Vom Mythos des Funktionalismus - Hochschule für Gestaltung ...
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Die Ursprünge <strong>des</strong> funktionalen Bauens bei Vitruv<br />
4<br />
Authentische Nachrichten über Vitruvs Leben liegen nicht vor. Man nimmt heute an, daß er in<br />
der Zeit von 80 bis 10 vor Christus in Rom gelebt hat. Er diente dem Kaiser Augustus als<br />
Künstler, Ingenieur und Kriegsbaumeister und muß viel in der damals bekannten Welt<br />
herumgereist sein, kannte er doch die Geschichte und Bedeutung der unterschiedlichsten<br />
Bauwerke.<br />
Vitruv war ein universeller Geist. Seine Persönlichkeit wird heute mit der Leonardo da Vincis<br />
verglichen, der gern als "Urahn <strong>des</strong> Designs" (5) apostrophiert wird. Wie viele Bauwerke er<br />
geplant hat, ist nicht bekannt. Nachgewiesen ist lediglich eine Basilika in Fanum am<br />
Adriatischen Meer. Die eigentliche Bedeutung Vitruvs beruht denn auch auf seinen<br />
Aufzeichnungen, die zu den ältesten überlieferten Schriften der Architektur gehören.<br />
Seine "Zehn Bücher über die Baukunst" sind als ein umfassen<strong>des</strong> Regelwerk zu verstehen.<br />
Zwei Zahlen unterstreichen die zentrale Bedeutung dieses Mannes und seines Werkes <strong>für</strong> die<br />
Geschichte der Architektur: Heute noch existieren 55 Handschriften der "Zehn Bücher", deren<br />
älteste bis ins 9. Jahrhundert zurückreichen, und bis heute sind ungefähr 80 vollständige<br />
Neuausgaben in allen europäischen Sprachen erschienen.<br />
Im ersten Kapitel <strong>des</strong> ersten Buches beschreibt Vitruv das "Wesen der Baukunst und die<br />
Ausbildung der Baumeister" – und er stellt hohe Ansprüche. Das Können der Architekten<br />
müsse zwei Gebiete umfassen, nämlich Praxis und Theorie. Nur wer beide im gleichen Maße<br />
beherrsche, erreiche sein Ziel, und zwar schneller und mit größerem Erfolg. Ein Architekt<br />
müsse – so Vitruv künstlerisch wie auch wissenschaftlich interessiert sein. Denn weder Talent<br />
ohne Wissen noch Wissenschaft ohne Talent könne einen gereiften Künstler hervorbringen.<br />
Auch solle der Architekt sprachlich gewandt sein, zeichnen können, die Geometrie<br />
beherrschen sowie die Gesetze <strong>des</strong> Sehens und der Mathematik. Er solle geschichtliche und<br />
philosophische Kenntnisse besitzen, einiges von der Musik (Akustik) verstehen und die<br />
Heilkunde (Hygiene) kennen. Schließlich müßten ihm gesetzliche Vorschriften geläufig sein,<br />
und er solle etwas von Sternkunde und den Gesetzen der Astronomie verstehen.<br />
"Dies aus folgenden Gründen: Der Baumeister muß in der Lage sein, durch Wort und Schrift<br />
seine Arbeit zu begründen. Dann muß er geplante Bauten zeichnerisch einwandfrei darstellen