Band 2 - Kompetenzzentrum für Integration - Landesregierung ...
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Bezirksregierung Arnsberg<br />
<strong>Kompetenzzentrum</strong> <strong>für</strong> <strong>Integration</strong><br />
Erstorientierungskurse <strong>für</strong> neuzugewanderte<br />
Männer und Frauen aus der Türkei<br />
Ergebnisse einer Evaluationsstudie<br />
Schriftenreihe des <strong>Kompetenzzentrum</strong>s <strong>für</strong> <strong>Integration</strong><br />
<strong>Band</strong> 2<br />
www.bra.nrw.de/kfi
Manuela Westphal<br />
Britta Niebuhr<br />
Erstorientierungskurse <strong>für</strong> neuzugewanderte<br />
Männer und Frauen aus der Türkei<br />
Ergebnisse einer Evaluationsstudie im Auftrag des<br />
Ministeriums <strong>für</strong> Generationen, Familie, Frauen und<br />
<strong>Integration</strong> des Landes Nordrhein-Westfalen<br />
unter Beteiligung der<br />
Bezirksregierung Arnsberg<br />
Dezernat 36 – <strong>Kompetenzzentrum</strong> <strong>für</strong> <strong>Integration</strong><br />
Schriftenreihe des <strong>Kompetenzzentrum</strong>s <strong>für</strong> <strong>Integration</strong><br />
<strong>Band</strong> 2
Inhaltsverzeichnis<br />
1 Einleitung: Ziele und Rahmenbedingungen 5<br />
2. Prozessbegleitung und Evaluation der Orientierungskurse 7<br />
2.1 Ansatz der partizipativen Evaluation 7<br />
2.2 Methoden und Instrumente der Prozessbegleitung 8<br />
3. Vorstellung der beteiligten Organisationen 12<br />
3.1 Verein zur Förderung interkulturellen Zusammenlebens, Dortmund 12<br />
3.2 Internationales Zentrum der Caritas, Köln 12<br />
3.3 Multikulturelles Forum, Lünen 13<br />
3.4 Internationaler Elternverein, Oberhausen/Mülheim 13<br />
3.5 Gemeinsamkeiten und Besonderheiten 14<br />
4. Entwicklung und Durchführung der Kurse 15<br />
4.1 Anzahl der Kurse und Teilnehmenden 15<br />
4.2 Kursorte 15<br />
4.3 Kursorganisation 16<br />
4.4 Vernetzung, Kooperationspartner und Multiplikatoren 17<br />
5. Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Kurse 19<br />
6. Akquisition der Teilnehmenden 20<br />
6.1 Religiöse Vereine und islamisches Bildungszentren 20<br />
6.2 Staatliche <strong>Integration</strong>skurse 21<br />
6.3 Einheimische Kooperationspartner 21<br />
6.4 Öffentlichkeitsarbeit 21<br />
6.5 Ausländerbehörden 22<br />
6.6 Geschlechtsspezifische Akquisitionsstrategien 22<br />
7. Gestaltung und Inhalte des Unterrichts 24<br />
7.1 Kursinhalte 26<br />
7.2 Durchführung des Unterrichts und Unterrichtsmethode 28<br />
8. Einstellung, Wissen und Zufriedenheit der Kursteilnehmenden 29<br />
8.1 Zentrale Befragungsergebnisse zu Wissen und Einstellung 29<br />
8.2 Einfluss von Einreisejahr, Alter und Bildungsabschluss 32<br />
8.3 Zufriedenheit mit den Erstorientierungskursen 33<br />
9. Reflexion und Bewertung der Programmentwicklung 34<br />
9.1 Transfer des Gender Mainstreaming Ansatzes 34<br />
9.2 Entwicklung der Unterrichtsmaterialien 38<br />
10. Zusammenfassung, Diskussion und Empfehlungen 39<br />
10.1 Evaluationsansatz: Umsetzung und Bewertung 39<br />
10.2 Kommunale Vernetzung und Kooperation 41<br />
10.3 Organisation und Durchführung von Erstorientierungskursen 43<br />
10.4 Zielgruppen der Erstorientierungskurse 45<br />
11. Literaturliste und Internetadressen 50
1. Einleitung: Ziele und Rahmenbedingungen<br />
In Deutschland leben knapp zwei Millionen Menschen mit türkischer Staatsangehörigkeit.<br />
Dies sind rund 25,6% der gesamten Migrationsbevölkerung. Zwischen 1999<br />
- 2003 wanderten insgesamt 263.330 1 Männer und Frauen aus der Türkei in Deutschland<br />
ein (Statistisches Bundesamt 2004), wobei das Verhältnis von Männern und<br />
Frauen relativ ausgeglichen ist. Damit belegen türkische Neuzuwanderer einen Platz in<br />
der „Top-Ten“ der Zuwanderungsländer. Hierbei handelt es sich vor allem um den Zuzug<br />
von Ehegatten und Familienangehörigen sowie Asylantragsstellende. In Nordrhein-<br />
Westfalen konzentriert sich die Verteilung der Menschen mit türkischer Staatsangehörigkeit<br />
auf das Ruhrgebiet (vor allem Dortmund, Recklinghausen, Gelsenkirchen) sowie<br />
Bielefeld, Hamm und Köln (Ministerium <strong>für</strong> Generationen, Familie, Frauen und <strong>Integration</strong><br />
NRW: Zahlenspiegel 2003/2004).<br />
Das <strong>Kompetenzzentrum</strong> <strong>für</strong> <strong>Integration</strong> (KfI) 2 bietet bereits seit 2001 Kompasskurse<br />
zur sozialen Orientierung <strong>für</strong> neu angekommene Spätaussiedler und jüdische Zuwanderer<br />
an. Wie ähnliche Projekte belegten, sind die auf Initiative des Ministeriums <strong>für</strong><br />
Arbeit und Soziales in Nordrhein-Westfalen konzipierten und evaluierten Kurse nicht<br />
nur <strong>für</strong> diese Zielgruppe, sondern prinzipiell <strong>für</strong> alle Menschen sinnvoll, die eine erste<br />
Orientierungshilfe in einem <strong>für</strong> sie fremden Land benötigen (vgl. auch Büttner u.a.<br />
2004).<br />
Im Juli 2005 initiierte das KfI das Pilotprogramm „Sozialtrainings <strong>für</strong> türkische Migranten<br />
und Migrantinnen“. Erstmals sollte dieser Zielgruppe der Einstieg und die <strong>Integration</strong><br />
in den neuen Lebenskontext durch Erstorientierungskurse erleichtert werden.<br />
Konzeptionell und inhaltlich knüpfte das Programm an die Kompasskurse <strong>für</strong> neu<br />
zugewanderte Spätaussiedler und Spätaussiedlerinnen sowie zugewanderte jüdische<br />
Menschen an (vgl. Gruber 2002, Westphal/Kanne 2009) und umfasste die Durchführung<br />
und die Evaluation eines zielgruppenorientierten Kursprogramms zur Erstorientierung<br />
dieser Migrationsgruppe.<br />
Angesprochen werden sollten neuzugewanderte Migranten und Migrantinnen aus<br />
der Türkei. 3 Im Unterschied zur gängigen Definition des Zuwanderungsgesetzes wurde<br />
die Zielgruppe allerdings etwas weiter gefasst und Personen einbezogen, die eine Aufenthaltsdauer<br />
von bis zu drei Jahren aufweisen. Nur in begründeten Ausnahmefällen<br />
sollten die Kurse <strong>für</strong> Personen geöffnet werden, die bereits seit mehr als 3 Jahren in<br />
Deutschland leben.<br />
Den Empfehlungen Grubers (2002) folgend, sollten die Kurse in der Erstsprache der<br />
Teilnehmer und Teilnehmerinnen und - soweit dies möglich ist - unmittelbar nach der<br />
Einreise durchgeführt werden. Über einen Einstieg in alltagsrelevante Themenkom-<br />
1 Abwanderungszahlen: 192.120; Differenz: 71.210<br />
2 Früher unter dem Namen „Landesstelle <strong>für</strong> Aussiedler, Zuwanderer und ausländische Flüchtlinge<br />
in Nordrhein-Westfalen“<br />
3 Als Neuzugewanderter gilt, laut Zuwanderungsgesetz (2004) wer sich seit weniger als zwei Jahren erstmalig<br />
und dauerhaft im Bundesgebiet aufhält. Neuzugewanderte besitzen eine Aufenthaltserlaubnis zu Erwerbszwecken,<br />
zum Zweck des Familiennachzugs, aus humanitären Gründen oder eine aus anderen Gründen gewährte Niederlassungserlaubnis.<br />
Von einem dauerhaften Aufenthalt ist in der Regel auszugehen, wenn Migranten oder Migrantinnen<br />
eine Aufenthaltserlaubnis von mehr als einem Jahr erhalten oder seit über 18 Monaten eine Aufenthaltserlaubnis besitzen,<br />
es sei denn, der Aufenthalt ist vorübergehender Natur (vgl. § 44 Zuwanderungsgesetzes vom 5.8.2004).<br />
5
plexe, den Abbau von Informationsdefiziten und Verunsicherungen sollte eine erste<br />
allgemeine Orientierung in Deutschland ermöglicht werden.<br />
Unwissenheit über rechtliche, behördliche oder soziale Strukturen der Aufnahmegesellschaft<br />
führen oft zu irreversiblen Fehlschritten in der Anfangsphase der Migration<br />
und ziehen nicht selten finanzielle, rechtliche und damit verbundene soziale und psychosoziale<br />
Probleme nach sich. Die Kurse sollten daher auf den spezifischen Bedarf<br />
der Kursteilnehmenden abgestimmt werden unter gleichzeitiger Einbindung ihrer eigenen<br />
Ressourcen und Kompetenzen. Erstorientierung der Neuzugewanderten wurde als<br />
ein erster Schritt in Richtung <strong>Integration</strong> verstanden.<br />
Eine zentrale Vorannahme des Programms bestand darin, dass Migrations- und <strong>Integration</strong>sprozesse<br />
geschlechtlich strukturiert sind (vgl. Westphal 2004). Daraus<br />
resultiert, dass Männer und Frauen sowohl verschiedene Lebenshintergründe und<br />
Ausgangssituationen mitbringen, als auch Unterschiede im Hinblick auf ihr Leben in<br />
Deutschland aufzuweisen haben. Die Projektentwicklung sollte diese Situation berücksichtigen<br />
und sowohl inhaltlich als methodisch widerspiegeln. Entwicklung und Durchführung<br />
der Kurse sollten sich an Erfahrungen und Empfehlungen aus dem Pilotprojekt<br />
zum Gender Mainstreaming der Sozialen Orientierungskurse (vgl. Westphal/Kanne<br />
2009) orientieren.<br />
Zur Unterrichtsentwicklung und -durchführung standen einerseits das „Handbuch <strong>für</strong><br />
Deutschland“ der Beauftragten der Bundesregierung <strong>für</strong> Migration, Flüchtlinge und<br />
<strong>Integration</strong> (2003) und andererseits die bereits nach Gender Kriterien überarbeiteten<br />
Unterrichtsmaterialien der evaluierten „Kompasskurse“ (Westphal/Kanne 2009) zur<br />
Verfügung. Die Unterrichtsmodule behandeln die Themen Staat und Recht, Sozialversicherung<br />
und Gesundheit, Hilfe-, Beratungs- und Betreuungsangebote <strong>für</strong> Kinder und<br />
Jugendliche, Schul- und Ausbildungssystem, Arbeits- und Berufswelt sowie Ämter und<br />
Behörden.<br />
Zur Projektentwicklung zählte neben einer zielgruppenspezifischen Ausgestaltung der<br />
Modulthemen auch eine entsprechende Überarbeitung und Fertigstellung einer Handreichung<br />
<strong>für</strong> die Kursteilnehmenden. Die Handreichung sollte zielgruppenspezifische<br />
Informationen über die ersten Schritte in Deutschland (z.B. Behördengänge), aktuelle<br />
Links zu Internetseiten, wichtige Adressen und Anlaufstellen enthalten und zweisprachig<br />
(türkisch-deutsch) ausgearbeitet werden.<br />
Die Projektentwicklung und –umsetzung wurde von vier unabhängigen Trägern in verschiedenen<br />
Städten in Nordrhein-Westfalen an unterschiedlichen Standorten durchgeführt.<br />
Die Projektträger wurden in einem Bewerbungsverfahren anhand von Erstkonzeptionen<br />
vom KfI ausgewählt. Beteiligt war der Verein zur Förderung interkulturellen<br />
Zusammenlebens in Dortmund, das internationale Zentrum der Kölner Caritas, das<br />
Multikulturelle Forum in Lünen (Kreis Unna) sowie der Internationale Elternverein in<br />
Mühlheim (Oberhausen/Mülheim). Ziel war die Entwicklung, Organisation und Durchführung<br />
von insgesamt 50 Kursen im Zeitraum Juli 2005 bis Februar 2006. Die Kurse<br />
sollten jeweils mit etwa 15 Personen stattfinden und 30 Unterrichtsstunden umfassen,<br />
wobei die Aufteilung der Unterrichtsstunden der Gestaltung der jeweiligen Projekte<br />
oblag.<br />
6
Die wissenschaftliche Begleitung und die Evaluation wurden durch die Universität<br />
Osnabrück im Zeitraum von August 2005 bis Februar 2006 vorgenommen. Der vorliegende<br />
Bericht dokumentiert den Prozess der wissenschaftlichen Begleitung und stellt<br />
die zentralen Evaluationsergebnisse vor. Abschließend werden Empfehlungen <strong>für</strong> die<br />
Durchführung von Erstorientierungskursen und <strong>Integration</strong>smaßnahmen <strong>für</strong> Migranten<br />
und Migrantinnen aus der Türkei dargelegt.<br />
2. Prozessbegleitung und Evaluation der Orientierungskurse<br />
2.1 Ansatz der partizipativen Evaluation<br />
Der Auftrag der wissenschaftlichen Begleitung bestand in der Koordinierung und<br />
Strukturierung einzelner Entwicklungs- und Arbeitsschritte sowie der Evaluation der<br />
Erstorientierungskurse. Das hierzu von uns entwickelte Evaluationskonzept hatte<br />
zum Ziel, die Vielfalt der Projekte einerseits und den gemeinsamen Kern des Pilotprogramms<br />
andererseits zu berücksichtigen. Es sollte den Projekten ermöglichen, relativ<br />
eigenständig, aber trotzdem in Bezug auf einen gemeinsamen Auftrag hin, zu agieren.<br />
Da sich die Akteure der einzelnen Projekte zu Beginn der Pilotphase untereinander<br />
nicht kannten, wurde zudem die Vernetzung zwischen den einzelnen Projekten unterstützt.<br />
Das Evaluationskonzept lehnt sich inhaltlich an einem von Uhl und Wenzel<br />
(2004) beschriebenen partizipativen Evaluationsansatz an, welcher im Folgenden<br />
kurz erläutert wird:<br />
Über den Vergleich der einzelnen Projekte werden gemeinsame Themen identifiziert,<br />
wobei nicht nur die internen (z.B. personelle Ressourcen), sondern auch die externen<br />
Faktoren (z.B. lokale Vernetzung des Trägers) der Projekte zu berücksichtigen sind.<br />
Allen Beteiligten ist die Partizipation am Evaluationsprozess zu eröffnen. Dies bedeutet<br />
zum einen, dass ein starker Austausch zwischen den einzelnen Projekten zu fördern<br />
ist. Die Ergebnisse sind <strong>für</strong> alle möglichst transparent und nutzbar zu machen, damit<br />
der Arbeitsprozess <strong>für</strong> alle Projekte verkürzt und erleichtert wird. Zum anderen beruht<br />
die Arbeit zwischen dem Evaluationsteam und den Projekten auf gegenseitigem Vertrauen.<br />
Offenheit und eine realistische Darstellung der eigenen Arbeit soll weitgehend<br />
gewährleistet werden. Die im Programmverlauf erzielten Erkenntnisse über Erfolge<br />
und Misserfolge sowie deren Ursachen werden fortlaufend an die einzelnen Projekte<br />
zurückvermittelt, damit diese aus den Erfahrungen lernen und ihre Arbeit verbessern<br />
können. Die Aufgabe der Evaluatorinnen besteht dementsprechend darin, den individuellen<br />
Arbeitsprozess der Projekte zu moderieren und zu koordinieren, sowie <strong>für</strong> eine<br />
bestmögliche Vernetzung unter den Projekten zu sorgen und als Prozessberaterinnen<br />
zur Verfügung zu stehen. Auf diese Weise gelingt eine schrittweise Verbesserung durch<br />
den permanenten Prozess des Hinterfragens, Freilegens und Bewusstmachens neuer<br />
Erkenntnisse und deren Umsetzung. Damit ist ein Wechsel von Reflexion und Innovation<br />
anzustreben (vgl. König 2000).<br />
Partizipative Evaluationsprozesse zeichnen sich durch Transparenz und einen wertepluralistischen<br />
Charakter aus. Am Anfang festgelegte Projektziele sind durch regelmäßige<br />
Koordinationstreffen, Projektbegehungen, Datenerhebungen, Materialdokumentationen,<br />
Auswertungen, Verdichtungen und Feedbacks an die Projekte, sowie deren<br />
7
Rückmeldungen und daraus resultierende praktische Konsequenzen von allen Beteiligten<br />
kontinuierlich zu modifizieren. Es ergibt sich ein formativer und spiralförmiger<br />
Arbeitsverlauf, welcher als Aushandlungsprozess zwischen den Beteiligten zu verstehen<br />
ist (vgl. Sanders 2000).<br />
In dieser Form wird die Evaluation weniger als ein Instrument der Leistungsmessung<br />
und -bewertung, sondern auch als ein sozialer Lernprozess verstanden, von dem die<br />
Qualität des Programms, aber auch alle Beteiligten profitieren. Hinzu kommt, dass<br />
zentrale Kriterien der (politischen) Bildungsarbeit mit dieser Form der Evaluation<br />
erfüllt werden, da die Vermittlung von Wissen im Idealfall durch prozesshaftes, ergebnisoffenes<br />
und autonom-selbstständiges Lernen erfolgt.<br />
2.2 Methoden und Instrumente der Prozessbegleitung<br />
Übersicht über Methoden und Instrumente<br />
8<br />
A Durchführung von Koordinationssitzungen<br />
B Erstellung von Rundbriefen und Logbucheinträgen<br />
C<br />
D<br />
Projektbegehungen<br />
• Leitfadengestützte Interviews mit Projektleitungen<br />
• Leitfadengestützte Interviews mit (Kurs-)Lehrkräften<br />
• Diskussionsrunden mit Kooperationspartnern<br />
• Unterrichtsbeobachtungen und informelle Pausengespräche<br />
Kursevaluation/Befragung der Kursteilnehmenden<br />
• standardisierte Fragebogenerhebung<br />
Zu A: Koordinationssitzungen<br />
In regelmäßigen Abständen wurden Koordinationstreffen (insgesamt 5 Sitzungen)<br />
durchgeführt, um aktuelle Schritte und Probleme der Projektentwicklung zu thematisieren.<br />
Ziele der Koordinationssitzungen waren:<br />
• eine Grundlage <strong>für</strong> eine erfolgreiche und sinnvolle Arbeitsteilung sowie einen produktiven<br />
Austausch der Projekte zu schaffen,<br />
• eine Vernetzung der Projekte zu fördern,<br />
• Arbeitsprozesse zu verdeutlichen,<br />
• individuelle Stärken der Projekte <strong>für</strong> alle sichtbar und nutzbar zu machen,<br />
• einen gemeinsamen Erfahrungsschatz sichtbar zu machen, in dem die einzelnen<br />
Projekte teilgebietsspezifisch als Experten abrufbar sind,<br />
• gelungene Entwicklungsschritte und effektive Lösungsstrategien kontinuierlich zu<br />
reflektieren,<br />
• Fehlentwicklungen, Sackgassen und Konflikte zu analysieren.
Zu B: Rundbriefe und Logbuch<br />
Eine gemeinsame Vor- und Nachbearbeitung der Koordinationssitzungen erfolgte<br />
durch einen Rundbrief. Dieser griff die offenen und aktuellen Fragestellungen der (vorherigen)<br />
Koordinationssitzungen auf. Um bestehende Fragen und Probleme vertiefend<br />
bearbeiten und fehlendes Datenmaterial sammeln zu können, wurden kurze Aufgabenstellungen<br />
im Anschluss an jede Koordinationssitzung von der wissenschaftlichen<br />
Begleitung an die Projektverantwortlichen per E-Mail verteilt. Der Rundbrief zielte<br />
darauf ab:<br />
• die Kommunikation unter den Projektverantwortlichen zu unterstützen,<br />
• eigene Arbeitsschritte durch den Vergleich mit den anderen Projekten selbstständig<br />
kontrollieren zu können (selbstevaluatorischer Moment im Arbeitsprozess),<br />
• den Projektverantwortlichen durch die Zusammenfassung der Rundbriefantworten<br />
einen Überblick über die gesammelten Erfahrungen mit bestimmten Frageund<br />
Problemstellungen zu bieten,<br />
• sich einzelner Arbeits- und Entwicklungsschritte bewusst zu werden und diese<br />
dementsprechend weiterzuentwickeln,<br />
• eine gezielte Vorbereitung auf die nächste Sitzung zu ermöglichen.<br />
Zusätzlich wurden die Projektbeteiligten angehalten, ihre Arbeits- und Entwicklungsschritte<br />
in einem Logbuch zu dokumentieren. Das Logbuch ist als Selbstevaluationsinstrument<br />
eingesetzt worden und umfasste folgende Fragenkomplexe:<br />
• Basisinformationen (Anzahl der Teilnehmenden, Anmeldungen, Nachfrage, erbrachte<br />
Leistungen, Produkte, personelle, räumliche und finanzielle Ressourcen<br />
etc.),<br />
• Aktionen (Wer hat wann was getan? Wie viel Zeit wurde da<strong>für</strong> beansprucht?),<br />
• hergestellte Kontakte (Mit wem? In welcher Form? Wozu?),<br />
• Entscheidungen (Projektorganisation und -struktur),<br />
• Entwicklungen (Erreichtes und Unerreichtes),<br />
• Probleme/Schwierigkeiten (Veränderungen, Zielkonflikte, Rahmenbedingungen).<br />
Das so gesammelte Datenmaterial diente den Projektbeteiligten als Möglichkeit, die<br />
eigene Arbeit kontinuierlich zu dokumentieren.<br />
Zu C: Projektbegehungen<br />
Um die Umsetzung der Arbeits- und Entwicklungsschritte der Projekte zu verfolgen,<br />
fanden Begehungen der Projekte statt. Diese umfassten leitfadengestützte Interviews<br />
mit Projektverantwortlichen und -durchführenden, eine Diskussionsrunde mit relevanten<br />
Multiplikatoren und Kooperationspartnern der Projekte, Unterrichtsbeobachtungen<br />
in je einem der Kurse sowie Pausengespräche mit den Kursteilnehmenden der<br />
beobachteten Kurse. Zudem wurden von jedem Projekt zusätzliche Materialien, wie<br />
Logbuchangaben, Notizen, Materialien und Presseberichte eingesehen sowie Daten<br />
zum Träger, der Organisation und den Rahmenbedingungen erhoben.<br />
Die Begehungen wurden von zwei wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen durchgeführt,<br />
von denen eine zweisprachig war (türkisch-deutsch).<br />
9
Ziel der Begehungen war die Erhebung folgender Informationen:<br />
• Rahmenbedingungen (Vernetzung/Bekanntheit/Ausgangspunkt),<br />
• Kooperationen und Zusammenarbeit mit anderen Institutionen, Organisationen<br />
und Vereinen,<br />
• genauer Überblick über die Entwicklung der Projekte (momentaner Entwicklungsstand,<br />
Probleme/Schwierigkeiten, Besonderheiten, positive Entwicklungsverläufe<br />
und Ereignisse, zukünftige Entwicklungsschritte),<br />
• Erfahrungen mit der Zielgruppe/Definition der Zielgruppe,<br />
• konzeptionelle, organisatorische, inhaltliche und methodisch-didaktische Überlegungen<br />
in Bezug auf die Zielgruppe,<br />
• Berücksichtigung von Gender Mainstreaming/Rückkopplung an die Zielgruppenspezifik,<br />
• Zufriedenheit mit den Rahmenbedingungen des Pilotprogramms,<br />
• Zufriedenheit mit dem Programmevaluationskonzept.<br />
Die Begehungen setzten sich aus insgesamt vier Elementen zusammen:<br />
• leitfadengestützte Interviews mit den Projektleitungen,<br />
• leitfadengestützte Interviews mit den Lehrkräften,<br />
• leitfadengestützte Diskussionsrunde mit den Kooperationspartnern der Projekte,<br />
• leitfadengestützte Unterrichtsbeobachtung und informelle Pausengespräche.<br />
Die Interviews dauerten in der Regel 1-1,5 Stunden. Befragt wurde mindestens eine<br />
Person des jeweils zweiköpfigen Koordinationsteams der Projekte. Darüber hinaus<br />
wurden pro Projekt je nach zeitlichen und personellen Möglichkeiten ein oder zwei<br />
Lehrkräfte zu ihren Erfahrungen mit den Kursen und den Teilnehmenden interviewt.<br />
Im Vorfeld wurde jedes Projekt über die Begehungselemente informiert. Zudem wurde<br />
ein Vorschlag <strong>für</strong> einen Zeitplan an jedes Projekt versandt und von den Projekten<br />
gegebenenfalls mit Zeitänderungen bestätigt. Den Projekten oblag die genaue zeitliche<br />
Organisation, da von ihnen z.B. relevante Multiplikatoren und Kooperationspartner sowie<br />
die Benachrichtigung der Kursteilnehmenden über den Unterrichtsbesuch vorgenommen<br />
werden mussten.<br />
Beobachtet wurde je ein Kurs in jedem Projekt. Es handelte sich dabei ausschließlich<br />
um Frauenkurse. Zwei dieser Kurse wurden in der Moschee (Dortmund; Oberhausen/<br />
Mülheim), einer in einem islamischen Bildungszentrum <strong>für</strong> Frauen (Köln) und ein<br />
weiterer in einem SPD-Nachbarschaftstreff (Lünen) besucht. Den Projekten blieb es<br />
selbst überlassen, welche Kurse zur Beobachtung geöffnet wurden und welche weiteren<br />
relevanten Informationen (Dokumentation der Arbeitsschritte, Logbuch, Pressemappe<br />
etc.) sie <strong>für</strong> die Evaluation bereithielten.<br />
Des Weiteren wurden informelle Pausengespräche mit einigen Teilnehmerinnen der<br />
beobachteten Kurse durchgeführt.<br />
10
Übersicht über die Themen der Begehung<br />
Befragung der<br />
Projektkoordination<br />
Befragung<br />
der Lehrkräfte<br />
Unterrichtsbeobachtung<br />
Pausengespräche<br />
Multiplikatoren-<br />
Diskussion 4<br />
• Strukturelle Daten<br />
• Weitere Angebote des Trägers<br />
• Kooperationen<br />
• Projektverlauf<br />
• Zielgruppenspezifik<br />
• Gender Mainstreaming<br />
• Evaluationsnutzen<br />
• Fragen zur Dozentin/zum Dozenten (Qualifikation)<br />
• Aufbau der Kurse<br />
• Kursteilnehmende<br />
• Materialien/Kursmethoden<br />
• Lernerfolg/Nachhaltigkeit<br />
• Gender Mainstreaming<br />
• <strong>Integration</strong>serfolg<br />
• Allgemeine Rahmenbedingungen<br />
• Gender Mainstreaming<br />
• Curriculum/Themen<br />
• Unterrichtsmethoden/Atmosphäre<br />
• Besonderheiten/Schwierigkeiten/Auffälligkeiten etc.<br />
• Fragen der Teilnehmenden an die Evaluatorin<br />
• Verständnisschwierigkeiten der Teilnehmenden<br />
• fehlende Themen aus Sicht der Teilnehmenden<br />
• Unterrichtseinheiten, Erwartungen und Hoffnungen von<br />
den Teilnehmenden<br />
• Besonderheiten/Schwierigkeiten/Überraschendes<br />
• Erfahrungen mit der Zielgruppe<br />
• Vermutete Erwartungen, Wünsche und Bedürfnisse der<br />
Zielgruppe<br />
• <strong>Integration</strong>schancen und -nutzen des Projekts<br />
• Vorteile vor anderen <strong>Integration</strong>sangeboten<br />
• Weitere Möglichkeiten einer Zusammenarbeit und Nachhaltigkeit<br />
Zu D: Kursevaluation/Befragung der Kursteilnehmer und Kursteilnehmerinnen<br />
Die Kurse wurden mit einem standardisierten Fragebogen evaluiert. Dieser stellt eine<br />
modifizierte Version des bereits entwickelten und wissenschaftlich überprüften Fragebogens<br />
aus den Kompasskursen (vgl. Westphal/Kanne 2009) dar. Der Fragebogen<br />
setzt sich aus Wissensabfragen, Einstellungsfragen und Fragen zur Kurszufriedenheit<br />
zusammen. Einige Aussagen bzw. Items wurden auf der Basis der Modulthemen von<br />
4 Die Dikussionsrunde konnte nur von zwei Projekten organisiert weren.<br />
11
den Projekten gemeinsam entwickelt und ausgewählt („Wissens“-Items). Aussagen<br />
bzw. Einstellungsitems zur Genderthematik wurden nach Absprache mit den Projekten<br />
aus dem bereits vorhandenen Fragebogen zur Erstorientierung <strong>für</strong> Aussiedler und<br />
Aussiedlerinnen teilweise übernommen. Die Fragen zur Zufriedenheit mit der Kursgestaltung<br />
und Durchführung stammten aus bereits existierenden Evaluationsbögen der<br />
Projektträger. Die Übersetzung des Fragebogens ins Türkische führten zunächst die<br />
Projektmitarbeitenden aus. Nach einer erneuten Überarbeitung durch eine türkischsprachige<br />
Mitarbeiterin der wissenschaftlichen Begleitung kam der Fragebogen ab<br />
Anfang November in den Kursen zum Einsatz.<br />
3. Vorstellung der beteiligten Organisationen<br />
Im Folgenden werden die vier teilnehmenden Organisationen, ihre spezifischen Ausgangslagen,<br />
Besonderheiten und Gemeinsamkeiten vorgestellt.<br />
3.1 Verein zur Förderung interkulturellen Zusammenlebens, Dortmund<br />
Der Dortmunder Verein zur Förderung interkulturellen Zusammenlebens verfügte<br />
bereits über eine gute Vernetzung durch die langjährigen Aktivitäten des Trägers im<br />
<strong>Integration</strong>s- und Migrationsbereich. Einige dieser Tätigkeiten konnten mit den Erstorientierungskursen<br />
verknüpft werden. Insbesondere kam der Organisation die hausinterne<br />
Durchführung von staatlichen <strong>Integration</strong>skursen und Angeboten im Bereich<br />
„Deutsch als Fremdsprache“ zu Gute.<br />
Insgesamt ist die starke Zusammenarbeit mit türkischen Multiplikatoren und Kooperationspartnern<br />
hervorzuheben. Die Erstorientierungskurse wurden vorrangig in und mit<br />
verschiedenen Moscheevereinen durchgeführt.<br />
Da der Träger sich an einer zentralen Durchgangsstelle der Dortmunder Nordstadt<br />
befindet und ein Café im unteren Bereich des Hauses führt, weist das Projekt niedrige<br />
Inanspruchnahmebarrieren auf. Außerdem waren mit jeweils einer halben Stelle ein<br />
Mitarbeiter und eine Mitarbeiterin <strong>für</strong> das Projekt tätig, die beide in der türkischen<br />
Community in Dortmund bekannt sind. Projektkoordination und Kursdurchführung waren<br />
organisatorisch eng miteinander verbunden.<br />
3.2 Internationales Zentrum der Caritas, Köln<br />
Ähnlich wie in Dortmund verfügte auch das Internationale Zentrum der Kölner Caritas<br />
über einen zentralen Trägerstandort und eine gute Vernetzung im <strong>Integration</strong>s- und Migrationsbereich.<br />
Allerdings ist die Zielgruppe des Programms – türkische Migrantinnen<br />
und Migranten – <strong>für</strong> den Träger des Projektes neu. Zu Beginn der Pilotphase mussten<br />
daher entsprechende Strukturen (türkisches Personal, Kontakt zu türkischen Kooperationspartnern<br />
und Multiplikatoren) geschaffen werden.<br />
In Köln waren Projektkoordination und Kursdurchführung zunächst stark getrennt. Die<br />
Kurse wurden ausschließlich über Honorarkräfte durchgeführt. Dies führte anfänglich<br />
zu einer Überforderung der Lehrkräfte, die im Projektverlauf durch regelmäßige Teamsitzungen<br />
aufgehoben wurde.<br />
12
Hervorzuheben ist der rege Austausch mit sehr unterschiedlichen deutschen und türkischen<br />
Kooperationspartnern und Multiplikatoren. Über den christlichen Träger des<br />
Projektes (Caritas) gelang es, auch Kurse in christlichen Institutionen durchzuführen.<br />
Auch gelang es in Köln, über die Zusammenarbeit mit bildungsorientierten Institutionen<br />
die Gruppe der gut ausgebildeten und/oder beruflich qualifizierten Frauen aus der<br />
Türkei anzusprechen. Auf ihren hohen Informationsbedarf, der weit über eine Erstorientierung<br />
hinausreichte, waren die Lehrkräfte nicht vorbereitet. Die Projektkoordination<br />
reagierte auf die besonderen Wünsche dieser Gruppe mit einer stärkeren Verzahnung<br />
mit den Beratungsangeboten des Bildungszentrums.<br />
3.3 Multikulturelles Forum, Lünen<br />
Auch das Multikulturelle Forum verfügt über gut ausgebaute Kontakte zu Kooperationspartnern<br />
und Multiplikatoren. Zudem sind auch die Koordinatorin und der Koordinator<br />
gut in der lokalen Migrationslandschaft vernetzt. Beide verfügen über langjährige<br />
Erfahrungen im <strong>Integration</strong>s- und Migrationsbereich. Als einziges Projekt bündelte<br />
Lünen Koordination und Kursdurchführung in einer Hand.<br />
Das Projekt in Lünen deckte sechs Kleinstädte im Kreisgebiet Unna ab, wobei es nicht<br />
gelang, in allen Kommunen Kurse anzubieten. Die Erstorientierungskurse sollten von<br />
Lünen aus in sechs verschiedenen Städten des Landkreises Unna durchgeführt werden<br />
und zwar in: Bergkamen, Bönen, Kamen, Lünen, Schwerte und Unna. An diesem<br />
Projekt zeigt sich, dass gerade in ländlichen Gebieten ein flächendeckendes Netzwerk<br />
im <strong>Integration</strong>sbereich insgesamt noch verstärkt auszubauen ist, um dort erfolgreich<br />
Kurse bzw. integrative Angebote implementieren zu können.<br />
Teilnehmer und Teilnehmerinnen wurden überwiegend über trägerinterne Angebote<br />
(z.B. Gesprächskreise) und Migrantenselbstorganisationen, vor allem alevitische<br />
Vereine angesprochen. In großem Ausmaß wurden bereits bestehende Frauengruppen<br />
angesprochen. Zum größten Teil handelte es sich dabei um Teilnehmerinnen, die einen<br />
sehr hohen Beratungs- und Gesprächsbedarf aufwiesen. Auf diesen Bedarf war das<br />
Projekt nur unzureichend vorbereitet, insbesondere im Hinblick auf eine Zusammenarbeit<br />
mit Beratungsangeboten im psychosozialen Bereich.<br />
3.4 Internationaler Elternverein, Oberhausen/Mülheim<br />
Der Internationale Elternverein befand sich während der Pilotphase in der Gründungszeit.<br />
Jeder Projektschritt (Akquisition, Kursdurchführung etc.) hing daher von einer<br />
guten Zusammenarbeit mit Multiplikatoren und Kooperationspartnern ab. Aus dieser<br />
Situation heraus gelang es dem Projekt, die lokalen Vernetzungsstrukturen in Oberhausen<br />
und Mülheim enorm zu verbessern und Partnerschaften mit einer breiten<br />
Palette unterschiedlicher Anbieter und Institutionen im <strong>Integration</strong>s- und Migrationsbereich<br />
einzugehen.<br />
Als besonders gelungen gestalteten sich die Vernetzung mit deutschen Institutionen<br />
und die Zusammenarbeit mit der türkischen Presse. Hier konnten neben der Veröffentlichung<br />
verschiedener Zeitungsartikel auch ein Fernsehbericht und eine Radiosendung<br />
ausgestrahlt werden.<br />
13
Die Kursdurchführung oblag überwiegend Honorarkräften, allerdings war eine der<br />
beiden Koordinatorinnen teilweise als Lehrkraft eingebunden. Dies ermöglichte es<br />
dem Projekt, eine Doppelperspektive einzunehmen und somit Kursdurchführung und<br />
Projektkoordination zu verbinden. Zudem wurde sehr viel Wert auf Arbeits- und Teambesprechungen<br />
gelegt.<br />
Das Projekt verfolgte ein sehr innovatives Kurskonzept, das die Durchführung der<br />
Erstorientierungskurse an verschiedenen Orten beinhaltete. Die Idee der Koordinatorinnen<br />
war es, Kurse zunächst in bekannten Räumlichkeiten der lokalen türkischen<br />
Migrantengruppe durchzuführen. Schrittweise sollten diese Kurse in die Räume der<br />
Aufnahmegesellschaft verlegt werden. Mit diesem Modell des „symbolischen Ortes“<br />
sollte einerseits die Mobilitätsbereitschaft der Teilnehmenden und andererseits ihre<br />
institutionelle <strong>Integration</strong> gefördert werden.<br />
3.5 Gemeinsamkeiten und Besonderheiten<br />
Die teilnehmenden Projekte waren zu Projektbeginn über ihre jeweiligen Träger bereits<br />
gut in die lokale Migrations- und <strong>Integration</strong>slandschaft eingebunden. Mit Ausnahme<br />
von Köln und Oberhausen/Mülheim wiesen alle Projekte Erfahrung in der Durchführung<br />
von integrationsspezifischen Angeboten <strong>für</strong> die Zielgruppe auf. Sprachkurse<br />
(DaF-Kurse 5 ) und staatliche <strong>Integration</strong>skurse sowie andere Angebote zur Erstorientierung<br />
(z.B. Migrationsberatung) wurden von drei der vier Träger angeboten.<br />
Die Projekte unterschieden sich in der Anzahl ihrer Standorte: Zwei der Projekte führten<br />
Kurse ausschließlich in der jeweiligen Stadt ihres Trägers durch. Beide Projekte<br />
verfügten zudem über einen sehr zentralen Trägerstandort mit eigenen Kursräumen in<br />
der jeweiligen Innenstadt. Die zentralen Standorte besitzen den Vorteil, dass Angebote<br />
von vielen potentiellen Teilnehmenden wahrgenommen werden und eine Akquirierung<br />
z. T. direkt im Gebäude erfolgen kann.<br />
Zwei Projekte führen Kurse in zwei Großstädten durch. Mit Oberhausen und Mülheim<br />
fanden die Kurse in zwei kleineren, aber sehr gut vernetzten Städten im Ruhrgebiet<br />
statt. Im Kreis Unna waren die Kurse auf sechs Kleinstädte verteilt und deckten daher<br />
einen eher ländlichen Bereich ab.<br />
Der Ansatz des „symbolischen Ortes“ (Oberhausen/Mülheim) erschien sehr viel<br />
versprechend. Diesem Prinzip folgend wurden zunächst die Räumlichkeiten der türkischen<br />
Kooperationspartner (Moscheen etc.) <strong>für</strong> die Kurse genutzt. Im weiteren Verlauf<br />
des Projektes wurden Kurse zunehmend auch in zentralen Beratungsstellen sowie in<br />
verschieden relevanten Institutionen der Aufnahmegesellschaft (Vereinshaus/Rathaus<br />
etc.) durchgeführt.<br />
In allen Projekten arbeiteten Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen mit türkischem Migrationshintergrund.<br />
Die Koordination der Projekte wurde von Personen vorgenommen, die<br />
bereits Erfahrung in der Durchführung migrations- und integrationsbezogener Maßnahmen<br />
hatten und zudem pädagogisch oder sozialpädagogisch geschult waren. Für<br />
die in den Kursen eingesetzten Lehrkräfte traf dies nur teilweise oder gar nicht zu.<br />
5 Kurse <strong>für</strong> Personen die Deutsch als Fremdsprache (DaF) erlernen.<br />
14
Die personelle Besetzung gestaltete sich in den Projekten sehr unterschiedlich. Sowohl<br />
die Kongruenz von Projektleitung und Lehrpersonal (Lünen) als auch eine enge<br />
Zusammenarbeit zwischen Projektleitung und Lehrkräften (Dortmund, Oberhausen/<br />
Mülheim) ist als günstige Konstellation zu bewerten. Bei der ausschließlichen Durchführung<br />
durch Honorarkräfte (Köln) ist es angezeigt, diese durch entsprechende Schulungen<br />
vorzubereiten und durch regelmäßige Teamsitzungen zu begleiten.<br />
4. Entwicklung und Durchführung der Kurse<br />
Durch den Startpunkt der Kurse in den Sommerferien (07.07.2005 - 19.08.2005) und<br />
den sich zeitnah im Oktober anschließenden Ramadan wurden wesentliche Projektschritte<br />
zu Beginn beeinträchtigt. Erstens wurde die Akquisition der Zielgruppe durch<br />
die Ferien- und Feiertage maßgeblich behindert, so dass anfangs nur wenige Kurse<br />
durchgeführt werden konnten. Zweitens erschwerte insbesondere der Ramadan die<br />
Kooperation mit verschiedenen Multiplikatoren (Migrantenselbstorganisationen,<br />
Moscheen etc.). Drittens gestaltete sich die Partizipation der Kursteilnehmenden im<br />
Ramadan aufgrund der Festlichkeiten als unregelmäßig, zudem waren einige Teilnehmende<br />
wegen des Fastens körperlich und zeitlich (Vorbereitung des Fastenbrechens)<br />
stark belastet. Die Projekte konnten daher ihre Kurse nicht plangemäß beginnen und<br />
durchführen. Bereits im September zeichnete sich ab, dass die von den Projekten<br />
angestrebte Kursanzahl vermutlich nicht realisierbar sein würde, obwohl zahlreiche,<br />
teilweise sehr zeitintensive Versuche der Kursetablierung unternommen wurden.<br />
Die Projekte erwarteten nach den Weihnachtsferien ähnliche Probleme wie sie im Zusammenhang<br />
mit dem Ramadan aufgetaucht waren: Nach dem Fastenmonat mussten<br />
viele Absprachen erneut getroffen oder aufgefrischt und viele Kontakte nochmals<br />
geknüpft werden. Zudem nahmen die Projektdurchführenden an, dass die vor den<br />
Weihnachtsferien getroffenen Zusagen von interessierten Teilnehmenden doch nicht<br />
eingehalten würden. Bis auf den Ramadanmonat im Oktober gelang es den Projektträgern,<br />
während der gesamten verbleibenden Projektphase (11/2005 – 2/2006) Kurse<br />
anzubieten.<br />
4.1 Anzahl der Kurse und Teilnehmenden<br />
Im Verlauf des Durchführungszeitraums führten die Projekte in unterschiedlichem Ausmaß<br />
Erstorientierungskurse durch. Von den 50 geplanten Kursen konnten insgesamt<br />
32 Kurse realisiert werden. An den durchgeführten Kursen nahmen 413 Personen teil.<br />
322 Teilnehmerinnen besuchten die Kurse. Männer waren in den Kursen mit 91 Teilnehmern<br />
insgesamt unterrepräsentiert.<br />
4.2 Kursorte<br />
Die meisten Kurse fanden ausgelagert in den Räumen der Kooperationspartner statt<br />
und nur etwa zu einem Drittel in den Räumen der Träger. In jedem Projekt existierten<br />
daher mehrere Kursorte. Die Durchführung der Kurse erfolgte etwa zu einem Drittel<br />
(10 von 32 Kursen) in Moscheen. 7 Kurse wurden in den Räumen der jeweiligen Pro-<br />
15
jektträger angeboten, 3 in verschiedenen alevitischen Vereinen und zwei in einem<br />
islamischen Bildungszentrum <strong>für</strong> Frauen. Die restlichen 10 Kurse verteilten sich auf<br />
verschiedene Einrichtungen wie Kindergärten, Räume der AWO, Jugendzentren etc.<br />
Ein besonders breites Spektrum an Kursorten hatte das Projekt in Oberhausen/<br />
Mülheim. Die 11 durchgeführten Kurse verteilten sich auf insgesamt 10 verschiedene<br />
Kursorte. Nur Oberhausen/Mülheim gelang es, Kurse außerhalb religiös orientierter<br />
(muslimisch/christlicher) Kooperationspartner auszurichten, z.B. in Kindergärten,<br />
in Räumen der AWO und der VHS. Das Lünener Projekt konzentrierte sich neben<br />
Moscheen vor allem auf alevitische Vereine als Kooperationspartner <strong>für</strong> die Kursdurchführung.<br />
Köln nutzte Räumlichkeiten von Moscheen, christlichen Institutionen und<br />
einem islamischen Bildungszentrum. In Dortmund fanden die ausgelagerten Kurse<br />
ausschließlich in Moscheen statt.<br />
4.3 Kursorganisation<br />
Jedes Projekt organisierte die Kurse unterschiedlich und passte diese jeweils den<br />
lokalen Begebenheiten, Kooperationspartnern, vorhandenen Ressourcen (Räumlichkeiten<br />
etc.) und den Bedürfnissen der Zielgruppe an. Die meisten Kurse wurden in<br />
geschlechtshomogenen Gruppen durchgeführt. Es handelte sich dabei zum größten<br />
Teil um Frauenkurse 6 .<br />
Überwiegend wurden die Erstorientierungskurse in Seminarform über mehrere Wochen<br />
durchgeführt. Blockveranstaltungen konnten nur von einem der Projekte realisiert<br />
werden (Dortmund). Ein Kurs wurde in Form eines Intensivwochenendes angeboten<br />
(Oberhausen/Mülheim). Verschiedene vertiefende Angebote wie Ausflüge und<br />
Vorträge von Gastdozenten und -dozentinnen ergänzten die Kurse.<br />
Seminar: Die Seminarform fand in allen Projekten Anwendung. Die 30 Unterrichtsstunden<br />
verteilten sich dabei auf einen Zeitraum von 4 - 12 Wochen. An je ein bis zwei<br />
Tagen pro Woche fand jeweils zwischen 3 - 5 Stunden zu verschiedenen Tageszeiten<br />
Unterricht statt. Die Kurse wurden vormittags, nachmittags oder abends angeboten.<br />
Der Unterrichtszeitpunkt hing mit verschiedenen Faktoren zusammen: Der Tageszeitpunkt<br />
richtete sich hauptsächlich an den Präferenzen der Teilnehmenden aus. Teilnehmende,<br />
die bereits an staatlichen <strong>Integration</strong>skursen der Träger teilnahmen, konnten<br />
die Erstorientierungskurse z.B. erst nach ihrem <strong>Integration</strong>skurs absolvieren, also<br />
nachmittags. Für die Erziehung von Kindern zuständige Teilnehmende wurden in der<br />
Regel von Vor- und Nachmittagskursen stärker angesprochen, weil sie in dieser Tageszeit<br />
weniger mit Betreuungs- und Versorgungspflichten belastet sind. Männer nutzten<br />
insbesondere die Abendkurse.<br />
Blockveranstaltungen: Das Projekt in Dortmund veranstaltete als einziges Projekt<br />
Blockveranstaltungen. Dazu wurden die Kurse an fünf hintereinander folgenden Tagen<br />
durchgeführt, und zwar zu je 5 - 6 Stunden. Die Kurse fanden entweder vormittags<br />
oder nachmittags statt. Die Lehrkräfte gaben im Interview an, es sei teilweise ein<br />
6 Von den insgesamt 32 durchgeführten Kursen wurden 19 ausschließlich von Frauen besucht. 9 Kurse wurden<br />
geschlechtsheterogen durchgeführt, wobei in zwei dieser Kurse jeweils nur ein Mann anwesend war. Bei 3 Kursen handelte<br />
es sich um Männerkurse. Über einen Kurs liegen keine genauen Angaben zur Kurszusammensetzung vor.<br />
16
Nachbereitungstag in der Folgewoche eingeschoben worden. Dieser wurde als sinnvoll<br />
empfunden, da Themen wiederholt und nachträglich auftauchende Fragen beantwortet<br />
werden konnten.<br />
Intensivwochenende: Das Projekt in Oberhausen/Mülheim bot einen Kurs im Rahmen<br />
eines Intensivwochenendes an. Der Kurs umfasste ein Wochenende (Freitag bis<br />
Sonntag) im Extertal, welches die Teilnehmerinnen in einem Seminarhaus verbrachten,<br />
sowie zwei Nachbereitungstage, die in Oberhausen stattfanden. Die Resonanz auf das<br />
Wochenende war sehr positiv: Die teilnehmenden Frauen konnten ihre Kinder mitnehmen,<br />
da vor Ort eine Kinderbetreuung eingestellt wurde. Zudem lernten sie gemeinsam<br />
eine neue Umgebung kennen und konnten soziale Kontakte vertiefen. Außerdem<br />
vermittelte ihnen der Intensivkurs neue Eindrücke und Erfahrungen: Erstorientierung,<br />
Mobilität, veränderte Selbst- und Fremdwahrnehmung der eigenen Person oder der<br />
eigenen Kinder in einem außerfamiliären Kontext. Anzumerken ist allerdings, so die<br />
Koordinatorinnen, dass ein Intensivwochenende deutlich zeit- und arbeitsaufwendiger<br />
zu gestalten war als ein Seminar. Zudem konnte der Kurs nicht völlig kostenfrei angeboten<br />
werden, so dass einige Kosten auch von den Teilnehmerinnen übernommen<br />
werden mussten. Inhaltlich wurden zudem einige Module vernachlässigt. Die Gründe<br />
hier<strong>für</strong> lagen darin, dass die Zeit viel straffer organisiert (Essenszeiten etc.) und auch<br />
Raum <strong>für</strong> soziale Kontakte, Entspannung etc. eingeplant werden musste. In Anbetracht<br />
des ganzheitlichen Ansatzes ist das Intensivwochenende aber als Erfolg zu werten.<br />
Ausflüge: Lünen unternahm im Rahmen eines Kurses eine (Familien-)Tagesfahrt zum<br />
Historischen Museum in Bonn. Der Ausflug wurde in Kooperation mit verschiedenen<br />
Frauengesprächskreisen organisiert, aus denen Teilnehmerinnen an den Erstorientierungskursen<br />
teilnahmen. Die Teilnehmenden konnten auf der Tagesreise von ihren<br />
Familien begleitet werden und gemeinsam mit ihren Kindern einen Einblick in die deutsche<br />
Geschichte erhalten. Die Aktion wurde von den Teilnehmenden sehr gelobt, da sie<br />
Nützliches mit Angenehmen verband: Einerseits bekamen sie viele Informationen über<br />
das Aufnahmeland und seine Geschichte, andererseits stellte der Ausflug eine Gelegenheit<br />
dar, mit der gesamten Familie in entspannter Atmosphäre ein gemeinsames<br />
Erlebnis zu teilen.<br />
Gastdozenten und -dozentinnen: Alle Projekte luden als Ergänzung zum Erstorientierungsunterricht<br />
fachspezifische Referenten und Referentinnen ein, die in Kurzvorträgen<br />
und Abendveranstaltungen nähere Informationen zu spezifischen Themen<br />
darlegten (z.B. Hartz IV Regelungen, Scheidungsrecht). Diese Zusatzangebote waren<br />
immer gut besucht und fanden bei den Kursteilnehmenden großen Anklang. Für die<br />
Lehrkräfte stellten die Angebote eine Entlastung dar und zugleich ein Mittel, eigene<br />
Wissensbestände zu erweitern.<br />
4.4 Vernetzung, Kooperationspartner und Multiplikatoren<br />
Die Projekte erreichten eine hohe Vernetzung und Kooperation. Trotz der kurzen Laufzeit<br />
gelang es, eine vielschichtige <strong>Band</strong>breite an Kooperationspartnern und Multiplikatoren<br />
<strong>für</strong> das Projekt zu gewinnen.<br />
Die folgende Liste zentraler Kooperationspartner verdeutlicht, dass die Projekte die<br />
Reichweite der Erstorientierungsmaßnahmen in ihrem jeweiligen Einzugsgebiet stark<br />
17
ausbauen konnten. Es handelte sich bei diesen Partnern um Key-Personen, Organisationen,<br />
Vereine und Institutionen, die an der direkten Durchführung beteiligt waren. Eine<br />
Zusammenarbeit erfolgte nicht nur über die Information und Akquirierung von Teilnehmenden<br />
und die generelle Bekanntmachung des Projekts (z.B. über das Auslegen von<br />
Flyern), sondern auch dadurch, dass Räumlichkeiten oder Personal <strong>für</strong> die Kinderbetreuung<br />
gestellt wurden. Eine derartige Zusammenarbeit entstand mit:<br />
• Moscheen,<br />
• islamischen Bildungszentren,<br />
• alevitischen Vereinen,<br />
• Anbietern von staatlichen <strong>Integration</strong>skursen<br />
(z.B. solche, die auf türkische Migranten und Migrantinnen spezialisiert sind),<br />
• Schulen und Kindergärten,<br />
• Jugendeinrichtungen,<br />
• Arbeiterwohlfahrt (AWO),<br />
• politischen Organisationen (SPD-Nachbarschaftstreff),<br />
• Regionale Arbeitsstelle zur Förderung von Kindern und Jugendlichen<br />
aus Zuwandererfamilien (RAA),<br />
• Volkshochschulen.<br />
Des Weiteren wurden die Projekte von vielen Partnern unterstützt, indem sie das Projekt<br />
innerhalb des jeweiligen Projektstandorts vernetzten, bekannt machten und durch<br />
die Ansprache, Information und Beratung bei der Gewinnung von Teilnehmenden<br />
behilflich waren. Eine Zusammenarbeit bei der Vernetzung, dem Transfer von Informationen<br />
und der Akquisition erfolgte mit migrationsbezogenen Organisationen wie<br />
• Ausländerbehörden,<br />
• <strong>Integration</strong>s- und Ausländerbeiräte,<br />
• Migrationsfachdiensten,<br />
• interkulturellen Diensten,<br />
• staatlichen <strong>Integration</strong>skursen,<br />
• Flüchtlings- und Migrationserstberatungsstellen,<br />
• Arbeitsmarktprojekten <strong>für</strong> Migranten und Migrantinnen (z.B. „InterCoach“),<br />
• verschiedenen Multiplikatoren im lokalen <strong>Integration</strong>sbereich<br />
(z.B. <strong>Integration</strong>skoordinatoren).<br />
Weiterhin waren soziale und bildungsbezogene Einrichtungen ebenso eingebunden<br />
wie folgende Organisationen:<br />
• Verein zur Förderung von Frauenerwerbstätigkeit im Revier (VFFR),<br />
• Institut <strong>für</strong> soziale Bewegung (Mitglieder sind z.B. kirchliche Verbände, die AWO,<br />
die Ausländerbehörde etc.),<br />
• Elternbünde sowie die<br />
• türkischen Community.<br />
Die türkische Community war durch unterschiedliche Personen und Institutionen vertreten:<br />
• türkische Vereinsvorstände,<br />
• türkisches Konsulat,<br />
• türkische Presse,<br />
18
• und Migrantenorganisationen (alevitische Vereine, verschiedene Moscheen und<br />
Vorbeter, das Begegnungs- und Fortbildungszentrum <strong>für</strong> muslimische Frauen,<br />
islamische und türkische Arbeitervereine, türkische Bildungs- und Kulturzentren).<br />
Zu den Partnern gehörten darüber hinaus auch Angestellte und Repräsentanten der<br />
Kommunen, wie Bürgermeister und Bürgermeisterinnen sowie die lokale Presse.<br />
5. Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Kurse<br />
17 von den 32 durchgeführten Kursen wurden mit einem standardisierten Fragebogen<br />
evaluiert. Die Befragung fand in der letzten Kurssitzung statt. Von den 217 an den evaluierten<br />
Kursen teilnehmenden Personen nahmen 157 an der Befragung teil. 64 Personen<br />
waren zum Befragungszeitpunkt aus unterschiedlichen Gründen nicht (mehr) im<br />
Kurs (Krankheit/Fluktuation) oder verweigerten die Teilnahme an der Befragung.<br />
An den befragten Erstorientierungskursen nahmen überwiegend Frauen teil. Insgesamt<br />
stellten sie einen Anteil von 85 %. Neuzugewanderte, die bis zu drei Jahren in<br />
Deutschland leben, wurden nur zu etwa einem Viertel erreicht (25,4 %).<br />
Bei den Teilnehmerinnen der Kurse handelte es sich hauptsächlich um türkische<br />
Migrantinnen und Migranten, die bereits deutlich länger in Deutschland leben als drei<br />
Jahre (74,6 %) 7 . Die überwiegende Mehrheit stellten Heiratsmigrantinnen und -migranten<br />
(87,9 %), von denen die meisten verheiratet (81,5 %) und Eltern mehrerer Kinder<br />
(Ø 2,15) waren. Nur 12 Befragte hatten keine Kinder.<br />
Die Befragten gehörten allen drei Migrationsgenerationen an. Das Alter reichte entsprechend<br />
von 19 – 65 Jahre. Überwiegend handelte es sich um Frauen und Männer<br />
zwischen 20 und 40 Jahren. Das Durchschnittsalter betrug 34,5 Jahre. Die älteren<br />
Teilnehmenden waren bereits seit mehreren Jahren in Deutschland und gehörten der 1.<br />
und 2. Migrationsgeneration an.<br />
Ein gutes Viertel (28 %) verfügte über einen hohen Bildungsabschluss (Abitur- oder<br />
universitärer Abschluss). Etwa 60 % besaßen keinen höheren Bildungsabschluss. Viele<br />
dieser Teilnehmer und Teilnehmerinnen konnten aber einen mit dem deutschen Grund-<br />
oder Hauptschulabschluss vergleichbaren Schulabschluss vorweisen.<br />
Von den Befragten waren 19,7 % arbeitslos gemeldet und 15,3 % Haus- und Familienfrauen.<br />
10,8 % der Befragten waren nicht berufstätig, 13,7 % gingen einer Beschäftigung<br />
nach 8 . Bei 3,7 % handelte es sich um Rentner, Auszubildende, Ehrenamtliche und<br />
Personen in Elternzeit. 36,3 % gaben keine Auskunft über ihre berufliche Situation an.<br />
Anzunehmen ist, dass es sich bei diesen um nicht berufstätige Personen handelte.<br />
7 Im Vorfeld wurde von den Projekten vermutet, dass viele potenzielle Teilnehmerinnen erst nach der zeitintensiven<br />
Familienphase an den Kursen teilnehmen würden, also nicht unmittelbar nach der Einreise, sondern erst nach<br />
einigen Jahren. Von allen Befragten sind etwa 40 % zwischen 1990-2001 eingereist. Anzunehmen ist, dass dieser große<br />
Teil der Befragten tatsächlich erst nach einigen Jahren Zeit <strong>für</strong> eine Erstorientierung erübrigen konnte.<br />
19
6. Akquisition der Teilnehmenden<br />
Im Projektverlauf gelang es insgesamt nur selten und lediglich über die staatlichen<br />
<strong>Integration</strong>skurse die eigentliche Zielgruppe „Neuzugewanderte“ zu erreichen. Auch<br />
über Kontakte zu türkischen Vereinen und Selbstorganisationen stellte sich - entgegen<br />
der Vorannahme - überraschend wenig Kontakt zu den Neuzugewanderten ein.<br />
Allerdings konnten Teilnehmende vorwiegend über Kooperationen mit Moscheen<br />
sowie religiösen Vereinen und Institutionen (z.B. alevitischer Verein, islamisches Bildungszentrum)<br />
gewonnen werden. Türkische Migrantenselbstorganisationen waren<br />
nicht nur <strong>für</strong> die Akquisition zentral, sondern ermöglichten auch die Durchführung<br />
vieler Kurse, z.B. durch die Bereitstellung von Räumlichkeiten, Informationsweitergabe<br />
und Erklärung des Kursnutzens durch den Imam etc. 9<br />
Viele der interessierten und von den Projekten erreichten Personen leben bereits weit<br />
mehr als drei Jahre in Deutschland. Im Projektverlauf wurde deutlich, dass eine Öffnung<br />
der Kurse <strong>für</strong> diese potentiellen Teilnehmer und Teilnehmerinnen sinnvoll ist.<br />
Zum einen erleichterte eine Erweiterung der Zielgruppe die sehr intensive Akquisitionsarbeit<br />
und machte damit zum Teil eine Kursdurchführung überhaupt erst möglich,<br />
zum anderen war bei den bereits länger in Deutschland lebenden Zugewanderten ein<br />
großes Interesse an den Kursen zu verzeichnen.<br />
6.1 Religiöse Vereine und islamisches Bildungszentrum<br />
Insgesamt führten die Träger 10 der insgesamt 32 Kurse in Moscheen durch. Es handelte<br />
sich dabei ausschließlich um Frauenkurse. Bei den Moscheen konnte auf bestehende<br />
Frauengruppen, die bereits dort existierten, zurückgegriffen werden. Die Frauen<br />
kannten sich in diesem Fall und hatten im Vorfeld eine Frauengesprächs- oder eine<br />
Frauensportgruppe gebildet, welche dann in den Erstorientierungskurs überführt<br />
wurden. Um derartige Frauengruppen zu organisieren, mussten und konnten Strukturen<br />
und Hierarchien der Moscheen (Vorbeter = Autorität) genutzt werden - einerseits,<br />
um Vorurteile in den Reihen der Männer abzubauen und andererseits, um eine Gewinnung<br />
von Frauen als Kursteilnehmerinnen zu initiieren. 10 In diesem Zusammenhang<br />
stellt sich allerdings die Frage, warum in den Moscheen keine Männerkurse stattfinden<br />
konnten.<br />
Bei dem islamischen Bildungszentrum handelte es sich um eine frauenspezifische Einrichtung.<br />
Die Durchführung geschlechtshomogener Kurse <strong>für</strong> Frauen war daher vorgegeben.<br />
In alevitischen Vereinen hätten Männer- und Frauenkurse durchgeführt werden<br />
8 Die Kursteilnehmenden übten Berufe in unterschiedlichen Feldern aus. Genannt wurden z.B.: Altenpfleger/pflegerin,<br />
Erzieher/Erzieherin, Verkaufskraft, Händler/Händlerin, Fertigungsleiter/-leiterin, Finanzberater/-beraterin,<br />
Reinigungskraft.<br />
9 Im Zusammenhang mit der schwierigen Akquirierung von neuzugewanderten Teilnehmenden, wurde von<br />
den Projekten zudem der Name der Kurse „Sozialtrainings“ als wenig einladend und sehr negativ besetzt kritisiert. Es<br />
wurde daher im Projektverlauf ein neuer Name <strong>für</strong> das Projekt entwickelt, der neu zugewanderte türkische Männer und<br />
Frauen stärker zur Teilnahme motiviert und bereits im Titel zentrale Ziele des Projekts ankündigt (z.B. eine verbesserte<br />
Lebenslage, alltagspraktische Informationen, Orientierung in Deutschland). Die Projekte entwickelten folgenden Namen:<br />
„Adım Adım… Almanya. Schritt <strong>für</strong> Schritt… Deutschland. Erste Orientierungsschritte in NRW“.<br />
20
können. Die Kursstruktur gestaltete sich aber auch hier überwiegend geschlechtshomogen.<br />
6.2 Staatliche <strong>Integration</strong>skurse<br />
Ein weiterer erfolgreicher Schritt <strong>für</strong> die Gewinnung von Neuzugewanderten aus der<br />
Türkei stellte die Kooperation mit den staatlichen <strong>Integration</strong>skursen dar. Da fast alle<br />
Träger auch staatliche <strong>Integration</strong>skurse durchführten, war es möglich, die Zielgruppe<br />
vor Ort anzusprechen. Insgesamt 7 Kurse fanden in Anbindung an die staatlichen<br />
<strong>Integration</strong>skurse statt.<br />
Eine Wartezeit vor Beginn der staatlichen <strong>Integration</strong>skurse unterstützte die Vorschaltung<br />
eines Erstorientierungskurses in der Erstsprache. Für viele Neuzugewanderte<br />
ergab sich eine ca. sechswöchige Wartezeit und diese konnte als Vorbereitung auf den<br />
staatlichen <strong>Integration</strong>skurs durch den Erstorientierungskurs gefüllt werden.<br />
Die Erstorientierungskurse konnten aber auch parallel zu den Sprachkursen der staatlichen<br />
<strong>Integration</strong>skurse durchgeführt werden. Die Rückmeldung der Kursteilnehmenden<br />
zeigte, dass die Erstorientierungskurse in dieser Situation eine gute Ergänzung<br />
zum staatlichen <strong>Integration</strong>skurs darstellten. Auch wenn der zusätzliche Unterricht<br />
in einigen Fällen <strong>für</strong> die Migranten und Migrantinnen eine Doppelbelastung bedeutete,<br />
war die Hemmschwelle, im Anschluss an den fünfstündigen Deutsch-Sprachkurs,<br />
nachmittags an einem zweiten Kurs teilzunehmen, relativ gering (die Teilnehmerinnen<br />
befanden sich bereits im Haus, kannten die Dozentinnen etc.).<br />
6.3 Einheimische Kooperationspartner<br />
In Lünen und Oberhausen/Mülheim wurden Kurse auch mit direkter Unterstützung<br />
einheimischer Vereine, Institutionen und Organisationen (z.B. Schulen, AWO, Jugendtreffs)<br />
durchgeführt. Die betreffenden Kooperationspartner stellten etwa Räumlichkeiten<br />
oder Personal <strong>für</strong> Kinderbetreuung bereit. Insbesondere in Oberhausen zeigte sich<br />
eine sehr breit gefächerte Palette dieser Kooperationspartner.<br />
Die Anzahl unterschiedlicher Kooperationspartner verdeutlicht, dass auch in den Reihen<br />
einheimischer Multiplikatoren ein großes Kooperationspotenzial <strong>für</strong> die Kurse<br />
bestand und dass es sinnvoll erscheint, dieses in Zukunft stärker zu nutzen.<br />
6.4 Öffentlichkeitsarbeit<br />
Die Gestaltung der Flyer auf Türkisch und Deutsch stellte ein Element dar, welches von<br />
Seiten der Kursteilnehmenden und vieler Multiplikatoren (z.B. Ausländerbehörde, <strong>Integration</strong>sberatung)<br />
als sehr positiv bewertet wurde. Aufgrund der zweisprachigen bzw.<br />
türkischsprachigen Ansprache war er <strong>für</strong> viele türkische Migrantinnen und Migranten<br />
10 Die Projekte berichteten auch von Schwierigkeiten, Frauenkurse in der Moschee durchzuführen. Es mussten<br />
im Vorfeld oft zuerst entsprechende männliche Key-Personen angesprochen und vermeintliche Vorurteile gegenüber<br />
dem Angebot (z.B. die Angst der Männer, ihre Frauen würden ihnen durch die Kurse „abspenstig“ gemacht) abgebaut<br />
werden.<br />
21
verständlicher als eine ausschließlich deutschsprachige Information. Dies galt besonders<br />
<strong>für</strong> Neuzugewanderte. Insgesamt signalisiert ein zweisprachiger Flyer, dass es<br />
sich um eine Maßnahme handelt, die auf die Bedürfnisse der Zielgruppe eingeht und<br />
zwischen deutscher und türkischer Seite zu vermitteln versucht.<br />
Während die Kooperation mit türkischen Medien, z.B. das Erscheinen von Presseberichten<br />
und in einem Fall sogar die Ausstrahlung eines Fernsehberichts (Oberhausen/<br />
Mülheim) als gelungen zu bezeichnen ist, scheinen die Projekte <strong>für</strong> die deutsche<br />
Presse nur eine untergeordnete Bedeutung zu besitzen. Es konnten zwar einige wenige<br />
Informationsartikel in lokalen Zeitungen veröffentlich werden, insgesamt muss aber<br />
die Haltung der lokalen Presse als eher desinteressiert bezeichnet werden.<br />
6.5 Ausländerbehörden<br />
Ausländerbehörden stellen <strong>für</strong> neu zugewanderte Menschen eine erste institutionelle<br />
Anlaufstelle im Einreiseland dar. Davon ausgehend, dass an dieser Stelle leicht eine<br />
erste Begegnung mit der Zielgruppe initiiert werden kann, wurden von den Projekten<br />
anfänglich große Hoffnungen gehegt und Bemühungen in die Zusammenarbeit mit der<br />
Behörde investiert. Kooperative Strukturen (z.B. Informationsstand, automatische Information<br />
der Neuzugewanderten bei Behördenkontakt etc.) aufzubauen, erwies sich<br />
allerdings als sehr zeit- und arbeitsaufwendig und erbrachte nur sehr zögerlich den<br />
gewünschten Effekt.<br />
6.6 Geschlechtsspezifische Akquisitionsstrategien<br />
Gewinnung und Teilnahme von Frauen: Besonders erfolgreich gestaltete sich die<br />
Akquisition über eine persönliche Ansprache durch bestimmte Schlüsselpersonen und<br />
bereits an Kursen teilnehmende Frauen sowie über bestehende Frauengruppen (z.B.<br />
Frauengesprächskreise).<br />
Diese von den Projekten als erfolgreich bewerteten Akquisitionsstrategien wiesen<br />
allerdings auch einige Nachteile auf. Erstens war die Ansprache über persönliche<br />
Kontakte zeitlich und individuell mit hohem Aufwand seitens der Projektmitarbeiter<br />
und -mitarbeiterinnen verbunden. Interessierte Teilnehmerinnen mussten im Vorfeld<br />
häufig mehrfach und teilweise sehr nachdrücklich darum gebeten werden, am Kurs<br />
mitzumachen. Eine enge Verbundenheit der Teilnehmerinnen (Frauengesprächskreise)<br />
untereinander führte zudem dazu, dass in einigen Fällen große Teile der Gruppe fehlten,<br />
weil eine der Frauen nicht mehr zum Kurs kommen konnte oder weil sich befreundete<br />
Frauen im Vorfeld abgesprochen hatten. Viele Frauen bekundeten ihr Interesse an<br />
den Kursen, blieben in ihren Zusagen aber unverbindlich und waren zudem stark von<br />
der Stimmung der befreundeten Teilnehmerinnen im Kurs abhängig. Einige brachen<br />
vorzeitig ab oder erschienen nur unregelmäßig.<br />
In den wenigsten Fällen gab es <strong>für</strong> die hohe Fluktuation konkrete Gründe. Ein von den<br />
Frauen teilweise geäußertes Hindernis stellte z.B. die Betreuung von Kindern dar. Alle<br />
Projekte hatten aber <strong>für</strong> die Kurse eine Kinderbetreuung organisiert. So vermuteten<br />
die Lehrkräfte, dass die geringe Verbindlichkeit die psychische und physische Belastung<br />
vieler Frauen widerspiegle.<br />
22
Akquisition und Teilnahme von Männern: Im Projektverlauf wurde deutlich, dass sich<br />
Männer von den Kursen nur wenig angesprochen fühlten bzw. kaum <strong>für</strong> eine Teilnahme<br />
zu gewinnen waren und dementsprechend in den Kursen stark unterrepräsentiert<br />
waren. Von den Projekten und den Multiplikatoren wurden verschiedene Motive <strong>für</strong><br />
eine geringe Partizipation an Erstorientierungskursen vermutet:<br />
• Ein Informations- und Orientierungsbedarf kann von Männern offensichtlich nicht<br />
wahrgenommen oder nicht eingestanden werden.<br />
• Die Interessen der Männer sind auf die Arbeitswelt gerichtet. Zentrales Ziel neu<br />
zugewanderter Männer aus der Türkei sei es, so schnell wie möglich eine Arbeitsstelle<br />
zu finden. Dieses Verhalten werde maßgeblich durch ein traditionelles Rollenverständnis<br />
unterstützt, nach dem der Mann <strong>für</strong> die finanzielle Versorgung der<br />
Familie zuständig sei. Andere Themen, wie Erziehung und Ausbildung der Kinder,<br />
Gesundheit oder politische Partizipationsmöglichkeiten würden daher zunächst<br />
<strong>für</strong> zweitrangig und weniger relevant gelten.<br />
• Neu zugewanderte Männer sind zeitlich stärker durch Erwerbstätigkeit eingeschränkt<br />
als Frauen (da auch viele Migrantinnen berufstätig sind, kann dies aber<br />
nicht der alleinige Grund <strong>für</strong> die geringe Partizipation der Männer an den Kursen<br />
sein). Anzunehmen ist eher, dass die empfundene Belastung der Männer aufgrund<br />
der <strong>für</strong> sie wesentlich höheren Bedeutung der Erwerbstätigkeit höher ist als die<br />
der Frauen.<br />
• Männer aus der Türkei würden ein anderes Bildungsverhalten aufweisen als Frauen<br />
und eine andere Einstellung zur Bildung zeigen. Migrantinnen aus der Türkei<br />
zeigten sich wesentlich neugieriger und aufgeschlossener gegenüber einer neuen<br />
Lernsituation. Während die Kurse <strong>für</strong> Männer aus der Türkei als „Belehrung“ empfunden<br />
wurden, so eine weitere Vermutung, stellten die Kurse <strong>für</strong> Frauen eine willkommene<br />
Anregung und Quelle wichtiger Informationen dar. Dementsprechend<br />
seien Frauen häufiger motiviert, an den Kursen auch aktiv teilzunehmen.<br />
Die Projekte entwickelten verschiedene Ansätze, um die Gewinnung von Männern zu<br />
verbessern. Diese möglichen Ansprachen konnten jedoch in der Pilotphase nicht mehr<br />
angewandt werden. Folgende gezielt auf Männer ausgerichtete Maßnahmen wurden<br />
angedacht:<br />
• verstärkter Einsatz der türkischen Presse.<br />
• Ansprache über Autoritäts- und Respektspersonen (z.B. Imam),<br />
welche den Wert der Kurse bestätigen.<br />
• Betonung positiver Effekte auf die Arbeitssuche (wie auch <strong>für</strong> Erziehung und Familie).<br />
• Betonung der Stärkung der eigenen Autorität und Kompetenz (Stichwort: arbeitsweltbezogene<br />
Schlüsselqualifikationen).<br />
• Ansprache über Räume und Orte, die Männern bekannt sind und an denen sie sich<br />
aufhalten, z.B. (ethnische) Sportvereine, Moscheen, aber auch Schulen und KiTas,<br />
türkische Teestuben.<br />
• Zusätzlich zu Autoritäts- und Respektspersonen sollten geeignete Multiplikatoren<br />
gefunden werden. Hier zeigten sich z.B. Ehefrauen, welche bereits einen Kurs<br />
besucht haben, als mögliche Ansprechpartnerinnen.<br />
• Da sich die Interessen der türkischen Männer offensichtlich auf das berufliche<br />
23
Feld konzentrieren, sind bspw. Arbeitnehmervertretungen weitere mögliche Ansprechpartner.<br />
• Kurszeiten sind an den Bedürfnissen potentieller Kursteilnehmer zu orientieren<br />
z. B. modulare Veranstaltungsreihe (zeitlich flexibles, fortlaufendes Modulprogramm)<br />
und Verbindung mit familienbezogenen Angeboten (z.B. Seminarwochenende,<br />
Ausflüge etc.).<br />
• Teilnahmezertifikate könnten die Chancen auf dem Arbeitsmarkt und in anderen<br />
Bereichen (z.B. Ausländerbehörde) verbessern. Hierzu müssen Bündnisse mit<br />
entsprechenden Partnern (Behörden, Arbeitgeber, Arbeitsamt etc.) entwickelt<br />
werden.<br />
7. Gestaltung und Inhalte des Unterrichts<br />
Die Projekte führten die Erstorientierung vorwiegend in geschlechtshomogenen Kursen<br />
durch 11 . Als Begründung wurde vielfach genannt, dass sich Gespräche in Frauengruppen<br />
oft leichter und unbefangener ergeben und die Stimmung aus diesem Grund<br />
in reinen Frauengruppen häufig als angenehmer empfunden wird als in geschlechtsheterogenen<br />
Kursen. Insbesondere <strong>für</strong> islamische Kooperationspartner war die Durchführung<br />
in reinen Frauengruppen eine Vorraussetzung <strong>für</strong> eine Zusammenarbeit, da<br />
in diesen Organisationen eine religiös motivierte geschlechts-spezifische Trennung<br />
erfolgt.<br />
Allerdings zeigten die Projekte, dass Frauen den Kurs auch problemlos in geschlechtsheterogenen<br />
Gruppen absolvieren. Hierbei handelte es sich meistens um Frauen, die<br />
in Anbindung an die staatlichen <strong>Integration</strong>skurse, in denen bereits im Vorfeld eine<br />
geschlechtsheterogene Kursstruktur bestand, in die Erstorientierungskurse gelangten.<br />
Da mit den Kursen nur wenige Männer erreicht wurden, können über die Präferenzen<br />
der Männer in Bezug auf die Kursstruktur keine gesicherten Aussagen getroffen werden.<br />
Männer nahmen aber ebenso problemlos sowohl an geschlechtsheterogenen als<br />
auch an -homogenen Kursen teil.<br />
Vielen Teilnehmerinnen war es zudem egal, ob ihr Kurs von einem Mann oder einer<br />
Frau geleitet wurde. Die Leitung der Frauenkurse durch einen Dozenten (Lünen, Dortmund)<br />
stellte <strong>für</strong> einen Großteil der Frauen eher eine Bereicherung dar. Für viele Teilnehmerinnen,<br />
so die Meinung des Dozenten, war es eher eine positive Erfahrung, sich<br />
ungezwungen mit einem Mann über persönliche, familiäre und soziale Themen austauschen<br />
zu können. In diesem Zusammenhang konnten einerseits Vorurteile gegenüber<br />
Männern abgebaut werden, andererseits wurden die Frauen dazu ermutigt, auch in der<br />
eigenen Partnerschaft offener und ungezwungener mit ihrem Partner umzugehen.<br />
Nach Einschätzung der Projektleitungen boten geschlechtshomogene Kurse Frauen<br />
(und Männern) eine intimere Atmosphäre, in welcher auch kritische Themen angesprochen<br />
wurden (z.B. Probleme mit Ehemännern bzw. Ehefrauen). Inwieweit dabei<br />
Geschlechtsstereotypen der Teilnehmenden aufgebrochen werden konnten, bzw.<br />
11 Eine Erstorientierung bedeute nicht primär das Aufbrechen von Geschlechtsstereotypen, so die Meinung<br />
einer Koordinatorin, sondern vorrangig den Menschen überhaupt eine Partizipation an den Kursen zu ermöglichen.<br />
Dies geschehe zunächst, indem Rücksicht auf ihre Gewohnheiten genommen würde (also in geschlechtshomogenen<br />
Gruppen). In konservativen Kreisen sei es bereits ein Fortschritt, wenn überhaupt auf die Bedürfnisse der Frauen eingegangen<br />
wird.<br />
24
in welchem Maße es aufgrund der Kurse zu einem verbesserten Umgang zwischen<br />
Männern und Frauen (z.B. in der Familie) kommt, ist nicht abzuschätzen. Als Nachteil<br />
geschlechtshomogener Kurse wird dementsprechend angeführt, dass zwar eine<br />
Reflexion über Geschlechterrollen initiiert werde, es aber nicht zu einer sichtbaren<br />
Umsetzung der neuen Erkenntnisse kommt. In geschlechtsheterogenen Kursen werde<br />
der zweigeschlechtliche Dialog automatisch geübt und Gleichberechtigung (z.B. durch<br />
gesteuerte Redebeiträge) praktisch umgesetzt. Geschlechtsheterogene Kurse hätten<br />
den Vorteil, klischeehafte Vorstellungen über das jeweils andere Geschlecht aufzubrechen<br />
und den Dialog zwischen Männern und Frauen zu fördern.<br />
Festzuhalten ist, dass die Erfahrung mit geschlechtsheterogenen Kursen relativ gering<br />
ist und hier kaum Aussagen zu treffen sind. Auch in geschlechtsheterogenen Gruppen<br />
überwog der Frauenanteil.<br />
Die Gruppenstruktur stellte sich im Hinblick auf Alter, Aufenthaltsdauer, momentane<br />
Lebenssituation und Bildungsstand der Teilnehmenden sehr heterogen dar. Trotz zahlreicher<br />
Unterschiede (individuelles Lernverhalten, familienspezifische Rolle oder Grad<br />
migrationsbedingter Belastungen) lassen sich aber zentrale Gemeinsamkeiten in Bezug<br />
auf Erwartungen, Interessen und Bedürfnisse der Kursteilnehmerinnen erkennen.<br />
Viele zeigten einen hohen Informations- und Gesprächsbedarf. Ihnen fehlten neben<br />
einer generellen Übersicht über die Modulthemen (allgemeines Informationsdefizit)<br />
vor allem Anregungen und Lösungsansätze <strong>für</strong> persönliche Schwierigkeiten (z.B.<br />
Familien- und Erziehungsprobleme, psychosozialer Beratungsbedarf). Besonders familienspezifische<br />
(z.B. Gewalt in der Familie) und psychosoziale Probleme (z.B. Stress,<br />
Überlastung) führten dazu, dass den Teilnehmerinnen die Konzentration im Unterricht<br />
teilweise sehr schwer fiel. Deshalb war es aus Sicht der Lehrkräfte besonders wichtig,<br />
darauf zu achten, dass die Unterrichtseinheiten nicht zu anstrengend (theorielastig)<br />
gestaltet wurden.<br />
Hinzu kam, dass sich viele Teilnehmerinnen in ihrem Alltag nur selten in Bildungszusammenhängen<br />
bewegten und Lerninhalte dementsprechend „einfach“ aufbereitet<br />
werden mussten. Zudem wurde methodisch (z.B. durch offene Gespräche, Diskussionsrunden)<br />
auf das hohe Gesprächsbedürfnis eingegangen.<br />
Ganz extrem zeigte sich diese Problematik in einem Projekt. Die Dozentin berichtet,<br />
dass es aufgrund der hohen psychosozialen Belastung vieler Frauen teilweise nicht<br />
möglich war, die Themen sachlich abzuhandeln. Die Teilnehmerinnen kompensierten<br />
ihren Leidensdruck, indem sie den Unterricht dazu nutzten, ihre persönlichen Schwierigkeiten<br />
zu thematisieren. Im Zusammenhang mit den Frauenkursen, die überwiegend<br />
in Anbindung an Frauengesprächskreise stattfanden, nannte die Dozentin enorme<br />
Motivationsschwierigkeiten der Teilnehmerinnen (Unpünktlichkeit, kein Informations-<br />
sondern Beratungsbedarf etc.). Auch während des Unterrichtsbesuchs machten die<br />
Teilnehmerinnen laut Beobachtungsprotokoll keinen sehr motivierten Eindruck: Viele<br />
Teilnehmerinnen waren unpünktlich und schienen dem Unterricht nicht zu folgen.<br />
In diesem Kurs ging es den Frauen insbesondere darum, negative familiäre und migrationsbedingte<br />
Erlebnisse und Erfahrungen zu bearbeiten. Zentrale Themen der<br />
beobachteten Unterrichtsstunde waren „Gewalt in der Familie“, familiäre Probleme<br />
(Schwiegermütter) und psychische Probleme (Stress, Depression). Laut Beobachtungsprotokoll<br />
spiegelte das Interesse der Teilnehmerinnen an diesen Themen ihre<br />
25
eigene Betroffenheit und Belastung wider. Der Kurs hatte daher, nach Aussage der Beobachterin,<br />
keinen Kurscharakter, sondern ähnelte einer Selbsthilfegruppe. Die Dozentin<br />
musste mehrmals moderierend eingreifen, da sich Redebeiträge häufig zu Monologen<br />
über persönliche Probleme ausdehnten. Ein Austausch unter den Teilnehmerinnen<br />
wurde dabei nicht erreicht. Laut Lehrkraft handelte es sich bei diesem Kurs nicht um<br />
eine Ausnahme, denn ähnliche Probleme stellten sich auch in weiteren Frauenkursen<br />
(die über Frauengesprächskreise rekrutiert wurden) ein. Mit den gemischtgeschlechtlichen<br />
Kursen und reinen Männergruppen wurden andere Erfahrungen gemacht, so ein<br />
<strong>für</strong> diese Gruppen zuständiger Dozent. Allerdings konnten hier keine Beobachtungen<br />
stattfinden.<br />
In Abgrenzung zu diesem Projekt beschrieben etwa Lehrkräfte des Kölner Projektes<br />
die Teilnehmerinnen als besonders motiviert und sehr lernbegierig, was mit ihrem<br />
hohen Bildungshintergrund zusammenhängt. Bei dieser Gruppe handelte es sich um<br />
sehr bildungs- und berufsorientierte Frauen, welche in der Türkei bereits einen hohen<br />
Schul- oder Bildungsabschluss erworben hatten (Gymnasium, Studium) oder in einem<br />
hoch qualifizierten Berufsfeld (z.B. als Lehrerin oder Abteilungsleiterin einer Firma) tätig<br />
waren. Hinzu kommt, dass der Kurs in einem islamischen Bildungszentrum durchgeführt<br />
wurde und dementsprechend die Frauen darauf eingestellt waren, Lerninhalte<br />
aufzunehmen. Viele dieser Kursteilnehmerinnen arbeiteten sehr diszipliniert und aktiv<br />
mit, forderten sehr detaillierte Informationen nachdrücklich ein und äußerten sich<br />
kritisch gegenüber dem Unterrichtsstil, wenn dieser ihrer Meinung nach nicht effizient<br />
und straff genug organisiert war, so die Dozentin des Kurses. 12 Undiszipliniertes Verhalten<br />
der Teilnehmerinnen wurde im Kurs allgemein nicht gebilligt. Die meisten der<br />
Frauen empfanden Diskussionen als uneffektiv und wünschten sich stattdessen Frontalunterricht.<br />
Insgesamt wurden die teilnehmenden Frauen in Bezug auf den Unterricht generell als<br />
interessiert, wissbegierig, neugierig und engagiert beschrieben. Die meisten Frauen<br />
nahmen sehr gern, entsprechend motiviert und mit dem Bedürfnis, sich persönlich<br />
weiterzuentwickeln sowie ihre Lebenssituation in Deutschland positiv zu beeinflussen<br />
am Unterricht teil, so die Einschätzungen der Lehrkräfte.<br />
7.1 Kursinhalte<br />
Nach Aussagen der Lehrkräfte erfolgte im Kurs eine inhaltliche Orientierung an den<br />
vorgegebenen Modulen. Tendenziell wurden alle Module im Kurs durchgenommen und<br />
besprochen.<br />
Die Module des Curriculums berühren zentrale gesellschaftliche Bereiche, die <strong>für</strong> eine<br />
<strong>Integration</strong> neuzugewanderter Migranten und Migrantinnen aus der Türkei von Bedeu-<br />
12 In den anderen Kursen wurde die Erfahrung gemacht, so die Lehrkräfte in Köln, dass ein diskursiver, empathischer<br />
Unterrichtsstil von vielen Teilnehmerinnen ebenfalls bevorzugt wird.<br />
26
tung sind. Abgehandelt werden: Staat und Recht, Sozialversicherung und Gesundheit,<br />
Hilfe-, Beratungs- und Betreuungsangebote <strong>für</strong> Kinder und Jugendliche, Schul- und<br />
Ausbildungssystem, Arbeits- und Berufswelt sowie Ämter und Behörden.<br />
Einige Module wurden vertieft besprochen, wenn sich dieses die Teilnehmenden<br />
wünschten. In den Kursen zeichneten sich folgende Tendenzen ab:<br />
• Die im Unterricht vertieften Themen waren zwar eher kurs- als geschlechtsspezifisch,<br />
innerhalb der Themen wurden von Teilnehmern und Teilnehmerinnen<br />
aber unterschiedliche Schwerpunkte gesetzt: Im Modul Arbeits- und Berufswelt<br />
wünschten sich Frauen z.B. mehr Informationen über Weiterbildungsmaßnahmen,<br />
Vereinbarkeit von Beruf und Familie etc. und Männer mehr zu Existenzgründung<br />
und beruflichen Aufstiegsmöglichkeiten.<br />
• Die Fragen konzentrierten sich in den Kursen insbesondere auf die Themen Erziehung,<br />
Bildung, Familie und Beruf sowie auf allgemein gesellschaftliche und rechtliche<br />
Fragen (von staatlichen Transferleistungen über Scheidungsrecht bis hin zu<br />
migrationsspezifischen Regelungen).<br />
• Fragen wurden meistens an persönliche Probleme etc. gekoppelt, allgemein gestellte<br />
Fragen waren eher selten (lösungsorientierte Fragen).<br />
• Männer fragten in der Regel ausschließlich in Hinblick auf ihre eigene Lebenssituation,<br />
Frauen diskutierten auch Sachverhalte, die das Leben ihres Ehepartners oder<br />
ihrer Kinder berührten (z.B. Schulprobleme).<br />
Die Lehrkräfte berichteten von einem hohen Bedarf an Sprachkursen. Sprachdefizite<br />
stellten häufig eine hohe Hemmschwelle dar, um die Informations- und Orientierungshilfen<br />
im Anschluss an den Kurs auch praktisch umzusetzen.<br />
In dem bildungsorientierten Kurs in Köln hatte die Dozentin nach eigener Aussage<br />
Schwierigkeiten, dem teilweise sehr detaillierten Informationsbedarf der Teilnehmerinnen<br />
gerecht zu werden. Laut Unterrichtsprotokoll schien sie mit ihrer Rolle als „Expertin“<br />
recht unglücklich zu sein. Die Dozentin war mit den Fragen der Teilnehmerinnen<br />
sowohl in der Vorbereitung, als auch im direkten Unterricht häufig überfordert, weil die<br />
Fragen weit über eine Erstorientierung hinausreichten. Auch wenn in der beobachteten<br />
Unterrichtsstunde auftretende Fragen von der Dozentin meist sachgemäß beantwortet<br />
werden konnten, bemängelten letztendlich alle Lehrkräfte im Interview, dass sie relativ<br />
unvorbereitet mit der Übernahme der Kurse betraut wurden und das eine Schulung zu<br />
Beginn der Kurse sehr hilfreich gewesen wäre.<br />
27
7.2 Durchführung des Unterrichts und Unterrichtsmethoden<br />
Gemäß der Heterogenität der Teilnehmenden erschien es den Lehrkräften sinnvoll, die<br />
Methoden der jeweiligen Gruppenzusammensetzung anzupassen und auf die spezifischen<br />
Bedürfnisse einzugehen. Auf die Situation und Wünsche der Kursteilnehmerinnen<br />
reagierten die Lehrkräfte aus eigener Sicht, indem<br />
• der Unterricht möglichst wenig verschult und da<strong>für</strong> diskursiv und alltagsnah<br />
gestaltet wurde,<br />
• die Teilnehmenden z.B. über Gesprächsrunden aktiv einbezogen wurden,<br />
• sie Beispiele aus dem Alltag zur Veranschaulichung der Themen heranzogen,<br />
• eine bildhafte, gut verständliche Vermittlung der Inhalte stattfand, z.B. über kleine<br />
Abfragespiele,<br />
• sie eine klare und einfache Sprache verwendeten,<br />
• sie Raum <strong>für</strong> persönliche Erfahrungen und Fragen der Teilnehmenden zuließen<br />
und der Gesprächsbedarf der Teilnehmenden soweit wie möglich mit den Modulthemen<br />
inhaltlich verbunden wurde,<br />
• interessante und <strong>für</strong> die Teilnehmenden persönlich relevante Themen vertieft besprochen<br />
wurden,<br />
• sie Themen nicht nur theoretisch, sondern möglichst praxisorientiert aufarbeiteten<br />
(Ausfüllen von Formularen etc., kleine Ausflüge zu Behörden etc.),<br />
• sie auf die aktuelle Befindlichkeit der Teilnehmenden Rücksicht nahmen<br />
(z. B. Entspannungsübungen und kurze Pausen),<br />
• sie Wert auf einen zwischenmenschlich harmonischen Verlauf des Unterrichts und<br />
auf soziales Verhalten (gegenseitige Rücksicht, Sprechende ausreden lassen etc.)<br />
legten.<br />
Während der Pilotphase war die Handreichung (als Kurslehrwerk) teilweise noch unvollständig<br />
und wurde daher durch verschiedene aktuelle oder die Lebenswirklichkeit<br />
der Teilnehmenden aufgreifende Unterrichtsmaterialien ergänzt. Verwendung fanden<br />
z.B.:<br />
lokale Informationen zu Behörden,<br />
• alltagspraktische Materialien (z.B. Formulare),<br />
• Kopien von Zeitungsartikeln zu aktuellen gesellschaftlichen Ereignissen als Aufhänger<br />
<strong>für</strong> Unterrichtseinheiten (z.B. die neue Bundeskanzlerin: Frauen in der<br />
Politik),<br />
• lokale Broschüren von Kultur- und Sportvereinen,<br />
• Fahrkarten und Fahrpläne von Straßenbahnen und Zügen,<br />
• Informationsbroschüren von lokalen Beratungsstellen oder kulturellen Einrichtungen<br />
etc.<br />
Die Lehrkräfte sicherten den Lernerfolg durch Abfragen und Wiederholen der Themen,<br />
Rückfragen in Bezug auf Verständnisschwierigkeiten, eine einfache, verständliche<br />
Sprache sowie durch ein regelmäßiges Feedback der Teilnehmenden und entsprechende<br />
Änderungen im Unterricht. Aus Sicht der Lehrkräfte lag ein Lernerfolg vor, wenn<br />
• ein Verständnis <strong>für</strong> die andere (deutsche) Kultur durch das Kennenlernen und<br />
Verstehen der Aufnahmegesellschaft gefördert wurde (Neugier wecken, Bildungshorizont<br />
erweitern),<br />
28
• eine Sensibilisierung und Vertrauensgrundlage <strong>für</strong> eine Annäherung an die Aufnahmegesellschaft<br />
geschaffen werden konnte (Interkulturelle Dialogförderung),<br />
• Hemmungen, relevante Informationen einzuholen, abgebaut wurden und damit<br />
neue Möglichkeiten in Bezug auf die Gestaltung des eigenen Lebens entdeckt und<br />
ein adäquater Umgang mit Alltagsproblemen in Deutschland initiiert werden konnten<br />
(erste Orientierung),<br />
• ein Erfahrungsaustausch zwischen den Teilnehmenden stattfand und sie dadurch<br />
Unterstützung im Kurs erfuhren.<br />
Die Unterrichtsbeobachtungen zeigten, dass unterschiedliche Methoden angewandt<br />
wurden und sich in den Kursen bewährten. Die Kursteilnehmenden folgten dem Unterricht<br />
mit regem Interesse und schienen insgesamt mit dem Unterricht zufrieden<br />
zu sein. Als positiv ist zu bewerten, dass auch schwierige Situationen oder Themen<br />
im Unterricht konstruktiv bearbeitet werden konnten (in der beobachteten Sitzung<br />
z.B. das Thema Scheidung). Dazu trug eine aufgeschlossene und angenehme Kursatmosphäre<br />
maßgeblich bei. Die Lehrkräfte zeigten zum Teil ein überdurchschnittliches<br />
Engagement und eine hohe Bereitschaft, auch eigene persönliche Erfahrungen in den<br />
Unterricht einzubringen.<br />
Resümierend stellten alle Lehrkräfte fest, dass die Erstorientierungskurse einen<br />
ersten und wichtigen <strong>Integration</strong>sschritt darstellen. Alle Lehrkräfte sahen aber eine<br />
längere Laufzeit der Kurse und/oder Folgekurse bzw. weiterführende Maßnahmen als<br />
sinnvoll an. Eine Verlängerung könnte, so ihre Einschätzung, die Nachhaltigkeit der<br />
Kurse enorm steigern. Auch eine verstärkte Vernetzung mit ähnlichen Projekten und<br />
Beratungsangeboten sowie eine weiterführende Betreuung (z.B. durch Migrationsberatung)<br />
scheinen in Anbetracht des hohen Gesprächs- und Beratungsbedarfs vieler<br />
Frauen dringend erforderlich.<br />
8. Einstellung, Wissen und Zufriedenheit der Teilnehmenden<br />
8.1 Zentrale Befragungsergebnisse zu Einstellung und Wissen<br />
Die Kursevaluation wurde mit einem standardisierten Fragebogen vorgenommen, der<br />
sich eng an den in Kompasskursen <strong>für</strong> Aussiedler und Kontingentflüchtlinge bereits<br />
eingesetzten Fragebogen anlehnte. Einstellungsfragen zur Genderthematik wurden<br />
nach Absprache mit den Projektkoordinatoren aus diesem Fragebogen teilweise übernommen.<br />
Die „Wissens“-Items wurden auf der Basis der Modulthemen von den Projekten<br />
selbst entwickelt und ausgewählt. Die Fragen zur Zufriedenheit mit der Kursgestaltung<br />
und Durchführung stammten aus bereits existierenden Evaluationsbögen der<br />
Projektträger. Der verwendete Fragebogen beinhaltete demnach inhaltliche Fragen und<br />
Aussagen zu den Unterrichtsmodulen sowie Einstellungsfragen und Fragen zur Zufriedenheit<br />
mit der Kursdurchführung.<br />
Die Befragten gaben anhand einer fünfstufigen Antwortskalierung ihre Zustimmung<br />
bzw. Ablehnung an. Ein niedriger Mittelwert signalisiert dementsprechend hohe Zustimmung<br />
(1 - 2) ein hoher Mittelwert eine Ablehnung bzw. Verneinung (4 - 5).<br />
29
Die Beantwortung der „Wissens“-Items zeigt, dass die Teilnehmenden in den Modulen,<br />
die persönliche und alltägliche Lebensbereiche berühren (Soziale Versorgung/<br />
Gesundheit, Schul- und Ausbildungssystem) tendenziell sehr gut informiert waren: Die<br />
meisten Befragten wussten nach dem Kurs z.B. sehr genau, wie sie sich auf einen Arztbesuch<br />
vorbereiten müssen, welche Erwartungen Kindergärten und Schulen an Eltern<br />
haben und welche Unterschiede es zwischen verschiedenen Schulformen gibt.<br />
In Bezug auf die Berufswelt sowie Ämter und Behörden existierten ebenfalls ausreichende<br />
Kenntnisse. So belegen die Mittelwerte der Items „Weiterbildungsmaßnahmen<br />
<strong>für</strong> Frauen“, „eigenes Konto“ und „Erziehungsgeld“ eine hohe Zustimmung zwischen<br />
1 - 2. Auch in den Items „Überblick über soziale Versorgung“ und „Unterstützung bei<br />
Erziehungs- und Schulproblemen“ schätzten die Befragten ihr Wissen als gut ein.<br />
Eine in der Tendenz eher abgeschwächte, aber noch immer als gut zu bewertende<br />
Zustimmung ergab sich in Bezug auf Erwerbsarbeit und soziale Absicherung. Dies wird<br />
an den Items „Vereinbarkeit von Familie und Beruf“, „notwendige Versicherungen“,<br />
„Bewerbung“, „Wege zur Arbeitssuche“ und „Verbraucherhilfe“ deutlich. Hier liegen die<br />
Mittelwerte zwischen 2 und 2,5.<br />
Weiterer Informationsbedarf deutet sich allerdings in einigen Bereichen des öffentlichen<br />
und politischen Lebens an und zwar in Bezug auf rechtliche Fragen (Zuwanderungsstatus),<br />
Finanzen (Riesterrente), Politik (politische Partizipation, Bedeutung von<br />
Demokratie und Gleichberechtigung). Hier wurden nur Mittelwerte zwischen 2,5 und 3<br />
erreicht.<br />
Die Beantwortung der „Wissens“-Items legt den Schluss nahe, dass die Kursinhalte<br />
in ausreichendem Maße vermittelt werden konnten. Unsicherheiten ergaben sich nur<br />
in Bezug auf rechtliche Fragen, finanzielle Vorsorge und die Möglichkeiten politischer<br />
Partizipation. Da gemäß den Lehrkräften in der Regel alle Module im Unterricht<br />
thematisiert wurden, die Kursinhalte aber gruppenspezifisch betont wurden, ist anzunehmen,<br />
dass vielen Teilnehmerinnen persönliche Fragen (z.B. Beratungsangebote)<br />
vordringlicher erschienen als solche, die das politische Leben in Deutschland thematisieren.<br />
Dies würde die Aussagen der Lehrkräfte stützen, dass das Interesse sich insbesondere<br />
auf die Themen Familie, Erziehung und Beruf richtete. Gleichzeitig handelt es<br />
sich bei den Themen, welche von den Befragten tendenziell weniger verstanden wurden,<br />
um eher komplexe und theorielastige Bereiche (z.B. Staat und Recht).<br />
Zusätzlich wurde die Meinung der Kursteilnehmenden zu geschlechtsspezifischen<br />
Vorstellungen und unterschiedliche Erwartungen, die an Männer und Frauen gestellt<br />
werden, abgefragt. Bei diesen „Einstellungs“-Items handelte es sich um Aussagen zur<br />
Erziehung (Erziehungsstil, Zuständigkeit <strong>für</strong> Erziehung und Betreuung) und zur Bedeutung<br />
der Erwerbsarbeit <strong>für</strong> Männer und Frauen (Wichtigkeit/Berufstätigkeit). Die<br />
Items orientieren sich an gängigen Klischeevorstellungen über Männer und Frauen und<br />
wurden provokant formuliert. Bei den Items liegen die Mittelwerte zwischen 2,5 und<br />
3,22.<br />
Das Item „Ich bin der Ansicht, dass Väter sich mehr als Mütter gegenüber ihren<br />
Kindern durchzusetzen haben“ weist dabei die höchste Ablehnung auf. 52 % der<br />
Teilnehmerinnen lehnten diese Einstellung deutlich ab, etwa 27 % stimmten zu, davon<br />
immerhin 18 % eindeutig.<br />
30
Fast 37 % der Befragten lehnten eine stärkere Zuständigkeit von Frauen <strong>für</strong> die Erziehung<br />
und Betreuung der Kinder ab. 35 % stimmten diesem Item jedoch zu.<br />
Die Hälfte der Befragten (53 %) war der Ansicht, dass es <strong>für</strong> Männer wichtiger ist als<br />
<strong>für</strong> Frauen, eine Arbeitstelle zu finden (1 - 2: Stimme voll zu/stimme in vielen Punkten<br />
zu). Davon zeigten sich 38 % deutlich überzeugt. Allerdings reagierten auch 30 % mit<br />
starker Ablehnung (5: stimme überhaupt nicht zu).<br />
Ich bin der Ansicht, dass Väter sich mehr als Mütter<br />
gegenüber ihren Kindern durchzusetzen haben<br />
Stimme<br />
voll zu<br />
Stimme<br />
in vielen<br />
Punkten<br />
zu<br />
Bin<br />
unentschieden<br />
Stimme<br />
in vielen<br />
Punkten<br />
nicht zu<br />
Stimme<br />
überhaupt<br />
nicht zu<br />
Keine<br />
Angabe<br />
ges.<br />
1 2 3 4 5<br />
abs. 29 12 27 17 65 6 151<br />
in % 18,5 8,3 17,2 10,8 41,4 3,8 100<br />
Ich bin der Ansicht, dass Frauen mehr als Männer<br />
<strong>für</strong> die Erziehung und Betreuung der Kinder zuständig sind<br />
1 2 3 4 5<br />
Keine<br />
Angabe<br />
ges.<br />
abs. 38 18 24 10 58 9 157<br />
in % 24,2 11,5 15,3 6,4 36,9 5,7 100<br />
Ich meine, dass es <strong>für</strong> Männer wichtiger ist<br />
eine Arbeitsstelle zu finden als <strong>für</strong> Frauen<br />
1 2 3 4 5<br />
Keine<br />
Angabe<br />
ges.<br />
abs. 60 23 14 7 47 6 157<br />
in % 38,2 14,6 8,9 4,5 29,9 3,8 100<br />
Zu den verschiedenen Aussagen zeichnen sich dementsprechend unterschiedliche<br />
Einstellungstendenzen ab. Während auf Erziehungsstil und -aufgaben bezogene traditionelle<br />
geschlechtliche Rollenbilder eher abgelehnt werden, zeigte sich in Bezug auf die<br />
Bedeutung der Erwerbstätigkeit, dass diese <strong>für</strong> Männer etwas höher eingeschätzt wird.<br />
In Bezug auf geschlechtsspezifische Rollenmodelle wurden Diskussionen angeregt und<br />
Unterrichtseinheiten durchgeführt (Lehrkräftebefragung bzw. Unterrichts-beobachtung).<br />
Auch die Beantwortung der entsprechenden Items über die Rollen von Männern<br />
und Frauen in den Bereichen Arbeitswelt, Haushalt, Öffentlichkeit und Partnerschaft<br />
deutet darauf hin. Trotzdem zeigten sich viele Kursteilnehmende in Bezug auf<br />
Gleichberechtigung und Demokratie in Deutschland noch vergleichsweise unsicher.<br />
Anzunehmen ist, dass diese relativ abstrakten Begrifflichkeiten <strong>für</strong> einige Befragten<br />
eine Verständnisbarriere darstellten. Auch die Lehrkräfte bestätigten, dass ein an Alltagsthemen<br />
orientierter, praktischer Unterricht die Teilnehmenden stärker anspricht<br />
als eher theoretische Kursabschnitte. Es ist daher nicht verwunderlich, dass die Be-<br />
31
fragten in Bezug auf konkrete Themenfelder (z.B. Haushalt) eine sehr genaue Vorstellung<br />
geschlechtsspezifischer Rollenklischees angaben, aber ein weniger genaues Bild<br />
davon besitzen, was mit dem Begriff Gleichberechtigung gemeint ist.<br />
8.2 Einfluss von Einreisejahr, Alter und Bildungsabschluss<br />
Ein Vergleich zwischen den Geschlechtern konnte aufgrund der geringen Anzahl der<br />
männlichen Befragten nicht vorgenommen werden. Geprüft wurde der Einfluss von<br />
Einwanderungsjahr, Alter und Bildungsabschluss der Befragten auf die Beantwortung<br />
der „Wissens-“ und Einstellungsitems.<br />
Einfluss des Einreisejahrs: Unterschiede zwischen den Einwanderungsgruppen<br />
ergaben sich ausschließlich in Bezug auf Wissensfragen. Neuzugewanderte gaben<br />
ein geringeres Wissen in Bezug auf notwendige Versicherungen, Verbraucherhilfe und<br />
-schutz sowie das deutsche Schulsystem an. Ihre geringere Zustimmung kann mit<br />
ihrer kürzeren Aufenthaltsdauer erklärt werden. Allerdings zeigen die Mittelwerte auch,<br />
dass bei Neuzugewanderten durchaus Wissen zu den jeweiligen Themen vorhanden<br />
ist bzw. in ausreichendem Maße durch den Kurs vermittelt werden konnte. Mit den<br />
Kursen gelang es, das Wissen beider Gruppen zu vertiefen bzw. Neuzugewanderten ein<br />
erstes Wissen über bestimmte Themenkomplexe zu vermitteln.<br />
Einfluss des Alters: Signifikante Unterschiede ergaben sich zudem zwischen jüngeren<br />
(bis 39 Jahren) und älteren (ab 40 Jahren) Befragten und zwar insbesondere in Bezug<br />
auf geschlechtsspezifische Rollenmuster. Es zeigt sich, dass jüngere Teilnehmende<br />
den Items „Vorstellungen über Ehe und Partnerschaft“ sowie „Weiterbildungsmaßnahmen<br />
speziell <strong>für</strong> Frauen“ in signifikant höherem Maße zustimmten als ältere Frauen.<br />
Noch deutlicher zeigen sich Unterschiede bei dem Item „Männer und Frauen in der<br />
Arbeitswelt“. Die Beantwortung dieses Items weist auf ein generell stärkeres Interesse<br />
jüngerer Kursteilnehmender an Erwerbsarbeit hin, erwerbsbezogene Rollenunterschiede<br />
sind <strong>für</strong> sie ein aktuelles Thema. Die Ergebnisse lassen verschiedene Schlüsse zu:<br />
Bei Jüngeren handelt es sich in vielen Fällen vermutlich um Berufsanfänger und -anfängerinnen<br />
und junge Eltern. In dieser Situation gehören die Themenkomplexe Beruf,<br />
Karriere, Vereinbarkeit von Familie und Beruf und damit die geschlechtsspezifische<br />
Arbeitsaufteilung in der Familie zu den aktuellen und zentralen Lebensfragen. Es ist<br />
davon auszugehen, dass ältere Kursteilnehmende <strong>für</strong> diese Bereiche bereits ein persönliches<br />
Arrangement gefunden haben oder dass andere Schwierigkeiten <strong>für</strong> diese<br />
Gruppe vordringlicher sind.<br />
Einfluss des Bildungsabschlusses: Weitere signifikante Unterschiede ergaben sich<br />
bei bestimmten Items zwischen Personen mit höherem Bildungsabschluss und niedrigerem<br />
Bildungsabschluss. Differenziert wurde zwischen Personen mit Abitur bzw.<br />
vergleichbaren Abschlüssen in der Türkei und Personen mit niedrigeren Abschlüssen.<br />
Es ergeben sich Differenzen zwischen den beiden Gruppen in den Bereichen Familie<br />
(Ehe und Partnerschaft), Erwerbsarbeit (Bewerbung), soziale Versorgung (Überblick<br />
über Versorgungssystem) und Finanzen (eigenes Konto). Frauen mit hohem Bildungsabschluss<br />
schätzten ihr Wissen über partnerschaftliche Vorstellungen in Deutschland<br />
demnach höher ein als solche ohne einen hohen Bildungsabschluss. Zudem kannten<br />
sie sich besser aus, wenn es um Bewerbungen, das soziale Versorgungssystem und ein<br />
32
eigenes Konto geht.<br />
Die Ergebnisse zeigen, dass in der Gruppe der Kursteilnehmenden mit hohem Bildungsniveau<br />
das notwendige Wissen <strong>für</strong> ein selbständiges und finanziell unabhängiges<br />
Leben sicherer verfügbar ist und auch stärker von ihnen eingefordert wird (so die<br />
Ergebnisse aus den Befragungen der Lehrkräfte). Es ist daher davon auszugehen, dass<br />
<strong>für</strong> diese Gruppe Kursinformationen, die ein (finanziell) unabhängiges Leben ermöglichen,<br />
bedeutsamer waren und gleichzeitig auch stärker genutzt werden konnten.<br />
Ebenso ist unter Berücksichtigung der Interviewergebnisse mit den Lehrkräften zu<br />
vermuten, dass <strong>für</strong> die Teilnehmerinnen mit geringerem Bildungsstatus ein starker<br />
Gesprächs- und Informationsbedarf in den Bereichen Familie, Partnerschaft und<br />
Erziehung bestand und dementsprechend berufliche und finanzielle Unabhängigkeit<br />
Themen darstellen, die <strong>für</strong> diese Gruppe zunächst zweitrangig waren.<br />
8.3 Zufriedenheit mit den Erstorientierungskursen<br />
Die Auswertung der „Zufriedenheits“-Items zeigt, dass die Befragten mit den Kursen<br />
sehr zufrieden waren. Als ganz besonders positiv wurde die Arbeit der Dozenten und<br />
Dozentinnen bewertet. Das Item „Besseres Zurechtfinden“ zeigt, dass in den Kursen<br />
eine sehr gute Orientierungshilfe gegeben wurde. Zudem wurde auf die persönliche<br />
Lebenssituation der Befragten eingegangen, indem sowohl die Fähigkeiten der Kursteilnehmenden<br />
herausgearbeitet als auch auf persönliche Schwierigkeiten eingegangen<br />
wurde. Die Kursthemen wurden von fast allen Befragten als abwechslungsreich<br />
und interessant empfunden. Dementsprechend hoch schätzten die Befragten ihre<br />
eigene Beteiligung und Mitarbeit im Kurs ein. Eine etwas geringere Zustimmung erhielten<br />
erwartungsgemäß die Kursmaterialien.<br />
Das positive Bild der Kurse wird auch durch die Antworten auf die offenen Fragen<br />
gestützt: Die Teilnehmenden äußerten fast dreimal soviel Lob wie Kritik. Auch die von<br />
den Befragten genannten Anregungen <strong>für</strong> den weiteren Kursverlauf zeigen, dass die<br />
Idee einer ersten Orientierung sehr positiv aufgenommen wurde, viele Kursteilnehmenden<br />
wünschten sich vertiefende, weiterführende und umfangreichere Maßnahmen.<br />
Als heftigste Kritik wurde von den Kursteilnehmenden angemerkt, dass die Kursdauer<br />
(30 Stunden) als insgesamt zu kurz empfunden wurde. Eine weitere negative Bewertung<br />
muss vermutlich mit dieser Kritik in Verbindung gebracht werden: Viele Teilnehmende<br />
gaben an, dass interessante Themen nur oberflächlich behandelt wurden. Eine<br />
generelle Kritik aus Lünen und Oberhausen/Mülheim richtete sich gegen die <strong>Integration</strong>spolitik<br />
in Deutschland.<br />
Von vielen augenscheinlich bereits länger in Deutschland lebenden Teilnehmenden<br />
wurde bemängelt, dass die Erstorientierungskurse <strong>für</strong> viele zu spät kommen und<br />
bereits zu ihrem Einreisezeitpunkt eine solche Maßnahme sinnvoll und hilfreich gewesen<br />
wäre.<br />
13 Als Bewerbung reichte jedes Projekt im Vorfeld des Programms ein Erstkonzept beim KfI ein. Die Erstkonzepte<br />
umfassten in unterschiedlichem Umfang zentrale Leitgedanken und Schwerpunkte der jeweiligen Projekte, konzeptionelle<br />
und personelle Rahmenbedingungen sowie zielgruppen- und genderspezifische Umsetzungsstrategien.<br />
33
Als dringendste Anregung wurde genannt, dass die Kurse fortgesetzt werden sollten<br />
bzw. eine längere Laufzeit <strong>für</strong> die Kurse eingeplant werden sollte. Zudem sollte eine Erweiterung<br />
und Vertiefung der Kursthemen erfolgen. Zum einen könnten einzelne Themen<br />
ausführlicher besprochen werden (Gesundheit, Erziehung/Bildung), zum anderen<br />
könnten weitere Angebote an die Erstorientierungsmaßnahme anknüpfen oder in die<br />
Kurse eingeflochten werden (z.B. Sport). Generell sollte eine noch stärkere Ansprache<br />
relevanter Zielpersonen erfolgen.<br />
Die Meinung der Befragten darüber, mit welchen Mitteln potenzielle Zielpersonen am<br />
besten <strong>für</strong> die Kurse gewonnen werden könnten, gestaltete sich eindeutig: Die Ansprache<br />
der Zielgruppe ist über eine persönliche Weiterempfehlung am erfolgreichsten.<br />
Deutlich wird zudem, dass die Erstorientierungskurse auf den Einsatz lokal bekannter<br />
und anerkannter Key-Personen und Multiplikatoren bauen sollten. Sowohl die Erfahrung<br />
der Projekte, als auch die Antworten der Befragten verdeutlichen, dass Migranten<br />
und Migrantinnen aus der Türkei am besten und nachhaltigsten über persönliche<br />
Kontakte und Weiterempfehlungen angesprochen werden können.<br />
Die Auswertung der „Zufriedenheits“-Items und der offenen Fragen belegt, dass die<br />
Erstorientierungskurse von der überwiegenden Mehrheit der Teilnehmenden als sehr<br />
positiv, sinnvoll und hilfreich empfunden wurden. Die zahlreichen Anregungen der<br />
Befragten signalisieren zudem, dass ein hoher Bedarf an solchen Maßnahmen besteht<br />
und dass auf Seiten der Zielgruppe auch eine hohe Bereitschaft besteht, die Angebote<br />
wahrzunehmen.<br />
Für die meisten Befragten stellten die Kurse einen persönlichen Gewinn und eine<br />
große Unterstützung <strong>für</strong> ihren Lebensalltag dar. Dies zeigt sich nicht nur in den zahlreichen<br />
positiven Äußerungen der Befragten. Auch die Lehrkräfte berichteten davon,<br />
dass Kursteilnehmende häufig sehr dankbar und emotional auf die Orientierungsmaßnahme<br />
reagierten. Viele forderten daher eine Weiterführung und Vertiefung des Angebotes.<br />
Demnach ist eingetroffen, was die Projektleitungen im Vorfeld vermutet hatten:<br />
bis zum Beginn der Kurse war eine lange Vorlaufzeit nötig. Es ist aber während der<br />
Pilotphase gelungen, einen umfassenden Bedarf bei der Zielgruppe zu wecken.<br />
9. Kritische Reflexion der Prozessbegleitung<br />
9.1 Transfer des Gender Mainstreaming Ansatzes<br />
Als Reaktion auf die geforderte Orientierung an Gender Mainstreaming nannten alle<br />
Projekte in ihren Erstkonzepten 13 zunächst eine geschlechtshomogene Gruppenstruktur<br />
(Frauen-/Männerkurse) und ein entsprechendes Personal (weibliche und männliche<br />
Lehrkräfte). Zudem sollte die Berücksichtigung frauenspezifischer Probleme<br />
(Familienphase) sichergestellt werden (z.B. durch Kinderbetreuung). Damit war das<br />
Gender Mainstreaming Konzept der Projekte sehr einseitig daraufhin ausgerichtet,<br />
eventuellen Problemen der Frauen entgegenzuwirken. Mögliche Partizipationsschwierigkeiten<br />
neuzugewanderter Männer wurden anfangs nicht bedacht.<br />
Nur aus einem Projekt (Oberhausen/Mülheim) erfolgte die Anregung, generell geschlechtsspezifische<br />
Bedürfnisse der Zielgruppe zu berücksichtigen und z.B. die<br />
34
Zusammenstellung der Module hinsichtlich geschlechtsspezifischer/gruppenspezifischer<br />
Bedarfe der Zielgruppe zu überarbeiten. Hierzu ist die Einführung von Pflicht-<br />
und Wahlmodulen eine Möglichkeit: Neben der Betonung von Themen, die <strong>für</strong> die<br />
Gruppe besonders relevant sind, kann die Gruppe <strong>für</strong> die Dauer einzelner Module auch<br />
geschlechtsspezifisch getrennt werden. Im Hintergrund dieser Idee stand die Überlegung,<br />
dass es Teilnehmenden vermutlich leichter fällt, einige Themen in gleichgeschlechtlichen<br />
Gruppen zu diskutieren. Aufgrund der Tatsache, dass die meisten Kurse<br />
geschlechtshomogen durchgeführt wurden, liegen keine Erfahrungen über eine situative,<br />
geschlechtsspezifische Trennung der Kursteilnehmenden vor.<br />
Theoretische Grundlagen und eine konkrete Umsetzung von Gender Mainstreaming<br />
(GM) waren den Projekten zu Beginn der Pilotphase noch sehr vage. Sowohl die wissenschaftliche<br />
Begleitung als auch die verantwortlichen Mitarbeiter des KfI wurden daher<br />
regelmäßig um genaue Zielvorgaben und Anregungen <strong>für</strong> die konkrete Umsetzung<br />
gebeten. Da sich die Projektträger bisher nicht mit dem Thema auseinandergesetzt<br />
hatten, wurde der Bedarf an einer allgemeinen Einführung und einer Personalschulung<br />
in Bezug auf Gender Mainstreaming festgestellt. Die Förderung bot aber keine hinreichenden<br />
finanziellen Ressourcen, um diesem Bedürfnis nachzukommen. Ziel in Bezug<br />
auf Gender Mainstreaming Aspekte war es, die Erkenntnisse des Evaluationsberichts<br />
zum Gender Mainstreaming der Kompasskurse auf die Erstorientierungskurse <strong>für</strong><br />
Migranten und Migrantinnen aus der Türkei - so weit dies möglich ist - zu übertragen.<br />
Der Transfer stellte damit im Pilotprogramm nur einen Teilbereich dar und war daher<br />
von den Projektkoordinatoren selbst zu leisten. Diese Aufgabenstellung war aber in<br />
den Projekten faktisch kaum einlösbar. Eine vorbereitende Schulung der Koordinatoren<br />
und Lehrkräfte wäre sinnvoll gewesen (Trainings, Weiterbildungen etc.). Der Bericht<br />
zum Gender Mainstreaming der Kompasskurse stellte keine ausreichende Vorbereitung<br />
dar.<br />
Ein Einstieg in das Gender Mainstreaming der Projekte erfolgte durch einen Vortrag<br />
seitens der wissenschaftlichen Begleitung und eine sich anschließende Diskussion mit<br />
den Projektkoordinatoren. Ziel war es, in einen Reflexionsprozess über die Kategorie<br />
Geschlecht einzusteigen, um im weiteren Verlauf eine dementsprechende Ergänzung<br />
und Optimierung der Modulthemen, der Handreichung und der Unterrichtsgestaltung<br />
in Bezug auf Gender Mainstreaming zu initiieren (Koordinationssitzung). Im Anschluss<br />
an diese Koordinationssitzung wurden die Projektbeteiligten um die Bearbeitung<br />
des Rundbriefs zum Thema GM gebeten. Erstens sollten sie darstellen, inwieweit GM<br />
Aspekte bereits konzeptionell, strukturell und inhaltlich im Projekt Berücksichtigung<br />
gefunden hatten, zweitens sollten die zentralen GM Ziele skizziert werden. Einstieg und<br />
Umsetzung fanden jedoch im Projektverlauf erst spät statt, so dass entsprechende<br />
Veränderungen kaum noch wissenschaftlich begleitet werden konnten.<br />
Alle Projekte entwickelten sich in Bezug auf das Gender Mainstreaming der Kurse<br />
konzeptionell, strukturell und inhaltlich stark weiter. Ideen und Ziele von GM wurden<br />
nicht ausschließlich auf die Erstorientierungsmaßnahmen bezogen, sondern darüber<br />
hinaus auch auf die inhaltlichen und personellen Rahmenbedingungen des Projekts<br />
(z.B. Qualifikation des Personals) und der einzelnen Träger (z.B. Notwendigkeit von<br />
GM-Schulungen). Im Rundbrief zeigte sich die Haltung, dass Männer und Frauen aus<br />
der Türkei unterschiedliche Herkunftsbedingungen mitbringen, zudem in geschlechts-<br />
35
spezifischen Bezügen einreisen und von unterschiedlicher Seite (Gesellschaft, Familie,<br />
türkische Community) mit geschlechtsspezifischen Erwartungen konfrontiert werden.<br />
Als zentrale Ziele von Gender Mainstreaming in Bezug auf die Erstorientierungskurse<br />
wurden von den Projekten unterschiedliche Aspekte erarbeitet. Eine inhaltliche Auseinandersetzung<br />
sollte vor allem durch die Reflexion des Geschlechterverhältnisses<br />
erfolgen, und zwar im Hinblick auf:<br />
• das individuelle Rollenverständnis innerhalb der Familie und der Gesellschaft,<br />
• kulturelle Unterschiede und sich daraus ergebende Konsequenzen <strong>für</strong> die Geschlechterrollen,<br />
• migrationsbedingte und geschlechtsspezifische Schwierigkeiten der Kursteilnehmenden,<br />
• Auswirkungen gesellschaftlicher Veränderungen (z.B. Arbeitsmarkt) auf Rollenverständnisse,<br />
• Unterschiede und Gemeinsamkeiten bezüglich der Geschlechter sowie der Wertediskussion<br />
des Herkunftslandes und des Aufnahmelandes.<br />
Die Inhalte sollten umgesetzt werden, indem<br />
• der Fokus auf die Entwicklung eines Bewusstseins <strong>für</strong> geschlechtsspezifische<br />
Unterschiede, Interessen und Schwierigkeiten gelegt wird,<br />
• die unterschiedlichen und vielfältigen Lebensrealitäten innerhalb jeder Geschlechtergruppe<br />
reflektiert und veranschaulicht werden,<br />
• Informationen <strong>für</strong> ein selbst bestimmtes Leben <strong>für</strong> Männer und Frauen bereitgestellt<br />
und aufgearbeitet werden und<br />
• die Unterrichtsgestaltung jenseits tradierter Rollenmuster erfolgt.<br />
Die von den Projekten angegebenen möglichen Ziele des Gender Mainstreaming sowie<br />
die Ergebnisse der Teilnehmerinnenbefragung zu den (Gender) Einstellungsitems<br />
lassen darauf schließen, dass in vielen Punkten eine Annäherung an zentrale Gender<br />
Mainstreaming Ideen auch im Unterrichtsgeschehen erfolgt ist. So bleiben die aktuellen<br />
Ziele nicht allein der Ebene der Rahmenbedingungen (Kinderbetreuung etc.) verhaftet,<br />
sondern verweisen darauf, dass Gender Mainstreaming Elemente auch inhaltlich<br />
angegangen und stark differenziert betrachtet werden. Auch sind die aufgeführten<br />
Ziele weniger einseitig nicht nur auf Frauen, sondern auch auf Männer bezogen als dies<br />
zu Beginn der Pilotphase der Fall war. Des Weiteren werden auf der Zielebene nicht nur<br />
die Unterschiede, sondern auch viele Gemeinsamkeiten zwischen den Geschlechtern<br />
berücksichtigt sowie die Verbindung zwischen Geschlecht und Kultur herausgestellt.<br />
Praktische Umsetzungsvorschläge (Rundbrief)<br />
Methodisch sollen die Gender Mainstreaming Ziele erreicht werden, indem<br />
• die spezifischen Lernbedürfnisse der Teilnehmenden anerkannt werden (Kursteilnehmenden<br />
an Inhalten mitentscheiden lassen; flexibles Modulprogramm),<br />
• genügend Raum <strong>für</strong> die Artikulierung individueller Fragen und Bedürfnisse gegeben<br />
wird,<br />
• geschlechtergerechte Methoden verwendet werden,<br />
• eine provokante, humorvolle Thematisierung erfolgt, weil das Thema persönlich<br />
„geladen“ ist (eigene Identifikation mit Stereotypen),<br />
36
• Männer und Frauen immer wieder in die Diskussion einbezogen werden (Redebeiträge<br />
steuern),<br />
• ein diskursiver Unterrichtsstil verwendet wird (alle können sich einbringen),<br />
• geschlechtshomogene und -heterogene Gruppen angeboten werden,<br />
• weibliches und männliches Lehrpersonal zur Verfügung steht,<br />
• geschlechtsspezifische Schwerpunkte bei einigen Modulen aufgrund unterschiedlicher<br />
Betroffenheit gesetzt und entsprechende Rahmenbedingungen berücksichtigt<br />
werden,<br />
• die Durchführung der Kurse wohnortnah angeboten wird,<br />
• Ausflüge gemacht werden, um speziell Frauen zu ermutigen sich außerhalb bekannter<br />
Stadtteile selbstständig zu bewegen,<br />
• Informationen über Weiterbildung, Ausbildung und Fragen des Arbeitsmarktes<br />
unter Berücksichtigung geschlechtsspezifischer Kriterien im Kurs verteilt werden<br />
(z.B. Förderprogramme <strong>für</strong> Frauen).<br />
Auch die angestrebte methodische Umsetzung der Projekte zeigte Entwicklungsschritte.<br />
Einerseits bezogen sich die Überlegungen der Projekte auf die Umsetzung<br />
geschlechtergerechter Rahmenbedingungen <strong>für</strong> Männer und Frauen (Kinderbetreuung,<br />
Personal, Gruppenstruktur), andererseits wurde auf die bisherigen geschlechtsspezifischen<br />
Erfahrungen aus den Kursen eingegangen (etwa hoher Gesprächsbedarf,<br />
eventuelle Schamgefühle in geschlechtsheterogenen Gruppen etc.). Deutlich wird allerdings<br />
auch, dass sich viele Ideen noch immer nur auf die Partizipationschancen von<br />
Frauen beziehen (Frauen sollen z.B. zu mehr Mobilität angeregt oder über frauenspezifische<br />
Förderprogramme informiert werden). Die Interessen und spezifischen Bedürfnisse<br />
der Männer werden nur im Zuge einer Gleichbehandlung (Männer und Frauen in<br />
die Diskussion einbeziehen) berücksichtigt. Die Anregungen der Projekte zeigen, dass<br />
eine vertiefte Auseinandersetzung mit Gender Mainstreaming im Programmverlauf<br />
initiiert werden konnte. Die Projekte hielten Gender Mainstreaming Aspekte über den<br />
Projektverlauf <strong>für</strong> eine wichtige Anregung und Entwicklungschance. Weiter ausbaufähig<br />
sind die Projekte und ihre Träger nach eigener Angabe (Begehung/Rundbrief)<br />
insbesondere im Hinblick auf:<br />
• Selbstevaluation in Bezug auf Gender Mainstreaming und die damit verbundene<br />
Reflexion und Sensibilisierung eigener geschlechtlicher Rollenvorstellung sowie<br />
daraus resultierenden Nutzung eigener Potentiale der Projektmitarbeiter und –<br />
mitarbeiterinnen,<br />
• Selbststeuerung - besonders im Hinblick auf einen geschlechtergerechten Unterricht<br />
und einen entsprechenden Sprachgebrauch,<br />
• Entwicklung multipler Problemlösungsansätze,<br />
• Reflexion genderrelevanter Inhalte und Abbau von Stereotypen,<br />
• gleichmäßige Berücksichtigung der unterschiedlichen (kultur- und geschlechtsspezifischen)<br />
Interessen in der Gruppe und die damit verbundene inhaltliche<br />
Anknüpfung an unterschiedliche Lebenswelten und -wirklichkeiten (Subjektorientierung;<br />
methodischer, lösungsorientierter Umgang mit Vielfalt),<br />
• Befähigung der Kursteilnehmenden zum weiteren Ausbau ihrer Potentiale und<br />
Ressourcen,<br />
37
• Gesprächsbereitschaft in Bezug auf schwierige geschlechtsbezogene Themen,<br />
wie z.B. Scheidung,<br />
• Bereitschaft zum (weiteren) Nachdenken über Geschlechterrollen und sich daraus<br />
ergebende Konsequenzen <strong>für</strong> den Einzelnen und die Einzelne,<br />
• Kompetenzerweiterung und konstruktiven Umgang mit geschlechterspezifischen<br />
Problemlagen.<br />
Deutlich ist, dass ein Gender Mainstreaming Prozess angestoßen und erste Reflexionen<br />
und Innovationen innerhalb der Projekte und des konkreten Unterrichts erprobt<br />
wurden. Konkrete Anwendungen und Wirkungen konnten im Rahmen des Pilotprogramms<br />
allerdings nicht mehr beobachtet werden.<br />
9.2 Entwicklung der Unterrichtsmaterialien<br />
Die Projektträger wurden mit der Entwicklung und Gestaltung einer Handreichung <strong>für</strong><br />
die Erstorientierungskurse beauftragt. Die Handreichung sollte mit dem Ziel entwickelt<br />
werden, den Kursteilnehmenden ein Nachschlagewerk und den Lehrkräften eine<br />
sinnvolle Kursstruktur an die Hand zu geben. Inhaltlich sollte sich die Handreichung an<br />
den Vorgaben der Kompasskurse von Spätaussiedlern und Spätaussiedlerinnen sowie<br />
jüdischen Zugewanderten orientieren. Eine entsprechende zielgruppenspezifische<br />
Modifikation der Module und die Über- bzw. Erarbeitung der Handreichung gestalteten<br />
sich als äußerst arbeits- und zeitintensiv. Einerseits war die Validität der Handreichung<br />
<strong>für</strong> Aussiedler und Aussiedlerinnen den Projekten nicht ausreichend bewusst, andererseits<br />
konnte seitens der Projekte keine kontinuierliche Be- und Überarbeitung der<br />
Handreichung erfolgen. Die im Projektverlauf mit der Zielgruppe gesammelten Erfahrungen<br />
flossen dementsprechend kaum in die Modifikation der Module und der Handreichung<br />
ein.<br />
Die Überarbeitung der Module und der Handreichung wurde über mehrere Sitzungen<br />
thematisiert. Ziel war es, die Module und die Handreichung durch fehlende Informationen<br />
zu ergänzen bzw. eine Kürzung überflüssiger Elemente vorzunehmen. Zielgruppenspezifische<br />
Aspekte und sich aus diesen Gesichtspunkten ergebende Gender<br />
Mainstreaming Kriterien sollten von den Projektbeteiligten vervollständigt werden.<br />
Sowohl in die Module als auch in die Handreichung sollten am Alltag der Zielgruppe<br />
orientierte Beispiele, Anregungen und Hinweise einfließen. Neben diesen Ergänzungen<br />
war es ein Ziel, in der Überarbeitung auf eine geschlechtergerechte Sprache zu achten.<br />
Da die Erfahrungen aus den Projekten in die Überarbeitung der Handreichung einfließen<br />
sollten, konnte eine Fertigstellung nur schrittweise erfolgen und besaß dementsprechend<br />
Prozesscharakter. Erst am Ende der Pilotphase sollte, so das Programmziel,<br />
eine fertige, der Zielgruppe entsprechende Handreichung vorliegen. Zur Erleichterung<br />
des Arbeitsprozesses kam von Seiten der Evaluatorinnen und des KfI daher der Ratschlag,<br />
Textpassagen der bereits vorliegenden Handreichung zu übernehmen und<br />
jeweils durch zielgruppenspezifische Elemente zu ergänzen. Festzuhalten ist dennoch,<br />
dass<br />
• der Transfer der zielgruppenspezifischen Erfahrungen nur in kleinen Ansätzen<br />
geleistet wurde,<br />
• GM Aspekte inhaltlich und formal (z.B. gendergerechte Sprache) nur teilweise<br />
38
erücksichtigt wurden,<br />
• Textpassagen sehr theorielastig, kompliziert und unstrukturiert gestaltet wurden,<br />
obwohl in den Kursen die Erfahrung gemacht wurde, dass Teilnehmende einen<br />
einfachen Sprachstil und eine alltagsnahe Vermittlung der Themen bevorzugten,<br />
• keine genauen Absprachen unter den Projektkoordinatoren in Bezug auf die Angabe<br />
von allgemeinen oder lokalen Adressen sowie die Übersetzung der Handreichung<br />
erfolgte. 14<br />
Ein Kernpunkt der Entwicklung der Handreichung stellte die prozesshafte Überarbeitung<br />
dar. Folglich sollte die fertige Handreichung erst nach der Pilotphase vorliegen.<br />
Von den Projektleitenden wurde dieses Vorgehen einheitlich bemängelt. In der Pilotphase<br />
konnte somit nur mit einer vorläufigen und teilweise unvollständigen Version<br />
gearbeitet werden.<br />
In Anbetracht der Umsetzungsschwierigkeiten wird deutlich, dass die Erstellung einer<br />
Handreichung <strong>für</strong> diesen Kontext intensiver Koordination, Steuerung und Verbindlichkeit<br />
bedarf.<br />
10. Zusammenfassung, Diskussion und Empfehlungen<br />
10.1 Evaluationsansatz: Umsetzung und Bewertung<br />
Der Ansatz der Evaluation und der wissenschaftlichen Begleitung der Projekte war<br />
partizipativ. Alle Beteiligten konnten und sollten sich konstruktiv in die Projektentwicklung<br />
einbringen, Kritik äußern und Anregungen liefern. In Anbetracht der kurzen Laufzeit<br />
und des Entwicklungscharakters des Programms war die externe Beratung durch<br />
die wissenschaftliche Begleitung <strong>für</strong> die Projekte sehr hilfreich. Zentrale Projektschritte<br />
(z.B. Akquisition) konnten infolgedessen schnell reflektiert und bearbeitet werden.<br />
Dies wurde auch von den Projekten bestätigt (Begehung, Rundbrief): Arbeitsprozesse<br />
wurden demnach gut strukturiert, Entwicklungen veranschaulicht und unterstützt,<br />
Schwierigkeiten transparent gemacht und konstruktiv bearbeitet. Eine Zusammenarbeit<br />
gestaltete sich zudem als angenehm, weil Schwierigkeiten der Projekte von der<br />
wissenschaftlichen Begleitung gut an die Auftraggeber vermittelt werden konnten.<br />
Erfahrungen der Projekte konnten in der weiteren Durchführung des Pilotprogramms<br />
berücksichtigt werden (z.B. Zielgruppenerweiterung). Auch ein Austausch zwischen<br />
den Projekten über Schwierigkeiten, Methoden und Herangehensweisen wurde durch<br />
die wissenschaftliche Begleitung auf den Koordinationstreffen erzielt. Eine Arbeitserleichterung<br />
war zudem die Vorbereitung der Koordinationstreffen durch die wissenschaftliche<br />
Begleitung. Einige Arbeitselemente des Evaluationsteams (Organisation<br />
der Koordinationstreffen, Struktur des Zeitplans etc.) wurden von den Projekten<br />
teilweise sehr unterschiedlich bewertet: Ein Projekt hätte sich z.B. einen etwas weniger<br />
strukturierten Zeitplan und mehr Raum <strong>für</strong> den Austausch zwischen den Projekten sowie<br />
<strong>für</strong> offene Fragen, Bedürfnisse und Interessen der Projekte gewünscht. Ein anderes<br />
Projekt bewertete gerade diese Aspekte der Evaluation als gelungen.<br />
14 Aufgrund der Zeitknappheit wurde die Handreichung durch die wissenschaftliche Begleitung überarbeitet.<br />
Die fertige Handreichung wurde zur einheitlichen Übersetzung durch ein Übersetzungsbüro an die Projekte zurückgesendet.<br />
39
Empfehlung<br />
• Gerade zu Projektbeginn sollte ausreichend Zeit <strong>für</strong> Klärung von Fragen und <strong>für</strong><br />
gegenseitigen Austausch eingeplant werden.<br />
• Im Projektverlauf ist genügend Zeit <strong>für</strong> die Besprechung von Entwicklungsschritten<br />
und Projektberichten einzuräumen (häufigere oder ganztägige Koordinationssitzungen).<br />
• Alle Beteiligten sollten möglichst von Beginn an und an allen Koordinierungsreffen<br />
teilnehmen, damit Transparenz und gemeinsame Absprachen gewährleistet werden<br />
Die Entwicklung der Handreichung gestaltete sich als zeit- und arbeitsaufwändiger<br />
als im Vorfeld von allen Beteiligten angenommen. Der Ansatz einer schrittweisen,<br />
projektgebundenen Fertigstellung wurde von einigen Projekten bis zum Schluss nicht<br />
vollzogen. Sowohl das Gender Mainstreaming als auch die Zielgruppenspezifik wurden<br />
in der Handreichung von den Projekten nur teilweise berücksichtigt. Hierzu hätte jeder<br />
Arbeits- und Entwicklungsschritt sowie daraus resultierende Erkenntnisse in Bezug<br />
auf die Handreichung reflektiert werden müssen (Erfahrungen mit den Teilnehmenden<br />
� Konsequenzen <strong>für</strong> Gender Mainstreaming � Überarbeitung der Handreichung).<br />
Da die Koordinationstreffen größtenteils mit inhaltlichen und organisatorischen Arbeitschritten<br />
gefüllt waren, blieb <strong>für</strong> eine detaillierte Besprechung und konkrete Transferleistung<br />
in den Sitzungen nicht genügend Raum. Die Projekte waren offensichtlich<br />
mit der Organisation und Durchführung der Kurse ausgelastet.<br />
Um einerseits den Teilnehmenden eine gute Arbeitshilfe und sinnvolles Nachbearbeitungsmaterial<br />
an die Hand geben zu können sowie andererseits auch den Lehrkräften<br />
eine nützliche Hilfestellung <strong>für</strong> den Unterricht zu bieten, erscheint es insgesamt sinnvoller,<br />
zu Beginn über eine fertige Handreichung zu verfügen.<br />
Empfehlung<br />
• Die Entwicklung der Handreichung sollte separat durch einen beauftragten Träger<br />
erfolgen. So können Ergebnisse gebündelt und eine einheitliche Gestaltung und<br />
Übersetzung der Handreichung gewährleistet werden.<br />
• Eine Handreichung könnte im Anschluss an die Pilotphase aus den gesammelten<br />
Erfahrungen der Projekte entwickelt werden. 15<br />
Den Arbeitsauftrag Gender Mainstreaming nur als Teilaspekt bzw. als Fragestellung in<br />
das Programm einzubauen, gestaltete sich als nicht einlösbar. Der Transfer von Gender<br />
Mainstreaming in die Praxis der Erstorientierungskurse ist daher nur in geringem<br />
Ausmaß erfolgt. Allerdings zeigten die Projekte im Verlauf eine Entwicklung und auch<br />
zunehmende Bereitschaft, sich mit Fragen zu Gender Mainstreaming auseinander zu<br />
setzen. Dabei lieferte eine theoretische Einführung zwar gute Anregungen, reichte als<br />
Vorbereitung allerdings nicht aus, um Gender Mainstreaming Aspekte in der Projektpraxis<br />
zu reflektieren bzw. eine sachgemäße Umsetzung zu gewährleisten. Durch Anregung<br />
des Gender Mainstreaming Gedankens fand insgesamt eine Reflexion klischeehafter<br />
Rollenvorstellungen statt. Entsprechende Ideen konnten aber in der kurzen<br />
Pilotphase nur ansatzweise in den Kursen (Unterricht und Handreichung) umgesetzt<br />
werden.<br />
15 Ein gelungenes Beispiel <strong>für</strong> eine Handreichung stellen z.B. die Unterrichtsmaterialien <strong>für</strong> Sprach- und Orientierungskurse<br />
des Projektes „Miteinander Leben“ dar (vgl. Feil/Hesse 2006).<br />
40
Empfehlung<br />
• Gender Mainstreaming Ansätze und Umsetzungsideen sind in Erstkonzepten/anträgen<br />
bereits stärker zu berücksichtigen und entsprechend zu gewichten (z.B.<br />
Kostenkalkulation <strong>für</strong> Schulungen, Projektmittel, Erarbeitung von Materialien).<br />
• Projektkoordination und Kursdurchführung sollten bereits vor Projektbeginn mit<br />
Gender Mainstreaming vertraut sein, z.B. durch Nachweis entsprechender Fortbildungen.<br />
• Neben der fachlichen Qualifizierung sollten Lehrkräfte auch die Befähigung aufweisen,<br />
die Bedeutung von Geschlechterverhältnissen zu erkennen, kritisch zu reflektieren<br />
und dies im Unterricht zu vermitteln.<br />
10.2 Kommunale Vernetzung und Kooperation<br />
Die Erstorientierungskurse füllten eine Lücke in der migrationsspezifischen Angebotspalette.<br />
In den jeweiligen Kommunen bestand ein starkes Interesse und ein hoher<br />
Bedarf an Erstorientierungsmaßnahmen. Erstorientierungskurse und eine Vernetzung<br />
mit vorhandenen <strong>Integration</strong>sangeboten aufzubauen, gelang trotz der relativ kurzen<br />
Pilotphase mit Ausnahme der ländlichen Bereiche (Kreisgebiet Unna) in allen Projekten<br />
sehr erfolgreich. Insgesamt führten die Projekte trotz diverser Startschwierigkeiten<br />
von 50 geplanten Kursen tatsächlich 32 Kurse durch.<br />
Die Erstorientierungskurse verzahnten integrations- und migrationsspezifische Angebote,<br />
bildungs- und berufsbezogene Maßnahmen, psychosoziale sowie familienspezifische<br />
Beratungseinrichtungen und verbesserten damit die <strong>Integration</strong>sprozesse von<br />
Migranten und Migrantinnen nachhaltig über eine Erstorientierung hinaus.<br />
Die Migrantenselbstorganisationen (Moscheevereine etc.) stellten zentrale Stützen<br />
der Projekte dar und waren im Hinblick auf strukturelle und organisatorische Projektschritte<br />
(Kursorte, Akquisition) unerlässlich. Überraschendes Ergebnis ist, dass die<br />
Gruppe der Neuzugewanderten auch von Migrantenorganisationen eine kaum wahrgenommene<br />
und angesprochene Gruppe darstellte. Entgegen ihrer Vorannahme erreichten<br />
die Projekte die Neuzugewanderten nicht über türkische Kooperationspartner und<br />
Multiplikatoren.<br />
Kursteilnehmende wurden überwiegend über ihre sozialen und familiären Netzwerke<br />
auf die Kurse aufmerksam. Relevante Schlüsselpersonen <strong>für</strong> die Akquisition waren<br />
beispielsweise Teilnehmer und Teilnehmerinnen, die bereits an den Erstorientierungskursen<br />
partizipiert hatten sowie Familienangehörige, Freunde und Bekannte oder<br />
anerkannte Mitglieder der türkischen Community.<br />
Gute Kooperationen ergaben sich auch mit einheimischen Institutionen, Vereinen und<br />
Organisationen wie Schulen, AWO, VHS etc. Die bereitwillige Zusammenarbeit dieser<br />
Institutionen verdeutlicht, dass auch in den Reihen der Aufnahmegesellschaft ein<br />
großes Unterstützungspotential <strong>für</strong> die Erstorientierungskurse besteht. So konnten<br />
insbesondere Köln und Oberhausen/Mülheim auch deutsche sowie bildungsbezogene<br />
Institutionen, Organisationen und Vereine <strong>für</strong> die Durchführung der Erstorientierungskurse<br />
gewinnen.<br />
41
In diesem Zusammenhang ist die Idee eines „symbolischen Ortswechsels“ als ausbaufähig<br />
zu bewerten. Hiernach sollen die Orientierungskurse anfangs in den Räumlichkeiten<br />
von vertrauten Organisationen (z.B. Moscheevereine) und mit zunehmender<br />
Bekanntheit der Kurse in einheimischen Institutionen und Organisationen stattfinden.<br />
Auch die Vernetzung mit den staatlichen Sprach- und <strong>Integration</strong>skursen stellte<br />
eine erfolgreiche Strategie zur Gewinnung von Teilnehmern und Teilnehmerinnen<br />
dar. Insbesondere konnten so auch Neuzugewanderte <strong>für</strong> die Erstorientierungskurse<br />
gewonnen werden. Beide Angebote ließen sich sowohl organisatorisch als auch inhaltlich<br />
gut kombinieren. Für viele Migrantinnen und Migranten aus der Türkei beinhaltete<br />
eine erstsprachliche Erstorientierung zudem eine gute Ergänzung zu den staatlichen<br />
<strong>Integration</strong>skursen.<br />
Als sehr zeit- und arbeitsaufwendig gestaltete sich zumindest <strong>für</strong> die Pilotphase die<br />
Ansprache möglicher Teilnehmender über die Ausländerbehörden der Kommunen.<br />
Die Vorannahme der Projekte, dass mit Hilfe der behördlichen Unterstützung gerade<br />
hier viele Neuzugewanderte zu erreichen und <strong>für</strong> die Erstorientierungskurse zu gewinnen<br />
seien, bestätigte sich nicht. Allerdings zeigten die Vernetzungsbemühungen mit<br />
der Ausländerbehörde bereits im Projektverlauf kleine Erfolge.<br />
Als besonders enttäuschend gestaltete sich die Zusammenarbeit mit der deutschen<br />
Presse. Zu vermuten ist, dass im Zuge der Islamdebatte (Ehrenmorde, Zwangsheirat)<br />
und den damit verbundenen negativen Berichten, positive Nachrichten über erfolgreiche<br />
<strong>Integration</strong>sbemühungen der türkischen Migrationsbevölkerung in Deutschland<br />
nicht in das Konzept vieler Zeitungen passten. Im Gegensatz dazu zeigte sich die türkische<br />
Presse sehr interessiert und kooperativ.<br />
Die Zusammenarbeit mit Multiplikatoren ist jedoch noch in einigen Bereichen zu intensivieren.<br />
Die Projekterfahrungen zeigten deutlich, dass in Anbetracht des hohen Gesprächs-<br />
und Beratungsbedarfs vieler Frauen eine stärkere Verzahnung mit Angeboten<br />
im Bereich psychosozialer und familiärer Beratung notwendig ist und zwar unabhängig<br />
vom Einreisedatum der Teilnehmenden.<br />
Auch erscheint aufgrund der sozialen Heterogenität der Gruppe der (Neu)Zugewanderten<br />
aus der Türkei eine weiterführende Kooperation mit bildungs- und berufsbezogenen<br />
Angeboten sehr erforderlich. Insbesondere gut ausgebildete und berufsorientierte<br />
Frauen und Männer fordern detailliertes Wissen in Bezug auf Möglichkeiten des<br />
beruflichen Einstiegs und Aufstiegs.<br />
Empfehlung<br />
• Zukünftig ist das Netzwerk im <strong>Integration</strong>s- und Migrationsbereich in ländlichen<br />
Bereichen verstärkt auszubauen.<br />
• Die Zusammenarbeit mit deutschen Institutionen sollte intensiviert werden, um die<br />
institutionelle <strong>Integration</strong> türkischer Migranten und Migrantinnen zu fördern. Hierzu<br />
bietet sich beispielsweise das Konzept des „symbolischen Ortes“ an.<br />
• Die Zusammenarbeit mit den Ausländerbehörden ist langfristig anzustreben.<br />
• Auch die Kooperation mit den staatlichen <strong>Integration</strong>skursen bietet ein großes Potential<br />
<strong>für</strong> die Ansprache von Neuzugewanderten.<br />
• Information und Akquisition der Zielgruppe sollte verstärkt über die türkische<br />
42
Presse erfolgen. Hier besteht die Möglichkeit, über Zeitungsartikel, Radiosendungen<br />
oder Fernsehberichte ein breites Publikum anzusprechen.<br />
• Erstorientierungskurse sind stärker mit Beratungsangeboten im psychosozialen<br />
und familiären Bereich zu verzahnen.<br />
• Eine vertiefte Zusammenarbeit mit Angeboten der beruflichen (Weiter)Bildung<br />
sowie mit Maßnahmen zur beruflichen <strong>Integration</strong> sind anzuraten<br />
10.3 Organisation und Durchführung von Erstorientierungskursen<br />
Der Beginn der Pilotphase lag sehr ungünstig in den Sommerferien. Zudem wurden<br />
zentrale Projektschritte insbesondere die Akquisition und die Vernetzung der Projekte<br />
durch den Ramadan im Oktober behindert. Nach anfänglichen Schwierigkeiten konnten<br />
jedoch von allen Projekten insgesamt 413 Migrantinnen und Migranten aus der<br />
Türkei <strong>für</strong> die Erstorientierungskurse gewonnen werden.<br />
Auch wenn es sich bei den Teilnehmenden faktisch kaum um die Zielgruppe des Programms<br />
handelte, sondern um Personen, die bereits länger als drei Jahre in Deutschland<br />
leben, verdeutlicht das Potential interessierter Personen und die Begeisterung<br />
der verschiedenen Kooperationspartner und Multiplikatoren, dass es sich bei den<br />
Erstorientierungskursen um eine überzeugende und dringend benötigte Maßnahme<br />
handelt, welche nachdrücklich gewünscht und angenommen wurde.<br />
Die Projekte verfügten über sehr unterschiedliche personelle, räumliche und konzeptionelle<br />
Rahmenbedingungen und Ausgangssituationen. Dementsprechend wurden die<br />
Kurse auf vielfältige Weise umgesetzt. Die Organisation der Kurse hing maßgeblich von<br />
den lokalen Besonderheiten des Trägers, den personellen und räumlichen Ressourcen<br />
des Projektes, der Zusammenarbeit mit Kooperationspartnern und Multiplikatoren sowie<br />
den organisatorischen, inhaltlichen und persönlichen Bedürfnissen und Interessen<br />
der Kursteilnehmenden ab.<br />
Sowohl von den Teilnehmenden als auch von den Multiplikatoren und Kooperationspartnern<br />
der Projekte wurde besonders positiv hervorgehoben, dass die Kurse eine<br />
niedrige Hemmschwelle aufweisen. Diesbezüglich wurden insbesondere der erstsprachliche<br />
Unterricht, die Durchführung in bekannten und wohnortnahen Räumen<br />
sowie die geschlechtshomogene Kursstruktur genannt. Besonders gut wurden von<br />
den Teilnehmenden familienbezogene Angebote wie Ausflüge und themenbezogene<br />
Informationsveranstaltungen aufgenommen.<br />
Zudem zeigte ein großer Teil der Teilnehmer und Teilnehmerinnen Interesse und Motivation<br />
an anschließenden Deutschkursen teilzunehmen. Den Projekten gelang es<br />
häufig, dieses Anliegen zu berücksichtigen indem interessierte Personen an trägerinterne<br />
Deutschkurse weitergeleitet oder über entsprechende Angebote in der Kommune<br />
beraten wurden.<br />
Viele der Teilnehmenden bevorzugten geschlechtshomogene Kurse. Allerdings wurde<br />
zugleich auch eine hohe Bereitschaft festgestellt, mit dem anderen Geschlecht in einen<br />
konstruktiven Dialog zu treten. So stellte der Austausch mit männlichen Dozenten<br />
<strong>für</strong> Frauen keine Hürde dar. Ferner konnten auch einige geschlechtsheterogene Kurse<br />
43
ohne Probleme durchgeführt werden. Geschlechtsheterogene Kurse wurden über<br />
die von den meisten Trägern ebenfalls durchgeführten staatlichen <strong>Integration</strong>skursen<br />
etabliert. Hierbei war es hilfreich, Personen direkt anzusprechen, die bereits über die<br />
<strong>Integration</strong>skurse bekannt waren. Insgesamt zeigte sich, dass eine niedrige Hemmschwelle<br />
z.B. durch das Angebot von reinen Frauenkursen zwar sehr bedeutsam ist,<br />
jedoch nicht überbewertet werden sollte.<br />
Die häufig vertretene Annahme „je niedriger (hierbei) die Schwelle ist, welche Frauen<br />
überwinden müssen, um an einem Frauenkurs teilzunehmen, je weniger Unbekanntes<br />
dort auf sie wartet, desto eher werden sie kommen“ (Bartels 2006, S. 6), trifft ebenfalls<br />
nur teilweise zu. So konnten im Projektverlauf im Sinne des „symbolischen Ortes“<br />
zunehmend auch Kurse in Institutionen der Aufnahmegesellschaft durchgeführt<br />
werden.<br />
Von den Kursteilnehmenden wird vor allem eine Weiterführung und Verbreitung der<br />
Kurse sowie eine Vertiefung der Kursthemen gefordert und angeregt. Um einerseits<br />
diesem Bedarf gerecht zu werden und andererseits die mittlerweile hohe Bekanntheit<br />
und gute Vernetzung der Projekte weiterhin optimal zu nutzen, ist die Fortsetzung der<br />
Erstorientierungskurse dringend anzuraten.<br />
Die Befragung der Teilnehmer und Teilnehmerinnen ergab, dass die Modulthemen und<br />
-inhalte meist in sehr hohem Maße in den Kursen vermittelt wurden. Auffällig waren<br />
jedoch leichte Informationslücken und inhaltliche Unsicherheiten bei Modulinhalten<br />
wie rechtliche Fragen, finanzielle Vorsorge und die Möglichkeiten politischer Partizipation.<br />
Hier wird vermutet, dass <strong>für</strong> viele Teilnehmerinnen Fragen zu Familie, Erziehung<br />
und Beruf vordergründiger waren als Fragen, die das politische Leben in Deutschland<br />
thematisieren. Auch beantworteten viele Kursteilnehmenden die Frage nach dem<br />
Verständnis von Gleichberechtigung und Demokratie in Deutschland noch sehr indifferent.<br />
Anzunehmen ist, dass diese relativ abstrakten Begrifflichkeiten <strong>für</strong> einige Befragte<br />
eine Verständnisbarriere darstellten. Ein an Alltagsthemen orientierter, praktischer<br />
Unterricht sprach die Teilnehmenden stärker an als theoretische Kursabschnitte, so<br />
auch die Berichte der befragten Lehrkräfte und die Ergebnisse der Unterrichtsbeobachtungen.<br />
Empfehlung<br />
• Für die erfolgreiche Durchführung von Erstorientierungskursen sind Ferien- und<br />
Festtage (z.B. Ramadan) zu berücksichtigen.<br />
• Das Konzept des „symbolischen Ortes“ ist stärker einzubauen, um die Mobilitätsbereitschaft<br />
zu fördern und Handlungskompetenzen in der Aufnahmegesellschaft zu<br />
erproben und zu stützen.<br />
• Es können sowohl geschlechtsheterogene als auch geschlechtshomogene Kursstrukturen<br />
angeboten werden. Hierzu sind weitere Innovationen zu erarbeiten (z.B.<br />
modulbezogene Gruppentrennung, Teamteaching durch Dozent und Dozentin).<br />
• Theoretische Kursinhalte wie Recht, Staat und Finanzen sollten möglichst alltagsnah<br />
vermittelt werden.<br />
44
10.4 Zielgruppen von Erstorientierungskursen<br />
Die Kursteilnehmenden werteten die Erstorientierungskurse als äußerst sinnvolles<br />
und hilfreiches Angebot. Für die meisten Befragten stellten die Kurse einen persönlichen<br />
Gewinn und eine große Unterstützung <strong>für</strong> ihren Lebensalltag dar. Dies zeigt sich<br />
nicht nur in den zahlreichen positiven Äußerungen der Befragten. Auch die Lehrkräfte<br />
berichteten davon, dass Kursteilnehmende häufig sehr dankbar und emotional auf die<br />
Orientierungsmaßnahme reagierten. Demnach wurde während der Pilotphase vor Ort<br />
ein umfassender Bedarf bei der Zielgruppe geweckt.<br />
Insgesamt wurden mit den Erstorientierungskursen nur wenige Neuzugewanderte (25<br />
%) und überwiegend „sonstige Zugewanderte“ (75 %) erreicht. Neuzugewanderte aus<br />
der Türkei bilden eine sehr heterogene Gruppe. Neben Zugewanderten aus verschiedenen<br />
Migrationsgründen (Asyl, Erwerbstätigkeit, Familienzusammenführung) beinhaltet<br />
das Mosaik Migranten und Migrantinnen aus der Türkei auch diverse ethnische<br />
Minderheiten (vgl. Kronstein 1995). Weiterhin unterscheiden sich einreisende Personen<br />
hinsichtlich ihrer Herkunftsregion, Religion, Altersgruppe, Aus- und Schulbildung,<br />
Berufserfahrung etc. (vgl. Hiebinger/Weikert 1995). Der größte Teil der Neuzugewanderten<br />
aus der Türkei reist allerdings aufgrund der Familienzusammenführung nach<br />
Deutschland ein. Die meisten Personen aus der Türkei sind – und zwar geschlechtsunabhängig<br />
– Heiratsmigrantinnen und -migranten, also solche, die in persönlichen<br />
Bezügen in Deutschland ankommen und bereits eine funktionierende türkisch orientierte<br />
Infrastruktur (Familie, Community) in Deutschland vorfinden (vgl. Strassburger<br />
2002). Familie sowie lokale türkische Gruppen und Angebote beinhalten aber nicht<br />
automatisch eine ausreichende Orientierungshilfe in der neuen Gesellschaft, sondern<br />
umfassen häufig vor allem Angebote der Konsumption und Religionsausübung. Andere<br />
Gesellschaftsaspekte werden vernachlässigt und sind häufig unverständlich. Für viele<br />
Neuzuwanderer scheint eine aktive Auseinandersetzung mit der Aufnahmegesellschaft<br />
erst nach mehreren Jahren stattzufinden oder möglich zu sein – dies gilt nicht<br />
nur <strong>für</strong> zugewanderte Frauen in der Familienphase.<br />
Eine gezielte <strong>Integration</strong> der zugezogenen Bevölkerung wurde in Deutschland über<br />
Jahrzehnte weitgehend vernachlässigt. Die starke Kursteilnahme von Menschen, die<br />
bereits seit einigen Jahren in Deutschland leben, verdeutlicht, dass innerhalb der Migrantenbevölkerung<br />
der dringende Wunsch nach Orientierungs- und <strong>Integration</strong>shilfen<br />
besteht. Diese Gruppe sollte daher ebenfalls an Angeboten der Erstorientierung (im<br />
Sinne einer nachholenden <strong>Integration</strong>) partizipieren können. Dies bestätigten auch<br />
die Ergebnisse der Kursevaluation. Ältere Teilnehmende verfügten zwar über etwas<br />
mehr Wissen in Bezug auf die Einwanderungsgesellschaft, weisen aber dennoch einen<br />
Bedarf an (Erst)Orientierung in verschiedenen Bereichen (insbesondere hinsichtlich<br />
politischer und rechtlicher Möglichkeiten) auf. Insgesamt weisen Neuzuwanderinnen<br />
und Migrantinnen, die bereits seit mehreren Jahren in Deutschland leben, in einigen<br />
Bereichen vergleichbare Schwierigkeiten, Bedürfnisse und Interessen auf.<br />
Mit den Erstorientierungskursen wurden trotz der erwarteten Hindernisse – Familienphase<br />
und kulturelle Gegebenheiten – überwiegend Frauen erreicht (N=322) und nur<br />
ein geringer Anteil Männer (N=91). Im Vorfeld hatten alle Projekte erwartet und sich<br />
auch konzeptionell entsprechend vorbereitet, dass es insbesondere <strong>für</strong> Frauen aus<br />
45
geschlechtsspezifischen und kulturellen Gründen besonderer Maßnahmen bedarf, um<br />
ihnen eine Teilnahme zu ermöglichen (Kinderbetreuung, geschlechtshomogene Kurse,<br />
geschützte Räumlichkeiten etc.).<br />
Ein hoher Anteil der Frauen wurde über bereits bestehende Frauengruppen in Migrantenselbstorganisationen<br />
(Moscheevereine, alevitische Vereine etc.) erreicht. In<br />
Moscheen wurden die meisten geschlechtshomogenen Frauenkurse eingerichtet und<br />
durchgeführt. Ein Vorteil <strong>für</strong> die Projekte lag darin, dass in vielen Moscheen bereits<br />
Frauengruppen bestanden (z.B. Frauengesprächskreise), die dann kollektiv <strong>für</strong> die Kurse<br />
gewonnen wurden. Die Akquisition erfolgte daher <strong>für</strong> eine ganze Gruppe und nicht<br />
individuell. Männer-Kurse ergaben sich allerdings überraschenderweise in diesem<br />
Kontext nicht.<br />
Die Akquisition männlicher Migranten gestaltete sich entgegen der Vorannahmen der<br />
Projekte problematischer als die der weiblichen. Festzuhalten ist, dass die geringere<br />
Teilnahme von Männern an integrativen Maßnahmen kein unbekanntes Phänomen<br />
darstellt. Auch in Sprach- und <strong>Integration</strong>skursen sind Männer in der Regel unterrepräsentiert<br />
(vgl. Schönwälder u.a. 2005; <strong>Landesregierung</strong> Schleswig-Holstein 2005). 16<br />
Die Anbieter dieser Sprach- und <strong>Integration</strong>skurse vermuten – ähnlich wie die <strong>für</strong> die<br />
Erstorientierungskurse zuständigen Projekte – hinter der unterschiedlichen Partizipation<br />
von zugewanderten Frauen und Männern geschlechtsspezifische Differenzen in<br />
Bezug auf die Interessen, Bedürfnisse und selbst festgestellten Bedarfe sowie die mit<br />
der Teilnahme an den Kursen verbundenen Ziele. 17 Diese Vermutungen konnten aber<br />
im Verlauf der in Schleswig-Holstein durchgeführten Gender Analyse der staatlichen<br />
<strong>Integration</strong>skurse nicht bestätigt werden. Allerdings unterscheiden sich die Gründe<br />
von Männern und Frauen, warum sie bisher an keinem Sprach- oder <strong>Integration</strong>skurs<br />
teilgenommen haben. Die Hauptgründe von Frauen umfassen die hohe Belastung im<br />
Haushalt (48%), die Kosten eines Kurses (36%), die weite Entfernung zum Kursort<br />
(30%), sowie Schwierigkeiten mit der Kinderbetreuung (27%). Für Männer stellten die<br />
hohen Kosten (28%), Erwerbstätigkeit (25%) sowie die weite Entfernung zum Kursort<br />
(18%) Hindernisse dar. Nur <strong>für</strong> 19% der Frauen und <strong>für</strong> 16% der Männer war die geschlechtsheterogene<br />
Kursstruktur eine Teilnahmebarriere (<strong>Landesregierung</strong> Schleswig-Holstein<br />
2005, S. 14).<br />
Trotz der hohen Übereinstimmung in der Partizipationsmotivation von Migranten und<br />
Migrantinnen an Sprach- und <strong>Integration</strong>skursen wird von Schönwälder u. a. (2005)<br />
jedoch das Fazit gezogen, dass „einige Anzeichen da<strong>für</strong> sprechen, dass Männer in stärkerem<br />
Maße durch die Ausübung einer Erwerbstätigkeit vom Besuch eines Sprachkurses<br />
abgehalten werden“. Ein Viertel der in der Studie befragten Männer gab an, in der<br />
Vergangenheit lieber Geld verdient anstatt an einem Deutschkurs teilgenommen zu<br />
haben.<br />
16 Die Beteiligungsquote von Frauen beträgt in Sprach- und <strong>Integration</strong>skursen in Deutschland etwa zwei Drittel<br />
oder mehr (vgl. Schönwälder u.a. 2005. S. 45).<br />
17 Die Ergebnisse der Gender Analyse von staatlichen <strong>Integration</strong>skursen in Schleswig-Holstein zeigten aber,<br />
dass sich Männer und Frauen in der Einschätzung ihrer Deutschkenntnisse kaum unterscheiden und dass die Ziele, die<br />
mit dem Besuch eines Deutschkurses verfolgt werden, bei Frauen und Männern nahezu gleich sind. Männer und Frauen<br />
lernen demnach insbesondere Deutsch, um ihre Chancen in der Arbeitswelt verbessern und sich auf Ämtern besser<br />
verständigen zu können (vgl. <strong>Landesregierung</strong> Schleswig-Holstein 2005, S. 11-14).<br />
46
Für Männer scheinen andere Hürden zu existieren, an (Erst)Orientierungsmaßnahmen<br />
teilzunehmen, als <strong>für</strong> Frauen. Die männerspezifischen Teilnahmehürden und entsprechende<br />
Förderangebote zum Abbau dieser Hürden sind noch genauer auszuloten (vgl.<br />
Kap. 6.6.). Einerseits muss potentiellen männlichen Teilnehmern offenbar der Nutzen<br />
und die Wichtigkeit einer Erstorientierung stärker verdeutlicht werden als Frauen.<br />
Andererseits ist auf die tatsächliche oder be<strong>für</strong>chtete Schwierigkeit der Männer, die<br />
Erstorientierungskurse zeitlich und sozial nicht mit einer Erwerbsarbeit und -orientierung<br />
in Einklang bringen zu können, einzugehen.<br />
Weiterhin sollten integrative Maßnahmen der Pluralisierung von Lebensmustern, der<br />
Vielschichtigkeit von <strong>Integration</strong>sprozessen und einer weitgehend veränderten Migrationslandschaft<br />
in Deutschland Rechnung tragen, indem sich Kursangebote bedarfsgerecht<br />
und zielgruppenspezifisch ausdifferenzieren.<br />
Auch im Hinblick auf Geschlechtsrollenvorstellungen ergab sich kein eindeutiges Bild.<br />
Es zeigte sich vor allem eine Polarisierung der Teilnehmerinnen hinsichtlich der Erziehungsverantwortlichkeiten<br />
von Frauen und Männern sowie der Bedeutung von Berufstätigkeit<br />
<strong>für</strong> Männer und Frauen. Die Projekterfahrungen belegen, dass sich die Gruppe<br />
der Teilnehmerinnen in Frauen mit hoher Bildung und beruflichen Ambitionen und in<br />
solche mit stärkerer Familienbindung differenzieren lässt. Auch die Teilnehmerinnenbefragung<br />
bestätigt diese Erfahrung. Die Gruppe der türkischen Teilnehmerinnen mit<br />
höherem Bildungsabschluss (26 %) und die mit geringerem Bildungshintergrund (60<br />
%) unterschieden sich hinsichtlich ihrer partnerschaftlichen Vorstellungen, ihrem Wissen<br />
in Bezug auf Berufseinstieg, soziale und finanzielle Versorgung signifikant voneinander.<br />
Die Erfahrungen der Projekte decken sich zumindest tendenziell mit den Ergebnissen<br />
Schönwälder u.a. (2005). In der Studie zum Spracherwerb von Neuzugewanderten<br />
stellte sich heraus, dass in Frauengruppen vermutlich eine stärkere Polarisierung hinsichtlich<br />
der bildungsbezogenen Eingangsvoraussetzungen existiert als bei Männern.<br />
Neuzuwanderinnen sind demnach sowohl in der Gruppe, in der überdurchschnittliche,<br />
als auch in derjenigen, in der unterdurchschnittliche Lernerfolge erzielt werden, überpräsentiert.<br />
Diese Ausdifferenzierung der Frauen ergab sich in den hier beschriebenen Pilotprojekten<br />
hauptsächlich über die projektspezifischen Rahmenbedingungen und über<br />
die unterschiedlichen Profile der jeweiligen Kooperationspartner. Die Teilnehmerinnenstruktur<br />
variiert dementsprechend je nach Akquisitionsstrategie (z.B. über<br />
bestehende Gruppen, individuell) und dem Ort der Durchführung. Bildungsorientierte<br />
Frauen wurden stärker über bildungsbezogene Institutionen angesprochen. Ihr Informationsbedürfnis<br />
ging dabei deutlich über eine Erstorientierung hinaus. Ihr Ziel war<br />
eine möglichst reibungslose und zügige berufliche <strong>Integration</strong> sowie finanzielle Selbstständigkeit<br />
und Unabhängigkeit. Diese Teilnehmerinnen wünschten sich einen eher<br />
theoretischen Unterricht sowie fachlich gut qualifizierte Lehrkräfte. Teilnehmerinnen<br />
mit geringerem Bildungshintergrund zeigten hingegen ein stärkeres Interesse an sozialen<br />
Beratungsangeboten sowie Informationen im Bereich Familie und Erziehung. Bei<br />
diesen Teilnehmerinnen dominierte in den Kursen das Bedürfnis, belastende Alltagserlebnisse<br />
und Migrationserfahrungen im Gespräch zu bearbeiten, sich diesbezüglich<br />
auszutauschen und Lösungsstrategien <strong>für</strong> persönliche Problemlagen – insbesondere<br />
47
im familiären Bereich – zu entwickeln. Viele dieser Teilnehmerinnen kannten sich bereits<br />
vor Beginn der Kurse aus anderen Angeboten (z.B. Gesprächskreise) und wurden<br />
überwiegend über Migrantenorganisationen akquiriert. Für diese Frauen war es wichtig,<br />
dass eine angenehme Atmosphäre im Kurs vorherrscht. Die Lehrkräfte stellten<br />
sich zum Teil auf sehr schwierige Lebenssituationen im Kursgeschehen ein, indem<br />
Raum <strong>für</strong> Gespräche und Entspannung eingeplant wurde. Der hohe Informations- und<br />
Gesprächsbedarf ist bei familienorientierten Themen wie Scheidung, Gewalt in der<br />
Familie etc. auffällig.<br />
Auch Studien und Praxisberichte aus der Bildungs- und Beratungsarbeit mit türkischen<br />
Migrantinnen zeigen, dass Beratung und Unterstützung <strong>für</strong> (Neu)Zugewanderte<br />
nicht nur in sozialen und beruflichen Fragen und im (Aus-) Bildungsbereich nötig<br />
sind, sondern vor allem in Bezug auf familiäre Schwierigkeiten (vgl. Kronstein 1995).<br />
Der Erfahrungsbericht von Hansen/Karabiber-Ertuğrul (1995) mit Selbsthilfegruppen<br />
<strong>für</strong> türkische Migrantinnen verdeutlicht, dass Themen wie Heirat, Partnerschaft und<br />
Beziehungen <strong>für</strong> die Zielgruppe von zentraler Bedeutung sind. Neben der generellen<br />
migrationsbedingten Neuorientierung in Deutschland erfolgt also insbesondere auch<br />
eine Phase der familiären Neubestimmung (vgl. Herwartz-Emden 2000), die z. T. noch<br />
Jahre nach der Einwanderung emotionale und identifikatorische Schwierigkeiten mit<br />
sich bringt.<br />
Die Ergebnisse legen den Schluss nahe, dass ein gewisser Leidensdruck der Frauen<br />
zwar einerseits den Willen zur Veränderung und Entwicklung weckt, ihre hohe alltägliche<br />
Belastung aber oft so vordringlich ist, dass Angebote nur unregelmäßig und<br />
unkonzentriert wahrgenommen werden. Dies spiegelt sich nicht nur in ihrem hohen<br />
Interesse an Beratungsangeboten und weiterführenden Maßnahmen, sondern auch in<br />
der hohen Fluktuation in den Kursen und ihrer Unverbindlichkeit wider. Die Gruppe der<br />
Migrantinnen wird von den Multiplikatoren und Kooperationspartnern als ambivalent<br />
beschrieben. Sie seien sowohl bildungsbezogen, neugierig und zukunftsorientiert als<br />
auch in hohem Maße psychosozial belastet, häufig unverbindlich, wenig zuverlässig<br />
und zudem oft nur in geringem Umfang selbst motiviert. Insgesamt zeigten die Projekterfahrungen,<br />
dass türkische Migrantinnen eine hohe Motivation aufweisen, an integrativen<br />
Angeboten teilzunehmen. Die Frauen möchten sich – innerhalb ihrer individuellen<br />
Möglichkeiten – persönlich weiterentwickeln, das eigene Leben selbstständig<br />
positiv gestalten und sich auch mit „Gleichgesinnten“ über Probleme austauschen. Ziel<br />
vieler Frauen ist es, sowohl auf ihr zukünftiges Leben in Deutschland Einfluss nehmen<br />
zu können als auch die migrationsbedingten Schwierigkeiten in ihrem Leben aufzuarbeiten.<br />
Empfehlung<br />
• Zielgruppenspezifische Bedarfsanalysen sind vorzuschalten.<br />
• Die Familien der Teilnehmenden könnten aktiv über gemeinsame Ausflüge, Gastvorträge<br />
etc. in das Kursprogramm mit einbezogen werden.<br />
• Insgesamt sollten Familien und ihr soziales Umfeld stärker über die Kurse informiert<br />
und aufgeklärt werden. Eventuelle Bedenken gegenüber den Erstorientierungskursen<br />
von Familienangehörigen konnten durch eine genaue Erläuterung der Erstorientierungskurse<br />
zerstreut werden.<br />
48
• Die Gruppe der Migranten und Migrantinnen aus der Türkei ist zu differenzieren.<br />
Die Erfahrungen der Projekte legen z.B. spezielle Angebote <strong>für</strong> Frauen mit hohem<br />
Bildungshintergrund und Berufserfahrungen nahe.<br />
• Veränderte Ansprachestrategien (Stichpunkt: Erwerbsarbeit) sind <strong>für</strong> Männer zu<br />
entwickeln.<br />
49
11. Literaturliste und Internetadressen<br />
• Bartels, Romy: Niedrigschwellige Sprachförderung. Spezielle Angebote <strong>für</strong> Frauen.<br />
In: AID, Heft 1, 2006, S. 6.<br />
• Beauftragte der Bundesregierung <strong>für</strong> Migration, Flüchtlinge und <strong>Integration</strong>: Almanya<br />
Için El Kitabı. Ein Handbuch <strong>für</strong> Deutschland. Berlin 2003. (deutsch-türkisch).<br />
• Büttner, Christian/Kunz, Thomas/Nagel, Helga: Ankommen in Frankfurt. Orientierungskurse<br />
als kommunales Angebot <strong>für</strong> Neuzuwanderer. Frankfurt 2004.<br />
• Gruber, Sabine: Empfehlungen <strong>für</strong> die Durchführung der sozialen <strong>Integration</strong>skurse<br />
<strong>für</strong> Spätaussiedler und Spätaussiedlerinnen, jüdische Kontingentflüchtlinge, anerkannte<br />
Asylberechtigte sowie Ausländer mit einem auf Dauer angelegtem Aufenthaltsstatus.<br />
2002. www.bezreg-arnsberg.nrw.de/kfi<br />
• Feil, Robert/Hesse, Wolfgang (Hg.): Miteinander leben. Unterrichtsmaterial <strong>für</strong><br />
Sprach- und Orientierungskurse. Stuttgart 2006.<br />
• Herwartz-Emden L. (Hg.): Einwandererfamilien, Geschlechterverhältnisse, Erziehung<br />
und Akkuluration. Osnabrück 2000.<br />
• Hiebinger, Cora/Weikert, Aurelia: Deutschkurse mit Migrantinnen aus der Türkei –<br />
Erfahrungen und Konzepte. In: Miteinander Lernen (Hg.): Frauen im Fremdland. Bildungsarbeit,<br />
Beratung und Psychotherapie mit Migrantinnen. Wien 1995, S. 88-98.<br />
• König, Joachim: Einführung in die Selbstevaluation. Ein Leitfaden zur Bewertung der<br />
Praxis Sozialer Arbeit. Freiburg 2000.<br />
• Kronstein, Ruth: „Wenn die Worte fehlen, muss der Körper sprechen“. Bewältigung<br />
und Hintergründe der Arbeitsmigration als psychische Krise. In: Miteinander Lernen<br />
(Hg.): Frauen im Fremdland. Bildungsarbeit, Beratung und Psychotherapie mit Migrantinnen.<br />
Wien 1995, S. 154-203.<br />
• <strong>Landesregierung</strong> Schleswig-Holstein: <strong>Integration</strong>skurse: Gleicher Zugang <strong>für</strong> Männer<br />
und Frauen? 2005. www.landesregierung.schleswig-holstein.de<br />
• Ministerium <strong>für</strong> Generation, Familie, Frauen und <strong>Integration</strong> des Landes Nordrhein-<br />
Westfalen: Zahlenspiegel Ausgabe 2003/2004. Zuwanderungsstatistik NRW. www.<br />
integration.nrw.de<br />
• Schönwälder, Karen/Söhn, Janina/Michalowski, Ines: Sprach- und <strong>Integration</strong>skurse<br />
<strong>für</strong> MigrantInnen: Erkenntnisse über ihre Wirkung aus den Niederlanden, Schweden<br />
und Deutschland. Berlin 2005.<br />
• Sanders, James R. (Hg.): Handbuch der Evaluationsstandards. Die Standards des<br />
„Joint Committee on Standards for Educational Evaluation“. Opladen 2000.<br />
• Strassburger, Gaby: Das Heiratsverhalten von Personen ausländischer Nationalität<br />
oder Herkunft in Deutschland. In: Sachverständigenkommission zum 6. Familienbericht<br />
(Hg.): Familien ausländischer Herkunft in Deutschland. 2000, S. 9-48.<br />
• Statistisches Bundesamt Deutschland: www.destatis.de<br />
50
• Uhl, Katrin/Ulrich, Susanne/Wenzel, Florian (Hg.): Evaluation politischer Bildung.<br />
Ist Wirkung messbar? Gütersloh 2004.<br />
• Westphal, Manuela/Kanne, Astrid: Gender Mainstreaming in Kompasskursen. Ergebnisse<br />
eines Pilotprojektes. Schriftenreihe des <strong>Kompetenzzentrum</strong>s <strong>für</strong> <strong>Integration</strong>.<br />
<strong>Band</strong> 1, 2009. www.bezreg-arnsberg.nrw.de/kfi<br />
• Westphal, Manuela/ Niebuhr, Britta: Evaluationsbericht: „Sozialtrainings <strong>für</strong> türkische<br />
Migrantinnen und Migranten“. Osnabrück 2006. www.bezreg-arnsberg.nrw.<br />
de/kfi<br />
• Westphal, Manuela: Migration und Genderaspekte. Bundeszentrale <strong>für</strong> politische<br />
Bildung 2004. Bundeszentrale <strong>für</strong> politische Bildung www.bpb.de<br />
• Zuwanderungsgesetz, ZuWG Deutschland: www.aufenthaltstitel.de/stichwort/<br />
Zuwg.html<br />
51
Herausgeber<br />
Bezirksregierung Arnsberg<br />
Dezernat 36 - <strong>Kompetenzzentrum</strong> <strong>für</strong> <strong>Integration</strong><br />
Seibertzstr. 1, 59821 Arnsberg<br />
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