Vom Mythos des Funktionalismus - Hochschule für Gestaltung ...
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Kultur, in China und Japan, in allen europäischen Epochen. Das sonst so dekorationsfreudige<br />
18., das historische 19. Jahrhundert, das Kunstgewerbe um die Jahrhundertwende haben <strong>des</strong><br />
öfteren auf jede Ornamentierung verzichtet – gewiß nicht aus Sparsamkeit. Die Form ohne<br />
Ornament war Luxus. 'Das einfach Schöne soll der Kenner schätzen, Verziertes aber spricht<br />
der Menge zu', sagt Goethe." (14)<br />
Im zweiten Kapitel <strong>des</strong> sechsten Buches beschäftigt sich Vitruv mit der Berücksichtigung der<br />
örtlichen Verhältnisse beim Bauen. Dabei bezieht er das gesamte bekannte<br />
naturwissenschaftliche Wissen seiner Zeit in seine Überlegungen ein. Mit beiden Füßen steht<br />
er fest auf dem Boden der jeweiligen Baustelle.<br />
Zunächst müßten die klimatischen Verhältnisse <strong>des</strong> Lan<strong>des</strong> berücksichtigt werden. Die<br />
natürlichen Gegebenheiten der Baustelle sollten mit dem gewünschten Gebrauchszweck in<br />
Einklang stehen. Diese Begründung <strong>des</strong> funktionalen Gestaltens ist der zentrale Punkt <strong>des</strong><br />
Vitruvschen Denkens. Ihm kommt es darauf an, den Gebrauch und die Bedeutung von<br />
Gebäuden zu präzisieren.<br />
In seiner Vorrede zum ersten Buch, in der er seinem Imperator <strong>für</strong> die Gnade <strong>des</strong><br />
Lebensunterhalts dankt, erklärt er stolz und selbstbewußt die Motive seines Schreibens: "Ich<br />
schreibe <strong>des</strong>halb diese Regeln nieder, damit Du ohne den Rat anderer zu eigenen Urteilen<br />
über die bestehenden und geplanten Bauwerke gelangst, denn ich habe in diesen Büchern alle<br />
Grundsätze <strong>des</strong> Bauens niedergelegt." (15)<br />
Vitruv und die vier Antiken<br />
Vitruv war ein Mensch der ersten Antike. Die Bedeutung seines Werkes wurde erst in der<br />
zweiten Antike – der Renaissance – erkannt. Die Humanisten der Frührenaissance stürzten<br />
sich auf das einzig verfügbare Werk, das ihnen die erste Antike erschloß. Und alle<br />
bedeutenden Architekten der Renaissance folgten ihrem Beispiel.<br />
So war es Leon Battista Alberti, der geniale Baumeister <strong>des</strong> 15. Jahrhunderts, der als erster<br />
die Bedeutung Vitruvs erkannte. Er beließ es aber nicht dabei, <strong>des</strong>sen kategoriale<br />
Grundbegriffe "firmitas", "utilitas" und "venustas" nur zu übernehmen, vielmehr versuchte er,<br />
die diesen Begriffen zugrunde liegenden Prinzipien herauszuarbeiten.