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Formale oder materiale Topik? - KOPS - Universität Konstanz

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Erstes Kapitel<br />

Die ‘formale <strong>Topik</strong>’<br />

Ein Ausgangspunkt für eine Aktualisierung der <strong>Topik</strong><br />

Conrad Wiedemann geht bei seinem Aktualisierungsversuch der <strong>Topik</strong> als einer<br />

„Vorschule der Interpretation“ 1 von dem „leidigen Wahrscheinlichkeitscharakter der<br />

meisten unserer Aussagen“ 2 aus, die innerhalb der Literaturwissenschaft (und den im<br />

weiteren Sinne hermeneutischen Wissenschaften) getroffen werden können.<br />

In diesem „relativen Gewißheitsgrad“ 3 dürften, wie er ausführt, „Glanz und Elend un-<br />

serer Fächer [...] zu gleichen Teilen verwurzelt sein“ 4 . Dies sei „die philologische All-<br />

tagserfahrung, <strong>oder</strong> genauer noch: unsere alltägliche wissenschaftliche Anfechtung“ 5 , die<br />

- so Wiedemann - vermutlich so alt sei wie die „aristotelische Unterscheidung 6 eines<br />

apodiktischen und eines dialektischen Schlußverfahrens“ 7 .<br />

Wiedemann spricht vom „Trauma eines schwankenden Selbstwertgefühls“ 8 ange-<br />

sichts des ‘Wahrscheinlichkeitscharakters’ der hermeneutischen Wissenschaften gegen-<br />

über den apodiktischen, exakten Wissenschaften: „wir spüren [...], wie groß die Gel-<br />

1<br />

Wiedemann, Conrad: <strong>Topik</strong> als Vorschule der Interpretation. Überlegungen zur Funktion von Toposkatalogen,<br />

in: <strong>Topik</strong>. Beiträge zur interdisziplinären Diskussion, hrsg. von Dieter Breuer/Helmut Schanze,<br />

München 1981, 233–255, hier: S. 233. (nachfolgend zit. als: Wiedemann, <strong>Topik</strong> als Vorschule)<br />

2<br />

ebd., S. 233.<br />

3<br />

ebd.<br />

4<br />

ebd.<br />

5<br />

ebd.<br />

6<br />

Gleich zu Beginn seiner <strong>Topik</strong>-Schrift (Top. I, 1 100a, 32 – 100b, 31) unterscheidet Aristoteles verschiedene<br />

Arten von Schlüssen anhand des Stellenwertes der Prämissen, auf denen sie beruhen: „Es ist nun<br />

eine Demonstration (Apodeixis), wenn der Schluß aus wahren und ersten Sätzen gewonnen wird <strong>oder</strong> aus<br />

solchen, deren Erkenntnis aus wahren und ersten Sätzen entspringt. Dagegen ist ein dialektischer Schluß<br />

ein solcher, der aus wahrscheinlichen Sätzen gezogen wird. Wahre und erste Sätze sind solche, die nicht<br />

erst durch anderes, sondern durch sich selbst glaubhaft sind. Denn bei den obersten Grundsätzen der Wissenschaft<br />

darf man nicht erst nach dem Warum fragen, sondern jeder dieser Sätze muß durch sich selbst<br />

glaubhaft sein. Wahrscheinliche Sätze aber sind diejenigen, die Allen <strong>oder</strong> den Meisten <strong>oder</strong> den Weisen<br />

wahr scheinen, und auch von den Weisen wieder entweder Allen <strong>oder</strong> den Meisten <strong>oder</strong> den Bekanntesten<br />

<strong>oder</strong> Angesehensten. Ein eristischer Schluß (Streitschluß) aber ist ein solcher, der auf nur scheinbar,<br />

nicht wirklich wahrscheinlichen Sätzen fußt, und ein solcher, der auf wahrscheinlichen <strong>oder</strong> scheinbar<br />

wahrscheinlichen Sätzen zu fußen scheint“ (Aristoteles: <strong>Topik</strong>. Organon V, übersetzt und mit Anmerkungen<br />

versehen von Eugen Rolfes, Hamburg 1968, unveränd. Nachdruck der 2. Auflage 1922 [zuerst 1919],<br />

hier: S. 1-2 [nachfolgend zit. als: Übersetzung Rolfes]).<br />

7<br />

Wiedemann, <strong>Topik</strong> als Vorschule, S. 233.<br />

8 ebd., S. 234.<br />

17

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