Kurt Wolff Stiftung
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<strong>Kurt</strong> <strong>Wolff</strong>, 1931<br />
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Brief von <strong>Kurt</strong> <strong>Wolff</strong> an Franz Werfel (Mecklenburg / Schloss Fürstenberg, 23.06.1930)<br />
Lieber Freund,<br />
Die Versicherung klingt ein wenig unwahrscheinlich, dass ich mich über<br />
Ihren Brief vom 25. März riesig gefreut habe – denn dann, werden Sie<br />
meinen, hätte ich früher darauf antworten können. Es ist aber doch so<br />
und die Verzögerung der Antwort hat ihren guten Grund.<br />
Zu der Zeit, in der Ihr Brief zu mir kam, waren gewisse Überlegungen<br />
noch nicht abgeschlossen, Entscheidungen noch nicht getroffen und ich<br />
wollte Ihnen nicht mehr aus dem Ungewissen, sondern erst schreiben,<br />
wenn jene Entscheidungen gefallen waren. Ich wünschte mir sehr, Ihnen<br />
mündlich dar- und klarlegen zu können, was ich schriftlich nur kümmerlich<br />
andeuten kann: ich kann und werde den <strong>Kurt</strong> <strong>Wolff</strong> Verlag nicht weiterführen.<br />
Wenn ich mich zu diesem Entschluss durchgerungen habe gegenüber<br />
einem Werk und einem Organismus, dem zwanzig Jahre meiner<br />
Arbeit und Liebe gehört haben, so können Sie sich denken, dass ichs mir<br />
tausendfältig und nach allen Richtungen hin überlegt habe (umso mehr,<br />
als ich den KWV nicht loslasse, um etwas anderes, was sich mir bietet,<br />
anzufassen, sondern loslasse, ohne eine Ahnung davon zu haben, welche<br />
Betätigungsmöglichkeit sich mir in Zukunft bieten wird.) Ich wünschte<br />
Ihnen deutlich machen zu können, dass nicht – wie Sie wohl, vermute<br />
ich, meinten – allgemeine Müdigkeit, mangelndes Vertrauen in das deutsche<br />
Schrifttum, mangelnder Glaube an die dichterischen Werte, die der<br />
Verlag birgt, oder dergl. bestimmend waren. Mag ichs nun lediglich<br />
durch eigenes Verschulden falsch angefasst haben, mag ich Pech gehabt<br />
haben (was ja auch eine Eigenschaft, also ein Verschulden ist), Tatsache<br />
ist, dass ich mich in den letzten sechs Jahren praktisch und materiell<br />
an diesem Verlag aufgerieben, verblutet habe. Ich bin, wie viele andere,<br />
natürlich ohne Geld, aber mit einem immensen Lager von Büchern,<br />
die zumeist auf schlechtem Papier gedruckt waren, aus der Inflation in<br />
die stabile Währungszeit hineingegangen. (Dieser Übergang vollzog<br />
sich, wie Sie sich erinnern werden, für uns Deutsche im Jahr 1924.) Im<br />
Anfang blieb der Umsatz groß und gab mir wie so vielen Anderen die<br />
Fiktion, ein großes Geschäft zu haben, das einen großen Apparat benötige.<br />
Es war auch eine soziale Selbstverständlichkeit, die Angestelltenschaft,<br />
die einen durch die schwere Inflationszeit begleitet hatte, so lange<br />
wie möglich weiter zu behalten. Damals zählte der Verlag 40 bis 50<br />
Köpfe, die wir zumeist jahrelang durchernährt haben, bei allgemeinem<br />
Abbau. Geld war keines da, die überwiegende Masse der Vorräte war<br />
schwer absetzbar wegen völliger Änderung im Geschmacks des Publikums<br />
(weder der Tagore, von dem Riesenvorräte da waren, ging mehr,<br />
noch eine achtbändige Gorkiausgabe, die wir herausbrachten, und dergl.)<br />
Der Erlös des Umsatzes wurde aufgefressen von den Regiekosten, die<br />
Neuproduktion brachte nicht das investierte Kapital zurück (nicht einmal<br />
Schickele), während wir etwa an einem Autor wie Joseph Roth viel Geld<br />
verloren haben; der einzige Erfolg, Romain Rolland, konnte die Passivität<br />
der gesamten übrigen Masse nicht paralysieren.<br />
Ich will und werde nicht Pleite machen, trotzdem die jetzige Zeit das als<br />
honorigste Selbstverständlichkeit gelten lässt; ich will ebenso wenig, wie<br />
das so mancher meiner Kollegen ist, zum Strohmann meiner Gläubiger,<br />
Drucker, Buchbinder werden. Was ich privat hatte, ist zugesetzt, von Frau<br />
Elisabeths nicht großem Vermögen ein nicht unerheblicher Teil. Das Verlegen<br />
ist, scheint mir, eine spekulative geschäftliche Betätigung, bei der<br />
unter geschickter Leitung das Risiko sich für den verringert, der reichliches<br />
Kapital besitzt. Ich habe keine Vorbedingungen mehr finden können,<br />
die mir die Weiterarbeit möglich oder auch nur erlaubt erscheinen<br />
lassen; ›gewurstelt‹ haben wir in der letzten Zeit genug, und entschlusslos<br />
einen als unhaltbar erkannten Interimszustand fortführen, scheint mir<br />
unwürdig und sinnlos.<br />
Ach, das ist so wenig gesagt und so sehr an Entscheidendem vorbei …<br />
Was jetzt geschieht? Ich habe den Apparat ganz klein gemacht, Herr<br />
Seiffhart und etwa vier Leute sind noch in München tätig, ich verkaufe<br />
soweit aus, dass wir schuldenfrei werden (was jetzt schon eigentlich der<br />
Fall ist, wie wir denn überhaupt niemals jemandem etwas schuldig geblieben<br />
sind oder bleiben wollen), und dann wird es sich zeigen müssen,<br />
ob sich jemand findet, der Lust hat, den verbleibenden Kern des Verlags,<br />
in dem doch das Beste und Wichtigste verblieben ist, wieder neu aufund<br />
auszubauen. Ich würde dem Betreffenden, namentlich dann, wenn<br />
er mir der Richtige scheint, die Aktienmajorität, also den Verlag, mehr als<br />
billig überlassen und er hätte eine schöne Basis für eigene Betätigung.<br />
Und was mich persönlich angeht: Ich bin hier in ein stilles kleines Nest in<br />
Mecklenburg gegangen, wohne bei Freunden, die ein Sanatorium haben<br />
(dessen Betrieb mich gar nicht stört), erledige die noch ziemlich umfangreiche<br />
Korrespondenz, die der Verlagsbetrieb noch laufend mit sich<br />
bringt, von hier aus, ruhe mich aus, schwimme, gehe spazieren, und will<br />
mir dann ausgeruht im Herbst vielleicht einmal überlegen, was ich tun<br />
kann. Vorläufig versagt meine Phantasie da durchaus.<br />
Und nun möchte ich Ihnen für Ihren Brief danken. Ich spüre, dass das,<br />
was Sie mir von Ihrer Gefühlstreue sagen, ganz aufrichtig und wörtlich<br />
gemeint ist und ich habe mich darüber und über das, was Sie vom <strong>Kurt</strong><br />
<strong>Wolff</strong> Verlag und der historischen Bedeutung, die er gehabt, sagen, von<br />
Herzen gefreut. Ich kann Ihnen kaum deutlich genug sagen, wie sehr.<br />
Ich schließe mit einer ganz großen Bitte: Über kurz oder lang führt Sie<br />
doch sicher der Weg nach Berlin. Ich bin anderthalb Bahnstunden von<br />
Berlin entfernt und bitte Sie innigst um ein Wort der Verständigung, wenn<br />
Sie dort sind, um Sie aufsuchen zu können.<br />
Bitte, übermitteln Sie Frau Mahler verehrungsvolle und herzliche Empfehlungen<br />
und seien Sie selbst herzlich gegrüßt von Ihrem alten <strong>Kurt</strong> <strong>Wolff</strong><br />
Aus: <strong>Kurt</strong> <strong>Wolff</strong>. Briefwechsel eines Verlegers, hrsg. von Bernhard Zeller<br />
und Ellen Otten, Frankfurt am Main 1966.<br />
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