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GENERATIONplus+ REGION 05<br />
KEIN EINIG VOLK<br />
EIN DEUTSCH-DEUTSCHER RÜCKBLICK IM EX-GRENZGEBIET<br />
[Gp-bsc]. Müssen wieder Vereinte einig sein? Nicht unbedingt! Denn<br />
Einheit, <strong>die</strong> gelingen soll, setzt Einigung voraus. <strong>Sie</strong> kann schwierig<br />
und absturzgefährdet sein wie das gemeinsame Erklimmen eines<br />
Bergs, an dessen Hang <strong>die</strong> Luft dünn ist. Dann werden <strong>die</strong> zeitweiligen<br />
Gipfelstürmer so müde, dass sie eine Höhe, <strong>die</strong> Aus<strong>sich</strong>t erlaubt,<br />
nicht erreichen. Es bleiben nur Abstieg und Mühen der Ebene. So<br />
ähnlich erlebten Bewohner zwischen Göttingen und Halberstadt,<br />
Burg Hanstein und Helmstedt <strong>die</strong> Wegstrecke seit der Grenzöffnung<br />
1989.<br />
Anders als am Nationalfeiertag (14. Juli) in Frankreich, der <strong>sich</strong> auf<br />
französische Revolution und Sturm auf <strong>die</strong> Bastille bezieht, sind am 3.<br />
Oktober und 9. November, den Tagen, <strong>die</strong> in<br />
Deutschland an <strong>die</strong> nationale Einheit, den<br />
Einigungsvertrag und <strong>die</strong> Grenzöffnung<br />
erinnern könnten, keine Tänze auf den Straßen zu erwarten. Gut zwei<br />
Jahrzehnte zuvor überschlugen <strong>sich</strong> Gefühle und Ereignisse vor<br />
allem im Eichsfeld. Viele Obereichsfelder hatten in der Nacht vom 9.<br />
z<strong>um</strong> 10. November 1989 begeistert und überraschend problemlos<br />
den Grenzübergang an der B 247 zwischen Worbis und Duderstadt<br />
passiert – meist im Auto – nachdem sie von der „Reiseerleichterung“<br />
genannten Grenzöffnung erfuhren.<br />
Es gab Hupkonzerte. Wildfremde lagen <strong>sich</strong> in der Armen. Chronisten<br />
erklärten Duderstadt zur „Trabi-Town“. Im katholisch geprägten, weil<br />
vormals kurmainzischen Eichsfeld, das in der DDR-Zeit verstärktem<br />
Druck ausgesetzt war, galt <strong>die</strong> Grenzöffnung als Erfüllung eines<br />
Herzenswunsches und göttliche Fügung. Diesseits der deutsch-deutschen<br />
Grenze gab es zwar <strong>die</strong> Zonenrandförderung. Trotzdem blieb<br />
<strong>die</strong> Region Stiefkind der Republik. Gebäude verfielen. Aber trotz der<br />
insgesamt misslichen Lage waren familiäre und persönliche<br />
Kontakte während der DDR-Zeit nie abgerissen – ein Beziehungsnetz<br />
dank gemeinsamer Kultur und Geschichte.<br />
Die Eichsfelder ließen <strong>sich</strong> nicht unterkriegen. Vor 1989 riskierten<br />
Menschen ihr Leben, gruben sogar Tunnel, unterquerten Mauer und<br />
Stacheldraht, <strong>um</strong> ein freieres Leben führen zu können. Doch schon<br />
bald nach dem November 1989 zeigte <strong>sich</strong> auch <strong>die</strong> Kehrseite der<br />
ZEIT DER HOFFNUNGEN<br />
Medaille. Vorher grenznahe „Landschaften“ erblühten nur kurz und<br />
kommerziell. Was in der DDR fehlte oder unbezahlbar war, wurde<br />
z<strong>um</strong> Kauf angeboten: neue Fernsehgeräte und Kühlschränke standen<br />
in Reih und Glied unweit vom früheren Todesstreifen am<br />
Straßenrand.<br />
Es war <strong>die</strong> Zeit der Hoffnungen und des Begrüßungsgelds, der<br />
Werbezettel an Kirchtüren, fliegender Händler, <strong>die</strong> Geschäfte witterten,<br />
der Großunternehmer, <strong>die</strong> neue Märkte entdeckten – später<br />
auch <strong>die</strong> Zeit der „Treuhand“, <strong>die</strong> manchmal Grundstücke für eine<br />
Mark erwarb. Während Jüngere im Westen ihr Glück suchten, wuchs<br />
bei Älteren <strong>die</strong> Angst vor Auswüchsen der Freiheit. Verlorene<br />
Arbeitsplätze waren allein durch verlängerte<br />
Werkbänke einiger Großunternehmen nah<br />
der früheren Grenze nicht zu ersetzen.<br />
Manche Regionen bluteten aus. Wer aber als Älterer ohne Ver -<br />
bindungen auf Arbeitsplatzsuche ging, scheiterte häufig.<br />
In der DDR Sozialisierte hatten an der Wende großen Anteil. Darauf<br />
waren und sind sie stolz. Was sie während der Wendezeit vermissten:<br />
dass Ossis und Wessis achtsam voneinander lernten, gemeinsam<br />
Wandlung anstrebten. Der Vertrag, der Deutschland einen sollte,<br />
unterzeichnet am 3. Oktober 1990, bleibt für sie ein Dok<strong>um</strong>ent westdeutscher<br />
Dominanz, als sei ihnen ein Teil ihrer Lebensgeschichte<br />
entzogen worden. Eine Verletzung, <strong>die</strong> schwer wiegt – und eine der<br />
Wurzeln deutscher Uneinigkeit.<br />
Gut möglich, dass schon der Ruf „Wir sind das Volk!“ auf den Straßen<br />
der DDR befremdlich für viele Wohlstandsbürger klang. Ein neues<br />
Grundgesetz galt als unnötig. Die Minderheit sollte <strong>sich</strong> anpassen<br />
und der Bundesrepublik „beitreten“. Die DDR – ein Unfall der<br />
Geschichte? Diese Sehweise wird dem Widerstand und mutigen<br />
Einsatz gegen ein diktatorisches Regime nicht gerecht.<br />
Beim Stichwort „Einheit“ erinnern <strong>sich</strong> jene, <strong>die</strong> vor der Wende in der<br />
Bundesrepublik lebten, noch an den 17. Juni, den „Tag der deutschen<br />
Einheit“. Während Parteipolitiker in Reden, <strong>die</strong> manchmal schon im<br />
Vorjahr nicht mehr zündeten, Regime-Verbrechen in der sowjetisch