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Kurt Wolff Stiftung

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J o n a s Ve r l a g<br />

1978 Drei Studenten fortgeschrittenen Semesters am<br />

Marburger Kunsthistorischen Institut beschließen,<br />

einen Verlag zu gründen mit dem Anspruch,<br />

Literatur und kunstwissenschaftliche Titel zu<br />

veröffentlichen, die sie bisher auf dem Buchmarkt<br />

vermissten.<br />

Leseprobe aus ›Herr Ludwig oder das Leben an sich‹ von Dieter Sdun:<br />

Herr Ludwig im Neubaugebiet Warum nur, fragt sich Herr Ludwig. Warum<br />

lasse ich mich immer wieder auf diese Sonntagsspaziergänge ein?<br />

Hilfesuchend blickt er in den Himmel. Die Wolken hängen tief. Jeden<br />

Moment kann es anfangen zu regnen. Aber es riecht nicht nach Regen,<br />

es riecht noch nach Mittagessen. Herr Ludwig atmet tief durch. Seine<br />

Frau, die neben ihm geht, weiß, was sich in ihm abspielt. Du übertreibst,<br />

sagt sie leise zu ihm hin, und gleichzeitig gelingt es ihr, das Gespräch mit<br />

ihrer Schwester auf der anderen Seite weiterzuführen. Herr Ludwig bleibt<br />

zurück. Und er bleibt der Meinung, dass ihn dieser Spaziergang besonders<br />

hart trifft. Sonntagnachmittag. Mit der Verwandtschaft. Im Rundkurs<br />

an einer Autobahn entlang. Und das Schlimmste: Start und Ziel ist ein<br />

Neubaugebiet. Da wohnen seit zwei Monaten die Schwester von Herrn<br />

Ludwigs Frau, Claudia, deren Mann Klaus und die Kinder Jennifer und<br />

Joyce. Und zwar in einer Doppelhaushälfte. Der Vorgarten sieht aus wie<br />

eine Schubkarre voller Schutt. Und hat auch in etwa die Größe einer solchen<br />

Schubkarre. Der Garten hinter dem Haus ist frisch eingesät. Die<br />

Grashalme sprießen so vereinzelt, dass man sie problemlos zählen könnte.<br />

Und in das halbe Haus dazwischen muss eine ganze Welt passen,<br />

denkt Herr Ludwig. Das Leben der anderen erscheint einem doch immer<br />

trostloser als das eigene, wundert er sich. Die andere, die linke Hälfte<br />

42<br />

(Website) www.jonas-verlag.de<br />

(E-Mail) jonas@jonas-verlag.de<br />

(Anschrift) Jonas Verlag für Kunst und Literatur GmbH<br />

Weidenhäuser Str. 88<br />

D - 35037 Marburg<br />

(Telefon) 06421 / 25 132<br />

(Telefax)<br />

06421 / 21 05 72<br />

Kulturgeschichtliche Themen haben ihren Platz im Programm des Jonas Verlags. So kann<br />

man alles erfahren über die Kultur des Schnellimbiss, über Jahrmärkte, über die Ge-<br />

schichte der Hose (›Die Verpackung des männlichen Geschlechts‹), aber auch über<br />

Strandburgen, Perlonstrümpfe, Lippenstifte und deutsche Schlager der sechziger Jahre.<br />

Wir begannen uns für solche Dinge zu interessieren, als man anderswo die ›Geschichte<br />

des Alltags‹ noch nicht für schreibenswert hielt. Auch die nähere Umgebung findet Be-<br />

achtung. Spurensuche in ›Hessen kriminell‹ wird betrieben, auch riskante, verliebte, ver-<br />

gessene, schamlose und langsame Hessen werden in Zusammenarbeit mit dem Hessi-<br />

schen Rundfunk betrachtet. Nicht zuletzt sind mehrere Zeitschriften zu erwähnen:<br />

Kritische Berichte – Zeitschrift für Kunst- und Kulturwissenschaften, Fotogeschichte – Bei-<br />

träge zur Geschichte und Ästhetik der Fotografie, FrauenKunstWissenschaft.<br />

des Doppelhauses, die sich an die rechte Hälfte von Klaus und Claudia,<br />

von Jennifer und Joyce anlehnt, ist zwar schon gebaut, steht aber noch<br />

leer. Die polierten, grauen Steinstufen am Eingang – wie bei einem<br />

Grabstein, fällt Herrn Ludwig auf. Der verstorbene Mann ist schon vollständig<br />

mit Namen, Geburts- und Sterbedatum eingetragen. Und daneben<br />

gibt es eine auffallend leere, polierte Fläche. Wie sehr Doppelhaushälften<br />

ein Paar bilden, sieht Herr Ludwig auch an dem Gebilde gegenüber.<br />

Da ist nur eine Hälfte überhaupt gebaut. Die andere ist noch Acker.<br />

Die Mauer, die beide Häuser einmal vereinen wird, sieht aus wie eine<br />

offene Wunde. Eine rote Plastikplane schützt provisorisch die Außenwand<br />

… Seine Verwandten, seine Frau und seine Kinder gehen in wechselnden<br />

Konstellationen vor ihm her. Und auch die Siedlung ändert ihre<br />

Zusammensetzung. Den Rand des Neubaugebiets bilden Reihenhäuser.<br />

Wann wurde eigentlich das Reihenhaus erfunden, fragt sich Herr Ludwig<br />

und tippt auf eine Schwächeperiode der Menschheit, in der es wichtig<br />

wurde, einerseits zusammenzustehen, ohne aber andererseits mit dem<br />

Rest der Reihe etwas zu tun haben zu wollen. Daher bricht aus den Häusern<br />

auch immer wieder der Wille zur Individualität. Briefkästen, Hausnummern<br />

oder Mülltonnenverkleidungen zeigen, dass keiner hier wie der<br />

andere ist. Auch wenn sich alle sehr ähnlich sind. Man darf die Menschen<br />

nicht ihrer Individualität überlassen, denkt Herr Ludwig. Warum<br />

sollten sie ihre Dachpfannen, ihre Carports, ihre Klingeln selbst aussuchen<br />

dürfen? Bei der Wahl ihrer Nasen und Ohren hatten sie ja auch<br />

kein Mitspracherecht …<br />

Weitere ausgewählte Bücher im Jonas Verlag<br />

Dieter Sdun<br />

Herr Ludwig oder das<br />

Leben an sich<br />

144 S., 20 Abb., geb.<br />

Fadenheftung<br />

ISBN 978-3-89445-381-7<br />

15,00 Euro<br />

Clemens Niedenthal<br />

Unfall – Porträt eines<br />

automobilen Moments<br />

144 S., 126 Abb., geb.<br />

Fadenheftung<br />

ISBN 978-3-89445-383-1<br />

15,00 Euro<br />

ANDRIES, Nicole / R E H D E R, Majken Zaunwelten. Zäune und Zeitzeugen. Geschichten zur Alltagskultur der DDR 80 S., 60 Abb., 2005 978-3-89445-343-5 10,00 Euro<br />

GRÖTZ, Susanne / QUECKE, Ursula (Hrsg.) Balnea. Architekturgeschichte des Bades 208 S., 155 Abb., 2006 978-3-89445-363-3 29,00 Euro<br />

K I M P E L, Harald (Hrsg.) Innere Sicherheit: Bunker-Ästhetik 128 S., 91 Abb., 2006 978-3-89445-375-6 15,00 Euro<br />

M E T Z - B E C K E R, Marita (Hrsg.) Wenn Liebe ohne Folgen bliebe … Zur Kulturgeschichte der Verhütung 80 S., 50 Abb., 2006 978-3-89445-362-6 10,00 Euro<br />

S H E L L I E M, Jochanan (Hrsg.) Als Gefängnisarzt im Nürnberger Prozess. Das Tagebuch des Dr. Ludwig Pflücker 160 S., mit Hör-DVD, 2006 978-3-89445-374-9 20,00 Euro<br />

W E L L M A N N, Karl-Heinz (Hrsg.) Haben Fische Durst? 120 S., 2003 978-3-89445-316-9 10,00 Euro<br />

111 Antworten auf Fragen, die Ihnen schon immer auf den Nägeln brannten<br />

W E L L M A N N, Karl-Heinz (Hrsg.) Können Vögel husten? 120 S., 2005 978-3-89445-346-6 10,00 Euro<br />

111 neue Antworten auf Fragen, die Ihnen schon immer auf den Nägeln brannten<br />

Immer findet Herr Ludwig im Leben mehr, als er gesucht hat. Was es ihm nicht unbedingt<br />

leichter macht. Herr Ludwig staunt. Über Frauen. Über Doppelhaushälften. Über Schnul-<br />

ler. Und dann die ewigen Fragen: Hat Herr Ludwig den Herd nun abgestellt oder nicht?<br />

Wie oft nachsehen ist normal? Löst die Anschaffung eines Wasserkochers das Problem<br />

dauerhaft? Komisch oder melancholisch oder beides sind diese Geschichten, die unter-<br />

halten, die aber auch ermutigen, sich fragend in Tabu-Bereiche zu wagen, wie in den<br />

Darm oder ins Glück.<br />

›Er hatte Vorfahrt, insofern keinerlei Schuld. Der Lastwagen mit Anhänger kam von links<br />

in die Allee kurz vor Montpellier. Es war Mittag, sonnig, wenig Verkehr‹ Max Frisch: Skizze<br />

eines Unglücks Um den Unfall soll es gehen. Um das mindestens vorläufige Ende der<br />

Fahrt. Und um die Beulen und Blessuren einer beschleunigten Welt. James Dean kollidiert<br />

mit dem Ford eines Collegestudenten und wird unsterblich. 21.332 Verkehrsteilnehmer<br />

sterben im Jahr 1970 auf deutschen Straßen. Der Franzose Émile Levassor erliegt<br />

1897 als erster Rennfahrer seiner rasanten Leidenschaft. Die schwedische Marke Volvo<br />

gurtet seine Insassen fest an die Sitze. Ein Airbag explodiert und bettet uns weich. ›Unfall<br />

– Porträt eines automobilen Moments‹ ist auch das: eine andere Kulturgeschichte<br />

der Moderne, eine Fahrt durch eine leidensfähige Epoche. Literaten, Robert Musil oder<br />

Hermann Hesse, haben den Autounfall zum Motiv gewählt. Andere, Albert Camus, sind<br />

hinter dem Lenkrad gestorben. Verkehrsampeln und Gesetzestexte regeln bald den Verkehr.<br />

Und immer wieder kollidiert die persönliche Freiheit mit einer verordneten Sicherheit,<br />

wird dem Auto auf die Bremse getreten. Mentalitäts- und Technikgeschichte, Gesellschaftsdiskurse<br />

und individuelle Momentaufnahmen kreuzen ihre Wege in diesem<br />

Buch, Vollbremsungen und Schleuderfahren.<br />

(Autor) (Titel) (Untertitel) (Spezifikationen)<br />

(ISBN) (Preis)<br />

Z W E C K E R, Loel Picassos Purpur-Periode 1944 – 1953 144 S., 52 Abb., 2006 978-3-89445-364-0 20,00 Euro<br />

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