Vom Mythos des Funktionalismus - Hochschule für Gestaltung ...
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Vielleicht fand die Auseinandersetzung über den Unterschied zwischen Kunst und Design in<br />
Ulm <strong>des</strong>halb so intensiv statt, weil es eben an der HfG viele "Künstler-Ateliers" gab. Obwohl<br />
oder gerade weil einige Dozenten (neben Aicher z. B. Bill, Bonsiepe, Maldonado und<br />
Zeischegg) aus "der Kunst" kamen, suchte man jetzt vielleicht eher die Reflektion.<br />
Aichers kritische Auseinandersetzung mit der Moderne deckt sich weitgehend mit der<br />
gängigen Geschichtsschreibung. Ausgehend vom Kristallpalast der Weltausstellung von 1851<br />
über die FagusWerke von Gropius aus dem Jahr 1911 oder Peter Behrends Maschinenhalle<br />
<strong>für</strong> die AEG aus dem Jahr 1909, skizzierte er den Weg der Moderne von London über<br />
Weimar und Dessau bis nach Ulm. Diese Zweite Moderne ist auch bei ihm die der<br />
industriellen Massenproduktion. Mit dem Wohnhaus von Charles Eames beginnt <strong>für</strong> ihn dann<br />
die Dritte Moderne. (41) Seine Begründung:<br />
Dies sei "...ein bewohnbares haus, zum gebrauchen gemacht... es wurde 1949 erbaut, ein<br />
stahlskelettbau mit standardelementen aus der industrie. das haus hat den charakter eines<br />
ateliers. die ganze lebensform ist die eines ateliers, es gibt kein vornehmes wohnzimmer<br />
mehr, keinen salon, keine zweite etage <strong>des</strong> lebens. es zerfällt nicht in kult und alltag. der<br />
alltag ist der kult. der gebrauch macht das haus aus."<br />
Gegen Ende seines Essays zeichnet Aicher das Bild eines "neuen <strong>des</strong>igners". Das ist <strong>für</strong> ihn<br />
jemand, der die Tugend der Wissenschaft – nämlich die Neugierde – auf die Disziplin <strong>des</strong><br />
Designs übertragen kann, Der Wissenschaftler wolle finden, er wende nicht Wissen an, er<br />
lerne das Fragen und trainiere das Finden. Als Designer würde man entwerfen, weil man<br />
suche, nicht weil man wisse. Wer alles wisse, sei eher ein Karosserie-Designer. Er verpacke<br />
die Dinge in seine Vorstellung und schließe sie darin ein. Nur wer suche. komme zu offenen,<br />
strukturellen Lösungen.<br />
Aichers Wertschätzung von Charles Eames, Hans Gugelot und Norman Forster zeigt, daß er –<br />
genauso wie diese – seiner Zeit voraus war. In seiner Dritten Moderne schimmert bereits<br />
etwas von dem durch, was mit der Habermas'schen "kommunikativen Vernunft" gemeint sein<br />
könnte. Ich möchte <strong>des</strong>halb versuchen, noch einmal den ideengeschichtlichen Faden<br />
aufzunehmen, an dem sich der <strong>Funktionalismus</strong> entlang entwickelt hat. Vereinfacht gesagt,<br />
geht es dabei um die Frage: "Für wen wird eigentlich etwas gestaltet?"