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Deutsch - Internationales Bildungs

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Internationale<br />

Perspektiven der Erwachsenenbildung<br />

Kurztitel der verfügbaren Bände<br />

25 Ungarische und deutsche Erwachsenenbildung. Europäische Partnerschaft und internationale<br />

Zusammenarbeit<br />

Heribert Hinzen (<strong>Deutsch</strong>)<br />

26 Perspektiven und Tendenzen der Erwachsenenbildung<br />

Uwe Gartenschlaeger / Heribert Hinzen (Hrsg.) (<strong>Deutsch</strong>)<br />

27 Bildung für Alle – lebenslang und lebenswichtig<br />

Heribert Hinzen / Josef Müller (Hrsg.) (<strong>Deutsch</strong>)<br />

28 Partnership and Solidarity in Action<br />

International Cooperation Activities of IIZ/DVV<br />

IIZ / DVV (Englisch)<br />

29 Erwachsenenbildung: Auswärtige Kulturpolitik und internationale Zusammenarbeit<br />

Gerhard Müller (<strong>Deutsch</strong>)<br />

30 Politische Bildung in der Stabilitätspaktregion. Analysen und Handlungsmöglichkeiten<br />

Wolfgang Schur (<strong>Deutsch</strong> mit einer Zusammenfassung in Englisch)<br />

31 Lernen für Alle - Learning is for Everyone<br />

Lernfeste in Südosteuropa 2001 - Adult Learners Weeks in South Eastern Europe<br />

Stablity Pact for South Eastern Europe (<strong>Deutsch</strong>, Englisch)<br />

32 Sharing without Barriers - Learning Fair - Conference<br />

Documentation Hamburg, 7-10 November 2001 (Englisch)<br />

33 Theoretical, Economic and Regional Issues of Adult Education. Hungarian Developments<br />

in an International Perspective<br />

Dénes Koltai (Englisch)<br />

34 Adult Education in Slovenia<br />

Ana Krajnc / Nives Licen (Englisch)<br />

35 Equality – Inequality of Adult Education Opportunities in Europe<br />

Heribert Hinzen / Viera Prusakova / Ewa Przybylska (Hrsg.) (Englisch, Slowakisch)<br />

36 Adult and Continuing Education. Education Modernization Project in the former Yugolav<br />

Republic of Macedonia<br />

Tzako Pantaleev (Englisch)<br />

37 Erwachsenenbildung in der Türkei. Bestandsaufnahme und Entwicklungspotenziale<br />

Hayrettin Aydin (<strong>Deutsch</strong>, Türkisch)<br />

38 Perspectives on Adult Education in the Mediterranean and Beyond<br />

Peter Mayo / Klitos Symeonides / Michael Samlowski (Hrsg) (Englisch)<br />

39 Die Internationalität der Volkshochschulen – vom grenzüberschreitenden Kulturaustausch<br />

zur interkulturellen Bildung<br />

Erhard Schlutz / Heinrich Schneider (Hrsg) (<strong>Deutsch</strong>)<br />

40 „Erinnern für die Zukunft“. Ein Seminar zu Methoden der Geschichtsaufarbeitung<br />

Heike Catrin Bala (Albanisch, Bulgarisch, <strong>Deutsch</strong>, Englisch, Mazedonisch, Rumänisch,<br />

Serbokroatisch)<br />

41 Afghanistan – Support to Adult Education – Actual and Future Potentials for Development<br />

Wolfgang Schur (Englisch)<br />

IPE 40 „Erinnern für die Zukunft“ IIZ / DVV<br />

INSTITUTE FOR INTERNATIONAL COOPERATION OF THE GERMAN ADULT EDUCATION ASSOCIATION<br />

INSTITUT DE COOPERATION INTERNATIONALE DE LA CONFEDERATION ALLEMANDE POUR L’EDUCATION DES ADULTES<br />

INSTITUTO DE LA COOPERACIÓN INTERNACIONAL DE LA ASOCIACION ALEMANA PARA EDUCACIÓN DE ADULTOS<br />

INSTITUT FÜR INTERNATIONALE ZUSAMMENARBEIT<br />

DES DEUTSCHEN VOLKSHOCHSCHUL-VERBANDES e.V.<br />

„Erinnern für die Zukunft“<br />

Ein Seminar zu Methoden der Geschichtsaufarbeitung<br />

Heike Catrin Bala<br />

Internationale<br />

Perspektiven<br />

der<br />

Erwachsenenbildung<br />

40


Impressum<br />

Internationale Perspektiven der Erwachsenenbildung<br />

Diese Reihe veröffentlicht Berichte, Studien und Materialien, die internationale Aspekte<br />

der Erwachsenenbildung für die Weiterentwicklung von Theorie und Praxis<br />

der Volkshochschularbeit aufgreifen. Erweiterte Information und Kommunikation<br />

sollen zu erhöhtem Wissen, vertieftem Verständnis und verbesserter Kooperation<br />

in der internationalen Erwachsenenbildung beitragen.<br />

Herausgegeben vom<br />

Institut für Internationale Zusammenarbeit<br />

des <strong>Deutsch</strong>en Volkshochschul-Verbandes e. V. (IIZ/DVV)<br />

Redaktion: Heribert Hinzen<br />

Redaktionsassistenz: Gisela Waschek<br />

Satz, Layout, Grafik: thenée druck bonn GmbH<br />

Mit Namen und Signum gezeichnete Veröffentlichungen sind jeweils Meinung des<br />

Verfassers, nicht unbedingt auch die des Herausgebers und der Redaktion. Nachdruck,<br />

auch auszugsweise, mit Quellenangabe; Belegexemplar wird erbeten.<br />

Bibliografische Information der <strong>Deutsch</strong>en Bibliothek<br />

Die <strong>Deutsch</strong>e Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der <strong>Deutsch</strong>en<br />

Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über<br />

http://dnb.ddb.de abrufbar.<br />

ISBN 3-88513-824-7<br />

© 2003 IIZ/DVV<br />

Anschrift von Herausgeber, Redaktion und Versand:<br />

Institut für Internationale Zusammenarbeit des<br />

<strong>Deutsch</strong>en Volkshochschul-Verbandes e. V. (IIZ/DVV)<br />

Obere Wilhelmstraße 32<br />

D-53225 Bonn<br />

Tel.: 0228/97569-0<br />

Fax: 0228/97569-55<br />

e-mail: iiz-dvv@iiz-dvv.de<br />

Internet: www.iiz-dvv.de<br />

Wir drucken auf 100% chlorfrei gebleichtem Altpapier.<br />

Internationale<br />

Perspektiven der Erwachsenenbildung<br />

Kurztitel der verfügbaren Bände<br />

3 Europäische Erwachsenenbildung – grenzenlos?<br />

Neue Aufgaben für das IIZ/DVV (<strong>Deutsch</strong>, Französisch)<br />

6 Erwachsenenbildung in Rußland<br />

Bettina Strewe (<strong>Deutsch</strong>)<br />

7 Die Rolle der kommunal orientierten Erwachsenenbildungsorganisationen in Europa<br />

(<strong>Deutsch</strong>)<br />

8 Erwachsenenbildung in Lettland<br />

Paulis Apinis et al. (<strong>Deutsch</strong>)<br />

9 Gesetzgebung und Politik zur Erwachsenenbildung in <strong>Deutsch</strong>land<br />

Rudi Rohlmann (<strong>Deutsch</strong>, Englisch)<br />

10 Volkshochschulen: Weiterbildung für die Zukunft. Schweriner Erklärung des DVV<br />

(<strong>Deutsch</strong>, Englisch, Französisch, Spanisch, Russisch)<br />

11 European Network of Editors and Publishers of Adult Education Literature:<br />

Report of a Seminar by Heribert Hinzen and Ulrich Merker (Englisch)<br />

12 Erwachsenenbildung und Entwicklung. 25 Jahre IIZ/DVV<br />

(Arabisch, Chinesisch, <strong>Deutsch</strong>, Englisch, Französisch, Russisch, Spanisch)<br />

13 Erwachsenenbildung in <strong>Deutsch</strong>land<br />

Ekkehard Nuissl (<strong>Deutsch</strong>, Englisch, Französisch)<br />

14 Erwachsenenbildung in Litauen<br />

Edita Trečiokiene (<strong>Deutsch</strong>)<br />

15 Volkshochschulen, internationale Kontakte und Partnerschaften.<br />

Erarbeitet von Hartmut Dürste und Manfred Fenner (<strong>Deutsch</strong>)<br />

17 Erwachsenenbildung in Polen<br />

Norbert F.B. Greger / Ewa Przybylska (<strong>Deutsch</strong>, Englisch)<br />

19 Jugend- und Erwachsenenbildung für ethnische Minderheiten in Europa<br />

(<strong>Deutsch</strong>, Englisch, Französisch, Niederländisch, Spanisch)<br />

20 Praxismodelle der beruflichen Bildung für Benachteiligte 2<br />

(<strong>Deutsch</strong>)<br />

21 Stärkung der Selbstorganisation ethnischer Minderheiten in Europa<br />

Zusammengestellt und bearbeitet von Stella Dadzie (<strong>Deutsch</strong>, Englisch)<br />

23 Adult Education and the Museum<br />

Brian Martin (Hrsg.) (Englisch)<br />

24 Regionale und grenzüberschreitende Zusammenarbeit in der Erwachsenenbildung<br />

Klaus Bostelmann (Red.) (<strong>Deutsch</strong>)


„Erinnern für die Zukunft“<br />

Ein Seminar zu Methoden der Geschichtsaufarbeitung<br />

Heike Catrin Bala<br />

Institut für Internationale Zusammenarbeit<br />

des <strong>Deutsch</strong>en Volkshochschul-Verbandes e. V. (IIZ/DVV)<br />

Bearbeitung: Eva R. Schultz<br />

Fotos: Heike Catrin Bala (S. 62: Eva R. Schultz)<br />

Titelbild: Die Seminargruppe in der Gedenkstätte Buchenwald


Inhalt<br />

Inhalt<br />

Vorbemerkung .................................................................................................. 5<br />

Geleitwort.......................................................................................................... 7<br />

Prof. Dr. Rita Süssmuth<br />

1. Das Projekt „Erinnern für die Zukunft“ und seine Ziele.................... 9<br />

Heike Catrin Bala und Sebastian Welter<br />

2. „Wir brauchen Begegnung“............................................................... 19<br />

Hans Koschnick im Gespräch mit Heike Catrin Bala<br />

3. Dokumentation des Seminars im Oktober 2002............................... 33<br />

3.1 Biografien .............................................................................................. 33<br />

3.2 Programmübersicht............................................................................... 37<br />

3.3 Ausführliche Beschreibung ................................................................... 39<br />

3.3.1 Gegenseitiges Kennenlernen und Vorstellung des Programms............ 39<br />

3.3.2 Die Alte Synagoge in Essen.................................................................. 40<br />

3.3.3 Geschichtswerkstatt Dortmund e. V. ..................................................... 42<br />

3.3.4 Die Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit<br />

Dortmund e. V. ...................................................................................... 44<br />

3.3.5 Stadtrundgang in Dortmund .................................................................. 46<br />

3.3.6 Zeitzeugengespräch mit Valentin Frank ................................................ 48<br />

3.3.7 Zwischenauswertung ............................................................................ 50<br />

3.3.8 Stadtrundgang/Stadtrallye in Weimar.................................................... 51<br />

3.3.9 Thementag „<strong>Deutsch</strong>e Wiedervereinigung“........................................... 52<br />

3.3.10 Gedenkstätte Buchenwald .................................................................... 54<br />

3.3.11 Das thüringisch-hessische Grenzmuseum „Schifflersgrund“ ................ 58<br />

3.3.12 Workshop I ............................................................................................ 60<br />

3.3.13 Stadtrundgang mit Valentin Frank in Dortmund .................................... 62<br />

3.3.14 Workshop II ........................................................................................... 63<br />

3.3.15 Schlussauswertung ............................................................................... 65


Inhalt<br />

4. Methoden ............................................................................................. 67<br />

4.1 Auswertung ........................................................................................... 67<br />

4.2 Befragung.............................................................................................. 70<br />

4.3 Blitzlicht ................................................................................................. 72<br />

4.4 Brainstorming ........................................................................................ 73<br />

4.5 Bühnenspiel .......................................................................................... 74<br />

4.6 Erkundung............................................................................................. 75<br />

4.7 Foto- und Bildbeschreibung .................................................................. 77<br />

4.8 Gedenkstättenbesuch ........................................................................... 79<br />

4.9 Geschichtswerkstatt .............................................................................. 83<br />

4.10 Kicks...................................................................................................... 85<br />

4.11 Medieneinsatz ....................................................................................... 86<br />

4.12 Museum ................................................................................................ 88<br />

4.13 Oral History (Zeitzeugenbefragung)...................................................... 90<br />

4.14 Rollenspiel............................................................................................. 94<br />

4.15 Sitzordnung ........................................................................................... 96<br />

4.16 Spurensuche ......................................................................................... 97<br />

4.17 Stadterkundung..................................................................................... 98<br />

4.18 Steckbrief ............................................................................................ 100<br />

4.19 Wandzeitung ....................................................................................... 101<br />

4.20 Workshop ............................................................................................ 102<br />

5. Die Zukunft des Projekts .................................................................. 105<br />

Heike Catrin Bala, Eva R. Schultz und Sebastian Welter<br />

6. Kontaktadressen ................................................................................ 111<br />

6.1 <strong>Deutsch</strong>land ......................................................................................... 111<br />

6.2 IIZ/DVV-Projektbüros in Südosteuropa ................................................113<br />

7. Anhang................................................................................................115<br />

7.1 Steckbrief .............................................................................................115<br />

7.2 Projektantrag........................................................................................116<br />

8. Abkürzungsverzeichnis.....................................................................119<br />

9. Weiterführende Literatur .................................................................. 121


Vorbemerkung<br />

Vorbemerkung<br />

Wie können Initiativen auf nationaler Ebene mit grenzüberschreitenden und regionalen<br />

Netzwerken als entwicklungsorientierte Erwachsenenbildung verknüpft<br />

werden? Vor diese Frage sah sich das Institut für Internationale Zusammenarbeit<br />

des <strong>Deutsch</strong>en Volkshochschul-Verbandes (IIZ/DVV) im Rahmen des Stabilitätspaktes<br />

für Südosteuropa gestellt, in dem der Erwachsenenbildung – der<br />

allgemeinen und beruflichen, politischen und kulturellen – eine große Bedeutung<br />

beigemessen wird. Vom Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit<br />

und Entwicklung (BMZ) wird anerkannt, dass Erwachsenenbildung nachhaltige<br />

Beiträge zur Sozialstruktur leisten kann und seitens des Auswärtigen Amtes (AA)<br />

wird Erwachsenenbildung als wichtiger Bestandteil kulturpolitischer Arbeit in dieser<br />

Region positiv bewertet.<br />

Die mit Unterstützung dieser beiden Ministerien begonnenen Projekte des IIZ/<br />

DVV mit staatlichen, zivilgesellschaftlichen und universitären Partnern in den acht<br />

Ländern des Stabilitätspaktes haben in relativ kurzer Zeit bemerkenswerte Erfolge<br />

gezeigt. Zu diesen Projekten zählen bildungspolitische und gesetzgeberische<br />

Initiativen, die dem Lebenslangen Lernen Geltung verschaffen, einkommensorientierte<br />

und berufspraktische Trainings- und Ausstattungsmaßnahmen, motivationsfördernde<br />

Lernfeste - zunächst im nationalen und jetzt regionalen Rahmen -,<br />

Maßnahmen der Demokratiebildung sowie die Weiterbildung von Multiplikatoren<br />

auf mittlerer und universitärer Ebene.<br />

Junge Erwachsene, die sich um die Aufarbeitung der Geschichte und der Traumata<br />

der jüngsten Kriege in Südosteuropa bemühen, sind als Multiplikatoren<br />

entscheidend. Ihnen Methoden und Materialien an die Hand zu geben, gemeinsame<br />

Erkundungen verschiedener historischer Orte zu ermöglichen und einen die<br />

Landesgrenzen, Religionen und Ethnien überschreitenden Dialog und Austausch<br />

zu fördern, gehören folgerichtig zu den Zielen des Projekts. Gerade zwischen<br />

den Generationen, die sich in ganz unterschiedlicher Weise auf Vergangenheit,<br />

Gegenwart und Zukunft beziehen, ist die Verständigung über Erinnerungsarbeit<br />

oft sehr schwierig. Der Verweis auf die Gnade der frühen oder späten Geburt, die<br />

Zuweisung von Schuld sowie deren empörte Leugnung, sind oftmals hilflose Reaktionen,<br />

um das Kommunikationsdefizit zu überdecken. Zeitzeugen für gemeinsame<br />

Gespräche zu finden, wird immer schwierig sein. Da es aber insbesondere<br />

für länger zurückliegende Ereignisse auch immer unwahrscheinlicher wird, sie<br />

aufzutun, sollte dies Ansporn geben, sie bereits heute zu suchen und in der im<br />

Verlauf des Seminars gepflegten Form einzubinden.<br />

5


Vorbemerkung<br />

Der Anspruch, Erinnern für die Zukunft zu leisten, fragt auch danach, was denn<br />

das Erinnern ausmacht, fragt nach der Gratwanderung zwischen Verarbeitung<br />

und Verdrängung. Schon 1933 hatte Lucien Febvre formuliert: „Machen wir uns<br />

keine Illusionen. Der Mensch erinnert sich nicht der Geschichte; er rekonstruiert<br />

sie stets. [...] (Er) bewahrt nicht die Vergangenheit in seinem Gedächtnis wie<br />

das Eis des Nordens die Mammuts aus der Steinzeit bewahrt. Er geht von der<br />

Gegenwart aus – und durch sie hindurch erkennt er stets die Vergangenheit.“<br />

Erinnern und Erkennen - subjektive und objektive Realitäten - sind oft nur schwer<br />

von einander zu trennen. In historisch-vergleichender Perspektive würden sich<br />

auch andere menschliche Tragödien des letzten Jahrhunderts anbieten, um sie<br />

auf Gemeinsamkeiten, Ähnlichkeiten und Unterschiede hin zu untersuchen, um<br />

an ihnen Erinnerungsarbeit zu leisten und vor allem um aus ihnen zu lernen: Begonnen<br />

mit den Abgründen umfassender Spitzelei und Denunziation, mit denen<br />

sich die Gauk-Behörde im wiedervereinten <strong>Deutsch</strong>land zu befassen hat, über die<br />

Wahrheitskommission in Südafrika, die Säuberungen des Pinochet-Regimes in<br />

Chile bis hin zu den Genoziden in Kambodscha und Ruanda. Vielleicht wird eine<br />

solche Dimension der international übergreifenden Geschichtsaufarbeitung zu<br />

einem späteren Zeitpunkt möglich - für uns natürlich als Teil politischer Bildung,<br />

eingebunden in eine umfassendere Projektarbeit, die Erwachsenenbildung vor<br />

Ort mit globaler Orientierung verbindet.<br />

Diese IPE-Publikationsreihe hat die Arbeit unserer Partner und Projektbüros in der<br />

Stabilitätspaktregion bereits mit einer Vielzahl von Veröffentlichungen begleitet:<br />

Länderstudien zu Slowenien und Mazedonien sind ebenso erschienen wie eine<br />

thematische Studie zur Situation der Politischen Bildung; sowohl eine Synopse der<br />

diversen Lernfestaktivitäten als auch eine Sammlung aktueller Texte zu Fragen<br />

der Erwachsenenbildung, die in fast alle Landessprachen übersetzt wurden. Die<br />

vorliegende Publikation reiht sich hier nahtlos ein.<br />

Die Kooperation mit dem Internationalen <strong>Bildungs</strong>- und Begegnungswerk (IBB)<br />

brachte vielfältige Erfahrungen ein und war aus unserer Sicht eine große Bereicherung,<br />

die wir gerne fortsetzen möchten. Das BMZ hatte dankenswerter<br />

Weise zusätzliche Mittel für dieses Vorhaben bereitstellen können; nun gilt es,<br />

die Erkenntnisse in der Breite zu nutzen. Ausdrücklich danken möchte ich allen<br />

Beteiligten, die mit außerordentlichem Engagement die Fertigstellung dieser Publikation<br />

betrieben haben.<br />

Prof.(H) Dr. Heribert Hinzen<br />

Institutsleiter<br />

6


Geleitwort<br />

Geleitwort<br />

„Nur wer die Vergangenheit kennt,<br />

hat eine Zukunft.“<br />

Wilhelm von Humboldt, 1767–1835<br />

Die vorliegende Dokumentation berichtet über das Projekt „Erinnern für die Zukunft“,<br />

über individuelle Schicksale und über Methoden, mit denen Menschen ihr<br />

Schicksal aktiv in die Hand nehmen können, um ein friedliches Miteinanderleben<br />

in Europa zu tragen. Ein Blick auf die weltweiten Konfliktherde macht deutlich, wie<br />

schwierig es ist, aus der Geschichte zu lernen und neue Wege einzuschlagen.<br />

Wenn man etwas ändern will, darf man nicht tatenlos resignieren. Man muss sich<br />

engagieren und dem Vergessen und Verdrängen die Stirn bieten. Jeder einzelne<br />

trägt Verantwortung für die Sicherung eines dauerhaften Friedens der Weltgemeinschaft<br />

– begonnen bei sich zu Hause.<br />

Im Rahmen von „Erinnern für die Zukunft“ kamen 15 junge Menschen aus Südosteuropa<br />

nach <strong>Deutsch</strong>land. Sie setzten ein Beispiel für den Umgang mit jüngerer<br />

Geschichte, der Eingang in jede <strong>Bildungs</strong>praxis finden sollte. Sie schafften es,<br />

die Hürde der Verdrängung von historischen Ereignissen und Vorurteilen zu überwinden<br />

und sich bewusst mit ihrer jüngeren Geschichte, der kommunistischen<br />

Vergangenheit und dem Jugoslawienkrieg, auseinander zu setzen, obwohl so<br />

etwas nicht leicht fällt. Es gelang ihnen, Raum für einen vertrauensvollen Umgang<br />

miteinander zu schaffen, sich gegenseitig zuzuhören und die Sicht des anderen<br />

zu begreifen. Der Aufbau eines Netzwerks mit Kontakten und die Motivation der<br />

Teilnehmer, ihre Erfahrung zu verbreiten und neue Projekte aufzubauen, sind der<br />

Grundstein für die nachhaltige zukunftsorientierte Auseinandersetzung mit der<br />

Vergangenheit.<br />

Man sagt, Europa rücke durch die Osterweiterung enger zusammen. Das stimmt<br />

natürlich, aber war Europa nicht schon immer mehr als nur eine geographische<br />

oder politische Einheit? Historisch gesehen standen sich die Europäer schon<br />

immer nahe, auch wenn sie unterschiedlicher Meinung waren. Wir dürfen nicht<br />

vergessen, Europäer haben eine gemeinsame Vergangenheit und gemeinsame<br />

Wurzeln. Europa steht für eine Idee. Diese Idee ist eine Philosophie, die sich im<br />

Laufe der Epochen verändert hat und schon immer unterschiedlich interpretiert<br />

worden ist. Geblieben ist, dass wir eine gemeinsame Identität als Europäer in uns<br />

tragen und dass wir gemeinsame Ziele verfolgen.<br />

7


Geleitwort<br />

Die Herausforderung für die Zukunft ist, die Geschichte gemeinsam aufzuarbeiten<br />

und Brücken zwischen Menschen zu bauen, die vergessen haben, wie nah sie sich<br />

einmal standen. Es ist eine alte Erkenntnis und u. a. in der deutsch-französischen<br />

Aussöhnung bewiesen, dass aus ehemaligen Feinden Freunde werden können<br />

und Verlierer nicht Verlierer bleiben müssen. Um diese Entwicklung zu erreichen,<br />

müssen die Menschen zusammenkommen und miteinander reden.<br />

Das Projekt „Erinnern für die Zukunft“ und die vorliegende Dokumentation soll<br />

junge Menschen in Europa erreichen und ihnen Anstöße für die gemeinsame<br />

Verarbeitung ihrer Vergangenheit geben. Sie sollen motiviert werden, die Verantwortung,<br />

die sie für die nachfolgenden Generationen tragen, selbst in die Hand<br />

zu nehmen und aufeinander zuzugehen. Im Handbuch erhalten sie Anregungen<br />

für die Organisation internationaler Treffen, die Vorbereitung von Seminaren, die<br />

Durchführung von Zeitzeugengesprächen, für die Einrichtung von Gedenkstätten.<br />

Methoden, Instrumente und Erfahrungsberichte sollen jungen Erwachsenen und<br />

Multiplikatoren ermöglichen, ihre Gestaltungskraft für ihr Volk und für Europa<br />

einzusetzen. Durch Vertrauen in die eigenen Kräfte und Möglichkeiten sowie die<br />

anteilnehmende Wahrnehmung der individuellen Schicksale der neu gewonnenen<br />

Gesprächspartner kann die europäische Idee wachsen und gefestigt werden.<br />

Daher ist es auch wichtig, dass die Dokumentation nicht nur auf <strong>Deutsch</strong> und<br />

Englisch, sondern auch in den jeweiligen Landessprachen der Projektteilnehmer<br />

vorliegt.<br />

Prof. Dr. Rita Süssmuth<br />

Präsidentin des DVV<br />

Vize-Präsidentin der OSZE<br />

8


Das Projekt „Erinnern für die Zukunft“ und seine Ziele<br />

1. Das Projekt „Erinnern für die Zukunft“ und seine Ziele<br />

Heike Catrin Bala und Sebastian Welter<br />

„Der Stabilitätspakt ist Musterbeispiel für eine erfolgreiche nicht-militärische Sicherheitspolitik.<br />

[...] Wir können nach drei Jahren festhalten: Durch den Stabilitätspakt<br />

hat die internationale Gemeinschaft erreicht, dass statt Krieg und Gewalt<br />

in Südosteuropa jetzt Kooperation, Dialog und regionale Zusammenarbeit auf der<br />

Tagesordnung stehen.“<br />

Heidemarie Wieczorek-Zeul, Bundesentwicklungsministerin, 16. Juni 2002<br />

Der Stabilitätspakt für Südosteuropa wurde 1999 vor dem Hintergrund der jugoslawischen<br />

Nachfolgekriege auf deutsche Initiative hin ins Leben gerufen. Er ist eine<br />

politische Verpflichtungserklärung und eine Rahmenvereinbarung zur internationalen<br />

Kooperation in dieser Region. Erstmals werden hier durch einen integrativen<br />

Ansatz die politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Ursachen von<br />

Konflikten im Sinne aktiver Krisenprävention und zivilen Konfliktmanagements<br />

angegangen. Ziel ist die nachhaltige Stabilisierung der Gesamtregion. Einer<br />

der insgesamt drei inhaltlichen Schwerpunkte, der sogenannte Arbeitstisch I,<br />

beschäftigt sich mit der Entwicklung von Demokratie und Menschenrechten,<br />

darunter fällt auch der Bereich Bildung und Jugend (vgl. Mintchev 2000, 53, 55;<br />

Schur 2001, 10).<br />

Die Arbeit des IIZ/DVV in der Stabilitätspakt-Region<br />

Im Rahmen des Tisch I des Stabilitätspaktes für Südosteuropa entwickelt das<br />

Institut für Internationale Zusammenarbeit des <strong>Deutsch</strong>en Volkshochschul-Verbandes<br />

(IIZ/DVV) e.V. seit dem Jahr 2000 mit finanzieller Unterstützung des<br />

Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ)<br />

das Projekt „Erwachsenenbildung in Südosteuropa“ (EBiS). Ausgangspunkt ist<br />

dabei die Erkenntnis, dass <strong>Bildungs</strong>arbeit wesentliche Beiträge zur Verbesserung<br />

der Existenzbedingungen und der Integration von sozial und / oder ethnisch<br />

marginalisierten Bevölkerungsgruppen leisten kann. Neben sozial- und beschäftigungswirksamen<br />

<strong>Bildungs</strong>maßnahmen spielen Ansätze der Demokratiebildung<br />

eine besondere Rolle, um möglichst breiten Bevölkerungsschichten Chancen zur<br />

Mitgestaltung gesellschaftlicher Entwicklungsprozesse zu eröffnen und somit zur<br />

Stabilisierung von Gesellschaftsstrukturen beizutragen. Der Erwachsenenbildung<br />

kommt dabei insofern eine Schlüsselrolle zu, als sie auf diejenigen Altersgruppen<br />

gerichtet ist, die in der Regel bereits das hergebrachte Schul- und Ausbildungs-<br />

9


Das Projekt „Erinnern für die Zukunft“ und seine Ziele<br />

system verlassen haben, also vielfach über keinen Zugang zum staatlichen <strong>Bildungs</strong>system<br />

mehr verfügen.<br />

Angesichts des sich weltweit beschleunigenden Informationsaustausches wird<br />

Bildung zunehmend zur Voraussetzung, um Menschen die aktive Beteiligung an<br />

sozialen und wirtschaftlichen Prozessen zu ermöglichen. Fort- und Weiterbildung<br />

werden daher, neben der klassischen Schul-, Berufs- und Hochschulbildung, immer<br />

größere Bedeutung erlangen. Die Notwendigkeit, den eigenen Kenntnisstand<br />

für die Orientierung in einem sich ständig wandelnden sozialen und beruflichen<br />

Umfeld auf dem erforderlichen Niveau zu halten, hat zur Entwicklung von Konzeptionen<br />

des lebenslangen und lebensbegleitenden Lernens geführt.<br />

Vor dem Hintergrund schwacher staatlicher Strukturen, einer schwierigen Wirtschaftslage<br />

und hoher Arbeitslosigkeit stehen auch in den Stabilitätspaktländern<br />

immer mehr Menschen vor der Notwendigkeit, ihren persönlichen und beruflichen<br />

Lebensweg eigenständig zu planen. Sie müssen befähigt werden, sich<br />

selbständig in gesellschaftlichen Strukturen zu bewegen und flexibel auf die sich<br />

ändernden Rahmenbedingungen zu reagieren. Moderne Ansätze der Erwachsenenbildung<br />

verbinden daher die Aspekte „Persönlichkeitsbildung“, „Gesellschaftsfähigkeit“<br />

und „Beschäftigungsförderung“ gleichrangig als Lernziele in Unterricht<br />

und Lehre.<br />

Denn es ist zu beobachten, dass gerade in denjenigen Bevölkerungsgruppen,<br />

die den theoretisch größten Weiterbildungsbedarf aufweisen, die Bereitschaft,<br />

sich erneut in Lernsituationen zu begeben, am geringsten ausgeprägt ist. Hier<br />

bieten nicht- und non-formale Lehr- und Lehrformen, die sich an den Bedürfnissen<br />

der Teilnehmer und Teilnehmerinnen orientieren, ihre Fähigkeiten und Talente<br />

entwickeln helfen und zur Persönlichkeitsentwicklung beitragen, neue Zugangsmöglichkeiten.<br />

Weil es gleichzeitig gilt, den Menschen bessere Chancen auf dem<br />

Arbeitsmarkt zu eröffnen, müssen ihre Fähigkeiten zur Kommunikation sowie zur<br />

Lösung von Konflikt- und Problemlagen verbessert werden.<br />

In diesem Zusammenhang gewinnen Ansätze der <strong>Bildungs</strong>arbeit, die auf demokratischen<br />

Werthaltungen basierende Handlungs- und Lösungsstrategien zu<br />

vermitteln suchen, an Bedeutung. Weil fast ein jeder in der Stabilitätspaktregion<br />

lebende Mensch direkt oder indirekt von den tragischen Kriegsereignissen der<br />

jüngsten Vergangenheit betroffen ist, muss die Beschäftigung mit Geschichte<br />

zum integralen Bestandteil demokratieorientierter <strong>Bildungs</strong>arbeit werden. Zum<br />

einen prägen historische Ereignisse und Erfahrungen die individuelle Wahrnehmung<br />

und Weltsicht der Teilnehmer und Teilnehmerinnen an <strong>Bildungs</strong>prozessen<br />

wesentlich mit. Die persönliche Erinnerung an Leid, Schmerz und Verlust verstellt<br />

10


Das Projekt „Erinnern für die Zukunft“ und seine Ziele<br />

vielfach die Bereitschaft zur Aufnahme und Akzeptanz andersartiger Lebenswirklichkeiten<br />

und Kulturen. Zum anderen fördert eine einseitige, sich ausschließlich<br />

der tradierten Selbstwahrnehmung vergewissernde Sicht auf die Vergangenheit<br />

Tendenzen des Selbstabschlusses und der Konfliktbereitschaft auf gesellschaftlicher<br />

Ebene.<br />

Erst zwischenmenschliche Begegnung, die zu der Erkenntnis beiträgt, dass auch<br />

„Andere“ tragische Schicksale erlitten haben, schafft Raum für Mitgefühl und setzt<br />

somit die emotionale Basis für eine Verständigung jenseits von Verallgemeinerungen<br />

und Stereotypen.<br />

Dass die für das nachstehend beschriebene Projekt gewählte Themenstellung<br />

Bezug zur deutschen Zeitgeschichte nahm, diente nicht der Präsentation fertiger<br />

Lösungsansätze, die von den Teilnehmenden für die Aufarbeitung ihrer eigenen<br />

Geschichte zu übernehmen seien. Vielmehr erfolgte die Hinwendung zu den Themen<br />

„Nationalsozialismus“ und „Wiedervereinigung“ in <strong>Deutsch</strong>land, um es den<br />

aus Südosteuropa angereisten Projektpartnern zu ermöglichen, sich unbelastet<br />

der eigenen Vergangenheit mit der Problematik einer Aufarbeitung historischer<br />

Ereignisse widmen zu können. Wichtiges Ziel war es, „Geschichte“ als eine Summe<br />

individueller Einzelschicksale erlebbar zu machen, um zu verdeutlichen, dass<br />

die Erinnerung historischer Ereignisse nicht nur auf nationaler politischer Ebene<br />

bestimmt und vollzogen werden kann, sondern auch auf Ebene des einzelnen<br />

Menschen gestaltbar ist.<br />

Es versteht sich, dass <strong>Bildungs</strong>arbeit, die Rücksicht auf persönliche Empfindungen<br />

und Erfahrungen der Beteiligten nehmen und sich an deren Bedürfnissen<br />

orientierten soll, nicht als Massenveranstaltung geplant und durchgeführt werden<br />

kann. Die Vermittlung demokratieorientierter Werthaltungen und Handlungsstrategien<br />

gelingt am besten dort, wo persönliche Beziehungen aufgebaut wie auch<br />

gesellschaftliche Prozesse modelliert werden können: in Kleingruppen. Den<br />

Teilnehmenden soll die Möglichkeit geboten werden, durch eigenes Erleben und<br />

im Erfahrungsaustausch mit anderen Gruppenmitgliedern neue Erfahrungen und<br />

Erkenntnisse zu sammeln. In der Zusammenführung unterschiedlicher sozialer,<br />

ethnischer, kultureller und religiöser Lebenswelten, die die Teilnehmenden<br />

individuell repräsentieren, soll über Diskussion und Reflektion einer konkreten<br />

Themenstellung Empathie und Verständnis für Andersartigkeit und Vielseitigkeit<br />

gefördert werden. Dadurch sollen Erfahrungshorizonte erweitert und in der gemeinsamen<br />

Auseinandersetzung mit einer als wichtig erkannten Thematik die<br />

positiven Wirkungen einer von Vielfalt, gegenseitigem Respekt und Anerkennung<br />

geprägten Kommunikation für die Erarbeitung von Lösungsansätzen für konkrete<br />

11


Das Projekt „Erinnern für die Zukunft“ und seine Ziele<br />

Problemstellungen verdeutlicht werden. So macht ein Unterrichtsverlauf den Wert<br />

demokratieorientierten Handelns positiv erfahrbar.<br />

Jedoch wird keine als Modellprojekt konzipierte <strong>Bildungs</strong>maßnahme allein die für<br />

einen durchgreifenden Bewusstseinswandel notwendige Breitenwirkung entwickeln<br />

können. Es gehört daher zu den Grundsätzen der Projektarbeit des IIZ/DVV,<br />

<strong>Bildungs</strong>maßnahmen auf Multiplikatorengruppen zu konzentrieren; also auf Teilnehmende,<br />

die aufgrund ihres persönlichen Engagements und beruflichen Umfeldes<br />

in der Lage sind, die im Verlauf der Fortbildung gesammelten Erkenntnisse<br />

wiederum einer breiteren Zielgruppe zugänglich zu machen. Wichtiges Prinzip ist<br />

dabei, im Rahmen des Lernprozesses bereits frühzeitig die Verantwortung für die<br />

weitere Verwendung der erarbeiteten Resultate an die Beteiligten zu übertragen.<br />

Von ihrer Aktivität hängt es im weiteren ab, inwieweit die vermittelten Ansätze<br />

Eingang in die eigene <strong>Bildungs</strong>praxis finden und zur Sicherung der Nachhaltigkeit<br />

des Projektes beitragen. Aufgabe der weiteren Projektarbeit wird es sein, den<br />

Beteiligten Unterstützung bei der Realisierung der geplanten Maßnahmen zu<br />

leisten und die Herausbildung der dazu notwendigen Infrastruktur und Rahmenbedingungen<br />

zu fördern.<br />

Wo setzt das Projekt an?<br />

Den Ansprüchen des Stabilitätspaktes folgend fand vom 9. bis zum 19. Oktober<br />

2002 in Hattingen und Weimar das Seminar „‘Erinnern für die Zukunft‘ – Ein Seminar<br />

zu den Methoden der Geschichtsaufarbeitung in <strong>Deutsch</strong>land für Jugendund<br />

Erwachsenenbildner und -bildnerinnen aus Südosteuropa“ statt. Ermöglicht<br />

wurde diese als Auftaktmaßnahme konzipierte Begegnung durch die Initiative des<br />

IIZ/DVV und die finanzielle Förderung des BMZ. Das Seminar, das gemeinsam<br />

mit dem Internationalen <strong>Bildungs</strong>- und Begegnungswerk e. V. (IBB) durchgeführt<br />

wurde, brachte 15 junge Menschen aus Albanien, Bosnien-Herzegowina, Bulgarien,<br />

Mazedonien, Rumänien und Serbien-Montenegro nach <strong>Deutsch</strong>land.<br />

Nirgendwo in Europa wurde im letzten Jahrzehnt deutlicher als in Südosteuropa,<br />

wie wirkungsmächtig historische Stereotypen sind. Es ist daher wichtig, die Menschen<br />

in dieser Region dabei zu unterstützen, sich ihrer Vergangenheit zu stellen<br />

und Wege für ein friedliches, nicht von unterschwelligen Ressentiments belastetes<br />

Miteinander zu finden.<br />

Im Rahmen des Stabilitätspaktes wird deshalb ein besonderer Schwerpunkt auf<br />

den Bereich Geschichte und Geschichtsunterricht gelegt. Um ein Verständnis für<br />

die Geschichte der Region aus unterschiedlichen Perspektiven zu gewinnen und<br />

nationale Stereotypen abzubauen, wird die Aus- und Fortbildung von Geschichts-<br />

12


Das Projekt „Erinnern für die Zukunft“ und seine Ziele<br />

lehrerinnen und -lehrern in neuer Methodologie, in der Entwicklung von Lehr- und<br />

Lernmaterial und Curricula gefördert sowie die Vernetzung und der Austausch von<br />

Programmen unterstützt.<br />

Während die meisten Projekte bei der Diskussion über nationalgeschichtliche<br />

Weltbilder ansetzen und sich mit Schulcurricula, Historikerdialog u. ä. befassen,<br />

beschreitet dieses Projekt einen den folgenden Weg: Die Erfahrungen und Ressourcen,<br />

die in <strong>Deutsch</strong>land und anderen Staaten in der Jugend- und Erwachsenenbildung<br />

gemacht wurden, sollen genutzt werden. Anscheinend alltägliche<br />

Erinnerungen, aber auch individuelle Erfahrungen von Verfolgung und Unterdrückung<br />

stehen dabei im Mittelpunkt. Die ausgewählten Methoden können die Geschichte<br />

nicht neu interpretieren, dieser Prozess soll und muss den Menschen in<br />

der Region überlassen werden. Es handelt sich vielmehr um alltagsgeschichtliche<br />

Zugänge, die große ideologische Kontroversen vermeiden und sich zunächst mit<br />

dem befassen, was jeder in seinem Umfeld erlebt hat.<br />

Wer ist die Zielgruppe?<br />

In der Auftaktmaßnahme waren die 15 Jugend- und Erwachsenenbildner und<br />

-bildnerinnen aus Südosteuropa die direkte Zielgruppe. Es wird erwartet, dass von<br />

den verschiedenen Fortbildungsmaßnahmen und Lehrmaterialien mehr als 200<br />

Multiplikatoren in jedem Staat direkt profitieren werden. Als indirekte Zielgruppe<br />

werden auch die Jugendlichen und Erwachsenen in der Region angesehen; ihre<br />

Zahl wird die der Multiplikatoren um ein Vielfaches übersteigen. Sie kommen als<br />

Teilnehmerinnen und Teilnehmer in den Genuss von den Maßnahmen in der Erwachsenenbildung,<br />

Schule und offenen Jugendarbeit. Die vorliegende Publikation<br />

soll dabei helfen, die Ergebnisse des Seminars sowie eine Auswahl relevanter<br />

Ansätze zur Vergangenheitsbearbeitung in Südosteuropa bekannt zu machen.<br />

Deshalb wird sie auch in die wichtigsten Sprachen wie Englisch, Bulgarisch, Rumänisch,<br />

Serbokroatisch und Albanisch übersetzt.<br />

Wie sah die Auftaktmaßnahme aus und was wurde erreicht?<br />

Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer sprachen mit Zeitzeugen über ihre Diktaturerfahrungen,<br />

unter dem NS-Regime und in der DDR, besuchten eine Geschichtswerkstatt<br />

und zwei Gedenkstätten, führten Expertenbefragungen durch,<br />

erkundeten Dortmund in zwei historischen Stadtführungen, eine davon mit einem<br />

Zeitzeugen, machten eine Stadtrallye in Weimar und führten Diskussionen über<br />

die vorgestellten Methoden. Zum Abschluss nahmen sie an einem zweitägigen<br />

Workshop teil, in dem sie ihre in <strong>Deutsch</strong>land gemachten Erfahrungen auf die Situ-<br />

13


Das Projekt „Erinnern für die Zukunft“ und seine Ziele<br />

ation in Südosteuropa übertrugen. In einer umfassenden Auswertung reflektierten<br />

sie über den gemeinsamen Lernprozess und arbeiteten die Stärken wie auch die<br />

Probleme des Seminars heraus.<br />

Der für das Seminar angesetzte Zeitraum von zehn Tagen war eine wichtige Voraussetzung<br />

für das Gelingen der Veranstaltung. So blieb für die Gruppe genug Zeit<br />

zur Eingewöhnung, denn viele von ihnen waren vorher noch nie in <strong>Deutsch</strong>land<br />

gewesen, und für ausführliche Diskussionen. Außerdem musste genügend Raum<br />

für die Übersetzung der Gespräche mit den deutschen Zeitzeugen und Experten<br />

eingeplant werden, da einige nicht ausreichend Englisch sprachen.<br />

Innerhalb der Gruppe gab es keine größeren Sprachschwierigkeiten. Der größte<br />

Teil der Kommunikation fand in Englisch statt und eine kleinere Gruppe sprach<br />

auch gut <strong>Deutsch</strong>. Die Voraussetzung für eine erfolgreiche Teilnahme am Projekt<br />

war die ausreichende Beherrschung einer der beiden Sprachen. Sie wurde von<br />

allen erfüllt. Diejenigen unter den Teilnehmerinnen und Teilnehmern, die aus der<br />

serbokroatischen Sprachfamilie (Serbien-Montenegro, Mazedonien und Bosnien-Herzegowina)<br />

stammten, hatten sogar den besonderen Vorteil, dass sie sich<br />

nahezu in ihrer Muttersprache unterhalten konnten. Die Mazedonier fungierten<br />

zudem als Dolmetscher ins Bulgarische, da das Mazedonische eine Schnittstelle<br />

zwischen dem Serbokroatischen und dem Bulgarischen darstellt.<br />

Ein anderer bedeutender Faktor war die Gruppengröße, die eine angemessene<br />

Betreuung und die Schaffung eines entsprechenden Lernumfeldes ermöglichte.<br />

Die Gruppe war sehr motiviert und lernbegierig und alle hielten sich an den<br />

gleich zu Anfang geschlossenen „Vertrag“, durch den vereinbart wurde, dass<br />

das Gelingen der Veranstaltung vom Engagement jedes Einzelnen abhängen<br />

würde. Die Flexibilität des Programms war von Vorteil. Es konnte immer wieder<br />

auf die Bedürfnisse der Gruppe hin überprüft werden. Eine Vertiefung derjenigen<br />

Methoden, die auf großes Interesse stießen, wie die Arbeit mit Zeitzeugen, war<br />

dadurch möglich.<br />

Im Laufe der intensiven Diskussionen stellte sich heraus, dass die meisten Teilnehmerinnen<br />

und Teilnehmer die gesellschaftliche Notwendigkeit sahen, die Repressalien<br />

im Zusammenhang mit der Etablierung der sozialistischen Systeme in<br />

den fünfziger Jahren aufzuarbeiten. Viele Geschehnisse aus dieser Zeit würden<br />

totgeschwiegen und verdrängt. Mit Blick auf die jüngeren Ereignisse in Südosteuropa,<br />

wie den Krieg im ehemaligen Jugoslawien, stellte sich immer wieder die<br />

Frage, ob zunächst die jüngste Geschichte völlig aufgeklärt und bearbeitet werden<br />

müsse oder ob es sinnvoller wäre, 50 Jahre früher anzusetzen, da hier die Grundlage<br />

für die jüngeren Ereignisse zu finden sei. An einem der ersten Abende wurde<br />

14


Das Projekt „Erinnern für die Zukunft“ und seine Ziele<br />

in diesem Zusammenhang auch über gesellschaftliche Schuld beziehungsweise<br />

Verantwortung diskutiert – auch aus Sicht der <strong>Deutsch</strong>en.<br />

An dieser Stelle und bei späteren Anlässen, wie bei dem Besuch in Buchenwald,<br />

der die jungen Menschen aus Südosteuropa stark beeindruckte, wurde wiederholt<br />

darauf hingewiesen, dass die ersten Jahre nach der Befreiung <strong>Deutsch</strong>lands stark<br />

von einer „Schlussstrich“-Mentalität geprägt waren. Es dauerte lange bis damit<br />

begonnen wurde, die Ursachen des Nationalsozialismus zu erforschen und eine<br />

sowohl öffentliche als auch kritische Auseinandersetzung mit diesem Thema zu<br />

suchen (Frei 1996).<br />

Die erst in den siebziger Jahren an vielen Orten entstandenen Geschichtswerkstätten<br />

sind ein Beispiel dafür. In ihnen engagierten sich auch viele Lehrer und<br />

Jugendliche. Sie wollten die Spuren der NS-Geschichte in ihren Heimatorten<br />

freilegen und die Erinnerung an das geschehene Unrecht wach halten. Daraus<br />

entwickelten sich nicht wenige Initiativen, die sich für die Einrichtung von Mahnmalen<br />

und Gedenkstätten einsetzten. Diese Vorhaben wurden oft von enormen politischen<br />

Widerständen begleitet, die dazu führten, dass es teilweise mehrere Jahre<br />

dauerte, bis sie verwirklicht werden konnten (vgl. Abschnitt 3.3.2, „Alte Synagoge<br />

in Essen“). Fast parallel kam es zu einer Abwendung vom lehrer- und gegenstandsorientierten<br />

Unterricht hin zu mehr Praxisnähe und Schülerorientierung. Die<br />

Suche nach Materialien, die den Interessen der Schüler entgegenkamen, führte<br />

zur Lokal- und Alltagsgeschichte und ihren speziellen Methoden und Arbeitstechniken<br />

(vgl. Ehmann/Rathenow 2000). Projektorientierte Arbeitsformen wurden<br />

entwickelt wie Zeitzeugenbefragung (vgl. Abschnitt 4.13), lokale Spurensuche<br />

(vgl. Abschnitt 4.16), Exkursionen zu Gedenkstätten (vgl. Abschnitt 4.8) etc.<br />

Die deutsche Vergangenheitsbearbeitung und der damit verbundene Lernprozess<br />

hält bis heute an. Das Seminar sollte kein „leuchtendes Beispiel“ geben oder<br />

ein Universalrezept vermitteln, sondern Möglichkeiten und Erfolge, aber auch<br />

Hindernisse und Versäumnisse aufzeigen. Die Entwicklung und Widersprüchlichkeit<br />

der deutschen Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte, sowohl<br />

mit der NS-Diktatur als auch mit dem DDR-Regime, wurde den Teilnehmerinnen<br />

und Teilnehmern des Seminars zugänglich gemacht. Insbesondere der zweitägige<br />

Methoden-Workshop ermöglichte eine intensivere Auseinandersetzung mit<br />

einigen ausgewählten Methoden und deren Nutzung für die eigene Situation in<br />

Südosteuropa (vgl. Abschnitt 3.3).<br />

15


Das Projekt „Erinnern für die Zukunft“ und seine Ziele<br />

Wie ist die Dokumentation aufgebaut?<br />

An die Einleitung schließt sich ein Interview mit Hans Koschnick an, dem ehemaligen<br />

Bürgermeister von Bremen. Er war von 1994 bis 1996 als EU-Administrator im<br />

herzegowinischen Mostar tätig. Dort war er für den Wiederaufbau der Verwaltung<br />

der im jugoslawischen Bürgerkrieg zerstörten und geteilten Stadt zuständig. Von<br />

1998 bis 1999 war er der Bosnienbeauftragte der Bundesregierung und verantwortlich<br />

für die Rückführung der Bürgerkriegs-Flüchtlinge. In einem Gespräch<br />

mit Heike Catrin Bala nahm er sich Zeit, um über seine Erfahrungen in Mostar zu<br />

berichten und diskutierte mit ihr über die Möglichkeiten der Geschichtsaufarbeitung<br />

in einer durch den Realsozialismus sowie von Krieg und Gewalt geprägten<br />

Region.<br />

Im dritten Kapitel, das vor allem das Seminar dokumentiert, werden die fünfzehn<br />

Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus Südosteuropa und das deutsche Leitungsteam<br />

vorgestellt. Obwohl die Mitglieder der Gruppe aus sechs verschiedenen<br />

Ländern kamen, wird anhand der Kurzbiografien die Menge der Gemeinsamkeiten<br />

deutlich: Alle waren etwa gleich alt und hatten ein Studium abgeschlossen<br />

oder beendeten es gerade. Darüber hinaus engagierten sich die meisten in der<br />

schulischen oder außerschulischen Jugend- und Erwachsenenbildung, zu einem<br />

großen Teil bei den Partnerorganisationen des IIZ/DVV in den einzelnen Ländern<br />

oder bei deren Kooperationspartnern. Diese Gemeinsamkeiten waren für das Gelingen<br />

der Veranstaltung von großem Vorteil, da für Gruppen typische Probleme,<br />

wie der Intergenerationenkonflikt, gar nicht erst auftreten konnten.<br />

Im Anschluss findet sich ein knapper Programmüberblick, der durch eine ausführliche<br />

Beschreibung der einzelnen Programmpunkte ergänzt wird. Berücksichtigt<br />

werden auch einige Kommentare und Einschätzungen der Teilnehmerinnen und<br />

Teilnehmer. Viele von ihnen haben sich über das Seminar hinaus für die Dokumentation<br />

engagiert und einen Bericht über einen speziellen Programmpunkt<br />

verfasst, der auch oft ihre persönlichen Eindrücke wiedergibt. Häufig war es<br />

notwendig, die Zitate zu übersetzen oder in eine lesbare Form zu bringen. Dies<br />

geschah mit größter Sorgfalt und dem Bemühen, den Inhalt so genau wie möglich<br />

wiederzugeben. Im Vordergrund stand zwar die Dokumentation des Seminars,<br />

aber es wird bereits deutlich, wie vielfältig die vermittelten Methoden waren, von<br />

der Ermittlung eines Stimmungsbildes durch das einfache Blitzlicht bis hin zum<br />

komplexen Rollenspiel.<br />

Im vierten Kapitel findet sich die ausführliche Darstellung von zwanzig Methoden<br />

und Arbeitstechniken aus der politischen Jugend- und Erwachsenenbildung, darunter<br />

Standardmethoden wie die Befragung oder der Workshop. Jede einzelne<br />

16


Das Projekt „Erinnern für die Zukunft“ und seine Ziele<br />

von ihnen wurde im Seminar vorgestellt und meistens selbst von der Gruppe<br />

ausprobiert. Deshalb werden in den Artikeln oft Bezüge zum vorangegangenen<br />

Abschnitt hergestellt. Ein Beispiel dafür sind die „Kicks“, die kleinen Bewegungseinheiten<br />

für zwischendurch. Hier werden die Spiele beschrieben, die im Rahmen<br />

des Seminars durchgeführt wurden. Darüber hinaus gibt es konkrete Tipps zur<br />

Vorbereitung und detaillierte Anleitungen zur Durchführung der komplexeren<br />

Methoden.<br />

Dieses Kapitel ist ein internes Handbuch und stellt ein wichtiges Ergebnis des<br />

Seminars dar. Erst die Durchführung des Seminars zeigte, welche Methoden für<br />

diese Zielgruppe praktikabel waren. Einfache Maßnahmen, wie die Veränderung<br />

der Sitzordnung, waren für einige Teilnehmer nicht selbstverständlich. Auf diese<br />

Weise findet der Einfluss der Teilnehmerinnen und Teilnehmer auf das Seminar<br />

einen direkten Eingang in diese Publikation. Ein wichtiger Aspekt bei der Auswahl<br />

der Methoden war darüber hinaus die finanzielle Machbarkeit. Die meisten der<br />

vermittelten Methoden können kostengünstig durchgeführt werden. Im Ausnahmefall<br />

wird der Versuch gemacht, auf mögliche Einnahmequellen hinzuweisen<br />

(vgl. Abschnitt 4.17).<br />

Dem Ausblick auf die Zukunft des Projekts folgt ein umfangreicher Informationsteil,<br />

der die Weiterbeschäftigung mit dem Thema erleichtern soll. Zur Kontaktaufnahme<br />

mit den beteiligten Initiativen und Organisationen steht ein Adressenverzeichnis<br />

zur Verfügung. Der Anhang enthält Kopiervorlagen von Arbeitsmaterialien, die<br />

im Rahmen des Seminars und des Workshops verwendet wurden. Sie können für<br />

ähnliche Veranstaltungen benutzt werden. Das Abkürzungsverzeichnis erläutert<br />

die im Text gebrauchten Kürzel. Einen Schlusspunkt setzt das Literaturverzeichnis,<br />

das die wichtigsten in der Dokumentation verwendeten Publikationen beinhaltet<br />

und Tipps für eine weiterführende Beschäftigung mit der Thematik gibt.<br />

Danksagung<br />

Ohne die Hilfe zahlreicher Einzelpersonen und Organisationen hätten weder das<br />

Seminar noch die Dokumentation zu einem erfolgreichen Abschluss gebracht<br />

werden können. An dieser Stelle möchten die Herausgeber, Veranstalter und<br />

die Autorin ganz besonders Hans Koschnick, ehemaliger EU-Beauftragter zum<br />

Wiederaufbau von Mostar und ehemaliger Bosnienbeauftragter der Bundesregierung,<br />

Dr. Peter Schwiderowski von der Alten Synagoge Essen, Andreas Müller<br />

von der Geschichtswerkstatt Dortmund, Günther Birkmann von der Gesellschaft<br />

für christlich-jüdische Zusammenarbeit in Dortmund, der Mahn- und Gedenkstätte<br />

„Steinwache“, dem Zeitzeugen Valentin Frank aus Dortmund, dem Zeitzeugen<br />

17


Das Projekt „Erinnern für die Zukunft“ und seine Ziele<br />

Karl-Heinz Fröhlich aus Weimar, Andrea Wagner, der Gleichstellungsbeauftragten<br />

der Stadt Weimar, Stephan Eschler von der Europäischen Jugendbildungs- und<br />

Jugendbegegnungsstätte in Weimar, Daniel Gaede von der Gedenkstätte Buchenwald,<br />

Martin Jakel von der Stadt Witten, René Koroliuk vom DGB-Jugendbildungszentrum<br />

in Hattingen sowie Michael Rüben (IBB), Heiko Hamer (IBB),<br />

Sebastian Welter (IIZ/DVV), Eva R. Schultz (IIZ/DVV) und Christian Bala für ihre<br />

freundliche Unterstützung und Hilfe danken.<br />

Literatur<br />

Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung: Drei Jahre<br />

Stabilitätspakt für Südosteuropa - Bilanz und Perspektiven: Musterbeispiel nicht-militärischer<br />

Sicherheitspolitik. Statement von Bundesentwicklungsministerin Heidemarie<br />

Wieczorek-Zeul auf der gemeinsamen Pressekonferenz mit der KfW, Frankfurt/M., 16.<br />

Juni 2002 (http://www.bmz.de).<br />

Ehmann, Annegret/Rathenow, Hanns-Fred: Nationalsozialismus und Holocaust in der<br />

historisch-politischen Bildung, in: Brinkmann, Annette/Ehmann, Annegret/Milton, Sybil<br />

[et.al.] (Hrsg.): Lernen aus der Geschichte. Projekte zu Nationalsozialismus und Holocaust<br />

in Schule und Jugendarbeit/Learning from history. The Nazi era and the Holocaust<br />

in German education [mit CD-ROM], Bonn 2000, S. 24-54.<br />

Frei, Norbert: Vergangenheitspolitik. Die Anfänge der Bundesrepublik und die NS-Vergangenheit,<br />

München 1996.<br />

Mintchev, Emil: Europa und die Probleme des Balkans. Ein Jahr Stabilitätspakt für Südosteuropa,<br />

in: Internationale Politik 55 (2000), H. 8, S. 53-58.<br />

Schur, Wolfgang: Politische Bildung in der Stabilitätspaktregion. Analysen und Handlungsmöglichkeiten.<br />

Im Auftrag des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit<br />

und Entwicklung. IPE 30. Bonn: IIZ/DVV 2001.<br />

18


2. „Wir brauchen Begegnung“<br />

Hans Koschnick im Gespräch mit Heike Catrin Bala<br />

„Wir brauchen Begegnung“<br />

Hans Koschnick wurde am 2. April 1929 in Bremen geboren. Von 1967 bis<br />

1985 war er Bürgermeister seiner Heimatstadt. Jahrelang gehörte er dem<br />

Bundesvorstand der SPD an. Zudem war er Präsident des <strong>Deutsch</strong>en Städtetages<br />

und Mitglied des Bundestages. 1994 nahm er das Angebot der Bonner Regierung<br />

an, zwei Jahre als Administrator der EU den Wiederaufbau der im jugoslawischen<br />

Bürgerkrieg schwer zerstörten und geteilten herzegowinischen Stadt<br />

Mostar zu organisieren. Im selben Jahr verübten kroatische Extremisten einen<br />

Mordanschlag auf ihn; auch im Februar 1996 wurde ein Attentat auf ihn unternommen.<br />

Ende März 1996 gab Hans Koschnick sein Mandat zurück. Er wurde<br />

Berater der Europäischen Kommission für den freiwilligen Dienst. Von 1998<br />

bis 1999 war er Bosnienbeauftragter der Bundesregierung. In dieser Funktion<br />

organisierte er die Rückführung von Bürgerkriegs-Flüchtlingen. Neben vielen<br />

anderen Mitgliedschaften und Ämtern war er in den letzten Jahren immer wieder<br />

als Schlichter in Tarifkonflikten des öffentlichen Dienstes aktiv. Er ist auch der<br />

Vorsitzende des Vereins „Gegen Vergessen – Für Demokratie“, der unter anderem<br />

zur Aufklärung über die Ursprünge und Strukturen des Nationalsozialismus sowie<br />

über die Geschichte des SED-Regimes beitragen will.<br />

Herr Koschnick, Sie waren nicht nur EU-Administrator der Stadt Mostar, sondern<br />

auch Bosnienbeauftragter der Bundesregierung. In ihren vielfältigen<br />

Funktionen haben Sie die Balkanregion sehr gut kennen gelernt. Welche<br />

Chancen sehen Sie, dass in Ländern, die einerseits eine realsozialistische<br />

Diktatur erlebt und andererseits auch die Erfahrung von Krieg und Gewalt<br />

gemacht haben, heute eine Aufarbeitung der Vergangenheit beginnen<br />

kann?<br />

Es ist das Problem, ob man nur von Vergangenheit sprechen kann. Für die Menschen<br />

des früheren Jugoslawien, die durch Kriegshandlungen aus ihren normalen<br />

Lebensumständen herausgerissen wurden, sind ihre Einzelschicksale zunächst<br />

wichtiger als die allgemeine „Aufarbeitung der Vergangenheit“. Tatsächlich ist<br />

aber eine Friedenslösung auf dem Balkan erst dann umsetzbar, wenn die Fragen<br />

der Vergangenheit einigermaßen objektiv aufgearbeitet sind. Denn ein wichtiger<br />

Teil der Konfliktsituationen zwischen den Menschen ist begründet in Urteilen und<br />

Vorurteilen, die aus der Geschichte abgeleitet wurden. Dies gibt es in jeder Ge-<br />

19


„Wir brauchen Begegnung“<br />

sellschaft. Aber es wird überhaupt keine Friedenssicherung geben, wenn nicht<br />

eines Tages vernünftig über die wirklichen Geschehnisse der Vergangenheit<br />

gesprochen wird. Doch was sind „wirkliche Geschehnisse“? Ich habe Bosniaken,<br />

Serben, Kroaten, Mazedonier, Kosovaren und Montenegriner kennen gelernt, die<br />

alle eine spezifische eigene Wahrheit über ihre Geschichte haben.<br />

Ich werde häufig gefragt: Was ist dort geschehen? Was belastet dort die Menschen?<br />

Wie sind sie dazu gekommen? Können Sie das begreifen? Und ich sage<br />

stets, dass ich es nicht begreifen kann. Ich kann es aber begründen, und zwar immer<br />

aus der Sicht der jeweils Betroffenen. In <strong>Deutsch</strong>land bitte ich die Zuhörer auf<br />

Veranstaltungen immer, wenn sie mir sagen, dass das alles unbegreiflich sei, doch<br />

erst mal die Frage zu beantworten, warum wir zugesehen und nicht aufbegehrt<br />

haben, als Menschen mit denen wir 300, 400 oder 500 Jahre nachbarschaftlich<br />

zusammenlebten, die Bürger waren wie wir, im deutschen Interesse für Kaiser und<br />

Vaterland kämpften, nach 1933 ausgegrenzt, diffamiert und am Ende in Vernichtungslager<br />

geschickt wurden? Wenn man mir darauf eine glaubwürdige Antwort<br />

geben könnte, dann kann man auch Antworten für die Ereignisse auf dem Balkan<br />

finden. Wenn nicht, dann sind wir in der ganz schwierigen Situation, Antworten für<br />

das Verhalten anderer zu suchen, die wir für unser eigenes Volk nicht finden.<br />

Wie meinen Sie das?<br />

Wir arbeiten ja daran, wir forschen. Was die Wissenschaftler und Meinungs bildner<br />

tun, ist nicht identisch mit dem Denken aus der Mitte der Bevölkerung. Aber aus<br />

eben dieser Mitte kommen Fragen: Warum hat man auf dem Balkan weggeschaut?<br />

Warum haben so viele mitgemacht?<br />

Bleiben wir zunächst bei dem Beispiel des Schicksals der Juden in <strong>Deutsch</strong>land:<br />

Als Hitler gewählt wurde oder als er die Macht ausgehändigt bekam von konservativen<br />

Kräften, war <strong>Deutsch</strong>land in der Mehrheit nicht antisemitisch. Drei,<br />

vier Jahre später sah die Welt anders aus. Plötzlich waren sie ausgegrenzt, die<br />

Nachbarn von einst. Und wenn wir hier keine Antwort finden können, wie das passieren<br />

konnte, sind wir dann in der Lage für andere eine Antwort zu geben, was<br />

in ihrem Land los war? Das ist mein Problem. Ich habe deswegen wo immer ich<br />

zu den Krisen und Exzessen auf dem Balkan zu sprechen habe, nie von Schuld<br />

gesprochen. Auf meinen Schultern lastet Auschwitz mit. Ich war zuvor nicht daran<br />

beteiligt, aber ich bin ein Teil dieser Nation, die verantwortlich dafür ist. Und kann<br />

immer noch keine Antwort darauf geben, kann es immer noch nicht begreifen,<br />

warum so viele mitgelaufen sind oder weggeschaut haben, gar nicht unmittelbare<br />

20


„Wir brauchen Begegnung“<br />

Täter waren, aber mittelbar das alles geduldet haben. Und nun erwartet ihr, ich<br />

soll dem Kroaten, dem Bosniaken oder dem Kosovaren sagen: „Ich begreife nicht,<br />

wie du das tun konntest?“ Wenn ich nicht mal in der Lage bin zu begreifen, was<br />

mein eigenes Volk getan hat?<br />

Viele Teilnehmerinnen und Teilnehmer haben während des Seminars den<br />

Eindruck gewonnen, dass die <strong>Deutsch</strong>en bereits die Antworten auf diese<br />

Fragen gefunden hätten. Gedenkstätten wie die Alte Synagoge in Essen oder<br />

das frühere Konzentrationslager Buchenwald in der Nähe von Weimar galten<br />

als beispielhaft. Was wir zu vermitteln versuchten war aber, dass diese<br />

Einrichtungen auch nicht in der unmittelbaren Nachkriegszeit entstanden<br />

sind. <strong>Deutsch</strong>land hat dafür Jahrzehnte gebraucht. Solche Prozesse sind<br />

auch immer abhängig vom Geschichtsbild und Geschichtsverständnis. Welches<br />

Geschichtsbild denken Sie, haben die Menschen auf dem Balkan?<br />

Hans Koschnick<br />

21


„Wir brauchen Begegnung“<br />

Wissen Sie, welches Ereignis am 16. Juli 1054 stattfand? 80 bis 85 Prozent der<br />

Bevölkerung auf dem Balkan kann mit dem Tag etwas anfangen. Es war das<br />

große Kirchenschisma, die Trennung der byzantinischen und römischen Kirche.<br />

Bleiben wir im Mittelalter: 1204 wurde Konstantinopel von Venedig und Rom<br />

erobert. Die römische Kirche wollte sich durchsetzen. Und seither gibt es in der<br />

gesamten orthodoxen Welt die Vorstellung, dass diese Invasion des Papstes und<br />

Venedigs die Einfalltüre geöffnet habe für Einbruch des Islam in Europa, für den<br />

Mongolensturm, für die Tatarenherrschaft in Osteuropa. Und immer, wenn Sie<br />

heute mit einem der großen orthodoxen Kirchenführer sprechen, verlangen diese<br />

eine Entschuldigung für 1204. Ich persönlich bin Protestant, doch das zählt für sie<br />

nicht, damals waren wir ja noch in einer römisch-katholischen Kirche.<br />

Dies soll zeigen, wie geschichtsbesessen dort auf dem Balkan die Menschen sind.<br />

Viele werden kaum etwas von der modernsten Zeit wissen, aber können genau<br />

sagen, was 1054, 1204, 1389 – Schlacht auf dem Amselfeld – war. Sie wissen<br />

alles von den Türken vor Wien, den zwei Belagerungen, den Freiheitskämpfen,<br />

aber die neuere und neueste Zeitgeschichte fällt dabei zurück. Sollen wir als<br />

<strong>Deutsch</strong>e jetzt sagen: Donnerwetter, das wollen wir aber gar nicht wissen. Wir<br />

verstehen doch einige der heutigen Handlungsweisen nur, wenn wir wissen, was<br />

in der Vergangenheit vorgefallen ist. Zwar waren das im 19. und 20. Jahrhundert<br />

keine religiösen Konflikte mehr, wohl aber nationalistische.<br />

Mit Napoleon und der Französischen Revolution kam die Idee der Nation auch auf<br />

den Balkan; früher waren die konfessionellen Bindungen maßgeblich. Man war<br />

orthodox, ob serbisch oder bulgarisch; man war römisch-katholisch; man war, ab<br />

dem 14. Jahrhundert, auch zum Teil moslemisch. Und nun kommt die neue Idee<br />

der Aufklärung, die in der Orthodoxie und im Islam nicht Fuß fassen konnte, auf<br />

diesen Balkan. Diese neue Idee, die Französische Revolution, die Nationswerdung,<br />

im Sinne der Franzosen, nicht etwa nur als Idee von Gleichheit, Freiheit und<br />

Brüderlichkeit, sondern auch von einem staatlich bestimmten Nationalbezug. Dieser<br />

Umstand wurde von den Medien nie thematisiert; die haben aus den Konflikten<br />

zwischen Serben, Kroaten und anderen in der Regel religiöse Konflikte gemacht.<br />

Die gab es aber viel früher, sie waren nicht Ursache der jüngsten Krise.<br />

Wenn Sie also von den Vorprägungen sprechen, kommen sie auf dem Balkan<br />

ohne diese Geschichtskenntnisse nicht aus. Sie müssen sie nicht akzeptieren,<br />

aber bleiben Bestand dafür, warum so entschieden wird, wie entschieden wird.<br />

Ich war im Mai 1994 erstmals in Mostar, mit dem Auftrag, die Menschen wieder<br />

zur gemeinsamen Tat zusammen zu führen, die Stadt wieder aufzubauen. Bevor<br />

die letzten internationalen Verhandlungen abgeschlossen waren, führte ich dort<br />

22


„Wir brauchen Begegnung“<br />

die notwendigen Gespräche. Ich hatte die Aufgabe, zwei Armeen aus der Stadt<br />

herauszubringen. Dann ging es darum, der zivilen Bevölkerung zu helfen. Deshalb<br />

habe ich mit den damaligen Eliten vor Ort sprechen müssen. Die wollten aber von<br />

mir zunächst nicht wissen, wann mehr Verpflegung, wann mehr Medikamente<br />

kommen, wann mit der Aufbauhilfe zu rechnen sei; sie wollten von mir Bekenntnisse.<br />

Sie wollten wissen, warum es zur Spaltung der Christenheit gekommen ist, sie<br />

wollten wissen, was 1204 passiert ist; sie wollten wissen was die Türken auf dem<br />

Amselfeld oder vor Wien wollten. Sie wollten all das erst wissen, um festzustellen<br />

wo ich stehe und ob sie mit mir offen reden konnten. Sie wollten Bekenntnisse.<br />

Weder Wahrheit, noch Hilfe, noch sonst etwas Materielles, sondern Bekenntnisse.<br />

Bekenntnisse, die genau in ihr Kollektivbewusstsein hineinpassten. Und das war<br />

nicht nur 1994 so, sondern blieb auch später wichtig. Nach der ersten Diskussion<br />

habe ich abends noch zu Hause angerufen und meine Frau gebeten, sie solle<br />

mir doch schnell Rankes „Geschichte der Päpste“ schicken. Meine Frau dachte,<br />

ich hätte einen Klaps. Bis man zu Hause begriffen hatte, wie wichtig es ist, diesen<br />

Teil der Geschichte zu kennen. Jeder interpretiert sie anders, jeder hat eine<br />

andere Sichtweise, die früher mündlich weitergegeben wurde. Über Großvater zu<br />

Großvater zu Großvater.<br />

Also haben die verschiedenen Ethnien und Volksgruppen ihr eigenes<br />

Geschichtsbild.<br />

Da differenzieren Sie schon mehr als die meisten Journalisten. Der gesamte<br />

Balkan von Slowenien bis Mazedonien, einschließlich Bulgarien, war grundständig<br />

slawisch besiedelt. Es gibt keine serbische, kroatische, bosnische oder<br />

bulgarische Ethnie; sie alle waren Slawen und haben sich nationalistisch zu<br />

Volksgruppen entwickelt. Rumänien und Ungarn waren dagegen nicht slawischer<br />

Abstammung; die Kosovaren und Albaner waren Illyrer, also nicht slawisch. Jetzt<br />

werden Ethnie und Volksgruppe oft verwechselt; der Begriff der Volksgruppe ist<br />

viel zutreffender. Die meisten Sprachen dieser Region basieren auf der altslawischen<br />

Kirchensprache; man kann also miteinander kommunizieren, auch wenn<br />

die Schrift unterschiedlich ist. Die Volksgruppe entstand mit der Entscheidung,<br />

sich zu einer Nation zu bekennen. Und deswegen sind die Konflikte nationalistisch<br />

begründet; es waren meistens nationalistische Säuberungen, keine ethnischen.<br />

Der Wille, das Bekenntnis zur Nation waren bedeutsam. Das muss man<br />

verinnerlichen, um überhaupt verstehen zu können, was die Menschen prägt.<br />

Deswegen ist der Balkan nur zu verstehen wenn man die wichtige Grundsubstanz<br />

der geschichtlichen Befangenheit kennt. Zuerst war die Spaltung religiös, dann in<br />

23


„Wir brauchen Begegnung“<br />

den letzten 150 Jahren nationalistisch. Das war die erste Erkenntnis, die ich nach<br />

1994 gewonnen habe.<br />

Die zweite ist: Da diese Ereignisse in der Regel nicht in historischen Werken überliefert<br />

werden, von ernsthaften Wissenschaftlern, sondern auf Überlieferungen<br />

beruhen, hat darüber nie eine ernsthafte wissenschaftliche Diskussion auf dem<br />

Balkan stattgefunden.<br />

Auch die Teilnehmerinnen und Teilnehmer unseres Seminars haben sich dahingehend<br />

geäußert. Sie hätten gern ein breiteres Geschichtsverständnis in<br />

ihren Ländern. Das schließt auch eine Aufarbeitung der neueren Geschichte<br />

ein.<br />

Aber die alte Geschichte spielt in die neuere Geschichte hinein: Ich verabschiedete<br />

mich, als ich in Mostar Schluss machte, 1996 in Dubrovnik. Der dortige<br />

Stadtpräsident, ein überzeugter Kroate, ein sehr ordentliches Stadtoberhaupt,<br />

HDZ-Mitglied, Mitglied im Parlament in Zagreb, also hinreichend national durchwirkt,<br />

bat mich beim Abschied doch mal ein klares Wort gegen die „barbarischen<br />

Attacken“ der Montenegriner gegen Dubrovnik zu sagen. In der Geschichte wurde<br />

die Stadt sechs- bis siebenmal überfallen, die Vororte jedes Mal zerstört, die<br />

Großmauern hatten gehalten. Und es war in meinen Augen auch unbestritten<br />

barbarisch, was sich an Zerstörungswut zeigte. Ich sagte: „Kann ich wohl machen,<br />

lieber Freund, wenn du sagst, wie oft ihr Dubrovniker in Montenegro ward, um dort<br />

‚für Ordnung zu sorgen’“. Wissen Sie, was dann passiert ist? Er schaute mich an<br />

und sagte: „Ach Gottchen, lass uns lieber Essen gehen.“<br />

Dies hätte ich in Zagreb, in Sarajewo, in Belgrad und auch in Sofia gleichermaßen<br />

so erfahren. Jeder nimmt nur das Leid des eigenen Volkes wahr, weiß was seiner<br />

Familie, seinem Dorfe angetan wurde. Man will aber nicht wahrhaben, dass man<br />

selbst in vielen Konflikten die handelnde, die treibende Kraft war.<br />

Der einfache Mann ist genau in dieser Geschichte beheimatet. Nur zu der Zeit, als<br />

sich urbane Zentren auf dem Balkan entwickelten, konnte man eine europäische<br />

Form der Geschichtsschreibung vermitteln. Damals waren die Städte mit guten<br />

Schulen und einem vernünftigen Geschichtsunterricht ausgestattet. Aber beispielsweise<br />

in Ostkroatien haben die Dörfer Schulen wie 1914 gehabt. Das heißt<br />

wenig Lehrer, wenig hinreichendes Material, ergo wurde die Geschichte nicht in<br />

der Schule vermittelt, sondern vom Großvater. Und die orale Geschichtsvermittlung<br />

ist die Geschichte des Leidens, vielleicht auch mal die einer schönen Sache,<br />

wenn beispielsweise ein Mädchen einen reichen Bauern geheiratet hat. Aber im<br />

24


„Wir brauchen Begegnung“<br />

Wesentlichen war das immer nur Leidensgeschichte. Und über Jahrhunderte ist<br />

das prägend geblieben.<br />

Im August 1945 hat Tito dann einen Deckel auf die Geschichte gelegt, soweit es<br />

um das Nationalbewusstsein ging. Er kannte die Spannungen zwischen den Balkan-Nationen.<br />

Heute verdrängen die neuen Nationen die Idee und Geschichte von<br />

Jugoslawien. So ist vergessen, dass es Bischof Josip Juraj Štrosmajer (Joseph<br />

Georg Strossmayer) war, der die Ideen einer Vereinigung der südslawischen Völker<br />

als dritte Kraft in Österreich-Ungarn hatte. Er hat eine Fülle von Denkmälern,<br />

aber keiner wird ihnen heute sagen, dass er der Erfinder der Idee von Jugoslawien<br />

war, weil man dieses Jugoslawien nicht mehr wahrhaben will.<br />

Die Staatsgründung nach 1919 wurde dann problematisch, weil die Serben sofort<br />

versuchten zu dominieren. Sie hatten als einzige vorher einen souveränen Staat<br />

bilden können – alle anderen waren ja Teile der Vielvölkerimperien gewesen.<br />

Aus diesem Streit um die Dominanz ist der Krach zwischen Serben und Kroaten<br />

entstanden.<br />

Die serbokroatische Sprache war damals eine gesuchte und gefundene, von Professoren<br />

aus Belgrad und Zagreb in Wien entwickelte Sprache. All das ist nun<br />

vorbei, wird verdrängt, existiert nicht mehr. Die Spannungsverhältnisse des Königreiches<br />

der Serben, Kroaten und Slowenen, später Königreich Jugoslawien, führten<br />

zum Zusammenbruch des Staates als <strong>Deutsch</strong>e und Italiener einmarschierten.<br />

Es folgte eine extreme Nationalbestimmung; kroatische Ustascha (Ustaša) und<br />

moslemische Handjar-Verbände einerseits, sowie serbische Tschetniks (Četnici)<br />

andererseits, brachten sich gegenseitig um. Und als das Morden nach Kriegsende<br />

nicht zu Ende war – sondern jetzt die Partisanen mit den Nationalverbänden<br />

abrechneten, die vorher die Partisanen verfolgt hatten – entschied Tito im August<br />

1945, dass alles, was passiert war, als Ergebnis der deutsch-italienischen Invasion,<br />

als Aggression darzustellen sei. Danach handele es sich nicht mehr um einen<br />

Bürgerkrieg und deswegen sprach man nur noch vom neuen Jugoslawien, das<br />

man gemeinsam befreit und rückerobert habe, Brüderlichkeit und Einigkeit binde<br />

alle zusammen. Die Völker sollten, das war eine Schlussfolgerung aus der Zeit<br />

des Königreichs, von nun an die gleichen Rechte haben.<br />

Von da an wurde in den Schulen die jüngere Geschichte nicht mehr gelehrt; das<br />

neue Jugoslawien begann 1945/46. Da die alte Leidensgeschichte aber orale<br />

Überlieferung war, blieb sie bei den Völkern in den Köpfen, auch wenn sie nicht<br />

mehr öffentlich besprochen, nicht mehr gelehrt wurde.<br />

25


„Wir brauchen Begegnung“<br />

Und nach 1990 ist das dann wieder aufgebrochen?<br />

Genau, die einen haben diese Geschichte genutzt, um gegen die anderen<br />

zu kämpfen. Jene, welche die Gemeinsamkeiten betonten, wurden zu einer<br />

Minderheit. Die Verlierer von 1945 wurden zu Siegern, und die Sieger von 1945<br />

zu den Verlierern. Der ganze Balkan ist zerrissen. Es gibt für die Einen, die „gute“<br />

Zeit eines gemeinsamen Jugoslawiens; aber die meisten beschwören die Tage<br />

des Nationalen. Doch viele sagen heute: „Warum haben wir uns so zerstritten, so<br />

schlecht ging es uns doch nicht? Heute geht es uns doch schlechter.“<br />

Also gibt es auch wieder Annäherungen, Ansätze zur Zusammenarbeit. Ist<br />

das eine positive Möglichkeit, sich gemeinsam die Geschichte anzueignen?<br />

Oder sollte jede Volksgruppe dies für sich tun?<br />

Ob das positiv ist oder nicht, weiß ich nicht. Aber die Menschen werden es tun,<br />

weil die Eliten vielfach die Gestrigen sind. Die brauchten für die Begründung des<br />

Krieges die gestrigen Antworten. Als Jugoslawien zerfiel, war es ein Staat mit<br />

sehr unterschiedlich geprägten und gleichermaßen unterschiedlich strukturierten<br />

Republiken; aber es gab ein Curriculum für die schulische Ausbildung, eine gemeinsame<br />

Vorstellung davon, was gelehrt werden sollte. Jetzt haben wir sieben<br />

Staaten und alle sieben haben ganz spezifische Lehrpläne.<br />

Sie beginnen mit der Sprache, die sie wieder aufbröseln und zu den alten Sprachen<br />

zurückentwickeln. In Serbien, Bosnien oder Kroatien wird die Literatur<br />

hervorgehoben, die unter Tito verboten war, weil er eben nicht die nationalen<br />

Gegensätze wollte. Mit Verboten schafft man das aber nicht, das war ja eines der<br />

großen Irrtümer seiner Politik.<br />

Von daher werden Sie eins erleben: Was die jungen Leute wollen, ist das eine.<br />

Die Staaten werden zunächst ihren eigenen nationalen Weg weitergehen. Was<br />

wir als Vertreter der internationalen Gemeinschaft anbieten können, ist möglichst<br />

vielen jungen Meinungsbildern, Journalisten, Lehrern und so weiter dabei zu helfen,<br />

den Kopf von dem gestrigen Quatsch freizukriegen, und einen eigenen Weg<br />

zu suchen.<br />

Dies ist auch der Ansatz unseres Projektes, die Möglichkeit in einer neutralen<br />

Umgebung die Voraussetzung für einen Dialog über die Vergangenheit<br />

zu schaffen.<br />

26


„Wir brauchen Begegnung“<br />

Ja, das was Sie machen ist genau richtig. Ähnliches habe ich in Mostar versucht.<br />

Da ich es in der Stadt nicht erreichen konnte, habe ich mir Angehörige aller drei<br />

Seiten geholt und wir sind nach Kroatien, Slowenien oder ins Ausland gefahren,<br />

Österreich, <strong>Deutsch</strong>land, Belgien oder die Schweiz. Und wenn sie einmal zusammen<br />

waren, dann sprachen sie miteinander wie früher, tauschten sich aus und<br />

erkundigten sich nach den Familien des anderen. So wie wir wieder nach Mostar<br />

kamen, war das Gespräch wieder zu Ende; die Angst, dafür zur Rechenschaft<br />

gezogen zu werden, war wieder da. Die anderen könnten ja sehen, dass man<br />

dabei war, ein neues Nebeneinander zu organisieren.<br />

Es müssen also Organisationen von außerhalb helfen, die Dialogfähigkeit<br />

wiederherzustellen?<br />

Genau, das ist eine Möglichkeit. Es gibt eine Organisation, die heißt „Schüler<br />

helfen leben“. Sie wurde in Rheinland-Pfalz gegründet und hat heute viele deutsche<br />

Schulen erfasst. Die Abiturienten gehen für ein oder ein dreiviertel Jahr<br />

auf den Balkan. Sie haben schon vieles erreicht in der Hilfe für ein Miteinander.<br />

Sie haben festgestellt, dass es in Bosnien einen Platz gibt, an dem man junge<br />

Menschen aller Nationen zusammenführen kann, ohne dass jemand sie bedroht:<br />

Sarajewo. Dort haben sie ein gemeinsames Jugendzentrum eingerichtet, Zeitungen<br />

in kyrillischer und lateinischer Schrift gedruckt und gemeinsame kulturelle<br />

Veranstaltungen gemacht.<br />

Dies ist auch aktive Geschichtsaufarbeitung, denn es löst den vorgestellten<br />

Gegensatz auf, von dem man glaubt, dass er seit tausend Jahren besteht. Ich<br />

kann den jungen Leuten doch heute wirklich kaum begreiflich machen, dass die<br />

Sache 1054 eigentlich ein Streit zwischen Pfaffen war, römischer oder orthodoxer<br />

Prägung. Ob der Heilige Geist nun von Sohn und Vater oder nur vom Vater ausgegangen<br />

ist, war der Streitpunkt. Das sind Dinge, die ich in einem Gespräch mit<br />

jungen Meinungsbildnern selbst nicht auflösen kann. Man kann ihnen nur dabei<br />

helfen einen klaren Kopf zu behalten, indem man ihnen bewusst macht, dass ein<br />

Teil dessen was war, richtig und falsch zugleich ist. Die Jahreszahlen stimmen,<br />

aber die Zusammenhänge hat jede Nation, hat jeder Großvater aus den Erlebnissen<br />

seiner Zeit weitergetragen und trägt sie noch immer weiter. Und die einzige<br />

Antwort, die es geben kann, ist: Führt die jungen Menschen zusammen, lasst sie<br />

miteinander sprechen und gebt ihnen ganz allmählich die Kraft, selbst zu suchen<br />

und selbst zu ihrer Antwort zu finden.<br />

27


„Wir brauchen Begegnung“<br />

Dann wird auch die Frage aufkommen, ob das, was passiert ist, eigentlich vernünftig<br />

war. Ist Krieg eigentlich eine Antwort auf unsere Fragen von heute? Ist<br />

unser Leben heute vielleicht auch deshalb so „bescheiden“, weil der Konflikt im<br />

Überschwang von Gefühlen unreflektierter Vergangenheit entstanden ist? Bringt<br />

die Menschen zusammen, man kann ihnen nicht ihre Geschichte vorschreiben.<br />

Was wir können, ist ihnen zu helfen nachzufassen, ernsthaft zu prüfen was ist;<br />

bewerten, was ist Überlieferung und was ist Vorurteil. Wir brauchen Begegnung<br />

und offene Aussprache.<br />

Man muss die jüngeren Menschen dazu gewinnen, den Sprung über diese Hürde<br />

zu wagen. Das kann man, wenn man sie zusammen rausbringt, wenn sie Wege<br />

finden, miteinander fertig zu werden. Deshalb ist der Weg, den die Initiative in Sarajewo<br />

einschlagen hat, der richtige Weg. Nehmt euch Leute, die aufgeschlossen<br />

genug sind, selbst nachzudenken. Sie werden am Ende nicht die alten Vorurteile<br />

weitertragen wollen.<br />

Frieden kann nur dann erreicht werden, wenn es einen Austausch zwischen den<br />

Individuen gibt. Man redet immer von Friedensverträgen, aber der Vertrag von<br />

Dayton ist, wie viele andere, zunächst nur ein Waffenstillstandsvertrag. Sie können<br />

mit fremden oder eigenen Truppen erzwingen, dass kein Krieg geführt wird,<br />

dass nicht mehr gemordet und vertrieben wird, aber dass die Menschen sich<br />

mögen, akzeptieren, das können sie nicht erzwingen. Frieden ist aber nur da,<br />

wo man den anderen in seinem Anderssein akzeptiert, nicht, weil er so ist, wie<br />

ich bin. Wenn ich den anderen akzeptieren will, dann muss ich jeden Einzelnen,<br />

mich und ihn, überzeugen, den Weg gemeinsam zu gehen; erst dann herrscht<br />

Frieden. Das was Sie, das IIZ/DVV und das IBB, gemacht haben, ist so etwas: ein<br />

Schritt hin zu einer konkreten Friedenswirklichkeit. Das war auch mein Versuch in<br />

Mostar: es möglich zu machen, dass Menschen sich begegnen, dass sie wieder<br />

in ein Gespräch kommen.<br />

Aber das bedeutet auch, dass Europa in der Verantwortung ist, sich langfristig<br />

in der Balkanregion zu engagieren. Das Problem mit solchen Begegnungen<br />

ist, dass man nicht langfristig planen kann, da die Finanzierungen<br />

immer ungesichert sind.<br />

Nun ja, dafür sollte Geld da sein. Es gibt ja den Stabilitätspakt für Südosteuropa,<br />

der drei verschiedene „Arbeitstische“ hat: 1) Aufbau einer Zivilgesellschaft,<br />

2) Ökonomischer Aufbau und 3) Sicherheitspolitik und Rechtsstaatlichkeit. Im ersten<br />

Bereich – Demokratisierung und Menschenrechte – werden die Fragen, die<br />

28


„Wir brauchen Begegnung“<br />

Sie ansprechen, behandelt. Da gibt es durchaus noch Mittel und auch zu verteilen.<br />

Dort ist nicht gekürzt worden. Das Problem ist nur, da schon sehr viele Programme<br />

laufen, ist es schwierig, ein Programm durchzubekommen. Nicht zuletzt auch<br />

deshalb, weil die Bürokratie ein Abrechnungs- und Formularwesen etabliert hat,<br />

für das man eigentlich eigene Buchhaltungskräfte benötigt – aber das ist eine<br />

andere Frage. Für die Entwicklung der Zivilgesellschaft, das Zusammenleben als<br />

Europäer in Europa, stehen also noch Mittel zur Verfügung.<br />

Dies ist auch noch ein Punkt: Als ich nach Bosnien-Herzegowina kam, hieß es:<br />

„Mal sehen, was Ihr Europäer könnt.“ Ich habe mich immer gefragt, was das heißen<br />

soll. Ist der Balkan etwa nicht Europa? Seid ihr etwa keine Europäer? Ich habe<br />

dann klargestellt, dass ich nicht gekommen bin, um für sie, sondern mit ihnen zu<br />

arbeiten. Die Menschen müssen selber mit anpacken. Meine Aussage war: Unheil<br />

und Krieg, das habt ihr gemeinsam angerichtet, also müsst ihr es auch gemeinsam<br />

bewältigen; ich helfe dabei mit. Aber nicht für euch, sondern mit euch.<br />

Dazu gehört aber auch die eigenen Grenzen zu kennen, zu wissen, wo man<br />

sich einmischt und wo nicht. Vielleicht auch, gerade in der Aufarbeitung der<br />

Geschichte, die eigenen Defizite nicht zu verschweigen. Es hat gedauert,<br />

bis man sich im Nachkriegsdeutschland mit der Vergangenheit und der<br />

Aussöhnung mit den Nachbarn beschäftigte. Sollte man auch vermitteln,<br />

dass solche Prozesse Zeit und Geduld erfordern?<br />

Ich weiß nicht, wie alt Sie sind, aber in meinen Augen noch sehr jung. Ich habe<br />

genug Jahre auf dem Buckel, um mich noch zu erinnern, wie ich aus der<br />

Kriegsgefangenschaft kam und den Aufbau Westdeutschlands erlebt habe. Wenn<br />

Sie 1947 einem Flüchtling oder einem normalen <strong>Deutsch</strong>en gesagt hätten, dass<br />

wir mit den Polen in absehbarer Zeit so zusammenleben werden, wie es heute<br />

geschieht, und das gleiche den Polen gesagt hätten, dann wäre man günstigen<br />

Falls für verrückt erklärt worden. Wahrscheinlich wäre man als unzurechnungsfähig<br />

oder national empfindungslos beschimpft worden.<br />

Wir brauchten fünfzig Jahre, um das Klima auf beiden Seiten so zu verändern,<br />

dass wir mit überwiegender Mehrheit sagen können, wir können in Europa gut<br />

neben- und miteinander leben. Fünfzig Jahre! Der Krieg auf dem Balkan ist kein<br />

Jahrzehnt zu Ende, im Kosovo dauerte er sogar bis 2001 an. Warum waren bei<br />

uns fünfzig Jahre notwendig? Ich sage Ihnen, man braucht zwei Generationen<br />

zum tragfähigen Abstand. Die hauptsächlich betroffene Generation tut sich ganz<br />

schwer. Die zweite Generation musste sich mit den neuen Aufgaben, aber auch<br />

29


„Wir brauchen Begegnung“<br />

Belastungen auseinandersetzen. Erst in der dritten Generation ist ein weitgehend<br />

vorurteilsfreies Zusammenleben möglich.<br />

Nun kann man sich aber nicht hinsetzen und drei Generationen lang abwarten.<br />

Man muss jetzt, wie Sie es getan haben, anfangen. Wir brauchen einen langen<br />

Atem. Europa muss zur Sicherung der zivilen Strukturen einiges tun, damit die<br />

Menschen freier denken und handeln können. Man muss ihnen Zeit geben und<br />

dort anfangen, wo Versäumnisse sind.<br />

Zum Beispiel in der Schule. Das, was nach 1985 in der nationalistischen Phase<br />

in der Schule und der Universität vermittelt worden ist, bleibt noch lange erhalten.<br />

Als ich nach der Kriegsgefangenschaft in die Ausbildung ging, wurde an den deutschen<br />

Schulen bis 1950 kein Geschichtsunterricht gegeben. Weil auch die Lehrer,<br />

die wir hatten, zu lange im anderen System waren. Dieses System dauerte 12<br />

Jahre, die DDR überdauerte vierzig Jahre. Lehrer, die so lange dort unterrichtet<br />

haben, und ihre eigenen Freiheitsräume auch immer mehr eingeschränkt sahen,<br />

die sollen nun über Nacht in der Lage sein, westliche Demokratie näher zubringen?<br />

Das ist in Jugoslawien nicht viel anders als in der ehemaligen DDR.<br />

Stimmt, als wir uns der DDR-Geschichte gewidmet haben, haben die Teilnehmerinnen<br />

und Teilnehmer gesagt: „Das kennen wir alles. Genauso war<br />

es bei uns auch.“<br />

Genau, man ist auch noch immer im alten Denken verhaftet. Ich versuchte in<br />

Mostar, einen Kindergarten für die lokalen Mitarbeiter zu organisieren. Ich stellte<br />

drei Frauen und Männer aus allen drei Bevölkerungsgruppen ein; ihnen wollte ich<br />

gemeinsam helfen. Als der Kindergarten fertig war und ich ihn kurz vor meiner<br />

Abreise besuchte, standen die Kindergärtnerinnen da und sagten: „Lauter brave<br />

Kinder; tun was wir ihnen sagen, gehorchen aufs Wort. Wir haben keine Schwierigkeiten.“<br />

Aber genau deswegen habe ich den Kindergarten nicht bauen lassen.<br />

Ich wollte es anders haben, die Gören sollten spielen, ausgelassen sein. Nein,<br />

das war man nicht gewohnt. Alle hatten die gleiche Kindergärtner-, Lehrer- und<br />

Erzieherausbildung und hielten sich an das Eingeübte. Ich werfe ihnen das ja nicht<br />

vor. Das aber umzuwälzen geschieht nicht in kurzer Zeit. Deshalb muss man jetzt<br />

mit den jungen Leute zusammenarbeiten und ihnen andere Wege aufzeigen. Und<br />

wenn die den Kopf freihaben, dann kommen wir auch zum Frieden. Das ist die<br />

einzige Methode.<br />

30


„Wir brauchen Begegnung“<br />

Ist das auch auf andere südosteuropäische Länder übertragbar, die Diktaturerfahrungen<br />

hatten, wie Rumänien und Bulgarien?<br />

Sie haben zwei Erlebnisse nicht: Erstens den internationalen Krieg und zweitens<br />

die nationale Spaltung. Aber ansonsten gibt es ähnliche Mechanismen, auch die<br />

Ausgrenzung, zum Beispiel der Roma und Sinti. Wir haben also die Probleme<br />

auf dem ganzen Balkan. Je mehr die jungen Menschen darüber nachdenken,<br />

dass das der falsche Weg ist, dass ein anderer Weg zu gehen ist, desto besser<br />

wird es.<br />

Die Rumänen und Bulgaren haben auch nicht solche Komplexe mit ihrer nationalen<br />

Geschichte, wie die Bosniaken, Serben, Kosovaren, Mazedonier oder<br />

Kroaten. Die Bulgaren stehen zur russischen Geschichte; der Zar hat sie befreit<br />

von den Türken. Rumänien hat eine brutale Diktatur unter Nicolae Ceauçescu zu<br />

verarbeiten, aber ansonsten sind es ähnliche Probleme und Herausforderungen.<br />

Wenn man die Nationalkonflikte abzieht, bleibt immer noch die Frage, wie stark<br />

die Menschen in der Vergangenheit verankert sind.<br />

Man muss in der ganzen Region neue Formen der pädagogischen Vermittlung<br />

lehren und die beste Methode ist, nicht zu sagen, wir wissen es besser, sondern<br />

wir bieten Möglichkeiten. Man darf nicht mit einer Erfolgsgeschichte als Vorbild<br />

daherkommen. Wir brauchten fünfzig Jahre; die Balkanvölker hatten erst sechs,<br />

sieben Jahre Zeit. Das einzige ist zu zeigen, wie es anders sein kann und auch<br />

Rückschläge hinzunehmen.<br />

Mit den Menschen, die in Mostar für Rechtspflege zuständig waren, sind wir in die<br />

Schweiz gefahren und haben ihnen die Kantone gezeigt. Sie sahen wie Kooperation<br />

auch zwischen unterschiedlichen Sprachgruppen funktioniert und sie kamen<br />

beeindruckt wieder. Mit den Verantwortlichen für Innenpolitik und der Polizei waren<br />

wir in Belgien, um zu zeigen wie Flamen, Wallonen, <strong>Deutsch</strong>e zusammenleben,<br />

auch wenn der Staat nicht gut funktioniert. Man kann zusammenleben, nicht konfliktfrei,<br />

aber es geht. Am letzten Tag, die bosnische Gruppe hatte alles gesehen,<br />

die Teilnehmerinnen und Teilnehmer waren beeindruckt, hatten zivile Staatlichkeit,<br />

große Vorträge gehört, da erleben sie eine Bauerndemonstration in Brüssel. Wie<br />

die Bauern so sind, haben sie Wagenladungen mit Mist und Kohlköpfen vor die<br />

EU-Institutionen gekippt. Die Brüsseler Polizei kam normal zum Einsatz mit Knüppeln<br />

und Wasserwerfern. Auf die Frage, was hat euch in Brüssel, in Belgien gut<br />

gefallen, welche Lehren habt ihr gezogen, kam die Antwort aller drei Seiten: „Wir<br />

brauchen auch Wasserwerfer.“ Sie riefen nach dem starken Staat. Da fragt man<br />

31


„Wir brauchen Begegnung“<br />

sich wirklich, ob das alles wahr sein kann. Aber sie hängen nun mal noch immer<br />

an ihren alten Staatsvorstellungen.<br />

Es ist ein mühseliges Bohren harter Bretter, aber es ist notwendig. Ja zu dieser<br />

Methode, ja zu diesem Weg der Begegnung. Versucht das nicht nur ein- oder zweimal,<br />

sondern regelmäßig zu machen. Das ist auf lange Sicht äußerst wichtig.<br />

Unser Seminar endete damit, dass man den nationalen Wegen nur eine geringe<br />

Überlebenschance zugesteht. In 15 Jahren habe man vielleicht wieder<br />

einen gemeinsamen Staat, vielleicht werde man sogar mit Rumänen, Albanern<br />

und Bulgaren gleich einen Balkanstaat gründen.<br />

Das sind eine ganze Menge junger Menschen, die so denken. Ich war in Sarajewo<br />

unter serbischem Beschuss, aber ich musste zum Präsidenten. Nun ja, mutig ist<br />

das nicht zu nennen, wohl aber Dienst ist Dienst. Abends saß ich unter Feuer der<br />

serbischen Geschütze mit Studenten aller drei Bevölkerungsgruppen zusammen.<br />

Und die sagten: „Koschnick, wenn der ganze Scheiß vorbei ist, dann wird Sarajevo<br />

wieder eine multinationale Stadt, wir sorgen dafür. So weit wie heute darf es nie<br />

wieder kommen.“<br />

Als der Krieg dann vorbei war, kamen die alten Eliten wieder an die Macht, die<br />

Flüchtlinge kamen mit ihren Erlebnissen aus den Dörfern in die Stadt. Es wurde<br />

nichts aus der Wiederkehr des multinationalen Lebens und die jungen Leute von<br />

damals sagen mir heute: „Koschnick, besorg mir ein Visum.“ Sie wollen raus. Das<br />

ist die Wirklichkeit.<br />

Herr Koschnick, ich bedanke mich für dieses Gespräch.<br />

32


3. Dokumentation des Seminars<br />

3.1 Biografien<br />

Teilnehmerinnen und Teilnehmer<br />

Dokumentation des Seminars<br />

Nadja Bulat, Belgrad (Serbien-Montenegro)<br />

wurde am 22. Januar 1976 in Belgrad geboren. An der Universität in Belgrad studiert<br />

sie Erwachsenenbildung. Seit 2001 arbeitet sie für das Belgrader Projektbüro<br />

des IIZ/DVV.<br />

Hana Cirikovic, Sarajevo (Bosnien-Herzegowina)<br />

wurde am 27. Mai 1976 in Hannover (<strong>Deutsch</strong>land) geboren. In Sarajevo studierte<br />

sie Soziologie. Dort arbeitet sie nun am staatlichen „Institut für Statistik“. Für das<br />

Projektbüro des IIZ/DVV in Sarajevo ist sie vor allem als Übersetzerin tätig.<br />

Mariana Fifita, Giurgiu (Rumänien)<br />

wurde am 15. Mai 1973 in Giurgiu geboren. Dort studierte sie rumänische Literatur<br />

und <strong>Deutsch</strong>. Heute leitet sie in Giurgiu ein Museum, arbeitet gleichzeitig als<br />

Lehrerin und unterrichtet dort für einen Kooperationspartner des rumänischen<br />

Regionalbüros des IIZ/DVV rumänische Literatur, <strong>Deutsch</strong> und Psychologie.<br />

Ioana Florescu, Cluj-Napoca (Rumänien)<br />

wurde am 14. August 1978 in Cluj-Napoca geboren. Nach dem Studium der Philosophie<br />

an der Universität in Cluj-Napoca studiert sie nun Erwachsenenbildung<br />

in Iasi. Parallel ist sie für das „Municipal House of Culture“ in Cluj-Napoca tätig.<br />

Diese Institution arbeitet eng mit der Partnerorganisation des IIZ/DVV in Bukarest<br />

zusammen.<br />

Vanya Ivanova, Sofia (Bulgarien)<br />

wurde am 15. September 1979 in Blagoevgrad geboren. An der Universität in Sofia<br />

studiert sie Geschichte. Darüber hinaus engagiert sie sich für die Jugend-NRO<br />

„Bosporus Society – Bulgaria“.<br />

33


Dokumentation des Seminars<br />

Jelena Jakovljevic, Belgrad (Serbien-Montenegro)<br />

wurde am 5. März 1971 in Raska geboren. Nach dem Studium der Erwachsenenbildung<br />

an der Universität Belgrad arbeitet sie heute mit dem Belgrader Projektbüro<br />

des IIZ/DVV vor allem in Projekten im Bereich der Erwachsenenbildung<br />

zusammen.<br />

Kalina Kolibarska, Sofia (Bulgarien)<br />

wurde am 17. Mai 1975 in Sofia geboren. Nach dem Studium der Geschichte an<br />

der Universität in Sofia promoviert sie über das Thema „Anti-Semitism in Germany<br />

1918-1938“.<br />

Melisa Omercic, Sarajevo (Bosnien-Herzegowina)<br />

wurde am 14. November 1977 in Bosanska Krupa geboren. In Sarajevo studierte<br />

sie Germanistik und arbeitet dort als <strong>Deutsch</strong>lehrerin an einer Grundschule. Für<br />

eine Partnereinrichtung des IIZ/DVV in Sarajevo gibt sie <strong>Deutsch</strong>unterricht.<br />

Martin Protoger, Skopje (Mazedonien)<br />

wurde am 8. Mai 1979 in Skopje geboren. Nach dem Studium der Germanistik<br />

und der Anglistik an der Universität in Skopje arbeitet er als Journalist für die<br />

mazedonische Tageszeitung „Vest“. Darüber hinaus engagiert er sich in der<br />

<strong>Deutsch</strong>-Mazedonischen Kulturgesellschaft und im Institut für deutsch-mazedonische<br />

Beziehungen.<br />

Danjela Shkalla, Elbasan (Albanien)<br />

wurde am 7. Mai 1979 in Elbasan geboren. In Elbasan und in Budapest studierte<br />

sie Englisch und „Gender and Culture Studies“. Sie unterrichtet Englisch an der<br />

Universität von Elbasan. Für das Projektbüro des IIZ/DVV in Albanien ist sie in<br />

einem landesweiten Projekt tätig.<br />

Zoran Skopljak, Belgrad (Serbien-Montenegro)<br />

wurde am 10. Oktober 1976 in Belgrad geboren. Nach dem Studium der Rechtswissenschaften<br />

an der Belgrader Universität arbeitet er am Institut für Europäische<br />

Studien in Belgrad. Er engagiert sich in einem Projekt, das sich mit den Verbrechen<br />

der Kommunisten in Serbien während und nach dem Zweiten Weltkrieg<br />

beschäftigt.<br />

34


Dokumentation des Seminars<br />

Cerasela Tanase, Bukarest (Rumänien)<br />

wurde am 8. Februar 1977 in Zimnicea geboren. An der Universität in Bukarest<br />

studierte sie Russisch und Rumänisch. Zur Zeit nimmt sie an einem Postgraduierten-Programm<br />

des „Image Research Center“ der Universität Bukarest teil.<br />

Zusätzlich arbeitet sie als Übersetzerin (Bulgarisch und Russisch).<br />

Dorin Teodorescu, Slatina (Rumänien)<br />

wurde am 5. September 1951 in Rumänien geboren. Nach dem Studium der Geschichte<br />

unterrichtete er einige Jahre als Lehrer an einer Schule. 1979 bis 1989<br />

war er für ein Museum in Slatina tätig. Seit 1990 arbeitet dort für die „Direction<br />

for Culture Cults and Cultural Heritage“, dessen Leiter er seit 1997 ist. Außerdem<br />

ist er der Präsident der „‘University for all‘ Foundation“ und des „Centrul Zonal<br />

pentru Educatia Adultitor“ in Slatina. Er hat mehrere Bücher und Artikel über die<br />

rumänische und europäische Geschichte veröffentlicht.<br />

Saso Trpevski, Tetovo (Mazedonien)<br />

wurde am 12. September 1977 in Tetovo geboren. Von 1990 bis 1996 lebte er in<br />

Berlin. In Skopje studiert er Germanistik und arbeitet er in einem Jugendinformationszentrum<br />

in Tetovo, das mit dem IIZ/DVV in Mazedonien kooperiert.<br />

Valeriy Valeriyev Zaytzev, Sofia (Bulgarien)<br />

wurde am 16. Juni 1974 in Moskau geboren. An der Universität in Sofia studierte<br />

er Geschichte. Zur Zeit promoviert er über die „Idea of Federalism in Yugoslavia<br />

Between World War I and World War II“.<br />

Teamleiterinnen und Teamleiter<br />

Heike Catrin Bala, Bochum (<strong>Deutsch</strong>land)<br />

wurde am 17. November 1972 in Herne geboren. In Bochum studierte sie Geschichte,<br />

Sozialwissenschaft und Pädagogik. Sie arbeitet als freie Mitarbeiterin<br />

für das Internationale <strong>Bildungs</strong>- und Begegnungswerk (IBB).<br />

Heiko Hamer, Dortmund (<strong>Deutsch</strong>land)<br />

wurde am 29. Juni 1952 in Leer (Ostfriesland) geboren. In Gießen und Münster<br />

studierte er Pädagogik. Für das Internationale <strong>Bildungs</strong>- und Begegnungswerk<br />

(IBB) ist er seit 1990 hauptamtlich tätig und betreut dort den Arbeitsbereich<br />

<strong>Deutsch</strong>land und Westeuropa.<br />

35


Dokumentation des Seminars<br />

Michael Rüben, Dortmund (<strong>Deutsch</strong>land)<br />

wurde am 12. März 1967 in Bonn geboren. Er studierte in Dortmund und in Rom<br />

Raumplanung. Für das Internationale <strong>Bildungs</strong>- und Begegnungswerk (IBB) arbeitete<br />

er mehrere Jahre als freier Mitarbeiter. Seit 2002 ist er hauptamtlich für<br />

das IBB tätig und baut dort den Arbeitsbereich Südosteuropa auf.<br />

Eva R. Schultz, Bonn (<strong>Deutsch</strong>land)<br />

wurde am 29. Mai 1969 in Braunschweig geboren. Nach der Ausbildung zur Europa-Sekretärin<br />

studierte sie an der Universität in Bonn Psychologie. Seit 2002<br />

ist sie als Assistentin der Institutsleitung für das Institut für Internationale Zusammenarbeit<br />

des <strong>Deutsch</strong>en Volkshochschulverbandes (IIZ/DVV) tätig.<br />

Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Seminars<br />

36


3.2 Programmübersicht<br />

Dokumentation des Seminars<br />

Mittwoch, 9. Oktober 2002<br />

• Anreise der Teilnehmerinnen und Teilnehmer nach Hattingen in das Jugendbildungszentrum<br />

des <strong>Deutsch</strong>en Gewerkschaftsbundes; Kennen lernen<br />

Donnerstag, 10. Oktober 2002<br />

• Kennenlernphase und Vorstellung des Programms<br />

• Besuch der Gedenkstätte „Alte Synagoge“ in Essen und Gespräch mit Dr. Peter<br />

Schwiderowski, dem stellvertretenden Leiter<br />

• Einführung in das Thema sowie Darstellung der spezifischen nationalen<br />

Hintergründe und der persönlichen Arbeitserfahrungen<br />

Freitag, 11. Oktober 2002<br />

• Besuch der Geschichtswerkstatt in Dortmund und Gespräch mit Andreas<br />

Müller, einem langjährigen Mitglied dieser Initiative<br />

• Gespräch mit Günther Birkmann, dem Vorsitzenden der Gesellschaft für<br />

christlich-jüdische Zusammenarbeit in Dortmund<br />

• Stadterkundung in Dortmund unter besonderer Berücksichtigung der Geschichte<br />

zwischen 1933 und 1945 (u. a. Besuch der Mahn- und Gedenkstätte<br />

„Steinwache“)<br />

• Gespräch mit dem Zeitzeugen Valentin Frank (Er lebte während der NS-Zeit<br />

in Dortmund und wurde als „Halbjude“ verfolgt.)<br />

Samstag, 12. Oktober 2002<br />

• Freizeit und die Möglichkeit an einer Stadtführung durch Hattingen teilzunehmen<br />

• Zwischenauswertung<br />

• Besuch des Kulturzentrums „Grend“ in Essen-Steele (einem selbstverwalteten,<br />

soziokulturellen Zentrum)<br />

Sonntag, 13. Oktober 2002<br />

• Abreise nach Weimar<br />

• Stadtrundgang durch Weimar in Form einer Stadtrallye<br />

37


Dokumentation des Seminars<br />

Montag, 14. Oktober 2002<br />

• Thementag: „<strong>Deutsch</strong>e Wiedervereinigung“<br />

• Gespräch mit dem Zeitzeugen Karl-Heinz Fröhlich (er war Lehrer in der DDR<br />

und von 1972-1997 in der Lehrerausbildung tätig)<br />

• Gespräch mit den Zeitzeugen Andrea Wagner und Stephan Eschler (sie sind<br />

beide in der DDR geboren und in der Kirche bzw. in der Friedensbewegung<br />

aktiv gewesen)<br />

Dienstag, 15. Oktober 2002<br />

• Führung durch die Gedenkstätte Buchenwald und Gespräch über die<br />

Geschichte und die pädagogische Konzeption der Gedenkstätte mit Daniel<br />

Gaede, dem pädagogischen Leiter der Gedenkstätte<br />

• Reflexion über den Besuch in der Gedenkstätte Buchenwald<br />

Mittwoch, 16. Oktober 2002<br />

• Rückreise nach Hattingen und Besuch des thüringisch-hessischen<br />

„Grenzmuseums ‚Schifflersgrund‘. Mahnmal, Begegnungsstätte und Lernort<br />

an der überwundenen innerdeutschen Grenze“ in der Nähe von Kassel<br />

Donnerstag, 17. Oktober 2002<br />

• Workshop I: Methodentraining „Lernen aus der Geschichte“ in zwei Gruppen:<br />

Gruppe A: Oral History, Gruppe B: Spurensuche<br />

• Stadtrundgang mit Valentin Frank in Dortmund<br />

Freitag, 18. Oktober 2002<br />

• Workshop II: Transfer der erlernten Methoden auf die eigene nationale<br />

Situation und Geschichte<br />

• Schlussauswertung<br />

• Abschiedsparty<br />

Samstag, 19. Oktober 2002<br />

• Abreise<br />

38


3.3 Ausführliche Beschreibung<br />

Dokumentation des Seminars<br />

3.3.1 Gegenseitiges Kennenlernen und Vorstellung des Programms<br />

Nach der Vorstellung des Leitungsteams des IBB, einer Einführung in das Programm<br />

und der Begrüßung durch einen Mitarbeiter der Jugendbildungsstätte des<br />

<strong>Deutsch</strong>en Gewerkschaftsbundes in Hattingen diente der Donnerstagmorgen dem<br />

gegenseitigen Kennenlernen und der Ermittlung der allgemeinen Erwartungen an<br />

das Seminar. Dazu wurde eine kreisförmige Sitzordnung gewählt, die besonders<br />

kommunikationsfördernd ist (vgl. Abschnitt 4.15). Zuerst wollte das Leitungsteam<br />

von den Teilnehmerinnen und Teilnehmern wissen: „Was bedeutet Geschichte für<br />

dich?“ Diese schwierige Frage wurde gestellt, um den Teilnehmerinnen und Teilnehmern<br />

zu verdeutlichen, dass man Geschichte sehr unterschiedlich verstehen<br />

kann. Die Antworten darauf waren vielfältig; sie reichten von „alles, was mit der<br />

Vergangenheit zu tun hat“ über „Wissenschaft über die wichtigsten Fakten aus der<br />

Vergangenheit“ bis hin zu „Verwandlung, Wiederholung, Prozess zur Selbsterkennung“<br />

und „Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft“. Dann wurde gefragt:<br />

a) „Ich werde zufrieden nach Hause fahren, wenn ...“<br />

b) „Was kann ich tun, um dieses Ziel zu erreichen?“<br />

c) „Was könnte ich tun, um dieses Ziel zu vermeiden (zu blockieren)?“<br />

Auf diese Weise wurde den Teilnehmerinnen und Teilnehmern deutlich, dass das<br />

Gelingen des Seminars stark von ihrem eigenen Engagement abhängen würde.<br />

Im Anschluss wurde das Kennenlernen vertieft, zuerst durch das Ausfüllen eines<br />

Steckbriefs (vgl. Abschnitt 7.1). Dadurch war es möglich, einen ersten Eindruck<br />

von den anderen Teilnehmerinnen und Teilnehmern zu bekommen und Anknüpfungspunkte<br />

für weitere Gespräche zu finden. Abschließend folgte das sogenannte<br />

Bühnenspiel (vgl. Abschnitt 4.5). Es diente dazu, die Informationen übereinander<br />

für alle spielerisch „sichtbar“ zu machen. Der Raum wurde zu diesem Zweck<br />

in einen Zuschauerbereich und eine Bühne eingeteilt. Es wurden Fragen gestellt,<br />

die vor dem Hintergrund des Seminars interessant erschienen, zum Beispiel:<br />

„Alle, die hier mehr als einen Menschen kennen, stellen sich bitte auf die Bühne!“<br />

oder „Wer von euch Englisch versteht und spricht, bitte auf die Bühne!“ Dadurch<br />

wurde deutlich, dass Englisch zwar von allen verstanden, aber zum Teil nicht<br />

gut genug gesprochen wurde. Einige Teilnehmer sprachen besser <strong>Deutsch</strong> als<br />

Englisch. Deshalb einigte man sich auf Englisch als Seminarsprache mit der Übereinkunft,<br />

dass alles, was nicht verstanden wurde, auch ins <strong>Deutsch</strong>e übersetzt<br />

werden würde. Die unterschiedlichen sprachlichen Voraussetzungen wurden so<br />

für alle sichtbar gemacht. Denn die aufwendige, aber unverzichtbare Überset-<br />

39


Dokumentation des Seminars<br />

zung nimmt bei internationalen Begegnungen viel Zeit in Anspruch. Einen Vorteil<br />

hatten die Mitglieder der serbokroatischen Sprachfamilie (Serbien- Montenegro,<br />

Bosnien-Herzegowina und Mazedonien). Sie konnten sich untereinander sehr<br />

gut verständigen. Die Mazedonier fungierten wiederum als Dolmetscher für die<br />

Teilnehmer aus Bulgarien, da Mazedonisch gleichsam eine Schnittstelle zwischen<br />

dem Serbokroatischen und dem Bulgarischen darstellt.<br />

3.3.2 Die Alte Synagoge in Essen<br />

Die Alte Synagoge in Essen wurde 1913 als Neue Synagoge am Steeler Tor von<br />

der Gemeinde als eines der größten jüdischen Gotteshäuser in <strong>Deutsch</strong>land eingeweiht.<br />

Kaum 25 Jahre später, in der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938,<br />

der sogenannten „Reichskristallnacht“, wurde sie von Angehörigen der Essener<br />

Schutzstaffel (SS), der Sturmabteilung (SA), der Nationalsozialistischen <strong>Deutsch</strong>en<br />

Arbeiterpartei (NSDAP) und der örtlichen Feuerwehr in Brand gesetzt und<br />

bis auf die Außenmauern zerstört. Die Ruine blieb nur stehen, weil eine Sprengung<br />

für die umliegenden Gebäude zu gefährlich gewesen wäre.<br />

Nach dem Krieg wurde sie lange Zeit nicht beachtet, denn man war, wie auch<br />

an vielen anderen Orten in der Bundesrepublik, lange nicht bereit, sich mit der<br />

Verfolgung und Deportation der Juden aus der eigenen Stadt auseinander zu<br />

setzen. Erst im Zuge der neuen Geschichtsbewegung Ende der siebziger Jahre,<br />

als Bürgerinnen und Bürger, Gruppen von Laien und engagierte Historiker damit<br />

begannen sich für die Untersuchung der Geschichte des Nationalsozialismus auf<br />

lokaler Ebene einzusetzen und auf eine Institutionalisierung der Beschäftigung mit<br />

diesem Thema zu drängen, wurde die Synagoge als erhaltenswerter Ort wieder<br />

entdeckt. Am 9. November 1980, über vierzig Jahre nach ihrer Zerstörung, wurde<br />

die Alte Synagoge als Gedenkstätte und historisch-politisches Dokumentationsforum<br />

der Öffentlichkeit übergeben.<br />

Die Geschichte der Alten Synagoge wurde durch Dr. Peter Schwiderowski, den<br />

stellvertretenden Leiter, dargestellt. Die Gruppe erhielt die Gelegenheit, das<br />

Gebäude und die Dauerausstellungen „Stationen jüdischen Lebens. Von der<br />

Emanzipation bis zur Gegenwart“ und „Verfolgung und Widerstand in Essen<br />

1933-1945“ zu erkunden. In einem anschließenden Gespräch wurde festgestellt,<br />

dass die inhaltliche Arbeit der Gedenkstätte noch weit über einen ersten Eindruck<br />

hinaus geht. So finden beispielsweise eine Reihe von Veranstaltungen wie Einzelvorträge,<br />

die sogenannten Donnerstagsgespräche, Vortragsreihen, Lesungen,<br />

Lehrhausveranstaltungen, verschiedene Projekte, Musik- und Rezitationsabende<br />

sowie Symposien und Seminare statt. Die Besucherbetreuung besteht aus thematischen<br />

Führungen und Stadtrundfahrten (vgl. Abschnitt 4.17). Darüber hinaus gibt<br />

40


Dokumentation des Seminars<br />

es auch ein spezielles Beratungsangebot für Einzelne oder Gruppen, die sich mit<br />

der Geschichte der Juden beziehungsweise mit der Zeit des Nationalsozialismus<br />

auseinander setzen möchten. Speziell für Lehrer und Lehrerinnen werden Arbeitsgruppen<br />

und Fortbildungsseminare organisiert. Die Gedenkstätte verfügt zudem<br />

über eine umfangreiche Sammlung von Materialien zur Stadtgeschichte zwischen<br />

1918 und 1945 und zur allgemeinen Geschichte des Nationalsozialismus, die für<br />

wissenschaftliche und pädagogische Zwecke auch von Außenstehenden genutzt<br />

werden darf.<br />

Auf diese Weise ist die Alte Synagoge ein Lernort, der durch das vielfältige Angebot<br />

einen „Prozeß des Erinnerns“ (Genger 1995, 49) initiieren will. In einem<br />

Vortrag von Dr. Peter Schwiderowski in der Alten Synagoge Essen<br />

41


Dokumentation des Seminars<br />

Bericht, der anschließend von zwei Seminarteilnehmern aus dem ehemaligen<br />

Jugoslawien verfasst wurde, heißt es über den Besuch in der Alten Synagoge:<br />

„In unseren Staaten gibt es solche Einrichtungen leider nicht. Bei uns gibt es nur<br />

Museen, die Ausstellungen zeigen, die bloß einen Teil der Geschichte darstellen.<br />

Dadurch sieht man die Geschichte, kann sie aber nicht spüren oder erleben und<br />

man lernt auch nicht so viel. Wir sind der Meinung, dass die Alte Synagoge in<br />

Essen ein sehr gutes Beispiel dafür ist, wie wir bei uns mit ähnlichen Fragen und<br />

Problemen umgehen müssen.“<br />

Literatur<br />

Alte Synagoge Essen (Hrsg.): Gestern Synagoge – „Alte Synagoge“ heute. Geschichte im<br />

Spiegel von 75 Jahren Bau-Geschichte, Essen 31992, S. 2-8.<br />

Arbeitskreis NS-Gedenkstätten NW (Hrsg.): Den Opfern gewidmet – auf Zukunft gerichtet.<br />

Gedenkstätten für die Opfer des Nationalsozialismus in Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf<br />

41998 (erweiterte und überarbeitete Neuauflage), S. 8-33 und S. 57-62.<br />

Genger, Angela: Lernen, Erinnern, Gedenken. Erfahrungen aus der Gedenkstättenarbeit,<br />

in: Annegret Ehmann [et. al.] (Hrsg.): Praxis der Gedenkstättenpädagogik. Erfahrungen<br />

und Perspektiven, Opladen 1995, S. 48-54.<br />

Zur Reichskristallnacht vgl. Jäckel, Eberhard/Longerich, Peter/Schoeps¸ Julius H. (Hrsg.):<br />

Enzyklopädie des Holocaust. Die Verfolgung und Ermordung der europäischen Juden,<br />

3 Bde., Berlin 1993, hier: Bd. 2, S. 1205-1210.<br />

Puvogel, Ulrike [et.al.] (Hrsg.): Gedenkstätten für die Opfer des Nationalsozialismus.<br />

Eine Dokumentation, Bd. 1, Bonn 21995 (überarbeitete und erweiterte Auflage),<br />

S. 538-542.<br />

3.3.3 Geschichtswerkstatt Dortmund e. V.<br />

Seit den siebziger Jahren nimmt das Interesse an alltagsgeschichtlichen Themen<br />

immer stärker zu. Im Zuge dieser Entwicklung gründeten sich an vielen Orten<br />

Geschichtswerkstätten (vgl. Abschnitt 4.9), in denen professionelle Historiker und<br />

historisch Interessierte außerhalb der Universitäten zusammen arbeiten wollen.<br />

Mittlerweile gibt es bundesweit mehr als fünfzig solcher lokalen Arbeitskreise, die<br />

heute als wichtige Foren und Akteure der Alltags-, Regional- und Lokalgeschichte<br />

anerkannt werden.<br />

In Dortmund existiert seit fast zwanzig Jahren die „Dortmunder Geschichtswerkstatt<br />

e. V.“. Bei unserem Besuch berichtete Andreas Müller, ein langjähriges Mitglied<br />

dieser Initiative, über ihre vielfältigen Aktivitäten. Dazu gehören beispielsweise<br />

Lesungen in Kneipen oder Cafés, Stadt(teil)rundfahrten und -gänge (vgl.<br />

Abschnitt 4.17), die Organisation von Ausstellungen, die Arbeit mit Zeitzeugen,<br />

42


Andreas Müller (m.) von der Geschichtswerkstatt Dortmund e. V.<br />

Dokumentation des Seminars<br />

Auftritte mit dem Figurentheater und eine Reihe von Veröffentlichungen über die<br />

Geschichte der Stadt Dortmund. Mehrere Projekte sind der Geschichte der NS-<br />

Zeit gewidmet, wie die Veranstaltungsreihe über den „Faschismus in Dortmund“,<br />

die 1990 in Zusammenarbeit mit der Dortmunder Volkshochschule durchgeführt<br />

wurde. Darüber hinaus beschäftigt sich die Geschichtswerkstatt mit einem breiten<br />

Themenspektrum, das von der Hexenverfolgung in der Frühen Neuzeit bis zur<br />

Geschichte der Arbeiterbewegung reicht. Von ihrem Selbstverständnis her verstehen<br />

sie sich am ehesten als „Bürgerinitiativbewegung“ (Geschichtswerkstatt o.<br />

J., 11). Kooperationen vor Ort bestehen mit den verschiedensten Organisationen,<br />

aber nicht mit der Stadt Dortmund. Die abweichende Themenauswahl und die<br />

alternative Herangehensweise an Geschichte haben eine Zusammenarbeit bisher<br />

verhindert. An den Projekten arbeiten ungefähr zehn bis fünfzehn Personen<br />

regelmäßig mit. Ihre Aktivitäten finanzieren sie beispielsweise durch den Verleih<br />

von Ausstellungen, Lesungen oder Auftragsarbeiten. Spenden machen nur einen<br />

geringen Teil der Einnahmen aus. Der Besuch bei dieser Initiative vermittelte<br />

der Gruppe unter anderem einen wichtigen Eindruck davon, wie wichtig diese<br />

Akteure und Foren für die Alltags-, Regional- und Lokalgeschichte sein können,<br />

auch wenn viele ihrer Akteure über keine wissenschaftliche Ausbildung verfügen,<br />

43


Dokumentation des Seminars<br />

sondern historisch „nur“ interessiert sind. „Diese Menschen [die Mitarbeiter der<br />

Geschichtswerkstatt, d. A.] haben uns eine Fülle von Informationen gegeben und<br />

damit unser Ziel deutlicher gemacht. [...] Lerne von der Geschichte, dann wird sich<br />

dir die Zukunft eröffnen. Beschäftige dich mit der Geschichte, denn du bist ein Teil<br />

von ihr,“ schrieben später Seminarteilnehmer aus dem ehemaligen Jugoslawien<br />

zu ihren Eindrücken über die Geschichtswerkstatt.<br />

Literatur<br />

Geschichtswerkstatt Dortmund e. V. (Hrsg.): 10 Jahre Geschichtswerkstatt, Dortmund<br />

o. J.<br />

3.3.4 Die Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit<br />

Dortmund e. V. (11. Oktober 2002)<br />

Unter dem Einfluss der amerikanischen Militärbehörden entstand 1948 in München<br />

die erste Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit. Dahinter<br />

stand der Gedanke, durch Aufklärung und Erziehung religiöse Intoleranz und<br />

weltanschaulichen Fanatismus zu überwinden. In den folgenden Jahren wurden<br />

weitere Gesellschaften gegründet, so dass es heute bundesweit fast 80 regionale<br />

Vereinigungen gibt. Sie alle sind im Koordinierungsrat der Gesellschaften für<br />

christlich-jüdische Zusammenarbeit zusammengeschlossen. Das Programm wird<br />

von theologischen, pädagogischen und politischen Fragestellungen bestimmt.<br />

Seit 1951 findet in der Bundesrepublik jährlich die Woche der Brüderlichkeit<br />

statt. Sie soll die Ziele der Gesellschaften in <strong>Deutsch</strong>land bekannt machen. In<br />

diesem Rahmen wird seit 1968 die Buber-Rosenzweig-Medaille für besondere<br />

Verdienste um die christlich-jüdische Verständigung verliehen. In den Ländern<br />

Südosteuropas findet man ebenfalls eine Anzahl von ähnlichen Organisationen,<br />

die sich für das Miteinander der Religionen einsetzen. Dies stellte sich als ein<br />

wichtiger Anknüpfungspunkt für die folgende Diskussion heraus. Die Begegnung<br />

mit dieser Organisation sollte verdeutlichen, dass nach einer Erfahrung wie der<br />

Shoah (hebräisch für Katastrophe, Vernichtung; für den Völkermord an europäischen<br />

Juden) ein Dialog zwischen den betroffenen Gruppen – einerseits Juden,<br />

andererseits Christen – wieder entstehen kann.<br />

Es konnte mit Günther Birkmann, dem Vorsitzenden der Dortmunder Gesellschaft,<br />

die 1954 gegründet wurde, ein Gespräch geführt werden. Zuerst schilderte er<br />

die Geschichte der Gesellschaften im Allgemeinen, um dann auf Fragen (vgl.<br />

Abschnitt 4.2) und auf die konkrete Arbeit vor Ort einzugehen. Dazu gehört unter<br />

anderem die Planung und Durchführung von Seminaren und Vortagsreihen,<br />

44


Dokumentation des Seminars<br />

Zu Gast bei der Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit<br />

„zur Auseinandersetzung mit Geschichte und Gegenwart und zur Förderung des<br />

christlich-jüdischen Dialogs“, die Erstellung von Dokumentationen, Ausstellungen<br />

oder die Organisation von Studienfahrten, die der Begegnung mit der jüdischen<br />

Kultur und Religion gewidmet sind. Ein weiteres wichtiges Aufgabenfeld ist das<br />

Beratungsangebot in der pädagogischen Arbeit, das sich vor allem an Lehrerinnen<br />

und Lehrer wendet. Außerdem ist die Pflege der freundschaftlichen Beziehungen<br />

zu den jüdischen Gemeinden in Dortmund und Umgebung und zum Staat Israel<br />

ein bedeutsames Anliegen der Gesellschaft. Deshalb finden beispielsweise regelmäßig<br />

Veranstaltungen statt, die über die aktuelle Lage in Israel informieren. Ein<br />

Besuch des Gottesdienstes in der Synagoge und die dazugehörige Vorbereitung<br />

sind ebenfalls über die Dortmunder Gesellschaft möglich. Zu den bestehenden<br />

Tendenzen von Intoleranz und Rassismus in <strong>Deutsch</strong>land nimmt die Dortmunder<br />

Gesellschaft gleichermaßen Stellung, da sie sich grundsätzlich gegen die<br />

„Diskriminierung von Menschen aus religiösen, weltanschaulichen, politischen,<br />

ökonomischen oder ethnischen Gründen“ einsetzen will.<br />

Literatur<br />

Ehrlich, Ernst Ludwig: Die Gesellschaften für christlich-jüdische Zusammenarbeit und der<br />

christlich-jüdische Dialog, in: Nachama, Andreas/Schoeps, Julius H. (Hrsg.): Aufbau<br />

45


Dokumentation des Seminars<br />

nach dem Untergang. <strong>Deutsch</strong>-jüdische Geschichte nach 1945. In memoriam Heinz<br />

Galinzki, Berlin 1992, S. 323-330.<br />

Presser, Ellen: Gesellschaften für christlich-jüdische Zusammenarbeit, in: Schoeps, Julius<br />

H. (Hrsg.): Neues Lexikon des Judentums, Gütersloh 2000 (überarbeitete Auflage),<br />

S. 297.<br />

Presser, Ellen: Woche der Brüderlichkeit, in: Schoeps, Julius H. (Hrsg.): Neues Lexikon<br />

des Judentums, Gütersloh 2000 (überarbeitete Auflage), S. 877.<br />

3.3.5 Stadtrundgang in Dortmund<br />

Unter der Führung von Heiko Hamer, <strong>Bildungs</strong>referent beim IBB und Mitglied der<br />

Seminarleitung, wurde in Dortmund ein Stadtrundgang (vgl. Abschnitt 4.17) zum<br />

Thema Nationalsozialismus unternommen. Die Durchführung eines historischen<br />

Stadtrundganges in Dortmund wird durch eine Vielzahl von Veröffentlichungen,<br />

besonders über die Stätten des nationalsozialistischen Terrors und des antifaschistischen<br />

Widerstandes, ermöglicht, die beispielsweise durch die Geschichtswerkstatt<br />

angeboten werden.<br />

Ein wichtiger Bestandteil dieser Erkundung war der Besuch in der „Mahn- und<br />

Gedenkstätte Steinwache“, dem 1928 erbauten Polizeigefängnis, das nach 1933<br />

unter dem Kommando der Gestapo zu einer berüchtigten Folterstätte wurde.<br />

Als 1982 beabsichtigt wurde, die Steinwache abzureißen, bewirkte der Protest<br />

zahlreicher Bürger und Initiativen den Erhalt des Gefängnistraktes. Seit 1992<br />

ist dort die ständige Ausstellung des Stadtarchivs „Widerstand und Verfolgung<br />

in Dortmund 1933-1945“ zu sehen. Sie erstreckt sich über fünf Stockwerke. An<br />

verschiedenen authentisch überlieferten Stellen des ehemaligen Gestapo-Gefängnisses<br />

wurden Einzelbereiche, wie die Verhörzelle oder eine exemplarische<br />

Haftzelle rekonstruiert.<br />

Eine weitere Station war der Platz der Alten Synagoge, dem heutigen Opernvorplatz.<br />

Dort erinnert seit 1990 eine Gedenktafel an die große Synagoge, die dort<br />

bis zu ihrer Zerstörung in der sogenannten „Reichskristallnacht“ 1938 stand. Auf<br />

dem Granitblock ist das Bild der früheren Synagoge eingemeißelt und an der<br />

Stirnseite steht zu lesen:<br />

„Auf diesem Platz stand einst die Synagoge / Der Jüdischen Gemeinde Dortmund.<br />

/ 1900 errichtet als / ‚Zierde der Stadt für ewige Zeiten‘ / 1938 zerstört durch den<br />

Terror des Naziregimes. // Gedenke, Ewiger, was uns geschah. / Den jüdischen<br />

Bürgerinnen und Bürgern unserer / Stadt, / die von 1933-1945 Opfer nationalsozialistischer<br />

/ Gewaltherrschaft wurden, zum Gedenken. / Allen Lebenden zur<br />

ewigen Mahnung.“<br />

46


Vor der „Mahn- und Gedenkstätte Steinwache“<br />

Literatur<br />

Dokumentation des Seminars<br />

Högl, Günther (Hrsg.): Widerstand und Verfolgung in Dortmund 1933-1945. Katalog zur<br />

ständigen Ausstellung des Stadtarchivs Dortmund in der Mahn- und Gedenkstätte<br />

Steinwache (Veröffentlichung des Stadtarchivs Dortmund Bd. 8), Dortmund 1992.<br />

<strong>Internationales</strong> Rombergpark-Komitee, Sachsenhausenkomitee/Antifaschistisches Seminar<br />

(Hrsg.): 1933-1945. Antifaschistischer Stadtführer. Stätten des Widerstandes gegen<br />

das Naziregime und des faschistischen Terrors in Dortmund, o. O. 2 1987.<br />

Pfeiffer, Ernst: Die Juden in Dortmund. Das Buch zur Kabelfunkserie, hrsg. vom WDR-<br />

Kabelfunk Dortmund, Dortmund, Unna-Massen 1987.<br />

Puvogel, Ulrike [et. al.] (Hrsg.): Gedenkstätten für die Opfer des Nationalsozialismus.<br />

Eine Dokumentation, Bd. 1, Bonn 2 1995 (überarbeitete und erweiterte Auflage),<br />

S. 519-525.<br />

47


Dokumentation des Seminars<br />

3.3.6 Zeitzeugengespräch mit Valentin Frank<br />

Am zweiten Seminartag hatten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer die immer<br />

seltener werdende Gelegenheit, mit einem der noch wenigen Zeitzeugen (vgl.<br />

Abschnitt 4.13) zu sprechen, der die Zeit des Nationalsozialismus in <strong>Deutsch</strong>land<br />

erlebt hat und bereit ist, darüber öffentlich zu sprechen. Seit langem ist die Arbeit<br />

mit Zeitzeugen ein unverzichtbarer Bestandteil der schulischen und außerschulischen<br />

politischen <strong>Bildungs</strong>arbeit. Bei der Vermittlung von historisch-politischen<br />

Inhalten und Erkenntnissen ermöglicht es die Methode des Zeitzeugengespräches,<br />

Geschichte durch das „authentische Erleben“ (Stiepani 2000, 212) lebendig,<br />

erfahrbar und nachvollziehbar zu machen. Daher kam diesem Programmpunkt<br />

eine besondere Bedeutung zu. Um einen Eindruck von der Person Valentin Franks<br />

zu vermitteln, der während der NS-Zeit als „Halbjude“ verfolgt wurde, wird seine im<br />

Laufe des Gesprächs in Erfahrung gebrachte Lebensgeschichte bis zur Befreiung<br />

1945 im Folgenden kurz wiedergegeben.<br />

Valentin Frank wurde 1929 als Sohn von Johannes und Paula Frank in Dortmund<br />

geboren. Sein Vater, ein zum christlichen Glauben konvertierter Jude, bekam bereits<br />

vor 1933 durch den zunehmenden Antisemitismus große berufliche Schwierigkeiten<br />

und verlor seine Stelle als Lehrer. Nach der „Machtergreifung“ durch die<br />

Nationalsozialisten lebten die Eltern von Valentin Frank zwar in einer „geschützten<br />

Ehe“, da nur ein Elternteil jüdisch war, durch den Wegfall des Einkommens geriet<br />

die insgesamt siebenköpfige Familie jedoch in große finanzielle Not.<br />

Der als „Halbjude“ geltende Valentin Frank erlebte die „Reichskristallnacht“, den<br />

Pogrom gegen die Juden in <strong>Deutsch</strong>land und Österreich in der Nacht vom 9. auf<br />

den 10. November 1938, in Dortmund. Kurze Zeit später musste seine Familie<br />

eine schreckliche Tragödie durchmachen. Der älteste Bruder von Valentin Frank,<br />

Paul Hans, der durch einen Unfall seit seiner frühesten Kindheit geistig behindert<br />

war, wurde im Juli 1941 im Zuge des „Euthanasie“-Vernichtungsprogramms der<br />

NS-Regierung in Hadamar ermordet. Im gleichen Jahr bot sich Valentin Frank die<br />

Möglichkeit, im Rahmen der sogenannten „Kinderlandverschickung“ (seit 1940<br />

Einrichtung zur Verschickung von 10–14-jährigen Kindern und ihren Lehrern<br />

aus luftkriegsgefährdeten in weniger gefährdete Gebiete) unterzutauchen und<br />

so dem Antisemitismus zu entgehen. In dieser Zeit wurde ihm aufgrund seiner<br />

ausgesprochen guten schulischen Leistungen sogar ein Stipendium für die weitere<br />

wissenschaftliche Ausbildung angeboten, das er aber als „Halbjude“ nicht<br />

annehmen konnte.<br />

Im Sommer 1944 kehrt er nach Dortmund zurück. Eine berufliche Ausbildung, die<br />

seinen Neigungen entsprach, war unter der nationalsozialistischen Diktatur für ihn<br />

48


Zeitzeugengespräch mit Valentin Frank<br />

Dokumentation des Seminars<br />

unmöglich. Schließlich konnte er eine Lehre als Anstreicher beginnen. Nur einige<br />

Monate später, kurz nach dem größten Bombenangriff auf Dortmund im Oktober<br />

1944, wurde der erst fünfzehnjährige Valentin Frank in das dem Gestapo-Polizeigefängnis<br />

angegliederte „Straflager“ in Hagen-Haspe gebracht. Dort musste<br />

er zunächst Zwangsarbeit in einem nahegelegenen Stahlwerk leisten. Im Auftrag<br />

der Geheimen Staatspolizei wurde er aber bald für Kurierdienste eingesetzt. Zu<br />

seinen Aufgaben gehörte auch die bewaffnete Begleitung von Kriegsgefangenen.<br />

Als ihm bei einem dieser Aufträge drei Gefangene entkamen wurde er zur Bestrafung<br />

für drei Tage in Dunkelhaft isoliert. Eine schwere Erkrankung war die Folge.<br />

Nachdem er einigermaßen wiederhergestellt war, wurde er im Frühjahr 1945 als<br />

Hilfskraft in ein Hagener Außenlager des Konzentrationslagers Buchenwald gebracht.<br />

Am 12. April 1945, kurz vor der Befreiung durch die Alliierten, musste er<br />

einen Brief überbringen, der nur durch Zufall von einer befreundeten Frau geöffnet<br />

wurde. Darin standen zehn Todesurteile, darunter sein eigenes. Daraufhin gelang<br />

es ihm zu fliehen und in einem Versteck bis zum Kriegsende durchzuhalten.<br />

Heute lebt Valentin Frank in Dortmund. Sein Engagement gilt vor allem der Aufarbeitung<br />

des Nationalsozialismus und der Lokalgeschichte seiner Heimatstadt.<br />

49


Dokumentation des Seminars<br />

Literatur<br />

Frank, Valentin: Als mein Bruder in Hadamar ermordet wurde: Paul Hans Frank – Opfer<br />

der NS-“Euthanasie“ – mit Fotos und Dokumenten, Dortmund 1994.<br />

Zur Euthanasie vgl. Jäckel, Eberhard/Longerich, Peter/Schoeps¸ Julius H. (Hrsg.): Enzyklopädie<br />

des Holocaust. Die Verfolgung und Ermordung der europäischen Juden, 3 Bde.,<br />

Berlin 1993, hier: Bd. 1, S. 422-425.<br />

Stiepani, Ute: Zeitzeuge, in: Kuhn, Hans-Werner/Massing, Peter (Hrsg.): Lexikon der politischen<br />

Bildung. Bd. 3: Methoden und Arbeitstechniken, Schwalbach/Taunus 2000,<br />

S. 212f.<br />

3.3.7 Zwischenauswertung<br />

Die Zwischenauswertung (vgl. Abschnitt 4.1) war ein integraler Bestandteil des<br />

Seminars. Dazu wurden drei Kleingruppen gebildet, die sich jeweils mit einem der<br />

Leiter zu einem Blitzlicht (vgl. Abschnitt 4.3) zusammensetzten. Auf diese Weise<br />

wurde den Teilnehmerinnen und Teilnehmern zeitig die Gelegenheit gegeben,<br />

sich über den bisherigen Verlauf des Seminars zu äußern. Die folgenden Fragen<br />

wurden von der Seminarleitung vorgegeben:<br />

a) Was war dein bestes Erlebnis?<br />

b) Was war dein schlechtestes Erlebnis?<br />

c) Was könnte sich noch ändern?<br />

Dabei stellte sich heraus, dass das Zeitzeugengespräch wie auch die Gedenkstättenbesuche<br />

(Alte Synagoge in Essen und Steinwache in Dortmund) die tiefsten<br />

Eindrücke bei der Gruppe hinterlassen hatten. Gelobt wurde das angenehme<br />

Gruppenklima, die gut funktionierende Kommunikation und das attraktive Programm.<br />

Kritisiert wurde der Zeitmangel, die Unpünktlichkeit mancher Teilnehmer<br />

und die ständige Müdigkeit. Für die Zukunft wünschten sich viele von ihnen mehr<br />

Hintergrundinformationen, Möglichkeiten das Gelernte in die Praxis umzusetzen<br />

und natürlich mehr Freizeit.<br />

Nach dem Abschluss der Zwischenauswertung sollte in Erfahrung gebracht werden,<br />

ob es in den Heimatländern Initiativen, Orte und Methoden gibt, die den in den<br />

vorausgegangenen Tagen kennen gelernten ähneln. Dazu wurde das Brainstorming<br />

als eine Standardmethode aus der <strong>Bildungs</strong>arbeit eingesetzt (vgl. Abschnitt<br />

4.4). Um die Überlegungen ein wenig zu strukturieren, gab die Seminarleitung die<br />

folgenden Fragen vor:<br />

a) Gibt es in eurer Stadt beziehungsweise eurem Land einen ähnlichen Ort wie<br />

die Alte Synagoge?<br />

50


Dokumentation des Seminars<br />

b) Gibt es in eurer Stadt beziehungsweise eurem Land eine Initiative, die so<br />

ähnlich ist wie die Geschichtswerkstatt?<br />

c) Gibt es in eurer Stadt beziehungsweise eurem Land eine Initiative wie die<br />

Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit?<br />

d) Habt ihr in eurer Stadt beziehungsweise eurem Land schon mal ein Gespräch<br />

mit einem Zeitzeugen geführt?<br />

Die Antworten wurden auf Karten festgehalten und dann nach Fragen geordnet<br />

an eine Stellwand geheftet. Dadurch wurde deutlich, dass es in den Ländern<br />

durchaus einige Orte und Initiativen gibt, die denen von uns besuchten ähneln.<br />

Besonders viele der genannten Organisationen widmen sich dem Dialog zwischen<br />

den Religionen. Die Bemühungen der Gesellschaft für christlich-jüdische<br />

Zusammenarbeit, die kurz zuvor in Dortmund besucht worden war, erinnerte viele<br />

Teilnehmerinnen und Teilnehmer an ähnliche Initiativen in ihren Heimatländern.<br />

Außerdem stellte sich heraus, dass die wenigsten von ihnen jemals zuvor ein<br />

Zeitzeugengespräch außerhalb der Familie geführt hatten.<br />

3.3.8 Stadtrundgang/Stadtrallye in Weimar<br />

Nach unserer Ankunft in Weimar konnten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer<br />

selbständig die Stadt erkunden. Dafür wurde eine spezielle Methode gewählt:<br />

die Rallye (vgl. Abschnitt 4.17). Der Reiz liegt hier in der Bewegung im Freien, in<br />

der Erkundung vor Ort und in der realen Begegnung historischer Gebäude und<br />

Plätze.<br />

Es wurden drei Gruppen gebildet. Jede von ihnen bekam einen Stadtplan ausgehändigt,<br />

auf dem jeweils eine andere Route durch die Stadt eingezeichnet war.<br />

Ihre Aufgabe war es, über die nur auf ihrem Plan markierten Gebäude und Plätze<br />

so viel wie möglich in Erfahrung zu bringen. Jede Gruppe hatte dazu ungefähr<br />

eine Stunde Zeit. Anschließend trafen sich alle auf dem Theaterplatz wieder und<br />

gingen dann sämtliche Anlaufpunkte gemeinsam ab. Dabei musste jede Gruppe<br />

kurz über die von ihr herausgefundenen Informationen referieren. Diese wurden<br />

dann, falls nötig, ergänzt. So lernte die Gruppe – erst getrennt und dann gemeinsam<br />

– viele historisch interessante Orte in Weimar kennen, beispielweise das<br />

<strong>Deutsch</strong>e Nationaltheater, Goethes und Schillers ehemalige Wohnhäuser, das<br />

Stadtschloss und die Anna-Amalia-Bibliothek.<br />

Literatur<br />

Eisenschmidt, Rainer (Red.): Baedeker Weimar, Ostfildern 32001. 51


Dokumentation des Seminars<br />

3.3.9 Thementag „<strong>Deutsch</strong>e Wiedervereinigung“<br />

An diesem Tag beschäftigte sich die Gruppe mit der jüngsten deutschen<br />

Geschichte. Dieser Programmpunkt war für das Seminar von Bedeutung, weil die<br />

Teilnehmerinnen und Teilnehmer hier Parallelen zur eigenen realsozialistischen<br />

Vergangenheit entdecken sollten.<br />

Gut zehn Jahre ist es erst her, dass 1989 die Mauer in Berlin geöffnet wurde.<br />

Dadurch wurde einerseits die deutsche Vereinigung wahr, andererseits verloren<br />

mit ihr mehrere Millionen Menschen aus den neuen Bundesländern den Staat<br />

und die Gesellschaft, mit denen sie aufgewachsen waren. Die Gruppe erhielt<br />

die Gelegenheit, mit drei unterschiedlichen Zeitzeugen (vgl. Abschnitt 4.13) über<br />

deren persönliche Erlebnisse in der DDR und über ihre Eindrücke während des<br />

Vereinigungsprozesses zu sprechen. Auf diese Weise bekam die Gruppe einen<br />

sehr persönlichen Eindruck von den Verhältnissen an den DDR-Universitäten, der<br />

kirchennahen Opposition, von der Friedensbewegung und den Ereignissen in der<br />

Zeit des Umbruchs. Die Intensität der Zeitzeugengespräche führte den Teilnehmerinnen<br />

und Teilnehmern noch einmal die Vorzüge dieser Methode vor Augen:<br />

Geschichte erfahrbar, nachvollziehbar und lebendig zu machen.<br />

I. Zeitzeugengespräch mit Karl-Heinz Fröhlich<br />

Der erste Gesprächspartner war Karl-Heinz Fröhlich. Eine Seminarteilnehmerin<br />

aus Bulgarien charakterisierte ihn später als „einen Mann, der drei politische<br />

Systeme erlebt hat“. Im Laufe des Gespräches gab er einige grundlegende biografische<br />

Auskünfte, die im Folgenden kurz wiedergegeben werden: Karl-Heinz<br />

Fröhlich wurde Anfang der dreißiger Jahre in Schlesien geboren. Während der<br />

NS-Zeit war er zwei Jahre lang als „Pimpf“ (10–14-jährige Jungen in der Hitlerjugend).<br />

1946 flüchtete er mit seiner Familie aus Schlesien nach Thüringen. Karl-<br />

Heinz Fröhlich wuchs in der bald darauf gegründeten DDR auf und besuchte<br />

dort die Schule. Nach seinem Abschluss studierte er Germanistik und arbeitete<br />

anschließend 17 Jahre lang als Lehrer. 1972 wurde er zur Lehrerausbildung an<br />

die Universität nach Jena berufen. Sein Spezialthema ist die klassische Literatur,<br />

vor allem Goethes „Faust“. An der Universität in Jena und in der Stadt Weimar<br />

erlebte er 1989 die Proteste gegen die DDR-Regierung und den Mauerfall. Bis<br />

zur Rente im Jahre 1997 unterrichtete er angehende Lehrer. Allerdings behielten<br />

nur 20 Prozent seiner ostdeutschen Kollegen ihre Arbeitsstellen an der Universität<br />

in Jena. Die Lehrstühle wurden mit Dozenten aus Westdeutschland neu besetzt.<br />

Seit er in Rente ist, arbeitet er unter anderem als Stadtführer in Weimar.<br />

52


Michael Rüben vom IBB und Karl-Heinz Fröhlich<br />

Dokumentation des Seminars<br />

II. Zeitzeugengespräch mit Andrea Wagner und Stephan Eschler<br />

Frau Wagner wurde 1960 in Zwickau (DDR) geboren und wuchs in einem kommunistisch<br />

geprägten Elternhaus auf. Als sie 15 Jahre alt war, verließ sie ihre Familie.<br />

Im Umkreis der evangelischen Kirche fand sie schließlich ein neues Zuhause.<br />

1978 bestand sie das Abitur, heiratete und hat vier Kinder. In den folgenden Jahren<br />

schloss sie eine Ausbildung ab und arbeitete bis 1990 für die evangelische<br />

Kirche. Die Proteste gegen die DDR-Regierung und den Mauerfall erlebte sie in<br />

einem oppositionell geprägten Milieu. 1990 trennte sie sich von ihrem Ehemann.<br />

Darauf folgten viele Umzüge, sowohl im östlichen wie auch im westlichen Teil des<br />

mittlerweile vereinigten <strong>Deutsch</strong>lands. In dieser Zeit schloss sie auch ein Zusatzstudium<br />

in Mediation ab. Seit 1995 ist sie als Gleichstellungsbeauftragte bei der<br />

Stadt Weimar beschäftigt und engagiert sich parallel mit ihrer eigenen Firma auf<br />

dem Gebiet der „visuellen Kommunikation“.<br />

53


Dokumentation des Seminars<br />

Stephan Eschler wurde 1964 in Jena (DDR) geboren. Sein Vater war evangelischer<br />

Pfarrer, seine Mutter Lehrerin. Die Schule besuchte er nur zehn Jahre,<br />

da ein Schulabschluss mit Abitur für ihn als Pfarrerssohn fast unmöglich war. Er<br />

machte deshalb eine Ausbildung zum Kellner und arbeitete bis 1990 in einigen<br />

guten Hotels. 1984 bis 1985 leistete er seinen Wehrdienst bei der Nationalen<br />

Volksarmee. Da er den Waffendienst verweigerte, musste er in einer besonderen<br />

Einheit dienen: bei den „Spatensoldaten“ (Bau-Bataillon). In den achtziger Jahren<br />

engagierte er sich ehrenamtlich in der evangelischen Kirche, in der Jugendarbeit<br />

und in der Arbeit mit „Armeeverweigerern“. In diesem oppositionell geprägten<br />

Umfeld erlebte er auch die Proteste gegen die DDR-Regierung und den Mauerfall.<br />

Nach der Vereinigung beteiligte er sich am Aufbau der Zivildienstverwaltung in den<br />

neuen Bundesländern. Ab 1991 war er als Mitarbeiter beim „Neuen Forum“ tätig,<br />

einer Bürgerrechtsbewegung, die noch kurz vor dem Mauerfall in der DDR gegründet<br />

wurde. Von 1991 bis 1997 arbeitete er als Jugendbildungsreferent bei der<br />

evangelischen Akademie in Thüringen und studierte gleichzeitig Sozialpädagogik<br />

in Jena. Heute ist er als Referent bei der Europäischen Jugendbildungsstätte<br />

(EJBW) in Weimar tätig.<br />

Literatur<br />

Holzer, Jerzy: Der Kommunismus in Europa. Politische Bewegung und Herrschaftssystem,<br />

Frankfurt/Main 41998. Sontheimer, Kurt/Bleek, Wilhelm: Grundzüge des politischen Systems der Bundesrepublik<br />

<strong>Deutsch</strong>land, München 111999 [aktualisierte Neuausgabe].<br />

3.3.10 Gedenkstätte Buchenwald<br />

Buchenwald war während der NS-Diktatur eines der größten Konzentrationslager<br />

auf deutschem Boden. Es umfasste 130 Nebenlager und Außenkommandos.<br />

Auf dem Ettersberg, acht Kilometer nördlich der Stadt Weimar, befand sich das<br />

Hauptlager. Es wurde am 16. Juli 1937 eröffnet und am 11. April 1945 von den<br />

amerikanischen Streitkräften mit Unterstützung des Lagerwiderstandes befreit.<br />

Besonders groß war die Gruppe der politischen Gefangenen. Nach der „Reichskristallnacht“<br />

im November 1938 wurden zusätzlich Tausende von Juden in das<br />

Lager gebracht. Ihnen folgten nach Kriegsbeginn Tausende Polen und sowjetische<br />

Kriegsgefangene. Zeitweise befanden sich über 85.000 Häftlinge gleichzeitig<br />

im Lager, dass in den acht Jahren seines Bestehens, die Nebenlager eingeschlossen,<br />

von fast 240.000 Häftlingen aus 30 Ländern durchlaufen wurde. Über<br />

40.000 von ihnen wurden ermordet oder kamen ums Leben. Widerstandszellen<br />

54


Dokumentation des Seminars<br />

Das Krematorium im ehemaligen Konzentrationslager Buchenwald<br />

gab es von Anfang an in Buchenwald. 1938 gründeten beispielsweise Mitglieder<br />

der Kommunistischen Partei <strong>Deutsch</strong>lands (KPD) eine solche Gruppe im Lager.<br />

Nach Kriegsbeginn und mit dem Zustrom von politischen Gefangenen aus den<br />

besetzten Ländern bildeten sich zunehmend nationale Widerstandsgruppen. Es<br />

konnten einige beachtliche Erfolge erzielt werden. So wurden durch Mitglieder<br />

des Untergrunds sogar Waffen und Munition ins Lager geschmuggelt und in den<br />

Rüstungsbetrieben, in denen Gefangene aus Buchenwald Zwangsarbeit leisten<br />

mussten, wurden Sabotageakte verübt.<br />

Nach dem Zweiten Weltkrieg diente das ehemalige Konzentrationslager der<br />

sowjetischen Besatzungsmacht als Internierungslager. Das sogenannte Speziallager<br />

Nr. 2 bestand von 1945 bis 1950. Es wurden hauptsächlich Personen, die<br />

als Mitglieder der NSDAP oder in anderer Funktion dem nationalsozialistischen<br />

Regime nahe gestanden hatten, sowie willkürlich Verhaftete und Oppositionelle<br />

eingeliefert. Über 7.000 der insgesamt ungefähr 28.000 Inhaftierten starben in<br />

dieser Zeit, vor allem an den Folgen von Unterernährung und Vernachlässigung.<br />

55


Dokumentation des Seminars<br />

Nach der Gründung der DDR wurden die Gebäude Anfang der fünfziger Jahre<br />

weitgehend abgerissen, um auf dem Gelände eine Gedenkstätte des antifaschistischen<br />

Widerstands einzurichten. 1958 wurde schließlich die „Nationale Mahn- und<br />

Gedenkstätte Buchenwald“ eingeweiht. Die heutige Gedenkstätte Buchenwald,<br />

die nach der Vereinigung der beiden deutschen Staaten völlig neu konzeptualisiert<br />

wurde, ist Teil der von der Bundesregierung und vom Land Thüringen<br />

getragenen Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora. Sie soll an<br />

das nationalsozialistische Konzentrationslager und das sowjetische Speziallager<br />

auf dem KZ-Gelände erinnern. Der Schwerpunkt liegt aber auf der Erinnerung an<br />

das Konzentrationslager.<br />

Für den Besuch in der Gedenkstätte Buchenwald (vgl. Abschnitt 4.8) war im Programm<br />

ein ganzer Tag vorgesehen. Die Gruppe wurde von Daniel Gaede, dem<br />

pädagogischen Leiter der Gedenkstätte, begleitet und betreut. Das Interesse galt<br />

weniger dem Thema Nationalsozialismus als dem methodischen Kontext des<br />

pädagogischen Angebotes. Seit der Neukonzeption bieten „vier neue Dauerausstellungen,<br />

ergänzende Beschilderungen auf dem Gelände sowie pädagogische<br />

Einrichtungen wie die Jugendbegegnungsstätte ein differenziertes Angebot zur<br />

Auseinandersetzung mit dem Ort und seiner Geschichte“ (Thillm 2000, 22). Dazu<br />

gehört auch eine zwei- bis vierstündige Führung, die gewöhnlich den Mittelpunkt<br />

eines Gedenkstättenbesuchs von Jugendgruppen und Schulklassen bildet. Diese<br />

Art der Besichtigung lässt die Besucherinnen und Besucher jedoch relativ fremdbestimmt.<br />

Sie gilt deshalb nur als begrenzte Möglichkeit für eine aktive Auseinandersetzung<br />

mit der NS-Geschichte.<br />

Zur Vervollständigung bedarf sie der Einbettung in einen mit der jeweiligen Besuchergruppe<br />

zu erarbeitenden methodischen Kontext. Daniel Gaede setzte an den<br />

Anfang des Besuches in Buchenwald beispielsweise die Befragung von Bildern<br />

(vgl. Abschnitt 4.7), eine in der politischen Bildung oft eingesetzte Methode. Jeder<br />

erhielt ein Foto, das er im Folgenden beschreiben sollte. Die meisten Bilder waren<br />

zur NS-Zeit auf dem Gelände aufgenommen worden. Motive waren nicht nur Leid<br />

und Schrecken, sondern auch die SS-Offiziersmesse, das Mahnmahl der späteren<br />

Gedenkstätte und die „Paradebaracken“. Der Zugang soll helfen die stereotypen<br />

Sichtweisen von Buchenwald zu hinterfragen und abzubauen. Gleichzeitig<br />

fordert er dazu auf, sich ein eigenes Bild zu machen. Anschließend führte Daniel<br />

Gaede die Gruppe über das Gelände des ehemaligen Konzentrationslagers und<br />

durch zwei der insgesamt vier Dauerausstellungen: die historische Ausstellung<br />

zur Geschichte des Konzentrationslagers und des Speziallagers Nr. 2.<br />

Viele Gedenkstätten in <strong>Deutsch</strong>land sind heute gleichzeitig Lernorte. KZ-Gedenkstätten<br />

haftet aufgrund ihrer authentischen Relikte eine spezielle Aura an, die<br />

56


Dokumentation des Seminars<br />

Daniel Gaede führt die Gruppe durch die Gedenkstätte Buchenwald<br />

besondere Wirkung auf die Besucherinnen und Besucher ausübt. Bei der Auswertung,<br />

die noch am gleichen Abend stattfand, wurde das sehr deutlich. Anders<br />

als der Besuch in der Alten Synagoge in Essen hatte der Tag in Buchenwald bei<br />

vielen Seminarteilnehmerinnen und Seminarteilnehmern, die zum Teil noch durch<br />

ihre eigene unmittelbare Kriegserfahrung geprägt sind, starke emotionale Eindrücke<br />

hinterlassen. Einige Teilnehmer äußerten den Wunsch, in Zukunft mehr für<br />

die Erinnerung an solche Orte in ihren Ländern tun zu wollen. Besonders gelobt<br />

wurde die gute Betreuung durch Daniel Gaede. Die Konzeption und Präsentation<br />

der Dauerausstellungen sowie die Vielfalt der methodischen Zugänge wurde<br />

ebenfalls als sehr positiv hervorgehoben.<br />

Literatur<br />

Hackett, David A. (Hrsg.): Der Buchenwald-Report. Bericht über das Konzentrationslager<br />

Buchenwald bei Weimar, München 2002.<br />

57


Dokumentation des Seminars<br />

Am Gedenkstein für die Opfer des Speziallagers Nr. 2<br />

Zu Buchenwald vgl. Jäckel, Eberhard/Longerich, Peter/Schoeps, Julius H. (Hrsg.): Enzyklopädie<br />

des Holocaust. Die Verfolgung und Ermordung der europäischen Juden, 3<br />

Bde., Berlin 1993, hier: Bd. 1, S. 248-251.<br />

Kogon, Eugen: Der SS-Staat. Das System der deutschen Konzentrationslager, München<br />

4 1993.<br />

Thüringer Institut für Lehrerfortbildung, Lehrplanentwicklung und Medien (Thillm) (Hrsg.):<br />

Sehen, Verstehen und Verarbeiten. KZ Buchenwald 1937-1945. KZ Mittelbau-Dora<br />

1943-1945, Bad Berka 2000.<br />

3.3.11 Das thüringisch-hessische Grenzmuseum „Schifflersgrund“.<br />

Mahnmal, Begegnungsstätte und Lernort an der überwundenen<br />

innerdeutschen Grenze<br />

1990 wurden die Wahlen zum ersten gesamtdeutschen Bundestag abgehalten.<br />

Gleich nach der Wende wurde damit begonnen, die Spuren der Teilung zu beseitigen.<br />

Das galt auch für die Berliner Mauer und für den Rest des Grenzzaunes, der<br />

jahrzehntelang von der Ostsee bis hinunter nach Thüringen und Bayern reichte.<br />

58


Dokumentation des Seminars<br />

In der Nähe von Kassel, an der thüringisch-hessischen Grenze, gründete sich<br />

in dieser Zeit ein Verein aus Privatleuten, der sich zum Ziel setzte, ein Museum<br />

(vgl. Abschnitt 4.12) am „Schifflersgrund“ zu errichten, um auf diese Weise an die<br />

Zeit der deutschen Teilung zu erinnern. Der elf Meter hohe Beobachtungsturm<br />

der DDR-Grenztruppen überragt auch heute noch das Gelände und ist schon<br />

von weitem zu sehen. Viele Exponate stammen aus den Beständen des Bundesgrenzschutz<br />

und der DDR-Grenztruppen.<br />

Die Ausstellung informierte über die deutsch-deutsche Vergangenheit und erlaubte<br />

Eindrücke über das Leben im grenznahen Raum. Die Besichtigung eines<br />

etwa ein Kilometer langen Teilstückes des sogenannten „Todesstreifens“, der als<br />

Teil des Mahnmals erhalten worden ist, vermittelte ein besonders einprägsames<br />

Bild von der noch sehr nahen deutsch-deutschen Geschichte und dem täglichen<br />

Leben mit der Grenze. Der besondere Wert dieses Museums liegt vor allem darin,<br />

dass es sich um eine private, unabhängige Initiative handelt, die durch ihr<br />

Engagement versucht, Bewusstsein für die Probleme der deutsch-deutschen<br />

Geschichte zu erzeugen.<br />

Im Grenzmuseum „Schifflersgrund“<br />

59


Dokumentation des Seminars<br />

3.3.12 Workshop I<br />

An diesem Tag wurden parallel zwei unterschiedliche Workshops (vgl. Abschnitt<br />

4.20) angeboten. Dadurch erhielten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer die<br />

Möglichkeit, einen speziellen Aspekt des Seminars gemeinsam und weitgehend<br />

selbstbestimmt zu bearbeiten. Eine Gruppe beschäftigte sich mit den bisher erlebten<br />

Zeitzeugengesprächen (vgl. Abschnitt 4.13) und die anderen widmeten sich<br />

der Spurensuche (vgl. Abschnitt 4.6 und 4.16) vor Ort. Dabei musste jede Gruppe<br />

eine Wandzeitung (vgl. Abschnitt 4.19) gestalten, die am Ende des Workshops zur<br />

Präsentation der Ergebnisse vor der ganzen Gruppe verwendet wurde.<br />

Gruppe A: Oral History<br />

Am Anfang des Workshops wurden in einem Brainstorming (vgl. Abschnitt 4.4) die<br />

speziellen Faktoren gesammelt, die der Interviewer eines Zeitzeugen vor, während<br />

und nach dem Gespräch zu beachten hat. Die Ideen wurden auf Zettel notiert<br />

und an einer Stellwand dem jeweiligen Bereich zugeordnet (vgl. Abschnitt 4.19).<br />

Das Sammeln und Niederschreiben der Gedanken war strukturiert und sehr produktiv.<br />

Es wurde deutlich, dass die Teilnehmerinnen und Teilnehmer die Abläufe<br />

während der Zeitzeugengespräche intensiv beobachtet hatten. Eine Teilnehmerin<br />

aus Rumänien schrieb später, dass ihr zu diesem Zeitpunkt klar wurde, wie viel<br />

sie durch die bisher erlebten Zeitzeugengespräche schon gelernt hatte.<br />

Der zweite Schritt galt der praktischen Erfahrung. Dazu wurde sich des Rollenspiels<br />

(vgl. Abschnitt 4.14) mit Video-Beobachtung (vgl. Abschnitt 4.11) bedient<br />

und für einen ersten Durchgang das Thema „Mein bester Freund“ gewählt. Das<br />

bedeutete: Jeder Teilnehmer des Workshops bekam eine Rolle zugewiesen. Er<br />

konnte entweder Befragter, Interviewer, Beobachter oder Teil des Publikums sein.<br />

Nach einer kurzen Vorbereitungszeit begann das Simulationsspiel. Dann wurden<br />

die Rollen neu verteilt und ein anderes, die Gruppe direkt betreffendes Thema<br />

festgelegt: „Die Situation in Jugoslawien von 1990 bis 1992“. Zwei Teilnehmer<br />

aus dem ehemaligen Jugoslawien erklärten sich dazu bereit, die Rolle des Interviewers<br />

und des Befragten zu übernehmen. In den an die beiden Rollenspiele<br />

anschließenden Diskussionen und der gemeinsamen Auswertung der Videoaufzeichnungen<br />

wurde deutlich, dass der Perspektivenwechsel und das Einfühlen in<br />

eine fremde Rolle beim simulierten Zeitzeugengespräch von der Gruppe als sehr<br />

positiv und hilfreich empfunden wurde.<br />

60


Beim Rollenspiel<br />

Dokumentation des Seminars<br />

Gruppe B: Spurensuche<br />

Die zweite Gruppe beschäftigte sich mit dem Lernprozess an historischen Orten<br />

im Rahmen einer Erkundung. Das Ziel der Exkursion war das ehemalige KZ-<br />

Außenlager Buchenwald in Witten-Annen. Mitte der achtziger Jahre hatte eine<br />

Schulklasse aus Witten durch Zufall Aufzeichnungen über das Lager entdeckt.<br />

Daraufhin wurde ein Historiker beauftragt Nachforschungen anzustellen. Kurze<br />

Zeit später wurde eine „Gedenkschrift für die Opfer der Zwangsarbeit in Witten,<br />

1941-1945“ veröffentlicht und ein künstlerischer Ideenwettbewerb zur Errichtung<br />

einer Gedenkstätte initiiert.<br />

Die Gruppe besichtigte mit einem Denkmalpfleger der Stadt Witten, Martin Jakel,<br />

das Gelände und wurde von ihm in die Geschichte des Lagers eingeführt. Anschließend<br />

hatten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer dieses Workshops Zeit,<br />

selbstständig das Gebiet zu erkunden, zu fotografieren (vgl. Abschnitt 4.11) und Interviews<br />

(vgl. Abschnitt 4.2) in der Nachbarschaft zu machen. Dabei bewahrheitete<br />

sich, dass es nicht mehr viele Überreste auf dem Gelände zu sehen gibt, außer<br />

einer Gedenktafel und den freigelegten, aber zum Teil wieder fast überwucherten<br />

Zaunpfählen, die das ehemalige Lager einst umgaben. Die Gespräche mit den Anwohnern<br />

waren zwar nicht sehr ergiebig, aber immerhin wussten einige von ihnen<br />

61


Dokumentation des Seminars<br />

Martin Jakel zeigt Fotos<br />

von der Existenz des ehemaligen Außenlagers. In der anschließenden Diskussion<br />

wurde deutlich, dass es sich hier um einen historischen Ort handelt, der zwar in<br />

Vergessenheit geraten und von dessen ehemaliger Geschichte zu sehen ist, dass<br />

aber durch die Zusammenarbeit und das Engagement verschiedener Menschen<br />

und Institutionen trotzdem ein Gedenkort errichtet werden konnte. Am Schluss<br />

wurde eine Wandzeitung (vgl. Abschnitt 4.19) mit Fotos und Informationen über<br />

das Außenlager angefertigt und später der ganzen Gruppe präsentiert.<br />

Literatur<br />

Stadt Witten (Hrsg.): Künstlerischer Ideenwettbewerb zu einer Gedenkstätte auf dem Gelände<br />

des ehemaligen KZ-Außenlagers Buchenwald in Witten-Annen. Dokumentation,<br />

Witten, Wetter 1993.<br />

Völkel, Klaus: „Hier ruhen 22 Genossen, zu Tode gequält ...“. Gedenkschrift für die Opfer<br />

der Zwangsarbeit in Witten, 1941-1945, hrsg. von der Stadt Witten, Bochum 1992.<br />

3.3.13 Stadtrundgang mit Valentin Frank in Dortmund<br />

Gemeinsam mit der Gruppe suchte Valentin Frank, der unter den Nationalsozialisten<br />

als „Halbjude“ verfolgt worden war, in der Dortmunder Innenstadt nach den<br />

Spuren (vgl. Abschnitt 4.16) seiner Kindheit und Jugendzeit im Dritten Reich. Im<br />

62


Dokumentation des Seminars<br />

Vordergrund dieses Stadtrundgangs (vgl. Abschnitt 4.17) standen seine Erlebnisse<br />

während der „Reichskristallnacht“ 1938. Anhand von Postkarten zeigte er<br />

der Gruppe die heute kaum mehr widerzuerkennenden Orte und berichtete über<br />

seine Erinnerungen aus dieser Zeit. Eine wichtige Station war der Platz der Alten<br />

Synagoge (vgl. Stadtrundgang in Dortmund, Abschnitt 3.3.5), dem heutigen<br />

Opernvorplatz. Dort stand bis zur „Reichskristallnacht“ die größte Dortmunder<br />

Synagoge. Am Morgen danach war der neunjährige Valentin durch die Straßen<br />

gelaufen und auch an diesem zerstörten Gebäude vorbei gekommen.<br />

Die Lokalpresse berichtete in verschiedenen Zeitungen über das Seminar und veröffentlichte<br />

ein Foto der Gruppe auf dem Platz der Alten Synagoge. Im Anschluss<br />

an diesen Stadtrundgang wurden einige der deutschsprechenden Teilnehmerinnen<br />

und Teilnehmer auch noch für das lokale Radio interviewt.<br />

3.3.14 Workshop II<br />

Beim zweiten Workshop (vgl. Abschnitt 4.20) stand die Auseinandersetzung mit<br />

der durch das Seminar erfahrenen Geschichtsaufarbeitung in <strong>Deutsch</strong>land einerseits<br />

und den persönlichen Erfahrungen der Teilnehmerinnen und Teilnehmer<br />

andererseits im Vordergrund. Das Ziel war, Projektideen für die eigenen Länder<br />

zu entwerfen beziehungsweise zu transformieren mithilfe der neu erworbenen<br />

Kenntnisse. Zuerst wurde eine kurze Bewegungseinheit „Katze und Mäuse“ (vgl.<br />

Abschnitt 4.10) durchgeführt, um den Kreislauf für einen langen Tag im Sitzen<br />

anzukurbeln.<br />

Dann wurde ein Fragebogen (vgl. Abschnitt 7.2) verteilt, der im Wesentlichen den<br />

üblichen Antragsformularen für staatliche oder EU-Förderungen (zum Beispiel<br />

EU-Programm „Jugend“) ähnelt. Die Teilnehmer sollten in Einzelarbeit oder zu<br />

zweit eine Projektidee formulieren, die Umsetzungsschritte skizzieren und ein<br />

Budget festlegen. Die Anträge, die so entstanden und in der zweiten Phase des<br />

Workshops der Gruppe vorgestellt wurden, waren sehr unterschiedlich, bezogen<br />

sich aber auf den internationalen Austausch mit historisch orientierten Themen.<br />

Eine Teilnehmerin aus Bulgarien und ein Teilnehmer aus Mazedonien planten beispielsweise<br />

ein gemeinsames Projekt, mit dem Ziel den Nationalismus auf beiden<br />

Seiten zu bekämpfen und eine Annäherung der beiden Nachbarländer zu fördern.<br />

Die Gruppe sollte aus Studierenden bestehen und zum großen Teil mit den Methoden<br />

arbeiten, die sie in <strong>Deutsch</strong>land kennen gelernt hatten. Über die Verständigung<br />

und Zusammenarbeit auf dem Balkan gab es gleich drei verschiedene<br />

Projekt ideen, die immer länderübergreifend geplant wurden. Die Betonung der<br />

63


Dokumentation des Seminars<br />

Während des Workshops<br />

gemeinsamen Vergangenheit und die Skizzierung einer gemeinsamen Zukunft<br />

spielten dabei stets eine große Rolle. Weitere Projektideen beschäftigten sich mit<br />

dem Zusammenleben der verschiedenen ethnischen Gruppen, der Verarbeitung<br />

des Kommunismus und dem Umgang mit der eigenen Geschichte. Darüber hinaus<br />

gab es auch konkrete Vorschläge für Weiterbildungsveranstaltungen mit Lehrern<br />

und anderen Fachkräften aus der schulischen und außerschulischen Jugend- und<br />

Erwachsenenbildung, um unter anderem die erlernten Methoden weitergeben zu<br />

können. Eine Teilnehmerin aus Rumänien skizzierte die Errichtung eines kulturellen<br />

und pädagogischen Zentrums in ihrer Heimatstadt. Nach ihren Überlegungen<br />

sollte ein Ort geschaffen werden, an dem Schüler, Studenten, Einwohner und auch<br />

Touristen aus dem In- und Ausland sich über die verschiedenen Religionen, Kulturen<br />

und Gesellschaften austauschen können. In zeitlicher und finanzieller Hinsicht<br />

waren die meisten Projektideen sehr realistisch. Am Ende des Workshops wurde<br />

vereinbart, sich weiter über die geplanten Projekte auszutauschen, um vielleicht<br />

einige der Einfälle verwirklichen zu können.<br />

64


Dokumentation des Seminars<br />

3.3.15 Schlussauswertung<br />

Ein wichtiger Bestandteil des Seminars war die Schlussauswertung (vgl. Abschnitt<br />

4.1). Die Seminarteilnehmerinnen und Seminarteilnehmer erhielten dabei<br />

die Gelegenheit, sich konstruktiv, aber auch kritisch über das Projekt zu äußern.<br />

Am Anfang dieses Abschnittes stand wieder eine kleine Bewegungseinheit (vgl.<br />

Abschnitt 4.10). Nachdem der Kreislauf erneut in Schwung gebracht worden<br />

war, begann es mit einer einfachen Auswertungsmethode, dem Zeitstrahl (vgl.<br />

Abschnitt 4.1). Dabei wurde auf einem großen Plakat ein langer Pfeil aufgemalt:<br />

am Anfang stand das erste Datum unserer Begegnung und am Ende das letzte.<br />

Darunter waren nebeneinander alle Termine aufgeführt, die die Gruppe in den<br />

vorausgegangenen zehn Tagen wahrgenommen hatte. Bevor die Teilnehmerinnen<br />

und Teilnehmer den Zeitstrahl zu sehen bekamen, wurden sie aufgefordert,<br />

die Punkte auf Karten zu schreiben, die ihnen gut gefallen hatten oder die sie für<br />

besonders wichtig hielten. Anschließend mussten sie ihre Karten am Zeitstrahl<br />

zuordnen. Dabei stellte sich heraus, dass besonders der Besuch in Buchenwald,<br />

die Zeitzeugengespräche und der Workshop zur Oral History auf herausragendes<br />

Interesse gestoßen waren. Darüber hinaus wurden besonders die Begegnung und<br />

Freundschaft in der Gruppe, die Informationen über die deutsche Geschichte, die<br />

neu erlernten Methoden und die gute Organisation hervorgehoben.<br />

In einem zweiten Schritt sollte jedes Mitglied der Gruppe einen Brief an sich selbst<br />

schreiben. Thema waren die vorausgegangenen zehn Tage. Dieser Brief wurde<br />

dann kuvertiert und der Seminarleitung übergeben, die ihn mehrere Wochen später<br />

an den entsprechenden Teilnehmer verschickte. Dadurch konnten die Teilnehmerinnen<br />

und Teilnehmer eine persönliche Bilanz ziehen. Die spätere Zustellung<br />

sollte sie noch einmal an das Seminar, ihre Eindrücke und Vorsätze erinnern. Dann<br />

wurde die Frage vom ersten Tag wiederholt: „Was bedeutet Geschichte für dich?“<br />

Die Diskussion war relativ kurz und wenig ergiebig. Der ersten Einschätzung<br />

hatten nur wenige etwas hinzuzufügen. Zum Abschluss der Auswertung wurde<br />

eine weitere unkomplizierte Auswertungsmethode, der Fischteich (vgl. Abschnitt<br />

4.1), genutzt. Dafür wurde auf einem Plakat ein Fischteich, ein Koffer und eine<br />

Glaskugel gezeichnet. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer befestigten darauf<br />

ihre Karten (in Fischform), auf denen sie zuvor ihre Einschätzungen zu folgenden<br />

Punkten vermerkt hatten:<br />

a) Das will ich nicht mit nach Hause nehmen.<br />

b) Das will ich mit nach Hause nehmen.<br />

c) Das habe ich vermisst.<br />

65


Dokumentation des Seminars<br />

Bei der Schlussauswertung<br />

Hier wurden die bisherigen Antworten noch einmal deutlicher ausdifferenziert als<br />

beim Zeitstrahl. Die Gruppe evaluierte das Seminar im Ganzen als sehr positiv<br />

und funktional. Die Motivation, das neu gewonnene Wissen in ihrem Heimatland<br />

zu verbreiten, war sehr hoch. Kritisiert wurde hauptsächlich, dass es zu wenig<br />

Pausen und Phasen der Ruhe gegeben hätte.<br />

Zum Schluss erhielten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer einige Unterlagen<br />

über die vermittelten Methoden. Außerdem sollten sie innerhalb von zwei Wochen<br />

eine Bücherliste an die Organisatoren senden, mit dem Material, das sie für das<br />

Thema geeignet fänden. Aus den Vorschlägen und Wünschen wurde eine Liste<br />

von zwölf englischsprachigen Publikationen zum Thema Geschichtsaufarbeitung<br />

erstellt. Diese Bücher wurden angeschafft und an die Teilnehmerinnen und Teilnehmer<br />

verschickt, die sie in ihren Heimatländern an öffentlichen Orten unterbringen<br />

und damit auch für andere Interessierte zugänglich machen sollen.<br />

66


4. Methoden<br />

4.1 Auswertung<br />

Methoden<br />

Um Seminare beurteilen und vielleicht auch verbessern zu können, sind Informationen<br />

über den Ablauf notwendig. Deshalb gilt es herauszuarbeiten, „wie sich<br />

das Seminargeschehen (und die Gruppe) entwickelt, festzustellen, was gut läuft<br />

und/oder wo es Probleme gibt“ (Gugel 1994, 61). Hier wird (selbst-)kritisch nach<br />

einer Bewertung der verschiedenen Bestandteile gefragt und gemeinsam mit<br />

den Teilnehmerinnen und Teilnehmern besprochen. Vor der Gesamtauswertung<br />

am Ende einer Veranstaltung kann eine Zwischenbilanz für die Optimierung des<br />

weiteren Verlaufs sorgen. Das Blitzlicht (vgl. Abschnitt 4.3) ist dafür gut geeignet,<br />

denn es liefert in kürzester Zeit ein Meinungsbild. Gemeinsam ist Zwischenbilanz<br />

und Auswertung, dass sie den Teilnehmerinnen und Teilnehmern das Gefühl vermittelt,<br />

ernst genommen zu werden. Darüber hinaus haben sie eine entlastende<br />

Funktion, da auf diesem Wege Gefühle und Meinungen geäußert werden können.<br />

Der Zeitstrahl im Seminar<br />

67


Methoden<br />

Die Seminarleitung erhält so Informationen, die „eine wichtige Grundlage und<br />

Entscheidungshilfe für das weitere Vorgehen bzw. für die Konzeption späterer<br />

<strong>Bildungs</strong>veranstaltungen“ (Gugel 2000, 61) darstellen. Im Seminar wurden zwei<br />

einfache Auswertungsmethoden angewendet: der Zeitstrahl und der Fischteich.<br />

Der Zeitstrahl<br />

Für diese Auswertungsmethode wird ein großes Plakat benötigt. Darauf wird ein<br />

langer Pfeil gemalt: am Anfang steht das Datum des ersten Seminartages und am<br />

Ende das letzte. Unter dem Zeitstrahl können dann der Reihe nach alle gemeinsamen<br />

Termine beziehungsweise Programmbestandteile aufgeführt werden. Bevor<br />

die Teilnehmerinnen und Teilnehmer das Plakat zu Gesicht bekommen, werden<br />

sie gebeten, auf Karten diejenigen Programmpunkte oder -bestandteile aufzuschreiben,<br />

die ihnen gut gefallen haben oder die sie für besonders wichtig hielten.<br />

Anschließend werden sie unter dem Zeitstrahl angebracht. So ergibt sich durch<br />

unterschiedliche Häufigkeiten der Nennungen ein übersichtliches Stimmungsbild.<br />

Rückfragen zu den einzelnen Karten sind möglich.<br />

Der Fischteich<br />

Auch hier wird ein großes Plakat benötigt. Darauf wird ein Fischteich, ein Koffer<br />

und eine Glaskugel gezeichnet. Der Fischteich symbolisiert die Frage nach den<br />

Dingen, die Bestandteil des Seminars waren, aber nicht mit nach Hause genommen<br />

werden wollen. In den Koffer kommen all jene Dinge, welche die Teilnehmerinnen<br />

und Teilnehmer gerne mitnehmen würden. Die Glaskugel steht schließlich<br />

für Fragen und Probleme, die nicht geklärt oder vermisst werden. Dann erhalten<br />

die Teilnehmerinnen und Teilnehmer genügend Karten (vielleicht in Form von<br />

Fischen und in unterschiedlichen Farben zurechtgeschnitten) und tragen darauf<br />

ihre Antworten auf die oben genannten Fragen ein. Anschließend heften alle aus<br />

der Gruppe nacheinander ihre Karten auf das Plakat und kommentieren wenn<br />

möglich ihre Stichpunkte. Nachfragen sind hier erwünscht.<br />

Vorbereitung<br />

Es ist wichtig, für genügend Stifte, Karten, Stecknadeln und ein großes Plakat<br />

(braunes Packpapier, alte Tapetenrolle, Posterrückseite etc.) zu sorgen.<br />

Literatur<br />

Ackermann, Paul/Breit, Gotthard/Cremer, Will [et. al.]: Politikdidaktik kurzgefaßt. Planungsfragen<br />

für den Politikunterricht, Bonn 1995 [Neudruck].<br />

68


Der Fischteich<br />

Methoden<br />

69


Methoden<br />

Gugel, Günther: Praxis politischer <strong>Bildungs</strong>arbeit. Methoden und Arbeitshilfen, Tübingen<br />

3 1994, S. 61-73.<br />

Kuhn, Hans-Werner: Auswertung, in: Kuhn, Hans-Werner/Massing, Peter (Hrsg.): Lexikon<br />

der politischen Bildung. Bd. 3: Methoden und Arbeitstechniken, Schwalbach/Taunus<br />

2000, S. 9.<br />

Vergleiche Abschnitt 3.3.7 „Zwischenauswertung“ und Abschnitt 3.3.15 „Schlussauswertung“<br />

4.2 Befragung<br />

Zur Beschaffung von Informationen wird im politischen Unterricht und in der<br />

außerschulischen Jugend- und Erwachsenenbildung häufig die Methode der<br />

Befragung beziehungsweise der Expertenbefragung genutzt. Verhältnismäßig<br />

neu ist, dass die Befragung, welche beispielsweise im Rahmen einer Erkundung<br />

(vgl. Abschnitt 4.6) stattfinden kann, einen offenen Ausgang hat. Ziel ist es, einen<br />

Konflikt zu erfassen und einen eigenen Standpunkt zu entwickeln. Befragt werden<br />

Betroffene oder Expertinnen und Experten. So lernen die Teilnehmerinnen und<br />

Teilnehmer den Umgang mit kompetenten Gesprächspartnern und sich selbst<br />

ein Bild zu machen. „Bei ‚Expertenbefragungen‘ werden fachkundige Personen<br />

in Interviews oder in Diskussionen, die unter gezielten Fragestellungen stehen,<br />

um Informationen zu bestimmten Sachverhalten gebeten“ (Gugel 1994, 296).<br />

Im Gegensatz zur Textarbeit ist dies eine handlungsorientierte Methode, um an<br />

Informationen zu kommen.<br />

Der Experte oder die Expertin kann aus der Gruppe oder dem näheren Umfeld<br />

stammen, dass heißt eine Person (oder mehrere Personen) aus der Gruppe arbeitet<br />

sich in ein Themengebiet ein und stellt sich dann den Fragen. Es ist aber<br />

auch möglich, eine Person von außerhalb einzuladen oder zu besuchen. Im Politikunterricht<br />

werden beispielsweise nicht selten Jugendrichter oder Staatsanwälte<br />

nach einer Gerichtsverhandlung von Jugendlichen befragt.<br />

Eine wichtige Voraussetzung für eine gelungene Durchführung ist immer eine<br />

gute Vorbereitung: „Je besser die Lernenden vorbereitet sind, desto eher werden<br />

sie Fragen stellen, die die Expertin bzw. den Experten fordern. Sie werden sich<br />

mit ausweichenden Antworten nicht zufrieden geben und Nachfragen stellen“<br />

(Breit 2000, 40). Ist die Vorbereitung unzulänglich, wird der Experte diese Gelegenheit<br />

wahrscheinlich nutzen, um einen Vortrag zu halten. Die anschließende<br />

Diskussion wird er dann durch seine Sachverständigkeit dominieren können und<br />

es verstehen, seine Ansichten in das beste Licht rücken. Eine Vorbereitung der<br />

Expertin oder des Experten ist ebenfalls unerlässlich. Es ist beispielsweise keine<br />

70


Methoden<br />

Voraussetzung für eine Expertenbefragung, die Fachsprache zu verstehen. Der<br />

Befragte sollte deshalb versuchen, sich dem Niveau der Gruppe anzupassen und<br />

sich verständlich auszudrücken.<br />

Vorbereitung<br />

1. In der Vorbereitungsphase sollte das Vorverständnis der Teilnehmerinnen<br />

und Teilnehmer vom Sachverhalt geklärt werden. Welche Informationen und<br />

Einschätzungen besitzen wir bereits? Wo liegen unsere Unsicherheiten, sind<br />

Recherchen nötig?<br />

2. Was können wir überhaupt von einem Experten erwarten und wo finden wir die<br />

geeignete Person zu unserem Themenbereich? Eine Möglichkeit ist es, sich<br />

an Parteien, Verbände, Vereine oder Universitäten zu wenden und dort um<br />

Unterstützung zu bitten. Manchmal ist es schwer, eine geeignete Person einzuladen,<br />

da sie beruflichen Verpflichtungen nachkommen muss. Expertinnen<br />

und Experten, zu deren beruflichen Aufgaben die Öffentlichkeitsarbeit gehört,<br />

sind meistens leichter zu gewinnen.<br />

3. Bei der Suche und Auswahl sollte bedacht werden, worin die spezifische<br />

fachliche Kompetenz des Experten liegt. Wer ist der richtige Experte für unsere<br />

Gruppe und für unsere Fragestellung? Falls der Experte einen speziellen<br />

Ansatz vertritt, wäre es darüber hinaus sinnvoll zu klären, ob auch andere<br />

Richtungen gehört werden sollen. Dazu können die Expertinnen und Experten<br />

einzeln oder gleichzeitig befragt werden. Diese spezifische Form der Sachverständigenbefragung<br />

wird Hearing genannt und vor allem im parlamentarischpolitischen<br />

Raum genutzt.<br />

4. Die finanzielle Seite muss geregelt werden. Erwartet der Experte ein Honorar<br />

für das Gespräch beziehungsweise können wir ihm überhaupt ein Honorar<br />

anbieten? Eine Möglichkeit Kosten zu sparen, ist die Suche nach anderen<br />

Organisationen, die Interesse an diesem Expertengespräch haben und<br />

bereit zu einer finanziellen Beteiligung sind (wie Vereine, Gewerkschaften,<br />

Universitäten, etc.).<br />

5. Ein Fragenkatalog beziehungsweise Interviewleitfaden muss erarbeitet werden.<br />

Welche Themenbereiche sollen angesprochen werden? Daneben sollte<br />

noch Platz für spontane, nicht vorbereitete Fragen eingeplant werden.<br />

6. Es muss eine Absprache getroffen werden über die Arbeitsform während der<br />

Expertenbefragung. Wer übernimmt die Moderation? Wer stellt die Fragen?<br />

Wie soll die Befragung strukturiert sein?<br />

7. Wie wird anschließend mit den Ergebnissen weiter gearbeitet? Soll die<br />

Befragung dokumentiert werden? Dann muss vor dem Gespräch geklärt<br />

werden, wie diese Dokumentation aussehen soll. Wer übernimmt welche<br />

71


Methoden<br />

72<br />

Aufgaben? Wie wird dokumentiert (Video, Foto, Tonbandaufzeichnung, etc.)?<br />

Ist der Experte überhaupt mit einer Dokumentation einverstanden?<br />

Durchführung<br />

1. Zuerst können die Expertinnen und Experten ihre Position kurz darstellen.<br />

Danach werden die Äußerungen hinterfragt, vertieft und in Frage gestellt.<br />

Dabei strukturieren die Fragen der Teilnehmerinnen und Teilnehmer die<br />

Veranstaltung.<br />

2. Expertenbefragungen sind keine Expertenvorträge. Deshalb sollte der<br />

Moderator darauf achten, dass tatsächlich auf die Fragen aus der Gruppe<br />

eingegangen wird.<br />

Nachbereitung<br />

1. Nach der Expertenbefragung sollten die Eindrücke und die neugewonnenen<br />

Informationen miteinander verglichen werden.<br />

2. Unklarheiten werden durch weitere Recherchen beseitigt.<br />

Literatur<br />

Breit, Gotthard: Expertenbefragung, in: Kuhn, Hans-Werner/Massing, Peter (Hrsg.):<br />

Lexikon der politischen Bildung. Bd. 3: Methoden und Arbeitstechniken, Schwalbach/<br />

Taunus 2000, S. 39-42.<br />

Engelhart, Klaus: Arbeitsformen und Arbeitstechniken, in: Mickel, Wolfgang W./Zitzlaff,<br />

Dietrich (Hrsg.): Handbuch zur politischen Bildung, Bonn 1988, S. 262-267.<br />

Giesecke, Hermann: Politische Bildung. Didaktik und Methodik für Schule und Jugendarbeit,<br />

Weinheim, München 22000 [überarbeitete und erweiterte Auflage].<br />

Gugel, Günther: Praxis politischer <strong>Bildungs</strong>arbeit. Methoden und Arbeitshilfen, Tübingen<br />

31994, S. 296.<br />

Nitzschke, Volker: Befragung, in: Kuhn, Hans-Werner/Massing, Peter (Hrsg.): Lexikon der<br />

politischen Bildung. Bd. 3: Methoden und Arbeitstechniken, Schwalbach/Taunus 2000,<br />

S. 10.<br />

Vergleiche Abschnitt 3.3.4 „Die Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit<br />

Dortmund e. V.“<br />

4.3 Blitzlicht<br />

„Ein Blitzlicht stellt eine Momentaufnahme des Seminargeschehens dar und<br />

spiegelt die Stimmung der Gruppe wider“ (Gugel 2000, 14). Dazu werden alle<br />

Teilnehmerinnen und Teilnehmer gebeten, sich der Reihe nach kurz zu einer Fra-


Methoden<br />

gestellung, die vom Moderator vorgegeben wird, zu äußern (Zum Beispiel: „Welcher<br />

Programmpunkt war für mich heute wichtig?“). Hierbei gibt es fünf Regeln:<br />

1. Fasse dich kurz.<br />

2. Wiederhole nicht, was dein Vorredner gesagt hat.<br />

3. Unterbreche niemanden, lass den Redner ausreden.<br />

4. Nur der Moderator hat das Recht, jemanden zu unterbrechen oder in den<br />

Ablauf einzugreifen, wenn er es für nötig hält.<br />

5. Der Moderator muss im Falle einer Störung eingreifen, um wieder eine<br />

Arbeitsatmosphäre herzustellen.<br />

Diese Methode bietet der Seminarleitung die Möglichkeit, rasch ein Meinungsbild<br />

zu ermitteln und es kann immer dann eingesetzt werden, wenn man die Stimmung<br />

in der Gruppe erheben will. Während des Blitzlichtes findet keine Diskussion statt,<br />

die Äußerungen werden nicht kritisiert oder kommentiert. Es geht vor allem darum,<br />

dass jeder seine Meinung frei mitteilen kann.<br />

Ein Blitzlicht braucht nicht weiter in der Gruppe bearbeitet zu werden. Es kann<br />

für sich stehen bleiben. Wird aber beabsichtigt, es als eine Grundlage für das<br />

weitere Vorgehen zu nutzen, dann sollte noch einmal mit allen Teilnehmerinnen<br />

und Teilnehmern über die verschiedenen Aspekte, die während des Blitzlichtes<br />

deutlich wurden, diskutiert werden.<br />

Literatur<br />

Gugel, Günther: Praxis politischer <strong>Bildungs</strong>arbeit. Methoden und Arbeitshilfen, Tübingen<br />

31994, S. 65.<br />

Gugel, Günther: Blitzlicht, in: Kuhn, Hans-Werner/Massing, Peter (Hrsg.): Lexikon der<br />

politischen Bildung. Bd. 3: Methoden und Arbeitstechniken, Schwalbach/Taunus 2000,<br />

S. 14.<br />

Vergleiche Abschnitt 3.3.7 „Zwischenauswertung“<br />

4.4 Brainstorming<br />

Das Brainstorming (wörtlich übersetzt: Gehirnsturm) ist eine Kreativitätstechnik<br />

und Standardmethode der <strong>Bildungs</strong>arbeit, die auf dem Prinzip der freien Assoziation<br />

basiert. Sie gilt als aktivierend, da dass Engagement und die Handlungsmöglichkeiten<br />

der Teilnehmerinnen und Teilnehmer im Vordergrund steht. Einzelne<br />

oder Gruppen sollen zu einer klar benannten Frage (Problem) ihre Gedanken<br />

beziehungsweise Einfälle äußern. Diese werden ungefiltert visualisiert, beispielsweise<br />

auf einer Wandzeitung (vgl. Abschnitt 4.19). Die zur Verfügung stehende<br />

Zeit sollte begrenzt sein (5-10 Minuten).<br />

73


Methoden<br />

Ziel ist es, Blockaden auszuschalten und eine Fülle von Einfällen zu sammeln. Dabei<br />

soll Raum für konventionelle ebenso wie für innovative und auch „wilde“ Ideen<br />

sein. Kritik oder Bewertung sind in dieser Phase nicht erwünscht. Kommentare,<br />

Gelächter oder Beifall wirken störend. Eine Bedingung für diese Methode ist eine<br />

entspannte und offene Gruppenatmosphäre. Heterogene Gruppen produzieren<br />

dabei mehr Einfälle als homogene. Deshalb sollte das Brainstorming nicht in der<br />

Anfangsphase eines Seminars eingesetzt werden, da sein Einsatz eine gewisse<br />

Vertrautheit der Teilnehmerinnen und Teilnehmer voraussetzt. Erst im zweiten<br />

Schritt, in der Auswertung, werden die Ideen geordnet, erläutert und bewertet.<br />

„Die Hauptwirkungsweise von Brainstorming liegt im sogenannten Synergieeffekt,<br />

dem produktiven Zusammenwirken verschiedener Sichtweisen und Erfahrungen<br />

und der damit verbundenen Mobilisierung bislang unbewusster Einfälle“ (Gugel<br />

2000, 15). Durch Brainstorming wird Gruppenarbeit produktiver, da fremde Ideen<br />

als „Sprungbrett“ benutzt werden können. Ein Moderator sorgt dafür, dass die<br />

Regeln eingehalten werden.<br />

Vorbereitung<br />

Die benötigten Materialien sollten vorhanden sein: eine Wandtafel oder ein großes<br />

Blatt Papier, ausreichend Stifte, Karten und Stecknadeln.<br />

Literatur<br />

Gugel, Günther: Praxis politischer <strong>Bildungs</strong>arbeit. Methoden und Arbeitshilfen, Tübingen<br />

31994, S. 135 und 138.<br />

Gugel, Günther: Brainstorming, in: Kuhn, Hans-Werner/Massing, Peter (Hrsg.): Lexikon<br />

der politischen Bildung. Bd. 3: Methoden und Arbeitstechniken, Schwalbach/Taunus<br />

2000, S. 14-15.<br />

Vergleiche Abschnitt 3.3.7 „Zwischenauswertung“ und Abschnitt 3.3.12 „Workshop<br />

I“<br />

4.5 Bühnenspiel<br />

Anfangssituationen, wenn eine neue Gruppe sich formiert, sind immer von Unsicherheit<br />

geprägt. Das Bühnenspiel dient dem Einstieg und dem ersten Kennenlernen.<br />

Es soll helfen, die Spannung zu nehmen und eine gute Atmosphäre unter<br />

den Teilnehmerinnen und Teilnehmern zu schaffen.<br />

Eine Voraussetzung für das Bühnenspiel ist eine Gruppengröße von mindestens<br />

15 Personen. Der Raum wird zu diesem Zweck in einen Zuschauerbereich und<br />

eine Bühne eingeteilt. Im Vorfeld überlegt sich die Spielleitung Fragestellungen,<br />

74


Methoden<br />

die für sie und die Gruppe interessant sein könnten. Die vorbereiteten Aufgaben<br />

werden zu Beginn des Spiels vorgelesen, wie: „Alle, die hier mehr als zwei Menschen<br />

kennen, bitte auf die Bühne!“ oder „Alle, die gut Englisch verstehen und<br />

sprechen, bitte auf die Bühne!“ Man kann auch eine große Gruppe auf die Bühne<br />

bitten – zum Beispiel mit der Frage „Wer spricht eine Fremdsprache?“ – und diese<br />

Gruppe immer weiter verkleinern („Wer spricht zwei Fremdsprachen? Drei?<br />

Vier?“). Zum Ende können die Teilnehmerinnen und Teilnehmer selbst die Möglichkeit<br />

erhalten, ihren Mitspielern solche Fragen zu stellen. Bei internationalen<br />

Begegnungen muss auf die Sprachkenntnisse geachtet werden! Das Ziel dieser<br />

Methode ist es, die Informationen übereinander für alle „sichtbar“ zu machen und<br />

einen spielerischen, angstfreien Einstieg in ein Seminar zu ermöglichen.<br />

Vorbereitung<br />

Es muss dafür gesorgt werden, dass ein genügend großer Raum zur Verfügung<br />

steht (falls das Wetter gut ist, kann das „Spiel“ auch draußen stattfinden). Der<br />

Raum muss in einen Zuschauerraum und eine Bühne eingeteilt werden (eventuell<br />

mit Kreppband markieren).<br />

Literatur<br />

transfer e. V. (Hrsg.): Reader zu dem trägerübergreifenden Grundkurs für Teamerinnen<br />

und Teamer von internationalen Begegnungen 2001, Köln 2001.<br />

Vergleiche Abschnitt 3.3.1 „Gegenseitiges Kennenlernen und Vorstellung des<br />

Programms“<br />

4.6 Erkundung<br />

Die „Erkundung ist eine Realitätsbegegnung mit der Alltags- oder Umgebungswelt<br />

der Lernenden. Es geht dabei darum, Wirklichkeit so wie sie erscheint (nicht<br />

wie sie durch Wort, Schrift und Bild vermittelt wird) in sinnlicher Anschauung und<br />

Erfahrung zu erfassen, zu ordnen, zu analysieren“ (Gugel 1994, 292). Vor allem<br />

im Politikunterricht wird diese Methode immer häufiger eingesetzt, da sie „das<br />

abstrakte Lernen unterstützen, voranbringen und ergänzen“ kann (Weißeno 2000,<br />

37). Es handelt sich hier um eine Form der Exkursion, bei der im Gegensatz zur<br />

Besichtigung Begegnungen mit Dritten vorgesehen sind. Die aktive Mitarbeit<br />

der Teilnehmerinnen und Teilnehmer ist eine wichtige Voraussetzung. Sie sollen<br />

eigenständig Erkundungsaufträge durchführen, die durch Anregungen zustande<br />

gekommen sind, selbst ausgewählt oder sogar selbst entwickelt wurden. Es können<br />

Alleinerkundungen (bei einfachen Beobachtungsaufgaben), Gruppenerkun-<br />

75


Methoden<br />

dungen (bei komplizierteren Aufgaben, welche die gegenseitige Hilfe erfordern)<br />

und Großgruppenerkundungen (aus Zeit- beziehungsweise Sicherheitsgründen)<br />

durchgeführt werden. Eine Erkundung kann bereits vorstrukturiert sein oder die<br />

Teilnehmerinnen und Teilnehmer entscheiden selbst über die Methoden, den<br />

Schwerpunkt und das Erkundungsfeld.<br />

Vorbereitung<br />

1. Eine thematische Vorbereitung ist sehr wichtig, damit die Teilnehmerinnen<br />

und Teilnehmer sachkundige Fragen stellen und Beobachtungen machen<br />

können.<br />

2. Es müssen klare Absprachen über das Ziel der Erkundung und die Methoden<br />

getroffen werden; der Besuch sollte gegebenenfalls angekündigt werden.<br />

3. Es ist auch notwendig, dass die Lernenden die nötigen Arbeitstechniken beherrschen<br />

wie den Umgang mit einem Fragebogen, Interviewtechniken, das<br />

Recherchieren in Archiven etc.<br />

4. Erwartungen, Vorwissen, Einstellungen und Motivation der Lernenden sollten<br />

vor der Erkundung in Erfahrung gebracht werden.<br />

5. Die Zuständigkeiten und einzelnen Arbeitsschritte müssen festgelegt und verteilt<br />

werden.<br />

6. Die Art der Dokumentation sollte festgelegt werden (Fotodokumentation,<br />

Tagebuchaufzeichnungen etc.).<br />

Durchführung<br />

1. Die Beobachtungen, Befragungen, Gespräche etc. werden durchgeführt.<br />

2. Erste Eindrücke, Bewertungen und Erlebnisse können bereits festgehalten<br />

und auch schon präsentiert werden.<br />

Nachbereitung<br />

1. Ist die Erkundung erfolgreich verlaufen? In diesem Zusammenhang sollten<br />

auch die Arbeitstechniken und das Arbeitsverhalten einer Analyse unterzogen<br />

werden.<br />

2. Fertigstellung der Dokumentation: Bearbeitung, Präsentation und Zu sammenfassung<br />

der Ergebnisse.<br />

3. Zuletzt sollte die Bedeutung der Erkundung für das eigene Verhalten und die<br />

eigenen Einstellungen überprüft werden.<br />

76


Literatur<br />

Methoden<br />

Ackermann, Paul (Hrsg.): Politisches Lernen vor Ort. Außerschulische Lernorte im Politikunterricht,<br />

Stuttgart 1988.<br />

Gugel, Günther: Praxis politischer <strong>Bildungs</strong>arbeit. Methoden und Arbeitshilfen, Tübingen<br />

3 1994, S. 292.<br />

Weißeno, Georg: Erkundung, in: Kuhn, Hans-Werner/Massing, Peter (Hrsg.): Lexikon der<br />

politischen Bildung. Bd. 3: Methoden und Arbeitstechniken, Schwalbach/Taunus 2000,<br />

S. 37-38.<br />

Vergleiche Abschnitt 3.3.12 „Workshop I“<br />

4.7 Foto- und Bildbeschreibung<br />

„Bilder sprechen vor allem die Gefühlswelt des Menschen an. Sie wirken deshalb<br />

unmittelbarer als Texte. Sie erregen Neugier, erwecken oft spontane Zustimmung<br />

oder Ablehnung“ (Gugel 1994, 197). Der Begriff Bild ist hier sehr umfassend gemeint.<br />

Er trifft auf die Karikatur gleichermaßen zu wie auf das Werbeplakat oder<br />

das Gemälde. Nicht nur in der <strong>Bildungs</strong>arbeit werden symbol- und bildorientierte<br />

Darstellungen immer wichtiger, oft ergänzen oder ersetzen sie Sprache und<br />

Schrift. Dabei bedürfen sie einer Interpretation und Erläuterung, denn sie bilden<br />

die Realität nicht einfach ab, sondern können sie gleichzeitig interpretieren oder<br />

verfälschen. Durch die moderne Technik wie die elektronische Bildbearbeitung<br />

sind ganz neue Möglichkeiten entstanden.<br />

In der <strong>Bildungs</strong>arbeit gibt es verschiedene Formen und Intensitätsstufen zur Auseinandersetzung<br />

mit Bildern. Eine Möglichkeit ist zum Beispiel die Befragung von<br />

Bildern. Diese Herangehensweise, besonders wenn es sich um Fotos handelt,<br />

die historische Ereignisse festhalten, eignet sich gut zum Einstieg in ein Thema.<br />

Sie kann helfen, historische oder aktuelle Ereignisse nachvollziehbarer und greifbarer<br />

zu machen. Um diese Methode zu veranschaulichen, werden im Folgenden<br />

mögliche Fragen vorgeschlagen, die man stellen könnte: Was sehe ich? Was ist<br />

das Thema des Bildes? Wie ist die Bildaufteilung (Vordergrund, Hintergrund etc.)?<br />

Was ist besonders auffallend (beispielsweise die Wahl des Motivs, die Farben,<br />

Anordnung der Personen etc.)? Gibt es eine offensichtliche Funktion des Bildes?<br />

Ist das Bild untertitelt? Wenn ja, wird die Bildaussage bestätigt oder wird ihr widersprochen?<br />

Welche Gefühle werden durch das Bild bei mir ausgelöst?<br />

Vorgehensweise<br />

Es ist wichtig, dass alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer das Bild gut sehen können.<br />

Eine Vergrößerung mit dem Kopierer oder eine Projektion mit dem Overheadprojektor<br />

könnte hilfreich sein.<br />

77


Methoden<br />

Foto- und Bildbeschreibung in der Gedenkstätte Buchenwald<br />

78


Literatur<br />

Methoden<br />

Gugel, Günther: Praxis politischer <strong>Bildungs</strong>arbeit. Methoden und Arbeitshilfen, Tübingen<br />

3 1994, S. 197-244.<br />

Gugel, Günther: Foto- und Bildbeschreibung, in: Kuhn, Hans-Werner/Massing, Peter<br />

(Hrsg.): Lexikon der politischen Bildung. Bd. 3: Methoden und Arbeitstechniken,<br />

Schwalbach/Taunus 2000, S. 55-56.<br />

Vergleiche Abschnitt 3.3.10 „Gedenkstätte Buchenwald“<br />

4.8 Gedenkstättenbesuch<br />

Alle Gedenkstätten für die Opfer des Nationalsozialismus in <strong>Deutsch</strong>land befinden<br />

sich auf Geländen oder in Gebäuden, welche in der NS-Zeit eine wichtige Funktion<br />

hatten. Das können Stätten des SS-, Gestapo- und Justizterrors (vgl. Abschnitt<br />

3.3.5 „Stadtrundgang in Dortmund“), Orte des deutschen politischen Widerstandes,<br />

Konzentrationslager (vgl. Abschnitt 3.3.10 „Gedenkstätte Buchenwald“) beziehungsweise<br />

KZ-Außenlager (vgl. Abschnitt 3.3.12 „Workshop I“) etc. sein. Ein<br />

Sondertypus sind die Zentren einstigen jüdischen Lebens (vgl. Abschnitt 3.3.2<br />

„Die Alte Synagoge Essen“). Es gibt aber auch Gedenkausstellungen an Orten,<br />

die keinen direkten Bezug zum Thema haben.<br />

Betrachtet man die Geschichte und die aktuellen Probleme der Gedenkstätten im<br />

vereinigten <strong>Deutsch</strong>land, muss vor allem eine Unterscheidung zwischen Ost- und<br />

Westdeutschland gemacht werden. In der ehemaligen DDR wurde ein sogenannter<br />

„antifaschistischer Mythos“ gepflegt, der eine wirkliche Auseinandersetzung mit<br />

der Vergangenheit sehr erschwerte. In Westdeutschland spielte das Gedenken an<br />

die NS-Opfer lange Zeit eine untergeordnete Rolle. Es dauerte Jahrzehnte, bis<br />

die öffentliche Bearbeitung der nationalsozialistischen Verbrechen zu einem Teil<br />

der Kultur der alten Bundesrepublik wurde. Heute wird darüber nachgedacht, „ob<br />

Begriffe wie ‚Gedenken‘ oder auch ‚Mahnen‘ für das Eingehen auf das NS-System,<br />

seine Verbrechen und seine Opfer noch zeitgemäß sind“ (Zimmermann 1997,<br />

757). Denn das „persönliche Eingedenken“ (Zimmermann 1997, 757), welches<br />

konkrete Bilder hervorruft und Selbsterlebtes wieder lebendig werden lässt, wird<br />

für die Besucher der Gedenkstätten wegen des größer werdenden Zeitabstands<br />

immer schwieriger. Deshalb werden Ausstellungen mit hohem musealen Standard<br />

immer wichtiger für die Gedenkstättenarbeit (vgl. Abschnitt 3.3.10 „Gedenkstätte<br />

Buchenwald“). Der Besuch einer Gedenkstätte sollte eine gewisse Mindestdauer<br />

haben. „Blitzbesuche“ wirken eher kontraproduktiv.<br />

Der Besuch in einer Gedenkstätte muss gründlich vorbereitet und ausgewertet<br />

werden. Das gilt für die Arbeit mit Schülern wie in der außerschulischen Ju-<br />

79


Methoden<br />

Die Gruppe in der Gedenkstätte Buchenwald<br />

80


Methoden<br />

gend- und Erwachsenenbildung. „Die Intensität des Erlebens vor Ort kann zu<br />

einem intensiven Sich-Einlassen auf die Geschichte führen. Die exemplarische<br />

Beschäftigung ermöglicht es, einzelne Schicksale zu verfolgen und in der Masse<br />

der Opfer die einzelnen Menschen zu erkennen“ (Gugel 1994, 297). Dabei sollte<br />

die emotionale Wirkung nicht unterschätzt werden. Anteilnahme, Sprachlosigkeit,<br />

Betroffenheit, auch Wut und Aggression gehören zu einem Gedenkstättenbesuch.<br />

Sie sollten nicht erzwungen oder „verordnet“ werden. Es ist jedoch möglich eine<br />

Atmosphäre zu schaffen, in der diese Gefühle Raum haben und zugelassen<br />

werden können.<br />

Vorbereitung<br />

1. Was soll mit dem Gedenkstättenbesuch bezweckt werden?<br />

2. Welche Vorkenntnisse über das Thema bringen die Teilnehmerinnen und<br />

Teilnehmer mit?<br />

3. Um welche Art von Gedenkstätte handelt es sich? An welche Ereignisse<br />

mahnt und erinnert diese Gedenkstätte? Wie ist der konkrete historische<br />

Zusammenhang?<br />

4. Was für Zeugnisse aus der Vergangenheit kann man dort vorfinden? Dabei<br />

muss bedacht werden, dass eine Gedenkstätte aufgrund ihrer authentischen<br />

Relikte von der Faszination des Grauens oder von der Aura des Ortes bestimmt<br />

sein kann. Diese Vorgänge erklären sich nicht von selbst, sie bedürfen einer<br />

Erklärung.<br />

5. Gibt es vielleicht Zeitzeugen mit denen eine Zusammenarbeit möglich ist (vgl.<br />

Abschnitt 4.13)?<br />

6. Wie können sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer auf den Besuch vorbereiten<br />

beziehungsweise in die Vorbereitung mit einbezogen werden? Welche<br />

Vorbereitungsmaterialien gibt es? Was muss besorgt werden?<br />

7. Wie soll der Besuch dokumentiert werden (Fotodokumentation,<br />

Tagebuchaufzeichnungen etc.)?<br />

Durchführung<br />

1. Wie lange dauert der Besuch in der Gedenkstätte?<br />

2. Soll nur eine Führung gemacht werden? Bei der Entscheidung sollte berücksichtigt<br />

werden, dass eine Führung die Besucher relativ fremdbestimmt lässt.<br />

Ein methodischer Kontext, der auch die aktive Mitarbeit der Teilnehmerinnen<br />

und Teilnehmer fördert, wäre wünschenswert.<br />

3. Gibt es kompetente Gesprächspartner beziehungsweise Zeitzeugen, die hinzugezogen<br />

werden können?<br />

81


Methoden<br />

4. Bleibt die Gruppe zusammen oder wird sie aufgeteilt?<br />

5. Wie soll über die Täter und wie über die Opfer berichtet werden?<br />

6. Gibt es konkrete Recherchemöglichkeiten zum Beispiel in Form eines Archivs<br />

mit Akten und Bildern in der Gedenkstätte? Sollen konkrete handwerkliche<br />

Tätigkeiten, wie die Säuberung von Wegen, die Pflege von Gräbern etc. ausgeführt<br />

werden? Besonders an Orten, wo ein Gedenkstein oder Mahnmal das<br />

einzig Sichtbare sind, wäre dies möglich.<br />

7. Pausen sind wichtig für Gespräche, Essen etc. Ist dafür genug Zeit eingeplant?<br />

8. Wie geht man souverän mit unvorhergesehen Situationen um, wenn beispielsweise<br />

ein Jugendlicher sein Pausenbrot während der Führung isst?<br />

Nachbereitung<br />

1. Welche Themen müssen stärker bearbeitet werden? Wo sind noch<br />

Unklarheiten?<br />

2. Eine Gedenkstätte ist trotz ihrer authentischen Relikte ein Ort, an dem die<br />

Vergangenheit rekonstruiert wurde. Wie wird also in der Gedenkstätte an das<br />

Geschehen vor Ort erinnert? Welche Themen werden angesprochen und welche<br />

nicht?<br />

3. Die Reaktionen auf einen Gedenkstättenbesuch können sehr unterschiedlich<br />

sein. Welche haben die Teilnehmerinnen und Teilnehmer an sich selbst festgestellt<br />

und welche an den anderen?<br />

4. Können die gewonnen Erkenntnisse im eigenen Umfeld vertieft werden, beispielsweise<br />

in der eigenen Familie oder am Heimatort?<br />

Literatur<br />

Gugel, Günther: Praxis politischer <strong>Bildungs</strong>arbeit. Methoden und Arbeitshilfen, Tübingen<br />

3 1994, S. 297-299.<br />

Rathenow, Hanns-Fred: Gedenkstättenbesuch, in: Kuhn, Hans-Werner/Massing, Peter<br />

(Hrsg.): Lexikon der politischen Bildung. Bd. 3: Methoden und Arbeitstechniken,<br />

Schwalbach/Taunus 2000, S. 59.<br />

Rathenow, Hanns-Fred/Weber, Norbert H.: Gedenkstättenbesuche im historisch-politischen<br />

Unterricht, in: Ehmann, Annegret/Kaiser, Wolf/Lutz, Thomas [et. al.] (Hrsg.):<br />

Praxis der Gedenkstättenpädagogik. Erfahrungen und Perspektiven, Opladen 1995,<br />

S. 12-36.<br />

Zimmermann, Michael: „Gedenkstätten für die Opfer des Nationalsozialismus“ in der Bundesrepublik<br />

<strong>Deutsch</strong>land, in: Bergmann, Klaus/Fröhlich, Klaus/Kuhn, Annette [et. al.]<br />

(Hrsg.): Handbuch der Geschichtsdidaktik, Seelze-Velber 5 1997, S. 752-757.<br />

82


Methoden<br />

Vergleiche Abschnitt 3.3.2 „Die Alte Synagoge in Essen), Abschnitt 3.3.5 „Stadtrundgang<br />

in Dortmund“, Abschnitt 3.3.10 „Gedenkstätte Buchenwald“ und Abschnitt<br />

3.3.12 „Workshop I“<br />

4.9 Geschichtswerkstatt<br />

In den achtziger Jahren wurden von Historikern und historisch Interessierten viele<br />

lokale Geschichtswerkstätten in Westdeutschland und nach der Vereinigung 1990<br />

auch in den neuen Bundesländern gegründet. Ihr Ziel war es, sich außerhalb der<br />

Universitäten mit der Geschichte vor Ort und in der Region, im Gegensatz zu<br />

der bis dahin vorherrschenden Ereignis- und Strukturgeschichte, auseinander<br />

zusetzen. Lange vernachlässigte Fragestellungen und Themen rückten in den<br />

Mittelpunkt des Interesses. Neue Methoden wie die Oral History (vgl. Abschnitt<br />

4.13) wurden für die historische Spurensuche (vgl. Abschnitt 4.16) genutzt.<br />

Der Impuls für diese Bewegung kam Ende der siebziger Jahre aus Schweden<br />

und auch in anderen Ländern gab es ähnliche Entwicklungen, wie die „People’s<br />

Vor der Dortmunder Geschichtswerkstatt<br />

83


Methoden<br />

History“ in den Vereinigten Staaten oder die „History Workshop“ in England. Ein<br />

weiterer Anlass für die Gründung der Geschichtswerkstätten war die Unzufriedenheit<br />

mit der „Abgehobenheit und Folgenlosigkeit geschichtswissenschaftlicher<br />

Forschung“ (Schneider 1997, 737) sowie die nicht adressatengeeignete Präsentation<br />

der Ergebnisse.<br />

In <strong>Deutsch</strong>land gibt es die Geschichtswerkstatt e. V., der ungefähr fünfzig lokale<br />

Geschichtswerkstätten und in etwa genauso viele Arbeitsgruppen gegenüber<br />

stehen. Die bundesweite Geschichtswerkstatt e. V. sieht sich als eine Koordinierungsstelle<br />

für alle Initiativen. Zusätzlich führt sie eigene Veranstaltungen und<br />

Projekte durch und bringt die Zeitschrift „Geschichtswerkstatt“ heraus. Heute sind<br />

die Geschichtswerkstätten aus der Alltags-, Regional-, und Lokalgeschichte nicht<br />

mehr wegzudenken. Ihre Finanzierung wird aber zusehends schwieriger, da beispielsweise<br />

die Kommunen über immer weniger Geld verfügen. Ein weiteres Problem<br />

ist die „Akademisierung“ (Schneider 1997, 741) vieler Geschichtswerkstätten.<br />

Der ehemalige Anspruch, Laienhistoriker zur Entdeckung und Aufarbeitung<br />

ihrer Geschichte zu bewegen, gerät deshalb immer mehr aus dem Blickfeld.<br />

Literatur<br />

Frei, Alfred Georg: Die Geschichtswerkstätten in der Krise, in: Berliner Geschichtswerkstatt<br />

(Hrsg.): Alltagskultur, Subjektivität und Geschichte. Zur Theorie und Praxis von Alltagsgeschichte,<br />

Münster 1994, S. 315-327.<br />

Hufer, Klaus-Peter: Die Geschichtswerkstatt. Eine aktivierende Projektmethode in der Erwachsenenbildung,<br />

in: Mickel, Wolfgang M./Zitzlaff, Dietrich (Hrsg.): Methodenvielfalt<br />

im politischen Unterricht, Schwalbach/Taunus 31998 [unveränderte Auflage], S. 264-<br />

273.<br />

Lüdtke, Alf: Einleitung: Was ist und wer treibt Alltagsgeschichte?, in: Lüdtke, Alf (Hrsg.):<br />

Alltagsgeschichte. Zur Rekonstruktion historischer Erfahrungen und Lebensweisen,<br />

Frankfurt/Main, New York 1989, S. 9-47.<br />

Schneider, Gerhard: Geschichtswerkstätten, in: Bergmann, Klaus/Fröhlich, Klaus/Kuhn,<br />

Annette [et. al.] (Hrsg.): Handbuch der Geschichtsdidaktik, Seelze-Velber 51997, S.<br />

736-742.<br />

Stiepani, Ute: Geschichtswerkstätten, in: Kuhn, Hans-Werner/Massing, Peter (Hrsg.):<br />

Lexikon der politischen Bildung. Bd. 3: Methoden und Arbeitstechniken, Schwalbach/<br />

Taunus 2000, S. 61.<br />

Vergleiche Abschnitt 3.3.3 „Geschichtswerkstatt Dortmund e. V.“<br />

84


4.10 Kicks<br />

Methoden<br />

Kicks sind kleine Bewegungseinheiten, um den Kreislauf beispielsweise während<br />

eines Seminars wieder anzukurbeln. Dadurch wird die Konzentrationsfähigkeit der<br />

Gruppe erhöht beziehungsweise wiederhergestellt. Gute Momente für einen Kick<br />

sind die Zeitpunkte des Tages, an denen der Biorhythmus noch auf dem Tiefstand<br />

ist, wie nach dem Frühstück oder nach der Mittagspause. Zwei verschiedene Kicks<br />

werden im Folgenden kurz vorgestellt.<br />

„Katze und Mäuse“<br />

Alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer sind die Mäuse, bis auf eine Person, welche<br />

die Rolle der Katze übernimmt. Wichtig dabei ist, dass es eine ungerade Zahl an<br />

Mäusen gibt, sonst funktioniert das Spiel nicht. Dann verteilen sich alle Teilnehmer<br />

im Raum. Auf ein Kommando der Katze müssen sich alle Mäuse eine andere Maus<br />

suchen und sich bei ihr unterhaken; denn nur Mäusepärchen sind vor der Katze<br />

sicher; Dreiergruppen oder einzelne Personen können von ihr gefangen werden.<br />

Hat die Katze eine Maus erwischt, müssen sie die Rollen tauschen und das Spiel<br />

beginnt von vorne.<br />

„Obstkorb“<br />

In einem Raum wird ein Stuhlkreis gebildet. Die einzelnen Stühle sollten dabei eng<br />

zusammenstehen. Alle sitzen, außer einer Person, die in der Mitte steht. Dann<br />

werden drei Städtenamen festgelegt (eigentlich sind es Obstsorten, die dem Spiel<br />

seinen Namen gegeben haben), zum Beispiel Hattingen, Weimar und Essen, die<br />

einen Bezug zum Seminar hatten und unabhängig von Sprachenkenntnissen sind.<br />

An alle Teilnehmer werden nun der Reihe nach die vorher festgelegten Städtenamen<br />

vergeben. Also: „Hattingen, Weimar, Essen, Hattingen, Weimar, Essen und<br />

immer so weiter“. Die Person in der Mitte muss dann einen dieser Städtenamen<br />

laut in den Raum rufen und alle, die dieser Stadt zugeteilt wurden, müssen sich<br />

einen neuen Sitzplatz suchen. Diesen Moment muss auch die Person ohne Stuhl<br />

nutzen, um für sich selbst einen Platz im Stuhlkreis zu ergattern. Wer übrig bleibt,<br />

muss in die Mitte und das Spiel beginnt von vorne. Zusätzlich wird ein Signalwort<br />

eingeführt, im konkreten Beispiel „Seminar“, das für einen allgemeinen Wechsel<br />

steht. Kein Begriff darf mehrmals nacheinander gerufen werden. „Der positive<br />

Effekt des Spieles ist der, daß die Teilnehmer dadurch, daß sie im Zimmer ‚herumrennen‘<br />

und sich ‚albern‘ benehmen, nach dem Game lockerer sind als vorher.<br />

Sie können lockerer/offener miteinander umgehen“ (Seifert/Göbel 1988, 33).<br />

85


Methoden<br />

Literatur<br />

Seifert, J. W./Göbel H.-P.: Games. Spiele für Moderatoren & Gruppenleiter, Offenbach<br />

1988, S. 32-33.<br />

transfer e. V. (Hrsg.): Reader zu dem trägerübergreifenden Grundkurs für Teamerinnen und<br />

Teamer von internationalen Begegnungen 2001, Köln 2001, S. 62.<br />

Vergleiche Abschnitt 3.3.14 „Workshop II“<br />

4.11 Medieneinsatz<br />

Im sogenannten Medienzeitalter nimmt die Bedeutung von visuell vermittelten<br />

Botschaften und Informationen immer weiter zu. Der Umgang mit Medien erfordert<br />

aber auch besondere Fähigkeiten und Fertigkeiten, die unter anderem die<br />

„Kompetenzentwicklung im Umgang mit Medien betreffen“ (Schelle 2000, 205).<br />

Darüber hinaus können Visualisierungen den Lernprozess unterstützen. Die Bildsprache<br />

„wirkt motivierend, weil Aufmerksamkeit und Neugier geweckt werden.<br />

Sie stellt zudem eine Reproduktionshilfe dar, weil sie eine gedächtnisstützende<br />

Funktion besitzt. Visualisierung kann helfen, komplexe Zusammenhänge zu strukturieren<br />

und zu verstehen“ (Kroll 2000, 207). Im Seminar können unterschiedliche,<br />

zum Teil audiovisuelle Medien eingesetzt werden. Besonders die Arbeit mit Fotos<br />

und Videos stößt im Allgemeinen bei Teilnehmern und Teilnehmerinnen auf großes<br />

Interesse.<br />

Fotos und Bilder<br />

Sie eignen sich gut zur Visualisierung von thematischen Fragestellungen. Von<br />

Bedeutung ist besonders die Motivauswahl; sie sollte die Bildaussage unterstützen.<br />

Ergebnisse von Workshops I können auf einer Wandzeitung (vgl. Abschnitt<br />

4.19) mit Hilfe von Fotos festgehalten werden. Dabei können beispielsweise bei<br />

der historischen Spurensuche (vgl. Abschnitt 4.16) die Möglichkeiten der Fotodokumentation<br />

genutzt werden. Die in der Gedenkstätte Buchenwald praktizierte<br />

Methode der Foto- und Bildbeschreibung (vgl. Abschnitt 4.7) ist eine weitere<br />

Möglichkeit, den Lernprozess zu unterstützen.<br />

Videoarbeit<br />

In der außerschulischen Jugend- und Erwachsenenbildung ist die Videoarbeit als<br />

sogenannte „alternative Medienarbeit“ (Schelle 2000, 204) weit verbreitet. Dabei<br />

können Videos auf vielfältige Weise eingesetzt werden, als Informationsmittel, um<br />

eigene Filme zu produzieren oder Situationen festzuhalten etc. Die Dokumentation<br />

ist eine weitere Möglichkeit, die dieses Medium bietet. Sie kann eine Hilfe für die<br />

86


Überprüfung der Videokamera<br />

Methoden<br />

87


Methoden<br />

Auswertung von Abläufen der unterschiedlichsten Art sein. Denn die Aufnahmen<br />

stehen sofort wieder zur Verfügung und können Verhaltens- und Argumentationsweisen<br />

veranschaulichen. Nach der Betrachtung des Materials erfolgt dann<br />

die Auswertung und Analyse durch die Seminarleitung und die Teilnehmerinnen<br />

und Teilnehmern. So können Rollenspiele (vgl. Abschnitt 4.14) dokumentiert und<br />

ausgewertet, Diskussionen mitgeschnitten, Arbeitsergebnisse aus Untergruppen<br />

vermittelt, die Prozesse und die Arbeit in der Gruppe festgehalten und wichtige<br />

Seminarteile dokumentiert werden.<br />

Literatur<br />

Gugel, Günther: Praxis politischer <strong>Bildungs</strong>arbeit. Methoden und Arbeitshilfen, Tübingen<br />

31994, S. 311-312.<br />

Kroll, Karin: Visualisierung, in: Kuhn, Hans-Werner/Massing, Peter (Hrsg.): Lexikon der<br />

politischen Bildung. Bd. 3: Methoden und Arbeitstechniken, Schwalbach/Taunus 2000,<br />

S. 206-207.<br />

Schelle, Carla: Fotoroman, -dokumentation, in: Kuhn, Hans-Werner/Massing, Peter<br />

(Hrsg.): Lexikon der politischen Bildung. Bd. 3: Methoden und Arbeitstechniken,<br />

Schwalbach/Taunus 2000, S. 56.<br />

Schelle, Carla: Videoarbeit, in: Kuhn, Hans-Werner/Massing, Peter (Hrsg.): Lexikon der<br />

politischen Bildung. Bd. 3: Methoden und Arbeitstechniken, Schwalbach/Taunus 2000,<br />

S. 204-206.<br />

Vergleiche Abschnitt 3.3.10 „Gedenkstätte Buchenwald“ und Abschnitt 3.3.12<br />

„Workshop I“<br />

4.12 Museum<br />

Aus den privaten Sammlungen unterschiedlichster Vergangenheitszeugnisse<br />

kirchlicher und weltlicher Fürsten entwickelte sich im Laufe der Jahrhunderte<br />

eine öffentliche Institution, das Museum. Seine Aufgabe besteht im Sammeln,<br />

Bewahren und Erforschen historischer Relikte. Nach 1968 forderten junge Historiker,<br />

Volkskundler und Kunsthistoriker eine Erneuerung des Museums, einen<br />

Wandel vom „Musentempel“ zum „Lernort“. Das beinhaltet auch die Vermittlung<br />

historischer Inhalte und Wissensbestände sowie die Schaffung eines Bewusstseins<br />

für die Probleme der Gegenwart. Dadurch sollen Denkanstöße zu deren<br />

Bewältigung gegeben werden.<br />

Ein weiteres Ziel ist, die Präsentation und Erläuterung der historischen Objekte<br />

so zu gestalten, dass sie für ein möglichst breites Publikum verständlich sind.<br />

Denn das Museum steht allen Bevölkerungsgruppen offen und muss mit den<br />

unterschiedlichsten Besuchern rechnen. Das Angebot soll „Kindern und Schul-<br />

88


Im Grenzmuseum „Schifflersgrund“<br />

Methoden<br />

89


Methoden<br />

klassen unterschiedlichster Altersstufen bis hin zu Erwachsenengruppen mit den<br />

verschiedensten Interessen, Vorbildungen und sozialen Zusammensetzungen“<br />

(Grütter 1997, 712) gleichzeitig etwas bieten können. Dazu werden Dauer- und<br />

Sonderausstellungen sowie auch sämtliche Medien der <strong>Bildungs</strong>arbeit genutzt.<br />

Meistens unterstützt ein museumspädagogischer Dienst die Besucherbetreuung<br />

und die didaktische Konzeption. Dies alles geschieht, um dem bildungspolitischen<br />

Auftrag „Vergangenes zu veranschaulichen und in seinen Bezügen zur Gegenwart<br />

zu vermitteln“ (Stiepani 2000, 115) nachzukommen.<br />

Heute gibt es eine ausdifferenzierte Museumslandschaft. Sie reicht von Heimat-,<br />

Regional- oder Freilichtmuseen über (kultur-) historische beziehungsweise archäologische,<br />

Naturkunde-, Technik-, und naturwissenschaftlichen Museen bis hin zu<br />

den Kunst- und Kunstgewerbemuseen sowie Gemäldegalerien.<br />

In den letzten Jahren zeichnet sich eine neue Entwicklung ab, welche die Museen<br />

zunehmend in eine verstärkte Konkurrenz untereinander und zu anderen<br />

Kultureinrichtungen und Unterhaltungsmedien bringt. Die Folge ist eine verstärkte<br />

Öffentlichkeitsarbeit in Form von Besucherbefragungen, Werbekampagnen, Presse-<br />

und Medienarbeit und sogenannten Kulturevents.<br />

Literatur<br />

Grütter, Heinrich Theodor: Geschichte im Museum, in: Bergmann, Klaus/Fröhlich, Klaus/<br />

Kuhn, Annette [et. al.] (Hrsg.): Handbuch der Geschichtsdidaktik, Seelze-Velber 51997, S. 707-713.<br />

Hochreiter, Walter: Vom Musentempel zum Lernort. Zur Sozialgeschichte deutscher Museen<br />

1800-1914, Darmstadt 1994.<br />

Stiepani, Ute: Museum, in: Kuhn, Hans-Werner/Massing, Peter (Hrsg.): Lexikon der politischen<br />

Bildung. Bd. 3: Methoden und Arbeitstechniken, Schwalbach/Taunus 2000,<br />

S. 115.<br />

Vergleiche Abschnitt 3.3.11 „Das thüringisch-hessische Grenzmuseum ‚Schifflersgrund‘“<br />

4.13 Oral History (Zeitzeugenbefragung)<br />

Die Art von geschichtlicher Überlieferung, welche die erzählte Lebensgeschichte<br />

der Beteiligten mit einschließt, wird aufgrund der aus den USA stammenden Tradition<br />

auch „oral history“ (wörtlich übersetzt: mündliche Geschichte) genannt. Eine<br />

zentrale Absicht der Oral History ist es, Spuren des Alltags zu sichern, das heißt<br />

Aussagen über die Alltagsgeschichte zu gewinnen. Darüber hinaus interessieren<br />

sich Alltagsforscher auch für die spezifischen lebensgeschichtlichen Erfahrungen<br />

90


Methoden<br />

Zeitzeugengespräch in Weimar. V.l.n.r. Heiko Hamer (IBB), Stephan Eschler,<br />

Andrea Wagner<br />

sowie den heutigen Umgang der Interviewpartner mit ihrer Vergangenheit. Bei<br />

der Oral History können grundsätzlich zwei Typen von Interviews unterschieden<br />

werden: Das thematische Interview, bei dem der Befragte zu einem bestimmten<br />

Sachverhalt, sei es ein Ereignis, ein Stück Alltagswelt oder zu einer begrenzten<br />

biografischen Erfahrung Auskunft geben soll. Beim biografischen Interview wird<br />

dagegen die ganze Lebensgeschichte in den Zusammenhang einer Epoche, historischer<br />

Brüche und Kontinuitäten gestellt.<br />

Gespräche mit Zeitzeugen werden nicht nur von der Wissenschaft als zusätzliche<br />

Quelle genutzt. Seit langem sind sie ein unverzichtbarer Bestandteil der politischen<br />

<strong>Bildungs</strong>arbeit. Die Methode, die „Betroffenen“ selbst zu Wort kommen zu<br />

lassen, wird wegen ihrer „Fähigkeit, Geschichte durch das eigene authentische<br />

Erleben erfahrbar, lebendig und nachvollziehbar zu machen, ein hoher Stellenwert<br />

bei der Vermittlung historisch-politischer Inhalte und Erkenntnisse im Rahmen<br />

der schulischen und außerschulischen politischen <strong>Bildungs</strong>arbeit beigemessen“<br />

(Stiepani 2000, 212).<br />

91


Methoden<br />

Vorbereitung<br />

1. Die Zielsetzung und die Vorgehensweise sollten geklärt werden. Das betrifft<br />

auch die Zusammenstellung der Leitfragen des Gesprächs, die offen und neutral<br />

sein sollten.<br />

2. Sichtung bereits vorhandener Quellen und Berichte über das geplante<br />

Projektthema sowie das Zusammentragen von Informationen über das lokale<br />

Umfeld. Hilfreich wäre auch die Erstellung einer Kurzbiografie.<br />

3. Suche und Auswahl der Interviewpartner, zum Beispiel durch die Mithilfe von<br />

Vertrauenspersonen aus dem Umfeld der Zeitzeugen (wie Nachbarn oder<br />

Vereine) und die Vereinbarung eines Gesprächstermins.<br />

4. Bei einer <strong>Bildungs</strong>veranstaltung sollte auch die finanzielle Seite geregelt sein.<br />

Erwartet der Gesprächspartner vielleicht ein Honorar? Falls das nicht der Fall<br />

ist, wäre es trotzdem angebracht eine kleine Aufmerksamkeit zu besorgen<br />

(beispielsweise einen Blumenstrauß oder Konfekt).<br />

5. Wenn es sich um eine <strong>Bildungs</strong>veranstaltung handelt, sollte die Vorbereitung<br />

der Gruppe eingeplant werden. An dieser Stelle kann auch geklärt werden, wer<br />

die Moderation übernimmt und wie die Zuhörer eingebunden werden können<br />

(zum Beispiel durch die Vorbereitung von Fragen).<br />

6. Der Zeitzeuge sollte bei einer <strong>Bildungs</strong>veranstaltung ebenfalls auf die Gruppe<br />

vorbereitet werden (zum Beispiel über die Zusammensetzung der Gruppe, das<br />

Alter, den Wissensstand etc.).<br />

7. Für eine <strong>Bildungs</strong>veranstaltung wäre zudem der Einsatz von Bildmaterial interessant.<br />

Vielleicht besitzt der Zeitzeuge Fotos etc., die er oder sie zur Verfügung<br />

stellen würde.<br />

Durchführung<br />

1. Da die Erinnerungsarbeit für die Zeitzeugen sehr anstrengend ist, sollte das<br />

Interview nicht länger als zwei Stunden dauern. Vielleicht kann das Gespräch<br />

zu einem späteren Zeitpunkt fortgesetzt werden.<br />

2. Beim Interview selbst sollten die gegenseitigen Erwartungen geklärt werden,<br />

wie die Frage, ob der Interviewpartner mit einer Tonband- oder Videoaufzeichnung<br />

(vgl. Abschnitt 4.11) einverstanden ist. Wenn erwünscht, muss<br />

die Anonymität des Interviews zugesichert und gewährleistet sein. Erst wenn<br />

eine vertrauensvolle Gesprächssituation entstanden ist, können persönliche<br />

Aspekte angesprochen werden.<br />

3. Für diese Art von Interviews gilt, dass sie zu Beginn möglichst offen und durchgängig<br />

narrativ geführt werden sollten. Diese Vorgehensweise ermöglicht dem<br />

Gesprächspartner sich in seine Erinnerungen zu versenken. Dabei sollte man<br />

92


Methoden<br />

die Fragen, deren Beantwortung und Klärung man sich von dem Gespräch<br />

erhofft, jedoch nicht aus den Augen verlieren.<br />

4. Bei einer <strong>Bildungs</strong>veranstaltung muss der Moderator darauf achten, dass der<br />

Zeitrahmen eingehalten wird und gleichzeitig die wichtigsten Fragen angesprochen<br />

werden.<br />

5. Zur besseren Visualisierung bei einer <strong>Bildungs</strong>veranstaltung sollten die wichtigsten<br />

Daten für alle sichtbar festgehalten werden.<br />

Nachbereitung<br />

1. Das Gespräch, das möglichst auf Tonband aufgezeichnet wird, sollte im<br />

Anschluss daran wortwörtlich transkribiert werden. Bei einer Länge der<br />

Tonaufzeichnung von zwei Stunden muss mit einem Transkript von ungefähr<br />

100 Seiten gerechnet werden.<br />

2. Zur inhaltlichen Auswertung der Interviewpassagen ist der Vergleich mit anderen<br />

Interviews sowie weiterer ergänzender Quellen (wie Fotos, Tagebücher,<br />

etc.) hilfreich.<br />

3. Es ist auch sehr hilfreich, wenn die interviewte Person das Transkript durchsieht<br />

und autorisiert. Eventuell können auch die Zeitzeugen selbst zur Auswertung<br />

der Interviews gewonnen werden. Denn sie sind nicht nur Experten ihres<br />

Alltags, sondern werden durch die Interviews oft angeregt, sich weiter mit<br />

ihren biografischen Erfahrungen und Erlebnissen zu beschäftigen.<br />

4. Werden mehrere Interviews zum gleichen Thema geführt, sollten die persönlichen<br />

und die Interviewdaten auf einer Karteikarte festgehalten werden.<br />

5. Nach einer <strong>Bildungs</strong>veranstaltung muss auch die Aufarbeitung in der<br />

Gruppe eingeplant werden. Da durch das Gespräch gewonnene Eindrücke<br />

und Ergebnisse stark voneinander abweichen können, sollten bestehende<br />

Unklarheiten beseitigt werden.<br />

Literatur<br />

Geppert, Alexander C. T.: Forschungstechnik oder historische Disziplin? Methodische<br />

Probleme der Oral History, in: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 45 (1994),<br />

S. 303-323.<br />

Gugel, Günther: Praxis politischer <strong>Bildungs</strong>arbeit. Methoden und Arbeitshilfen, Tübingen<br />

3 1994, S. 289.<br />

Perks, Robert/Thomson, Alistair (Hrsg.): The Oral History Reader, London, New York 2000<br />

[Reprint].<br />

Stiepani, Ute: Zeitzeuge, in: Kuhn, Hans-Werner/Massing, Peter (Hrsg.): Lexikon der politischen<br />

Bildung. Bd. 3: Methoden und Arbeitstechniken, Schwalbach/Taunus 2000,<br />

S. 212-213.<br />

93


Methoden<br />

Wierling, Dorothee: Oral History, in: Bergmann, Klaus/Fröhlich, Klaus/Kuhn, Annette [et. al.]<br />

(Hrsg.): Handbuch der Geschichtsdidaktik, Seelze-Velber 5 1997, S. 236-239.<br />

Vergleiche Abschnitt 3.3.6 „Zeitzeugengespräch mit Valentin Frank)“, Abschnitt<br />

3.3.9 „Thementag ‚<strong>Deutsch</strong>e Wiedervereinigung‘“ und Abschnitt 3.3.12 „Workshop<br />

I“<br />

4.14 Rollenspiel<br />

„Das Rollenspiel gehört zu den Methoden, mit deren Hilfe in der Gruppe Erfahrungen<br />

gemacht werden können. Aufgrund dieser Erfahrungen mit eigenen<br />

Einstellungen und eigenem Verhalten erleben Einzelne das Problem als für sich<br />

wichtig. Durch Rollenspiele ist so soziales Lernen möglich, also Lernen, durch das<br />

Einstellungen und Verhaltensweisen geändert werden können. Es wird spielerisch<br />

Realität simuliert, es wird zur Probe (also ohne Folgen in der Realität) gehandelt“<br />

(Gugel 1994, 272). Wenn diese Methode im politischen Unterricht oder in der<br />

politischen Bildung eingesetzt wird, werden vor allem typische gesellschaftliche<br />

und soziale Konflikte nachgespielt.<br />

Es gibt verschiedene Varianten des Rollenspiels. Das Spontanrollenspiel ist eines<br />

davon. Kennzeichnend ist hier, dass es nur wenige Vorgaben, aber einen möglichst<br />

großen Gestaltungsraum für die Spielerinnen und Spieler gibt. Ein weiteres<br />

Beispiel ist das Strukturrollenspiel. Hier gibt es eine klare Rollenvorgabe. Spontanrollenspiele<br />

können beispielsweise zur Zeitzeugenbefragung (vgl. Abschnitt<br />

4.13) durchgeführt werden.<br />

Es müssen eine Aufwärmphase, eine Spielphase, eine Reflexionsphase und die<br />

Auswertung eingeplant werden. Der Zeitaufwand ist also erheblich. Obwohl bei<br />

dieser Methode eine genau strukturierte Vorgehensweise erforderlich ist, gehören<br />

auch Experimentierfreude und Risikobereitschaft dazu. Die Spielleitung muss außerdem<br />

bereit sein, die Steuerung der Vorgänge an die Spielerinnen und Spieler<br />

abzugeben. In jedem Fall sollte die Vergabe der Rollen auf freiwilliger Basis geschehen.<br />

Ein Rollenspiel, zu dem die Spieler mit Druck überredet werden, ist nicht<br />

sehr produktiv. Eine gute Vorbereitung schützt jedoch nicht vor Überraschungen.<br />

Sollte ein Rollenspiel missglücken, kann es aber immer noch zu einem Lerneffekt<br />

kommen. Bei der Auswertung können dann die Gründe für das Scheitern diskutiert<br />

und sachliche Fehler durch die Lehrenden berichtigt werden. Im Folgenden<br />

werden die einzelnen Phasen vorgestellt (vgl. dazu Gugel 1994, 272).<br />

94


Methoden<br />

Vorbereitung<br />

1. Vor dem Beginn eines Rollenspiels können Rollenkarten, dass sind die<br />

Spielrollen der einzelnen Personen, ausgearbeitet werden. Sie können<br />

Informationen enthalten über den Namen, Beruf, Alter, Familienstand, Kinder,<br />

Geburtsland etc. Es ist auch möglich, einen kurzen Lebenslauf zu jeder Rolle<br />

vorzugeben. Ansichten, Meinungen und Zusammenhänge können auch festgelegt<br />

werden.<br />

2. Der Zeitaufwand darf nicht unterschätzt werden, es müssen mindestens 90<br />

Minuten zur Verfügung stehen. Ein Drittel der Zeit wird dabei für die Einführung<br />

und die Vorbereitung der Rollen, ein weiteres Drittel für die Durchführung und<br />

das letzte Drittel für die Nachbereitung benötigt.<br />

3. Besonders effektiv ist eine Videoaufzeichnung (vgl. Abschnitt 4.11) des<br />

Rollenspiels. Dann können sich alle Spielerinnen und Spieler später noch<br />

einmal selbst in ihren Rollen sehen. Kritik und die Reaktionen aus der Gruppe<br />

lassen sich so besser nachvollziehen.<br />

Durchführung<br />

1. Die Aufwärmphase. Zuerst muss die Neugier der Teilnehmerinnen und<br />

Teilnehmer geweckt werden. Dann wird ein Problem beziehungsweise eine<br />

Situation und der Rahmen durch die Spielleitung vorgegeben. Mögliche<br />

Erfahrungen werden angesprochen. Die Sensibilität der Spieler für dieses<br />

Thema soll geweckt, Spontanreaktionen und Stellungsnahmen können provoziert<br />

werden. Dann werden die Rollen beschrieben und eingeübt (beispielsweise<br />

die Mimik, Gestik, Sprache etc.). Kernsätze werden erarbeitet und der<br />

Verlauf fixiert.<br />

2. Die Spielphase. Die Rollen werden verteilt (Spielrollen, Beobachterrollen und<br />

Publikum). Anschließend kann das Rollenspiel beginnen, die Spielerinnen und<br />

Spieler nehmen ihre Rollen an; sie versuchen, sich in der gespielten Situation<br />

zu erleben. Sie reagieren so auf das Verhalten der anderen, wie sich ihrer<br />

Meinung nach Menschen in diesen Rollen verhalten würden.<br />

3. Die Reflexionsphase. Die Akteure können befragt und die gespielten Rollen<br />

bewertet werden. Ein Bericht der Beobachter ist hier angebracht. Um eine<br />

Rollendistanz zu gewinnen, kann es noch einmal durchgeführt werden. Dabei<br />

müssen die Besetzung, der Verlauf und die Rahmenbedingungen verändert<br />

werden. Anschließend sollen die Rollenspieler versuchen, einen Transfer zu<br />

leisten, getroffene Handlungsweisen und Entscheidungen werden in Frage<br />

gestellt und reflektiert.<br />

95


Methoden<br />

Nachbereitung<br />

1. Auswertung auf der Rollenebene. Wie wurde die Rolle gespielt und wie war<br />

das Verhalten? Wie fühlten sich die Spielerinnen und Spieler in ihren Rollen?<br />

2. Auswertung auf der Gruppenebene. Was bedeutet das Rollenspiel für die<br />

Gruppe und wie wirkt sich das auf die weitere gemeinsame Arbeit aus?<br />

3. Auswertung auf der Situationsebene. Welche Alternativen wären möglich<br />

gewesen? Welches Verhalten würde zu einem besseren Ergebnis führen?<br />

Welche Ziele werden durch diese Verhaltenweisen erreicht?<br />

4. Auswertung auf der gesellschaftspolitischen Ebene. Lassen sich soziale<br />

Mechanismen erkennen? Wurden Einstellungen und Vorurteile gegenüber<br />

bestimmten Situationen oder Personengruppen im Spiel deutlich?<br />

Literatur<br />

Buddensiek, Wilfried: Rollen- und Simulationsspiele, in: Mickel, Wolfgang W. (Hrsg.):<br />

Handbuch zur politischen Bildung, Bonn 1999, S. 369-373.<br />

Gugel, Günther: Praxis politischer <strong>Bildungs</strong>arbeit. Methoden und Arbeitshilfen, Tübingen<br />

31994, S. 272-275.<br />

Kroll, Katrin: Rollenspiel, in: Kuhn, Hans-Werner/Massing, Peter (Hrsg.): Lexikon der politischen<br />

Bildung. Bd. 3: Methoden und Arbeitstechniken, Schwalbach/Taunus 2000,<br />

S. 155-158.<br />

Massing, Peter: Handlungsorientierter Politikunterricht. Ausgewählte Methoden,<br />

Schwalbach/Taunus 1998, S. 13-25.<br />

Vergleiche Abschnitt 3.3.12 „Workshop I“<br />

4.15 Sitzordnung<br />

Früher hatte die Sitzordnung in den Schulen oft eine hierarchisierende beziehungsweise<br />

disziplinierende Funktion zu erfüllen. Heute wird die Sitzordnung<br />

durch die „Kommunikationsstruktur des Unterrichts“ (Meyer 1994, 137) festgelegt.<br />

Wie jede unterrichtsmethodische Maßnahme sollte auch die Entscheidung<br />

für eine spezielle Sitzordnung „auf die von ihr zu erwartende didaktische – hier<br />

insbesondere kommunikative und interaktive – Funktion in der betreffenden Handlungssituation<br />

des Unterrichtsprozesses erfolgen“ (Koopmann 2000, 166). Das gilt<br />

auch für Seminare in der außerschulischen Jugend- und Erwachsenenbildung.<br />

Einzel- (Einzelarbeitsplatz) oder Partnerarbeitsphasen (Zweierarbeitsplatz) erfordern<br />

deshalb andere Sitzordnungen als beispielsweise Gruppenarbeitsphasen.<br />

Diskussionen im Plenum werden deshalb oft in kreisförmiger oder rechteckiger,<br />

Lehrer- beziehungsweise Schülervorträge eher in der klassischen frontalen Sitzordnung<br />

durchgeführt. Wer im Politikunterricht, in anderen Fächern oder auch in<br />

96


Methoden<br />

der außerschulischen Bildung zur Verbesserung von demokratischer und sozialer<br />

Partizipationskompetenz beitragen will, sollte hauptsächlich interaktions- und<br />

kommunikationsfördernde Sitzordnungen wie Kreis-, Gruppen- und Rechteckformen<br />

wählen.<br />

Literatur<br />

Koopmann, Klaus: Sitzordnung, in: Kuhn, Hans-Werner/Massing, Peter (Hrsg.): Lexikon<br />

der politischen Bildung. Bd. 3: Methoden und Arbeitstechniken, Schwalbach/Taunus<br />

2000, S. 166.<br />

Meyer, Hilbert: Unterrichtsmethoden. Bd. 1: Theorieband, Frankfurt/Main 61994 [durchgesehene<br />

Auflage].<br />

Vergleiche Abschnitt 3.3.1 „Gegenseitiges Kennenlernen und Vorstellung des<br />

Programms“<br />

4.16 Spurensuche<br />

Seit Beginn der achtziger Jahre richten sowohl Historikerinnen und Historiker, aber<br />

vor allem auch historisch interessierte Laien ihr Interesse auf die unmittelbare<br />

regionale und lokale Umgebung. Spezielle Methoden wie die Oral History (vgl.<br />

Abschnitt 4.13) und Fragestellungen der sogenannten Alltagsgeschichte stellen<br />

so das Subjekt, die „Namenlosen“ (Lüdtke 1989, 34), in seinen alltäglichen<br />

historischen Lebenswelten in den Mittelpunkt. Das erklärte Ziel ist es, vor Ort<br />

die verschiedensten Spuren der Vergangenheit aufzuspüren beziehungsweise<br />

„auszugraben“ (vgl. Lindqvist 1989). Von großer Bedeutung ist dabei oft der gemeinsame<br />

Lernprozess der Interessierten mit den Betroffenen. Auf diese Weise<br />

wird „im lokalen Umfeld aktive Erinnerungsarbeit“ (Stiepani 2000, 174) geleistet.<br />

Dabei ist es dem Engagement von einzelnen Personen, freien Initiativen wie den<br />

Geschichtswerkstätten (vgl. Abschnitt 4.9) und politisch oder gewerkschaftlich<br />

organisierten Gruppen zu verdanken, dass viele Zeugnisse aus der Vergangenheit<br />

gerettet werden konnten und Verdrängtes wieder ins Bewusstsein gebracht<br />

wurde.<br />

Literatur<br />

Lindqvist, Sven: Grabe wo du stehst. Handbuch zur Erforschung der eigenen Geschichte,<br />

Bonn 1989.<br />

Lüdtke, Alf: Einleitung: Was ist und wer treibt Alltagsgeschichte?, in: Lüdtke, Alf (Hrsg.):<br />

Alltagsgeschichte. Zur Rekonstruktion historischer Erfahrungen und Lebensweisen,<br />

Frankfurt/Main, New York 1989, S. 9-47.<br />

97


Methoden<br />

Stiepani, Ute: Spurensuche, in: Kuhn, Hans-Werner/Massing, Peter (Hrsg.): Lexikon der<br />

politischen Bildung. Bd. 3: Methoden und Arbeitstechniken, Schwalbach/Taunus 2000,<br />

S. 174-175.<br />

Vergleiche Abschnitt 3.3.12 „Workshop I“ und Abschnitt 3.3.13 „Stadtrundgang mit<br />

Valentin Frank in Dortmund“<br />

4.17 Stadterkundung<br />

Seit den späten siebziger Jahren werden immer öfter sogenannte alternative<br />

Stadtrundgänge beziehungsweise -rundfahrten angeboten. Die politisch-didaktische<br />

Zielsetzung der Begleitbroschüren und alternativen Stadtführer ist oft<br />

gewollt. Besonders in Berlin gibt es eine Vielzahl dieser Veröffentlichungen, die<br />

vom Stadtplan „Hundert Jahre Revolutionäres Berlin“ über historische Stadtteilund<br />

Bezirkswanderungen bis zum „Kreuzberger Wanderbuch“ reichen. In vielen<br />

anderen Gemeinden gibt es ebenfalls alternative Stadtrundgänge beziehungsweise<br />

-rundfahrten. Manchmal werden die Stadtführer auch von einem Zeitzeugen<br />

begleitet. Verfasser und Veranstalter sind selten professionelle Historiker, sondern<br />

Stadterkundung mit dem Zeitzeugen Valentin Frank in Dortmund<br />

98


Methoden<br />

Geschichtswerkstätten (vgl. Abschnitt 4.9), Weiterbildungsinstitutionen, Gewerkschaftsorganisationen,<br />

Friedensinitiativen etc. Sie finden sich meistens nur im<br />

Programm kleiner Verlage oder entstehen im Eigendruck.<br />

„Solche Stadterkundungen setzen sich zum Ziel, die in offiziellen Veröffentlichungen<br />

oft verschwiegene oder verdrängte Geschichte der ‚kleinen Leute‘ aufzuspüren,<br />

Zeugnisse der Industrialisierung und der Arbeiterbewegung ins Bewußtsein<br />

zu rücken, an Stätten des nationalsozialistischen Terrors und des antifaschistischen<br />

Widerstandes zu erinnern und mit dem geschichtlichen Wissen zugleich<br />

politische Bildung zu vermitteln“ (Hey 1997, 729-730). Die „große Geschichte“<br />

wird auf die regionale und lokale Ebene gebracht und so anschaulicher gemacht.<br />

Stadterkundungen (vgl. Abschnitt 4.17) zum Nationalsozialismus zielen oft auf<br />

die Betroffenheit der Lebenden ab und häufig wird der Bezug zum heutigen<br />

politischen Geschehen wie etwa zur Gefahr des Neonazismus hergestellt. Ein<br />

Problem ist die Legendenbildung, die oft fehlende Archivarbeit oder der nicht sehr<br />

differenzierte Umgang mit der Erinnerung von Zeitzeugen.<br />

Die Rallye ist eine weitere Möglichkeit der Stadterkundung. Sie bezeichnet eine<br />

sport- und spielorientierte Methode, ähnlich einer Autorallye in mehreren Etappen.<br />

Ihr Reiz liegt in der Bewegung im Freien, der Realbegegnung mit Einrichtungen<br />

und Personen und der Erkundung vor Ort. In den letzten Jahren zeichnet sich<br />

dazu ein neuer Trend ab; Stadtführer und -prospekte sind immer besser durchdacht<br />

und anspruchsvoller gestaltet. Sie öffnen sich zunehmend neuen Inhalten<br />

wie der Architektur- oder Literaturgeschichte und neuen Zielgruppen. So gibt es<br />

beispielsweise spezielle Stadtführer für Kinder.<br />

Vorgehensweise<br />

1. Welches Thema soll ausgewählt werden? Welche Informationen und<br />

Materialien besitzen wir bereits? Wo liegen unsere Wissenslücken und wie<br />

können wir sie füllen?<br />

2. Die Zielsetzung des Stadtrundganges sollte im Vorfeld geklärt werden. Was<br />

soll vermittelt werden?<br />

3. Ein Stadtrundgang muss gut vorbereitet sein. Dazu gehört auch die Spurensuche<br />

(vgl. Abschnitt 4.16). Es können auch die Archivarbeit, die Befragung<br />

von Zeitzeugen (vgl. Abschnitt 4.13) und/oder das Aufspüren von Fotos und<br />

anderen Quellen (auch aus privatem Besitz) hinzugezogen werden.<br />

4. Wenn ein Zeitzeuge an dem Stadtrundgang teilnehmen soll, ist eine gute gemeinsame<br />

Vorbereitung des Stadtführerteams unerlässlich. Dafür muss Zeit<br />

eingeplant werden.<br />

99


Methoden<br />

5. Die Quellen, wie beispielsweise Erinnerungen von Zeitzeugen, erfordern einen<br />

differenzierten Umgang. So kann Legendenbildung verhindert werden.<br />

6. Welche Art von Stadterkundung soll entwickelt werden? Ein geführter<br />

Stadtrundgang oder ein Stadtrundgang ohne Begleitung? Oder beides?<br />

7. Soll eine Begleitbroschüre oder ein alternativer Stadtführer erstellt werden?<br />

Die Sichtung und Beschäftigung mit Materialien bereits bestehender Angebote<br />

könnte hier hilfreich sein. Die finanziellen Möglichkeiten sollten ebenfalls geklärt<br />

werden (Zuschüsse, eventuelle Einnahmen durch geführte Stadtrundgänge<br />

etc.).<br />

8. Bevor der Stadtrundgang öffentlich angeboten wird, sollte er vorher mindestens<br />

einmal geprobt werden, um eventuelle Schwierigkeiten (beispielsweise<br />

bei der Dauer der Veranstaltung) zu beseitigen oder zu minimieren.<br />

Literatur<br />

Hagensen, Martin: Rallye-Ideen. Rallyes zu Fuß, mit dem Fahrrad, mit dem Auto, auf Skiern,<br />

Ravensburg 1979, S. 75-80.<br />

Hey, Bernd: Exkursionen, Lehrpfade, alternative Stadterkundungen, in: Bergmann, Klaus/<br />

Fröhlich, Klaus/Kuhn, Annette [et. al.] (Hrsg.): Handbuch der Geschichtsdidaktik, Seelze-Velber<br />

51997, S. 727-731.<br />

Olberg, Hans-Joachim von: Rallye, in: Kuhn, Hans-Werner/Massing, Peter (Hrsg.): Lexikon<br />

der politischen Bildung. Bd. 3: Methoden und Arbeitstechniken, Schwalbach/Taunus<br />

2000, S. 149.<br />

Vergleiche Abschnitt 3.3.3 „Geschichtswerkstatt Dortmund e. V.“, Abschnitt 3.3.5<br />

„Stadterkundung in Dortmund“, Abschnitt 3.3.8 „Stadtrundgang/Stadtrallye in Weimar“<br />

und Abschnitt 3.3.13 „Stadtrundgang mit Valentin Frank in Dortmund“<br />

4.18 Steckbrief<br />

Eigentlich bezeichnet der Steckbrief einen plakatartigen Aushang, auf dem eine<br />

Personenbeschreibung optisch und schriftlich festgehalten wird und mit dem<br />

die Polizei einen Kriminellen sucht. Für die Kennenlernphase in einer Gruppe<br />

ist diese Methode ebenfalls bestens geeignet. Das Ausfüllen eines vorbereiteten<br />

Steckbriefs (vgl. Abschnitt 7.1) ist eine gute Gelegenheit, um einen ersten<br />

Eindruck von den anderen Teilnehmerinnen und Teilnehmern zu bekommen.<br />

Schnell werden so Anknüpfungspunkte für erste Gespräche gefunden. Dabei<br />

gibt es verschiedene Einsatzmöglichkeiten des Steckbriefes. Einerseits können<br />

sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer gegenseitig in Partnerarbeit befragen<br />

und anschließend jeweils ein steckbriefartiges Kurzporträt (vielleicht mit einer<br />

Zeichnung oder einem Sofortbild) vom anderen erstellen. Die Notizen können für<br />

100


Methoden<br />

die Vorstellung des Partners in der Gruppe genutzt werden. Andererseits können<br />

selbstverfasste Steckbriefe über einen selbst auch sehr interessant sein und einen<br />

noch intensiveren biografischen Zugang ermöglichen.<br />

Vorbereitung<br />

Die vorgedruckten Steckbriefe sollten in ausreichender Anzahl vorhanden sein.<br />

Literatur<br />

Olberg, Hans-Joachim von: Steckbrief, in: Kuhn, Hans-Werner/Massing, Peter (Hrsg.):<br />

Lexikon der politischen Bildung. Bd. 3: Methoden und Arbeitstechniken, Schwalbach/<br />

Taunus 2000, S. 177-176.<br />

transfer e. V. (Hrsg.): Reader zu dem trägerübergreifenden Grundkurs für Teamerinnen und<br />

Teamer von internationalen Begegnungen 2001, Köln 2001, S. 6.<br />

Vergleiche Abschnitt 3.3.1 „Gegenseitiges Kennenlernen und Vorstellung des<br />

Programms“<br />

4.19 Wandzeitung<br />

Eine Wandzeitung dient dazu Meinungen, Ergebnisse und Informationen in Bildern,<br />

Texten, Skizzen, Fotos und Karikaturen zu präsentieren. Den Betrachtern<br />

soll so ein guter Überblick über ein Thema geboten werden. Die Wandzeitung<br />

visualisiert Aussagen dabei auf großem Format.<br />

Werden auf einer Wandzeitung die Ergebnisse einer Diskussionsrunde, Gruppenarbeit<br />

etc. dargestellt, dann sollten zuerst grobe Gliederungs- und Gestaltungspunkte<br />

diskutiert und abgesprochen werden. Das gesamte Material muss<br />

gesichtet werden, um zu entscheiden, was Verwendung finden soll. Eine gute<br />

Wandzeitung lädt zum Anschauen und Lesen ein. Neben dem Informationswert ist<br />

also auch die grafische Gestaltung wichtig und es muss eine Überschrift gefunden<br />

werden. Meistens befinden sich auf einer Wandzeitung nur Begriffe oder Stichworte,<br />

die einer Kommentierung und Erläuterung durch ihre Gestalter bedürfen.<br />

Vorbereitung<br />

Die benötigten Materialien sollten vorhanden sein, beispielsweise ausreichend<br />

großformatiges Papier (beispielsweise braunes Packpapier, Posterrückseiten<br />

oder eine alte Tapetenrolle) und ausreichend Stifte.<br />

101


Methoden<br />

Wandzeitung im Workshop I<br />

Literatur<br />

Greiner, Monika/Gaßmann, Reinhard: Wandzeitung, in: Kuhn, Hans-Werner/Massing,<br />

Peter (Hrsg.): Lexikon der politischen Bildung. Bd. 3: Methoden und Arbeitstechniken,<br />

Schwalbach/Taunus 2000, S. 207.<br />

Gugel, Günther: Praxis politischer <strong>Bildungs</strong>arbeit. Methoden und Arbeitshilfen, Tübingen<br />

3 1994, S. 85.<br />

Vergleiche Abschnitt 3.3.12 „Workshop I“<br />

4.20 Workshop<br />

Der Workshop (wörtlich übersetzt: Werkstatt) ist eine vom Ausgang und Ziel her<br />

offene Begegnungs-, Bearbeitungs- und Lernmöglichkeit. Die Teilnehmerinnen<br />

und Teilnehmer widmen sich dabei gleichberechtigt und relativ selbstbestimmt<br />

einem Thema, Raum oder Medium. Ein Produkt oder Ergebnis dieser gemeinsamen<br />

Auseinandersetzung kann zum Schluss der Veranstaltung ein konkreter<br />

102


Methoden<br />

Vorschlag zur Veränderung des lokalen Umfelds, eine Dokumentation oder Wandzeitung<br />

(vgl. Abschnitt 4.19) sein.<br />

Beim Workshop stehen nicht die strukturellen und globalen Fragen, das politische<br />

System, der Staat, die Ökonomie etc. im Vordergrund, sondern die Subjektivität,<br />

der Alltag und der ganzheitliche Lernprozess, der gleichzeitig sinnliche Wahrnehmung<br />

und kreative Handlungen beinhaltet. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer<br />

beschäftigen sich zum Beispiel mit einer „vor Ort“ bestehenden Frage oder einem<br />

lokal bedeutsamen historischen Vorgang. Das nötige Fachwissen wird entweder<br />

gemeinsam erarbeitet oder durch die Workshopleitung beziehungsweise durch<br />

die Befragung eines Experten von außerhalb vermittelt. Neben methodischem<br />

Wissen und Sachkenntnis müssen die Leiterinnen und Leiter dieser Veranstaltungsform<br />

über eine motivationspsychologische Kompetenz und gruppendynamische<br />

Sensibilität verfügen, aber auch Konfliktfähigkeit und Verhandlungsgeschick<br />

bei der Umsetzung der Ergebnisse beweisen. Ein Workshop ist eine auf einen<br />

längeren Zeitraum hin angelegte Veranstaltung. Sie findet meistens in kompakten<br />

Seminaren und/oder in kontinuierlichen Sitzungen statt. Mittlerweile sind in den<br />

verschiedensten Bereichen Workshops entstanden und zwar als Zukunfts-, Medien-,<br />

Schreib-, und Geschichtswerkstätten (vgl. Abschnitt 4.9).<br />

Literatur<br />

Hufer, Klaus-Peter: Die Geschichtswerkstatt: eine aktivierende Projektmethode in der Erwachsenenbildung,<br />

in: Mickel, Wolfgang W./Zitzlaff, Dietrich (Hrsg.): Methodenvielfalt<br />

im politischen Unterricht, Schwalbach/Taunus 31998 [unveränderte Auflage], S. 264-<br />

273.<br />

Hufer, Klaus-Peter: Werkstätten/Workshops, in: Kuhn, Hans-Werner/Massing, Peter<br />

(Hrsg.): Lexikon der politischen Bildung. Bd. 3: Methoden und Arbeitstechniken,<br />

Schwalbach/Taunus 2000, S. 207-208.<br />

Jungk, Robert/Müller Norbert R.: Zukunftswerkstätten. Mit Phantasie gegen Routine und<br />

Resignation, München 31989 [überarbeitete und aktualisierte Neuausgabe].<br />

Vergleiche Abschnitt 3.3.3 „Geschichtswerkstatt Dortmund e. V.“, Abschnitt 3.3.12<br />

„Workshop I“ und Abschnitt 3.3.14 „Workshop II“<br />

103


104


Die Zukunft des Projekts<br />

5. Die Zukunft des Projekts<br />

Heike Catrin Bala, Eva R. Schultz und Sebastian Welter<br />

Eine Gesellschaft braucht Individuen, Initiativgruppen und eine geförderte<br />

schulische sowie außerschulische Bildung und Kultur, um die Aufarbeitung der<br />

Vergangenheit anzugehen. Laut Höpken (1999) kann aber auch sinnvoll und<br />

hilfreich sein, wenn Impulse und Hilfe aus dem Ausland kommen. Als Träger der<br />

Jugend- und Erwachsenenbildung mit einem besonderen Interesse an den Transformationsländern<br />

in Ost- und Südosteuropa versuchen das IIZ/DVV und das IBB<br />

zivilgesellschaftliche Prozesse zu unterstützen. Das Seminar „Erinnern für die<br />

Zukunft“ will jungen Menschen aus Südosteuropa Methoden der Geschichtsaufarbeitung<br />

näher bringen und so den Aufbau dieser Region fördern.<br />

Die erfolgreiche Begegnung im Oktober 2002 soll nicht die letzte Maßnahme<br />

dieser Art bleiben. Wenn der herausgearbeitete Ansatz langfristig Wirkung zeigen<br />

soll, ist es notwendig, dem Projekt eine Zukunft zu geben. Im Folgenden wird auf<br />

das Zusammenwirken von Vergangenheitsbearbeitung und Demokratisierungsprozess<br />

in Südosteuropa eingegangen, um anschließend Ideen zur Weiterführung<br />

des Projektes zu skizzieren.<br />

„Vergangenheitsbewältigung“ in Südosteuropa<br />

Höpken (1999) nennt verschiedene Möglichkeiten, um die Vergangenheit zu „bewältigen“.<br />

Dabei lassen sich drei Kategorien identifizieren:<br />

Die erste ist die Vorstellung vom „Schlussstrich“, die Nichtbeachtung der Vergangenheit<br />

zum Wohle der Zukunft. Ihr steht die strafrechtliche Bewältigung der<br />

Vergangenheit gegenüber; sie orientiert sich gezielt an der Wiedergutmachung für<br />

die Opfer. Als dritte mögliche Form gilt die Aufarbeitung der Vergangenheit durch<br />

den öffentlichen gesellschaftlichen Diskurs. Eine zentrale Voraussetzung dafür ist<br />

die Anerkennung von Schuld; sie ist dabei „mehr als nur Bekenntnis zur Vergangenheit,<br />

sie ist nicht Ablaß, sondern verlangt, das unter eigener Beteiligung oder<br />

auch nur im Namen der eigenen Gesellschaft begangene Unrecht zur Grundlage<br />

kollektiven Bewußtseins dieser Gesellschaft zu machen“ (Höpken 1999, 617).<br />

Möglich sei eine wirkliche Auseinandersetzung mit der Gesellschaft nur in einer<br />

demokratischen und pluralistischen Gesellschaft.<br />

Die Staaten in Südosteuropa stehen vor einer besonders schwierigen Aufgabe:<br />

Sie müssen ihre sozialistische Vergangenheit aufarbeiten und gleichzeitig, in den<br />

Staaten des ehemaligen Jugoslawiens, die Erfahrung von Krieg und ethnischen<br />

105


Die Zukunft des Projekts<br />

Gewaltexzessen verarbeiten. Vor allem im Kosovo, aber teilweise auch in Bosnien,<br />

wird momentan eher therapeutische Hilfe benötigt. In vielen südosteuropäischen<br />

Ländern werden die Verbrechen des Totalitarismus mittlerweile öffentlich<br />

erörtert. So erwähnt Höpken (1999), dass es in Rumänien eine Reihe von Initiativen<br />

gibt, die sich gegen das Vergessen der Opfer der Ceauçescu-Diktatur und<br />

seiner Vorläufer richten.<br />

„Zu einem wirklichen gesellschaftlichen Aufklärungsdiskurs in selbstreflexiver<br />

Absicht aber hat sich all dies in den meisten Ländern nicht verdichtet“ (Höpken<br />

1999, 620). Die „symbolischen Denkmalsstürze“ (Höpken 1999, 621), wie das<br />

Umbenennen von Straßen, ersetzen oft eine wirkliche Auseinandersetzung. Ein<br />

Grund dafür ist, dass durch einige südosteuropäische Länder, wie Rumänien und<br />

Bulgarien, ein tiefer Riss geht, wenn die sozialistische Vergangenheit bewertet<br />

werden soll. In den Schulbüchern, die ein Indikator für den Umgang mit der Geschichte<br />

sind, finden sich trotz vieler Bemühungen immer noch mehr oder weniger<br />

deutliche nationalistische Aussagen. Man kann die „rehabilitierende, oftmals auch<br />

unkritisch idealisierende Konstruktion einer vor-sozialistischen Gegen-Geschichte“<br />

beobachten (Höpken 1999, 621). Dazu werden zweifelhafte Bezüge zum 19.<br />

Jahrhundert oder zur Zwischenkriegszeit hergestellt, wobei die Nation der zentrale<br />

Faktor bleibt.<br />

Die Verarbeitung des Krieges und die Arbeit an einem friedlichen Zusammenleben<br />

von Serben, Albanern und Kroaten, Christen und Muslimen ist ein äußerst<br />

schwieriges Unterfangen. Die Ereignisse sind noch frisch und es sind allenfalls<br />

Ansätze einer Vergangenheitsbearbeitung zu erkennen. „Auf allen Seiten wird die<br />

Geschichte der vergangenen Konflikte und Kriege miteinander bislang in einer völlig<br />

asymmetrischen Weise wahrgenommen, d. h. ausschließlich aus der eigenen<br />

Opferperspektive und nicht mit Blick auf das eigene Tun“ (Höpken 1999, 624).<br />

Die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit kann zwar von außen angeregt<br />

werden. Voraussetzung dafür ist jedoch eine innere Bereitschaft zur Selbstreflexion,<br />

die in der Region noch nicht sehr weit verbreitet ist. Ein langfristiges Ziel ist<br />

deshalb der „Mentalitätswandel“ (Höpken 1999, 628), ohne den eine Aufarbeitung<br />

kaum zu erreichen ist. Damit eine Gesellschaft aber eine stabile demokratische<br />

Kultur wirklich erreichen könne, sei die „Bereitschaft zur Erinnerung und auch zur<br />

Annahme eigener Verantwortung“ notwendig.<br />

Demokratieförderung<br />

Der Stabilitätspakt für Südosteuropa berücksichtigt diese Verbindung zwischen<br />

Vergangenheitsbearbeitung und Demokratisierungsprozess. Er strebt eine grund-<br />

106


Die Zukunft des Projekts<br />

legende Umorientierung der westlichen Balkanpolitik an, weg vom „akuten Konfliktmanagement“<br />

und hin zur „strukturellen Konfliktprävention“ (Biermann 2001,<br />

137). Die Hoffnungsträger sind „die neuen europäisch gesinnten Menschen [in<br />

der Region], die diese Zukunft in ihre eigenen Hände nehmen sollen“ (Mintchev<br />

2000, 57).<br />

Um sie zu stärken, benötigen die Projekte des Arbeitstisches I (Demokratisierung<br />

und Menschenrechte) besonders viel Aufmerksamkeit und Engagement. Sie setzen<br />

genau dort an, wo die zukünftige intellektuelle und professionelle Elite geformt<br />

wird. Die jungen Menschen müssen zur Selbstverantwortung in der Gesellschaft<br />

ermutigt werden, „die ausschlaggebend ist für den Erfolg jeder integrativen Strategie<br />

für die Region“ (Mintchev 2000, 58).<br />

Das schließt den Abbau von nationalen Stereotypen und die Betrachtung der Geschichte<br />

Südosteuropas aus den unterschiedlichen Perspektiven mit ein (Schur<br />

2001). Dabei muss den Initiatoren des Stabilitätspaktes bewusst gewesen sein,<br />

dass der Arbeitstisch I bei der Entwicklung von Demokratie und Menschenrechten<br />

den kompliziertesten Bereich darstellt. „Nur durch langfristig verlaufende Prozesse<br />

und unter starker Beteiligung der Zivilgesellschaft können hier nachhaltige<br />

Lösungen erzielt werden. Dazu ist ein substanzieller Beitrag der Nichtregierungsorganisationen<br />

notwendig“ (Schur 2001, 12).<br />

Das Projekt „Erinnern für die Zukunft“ stellt einen solchen Beitrag zur Demokratieförderung<br />

dar.<br />

Wie soll es weitergehen?<br />

Derzeit werden verschiedene weiterführende Projektideen ausgearbeitet, die der<br />

Verbreitung des Projektansatzes dienen sollen und neue Möglichkeiten zur Fortführung<br />

der Geschichtsaufarbeitung werden durchdacht.<br />

Ein bedeutsames Ziel ist die Vergrößerung des Personenkreises, der mit den<br />

Inhalten und Konzeptionen geschichtsbezogener und demokratieorientierter <strong>Bildungs</strong>arbeit<br />

vertraut ist. Eine Initiative wie ein Lernfest kann die Aufmerksamkeit<br />

der Menschen wecken, die Integration in die länderspezifische und regionalorientierte<br />

Projektarbeit eine breitere Wirkung ermöglichen. Hier fällt den Teilnehmenden<br />

des Projektes besondere Bedeutung zu, da sie als Multiplikatoren in<br />

ihrem jeweiligen Lebensumfeld neue Träger einer entsprechenden <strong>Bildungs</strong>arbeit<br />

zusammenführen und fortbilden können. Ihnen sollte hierbei weitere methodischdidaktische<br />

Unterstützung zuteil werden, um ihre Handlungssicherheit zu erhöhen<br />

107


Die Zukunft des Projekts<br />

und ihre Autorität im Falle von Widerständen gegen Formen des kritischen gesellschaftlichen<br />

Diskurses historischer Ereignisse zu stärken.<br />

Weiterhin gilt es, den Teilnehmenden über eine weitere Projektförderung die Realisierung<br />

eigener, auf das lokale Umfeld bezogener Projektansätze zu ermöglichen.<br />

Denn mit der Schaffung von Gedenkstätten und Erinnerungsorten werden historische<br />

Ereignisse von der Ebene abstrakten nationalen Gedenkens in direkten<br />

Bezug zum Lebensumfeld des einzelnen Menschen gebracht. Dies ermöglicht die<br />

persönliche Auseinandersetzung mit dem Geschehenen, was wiederum Grundlage<br />

für Lernprozesse darstellt.<br />

Zugleich sollten die zwischen den Teilnehmenden des Projektes entstandenen<br />

zwischenmenschlichen Kontakte zur Schaffung überregionaler und transnationaler<br />

Projektansätze genutzt werden. Sie bieten positive Beispiele der Kooperationsmöglichkeiten<br />

zwischen den Angehörigen unterschiedlicher Nationalitäten<br />

und verschiedenartigen Glaubens. Dies ermöglicht es gegenüber Dritten, die<br />

Realisierbarkeit des dem Projekt zugrundeliegenden Demokratiekonzeptes sinnfällig<br />

erfahrbar zu machen.<br />

Die im bisherigen Verlauf des Projektes durchgeführten Maßnahmen und die an<br />

die Teilnehmenden vermittelten Erkenntnisse bieten Ansätze zu einer Aufarbeitung<br />

der Vergangenheit im öffentlich gesellschaftlichen Diskurs. Voraussetzung ist allerdings<br />

das Erreichen einer gewissen Breitenwirkung. Hierzu werden weiterhin<br />

die finanzielle Unterstützung auswärtiger Geber und Mittel des Stabilitätspakts<br />

erforderlich sein.<br />

Um die in der praxisbezogenen Projektarbeit gewonnene Erfahrungen dem<br />

wissenschaftlichen Diskurs zugänglich machen zu können und um einen selbsttragenden<br />

breiten Prozess der Vergangenheitsbewältigung in Gang zu setzen,<br />

bedarf es längerfristiger Förderung. Die systematische Reflektion der Ergebnisse<br />

und Erkenntnisse ermöglicht deren Einordnung in nationale und internationale<br />

Fachdiskussionen. Hierdurch werden Perspektiven eröffnet, die Konzepte der<br />

geschichtsbezogenen, demokratieorientierten <strong>Bildungs</strong>arbeit zum integralen Bestandteil<br />

der politischen Bildung zu machen und so die Voraussetzungen für ihre<br />

finanzielle Absicherung zu schaffen.<br />

Literatur<br />

Biermann, Rafael: Südosteuropa am Scheidepunkt: Der Stabilitätspakt, das Ende der<br />

Miloševic-Ära und die neu aufbrechende „albanische Frage“, in: Wagner, Wolfgang/<br />

Dönhoff, Marion Gräfin/Kaiser, Karl [et. al.] (Hrsg.): Jahrbuch Internationale Politik 1999-<br />

108


Die Zukunft des Projekts<br />

2000 (= Jahrbücher des Forschungsinstituts der <strong>Deutsch</strong>en Gesellschaft für Auswärtige<br />

Politik, Bd. 24), München 2001, S. 137-148.<br />

Höpken, Wolfgang: „Vergangenheitsbewältigung“ in Südosteuropa: Chance oder Last?, in:<br />

Südosteuropa 48 (1999), S. 613-628.<br />

Mintchev, Emil: Europa und die Probleme des Balkans. Ein Jahr Stabilitätspakt für Südosteuropa,<br />

in: Internationale Politik 55 (2000), H. 8, S. 53-58.<br />

Schur, Wolfgang: Politische Bildung in der Stabilitätspaktregion. Analysen und Handlungsmöglichkeiten.<br />

Im Auftrag des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit<br />

und Entwicklung. IPE 30. Bonn: IIZ/DVV 2001.<br />

109


110


6. Kontaktadressen<br />

6.1 <strong>Deutsch</strong>land<br />

Kontaktadressen<br />

Alte Synagoge in Essen<br />

Steeler Straße 29<br />

45127 Essen<br />

Telefon: +49-(0)201/ 884 52-18 oder -23<br />

Telefax: +49-(0)2 01/ 884 52-25<br />

DGB-Jugendbildungszentrum Hattingen<br />

Willi-Bleicher-Haus<br />

Am Homberg 44<br />

45529 Hattingen<br />

Telefon: +49-(0)2324/ 59 51 00<br />

Telefax: +49-(0)2324/ 59 53 10<br />

Internet: www.jugendbildungszentrum.de<br />

Europäische Jugendbildungs- und Jugendbegegnungsstätte Weimar<br />

(EJBW)<br />

Jenaer Straße 2/4<br />

99425 Weimar<br />

Telefon: +49-(0)3643/ 82 71-01<br />

Telefax: +49-(0)3643/ 82 71-11<br />

E-Mail: kontakt@ejbweimar.de<br />

Internet: www.ejbweimar.de<br />

Gedenkstätte Buchenwald<br />

Abt. Öffentlichkeitsarbeit<br />

99427 Weimar<br />

Telefon: +49-(0)3643/ 43 01-43<br />

Telefax: +49-(0)3643/ 43 01-00<br />

E-Mail: buchenwald@buchenwald.de<br />

Internet: www.buchenwald.de<br />

Geschichtswerkstatt Dortmund e. V.<br />

Wellinghofer Straße 44<br />

44263 Dortmund<br />

Telefon: +49-(0)231/ 41 22 42<br />

111


Kontaktadressen<br />

Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit Dortmund e. V.<br />

Schulte-Witten-Haus<br />

Wittener Straße 3<br />

44149 Dortmund<br />

Telefon: +49-(0)231/ 17 13 17<br />

Telefax: +49-(0)231/ 176 54 58<br />

Grenzmuseum „Schifflersgrund“<br />

37318 Asbach-Sickenberg<br />

Telefon: +49-(0)36087/ 984-09<br />

Telefax: +49-(0)36087/ 984-14<br />

E-Mail: GreMu1991@aol.com<br />

Internet: www.grenzmuseum.de<br />

Institut für Internationale Zusammenarbeit des <strong>Deutsch</strong>en<br />

Volkshochschul-Verbandes e. V. (IIZ/DVV)<br />

Obere Wilhelmstraße 32<br />

53225 Bonn<br />

Telefon: +49-(0)228/ 975 69-0<br />

Telefax: +49-(0)228/ 975 69-55<br />

E-Mail: iiz-dvv@iiz-dvv.de<br />

Internet: www.iiz-dvv.de<br />

<strong>Internationales</strong> <strong>Bildungs</strong>- und Begegnungswerk e. V. (IBB)<br />

Thomasstraße 1<br />

D 44135 Dortmund<br />

Telefon: +49-(0)231/ 95 20 96-0<br />

Telefax: +49-(0)231/ 52 12 33<br />

E-Mail: ibb-dortmund@t-online.de<br />

Kulturzentrum „Grend“<br />

Westfalenstraße 311<br />

45276 Essen<br />

Telefon: +49-(0)201/ 851 32 30<br />

E-Mail: grend@t-online.de<br />

Mahn- und Gedenkstätte „Steinwache“<br />

Steinstraße 50<br />

D 44147 Dortmund<br />

Telefon: +49-(0)231/ 502 50 02<br />

Telefax: +49-(0)231/ 502 60 11<br />

112


6.2 IIZ/DVV-Projektbüros in Südosteuropa<br />

Albanien<br />

Projekti Arsimimi I Te Rriturve Ne<br />

Jochen Blanken<br />

Rr. „Andon Zako Çajupi“, Pallati Nr. 7<br />

Post Box 8153<br />

Tirana<br />

Telefon: +355-42/ 574 77, 425 94 94<br />

Telefax: +355-42/ 574 76<br />

E-Mail: iizparsh@albaniaonline.net<br />

Bosnien-Herzegowina<br />

Emir Avdagic<br />

Branilaca Sarajeva 24/2<br />

71000 Sarajevo<br />

Telefon: +387-33/ 21 52 52<br />

Telefax: +387-33/ 21 52 53<br />

E-Mail: iizdvvbh@bih.net.ba<br />

Bulgarien<br />

IIZ/DVV-Projektbüro<br />

Johann Theessen<br />

Knjaz-Boris-I-Str. 147<br />

1000 Sofia<br />

Telefon: +359-2/ 983 65 43<br />

Telefax: +359-2/ 983 64 82<br />

E-Mail: theessen@iizdvv-bg.org<br />

Kroatien<br />

IIZ/DVV Hrvatska<br />

Branimira Mrak<br />

Zavojina 8<br />

10000 Zagreb<br />

Telefon: +385-1/ 466 86 96<br />

Telefax: +385-1/ 466 60 07<br />

E-mail: iiz-dvv@globalnet.hr<br />

Kontaktadressen<br />

113


Kontaktadressen<br />

Mazedonien<br />

IIZ/DVV-Projektbüro<br />

Maja Avramovska-Trpevska<br />

Ul. Blagoj Strackov 8<br />

1000 Skopje<br />

Telefon: +389-91/ 217 81 06<br />

Telefax: +389-91/ 217 82 70<br />

E-Mail: iiz_dvv@mol.com.mk<br />

Rumänien<br />

Asociatia Universitatilor Populare Germane<br />

Mariana Matache<br />

Str. Slanic 12, et 3, ap. 4, sec 3<br />

70446 Bucuresti<br />

Telefon: +40-21/ 310 12 22<br />

Telefax: +40-21/ 313 58 83<br />

E-Mail: iizdvvro@fx.ro<br />

Serbien-Montenegro<br />

Gesellschaft für Erwachsenenbildung<br />

Dr. Katarina Popovic<br />

Vuka Karadzica 12<br />

11000 Belgrad<br />

Telefon: +381-11/ 63 46 74<br />

Telefax: +381-11/ 62 56 73<br />

E-Mail: iiz-dvv@eunet.yu<br />

114


7. Anhang<br />

7.1 Steckbrief<br />

Wer ist denn das?<br />

Foto / Zeichnung<br />

Das bin ich! Ich heiße:<br />

Normalerweise lebe ich in:<br />

Wo ich...<br />

Wenn ich das nicht tue, verbringe ich meine Freizeit mit...<br />

In der Zukunft will ich...<br />

Mein größter Wunsch ist es, ...<br />

Aber ich kann es gar nicht ausstehen, wenn...<br />

Anhang<br />

115


Anhang<br />

7.2 Projektantrag<br />

Projektantrag<br />

1. Titel des Projektes:<br />

2. In welchem Land bzw. in welchen Ländern wird dieses Projekt stattfinden?<br />

3. Für welchen Ort/welche Orte wird dieses Projekt geplant?<br />

4. Beschreiben Sie kurz die wesentlichen Elemente des Projektes!<br />

5. Wie lange soll das Projekt dauern?<br />

Projektbeginn:____.___.___ Projektende: ___.___.___<br />

6. Beschreiben Sie bitte die Zielgruppe, die Sie mit diesem Projekt ansprechen<br />

wollen!<br />

7. Beschreiben Sie bitte die Ziele des Projektes!<br />

116


Anhang<br />

8. Beschreiben Sie, mit welchen Methoden Sie diese Ziele erreichen wollen!<br />

9. Beschreiben Sie die zur Realisierung des Projektes notwendigen<br />

Rahmenbedingungen!<br />

10. Von welchen Personen/Institutionen erhoffen Sie sich Unterstützung für dieses<br />

Projekt?<br />

11. Welche Probleme sind bei der Durchsetzung des Projektes zu erwarten?<br />

117


Anhang<br />

12. Bitte stellen Sie einen Zeitplan für das Projekt auf!<br />

Zeitraum Tätigkeit<br />

13. Bitte stellen Sie einen Kostenplan für das Projekt auf!<br />

Projektphase Höhe der Aufwendungen Art der Aufwendungen<br />

Gesamtsumme<br />

118


8. Abkürzungsverzeichnis<br />

Abkürzungsverzeichnis<br />

BMZ Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und<br />

Entwicklung<br />

BRD Bundesrepublik <strong>Deutsch</strong>land<br />

d. A. die Autoren/Autorin<br />

DDR <strong>Deutsch</strong>e Demokratische Republik<br />

DGB <strong>Deutsch</strong>er Gewerkschaftsbund<br />

e. V. eingetragener Verein<br />

EBiS Erwachsenenbildung in Südosteuropa<br />

EJBW Europäische Jugendbildungs- und Jugendbegegnungsstätte Weimar<br />

Gestapo Geheime Staatspolizei<br />

H. Heft<br />

HDZ Hvratska Demokratska Zajednica (Kroatische Demokratische Union)<br />

IBB <strong>Internationales</strong> <strong>Bildungs</strong>- und Begegnungswerk e. V.<br />

IIZ/DVV Institut für Internationale Zusammenarbeit des <strong>Deutsch</strong>en<br />

Volkshochschul-Verbandes e. V.<br />

KfW Kreditanstalt für Wiederaufbau<br />

KPD Kommunistische Partei <strong>Deutsch</strong>lands<br />

KZ Konzentrationslager<br />

m. Mitte<br />

NRO Nicht-Regierungsorganisation<br />

NSDAP Nationalsozialistische <strong>Deutsch</strong>e Arbeiterpartei<br />

OSZE Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa<br />

SA Sturmabteilung<br />

SED Sozialistische Einheitspartei <strong>Deutsch</strong>lands<br />

SPD Sozialdemokratische Partei <strong>Deutsch</strong>lands<br />

SS Schutzstaffel<br />

WDR Westdeutscher Rundfunk<br />

119


120


9. Weiterführende Literatur<br />

<strong>Deutsch</strong>-deutsche Geschichte<br />

Weiterführende Literatur<br />

Andersen, Uwe/Woyke, Wichard (Hrsg.): Handwörterbuch des politischen Systems der<br />

Bundesrepublik <strong>Deutsch</strong>land, Opladen 5 2003 [überarbeitete Auflage].<br />

Benz, Wolfgang (Hrsg.): Geschichte der Bundesrepublik <strong>Deutsch</strong>land, 4 Bde., Frankfurt/<br />

Main 1989 [aktualisierte und erweiterte Neuausgabe].<br />

Berger, Stefan: Historians and Nation-Building in Germany After Reunification, in: Past &<br />

Present 148 (1995), S. 187-222.<br />

Glaser, Hermann: Kleine Kulturgeschichte der Bundesrepublik <strong>Deutsch</strong>land 1945-1989,<br />

Bonn 2 1991 [durchgesehene Auflage].<br />

Kleßmann, Christoph: Zwei Staaten, eine Nation. <strong>Deutsch</strong>e Geschichte 1955-1970, Göttingen<br />

1988.<br />

McAdams, A. James: Germany Divided: From the Wall to Reunification, Princeton 1993.<br />

McAdams, A. James: Judging the Past in Unified Germany, Cambridge, New York 2001.<br />

Sontheimer, Kurt/Bleek, Wilhelm: Grundzüge des politischen Systems der Bundesrepublik<br />

<strong>Deutsch</strong>land, München 11 1999 [aktualisierte Neuausgabe].<br />

Thomaneck, Jürgen K. A./Niven, Bill: Dividing and Uniting Germany, London [et. al.]<br />

2001.<br />

Turner, Henry A.: Germany from Partition to Reunification, New Haven 1992.<br />

Methoden des historisch-politischen Lernens<br />

Ackermann, Paul (Hrsg.): Politisches Lernen vor Ort. Außerschulische Lernorte im Politikunterricht,<br />

Stuttgart 1988.<br />

Ackermann, Paul/Breit, Gotthard/Cremer, Will [et. al.]: Politikdidaktik kurzgefaßt. Planungsfragen<br />

für den Politikunterricht, Bonn 1995 [Neudruck].<br />

Bala, Heike Catrin: Ausgestellte Geschichte. Die Alte Synagoge und das Jüdische Museum<br />

Westfalen im Vergleich, in: Sachor 8 (1998), S. 24-40.<br />

Behrends-Cobet, Heidi (Hrsg.): Bilden und Gedenken. Erwachsenenbildung in Gedenkstätten<br />

und an Gedächtnisorten (= Geschichte und Erwachsenenbildung, Bd. 9), Essen<br />

1998.<br />

Bergmann, Klaus/Fröhlich, Klaus/Kuhn, Annette [et. al.] (Hrsg.): Handbuch der Geschichtsdidaktik,<br />

Seelze-Velber 5 1997, S. 707-713.<br />

Berliner Geschichtswerkstatt (Hrsg.): Alltagskultur, Subjektivität und Geschichte. Zur Theorie<br />

und Praxis von Alltagsgeschichte, Münster 1994, S. 315-327.<br />

Brinkmann, Annette/Ehmann, Annegret/Milton, Sybil [et. al.] (Hrsg.): Lernen aus der Geschichte.<br />

Projekte zu Nationalsozialismus und Holocaust in Schule und Jugendarbeit/<br />

Learning from history. The Nazi era and the Holocaust in German education [mit CD-<br />

ROM], Bonn 2000.<br />

121


Weiterführende Literatur<br />

Brown, Cynthia S.: Like It Was: A Complete Guide to Writing Oral History, New York<br />

1988.<br />

Cremer, Will/Dallinger, Gernot (Red.): Erfahrungsorientierte Methoden der politischen<br />

Bildung, Bonn 1988, S. 178-215.<br />

Dovermann, Ulrich/Reiberg, Ludger (Hrsg.): Interkulturelles Lernen. Arbeitshilfen für die<br />

politische Bildung, Bonn 2000 [Neudruck].<br />

Ehmann, Annegret/Kaiser, Wolf/Lutz, Thomas [et. al.]: Praxis der Gedenkstättenpädagogik.<br />

Erfahrungen und Perspektiven, Opladen 1995.<br />

Fritz Bauer Institut (Hrsg.): Auschwitz: Geschichte, Rezeption und Wirkung (= Jahrbuch zur<br />

Geschichte und Wirkung des Holocaust, Bd. 1996), Frankfurt/Main, New York 1996.<br />

Geppert, Alexander C. T.: Forschungstechnik oder historische Disziplin? Methodische<br />

Probleme der Oral History, in: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 45 (1994),<br />

S. 303-323.<br />

Geschichtswerkstatt Dortmund e.V. (Hrsg.): 10 Jahre Geschichtswerkstatt, Dortmund<br />

o. J.<br />

Giesecke, Hermann: Methodik des politischen Unterrichts, München 4 1976.<br />

Giesecke, Hermann: Politische Bildung. Didaktik und Methodik für Schule und Jugendarbeit,<br />

Weinheim, München 2 2000 [überarbeitete und erweiterte Auflage].<br />

Gray, Wood: Historian‘s Handbook: A Key to the Study and Writing of History, Prospect<br />

Heights/Illinois 2 1991.<br />

Gugel, Günther: Praxis politischer <strong>Bildungs</strong>arbeit. Methoden und Arbeitshilfen, Tübingen<br />

3 1994.<br />

Hagensen, Martin: Rallye-Ideen. Rallyes zu Fuß, mit dem Fahrrad, mit dem Auto, auf<br />

Skiern, Ravensburg 1979.<br />

Hochreiter, Walter: Vom Musentempel zum Lernort. Zur Sozialgeschichte deutscher Museen<br />

1800-1914, Darmstadt 1994.<br />

Hufer, Klaus-Peter (Hrsg.): Lexikon der politischen Bildung. Bd. 2: Außerschulische Jugend-<br />

und Erwachsenenbildung, Schwalbach/Taunus 1999.<br />

Jungk, Robert/Müllert, Norbert R.: Zukunftswerkstätten. Mit Phantasie gegen Routine und<br />

Resignation, München 3 1989 [überarbeitete und aktualisierte Neuauflage].<br />

Keim, Helmut (Hrsg.): Planspiel, Rollenspiel, Fallstudie. Zur Praxis und Theorie lernaktiver<br />

Methoden, Köln 1992.<br />

Kuhn, Hans-Werner/Massing, Peter (Hrsg.): Lexikon der politischen Bildung. Bd. 3: Methoden<br />

und Arbeitstechniken, Schwalbach/Taunus 2000.<br />

Leo, Annette: Geschichtsbewußtsein „herstellen“ – ein Rückblick auf Gedenkstättenarbeit<br />

in der DDR, in: Behrends-Cobet, Heidi (Hrsg.): Bilden und Gedenken. Erwachsenenbildung<br />

in Gedenkstätten und an Gedächtnisorten (= Geschichte und Erwachsenenbildung,<br />

Bd. 9), Essen 1998, S. 35-50.<br />

Lindqvist, Sven: Grabe wo du stehst. Handbuch zur Erforschung der eigenen Geschichte,<br />

Bonn 1989.<br />

122


Weiterführende Literatur<br />

Loewy, Hanno/Moltmann, Bernhard (Hrsg.): Erlebnis – Gedächtnis – Sinn. Authentische<br />

und konstruierte Erinnerung (= Wissenschaftliche Reihe des Fritz-Bauer-Instituts,<br />

Bd. 3), Frankfurt/Main, New York 1996.<br />

Lüdtke, Alf: Einleitung: Was ist und wer treibt Alltagsgeschichte?, in: Lüdtke, Alf (Hrsg.):<br />

Alltagsgeschichte. Zur Rekonstruktion historischer Erfahrungen und Lebensweisen,<br />

Frankfurt/Main, New York 1989, S. 9-47.<br />

Marius, Richard/Page, Melvin E.: A Short Guide to Wrting About History, New York 4 2002.<br />

Massing, Peter: Handlungsorientierter Politikunterricht. Ausgewählte Methoden,<br />

Schwalbach/Taunus 1998.<br />

Mickel, Wolfgang W. (Hrsg.): Handbuch zur politischen Bildung, Bonn 1999.<br />

Mickel, Wolfgang W./Zitzlaff, Dietrich (Hrsg.): Handbuch zur politischen Bildung, Bonn<br />

1988, S. 262-267.<br />

Mickel, Wolfgang W./Zitzlaff, Dietrich (Hrsg.): Methodenvielfalt im politischen Unterricht,<br />

Schwalbach/Taunus 3 1998 [unveränderte Auflage].<br />

Perks, Robert: Oral History: An Annotated Bibliography, London 1999.<br />

Perks, Robert/Thomson, Alistair (Hrsg.): The Oral History Reader, London, New York 2000<br />

[Reprint].<br />

Ritchie, Donald A.: Doing Oral History (= Twayne’s Oral History Series, Bd. 15), New York<br />

1995.<br />

Rosenthal, Gabriele: Erlebte und erzählte Lebensgeschichte. Gestalt und Struktur biographischer<br />

Selbstbeschreibungen, Frankfurt/Main, New York 1995.<br />

Sander, Wolfgang (Hrsg.): Handbuch politische Bildung (= Reihe Politik und Bildung,<br />

Bd. 11), Schwalbach/Taunus 2 1999.<br />

Storey, William Kelleher: Writing History: A Guide for Students, New York, Oxford 1999.<br />

Thüringer Institut für Lehrerfortbildung, Lehrplanentwicklung und Medien (Thillm) (Hrsg.):<br />

Sehen, Verstehen und Verarbeiten. KZ Buchenwald 1937-1945. KZ Mittelbau-Dora<br />

1943-1945, Bad Berka 2000.<br />

transfer e. V. (Hrsg.): Reader zu dem trägerübergreifenden Grundkurs für Teamerinnen<br />

und Teamer von internationalen Begegnungen 2001, Köln 2001.<br />

Vorländer, Herwart (Hrsg.): Oral History. Mündlich erfragte Geschichte. Acht Beiträge,<br />

Göttingen 1990.<br />

Weschenfelder, Klaus/Zacharias, Wolfgang: Handbuch Museumspädagogik. Orientierungen<br />

und Methoden für die Praxis, Düsseldorf 1981.<br />

Williams, Robert Chadwell: The Historian‘s Toolbox: A Student‘s Guide to the Theory and<br />

Craft of History, Armonk/New York, London 2003.<br />

Nationalsozialismus<br />

Arbeitskreis NS-Gedenkstätten NW (Hrsg.): Den Opfern gewidmet – auf Zukunft gerichtet.<br />

Gedenkstätten für die Opfer des Nationalsozialismus in Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf<br />

4 1998 [erweiterte und überarbeitete Neuauflage].<br />

Bala, Heike Catrin/Scholz, Christian (Hrsg.): <strong>Deutsch</strong>-Jüdisches Verhältnis? Fragen, Betrachtungen,<br />

Analysen, Essen 1997.<br />

123


Weiterführende Literatur<br />

Brenner, Michael: Nach dem Holocaust. Juden in <strong>Deutsch</strong>land 1945-1950, München<br />

1995.<br />

Broszat, Martin/Frei, Norbert (Hrsg.): Das Dritte Reich im Überblick. Chronik – Ereignisse<br />

– Zusammenhänge, München 6 1999 [durchgesehene und aktualisierte Auflage].<br />

Frei, Norbert: National Socialist Rule in Germany: The Führer State, 1933-1945, Oxford<br />

[et. al.] 1993. (<strong>Deutsch</strong>e Ausgabe: Frei, Norbert: Der Führerstaat. Nationalsozialistische<br />

Herrschaft 1933 bis 1945, München 5 1997.)<br />

Frei, Norbert: Vergangenheitspolitik. Die Anfänge der Bundesrepublik und die NS-Vergangenheit,<br />

München 1996.<br />

Hackett, David A. (Hrsg.): The Buchenwald Report, Boulder/Colorado [et. al.] 1997. (<strong>Deutsch</strong>e<br />

Ausgabe: Hackett, David A. (Hrsg.): Der Buchenwald-Report. Bericht über das<br />

Konzentrationslager Buchenwald bei Weimar, München 2002.)<br />

Jäckel, Eberhard/Longerich, Peter/Schoeps, Julius H. (Hrsg.): Enzyklopädie des Holocaust.<br />

Die Verfolgung und Ermordung der europäischen Juden, 3 Bde., Berlin 1993.<br />

Kershaw, Ian: The „Hitler Myth“: Image and Reality in the Third Reich, Oxford 2001.<br />

Kershaw, Ian: The Nazi Dictatorship: Problems and Perspectives of Interpretation, London<br />

4 2000. (<strong>Deutsch</strong>e Ausgabe: Kershaw, Ian: Der NS-Staat. Geschichtsinterpretationen<br />

und Kontroversen im Überblick, Reinbek 1994 [vollständig überarbeitete und<br />

erweiterte Neuausgabe].)<br />

Kogon, Eugen: The Theory and Practice in Hell: The German Concentration Camps and<br />

the System Behind Them, New York 1998. (<strong>Deutsch</strong>e Ausgabe: Kogon, Eugen: Der<br />

SS-Staat. Das System der deutschen Konzentrationslager, München 4 1993.)<br />

Lichtenstein, Heiner/Romberg, Otto R. (Hrsg.): Täter – Opfer – Folgen. Der Holocaust in<br />

Geschichte und Gegenwart (= Schriftenreihe der Bundeszentrale für politische Bildung,<br />

Bd. 335), Bonn 1995.<br />

Puvogel, Ulrike/Stankowski, Martin [et. al.] (Hrsg.): Gedenkstätten für die Opfer des Nationalsozialismus.<br />

Eine Dokumentation Bd. 1), Bonn 2 1995 [überarbeitete und erweiterte<br />

Auflage].<br />

Schoeps, Julius H. (Hrsg.): Neues Lexikon des Judentums, Gütersloh 2000 [überarbeitete<br />

Auflage].<br />

Südosteuropäische Geschichte<br />

Ágh, Attila: Emerging Democracies in East Central Europe and the Balkans, Cheltenham<br />

1998.<br />

Courtois, Stéphane/Werth, Nicolas/Panné, Jean-Louis [et. al.]: The Black Book of Communism:<br />

Crimes, Terror, Repression, Cambridge/Massachusetts , London 1999. (<strong>Deutsch</strong>e<br />

Ausgabe: Courtois, Stéphane/Werth, Nicolas/Panné, Jean-Louis [et. al.]: Das Schwarzbuch<br />

des Kommunismus. Unterdrückung, Verbrechen und Terror, München 3 1993.)<br />

Holzer, Jerzy: Der Kommunismus in Europa. Politische Bewegung und Herrschaftssystem,<br />

Frankfurt/Main 4 1998.<br />

Höpken, Wolfgang: „Vergangenheitsbewältigung“ in Südosteuropa: Chance oder Last?, in:<br />

Südosteuropa 48 (1999), S. 613-628.<br />

124


Weiterführende Literatur<br />

Hösch, Edgar: Geschichte der Balkanländer. Von der Frühzeit bis zur Gegenwart, München<br />

1999.<br />

Hupchick, Dennis P.: The Balkans: From Constantinople to Communism, Basingstoke/<br />

Hampshire [et. al.] 2002.<br />

Kaser, Karl: Südosteuropäische Geschichte und Geschichtswissenschaft, Köln, Weimar,<br />

Wien 2 2002 [völlig neu bearbeitete Auflage].<br />

Mazover, Mark: The Balkans: A Short History, London 2000. (<strong>Deutsch</strong>e Ausgabe: Mazover,<br />

Mark: Der Balkan, Berlin 2002.)<br />

Meier, Victor: Jugoslawiens Erben. Die neuen Staaten und die Politik des Westens, München<br />

2001.<br />

Roth, Harald (Hrsg.): Studienhandbuch Östliches Europa. Bd. 1: Geschichte Ostmittel- und<br />

Südosteuropas, Köln, Weimar, Wien 1999.<br />

Schur, Wolfgang: Politische Bildung in der Stabilitätspaktregion. Analysen und Handlungsmöglichkeiten.<br />

Im Auftrag des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit<br />

und Entwicklung. IPE 30. Bonn: IIZ/DVV 2001.<br />

125


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