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Fremde Haut - Lespress

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schwarz auf weiß<br />

Susanne Nadolny:<br />

Gelebte Sehnsucht<br />

Eine Hommage and Grenzgängerinnen<br />

der Moderne<br />

edition ebersbach, 25 Euro<br />

Die Ôedition ebersbachÕ feiert in diesem<br />

Jahr ihr 15jŠhriges Bestehen. Brigitte<br />

Ebersbach hat es sich zur Auf-<br />

Karen-Susan Fessel:<br />

Jenny mit O<br />

Querverlag, 17,90 Euro<br />

ãIch wei§ eigentlich nicht recht, wer<br />

ich bin. Ich hab nur so eine Ahnung.Ò<br />

Diese Ahnung ist fŸr Jenny eine<br />

wichtige Spur, der sie folgt.<br />

Mit knapp 17 Jahren haut sie aus<br />

Gro§ Klein bei Rostock, wo sie unter<br />

heftiger familiŠrer Missbilligung und<br />

Gewalt und in einem rechtsradikal geprŠgten<br />

gesellschaftlichen Umfeld ohne<br />

Ausbildungs- oder Berufsperspektiven<br />

und fast ohne Freizeitangebote<br />

aufgewachsen ist, nach Berlin ab, als<br />

sie merkt, dass sie das alles endgŸltig<br />

nicht mehr aushŠlt.<br />

In Berlin verbringt sie die ersten Tage<br />

mit Stra§enkids, dann mit einem<br />

frŸheren Schulkollegen und schlie§lich<br />

lernt sie einen schwulen Punk<br />

kennen, mit dem sie eine Art †berlebensgemeinschaft<br />

eingeht und von<br />

Angelika Scholz:<br />

Wünsch dir was<br />

Orlanda Frauenverlag<br />

Das lesbische PŠrchen Carla und Lotte<br />

lebt seit Jahren eigentlich ganz glŸcklich<br />

vor sich hin. Einzig die immer<br />

wiederkehrenden Diskriminierungen<br />

und ZwischenfŠlle aufgrund ihres Geschlechts<br />

und ihrer SexualitŠt nerven<br />

die beiden Frauen: Mal ist es der hochnŠsige<br />

AutohŠndler, mal der tŸrkische<br />

Jugendliche, der ãmit RechtÒ seine<br />

Freundin vertrimmt.<br />

Einmal ein Mann sein, den blšden<br />

Typen Respekt einflš§en kšnnen - das<br />

fŠnden Carla und Lotte ganz prima.<br />

Und eines Morgens erwacht Carla<br />

16<br />

gabe gemacht, BŸcher Ÿber Frauen zu<br />

veršffentlichen, vorzugsweise Ÿber<br />

KŸnstlerlinnen oder ungewšhnliche<br />

Frauen aus den 20er- und 30er Jahren.<br />

So verdanken wir ihr die Wiedergeburt<br />

der ãDada BaronessÒ Elsa von Freytag-Lohringhoven,<br />

einen Besuch bei<br />

den Schriftstellerinnen und KŸnstlerinnen<br />

der Pariser Left Bank in ãParis<br />

was a womanÒ oder einen Ausflug ins<br />

weibliche New York der 20er- und 30er<br />

Jahre in ãCrazy New YorkÒ. Auch<br />

die ãWilden Jahre in BerlinÒ wurden<br />

in ihrem Verlag gefeiert. Ihre neueste<br />

Edition âGelebte SehnsuchtÕ widmet<br />

sich den GrenzgŠngerinnen der Moderne<br />

- Mina Loy, Dorothy Parker, Helen<br />

Hessel, Katherine Mansfield, Claire<br />

Goll, Nancy Cunard, Elsa Triolet<br />

und Annemarie Schwarzenbach. Angefangen<br />

bei der Geburt von Mina<br />

Loy im Jahre 1882 und beendet mit<br />

dem Tod der Annemarie Schwarzenbach<br />

im Jahr 1942 werden 60 Jahre<br />

Frauengeschichte erzŠhlt, aus einer<br />

Zeit, in der sowohl die Emanzipation<br />

der Frau als auch Homo- und BisexualitŠt<br />

noch keine šffentlichen The-<br />

dem sie etliche Tipps fŸr das Leben<br />

auf der Stra§e bekommt.<br />

In dieser Zeit hat sie die ersten Kon-<br />

schlie§lich als Carl mit diesem fremdartigen<br />

Geschlechtsteil zwischen den<br />

Beinen ...<br />

Die mŠnnlichen Verhaltensweisen<br />

lernen sich jedoch schnell, weil einfach:<br />

Gro§spuriges Auftreten verhilft<br />

Carl bei seiner Karriere in der IT-<br />

Branche, die SekretŠrin ist auch<br />

schnell herumzukriegen. Einzig mit<br />

der nunmehr heterosexuellen Beziehung<br />

zu Lotte wird es schwierig. Jene<br />

nŠmlich, weil eben lesbisch, empfindet<br />

den Stoppel-behaarten Mann in ihrer<br />

gemeinsamen Wohnung verstŠndlicherweise<br />

als Fremdgegenstand. Als<br />

jedoch auch aus Lotte Ÿber Nacht ein<br />

Leo wird und die beiden eine schwule<br />

Beziehung fŸhren ã... ist das Chaos<br />

perfektÒ (Klappentext).<br />

men und gelebter Feminismus noch<br />

weit in der Zukunft lag. All diesen<br />

Frauen, ob hetero-, homo- oder bisexuell,<br />

war gemein, dass sie ihr Leben<br />

nicht im Kreise der Familie als allumsorgende<br />

Hausfrauen verbringen wollten.<br />

Sie wollten anders leben, wollten<br />

frei sein, wollten ihrer Berufung folgen.<br />

Oft mit ungeahnten Konsequenzen,<br />

wenn sie ihr gutbŸrgerliches bis<br />

gut situiertes Elternhaus verlie§en.<br />

KŸnstlerisch erfolgreich waren sie alle,<br />

aber hatten teilweise auch stark mit<br />

den Anforderungen der Zeit und ihrem<br />

persšnlichen SelbstverstŠndnis zu<br />

kŠmpfen. Manche bezahlten dafŸr mit<br />

ihrer Gesundheit. So war beispielsweise<br />

die Journalistin und Schriftstellerin<br />

Dorothy Parker dem Alkohol verfallen<br />

und die Reisejournalistin Annemarie<br />

Schwarzenbach starb 30-jŠhrig<br />

schwerkrank in einer Privatklinik,<br />

nachdem sie ihr kurzes Leben lang mit<br />

ihrer nicht erfŸllbaren Liebe zu Erika<br />

Mann und ihrer Drogensucht zu kŠmpfen<br />

hatte. Katherine Mansfield starb<br />

mit 35 Jahren an Tuberkulose und Mina<br />

Loy verbachte ihre letzten Lebens-<br />

takte zu Lesben in Berlin und fragt<br />

sich immer mehr, wo sie selbst eigentlich<br />

steht und was sie empfindet.<br />

Sie wei§, dass sie sich zu MŠdchen<br />

und Frauen hingezogen fŸhlt, sie hat<br />

auch schon einige sexuelle Erfahrungen<br />

mit MŠdchen hinter sich, fŸhlt<br />

sich aber in ihrem eigenen weiblichen<br />

Kšrper fremd und všllig unstimmig,<br />

wie eine ãMogelpackungÒ, die viel<br />

Raum bietet fŸr das, was andere in ihr<br />

sehen wollen.<br />

Immer drŠngender wird ihr Wunsch<br />

und ihr BedŸrfnis herauszufinden, wo<br />

ihr Platz ist und wie sie Klarheit in ihre<br />

GefŸhlswelt bringen kann.<br />

ãDas ist schon echt komisch: Jirko<br />

hat mich als MŠdchen gewollt. Kai<br />

wollte mich als Schwulen. Nina will<br />

mich zwar sowieso nicht, aber wenn,<br />

dann hšchstens als Lesbe. Nichts von<br />

all dem haut hin. Und was, verdammt,<br />

kommt als NŠchstes.Ò<br />

Einen Halt findet sie nach und nach<br />

bei zwei Šlteren Lesben, die sie sehr<br />

jahre in den Bowery-Slums unter<br />

SŸchtigen und Obdachlosen. Vier Autorinnen,<br />

Unda Hšrner, Alexandra Lavizzari,<br />

Susanne Nadolny und Jutta<br />

Rosenkranz, haben die Lebensgeschichten<br />

der kŠmpferischen Frauen<br />

zusammengetragen. Obwohl keine der<br />

Kurz-Biografie, die das Leben der<br />

Frauen auf bis zu 30 Seiten beschreibt,<br />

in die Tiefe geht, vermitteln die Autorinnen<br />

einen guten Einblick in den<br />

Geist der Zeit, in die Psyche und das<br />

Leben der Frauen. Reich bebildert, geschrieben<br />

mit leichter Feder und wie<br />

alle BŸcher der Herausgeberin schšn<br />

gestaltet, gibt âGelebte SehnsuchtÕ einen<br />

interessanten Einblick in das Leben<br />

von acht ungewšhnlichen Frauen -<br />

und damit Lust auf mehr: ihre Werke<br />

zu lesen, ihre Bilder zu sehen oder sich<br />

eine weiterfŸhrenden Biografie zu<br />

kaufen.<br />

Dagmar Trüpschuch<br />

unterstŸtzen und bei einem flippigen<br />

Punk in ihrem Alter.<br />

Sie erfŠhrt viel Ÿber Frauen- und<br />

Lesbengeschichte, die ersten CSDs in<br />

Berlin und die Situation von Transgendern.<br />

Und sie lernt Caroline kennen...<br />

Eine unglaublich dichte Geschichte,<br />

wie immer bei Karen-Susan Fessel<br />

gro§artig, aufwŸhlend und dabei sehr<br />

poetisch erzŠhlt.<br />

Sie beschreibt eine IdentitŠtssuche,<br />

die sich an mehreren Grenzen entlang<br />

entwickelt und die ein PlŠdoyer fŸr<br />

Toleranz und gegenseitige Akzeptanz<br />

darstellt, bei aller Vielfalt in den Facetten<br />

des individuellen Anders-Seins<br />

und dem gleichzeitigen Suchen nach<br />

Zugehšrigkeit.<br />

Ein Buch, dem es gelingt, viele Botschaften<br />

in einer packenden, sehr berŸhrenden<br />

Weise zu transportieren:<br />

keine leichte Kost, dafŸr um so gehaltvoller!<br />

Tanja Thiel<br />

Eigentlich eine schicke Idee: Geschlechterwechsel<br />

ãŸber NachtÒ kennen<br />

wir spŠtestens seit Virginia Woolfs<br />

ãOrlandoÒ. Dieser Kniff gestattet viel<br />

Raum, Geschlechter-Klischees zu<br />

schaffen und auch wieder zu brechen.<br />

Leider bestreitet Angelika Scholz dieses<br />

Thema zu kurz - und zu asexuell.<br />

Gerade die wandelnde SexualitŠt der<br />

beiden Hauptpersonen zueinander<br />

(von lesbisch zu hetero zu schwul)<br />

wŠre auch ohne allzu pornographische<br />

AusflŸge ein notwenig zu behandelndes<br />

Thema, das Die Autorin jedoch<br />

komplett ausspart. Schade.<br />

Sabine König<br />

lespress ❘ oktober 2005

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