudem <strong>in</strong> ihrer Anordnung nur aus den <strong>in</strong>neren, <strong>in</strong>zwischen aber zerstörten<br />
Umbauten heraus zu erklären waren. Es gilt ebenso für den nördlichen Giebel (als Rest des<br />
flacheren Satteldaches) und für die Entfernung des Verputzes. – Die Kriegszerstörung hat für<br />
den Denkmalwert ebenfalls ke<strong>in</strong>e (bzw. nur untergeordnete) Bedeutung, angesichts der<br />
umfangreichen, deutlich erkennbaren Kriegszerstörungen <strong>in</strong> <strong>Kassel</strong> und angesichts bereits<br />
mehrerer konservierter Ru<strong>in</strong>en oder Baufragmente 164 .<br />
Die Konsequenz für e<strong>in</strong>en Wiederaufbau wäre deshalb: Wiederherstellung der barocken<br />
Form mit Mansarddach, den beiden Zwerchhäusern und dem Verputz. Wichtig s<strong>in</strong>d dabei<br />
besonders die Umrißl<strong>in</strong>ien (vgl. die Maße und Proportionen!) bzw. die Dachneigungen. Die<br />
vorhandenen Zeichnungen und die historische Photographie vor 1889 lassen e<strong>in</strong>e maßgenaue<br />
Rekonstruktion zu, wie bereits aus den durchgeführten Berechnungen deutlich wird; die<br />
wichtigste Voraussetzung für e<strong>in</strong>e Rekonstruktion ist damit erfüllt.<br />
Nicht zuverlässig rekonstruierbar s<strong>in</strong>d allerd<strong>in</strong>gs die barocken Dachfenster; h<strong>in</strong>zu kommt,<br />
daß sie für e<strong>in</strong>e künftige Nutzung des Mansardgeschosses zu kle<strong>in</strong> und nicht flexibel genug<br />
wären. Der Umbau der späten 1860er Jahre zeigt allerd<strong>in</strong>gs, daß auch größere Dachfenster<br />
gut verträglich s<strong>in</strong>d, sofern sie nur die strenge Axialität des Aufrisses respektieren und<br />
e<strong>in</strong>heitlich gestaltet s<strong>in</strong>d. Hier ist also e<strong>in</strong>e zurückhaltende moderne Interpretation möglich,<br />
163 <strong>Das</strong> <strong>Karlshospital</strong> ist dabei nur e<strong>in</strong> Beispiel unter vielen; gerade im Historismus wurde auffallend häufig echte<br />
historische Architektur <strong>in</strong> <strong>Kassel</strong> entweder durch „zweckmäßige“ Modernisierungen entstellt oder sogar ganz<br />
abgebrochen. <strong>Das</strong> Salzhaus an der Schlagd, ebenfalls e<strong>in</strong> wichtiges Element der flußseitigen Stadtansicht, verlor<br />
gerade am Fuldaflügel se<strong>in</strong>e Zwerchhäuser, erhielt e<strong>in</strong>en gemauerten Kniestock und e<strong>in</strong> neues Dach. In das<br />
benachbarte Hauptgebäude des ehem. Packhofs wurde e<strong>in</strong>e große Lücke gebrochen (s.o.), und für den Neubau<br />
der Fuldabrücke opferte man noch 1909 den gesamten Stadtbau, obwohl der älteste Gebäudeteil aus dem 16. Jh.<br />
durch die Straßenverbreiterung nicht berührt wurde und se<strong>in</strong> Abriß e<strong>in</strong>e häßliche Baulücke an markanter Stelle<br />
h<strong>in</strong>terließ. <strong>Das</strong> Zeughaus, der größte Renaissancebau <strong>Kassel</strong>, büßte den stadtseitigen Giebel und die obere Hälfte<br />
des Daches e<strong>in</strong>, zugunsten e<strong>in</strong>es flachen Abschlusses. Die Klosterkaserne, e<strong>in</strong> ehemaliges Speichergebäude aus<br />
dem späten 16. Jh. mit Bestand des alten Ahnaberger Stifts, wurde ganz abgebrochen. Durch Neubauten verdarb<br />
man das e<strong>in</strong>zigartige städtebaulich/architektonische Gesamtkonzept des Königsplatzes, und für e<strong>in</strong>en unnötigen<br />
Straßendurchbruch wurde e<strong>in</strong>es der wichtigsten gotischen Fachwerkhäuser <strong>Kassel</strong>s geopfert: die alte Dechanei<br />
aus dem späten 15. Jh. Noch um 1909 wurde die Geschlossenheit des Opernplatzes durch Opern- und Theaterstraße<br />
zerstört und die geschichtlich und technisch bemerkenswerte Unterneustädter Mühle mit dem Kle<strong>in</strong>en<br />
F<strong>in</strong>kenherd grundlos abgebrochen. – Die Liste ließe sich noch fortsetzen; sie genügt aber, um die Maßnahmen<br />
am <strong>Karlshospital</strong> <strong>in</strong> ihre Zeit e<strong>in</strong>zuordnen.<br />
164 Im Gebiet der Innenstadt s<strong>in</strong>d nur noch wenige historische Bauten erhalten, die zumeist stark verändert<br />
wurden, und der Neuaufbau der Stadt ist deutlich ablesbar. Die Reste des Zeughauses (<strong>in</strong> Sichtweite des <strong>Karlshospital</strong>s)<br />
s<strong>in</strong>d als Ru<strong>in</strong>e konserviert und sollen demnächst mit modernen und klar abgesetzten E<strong>in</strong>bauten versehen<br />
werden, der Turm der Lutherkirche er<strong>in</strong>nert ausdrücklich an die Zerstörungen, ebenso die Reste der sog.<br />
We<strong>in</strong>kirche (Werner-Hilpert-Straße 22, vgl. Denkmaltopographie Stadt <strong>Kassel</strong> II); h<strong>in</strong>zu kommen u. a. der Portikus<br />
des Roten Palais, Portal und Treppenhaus des Hauses Mart<strong>in</strong>splatz 2, das Portal des Hauses Marktgasse 17<br />
und die bislang nicht wieder aufgebaute Ru<strong>in</strong>e der Garnisonkirche.<br />
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