Deutsch - Internationales Bildungs
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Internationale<br />
Perspektiven der Erwachsenenbildung<br />
Kurztitel der verfügbaren Bände<br />
25 Ungarische und deutsche Erwachsenenbildung. Europäische Partnerschaft und internationale<br />
Zusammenarbeit<br />
Heribert Hinzen (<strong>Deutsch</strong>)<br />
26 Perspektiven und Tendenzen der Erwachsenenbildung<br />
Uwe Gartenschlaeger / Heribert Hinzen (Hrsg.) (<strong>Deutsch</strong>)<br />
27 Bildung für Alle – lebenslang und lebenswichtig<br />
Heribert Hinzen / Josef Müller (Hrsg.) (<strong>Deutsch</strong>)<br />
28 Partnership and Solidarity in Action<br />
International Cooperation Activities of IIZ/DVV<br />
IIZ / DVV (Englisch)<br />
29 Erwachsenenbildung: Auswärtige Kulturpolitik und internationale Zusammenarbeit<br />
Gerhard Müller (<strong>Deutsch</strong>)<br />
30 Politische Bildung in der Stabilitätspaktregion. Analysen und Handlungsmöglichkeiten<br />
Wolfgang Schur (<strong>Deutsch</strong> mit einer Zusammenfassung in Englisch)<br />
31 Lernen für Alle - Learning is for Everyone<br />
Lernfeste in Südosteuropa 2001 - Adult Learners Weeks in South Eastern Europe<br />
Stablity Pact for South Eastern Europe (<strong>Deutsch</strong>, Englisch)<br />
32 Sharing without Barriers - Learning Fair - Conference<br />
Documentation Hamburg, 7-10 November 2001 (Englisch)<br />
33 Theoretical, Economic and Regional Issues of Adult Education. Hungarian Developments<br />
in an International Perspective<br />
Dénes Koltai (Englisch)<br />
34 Adult Education in Slovenia<br />
Ana Krajnc / Nives Licen (Englisch)<br />
35 Equality – Inequality of Adult Education Opportunities in Europe<br />
Heribert Hinzen / Viera Prusakova / Ewa Przybylska (Hrsg.) (Englisch, Slowakisch)<br />
36 Adult and Continuing Education. Education Modernization Project in the former Yugolav<br />
Republic of Macedonia<br />
Tzako Pantaleev (Englisch)<br />
37 Erwachsenenbildung in der Türkei. Bestandsaufnahme und Entwicklungspotenziale<br />
Hayrettin Aydin (<strong>Deutsch</strong>, Türkisch)<br />
38 Perspectives on Adult Education in the Mediterranean and Beyond<br />
Peter Mayo / Klitos Symeonides / Michael Samlowski (Hrsg) (Englisch)<br />
39 Die Internationalität der Volkshochschulen – vom grenzüberschreitenden Kulturaustausch<br />
zur interkulturellen Bildung<br />
Erhard Schlutz / Heinrich Schneider (Hrsg) (<strong>Deutsch</strong>)<br />
40 „Erinnern für die Zukunft“. Ein Seminar zu Methoden der Geschichtsaufarbeitung<br />
Heike Catrin Bala (Albanisch, Bulgarisch, <strong>Deutsch</strong>, Englisch, Mazedonisch, Rumänisch,<br />
Serbokroatisch)<br />
41 Afghanistan – Support to Adult Education – Actual and Future Potentials for Development<br />
Wolfgang Schur (Englisch)<br />
IPE 40 „Erinnern für die Zukunft“ IIZ / DVV<br />
INSTITUTE FOR INTERNATIONAL COOPERATION OF THE GERMAN ADULT EDUCATION ASSOCIATION<br />
INSTITUT DE COOPERATION INTERNATIONALE DE LA CONFEDERATION ALLEMANDE POUR L’EDUCATION DES ADULTES<br />
INSTITUTO DE LA COOPERACIÓN INTERNACIONAL DE LA ASOCIACION ALEMANA PARA EDUCACIÓN DE ADULTOS<br />
INSTITUT FÜR INTERNATIONALE ZUSAMMENARBEIT<br />
DES DEUTSCHEN VOLKSHOCHSCHUL-VERBANDES e.V.<br />
„Erinnern für die Zukunft“<br />
Ein Seminar zu Methoden der Geschichtsaufarbeitung<br />
Heike Catrin Bala<br />
Internationale<br />
Perspektiven<br />
der<br />
Erwachsenenbildung<br />
40
Impressum<br />
Internationale Perspektiven der Erwachsenenbildung<br />
Diese Reihe veröffentlicht Berichte, Studien und Materialien, die internationale Aspekte<br />
der Erwachsenenbildung für die Weiterentwicklung von Theorie und Praxis<br />
der Volkshochschularbeit aufgreifen. Erweiterte Information und Kommunikation<br />
sollen zu erhöhtem Wissen, vertieftem Verständnis und verbesserter Kooperation<br />
in der internationalen Erwachsenenbildung beitragen.<br />
Herausgegeben vom<br />
Institut für Internationale Zusammenarbeit<br />
des <strong>Deutsch</strong>en Volkshochschul-Verbandes e. V. (IIZ/DVV)<br />
Redaktion: Heribert Hinzen<br />
Redaktionsassistenz: Gisela Waschek<br />
Satz, Layout, Grafik: thenée druck bonn GmbH<br />
Mit Namen und Signum gezeichnete Veröffentlichungen sind jeweils Meinung des<br />
Verfassers, nicht unbedingt auch die des Herausgebers und der Redaktion. Nachdruck,<br />
auch auszugsweise, mit Quellenangabe; Belegexemplar wird erbeten.<br />
Bibliografische Information der <strong>Deutsch</strong>en Bibliothek<br />
Die <strong>Deutsch</strong>e Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der <strong>Deutsch</strong>en<br />
Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über<br />
http://dnb.ddb.de abrufbar.<br />
ISBN 3-88513-824-7<br />
© 2003 IIZ/DVV<br />
Anschrift von Herausgeber, Redaktion und Versand:<br />
Institut für Internationale Zusammenarbeit des<br />
<strong>Deutsch</strong>en Volkshochschul-Verbandes e. V. (IIZ/DVV)<br />
Obere Wilhelmstraße 32<br />
D-53225 Bonn<br />
Tel.: 0228/97569-0<br />
Fax: 0228/97569-55<br />
e-mail: iiz-dvv@iiz-dvv.de<br />
Internet: www.iiz-dvv.de<br />
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Internationale<br />
Perspektiven der Erwachsenenbildung<br />
Kurztitel der verfügbaren Bände<br />
3 Europäische Erwachsenenbildung – grenzenlos?<br />
Neue Aufgaben für das IIZ/DVV (<strong>Deutsch</strong>, Französisch)<br />
6 Erwachsenenbildung in Rußland<br />
Bettina Strewe (<strong>Deutsch</strong>)<br />
7 Die Rolle der kommunal orientierten Erwachsenenbildungsorganisationen in Europa<br />
(<strong>Deutsch</strong>)<br />
8 Erwachsenenbildung in Lettland<br />
Paulis Apinis et al. (<strong>Deutsch</strong>)<br />
9 Gesetzgebung und Politik zur Erwachsenenbildung in <strong>Deutsch</strong>land<br />
Rudi Rohlmann (<strong>Deutsch</strong>, Englisch)<br />
10 Volkshochschulen: Weiterbildung für die Zukunft. Schweriner Erklärung des DVV<br />
(<strong>Deutsch</strong>, Englisch, Französisch, Spanisch, Russisch)<br />
11 European Network of Editors and Publishers of Adult Education Literature:<br />
Report of a Seminar by Heribert Hinzen and Ulrich Merker (Englisch)<br />
12 Erwachsenenbildung und Entwicklung. 25 Jahre IIZ/DVV<br />
(Arabisch, Chinesisch, <strong>Deutsch</strong>, Englisch, Französisch, Russisch, Spanisch)<br />
13 Erwachsenenbildung in <strong>Deutsch</strong>land<br />
Ekkehard Nuissl (<strong>Deutsch</strong>, Englisch, Französisch)<br />
14 Erwachsenenbildung in Litauen<br />
Edita Trečiokiene (<strong>Deutsch</strong>)<br />
15 Volkshochschulen, internationale Kontakte und Partnerschaften.<br />
Erarbeitet von Hartmut Dürste und Manfred Fenner (<strong>Deutsch</strong>)<br />
17 Erwachsenenbildung in Polen<br />
Norbert F.B. Greger / Ewa Przybylska (<strong>Deutsch</strong>, Englisch)<br />
19 Jugend- und Erwachsenenbildung für ethnische Minderheiten in Europa<br />
(<strong>Deutsch</strong>, Englisch, Französisch, Niederländisch, Spanisch)<br />
20 Praxismodelle der beruflichen Bildung für Benachteiligte 2<br />
(<strong>Deutsch</strong>)<br />
21 Stärkung der Selbstorganisation ethnischer Minderheiten in Europa<br />
Zusammengestellt und bearbeitet von Stella Dadzie (<strong>Deutsch</strong>, Englisch)<br />
23 Adult Education and the Museum<br />
Brian Martin (Hrsg.) (Englisch)<br />
24 Regionale und grenzüberschreitende Zusammenarbeit in der Erwachsenenbildung<br />
Klaus Bostelmann (Red.) (<strong>Deutsch</strong>)
„Erinnern für die Zukunft“<br />
Ein Seminar zu Methoden der Geschichtsaufarbeitung<br />
Heike Catrin Bala<br />
Institut für Internationale Zusammenarbeit<br />
des <strong>Deutsch</strong>en Volkshochschul-Verbandes e. V. (IIZ/DVV)<br />
Bearbeitung: Eva R. Schultz<br />
Fotos: Heike Catrin Bala (S. 62: Eva R. Schultz)<br />
Titelbild: Die Seminargruppe in der Gedenkstätte Buchenwald
Inhalt<br />
Inhalt<br />
Vorbemerkung .................................................................................................. 5<br />
Geleitwort.......................................................................................................... 7<br />
Prof. Dr. Rita Süssmuth<br />
1. Das Projekt „Erinnern für die Zukunft“ und seine Ziele.................... 9<br />
Heike Catrin Bala und Sebastian Welter<br />
2. „Wir brauchen Begegnung“............................................................... 19<br />
Hans Koschnick im Gespräch mit Heike Catrin Bala<br />
3. Dokumentation des Seminars im Oktober 2002............................... 33<br />
3.1 Biografien .............................................................................................. 33<br />
3.2 Programmübersicht............................................................................... 37<br />
3.3 Ausführliche Beschreibung ................................................................... 39<br />
3.3.1 Gegenseitiges Kennenlernen und Vorstellung des Programms............ 39<br />
3.3.2 Die Alte Synagoge in Essen.................................................................. 40<br />
3.3.3 Geschichtswerkstatt Dortmund e. V. ..................................................... 42<br />
3.3.4 Die Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit<br />
Dortmund e. V. ...................................................................................... 44<br />
3.3.5 Stadtrundgang in Dortmund .................................................................. 46<br />
3.3.6 Zeitzeugengespräch mit Valentin Frank ................................................ 48<br />
3.3.7 Zwischenauswertung ............................................................................ 50<br />
3.3.8 Stadtrundgang/Stadtrallye in Weimar.................................................... 51<br />
3.3.9 Thementag „<strong>Deutsch</strong>e Wiedervereinigung“........................................... 52<br />
3.3.10 Gedenkstätte Buchenwald .................................................................... 54<br />
3.3.11 Das thüringisch-hessische Grenzmuseum „Schifflersgrund“ ................ 58<br />
3.3.12 Workshop I ............................................................................................ 60<br />
3.3.13 Stadtrundgang mit Valentin Frank in Dortmund .................................... 62<br />
3.3.14 Workshop II ........................................................................................... 63<br />
3.3.15 Schlussauswertung ............................................................................... 65
Inhalt<br />
4. Methoden ............................................................................................. 67<br />
4.1 Auswertung ........................................................................................... 67<br />
4.2 Befragung.............................................................................................. 70<br />
4.3 Blitzlicht ................................................................................................. 72<br />
4.4 Brainstorming ........................................................................................ 73<br />
4.5 Bühnenspiel .......................................................................................... 74<br />
4.6 Erkundung............................................................................................. 75<br />
4.7 Foto- und Bildbeschreibung .................................................................. 77<br />
4.8 Gedenkstättenbesuch ........................................................................... 79<br />
4.9 Geschichtswerkstatt .............................................................................. 83<br />
4.10 Kicks...................................................................................................... 85<br />
4.11 Medieneinsatz ....................................................................................... 86<br />
4.12 Museum ................................................................................................ 88<br />
4.13 Oral History (Zeitzeugenbefragung)...................................................... 90<br />
4.14 Rollenspiel............................................................................................. 94<br />
4.15 Sitzordnung ........................................................................................... 96<br />
4.16 Spurensuche ......................................................................................... 97<br />
4.17 Stadterkundung..................................................................................... 98<br />
4.18 Steckbrief ............................................................................................ 100<br />
4.19 Wandzeitung ....................................................................................... 101<br />
4.20 Workshop ............................................................................................ 102<br />
5. Die Zukunft des Projekts .................................................................. 105<br />
Heike Catrin Bala, Eva R. Schultz und Sebastian Welter<br />
6. Kontaktadressen ................................................................................ 111<br />
6.1 <strong>Deutsch</strong>land ......................................................................................... 111<br />
6.2 IIZ/DVV-Projektbüros in Südosteuropa ................................................113<br />
7. Anhang................................................................................................115<br />
7.1 Steckbrief .............................................................................................115<br />
7.2 Projektantrag........................................................................................116<br />
8. Abkürzungsverzeichnis.....................................................................119<br />
9. Weiterführende Literatur .................................................................. 121
Vorbemerkung<br />
Vorbemerkung<br />
Wie können Initiativen auf nationaler Ebene mit grenzüberschreitenden und regionalen<br />
Netzwerken als entwicklungsorientierte Erwachsenenbildung verknüpft<br />
werden? Vor diese Frage sah sich das Institut für Internationale Zusammenarbeit<br />
des <strong>Deutsch</strong>en Volkshochschul-Verbandes (IIZ/DVV) im Rahmen des Stabilitätspaktes<br />
für Südosteuropa gestellt, in dem der Erwachsenenbildung – der<br />
allgemeinen und beruflichen, politischen und kulturellen – eine große Bedeutung<br />
beigemessen wird. Vom Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit<br />
und Entwicklung (BMZ) wird anerkannt, dass Erwachsenenbildung nachhaltige<br />
Beiträge zur Sozialstruktur leisten kann und seitens des Auswärtigen Amtes (AA)<br />
wird Erwachsenenbildung als wichtiger Bestandteil kulturpolitischer Arbeit in dieser<br />
Region positiv bewertet.<br />
Die mit Unterstützung dieser beiden Ministerien begonnenen Projekte des IIZ/<br />
DVV mit staatlichen, zivilgesellschaftlichen und universitären Partnern in den acht<br />
Ländern des Stabilitätspaktes haben in relativ kurzer Zeit bemerkenswerte Erfolge<br />
gezeigt. Zu diesen Projekten zählen bildungspolitische und gesetzgeberische<br />
Initiativen, die dem Lebenslangen Lernen Geltung verschaffen, einkommensorientierte<br />
und berufspraktische Trainings- und Ausstattungsmaßnahmen, motivationsfördernde<br />
Lernfeste - zunächst im nationalen und jetzt regionalen Rahmen -,<br />
Maßnahmen der Demokratiebildung sowie die Weiterbildung von Multiplikatoren<br />
auf mittlerer und universitärer Ebene.<br />
Junge Erwachsene, die sich um die Aufarbeitung der Geschichte und der Traumata<br />
der jüngsten Kriege in Südosteuropa bemühen, sind als Multiplikatoren<br />
entscheidend. Ihnen Methoden und Materialien an die Hand zu geben, gemeinsame<br />
Erkundungen verschiedener historischer Orte zu ermöglichen und einen die<br />
Landesgrenzen, Religionen und Ethnien überschreitenden Dialog und Austausch<br />
zu fördern, gehören folgerichtig zu den Zielen des Projekts. Gerade zwischen<br />
den Generationen, die sich in ganz unterschiedlicher Weise auf Vergangenheit,<br />
Gegenwart und Zukunft beziehen, ist die Verständigung über Erinnerungsarbeit<br />
oft sehr schwierig. Der Verweis auf die Gnade der frühen oder späten Geburt, die<br />
Zuweisung von Schuld sowie deren empörte Leugnung, sind oftmals hilflose Reaktionen,<br />
um das Kommunikationsdefizit zu überdecken. Zeitzeugen für gemeinsame<br />
Gespräche zu finden, wird immer schwierig sein. Da es aber insbesondere<br />
für länger zurückliegende Ereignisse auch immer unwahrscheinlicher wird, sie<br />
aufzutun, sollte dies Ansporn geben, sie bereits heute zu suchen und in der im<br />
Verlauf des Seminars gepflegten Form einzubinden.<br />
5
Vorbemerkung<br />
Der Anspruch, Erinnern für die Zukunft zu leisten, fragt auch danach, was denn<br />
das Erinnern ausmacht, fragt nach der Gratwanderung zwischen Verarbeitung<br />
und Verdrängung. Schon 1933 hatte Lucien Febvre formuliert: „Machen wir uns<br />
keine Illusionen. Der Mensch erinnert sich nicht der Geschichte; er rekonstruiert<br />
sie stets. [...] (Er) bewahrt nicht die Vergangenheit in seinem Gedächtnis wie<br />
das Eis des Nordens die Mammuts aus der Steinzeit bewahrt. Er geht von der<br />
Gegenwart aus – und durch sie hindurch erkennt er stets die Vergangenheit.“<br />
Erinnern und Erkennen - subjektive und objektive Realitäten - sind oft nur schwer<br />
von einander zu trennen. In historisch-vergleichender Perspektive würden sich<br />
auch andere menschliche Tragödien des letzten Jahrhunderts anbieten, um sie<br />
auf Gemeinsamkeiten, Ähnlichkeiten und Unterschiede hin zu untersuchen, um<br />
an ihnen Erinnerungsarbeit zu leisten und vor allem um aus ihnen zu lernen: Begonnen<br />
mit den Abgründen umfassender Spitzelei und Denunziation, mit denen<br />
sich die Gauk-Behörde im wiedervereinten <strong>Deutsch</strong>land zu befassen hat, über die<br />
Wahrheitskommission in Südafrika, die Säuberungen des Pinochet-Regimes in<br />
Chile bis hin zu den Genoziden in Kambodscha und Ruanda. Vielleicht wird eine<br />
solche Dimension der international übergreifenden Geschichtsaufarbeitung zu<br />
einem späteren Zeitpunkt möglich - für uns natürlich als Teil politischer Bildung,<br />
eingebunden in eine umfassendere Projektarbeit, die Erwachsenenbildung vor<br />
Ort mit globaler Orientierung verbindet.<br />
Diese IPE-Publikationsreihe hat die Arbeit unserer Partner und Projektbüros in der<br />
Stabilitätspaktregion bereits mit einer Vielzahl von Veröffentlichungen begleitet:<br />
Länderstudien zu Slowenien und Mazedonien sind ebenso erschienen wie eine<br />
thematische Studie zur Situation der Politischen Bildung; sowohl eine Synopse der<br />
diversen Lernfestaktivitäten als auch eine Sammlung aktueller Texte zu Fragen<br />
der Erwachsenenbildung, die in fast alle Landessprachen übersetzt wurden. Die<br />
vorliegende Publikation reiht sich hier nahtlos ein.<br />
Die Kooperation mit dem Internationalen <strong>Bildungs</strong>- und Begegnungswerk (IBB)<br />
brachte vielfältige Erfahrungen ein und war aus unserer Sicht eine große Bereicherung,<br />
die wir gerne fortsetzen möchten. Das BMZ hatte dankenswerter<br />
Weise zusätzliche Mittel für dieses Vorhaben bereitstellen können; nun gilt es,<br />
die Erkenntnisse in der Breite zu nutzen. Ausdrücklich danken möchte ich allen<br />
Beteiligten, die mit außerordentlichem Engagement die Fertigstellung dieser Publikation<br />
betrieben haben.<br />
Prof.(H) Dr. Heribert Hinzen<br />
Institutsleiter<br />
6
Geleitwort<br />
Geleitwort<br />
„Nur wer die Vergangenheit kennt,<br />
hat eine Zukunft.“<br />
Wilhelm von Humboldt, 1767–1835<br />
Die vorliegende Dokumentation berichtet über das Projekt „Erinnern für die Zukunft“,<br />
über individuelle Schicksale und über Methoden, mit denen Menschen ihr<br />
Schicksal aktiv in die Hand nehmen können, um ein friedliches Miteinanderleben<br />
in Europa zu tragen. Ein Blick auf die weltweiten Konfliktherde macht deutlich, wie<br />
schwierig es ist, aus der Geschichte zu lernen und neue Wege einzuschlagen.<br />
Wenn man etwas ändern will, darf man nicht tatenlos resignieren. Man muss sich<br />
engagieren und dem Vergessen und Verdrängen die Stirn bieten. Jeder einzelne<br />
trägt Verantwortung für die Sicherung eines dauerhaften Friedens der Weltgemeinschaft<br />
– begonnen bei sich zu Hause.<br />
Im Rahmen von „Erinnern für die Zukunft“ kamen 15 junge Menschen aus Südosteuropa<br />
nach <strong>Deutsch</strong>land. Sie setzten ein Beispiel für den Umgang mit jüngerer<br />
Geschichte, der Eingang in jede <strong>Bildungs</strong>praxis finden sollte. Sie schafften es,<br />
die Hürde der Verdrängung von historischen Ereignissen und Vorurteilen zu überwinden<br />
und sich bewusst mit ihrer jüngeren Geschichte, der kommunistischen<br />
Vergangenheit und dem Jugoslawienkrieg, auseinander zu setzen, obwohl so<br />
etwas nicht leicht fällt. Es gelang ihnen, Raum für einen vertrauensvollen Umgang<br />
miteinander zu schaffen, sich gegenseitig zuzuhören und die Sicht des anderen<br />
zu begreifen. Der Aufbau eines Netzwerks mit Kontakten und die Motivation der<br />
Teilnehmer, ihre Erfahrung zu verbreiten und neue Projekte aufzubauen, sind der<br />
Grundstein für die nachhaltige zukunftsorientierte Auseinandersetzung mit der<br />
Vergangenheit.<br />
Man sagt, Europa rücke durch die Osterweiterung enger zusammen. Das stimmt<br />
natürlich, aber war Europa nicht schon immer mehr als nur eine geographische<br />
oder politische Einheit? Historisch gesehen standen sich die Europäer schon<br />
immer nahe, auch wenn sie unterschiedlicher Meinung waren. Wir dürfen nicht<br />
vergessen, Europäer haben eine gemeinsame Vergangenheit und gemeinsame<br />
Wurzeln. Europa steht für eine Idee. Diese Idee ist eine Philosophie, die sich im<br />
Laufe der Epochen verändert hat und schon immer unterschiedlich interpretiert<br />
worden ist. Geblieben ist, dass wir eine gemeinsame Identität als Europäer in uns<br />
tragen und dass wir gemeinsame Ziele verfolgen.<br />
7
Geleitwort<br />
Die Herausforderung für die Zukunft ist, die Geschichte gemeinsam aufzuarbeiten<br />
und Brücken zwischen Menschen zu bauen, die vergessen haben, wie nah sie sich<br />
einmal standen. Es ist eine alte Erkenntnis und u. a. in der deutsch-französischen<br />
Aussöhnung bewiesen, dass aus ehemaligen Feinden Freunde werden können<br />
und Verlierer nicht Verlierer bleiben müssen. Um diese Entwicklung zu erreichen,<br />
müssen die Menschen zusammenkommen und miteinander reden.<br />
Das Projekt „Erinnern für die Zukunft“ und die vorliegende Dokumentation soll<br />
junge Menschen in Europa erreichen und ihnen Anstöße für die gemeinsame<br />
Verarbeitung ihrer Vergangenheit geben. Sie sollen motiviert werden, die Verantwortung,<br />
die sie für die nachfolgenden Generationen tragen, selbst in die Hand<br />
zu nehmen und aufeinander zuzugehen. Im Handbuch erhalten sie Anregungen<br />
für die Organisation internationaler Treffen, die Vorbereitung von Seminaren, die<br />
Durchführung von Zeitzeugengesprächen, für die Einrichtung von Gedenkstätten.<br />
Methoden, Instrumente und Erfahrungsberichte sollen jungen Erwachsenen und<br />
Multiplikatoren ermöglichen, ihre Gestaltungskraft für ihr Volk und für Europa<br />
einzusetzen. Durch Vertrauen in die eigenen Kräfte und Möglichkeiten sowie die<br />
anteilnehmende Wahrnehmung der individuellen Schicksale der neu gewonnenen<br />
Gesprächspartner kann die europäische Idee wachsen und gefestigt werden.<br />
Daher ist es auch wichtig, dass die Dokumentation nicht nur auf <strong>Deutsch</strong> und<br />
Englisch, sondern auch in den jeweiligen Landessprachen der Projektteilnehmer<br />
vorliegt.<br />
Prof. Dr. Rita Süssmuth<br />
Präsidentin des DVV<br />
Vize-Präsidentin der OSZE<br />
8
Das Projekt „Erinnern für die Zukunft“ und seine Ziele<br />
1. Das Projekt „Erinnern für die Zukunft“ und seine Ziele<br />
Heike Catrin Bala und Sebastian Welter<br />
„Der Stabilitätspakt ist Musterbeispiel für eine erfolgreiche nicht-militärische Sicherheitspolitik.<br />
[...] Wir können nach drei Jahren festhalten: Durch den Stabilitätspakt<br />
hat die internationale Gemeinschaft erreicht, dass statt Krieg und Gewalt<br />
in Südosteuropa jetzt Kooperation, Dialog und regionale Zusammenarbeit auf der<br />
Tagesordnung stehen.“<br />
Heidemarie Wieczorek-Zeul, Bundesentwicklungsministerin, 16. Juni 2002<br />
Der Stabilitätspakt für Südosteuropa wurde 1999 vor dem Hintergrund der jugoslawischen<br />
Nachfolgekriege auf deutsche Initiative hin ins Leben gerufen. Er ist eine<br />
politische Verpflichtungserklärung und eine Rahmenvereinbarung zur internationalen<br />
Kooperation in dieser Region. Erstmals werden hier durch einen integrativen<br />
Ansatz die politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Ursachen von<br />
Konflikten im Sinne aktiver Krisenprävention und zivilen Konfliktmanagements<br />
angegangen. Ziel ist die nachhaltige Stabilisierung der Gesamtregion. Einer<br />
der insgesamt drei inhaltlichen Schwerpunkte, der sogenannte Arbeitstisch I,<br />
beschäftigt sich mit der Entwicklung von Demokratie und Menschenrechten,<br />
darunter fällt auch der Bereich Bildung und Jugend (vgl. Mintchev 2000, 53, 55;<br />
Schur 2001, 10).<br />
Die Arbeit des IIZ/DVV in der Stabilitätspakt-Region<br />
Im Rahmen des Tisch I des Stabilitätspaktes für Südosteuropa entwickelt das<br />
Institut für Internationale Zusammenarbeit des <strong>Deutsch</strong>en Volkshochschul-Verbandes<br />
(IIZ/DVV) e.V. seit dem Jahr 2000 mit finanzieller Unterstützung des<br />
Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ)<br />
das Projekt „Erwachsenenbildung in Südosteuropa“ (EBiS). Ausgangspunkt ist<br />
dabei die Erkenntnis, dass <strong>Bildungs</strong>arbeit wesentliche Beiträge zur Verbesserung<br />
der Existenzbedingungen und der Integration von sozial und / oder ethnisch<br />
marginalisierten Bevölkerungsgruppen leisten kann. Neben sozial- und beschäftigungswirksamen<br />
<strong>Bildungs</strong>maßnahmen spielen Ansätze der Demokratiebildung<br />
eine besondere Rolle, um möglichst breiten Bevölkerungsschichten Chancen zur<br />
Mitgestaltung gesellschaftlicher Entwicklungsprozesse zu eröffnen und somit zur<br />
Stabilisierung von Gesellschaftsstrukturen beizutragen. Der Erwachsenenbildung<br />
kommt dabei insofern eine Schlüsselrolle zu, als sie auf diejenigen Altersgruppen<br />
gerichtet ist, die in der Regel bereits das hergebrachte Schul- und Ausbildungs-<br />
9
Das Projekt „Erinnern für die Zukunft“ und seine Ziele<br />
system verlassen haben, also vielfach über keinen Zugang zum staatlichen <strong>Bildungs</strong>system<br />
mehr verfügen.<br />
Angesichts des sich weltweit beschleunigenden Informationsaustausches wird<br />
Bildung zunehmend zur Voraussetzung, um Menschen die aktive Beteiligung an<br />
sozialen und wirtschaftlichen Prozessen zu ermöglichen. Fort- und Weiterbildung<br />
werden daher, neben der klassischen Schul-, Berufs- und Hochschulbildung, immer<br />
größere Bedeutung erlangen. Die Notwendigkeit, den eigenen Kenntnisstand<br />
für die Orientierung in einem sich ständig wandelnden sozialen und beruflichen<br />
Umfeld auf dem erforderlichen Niveau zu halten, hat zur Entwicklung von Konzeptionen<br />
des lebenslangen und lebensbegleitenden Lernens geführt.<br />
Vor dem Hintergrund schwacher staatlicher Strukturen, einer schwierigen Wirtschaftslage<br />
und hoher Arbeitslosigkeit stehen auch in den Stabilitätspaktländern<br />
immer mehr Menschen vor der Notwendigkeit, ihren persönlichen und beruflichen<br />
Lebensweg eigenständig zu planen. Sie müssen befähigt werden, sich<br />
selbständig in gesellschaftlichen Strukturen zu bewegen und flexibel auf die sich<br />
ändernden Rahmenbedingungen zu reagieren. Moderne Ansätze der Erwachsenenbildung<br />
verbinden daher die Aspekte „Persönlichkeitsbildung“, „Gesellschaftsfähigkeit“<br />
und „Beschäftigungsförderung“ gleichrangig als Lernziele in Unterricht<br />
und Lehre.<br />
Denn es ist zu beobachten, dass gerade in denjenigen Bevölkerungsgruppen,<br />
die den theoretisch größten Weiterbildungsbedarf aufweisen, die Bereitschaft,<br />
sich erneut in Lernsituationen zu begeben, am geringsten ausgeprägt ist. Hier<br />
bieten nicht- und non-formale Lehr- und Lehrformen, die sich an den Bedürfnissen<br />
der Teilnehmer und Teilnehmerinnen orientieren, ihre Fähigkeiten und Talente<br />
entwickeln helfen und zur Persönlichkeitsentwicklung beitragen, neue Zugangsmöglichkeiten.<br />
Weil es gleichzeitig gilt, den Menschen bessere Chancen auf dem<br />
Arbeitsmarkt zu eröffnen, müssen ihre Fähigkeiten zur Kommunikation sowie zur<br />
Lösung von Konflikt- und Problemlagen verbessert werden.<br />
In diesem Zusammenhang gewinnen Ansätze der <strong>Bildungs</strong>arbeit, die auf demokratischen<br />
Werthaltungen basierende Handlungs- und Lösungsstrategien zu<br />
vermitteln suchen, an Bedeutung. Weil fast ein jeder in der Stabilitätspaktregion<br />
lebende Mensch direkt oder indirekt von den tragischen Kriegsereignissen der<br />
jüngsten Vergangenheit betroffen ist, muss die Beschäftigung mit Geschichte<br />
zum integralen Bestandteil demokratieorientierter <strong>Bildungs</strong>arbeit werden. Zum<br />
einen prägen historische Ereignisse und Erfahrungen die individuelle Wahrnehmung<br />
und Weltsicht der Teilnehmer und Teilnehmerinnen an <strong>Bildungs</strong>prozessen<br />
wesentlich mit. Die persönliche Erinnerung an Leid, Schmerz und Verlust verstellt<br />
10
Das Projekt „Erinnern für die Zukunft“ und seine Ziele<br />
vielfach die Bereitschaft zur Aufnahme und Akzeptanz andersartiger Lebenswirklichkeiten<br />
und Kulturen. Zum anderen fördert eine einseitige, sich ausschließlich<br />
der tradierten Selbstwahrnehmung vergewissernde Sicht auf die Vergangenheit<br />
Tendenzen des Selbstabschlusses und der Konfliktbereitschaft auf gesellschaftlicher<br />
Ebene.<br />
Erst zwischenmenschliche Begegnung, die zu der Erkenntnis beiträgt, dass auch<br />
„Andere“ tragische Schicksale erlitten haben, schafft Raum für Mitgefühl und setzt<br />
somit die emotionale Basis für eine Verständigung jenseits von Verallgemeinerungen<br />
und Stereotypen.<br />
Dass die für das nachstehend beschriebene Projekt gewählte Themenstellung<br />
Bezug zur deutschen Zeitgeschichte nahm, diente nicht der Präsentation fertiger<br />
Lösungsansätze, die von den Teilnehmenden für die Aufarbeitung ihrer eigenen<br />
Geschichte zu übernehmen seien. Vielmehr erfolgte die Hinwendung zu den Themen<br />
„Nationalsozialismus“ und „Wiedervereinigung“ in <strong>Deutsch</strong>land, um es den<br />
aus Südosteuropa angereisten Projektpartnern zu ermöglichen, sich unbelastet<br />
der eigenen Vergangenheit mit der Problematik einer Aufarbeitung historischer<br />
Ereignisse widmen zu können. Wichtiges Ziel war es, „Geschichte“ als eine Summe<br />
individueller Einzelschicksale erlebbar zu machen, um zu verdeutlichen, dass<br />
die Erinnerung historischer Ereignisse nicht nur auf nationaler politischer Ebene<br />
bestimmt und vollzogen werden kann, sondern auch auf Ebene des einzelnen<br />
Menschen gestaltbar ist.<br />
Es versteht sich, dass <strong>Bildungs</strong>arbeit, die Rücksicht auf persönliche Empfindungen<br />
und Erfahrungen der Beteiligten nehmen und sich an deren Bedürfnissen<br />
orientierten soll, nicht als Massenveranstaltung geplant und durchgeführt werden<br />
kann. Die Vermittlung demokratieorientierter Werthaltungen und Handlungsstrategien<br />
gelingt am besten dort, wo persönliche Beziehungen aufgebaut wie auch<br />
gesellschaftliche Prozesse modelliert werden können: in Kleingruppen. Den<br />
Teilnehmenden soll die Möglichkeit geboten werden, durch eigenes Erleben und<br />
im Erfahrungsaustausch mit anderen Gruppenmitgliedern neue Erfahrungen und<br />
Erkenntnisse zu sammeln. In der Zusammenführung unterschiedlicher sozialer,<br />
ethnischer, kultureller und religiöser Lebenswelten, die die Teilnehmenden<br />
individuell repräsentieren, soll über Diskussion und Reflektion einer konkreten<br />
Themenstellung Empathie und Verständnis für Andersartigkeit und Vielseitigkeit<br />
gefördert werden. Dadurch sollen Erfahrungshorizonte erweitert und in der gemeinsamen<br />
Auseinandersetzung mit einer als wichtig erkannten Thematik die<br />
positiven Wirkungen einer von Vielfalt, gegenseitigem Respekt und Anerkennung<br />
geprägten Kommunikation für die Erarbeitung von Lösungsansätzen für konkrete<br />
11
Das Projekt „Erinnern für die Zukunft“ und seine Ziele<br />
Problemstellungen verdeutlicht werden. So macht ein Unterrichtsverlauf den Wert<br />
demokratieorientierten Handelns positiv erfahrbar.<br />
Jedoch wird keine als Modellprojekt konzipierte <strong>Bildungs</strong>maßnahme allein die für<br />
einen durchgreifenden Bewusstseinswandel notwendige Breitenwirkung entwickeln<br />
können. Es gehört daher zu den Grundsätzen der Projektarbeit des IIZ/DVV,<br />
<strong>Bildungs</strong>maßnahmen auf Multiplikatorengruppen zu konzentrieren; also auf Teilnehmende,<br />
die aufgrund ihres persönlichen Engagements und beruflichen Umfeldes<br />
in der Lage sind, die im Verlauf der Fortbildung gesammelten Erkenntnisse<br />
wiederum einer breiteren Zielgruppe zugänglich zu machen. Wichtiges Prinzip ist<br />
dabei, im Rahmen des Lernprozesses bereits frühzeitig die Verantwortung für die<br />
weitere Verwendung der erarbeiteten Resultate an die Beteiligten zu übertragen.<br />
Von ihrer Aktivität hängt es im weiteren ab, inwieweit die vermittelten Ansätze<br />
Eingang in die eigene <strong>Bildungs</strong>praxis finden und zur Sicherung der Nachhaltigkeit<br />
des Projektes beitragen. Aufgabe der weiteren Projektarbeit wird es sein, den<br />
Beteiligten Unterstützung bei der Realisierung der geplanten Maßnahmen zu<br />
leisten und die Herausbildung der dazu notwendigen Infrastruktur und Rahmenbedingungen<br />
zu fördern.<br />
Wo setzt das Projekt an?<br />
Den Ansprüchen des Stabilitätspaktes folgend fand vom 9. bis zum 19. Oktober<br />
2002 in Hattingen und Weimar das Seminar „‘Erinnern für die Zukunft‘ – Ein Seminar<br />
zu den Methoden der Geschichtsaufarbeitung in <strong>Deutsch</strong>land für Jugendund<br />
Erwachsenenbildner und -bildnerinnen aus Südosteuropa“ statt. Ermöglicht<br />
wurde diese als Auftaktmaßnahme konzipierte Begegnung durch die Initiative des<br />
IIZ/DVV und die finanzielle Förderung des BMZ. Das Seminar, das gemeinsam<br />
mit dem Internationalen <strong>Bildungs</strong>- und Begegnungswerk e. V. (IBB) durchgeführt<br />
wurde, brachte 15 junge Menschen aus Albanien, Bosnien-Herzegowina, Bulgarien,<br />
Mazedonien, Rumänien und Serbien-Montenegro nach <strong>Deutsch</strong>land.<br />
Nirgendwo in Europa wurde im letzten Jahrzehnt deutlicher als in Südosteuropa,<br />
wie wirkungsmächtig historische Stereotypen sind. Es ist daher wichtig, die Menschen<br />
in dieser Region dabei zu unterstützen, sich ihrer Vergangenheit zu stellen<br />
und Wege für ein friedliches, nicht von unterschwelligen Ressentiments belastetes<br />
Miteinander zu finden.<br />
Im Rahmen des Stabilitätspaktes wird deshalb ein besonderer Schwerpunkt auf<br />
den Bereich Geschichte und Geschichtsunterricht gelegt. Um ein Verständnis für<br />
die Geschichte der Region aus unterschiedlichen Perspektiven zu gewinnen und<br />
nationale Stereotypen abzubauen, wird die Aus- und Fortbildung von Geschichts-<br />
12
Das Projekt „Erinnern für die Zukunft“ und seine Ziele<br />
lehrerinnen und -lehrern in neuer Methodologie, in der Entwicklung von Lehr- und<br />
Lernmaterial und Curricula gefördert sowie die Vernetzung und der Austausch von<br />
Programmen unterstützt.<br />
Während die meisten Projekte bei der Diskussion über nationalgeschichtliche<br />
Weltbilder ansetzen und sich mit Schulcurricula, Historikerdialog u. ä. befassen,<br />
beschreitet dieses Projekt einen den folgenden Weg: Die Erfahrungen und Ressourcen,<br />
die in <strong>Deutsch</strong>land und anderen Staaten in der Jugend- und Erwachsenenbildung<br />
gemacht wurden, sollen genutzt werden. Anscheinend alltägliche<br />
Erinnerungen, aber auch individuelle Erfahrungen von Verfolgung und Unterdrückung<br />
stehen dabei im Mittelpunkt. Die ausgewählten Methoden können die Geschichte<br />
nicht neu interpretieren, dieser Prozess soll und muss den Menschen in<br />
der Region überlassen werden. Es handelt sich vielmehr um alltagsgeschichtliche<br />
Zugänge, die große ideologische Kontroversen vermeiden und sich zunächst mit<br />
dem befassen, was jeder in seinem Umfeld erlebt hat.<br />
Wer ist die Zielgruppe?<br />
In der Auftaktmaßnahme waren die 15 Jugend- und Erwachsenenbildner und<br />
-bildnerinnen aus Südosteuropa die direkte Zielgruppe. Es wird erwartet, dass von<br />
den verschiedenen Fortbildungsmaßnahmen und Lehrmaterialien mehr als 200<br />
Multiplikatoren in jedem Staat direkt profitieren werden. Als indirekte Zielgruppe<br />
werden auch die Jugendlichen und Erwachsenen in der Region angesehen; ihre<br />
Zahl wird die der Multiplikatoren um ein Vielfaches übersteigen. Sie kommen als<br />
Teilnehmerinnen und Teilnehmer in den Genuss von den Maßnahmen in der Erwachsenenbildung,<br />
Schule und offenen Jugendarbeit. Die vorliegende Publikation<br />
soll dabei helfen, die Ergebnisse des Seminars sowie eine Auswahl relevanter<br />
Ansätze zur Vergangenheitsbearbeitung in Südosteuropa bekannt zu machen.<br />
Deshalb wird sie auch in die wichtigsten Sprachen wie Englisch, Bulgarisch, Rumänisch,<br />
Serbokroatisch und Albanisch übersetzt.<br />
Wie sah die Auftaktmaßnahme aus und was wurde erreicht?<br />
Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer sprachen mit Zeitzeugen über ihre Diktaturerfahrungen,<br />
unter dem NS-Regime und in der DDR, besuchten eine Geschichtswerkstatt<br />
und zwei Gedenkstätten, führten Expertenbefragungen durch,<br />
erkundeten Dortmund in zwei historischen Stadtführungen, eine davon mit einem<br />
Zeitzeugen, machten eine Stadtrallye in Weimar und führten Diskussionen über<br />
die vorgestellten Methoden. Zum Abschluss nahmen sie an einem zweitägigen<br />
Workshop teil, in dem sie ihre in <strong>Deutsch</strong>land gemachten Erfahrungen auf die Situ-<br />
13
Das Projekt „Erinnern für die Zukunft“ und seine Ziele<br />
ation in Südosteuropa übertrugen. In einer umfassenden Auswertung reflektierten<br />
sie über den gemeinsamen Lernprozess und arbeiteten die Stärken wie auch die<br />
Probleme des Seminars heraus.<br />
Der für das Seminar angesetzte Zeitraum von zehn Tagen war eine wichtige Voraussetzung<br />
für das Gelingen der Veranstaltung. So blieb für die Gruppe genug Zeit<br />
zur Eingewöhnung, denn viele von ihnen waren vorher noch nie in <strong>Deutsch</strong>land<br />
gewesen, und für ausführliche Diskussionen. Außerdem musste genügend Raum<br />
für die Übersetzung der Gespräche mit den deutschen Zeitzeugen und Experten<br />
eingeplant werden, da einige nicht ausreichend Englisch sprachen.<br />
Innerhalb der Gruppe gab es keine größeren Sprachschwierigkeiten. Der größte<br />
Teil der Kommunikation fand in Englisch statt und eine kleinere Gruppe sprach<br />
auch gut <strong>Deutsch</strong>. Die Voraussetzung für eine erfolgreiche Teilnahme am Projekt<br />
war die ausreichende Beherrschung einer der beiden Sprachen. Sie wurde von<br />
allen erfüllt. Diejenigen unter den Teilnehmerinnen und Teilnehmern, die aus der<br />
serbokroatischen Sprachfamilie (Serbien-Montenegro, Mazedonien und Bosnien-Herzegowina)<br />
stammten, hatten sogar den besonderen Vorteil, dass sie sich<br />
nahezu in ihrer Muttersprache unterhalten konnten. Die Mazedonier fungierten<br />
zudem als Dolmetscher ins Bulgarische, da das Mazedonische eine Schnittstelle<br />
zwischen dem Serbokroatischen und dem Bulgarischen darstellt.<br />
Ein anderer bedeutender Faktor war die Gruppengröße, die eine angemessene<br />
Betreuung und die Schaffung eines entsprechenden Lernumfeldes ermöglichte.<br />
Die Gruppe war sehr motiviert und lernbegierig und alle hielten sich an den<br />
gleich zu Anfang geschlossenen „Vertrag“, durch den vereinbart wurde, dass<br />
das Gelingen der Veranstaltung vom Engagement jedes Einzelnen abhängen<br />
würde. Die Flexibilität des Programms war von Vorteil. Es konnte immer wieder<br />
auf die Bedürfnisse der Gruppe hin überprüft werden. Eine Vertiefung derjenigen<br />
Methoden, die auf großes Interesse stießen, wie die Arbeit mit Zeitzeugen, war<br />
dadurch möglich.<br />
Im Laufe der intensiven Diskussionen stellte sich heraus, dass die meisten Teilnehmerinnen<br />
und Teilnehmer die gesellschaftliche Notwendigkeit sahen, die Repressalien<br />
im Zusammenhang mit der Etablierung der sozialistischen Systeme in<br />
den fünfziger Jahren aufzuarbeiten. Viele Geschehnisse aus dieser Zeit würden<br />
totgeschwiegen und verdrängt. Mit Blick auf die jüngeren Ereignisse in Südosteuropa,<br />
wie den Krieg im ehemaligen Jugoslawien, stellte sich immer wieder die<br />
Frage, ob zunächst die jüngste Geschichte völlig aufgeklärt und bearbeitet werden<br />
müsse oder ob es sinnvoller wäre, 50 Jahre früher anzusetzen, da hier die Grundlage<br />
für die jüngeren Ereignisse zu finden sei. An einem der ersten Abende wurde<br />
14
Das Projekt „Erinnern für die Zukunft“ und seine Ziele<br />
in diesem Zusammenhang auch über gesellschaftliche Schuld beziehungsweise<br />
Verantwortung diskutiert – auch aus Sicht der <strong>Deutsch</strong>en.<br />
An dieser Stelle und bei späteren Anlässen, wie bei dem Besuch in Buchenwald,<br />
der die jungen Menschen aus Südosteuropa stark beeindruckte, wurde wiederholt<br />
darauf hingewiesen, dass die ersten Jahre nach der Befreiung <strong>Deutsch</strong>lands stark<br />
von einer „Schlussstrich“-Mentalität geprägt waren. Es dauerte lange bis damit<br />
begonnen wurde, die Ursachen des Nationalsozialismus zu erforschen und eine<br />
sowohl öffentliche als auch kritische Auseinandersetzung mit diesem Thema zu<br />
suchen (Frei 1996).<br />
Die erst in den siebziger Jahren an vielen Orten entstandenen Geschichtswerkstätten<br />
sind ein Beispiel dafür. In ihnen engagierten sich auch viele Lehrer und<br />
Jugendliche. Sie wollten die Spuren der NS-Geschichte in ihren Heimatorten<br />
freilegen und die Erinnerung an das geschehene Unrecht wach halten. Daraus<br />
entwickelten sich nicht wenige Initiativen, die sich für die Einrichtung von Mahnmalen<br />
und Gedenkstätten einsetzten. Diese Vorhaben wurden oft von enormen politischen<br />
Widerständen begleitet, die dazu führten, dass es teilweise mehrere Jahre<br />
dauerte, bis sie verwirklicht werden konnten (vgl. Abschnitt 3.3.2, „Alte Synagoge<br />
in Essen“). Fast parallel kam es zu einer Abwendung vom lehrer- und gegenstandsorientierten<br />
Unterricht hin zu mehr Praxisnähe und Schülerorientierung. Die<br />
Suche nach Materialien, die den Interessen der Schüler entgegenkamen, führte<br />
zur Lokal- und Alltagsgeschichte und ihren speziellen Methoden und Arbeitstechniken<br />
(vgl. Ehmann/Rathenow 2000). Projektorientierte Arbeitsformen wurden<br />
entwickelt wie Zeitzeugenbefragung (vgl. Abschnitt 4.13), lokale Spurensuche<br />
(vgl. Abschnitt 4.16), Exkursionen zu Gedenkstätten (vgl. Abschnitt 4.8) etc.<br />
Die deutsche Vergangenheitsbearbeitung und der damit verbundene Lernprozess<br />
hält bis heute an. Das Seminar sollte kein „leuchtendes Beispiel“ geben oder<br />
ein Universalrezept vermitteln, sondern Möglichkeiten und Erfolge, aber auch<br />
Hindernisse und Versäumnisse aufzeigen. Die Entwicklung und Widersprüchlichkeit<br />
der deutschen Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte, sowohl<br />
mit der NS-Diktatur als auch mit dem DDR-Regime, wurde den Teilnehmerinnen<br />
und Teilnehmern des Seminars zugänglich gemacht. Insbesondere der zweitägige<br />
Methoden-Workshop ermöglichte eine intensivere Auseinandersetzung mit<br />
einigen ausgewählten Methoden und deren Nutzung für die eigene Situation in<br />
Südosteuropa (vgl. Abschnitt 3.3).<br />
15
Das Projekt „Erinnern für die Zukunft“ und seine Ziele<br />
Wie ist die Dokumentation aufgebaut?<br />
An die Einleitung schließt sich ein Interview mit Hans Koschnick an, dem ehemaligen<br />
Bürgermeister von Bremen. Er war von 1994 bis 1996 als EU-Administrator im<br />
herzegowinischen Mostar tätig. Dort war er für den Wiederaufbau der Verwaltung<br />
der im jugoslawischen Bürgerkrieg zerstörten und geteilten Stadt zuständig. Von<br />
1998 bis 1999 war er der Bosnienbeauftragte der Bundesregierung und verantwortlich<br />
für die Rückführung der Bürgerkriegs-Flüchtlinge. In einem Gespräch<br />
mit Heike Catrin Bala nahm er sich Zeit, um über seine Erfahrungen in Mostar zu<br />
berichten und diskutierte mit ihr über die Möglichkeiten der Geschichtsaufarbeitung<br />
in einer durch den Realsozialismus sowie von Krieg und Gewalt geprägten<br />
Region.<br />
Im dritten Kapitel, das vor allem das Seminar dokumentiert, werden die fünfzehn<br />
Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus Südosteuropa und das deutsche Leitungsteam<br />
vorgestellt. Obwohl die Mitglieder der Gruppe aus sechs verschiedenen<br />
Ländern kamen, wird anhand der Kurzbiografien die Menge der Gemeinsamkeiten<br />
deutlich: Alle waren etwa gleich alt und hatten ein Studium abgeschlossen<br />
oder beendeten es gerade. Darüber hinaus engagierten sich die meisten in der<br />
schulischen oder außerschulischen Jugend- und Erwachsenenbildung, zu einem<br />
großen Teil bei den Partnerorganisationen des IIZ/DVV in den einzelnen Ländern<br />
oder bei deren Kooperationspartnern. Diese Gemeinsamkeiten waren für das Gelingen<br />
der Veranstaltung von großem Vorteil, da für Gruppen typische Probleme,<br />
wie der Intergenerationenkonflikt, gar nicht erst auftreten konnten.<br />
Im Anschluss findet sich ein knapper Programmüberblick, der durch eine ausführliche<br />
Beschreibung der einzelnen Programmpunkte ergänzt wird. Berücksichtigt<br />
werden auch einige Kommentare und Einschätzungen der Teilnehmerinnen und<br />
Teilnehmer. Viele von ihnen haben sich über das Seminar hinaus für die Dokumentation<br />
engagiert und einen Bericht über einen speziellen Programmpunkt<br />
verfasst, der auch oft ihre persönlichen Eindrücke wiedergibt. Häufig war es<br />
notwendig, die Zitate zu übersetzen oder in eine lesbare Form zu bringen. Dies<br />
geschah mit größter Sorgfalt und dem Bemühen, den Inhalt so genau wie möglich<br />
wiederzugeben. Im Vordergrund stand zwar die Dokumentation des Seminars,<br />
aber es wird bereits deutlich, wie vielfältig die vermittelten Methoden waren, von<br />
der Ermittlung eines Stimmungsbildes durch das einfache Blitzlicht bis hin zum<br />
komplexen Rollenspiel.<br />
Im vierten Kapitel findet sich die ausführliche Darstellung von zwanzig Methoden<br />
und Arbeitstechniken aus der politischen Jugend- und Erwachsenenbildung, darunter<br />
Standardmethoden wie die Befragung oder der Workshop. Jede einzelne<br />
16
Das Projekt „Erinnern für die Zukunft“ und seine Ziele<br />
von ihnen wurde im Seminar vorgestellt und meistens selbst von der Gruppe<br />
ausprobiert. Deshalb werden in den Artikeln oft Bezüge zum vorangegangenen<br />
Abschnitt hergestellt. Ein Beispiel dafür sind die „Kicks“, die kleinen Bewegungseinheiten<br />
für zwischendurch. Hier werden die Spiele beschrieben, die im Rahmen<br />
des Seminars durchgeführt wurden. Darüber hinaus gibt es konkrete Tipps zur<br />
Vorbereitung und detaillierte Anleitungen zur Durchführung der komplexeren<br />
Methoden.<br />
Dieses Kapitel ist ein internes Handbuch und stellt ein wichtiges Ergebnis des<br />
Seminars dar. Erst die Durchführung des Seminars zeigte, welche Methoden für<br />
diese Zielgruppe praktikabel waren. Einfache Maßnahmen, wie die Veränderung<br />
der Sitzordnung, waren für einige Teilnehmer nicht selbstverständlich. Auf diese<br />
Weise findet der Einfluss der Teilnehmerinnen und Teilnehmer auf das Seminar<br />
einen direkten Eingang in diese Publikation. Ein wichtiger Aspekt bei der Auswahl<br />
der Methoden war darüber hinaus die finanzielle Machbarkeit. Die meisten der<br />
vermittelten Methoden können kostengünstig durchgeführt werden. Im Ausnahmefall<br />
wird der Versuch gemacht, auf mögliche Einnahmequellen hinzuweisen<br />
(vgl. Abschnitt 4.17).<br />
Dem Ausblick auf die Zukunft des Projekts folgt ein umfangreicher Informationsteil,<br />
der die Weiterbeschäftigung mit dem Thema erleichtern soll. Zur Kontaktaufnahme<br />
mit den beteiligten Initiativen und Organisationen steht ein Adressenverzeichnis<br />
zur Verfügung. Der Anhang enthält Kopiervorlagen von Arbeitsmaterialien, die<br />
im Rahmen des Seminars und des Workshops verwendet wurden. Sie können für<br />
ähnliche Veranstaltungen benutzt werden. Das Abkürzungsverzeichnis erläutert<br />
die im Text gebrauchten Kürzel. Einen Schlusspunkt setzt das Literaturverzeichnis,<br />
das die wichtigsten in der Dokumentation verwendeten Publikationen beinhaltet<br />
und Tipps für eine weiterführende Beschäftigung mit der Thematik gibt.<br />
Danksagung<br />
Ohne die Hilfe zahlreicher Einzelpersonen und Organisationen hätten weder das<br />
Seminar noch die Dokumentation zu einem erfolgreichen Abschluss gebracht<br />
werden können. An dieser Stelle möchten die Herausgeber, Veranstalter und<br />
die Autorin ganz besonders Hans Koschnick, ehemaliger EU-Beauftragter zum<br />
Wiederaufbau von Mostar und ehemaliger Bosnienbeauftragter der Bundesregierung,<br />
Dr. Peter Schwiderowski von der Alten Synagoge Essen, Andreas Müller<br />
von der Geschichtswerkstatt Dortmund, Günther Birkmann von der Gesellschaft<br />
für christlich-jüdische Zusammenarbeit in Dortmund, der Mahn- und Gedenkstätte<br />
„Steinwache“, dem Zeitzeugen Valentin Frank aus Dortmund, dem Zeitzeugen<br />
17
Das Projekt „Erinnern für die Zukunft“ und seine Ziele<br />
Karl-Heinz Fröhlich aus Weimar, Andrea Wagner, der Gleichstellungsbeauftragten<br />
der Stadt Weimar, Stephan Eschler von der Europäischen Jugendbildungs- und<br />
Jugendbegegnungsstätte in Weimar, Daniel Gaede von der Gedenkstätte Buchenwald,<br />
Martin Jakel von der Stadt Witten, René Koroliuk vom DGB-Jugendbildungszentrum<br />
in Hattingen sowie Michael Rüben (IBB), Heiko Hamer (IBB),<br />
Sebastian Welter (IIZ/DVV), Eva R. Schultz (IIZ/DVV) und Christian Bala für ihre<br />
freundliche Unterstützung und Hilfe danken.<br />
Literatur<br />
Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung: Drei Jahre<br />
Stabilitätspakt für Südosteuropa - Bilanz und Perspektiven: Musterbeispiel nicht-militärischer<br />
Sicherheitspolitik. Statement von Bundesentwicklungsministerin Heidemarie<br />
Wieczorek-Zeul auf der gemeinsamen Pressekonferenz mit der KfW, Frankfurt/M., 16.<br />
Juni 2002 (http://www.bmz.de).<br />
Ehmann, Annegret/Rathenow, Hanns-Fred: Nationalsozialismus und Holocaust in der<br />
historisch-politischen Bildung, in: Brinkmann, Annette/Ehmann, Annegret/Milton, Sybil<br />
[et.al.] (Hrsg.): Lernen aus der Geschichte. Projekte zu Nationalsozialismus und Holocaust<br />
in Schule und Jugendarbeit/Learning from history. The Nazi era and the Holocaust<br />
in German education [mit CD-ROM], Bonn 2000, S. 24-54.<br />
Frei, Norbert: Vergangenheitspolitik. Die Anfänge der Bundesrepublik und die NS-Vergangenheit,<br />
München 1996.<br />
Mintchev, Emil: Europa und die Probleme des Balkans. Ein Jahr Stabilitätspakt für Südosteuropa,<br />
in: Internationale Politik 55 (2000), H. 8, S. 53-58.<br />
Schur, Wolfgang: Politische Bildung in der Stabilitätspaktregion. Analysen und Handlungsmöglichkeiten.<br />
Im Auftrag des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit<br />
und Entwicklung. IPE 30. Bonn: IIZ/DVV 2001.<br />
18
2. „Wir brauchen Begegnung“<br />
Hans Koschnick im Gespräch mit Heike Catrin Bala<br />
„Wir brauchen Begegnung“<br />
Hans Koschnick wurde am 2. April 1929 in Bremen geboren. Von 1967 bis<br />
1985 war er Bürgermeister seiner Heimatstadt. Jahrelang gehörte er dem<br />
Bundesvorstand der SPD an. Zudem war er Präsident des <strong>Deutsch</strong>en Städtetages<br />
und Mitglied des Bundestages. 1994 nahm er das Angebot der Bonner Regierung<br />
an, zwei Jahre als Administrator der EU den Wiederaufbau der im jugoslawischen<br />
Bürgerkrieg schwer zerstörten und geteilten herzegowinischen Stadt<br />
Mostar zu organisieren. Im selben Jahr verübten kroatische Extremisten einen<br />
Mordanschlag auf ihn; auch im Februar 1996 wurde ein Attentat auf ihn unternommen.<br />
Ende März 1996 gab Hans Koschnick sein Mandat zurück. Er wurde<br />
Berater der Europäischen Kommission für den freiwilligen Dienst. Von 1998<br />
bis 1999 war er Bosnienbeauftragter der Bundesregierung. In dieser Funktion<br />
organisierte er die Rückführung von Bürgerkriegs-Flüchtlingen. Neben vielen<br />
anderen Mitgliedschaften und Ämtern war er in den letzten Jahren immer wieder<br />
als Schlichter in Tarifkonflikten des öffentlichen Dienstes aktiv. Er ist auch der<br />
Vorsitzende des Vereins „Gegen Vergessen – Für Demokratie“, der unter anderem<br />
zur Aufklärung über die Ursprünge und Strukturen des Nationalsozialismus sowie<br />
über die Geschichte des SED-Regimes beitragen will.<br />
Herr Koschnick, Sie waren nicht nur EU-Administrator der Stadt Mostar, sondern<br />
auch Bosnienbeauftragter der Bundesregierung. In ihren vielfältigen<br />
Funktionen haben Sie die Balkanregion sehr gut kennen gelernt. Welche<br />
Chancen sehen Sie, dass in Ländern, die einerseits eine realsozialistische<br />
Diktatur erlebt und andererseits auch die Erfahrung von Krieg und Gewalt<br />
gemacht haben, heute eine Aufarbeitung der Vergangenheit beginnen<br />
kann?<br />
Es ist das Problem, ob man nur von Vergangenheit sprechen kann. Für die Menschen<br />
des früheren Jugoslawien, die durch Kriegshandlungen aus ihren normalen<br />
Lebensumständen herausgerissen wurden, sind ihre Einzelschicksale zunächst<br />
wichtiger als die allgemeine „Aufarbeitung der Vergangenheit“. Tatsächlich ist<br />
aber eine Friedenslösung auf dem Balkan erst dann umsetzbar, wenn die Fragen<br />
der Vergangenheit einigermaßen objektiv aufgearbeitet sind. Denn ein wichtiger<br />
Teil der Konfliktsituationen zwischen den Menschen ist begründet in Urteilen und<br />
Vorurteilen, die aus der Geschichte abgeleitet wurden. Dies gibt es in jeder Ge-<br />
19
„Wir brauchen Begegnung“<br />
sellschaft. Aber es wird überhaupt keine Friedenssicherung geben, wenn nicht<br />
eines Tages vernünftig über die wirklichen Geschehnisse der Vergangenheit<br />
gesprochen wird. Doch was sind „wirkliche Geschehnisse“? Ich habe Bosniaken,<br />
Serben, Kroaten, Mazedonier, Kosovaren und Montenegriner kennen gelernt, die<br />
alle eine spezifische eigene Wahrheit über ihre Geschichte haben.<br />
Ich werde häufig gefragt: Was ist dort geschehen? Was belastet dort die Menschen?<br />
Wie sind sie dazu gekommen? Können Sie das begreifen? Und ich sage<br />
stets, dass ich es nicht begreifen kann. Ich kann es aber begründen, und zwar immer<br />
aus der Sicht der jeweils Betroffenen. In <strong>Deutsch</strong>land bitte ich die Zuhörer auf<br />
Veranstaltungen immer, wenn sie mir sagen, dass das alles unbegreiflich sei, doch<br />
erst mal die Frage zu beantworten, warum wir zugesehen und nicht aufbegehrt<br />
haben, als Menschen mit denen wir 300, 400 oder 500 Jahre nachbarschaftlich<br />
zusammenlebten, die Bürger waren wie wir, im deutschen Interesse für Kaiser und<br />
Vaterland kämpften, nach 1933 ausgegrenzt, diffamiert und am Ende in Vernichtungslager<br />
geschickt wurden? Wenn man mir darauf eine glaubwürdige Antwort<br />
geben könnte, dann kann man auch Antworten für die Ereignisse auf dem Balkan<br />
finden. Wenn nicht, dann sind wir in der ganz schwierigen Situation, Antworten für<br />
das Verhalten anderer zu suchen, die wir für unser eigenes Volk nicht finden.<br />
Wie meinen Sie das?<br />
Wir arbeiten ja daran, wir forschen. Was die Wissenschaftler und Meinungs bildner<br />
tun, ist nicht identisch mit dem Denken aus der Mitte der Bevölkerung. Aber aus<br />
eben dieser Mitte kommen Fragen: Warum hat man auf dem Balkan weggeschaut?<br />
Warum haben so viele mitgemacht?<br />
Bleiben wir zunächst bei dem Beispiel des Schicksals der Juden in <strong>Deutsch</strong>land:<br />
Als Hitler gewählt wurde oder als er die Macht ausgehändigt bekam von konservativen<br />
Kräften, war <strong>Deutsch</strong>land in der Mehrheit nicht antisemitisch. Drei,<br />
vier Jahre später sah die Welt anders aus. Plötzlich waren sie ausgegrenzt, die<br />
Nachbarn von einst. Und wenn wir hier keine Antwort finden können, wie das passieren<br />
konnte, sind wir dann in der Lage für andere eine Antwort zu geben, was<br />
in ihrem Land los war? Das ist mein Problem. Ich habe deswegen wo immer ich<br />
zu den Krisen und Exzessen auf dem Balkan zu sprechen habe, nie von Schuld<br />
gesprochen. Auf meinen Schultern lastet Auschwitz mit. Ich war zuvor nicht daran<br />
beteiligt, aber ich bin ein Teil dieser Nation, die verantwortlich dafür ist. Und kann<br />
immer noch keine Antwort darauf geben, kann es immer noch nicht begreifen,<br />
warum so viele mitgelaufen sind oder weggeschaut haben, gar nicht unmittelbare<br />
20
„Wir brauchen Begegnung“<br />
Täter waren, aber mittelbar das alles geduldet haben. Und nun erwartet ihr, ich<br />
soll dem Kroaten, dem Bosniaken oder dem Kosovaren sagen: „Ich begreife nicht,<br />
wie du das tun konntest?“ Wenn ich nicht mal in der Lage bin zu begreifen, was<br />
mein eigenes Volk getan hat?<br />
Viele Teilnehmerinnen und Teilnehmer haben während des Seminars den<br />
Eindruck gewonnen, dass die <strong>Deutsch</strong>en bereits die Antworten auf diese<br />
Fragen gefunden hätten. Gedenkstätten wie die Alte Synagoge in Essen oder<br />
das frühere Konzentrationslager Buchenwald in der Nähe von Weimar galten<br />
als beispielhaft. Was wir zu vermitteln versuchten war aber, dass diese<br />
Einrichtungen auch nicht in der unmittelbaren Nachkriegszeit entstanden<br />
sind. <strong>Deutsch</strong>land hat dafür Jahrzehnte gebraucht. Solche Prozesse sind<br />
auch immer abhängig vom Geschichtsbild und Geschichtsverständnis. Welches<br />
Geschichtsbild denken Sie, haben die Menschen auf dem Balkan?<br />
Hans Koschnick<br />
21
„Wir brauchen Begegnung“<br />
Wissen Sie, welches Ereignis am 16. Juli 1054 stattfand? 80 bis 85 Prozent der<br />
Bevölkerung auf dem Balkan kann mit dem Tag etwas anfangen. Es war das<br />
große Kirchenschisma, die Trennung der byzantinischen und römischen Kirche.<br />
Bleiben wir im Mittelalter: 1204 wurde Konstantinopel von Venedig und Rom<br />
erobert. Die römische Kirche wollte sich durchsetzen. Und seither gibt es in der<br />
gesamten orthodoxen Welt die Vorstellung, dass diese Invasion des Papstes und<br />
Venedigs die Einfalltüre geöffnet habe für Einbruch des Islam in Europa, für den<br />
Mongolensturm, für die Tatarenherrschaft in Osteuropa. Und immer, wenn Sie<br />
heute mit einem der großen orthodoxen Kirchenführer sprechen, verlangen diese<br />
eine Entschuldigung für 1204. Ich persönlich bin Protestant, doch das zählt für sie<br />
nicht, damals waren wir ja noch in einer römisch-katholischen Kirche.<br />
Dies soll zeigen, wie geschichtsbesessen dort auf dem Balkan die Menschen sind.<br />
Viele werden kaum etwas von der modernsten Zeit wissen, aber können genau<br />
sagen, was 1054, 1204, 1389 – Schlacht auf dem Amselfeld – war. Sie wissen<br />
alles von den Türken vor Wien, den zwei Belagerungen, den Freiheitskämpfen,<br />
aber die neuere und neueste Zeitgeschichte fällt dabei zurück. Sollen wir als<br />
<strong>Deutsch</strong>e jetzt sagen: Donnerwetter, das wollen wir aber gar nicht wissen. Wir<br />
verstehen doch einige der heutigen Handlungsweisen nur, wenn wir wissen, was<br />
in der Vergangenheit vorgefallen ist. Zwar waren das im 19. und 20. Jahrhundert<br />
keine religiösen Konflikte mehr, wohl aber nationalistische.<br />
Mit Napoleon und der Französischen Revolution kam die Idee der Nation auch auf<br />
den Balkan; früher waren die konfessionellen Bindungen maßgeblich. Man war<br />
orthodox, ob serbisch oder bulgarisch; man war römisch-katholisch; man war, ab<br />
dem 14. Jahrhundert, auch zum Teil moslemisch. Und nun kommt die neue Idee<br />
der Aufklärung, die in der Orthodoxie und im Islam nicht Fuß fassen konnte, auf<br />
diesen Balkan. Diese neue Idee, die Französische Revolution, die Nationswerdung,<br />
im Sinne der Franzosen, nicht etwa nur als Idee von Gleichheit, Freiheit und<br />
Brüderlichkeit, sondern auch von einem staatlich bestimmten Nationalbezug. Dieser<br />
Umstand wurde von den Medien nie thematisiert; die haben aus den Konflikten<br />
zwischen Serben, Kroaten und anderen in der Regel religiöse Konflikte gemacht.<br />
Die gab es aber viel früher, sie waren nicht Ursache der jüngsten Krise.<br />
Wenn Sie also von den Vorprägungen sprechen, kommen sie auf dem Balkan<br />
ohne diese Geschichtskenntnisse nicht aus. Sie müssen sie nicht akzeptieren,<br />
aber bleiben Bestand dafür, warum so entschieden wird, wie entschieden wird.<br />
Ich war im Mai 1994 erstmals in Mostar, mit dem Auftrag, die Menschen wieder<br />
zur gemeinsamen Tat zusammen zu führen, die Stadt wieder aufzubauen. Bevor<br />
die letzten internationalen Verhandlungen abgeschlossen waren, führte ich dort<br />
22
„Wir brauchen Begegnung“<br />
die notwendigen Gespräche. Ich hatte die Aufgabe, zwei Armeen aus der Stadt<br />
herauszubringen. Dann ging es darum, der zivilen Bevölkerung zu helfen. Deshalb<br />
habe ich mit den damaligen Eliten vor Ort sprechen müssen. Die wollten aber von<br />
mir zunächst nicht wissen, wann mehr Verpflegung, wann mehr Medikamente<br />
kommen, wann mit der Aufbauhilfe zu rechnen sei; sie wollten von mir Bekenntnisse.<br />
Sie wollten wissen, warum es zur Spaltung der Christenheit gekommen ist, sie<br />
wollten wissen, was 1204 passiert ist; sie wollten wissen was die Türken auf dem<br />
Amselfeld oder vor Wien wollten. Sie wollten all das erst wissen, um festzustellen<br />
wo ich stehe und ob sie mit mir offen reden konnten. Sie wollten Bekenntnisse.<br />
Weder Wahrheit, noch Hilfe, noch sonst etwas Materielles, sondern Bekenntnisse.<br />
Bekenntnisse, die genau in ihr Kollektivbewusstsein hineinpassten. Und das war<br />
nicht nur 1994 so, sondern blieb auch später wichtig. Nach der ersten Diskussion<br />
habe ich abends noch zu Hause angerufen und meine Frau gebeten, sie solle<br />
mir doch schnell Rankes „Geschichte der Päpste“ schicken. Meine Frau dachte,<br />
ich hätte einen Klaps. Bis man zu Hause begriffen hatte, wie wichtig es ist, diesen<br />
Teil der Geschichte zu kennen. Jeder interpretiert sie anders, jeder hat eine<br />
andere Sichtweise, die früher mündlich weitergegeben wurde. Über Großvater zu<br />
Großvater zu Großvater.<br />
Also haben die verschiedenen Ethnien und Volksgruppen ihr eigenes<br />
Geschichtsbild.<br />
Da differenzieren Sie schon mehr als die meisten Journalisten. Der gesamte<br />
Balkan von Slowenien bis Mazedonien, einschließlich Bulgarien, war grundständig<br />
slawisch besiedelt. Es gibt keine serbische, kroatische, bosnische oder<br />
bulgarische Ethnie; sie alle waren Slawen und haben sich nationalistisch zu<br />
Volksgruppen entwickelt. Rumänien und Ungarn waren dagegen nicht slawischer<br />
Abstammung; die Kosovaren und Albaner waren Illyrer, also nicht slawisch. Jetzt<br />
werden Ethnie und Volksgruppe oft verwechselt; der Begriff der Volksgruppe ist<br />
viel zutreffender. Die meisten Sprachen dieser Region basieren auf der altslawischen<br />
Kirchensprache; man kann also miteinander kommunizieren, auch wenn<br />
die Schrift unterschiedlich ist. Die Volksgruppe entstand mit der Entscheidung,<br />
sich zu einer Nation zu bekennen. Und deswegen sind die Konflikte nationalistisch<br />
begründet; es waren meistens nationalistische Säuberungen, keine ethnischen.<br />
Der Wille, das Bekenntnis zur Nation waren bedeutsam. Das muss man<br />
verinnerlichen, um überhaupt verstehen zu können, was die Menschen prägt.<br />
Deswegen ist der Balkan nur zu verstehen wenn man die wichtige Grundsubstanz<br />
der geschichtlichen Befangenheit kennt. Zuerst war die Spaltung religiös, dann in<br />
23
„Wir brauchen Begegnung“<br />
den letzten 150 Jahren nationalistisch. Das war die erste Erkenntnis, die ich nach<br />
1994 gewonnen habe.<br />
Die zweite ist: Da diese Ereignisse in der Regel nicht in historischen Werken überliefert<br />
werden, von ernsthaften Wissenschaftlern, sondern auf Überlieferungen<br />
beruhen, hat darüber nie eine ernsthafte wissenschaftliche Diskussion auf dem<br />
Balkan stattgefunden.<br />
Auch die Teilnehmerinnen und Teilnehmer unseres Seminars haben sich dahingehend<br />
geäußert. Sie hätten gern ein breiteres Geschichtsverständnis in<br />
ihren Ländern. Das schließt auch eine Aufarbeitung der neueren Geschichte<br />
ein.<br />
Aber die alte Geschichte spielt in die neuere Geschichte hinein: Ich verabschiedete<br />
mich, als ich in Mostar Schluss machte, 1996 in Dubrovnik. Der dortige<br />
Stadtpräsident, ein überzeugter Kroate, ein sehr ordentliches Stadtoberhaupt,<br />
HDZ-Mitglied, Mitglied im Parlament in Zagreb, also hinreichend national durchwirkt,<br />
bat mich beim Abschied doch mal ein klares Wort gegen die „barbarischen<br />
Attacken“ der Montenegriner gegen Dubrovnik zu sagen. In der Geschichte wurde<br />
die Stadt sechs- bis siebenmal überfallen, die Vororte jedes Mal zerstört, die<br />
Großmauern hatten gehalten. Und es war in meinen Augen auch unbestritten<br />
barbarisch, was sich an Zerstörungswut zeigte. Ich sagte: „Kann ich wohl machen,<br />
lieber Freund, wenn du sagst, wie oft ihr Dubrovniker in Montenegro ward, um dort<br />
‚für Ordnung zu sorgen’“. Wissen Sie, was dann passiert ist? Er schaute mich an<br />
und sagte: „Ach Gottchen, lass uns lieber Essen gehen.“<br />
Dies hätte ich in Zagreb, in Sarajewo, in Belgrad und auch in Sofia gleichermaßen<br />
so erfahren. Jeder nimmt nur das Leid des eigenen Volkes wahr, weiß was seiner<br />
Familie, seinem Dorfe angetan wurde. Man will aber nicht wahrhaben, dass man<br />
selbst in vielen Konflikten die handelnde, die treibende Kraft war.<br />
Der einfache Mann ist genau in dieser Geschichte beheimatet. Nur zu der Zeit, als<br />
sich urbane Zentren auf dem Balkan entwickelten, konnte man eine europäische<br />
Form der Geschichtsschreibung vermitteln. Damals waren die Städte mit guten<br />
Schulen und einem vernünftigen Geschichtsunterricht ausgestattet. Aber beispielsweise<br />
in Ostkroatien haben die Dörfer Schulen wie 1914 gehabt. Das heißt<br />
wenig Lehrer, wenig hinreichendes Material, ergo wurde die Geschichte nicht in<br />
der Schule vermittelt, sondern vom Großvater. Und die orale Geschichtsvermittlung<br />
ist die Geschichte des Leidens, vielleicht auch mal die einer schönen Sache,<br />
wenn beispielsweise ein Mädchen einen reichen Bauern geheiratet hat. Aber im<br />
24
„Wir brauchen Begegnung“<br />
Wesentlichen war das immer nur Leidensgeschichte. Und über Jahrhunderte ist<br />
das prägend geblieben.<br />
Im August 1945 hat Tito dann einen Deckel auf die Geschichte gelegt, soweit es<br />
um das Nationalbewusstsein ging. Er kannte die Spannungen zwischen den Balkan-Nationen.<br />
Heute verdrängen die neuen Nationen die Idee und Geschichte von<br />
Jugoslawien. So ist vergessen, dass es Bischof Josip Juraj Štrosmajer (Joseph<br />
Georg Strossmayer) war, der die Ideen einer Vereinigung der südslawischen Völker<br />
als dritte Kraft in Österreich-Ungarn hatte. Er hat eine Fülle von Denkmälern,<br />
aber keiner wird ihnen heute sagen, dass er der Erfinder der Idee von Jugoslawien<br />
war, weil man dieses Jugoslawien nicht mehr wahrhaben will.<br />
Die Staatsgründung nach 1919 wurde dann problematisch, weil die Serben sofort<br />
versuchten zu dominieren. Sie hatten als einzige vorher einen souveränen Staat<br />
bilden können – alle anderen waren ja Teile der Vielvölkerimperien gewesen.<br />
Aus diesem Streit um die Dominanz ist der Krach zwischen Serben und Kroaten<br />
entstanden.<br />
Die serbokroatische Sprache war damals eine gesuchte und gefundene, von Professoren<br />
aus Belgrad und Zagreb in Wien entwickelte Sprache. All das ist nun<br />
vorbei, wird verdrängt, existiert nicht mehr. Die Spannungsverhältnisse des Königreiches<br />
der Serben, Kroaten und Slowenen, später Königreich Jugoslawien, führten<br />
zum Zusammenbruch des Staates als <strong>Deutsch</strong>e und Italiener einmarschierten.<br />
Es folgte eine extreme Nationalbestimmung; kroatische Ustascha (Ustaša) und<br />
moslemische Handjar-Verbände einerseits, sowie serbische Tschetniks (Četnici)<br />
andererseits, brachten sich gegenseitig um. Und als das Morden nach Kriegsende<br />
nicht zu Ende war – sondern jetzt die Partisanen mit den Nationalverbänden<br />
abrechneten, die vorher die Partisanen verfolgt hatten – entschied Tito im August<br />
1945, dass alles, was passiert war, als Ergebnis der deutsch-italienischen Invasion,<br />
als Aggression darzustellen sei. Danach handele es sich nicht mehr um einen<br />
Bürgerkrieg und deswegen sprach man nur noch vom neuen Jugoslawien, das<br />
man gemeinsam befreit und rückerobert habe, Brüderlichkeit und Einigkeit binde<br />
alle zusammen. Die Völker sollten, das war eine Schlussfolgerung aus der Zeit<br />
des Königreichs, von nun an die gleichen Rechte haben.<br />
Von da an wurde in den Schulen die jüngere Geschichte nicht mehr gelehrt; das<br />
neue Jugoslawien begann 1945/46. Da die alte Leidensgeschichte aber orale<br />
Überlieferung war, blieb sie bei den Völkern in den Köpfen, auch wenn sie nicht<br />
mehr öffentlich besprochen, nicht mehr gelehrt wurde.<br />
25
„Wir brauchen Begegnung“<br />
Und nach 1990 ist das dann wieder aufgebrochen?<br />
Genau, die einen haben diese Geschichte genutzt, um gegen die anderen<br />
zu kämpfen. Jene, welche die Gemeinsamkeiten betonten, wurden zu einer<br />
Minderheit. Die Verlierer von 1945 wurden zu Siegern, und die Sieger von 1945<br />
zu den Verlierern. Der ganze Balkan ist zerrissen. Es gibt für die Einen, die „gute“<br />
Zeit eines gemeinsamen Jugoslawiens; aber die meisten beschwören die Tage<br />
des Nationalen. Doch viele sagen heute: „Warum haben wir uns so zerstritten, so<br />
schlecht ging es uns doch nicht? Heute geht es uns doch schlechter.“<br />
Also gibt es auch wieder Annäherungen, Ansätze zur Zusammenarbeit. Ist<br />
das eine positive Möglichkeit, sich gemeinsam die Geschichte anzueignen?<br />
Oder sollte jede Volksgruppe dies für sich tun?<br />
Ob das positiv ist oder nicht, weiß ich nicht. Aber die Menschen werden es tun,<br />
weil die Eliten vielfach die Gestrigen sind. Die brauchten für die Begründung des<br />
Krieges die gestrigen Antworten. Als Jugoslawien zerfiel, war es ein Staat mit<br />
sehr unterschiedlich geprägten und gleichermaßen unterschiedlich strukturierten<br />
Republiken; aber es gab ein Curriculum für die schulische Ausbildung, eine gemeinsame<br />
Vorstellung davon, was gelehrt werden sollte. Jetzt haben wir sieben<br />
Staaten und alle sieben haben ganz spezifische Lehrpläne.<br />
Sie beginnen mit der Sprache, die sie wieder aufbröseln und zu den alten Sprachen<br />
zurückentwickeln. In Serbien, Bosnien oder Kroatien wird die Literatur<br />
hervorgehoben, die unter Tito verboten war, weil er eben nicht die nationalen<br />
Gegensätze wollte. Mit Verboten schafft man das aber nicht, das war ja eines der<br />
großen Irrtümer seiner Politik.<br />
Von daher werden Sie eins erleben: Was die jungen Leute wollen, ist das eine.<br />
Die Staaten werden zunächst ihren eigenen nationalen Weg weitergehen. Was<br />
wir als Vertreter der internationalen Gemeinschaft anbieten können, ist möglichst<br />
vielen jungen Meinungsbildern, Journalisten, Lehrern und so weiter dabei zu helfen,<br />
den Kopf von dem gestrigen Quatsch freizukriegen, und einen eigenen Weg<br />
zu suchen.<br />
Dies ist auch der Ansatz unseres Projektes, die Möglichkeit in einer neutralen<br />
Umgebung die Voraussetzung für einen Dialog über die Vergangenheit<br />
zu schaffen.<br />
26
„Wir brauchen Begegnung“<br />
Ja, das was Sie machen ist genau richtig. Ähnliches habe ich in Mostar versucht.<br />
Da ich es in der Stadt nicht erreichen konnte, habe ich mir Angehörige aller drei<br />
Seiten geholt und wir sind nach Kroatien, Slowenien oder ins Ausland gefahren,<br />
Österreich, <strong>Deutsch</strong>land, Belgien oder die Schweiz. Und wenn sie einmal zusammen<br />
waren, dann sprachen sie miteinander wie früher, tauschten sich aus und<br />
erkundigten sich nach den Familien des anderen. So wie wir wieder nach Mostar<br />
kamen, war das Gespräch wieder zu Ende; die Angst, dafür zur Rechenschaft<br />
gezogen zu werden, war wieder da. Die anderen könnten ja sehen, dass man<br />
dabei war, ein neues Nebeneinander zu organisieren.<br />
Es müssen also Organisationen von außerhalb helfen, die Dialogfähigkeit<br />
wiederherzustellen?<br />
Genau, das ist eine Möglichkeit. Es gibt eine Organisation, die heißt „Schüler<br />
helfen leben“. Sie wurde in Rheinland-Pfalz gegründet und hat heute viele deutsche<br />
Schulen erfasst. Die Abiturienten gehen für ein oder ein dreiviertel Jahr<br />
auf den Balkan. Sie haben schon vieles erreicht in der Hilfe für ein Miteinander.<br />
Sie haben festgestellt, dass es in Bosnien einen Platz gibt, an dem man junge<br />
Menschen aller Nationen zusammenführen kann, ohne dass jemand sie bedroht:<br />
Sarajewo. Dort haben sie ein gemeinsames Jugendzentrum eingerichtet, Zeitungen<br />
in kyrillischer und lateinischer Schrift gedruckt und gemeinsame kulturelle<br />
Veranstaltungen gemacht.<br />
Dies ist auch aktive Geschichtsaufarbeitung, denn es löst den vorgestellten<br />
Gegensatz auf, von dem man glaubt, dass er seit tausend Jahren besteht. Ich<br />
kann den jungen Leuten doch heute wirklich kaum begreiflich machen, dass die<br />
Sache 1054 eigentlich ein Streit zwischen Pfaffen war, römischer oder orthodoxer<br />
Prägung. Ob der Heilige Geist nun von Sohn und Vater oder nur vom Vater ausgegangen<br />
ist, war der Streitpunkt. Das sind Dinge, die ich in einem Gespräch mit<br />
jungen Meinungsbildnern selbst nicht auflösen kann. Man kann ihnen nur dabei<br />
helfen einen klaren Kopf zu behalten, indem man ihnen bewusst macht, dass ein<br />
Teil dessen was war, richtig und falsch zugleich ist. Die Jahreszahlen stimmen,<br />
aber die Zusammenhänge hat jede Nation, hat jeder Großvater aus den Erlebnissen<br />
seiner Zeit weitergetragen und trägt sie noch immer weiter. Und die einzige<br />
Antwort, die es geben kann, ist: Führt die jungen Menschen zusammen, lasst sie<br />
miteinander sprechen und gebt ihnen ganz allmählich die Kraft, selbst zu suchen<br />
und selbst zu ihrer Antwort zu finden.<br />
27
„Wir brauchen Begegnung“<br />
Dann wird auch die Frage aufkommen, ob das, was passiert ist, eigentlich vernünftig<br />
war. Ist Krieg eigentlich eine Antwort auf unsere Fragen von heute? Ist<br />
unser Leben heute vielleicht auch deshalb so „bescheiden“, weil der Konflikt im<br />
Überschwang von Gefühlen unreflektierter Vergangenheit entstanden ist? Bringt<br />
die Menschen zusammen, man kann ihnen nicht ihre Geschichte vorschreiben.<br />
Was wir können, ist ihnen zu helfen nachzufassen, ernsthaft zu prüfen was ist;<br />
bewerten, was ist Überlieferung und was ist Vorurteil. Wir brauchen Begegnung<br />
und offene Aussprache.<br />
Man muss die jüngeren Menschen dazu gewinnen, den Sprung über diese Hürde<br />
zu wagen. Das kann man, wenn man sie zusammen rausbringt, wenn sie Wege<br />
finden, miteinander fertig zu werden. Deshalb ist der Weg, den die Initiative in Sarajewo<br />
einschlagen hat, der richtige Weg. Nehmt euch Leute, die aufgeschlossen<br />
genug sind, selbst nachzudenken. Sie werden am Ende nicht die alten Vorurteile<br />
weitertragen wollen.<br />
Frieden kann nur dann erreicht werden, wenn es einen Austausch zwischen den<br />
Individuen gibt. Man redet immer von Friedensverträgen, aber der Vertrag von<br />
Dayton ist, wie viele andere, zunächst nur ein Waffenstillstandsvertrag. Sie können<br />
mit fremden oder eigenen Truppen erzwingen, dass kein Krieg geführt wird,<br />
dass nicht mehr gemordet und vertrieben wird, aber dass die Menschen sich<br />
mögen, akzeptieren, das können sie nicht erzwingen. Frieden ist aber nur da,<br />
wo man den anderen in seinem Anderssein akzeptiert, nicht, weil er so ist, wie<br />
ich bin. Wenn ich den anderen akzeptieren will, dann muss ich jeden Einzelnen,<br />
mich und ihn, überzeugen, den Weg gemeinsam zu gehen; erst dann herrscht<br />
Frieden. Das was Sie, das IIZ/DVV und das IBB, gemacht haben, ist so etwas: ein<br />
Schritt hin zu einer konkreten Friedenswirklichkeit. Das war auch mein Versuch in<br />
Mostar: es möglich zu machen, dass Menschen sich begegnen, dass sie wieder<br />
in ein Gespräch kommen.<br />
Aber das bedeutet auch, dass Europa in der Verantwortung ist, sich langfristig<br />
in der Balkanregion zu engagieren. Das Problem mit solchen Begegnungen<br />
ist, dass man nicht langfristig planen kann, da die Finanzierungen<br />
immer ungesichert sind.<br />
Nun ja, dafür sollte Geld da sein. Es gibt ja den Stabilitätspakt für Südosteuropa,<br />
der drei verschiedene „Arbeitstische“ hat: 1) Aufbau einer Zivilgesellschaft,<br />
2) Ökonomischer Aufbau und 3) Sicherheitspolitik und Rechtsstaatlichkeit. Im ersten<br />
Bereich – Demokratisierung und Menschenrechte – werden die Fragen, die<br />
28
„Wir brauchen Begegnung“<br />
Sie ansprechen, behandelt. Da gibt es durchaus noch Mittel und auch zu verteilen.<br />
Dort ist nicht gekürzt worden. Das Problem ist nur, da schon sehr viele Programme<br />
laufen, ist es schwierig, ein Programm durchzubekommen. Nicht zuletzt auch<br />
deshalb, weil die Bürokratie ein Abrechnungs- und Formularwesen etabliert hat,<br />
für das man eigentlich eigene Buchhaltungskräfte benötigt – aber das ist eine<br />
andere Frage. Für die Entwicklung der Zivilgesellschaft, das Zusammenleben als<br />
Europäer in Europa, stehen also noch Mittel zur Verfügung.<br />
Dies ist auch noch ein Punkt: Als ich nach Bosnien-Herzegowina kam, hieß es:<br />
„Mal sehen, was Ihr Europäer könnt.“ Ich habe mich immer gefragt, was das heißen<br />
soll. Ist der Balkan etwa nicht Europa? Seid ihr etwa keine Europäer? Ich habe<br />
dann klargestellt, dass ich nicht gekommen bin, um für sie, sondern mit ihnen zu<br />
arbeiten. Die Menschen müssen selber mit anpacken. Meine Aussage war: Unheil<br />
und Krieg, das habt ihr gemeinsam angerichtet, also müsst ihr es auch gemeinsam<br />
bewältigen; ich helfe dabei mit. Aber nicht für euch, sondern mit euch.<br />
Dazu gehört aber auch die eigenen Grenzen zu kennen, zu wissen, wo man<br />
sich einmischt und wo nicht. Vielleicht auch, gerade in der Aufarbeitung der<br />
Geschichte, die eigenen Defizite nicht zu verschweigen. Es hat gedauert,<br />
bis man sich im Nachkriegsdeutschland mit der Vergangenheit und der<br />
Aussöhnung mit den Nachbarn beschäftigte. Sollte man auch vermitteln,<br />
dass solche Prozesse Zeit und Geduld erfordern?<br />
Ich weiß nicht, wie alt Sie sind, aber in meinen Augen noch sehr jung. Ich habe<br />
genug Jahre auf dem Buckel, um mich noch zu erinnern, wie ich aus der<br />
Kriegsgefangenschaft kam und den Aufbau Westdeutschlands erlebt habe. Wenn<br />
Sie 1947 einem Flüchtling oder einem normalen <strong>Deutsch</strong>en gesagt hätten, dass<br />
wir mit den Polen in absehbarer Zeit so zusammenleben werden, wie es heute<br />
geschieht, und das gleiche den Polen gesagt hätten, dann wäre man günstigen<br />
Falls für verrückt erklärt worden. Wahrscheinlich wäre man als unzurechnungsfähig<br />
oder national empfindungslos beschimpft worden.<br />
Wir brauchten fünfzig Jahre, um das Klima auf beiden Seiten so zu verändern,<br />
dass wir mit überwiegender Mehrheit sagen können, wir können in Europa gut<br />
neben- und miteinander leben. Fünfzig Jahre! Der Krieg auf dem Balkan ist kein<br />
Jahrzehnt zu Ende, im Kosovo dauerte er sogar bis 2001 an. Warum waren bei<br />
uns fünfzig Jahre notwendig? Ich sage Ihnen, man braucht zwei Generationen<br />
zum tragfähigen Abstand. Die hauptsächlich betroffene Generation tut sich ganz<br />
schwer. Die zweite Generation musste sich mit den neuen Aufgaben, aber auch<br />
29
„Wir brauchen Begegnung“<br />
Belastungen auseinandersetzen. Erst in der dritten Generation ist ein weitgehend<br />
vorurteilsfreies Zusammenleben möglich.<br />
Nun kann man sich aber nicht hinsetzen und drei Generationen lang abwarten.<br />
Man muss jetzt, wie Sie es getan haben, anfangen. Wir brauchen einen langen<br />
Atem. Europa muss zur Sicherung der zivilen Strukturen einiges tun, damit die<br />
Menschen freier denken und handeln können. Man muss ihnen Zeit geben und<br />
dort anfangen, wo Versäumnisse sind.<br />
Zum Beispiel in der Schule. Das, was nach 1985 in der nationalistischen Phase<br />
in der Schule und der Universität vermittelt worden ist, bleibt noch lange erhalten.<br />
Als ich nach der Kriegsgefangenschaft in die Ausbildung ging, wurde an den deutschen<br />
Schulen bis 1950 kein Geschichtsunterricht gegeben. Weil auch die Lehrer,<br />
die wir hatten, zu lange im anderen System waren. Dieses System dauerte 12<br />
Jahre, die DDR überdauerte vierzig Jahre. Lehrer, die so lange dort unterrichtet<br />
haben, und ihre eigenen Freiheitsräume auch immer mehr eingeschränkt sahen,<br />
die sollen nun über Nacht in der Lage sein, westliche Demokratie näher zubringen?<br />
Das ist in Jugoslawien nicht viel anders als in der ehemaligen DDR.<br />
Stimmt, als wir uns der DDR-Geschichte gewidmet haben, haben die Teilnehmerinnen<br />
und Teilnehmer gesagt: „Das kennen wir alles. Genauso war<br />
es bei uns auch.“<br />
Genau, man ist auch noch immer im alten Denken verhaftet. Ich versuchte in<br />
Mostar, einen Kindergarten für die lokalen Mitarbeiter zu organisieren. Ich stellte<br />
drei Frauen und Männer aus allen drei Bevölkerungsgruppen ein; ihnen wollte ich<br />
gemeinsam helfen. Als der Kindergarten fertig war und ich ihn kurz vor meiner<br />
Abreise besuchte, standen die Kindergärtnerinnen da und sagten: „Lauter brave<br />
Kinder; tun was wir ihnen sagen, gehorchen aufs Wort. Wir haben keine Schwierigkeiten.“<br />
Aber genau deswegen habe ich den Kindergarten nicht bauen lassen.<br />
Ich wollte es anders haben, die Gören sollten spielen, ausgelassen sein. Nein,<br />
das war man nicht gewohnt. Alle hatten die gleiche Kindergärtner-, Lehrer- und<br />
Erzieherausbildung und hielten sich an das Eingeübte. Ich werfe ihnen das ja nicht<br />
vor. Das aber umzuwälzen geschieht nicht in kurzer Zeit. Deshalb muss man jetzt<br />
mit den jungen Leute zusammenarbeiten und ihnen andere Wege aufzeigen. Und<br />
wenn die den Kopf freihaben, dann kommen wir auch zum Frieden. Das ist die<br />
einzige Methode.<br />
30
„Wir brauchen Begegnung“<br />
Ist das auch auf andere südosteuropäische Länder übertragbar, die Diktaturerfahrungen<br />
hatten, wie Rumänien und Bulgarien?<br />
Sie haben zwei Erlebnisse nicht: Erstens den internationalen Krieg und zweitens<br />
die nationale Spaltung. Aber ansonsten gibt es ähnliche Mechanismen, auch die<br />
Ausgrenzung, zum Beispiel der Roma und Sinti. Wir haben also die Probleme<br />
auf dem ganzen Balkan. Je mehr die jungen Menschen darüber nachdenken,<br />
dass das der falsche Weg ist, dass ein anderer Weg zu gehen ist, desto besser<br />
wird es.<br />
Die Rumänen und Bulgaren haben auch nicht solche Komplexe mit ihrer nationalen<br />
Geschichte, wie die Bosniaken, Serben, Kosovaren, Mazedonier oder<br />
Kroaten. Die Bulgaren stehen zur russischen Geschichte; der Zar hat sie befreit<br />
von den Türken. Rumänien hat eine brutale Diktatur unter Nicolae Ceauçescu zu<br />
verarbeiten, aber ansonsten sind es ähnliche Probleme und Herausforderungen.<br />
Wenn man die Nationalkonflikte abzieht, bleibt immer noch die Frage, wie stark<br />
die Menschen in der Vergangenheit verankert sind.<br />
Man muss in der ganzen Region neue Formen der pädagogischen Vermittlung<br />
lehren und die beste Methode ist, nicht zu sagen, wir wissen es besser, sondern<br />
wir bieten Möglichkeiten. Man darf nicht mit einer Erfolgsgeschichte als Vorbild<br />
daherkommen. Wir brauchten fünfzig Jahre; die Balkanvölker hatten erst sechs,<br />
sieben Jahre Zeit. Das einzige ist zu zeigen, wie es anders sein kann und auch<br />
Rückschläge hinzunehmen.<br />
Mit den Menschen, die in Mostar für Rechtspflege zuständig waren, sind wir in die<br />
Schweiz gefahren und haben ihnen die Kantone gezeigt. Sie sahen wie Kooperation<br />
auch zwischen unterschiedlichen Sprachgruppen funktioniert und sie kamen<br />
beeindruckt wieder. Mit den Verantwortlichen für Innenpolitik und der Polizei waren<br />
wir in Belgien, um zu zeigen wie Flamen, Wallonen, <strong>Deutsch</strong>e zusammenleben,<br />
auch wenn der Staat nicht gut funktioniert. Man kann zusammenleben, nicht konfliktfrei,<br />
aber es geht. Am letzten Tag, die bosnische Gruppe hatte alles gesehen,<br />
die Teilnehmerinnen und Teilnehmer waren beeindruckt, hatten zivile Staatlichkeit,<br />
große Vorträge gehört, da erleben sie eine Bauerndemonstration in Brüssel. Wie<br />
die Bauern so sind, haben sie Wagenladungen mit Mist und Kohlköpfen vor die<br />
EU-Institutionen gekippt. Die Brüsseler Polizei kam normal zum Einsatz mit Knüppeln<br />
und Wasserwerfern. Auf die Frage, was hat euch in Brüssel, in Belgien gut<br />
gefallen, welche Lehren habt ihr gezogen, kam die Antwort aller drei Seiten: „Wir<br />
brauchen auch Wasserwerfer.“ Sie riefen nach dem starken Staat. Da fragt man<br />
31
„Wir brauchen Begegnung“<br />
sich wirklich, ob das alles wahr sein kann. Aber sie hängen nun mal noch immer<br />
an ihren alten Staatsvorstellungen.<br />
Es ist ein mühseliges Bohren harter Bretter, aber es ist notwendig. Ja zu dieser<br />
Methode, ja zu diesem Weg der Begegnung. Versucht das nicht nur ein- oder zweimal,<br />
sondern regelmäßig zu machen. Das ist auf lange Sicht äußerst wichtig.<br />
Unser Seminar endete damit, dass man den nationalen Wegen nur eine geringe<br />
Überlebenschance zugesteht. In 15 Jahren habe man vielleicht wieder<br />
einen gemeinsamen Staat, vielleicht werde man sogar mit Rumänen, Albanern<br />
und Bulgaren gleich einen Balkanstaat gründen.<br />
Das sind eine ganze Menge junger Menschen, die so denken. Ich war in Sarajewo<br />
unter serbischem Beschuss, aber ich musste zum Präsidenten. Nun ja, mutig ist<br />
das nicht zu nennen, wohl aber Dienst ist Dienst. Abends saß ich unter Feuer der<br />
serbischen Geschütze mit Studenten aller drei Bevölkerungsgruppen zusammen.<br />
Und die sagten: „Koschnick, wenn der ganze Scheiß vorbei ist, dann wird Sarajevo<br />
wieder eine multinationale Stadt, wir sorgen dafür. So weit wie heute darf es nie<br />
wieder kommen.“<br />
Als der Krieg dann vorbei war, kamen die alten Eliten wieder an die Macht, die<br />
Flüchtlinge kamen mit ihren Erlebnissen aus den Dörfern in die Stadt. Es wurde<br />
nichts aus der Wiederkehr des multinationalen Lebens und die jungen Leute von<br />
damals sagen mir heute: „Koschnick, besorg mir ein Visum.“ Sie wollen raus. Das<br />
ist die Wirklichkeit.<br />
Herr Koschnick, ich bedanke mich für dieses Gespräch.<br />
32
3. Dokumentation des Seminars<br />
3.1 Biografien<br />
Teilnehmerinnen und Teilnehmer<br />
Dokumentation des Seminars<br />
Nadja Bulat, Belgrad (Serbien-Montenegro)<br />
wurde am 22. Januar 1976 in Belgrad geboren. An der Universität in Belgrad studiert<br />
sie Erwachsenenbildung. Seit 2001 arbeitet sie für das Belgrader Projektbüro<br />
des IIZ/DVV.<br />
Hana Cirikovic, Sarajevo (Bosnien-Herzegowina)<br />
wurde am 27. Mai 1976 in Hannover (<strong>Deutsch</strong>land) geboren. In Sarajevo studierte<br />
sie Soziologie. Dort arbeitet sie nun am staatlichen „Institut für Statistik“. Für das<br />
Projektbüro des IIZ/DVV in Sarajevo ist sie vor allem als Übersetzerin tätig.<br />
Mariana Fifita, Giurgiu (Rumänien)<br />
wurde am 15. Mai 1973 in Giurgiu geboren. Dort studierte sie rumänische Literatur<br />
und <strong>Deutsch</strong>. Heute leitet sie in Giurgiu ein Museum, arbeitet gleichzeitig als<br />
Lehrerin und unterrichtet dort für einen Kooperationspartner des rumänischen<br />
Regionalbüros des IIZ/DVV rumänische Literatur, <strong>Deutsch</strong> und Psychologie.<br />
Ioana Florescu, Cluj-Napoca (Rumänien)<br />
wurde am 14. August 1978 in Cluj-Napoca geboren. Nach dem Studium der Philosophie<br />
an der Universität in Cluj-Napoca studiert sie nun Erwachsenenbildung<br />
in Iasi. Parallel ist sie für das „Municipal House of Culture“ in Cluj-Napoca tätig.<br />
Diese Institution arbeitet eng mit der Partnerorganisation des IIZ/DVV in Bukarest<br />
zusammen.<br />
Vanya Ivanova, Sofia (Bulgarien)<br />
wurde am 15. September 1979 in Blagoevgrad geboren. An der Universität in Sofia<br />
studiert sie Geschichte. Darüber hinaus engagiert sie sich für die Jugend-NRO<br />
„Bosporus Society – Bulgaria“.<br />
33
Dokumentation des Seminars<br />
Jelena Jakovljevic, Belgrad (Serbien-Montenegro)<br />
wurde am 5. März 1971 in Raska geboren. Nach dem Studium der Erwachsenenbildung<br />
an der Universität Belgrad arbeitet sie heute mit dem Belgrader Projektbüro<br />
des IIZ/DVV vor allem in Projekten im Bereich der Erwachsenenbildung<br />
zusammen.<br />
Kalina Kolibarska, Sofia (Bulgarien)<br />
wurde am 17. Mai 1975 in Sofia geboren. Nach dem Studium der Geschichte an<br />
der Universität in Sofia promoviert sie über das Thema „Anti-Semitism in Germany<br />
1918-1938“.<br />
Melisa Omercic, Sarajevo (Bosnien-Herzegowina)<br />
wurde am 14. November 1977 in Bosanska Krupa geboren. In Sarajevo studierte<br />
sie Germanistik und arbeitet dort als <strong>Deutsch</strong>lehrerin an einer Grundschule. Für<br />
eine Partnereinrichtung des IIZ/DVV in Sarajevo gibt sie <strong>Deutsch</strong>unterricht.<br />
Martin Protoger, Skopje (Mazedonien)<br />
wurde am 8. Mai 1979 in Skopje geboren. Nach dem Studium der Germanistik<br />
und der Anglistik an der Universität in Skopje arbeitet er als Journalist für die<br />
mazedonische Tageszeitung „Vest“. Darüber hinaus engagiert er sich in der<br />
<strong>Deutsch</strong>-Mazedonischen Kulturgesellschaft und im Institut für deutsch-mazedonische<br />
Beziehungen.<br />
Danjela Shkalla, Elbasan (Albanien)<br />
wurde am 7. Mai 1979 in Elbasan geboren. In Elbasan und in Budapest studierte<br />
sie Englisch und „Gender and Culture Studies“. Sie unterrichtet Englisch an der<br />
Universität von Elbasan. Für das Projektbüro des IIZ/DVV in Albanien ist sie in<br />
einem landesweiten Projekt tätig.<br />
Zoran Skopljak, Belgrad (Serbien-Montenegro)<br />
wurde am 10. Oktober 1976 in Belgrad geboren. Nach dem Studium der Rechtswissenschaften<br />
an der Belgrader Universität arbeitet er am Institut für Europäische<br />
Studien in Belgrad. Er engagiert sich in einem Projekt, das sich mit den Verbrechen<br />
der Kommunisten in Serbien während und nach dem Zweiten Weltkrieg<br />
beschäftigt.<br />
34
Dokumentation des Seminars<br />
Cerasela Tanase, Bukarest (Rumänien)<br />
wurde am 8. Februar 1977 in Zimnicea geboren. An der Universität in Bukarest<br />
studierte sie Russisch und Rumänisch. Zur Zeit nimmt sie an einem Postgraduierten-Programm<br />
des „Image Research Center“ der Universität Bukarest teil.<br />
Zusätzlich arbeitet sie als Übersetzerin (Bulgarisch und Russisch).<br />
Dorin Teodorescu, Slatina (Rumänien)<br />
wurde am 5. September 1951 in Rumänien geboren. Nach dem Studium der Geschichte<br />
unterrichtete er einige Jahre als Lehrer an einer Schule. 1979 bis 1989<br />
war er für ein Museum in Slatina tätig. Seit 1990 arbeitet dort für die „Direction<br />
for Culture Cults and Cultural Heritage“, dessen Leiter er seit 1997 ist. Außerdem<br />
ist er der Präsident der „‘University for all‘ Foundation“ und des „Centrul Zonal<br />
pentru Educatia Adultitor“ in Slatina. Er hat mehrere Bücher und Artikel über die<br />
rumänische und europäische Geschichte veröffentlicht.<br />
Saso Trpevski, Tetovo (Mazedonien)<br />
wurde am 12. September 1977 in Tetovo geboren. Von 1990 bis 1996 lebte er in<br />
Berlin. In Skopje studiert er Germanistik und arbeitet er in einem Jugendinformationszentrum<br />
in Tetovo, das mit dem IIZ/DVV in Mazedonien kooperiert.<br />
Valeriy Valeriyev Zaytzev, Sofia (Bulgarien)<br />
wurde am 16. Juni 1974 in Moskau geboren. An der Universität in Sofia studierte<br />
er Geschichte. Zur Zeit promoviert er über die „Idea of Federalism in Yugoslavia<br />
Between World War I and World War II“.<br />
Teamleiterinnen und Teamleiter<br />
Heike Catrin Bala, Bochum (<strong>Deutsch</strong>land)<br />
wurde am 17. November 1972 in Herne geboren. In Bochum studierte sie Geschichte,<br />
Sozialwissenschaft und Pädagogik. Sie arbeitet als freie Mitarbeiterin<br />
für das Internationale <strong>Bildungs</strong>- und Begegnungswerk (IBB).<br />
Heiko Hamer, Dortmund (<strong>Deutsch</strong>land)<br />
wurde am 29. Juni 1952 in Leer (Ostfriesland) geboren. In Gießen und Münster<br />
studierte er Pädagogik. Für das Internationale <strong>Bildungs</strong>- und Begegnungswerk<br />
(IBB) ist er seit 1990 hauptamtlich tätig und betreut dort den Arbeitsbereich<br />
<strong>Deutsch</strong>land und Westeuropa.<br />
35
Dokumentation des Seminars<br />
Michael Rüben, Dortmund (<strong>Deutsch</strong>land)<br />
wurde am 12. März 1967 in Bonn geboren. Er studierte in Dortmund und in Rom<br />
Raumplanung. Für das Internationale <strong>Bildungs</strong>- und Begegnungswerk (IBB) arbeitete<br />
er mehrere Jahre als freier Mitarbeiter. Seit 2002 ist er hauptamtlich für<br />
das IBB tätig und baut dort den Arbeitsbereich Südosteuropa auf.<br />
Eva R. Schultz, Bonn (<strong>Deutsch</strong>land)<br />
wurde am 29. Mai 1969 in Braunschweig geboren. Nach der Ausbildung zur Europa-Sekretärin<br />
studierte sie an der Universität in Bonn Psychologie. Seit 2002<br />
ist sie als Assistentin der Institutsleitung für das Institut für Internationale Zusammenarbeit<br />
des <strong>Deutsch</strong>en Volkshochschulverbandes (IIZ/DVV) tätig.<br />
Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Seminars<br />
36
3.2 Programmübersicht<br />
Dokumentation des Seminars<br />
Mittwoch, 9. Oktober 2002<br />
• Anreise der Teilnehmerinnen und Teilnehmer nach Hattingen in das Jugendbildungszentrum<br />
des <strong>Deutsch</strong>en Gewerkschaftsbundes; Kennen lernen<br />
Donnerstag, 10. Oktober 2002<br />
• Kennenlernphase und Vorstellung des Programms<br />
• Besuch der Gedenkstätte „Alte Synagoge“ in Essen und Gespräch mit Dr. Peter<br />
Schwiderowski, dem stellvertretenden Leiter<br />
• Einführung in das Thema sowie Darstellung der spezifischen nationalen<br />
Hintergründe und der persönlichen Arbeitserfahrungen<br />
Freitag, 11. Oktober 2002<br />
• Besuch der Geschichtswerkstatt in Dortmund und Gespräch mit Andreas<br />
Müller, einem langjährigen Mitglied dieser Initiative<br />
• Gespräch mit Günther Birkmann, dem Vorsitzenden der Gesellschaft für<br />
christlich-jüdische Zusammenarbeit in Dortmund<br />
• Stadterkundung in Dortmund unter besonderer Berücksichtigung der Geschichte<br />
zwischen 1933 und 1945 (u. a. Besuch der Mahn- und Gedenkstätte<br />
„Steinwache“)<br />
• Gespräch mit dem Zeitzeugen Valentin Frank (Er lebte während der NS-Zeit<br />
in Dortmund und wurde als „Halbjude“ verfolgt.)<br />
Samstag, 12. Oktober 2002<br />
• Freizeit und die Möglichkeit an einer Stadtführung durch Hattingen teilzunehmen<br />
• Zwischenauswertung<br />
• Besuch des Kulturzentrums „Grend“ in Essen-Steele (einem selbstverwalteten,<br />
soziokulturellen Zentrum)<br />
Sonntag, 13. Oktober 2002<br />
• Abreise nach Weimar<br />
• Stadtrundgang durch Weimar in Form einer Stadtrallye<br />
37
Dokumentation des Seminars<br />
Montag, 14. Oktober 2002<br />
• Thementag: „<strong>Deutsch</strong>e Wiedervereinigung“<br />
• Gespräch mit dem Zeitzeugen Karl-Heinz Fröhlich (er war Lehrer in der DDR<br />
und von 1972-1997 in der Lehrerausbildung tätig)<br />
• Gespräch mit den Zeitzeugen Andrea Wagner und Stephan Eschler (sie sind<br />
beide in der DDR geboren und in der Kirche bzw. in der Friedensbewegung<br />
aktiv gewesen)<br />
Dienstag, 15. Oktober 2002<br />
• Führung durch die Gedenkstätte Buchenwald und Gespräch über die<br />
Geschichte und die pädagogische Konzeption der Gedenkstätte mit Daniel<br />
Gaede, dem pädagogischen Leiter der Gedenkstätte<br />
• Reflexion über den Besuch in der Gedenkstätte Buchenwald<br />
Mittwoch, 16. Oktober 2002<br />
• Rückreise nach Hattingen und Besuch des thüringisch-hessischen<br />
„Grenzmuseums ‚Schifflersgrund‘. Mahnmal, Begegnungsstätte und Lernort<br />
an der überwundenen innerdeutschen Grenze“ in der Nähe von Kassel<br />
Donnerstag, 17. Oktober 2002<br />
• Workshop I: Methodentraining „Lernen aus der Geschichte“ in zwei Gruppen:<br />
Gruppe A: Oral History, Gruppe B: Spurensuche<br />
• Stadtrundgang mit Valentin Frank in Dortmund<br />
Freitag, 18. Oktober 2002<br />
• Workshop II: Transfer der erlernten Methoden auf die eigene nationale<br />
Situation und Geschichte<br />
• Schlussauswertung<br />
• Abschiedsparty<br />
Samstag, 19. Oktober 2002<br />
• Abreise<br />
38
3.3 Ausführliche Beschreibung<br />
Dokumentation des Seminars<br />
3.3.1 Gegenseitiges Kennenlernen und Vorstellung des Programms<br />
Nach der Vorstellung des Leitungsteams des IBB, einer Einführung in das Programm<br />
und der Begrüßung durch einen Mitarbeiter der Jugendbildungsstätte des<br />
<strong>Deutsch</strong>en Gewerkschaftsbundes in Hattingen diente der Donnerstagmorgen dem<br />
gegenseitigen Kennenlernen und der Ermittlung der allgemeinen Erwartungen an<br />
das Seminar. Dazu wurde eine kreisförmige Sitzordnung gewählt, die besonders<br />
kommunikationsfördernd ist (vgl. Abschnitt 4.15). Zuerst wollte das Leitungsteam<br />
von den Teilnehmerinnen und Teilnehmern wissen: „Was bedeutet Geschichte für<br />
dich?“ Diese schwierige Frage wurde gestellt, um den Teilnehmerinnen und Teilnehmern<br />
zu verdeutlichen, dass man Geschichte sehr unterschiedlich verstehen<br />
kann. Die Antworten darauf waren vielfältig; sie reichten von „alles, was mit der<br />
Vergangenheit zu tun hat“ über „Wissenschaft über die wichtigsten Fakten aus der<br />
Vergangenheit“ bis hin zu „Verwandlung, Wiederholung, Prozess zur Selbsterkennung“<br />
und „Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft“. Dann wurde gefragt:<br />
a) „Ich werde zufrieden nach Hause fahren, wenn ...“<br />
b) „Was kann ich tun, um dieses Ziel zu erreichen?“<br />
c) „Was könnte ich tun, um dieses Ziel zu vermeiden (zu blockieren)?“<br />
Auf diese Weise wurde den Teilnehmerinnen und Teilnehmern deutlich, dass das<br />
Gelingen des Seminars stark von ihrem eigenen Engagement abhängen würde.<br />
Im Anschluss wurde das Kennenlernen vertieft, zuerst durch das Ausfüllen eines<br />
Steckbriefs (vgl. Abschnitt 7.1). Dadurch war es möglich, einen ersten Eindruck<br />
von den anderen Teilnehmerinnen und Teilnehmern zu bekommen und Anknüpfungspunkte<br />
für weitere Gespräche zu finden. Abschließend folgte das sogenannte<br />
Bühnenspiel (vgl. Abschnitt 4.5). Es diente dazu, die Informationen übereinander<br />
für alle spielerisch „sichtbar“ zu machen. Der Raum wurde zu diesem Zweck<br />
in einen Zuschauerbereich und eine Bühne eingeteilt. Es wurden Fragen gestellt,<br />
die vor dem Hintergrund des Seminars interessant erschienen, zum Beispiel:<br />
„Alle, die hier mehr als einen Menschen kennen, stellen sich bitte auf die Bühne!“<br />
oder „Wer von euch Englisch versteht und spricht, bitte auf die Bühne!“ Dadurch<br />
wurde deutlich, dass Englisch zwar von allen verstanden, aber zum Teil nicht<br />
gut genug gesprochen wurde. Einige Teilnehmer sprachen besser <strong>Deutsch</strong> als<br />
Englisch. Deshalb einigte man sich auf Englisch als Seminarsprache mit der Übereinkunft,<br />
dass alles, was nicht verstanden wurde, auch ins <strong>Deutsch</strong>e übersetzt<br />
werden würde. Die unterschiedlichen sprachlichen Voraussetzungen wurden so<br />
für alle sichtbar gemacht. Denn die aufwendige, aber unverzichtbare Überset-<br />
39
Dokumentation des Seminars<br />
zung nimmt bei internationalen Begegnungen viel Zeit in Anspruch. Einen Vorteil<br />
hatten die Mitglieder der serbokroatischen Sprachfamilie (Serbien- Montenegro,<br />
Bosnien-Herzegowina und Mazedonien). Sie konnten sich untereinander sehr<br />
gut verständigen. Die Mazedonier fungierten wiederum als Dolmetscher für die<br />
Teilnehmer aus Bulgarien, da Mazedonisch gleichsam eine Schnittstelle zwischen<br />
dem Serbokroatischen und dem Bulgarischen darstellt.<br />
3.3.2 Die Alte Synagoge in Essen<br />
Die Alte Synagoge in Essen wurde 1913 als Neue Synagoge am Steeler Tor von<br />
der Gemeinde als eines der größten jüdischen Gotteshäuser in <strong>Deutsch</strong>land eingeweiht.<br />
Kaum 25 Jahre später, in der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938,<br />
der sogenannten „Reichskristallnacht“, wurde sie von Angehörigen der Essener<br />
Schutzstaffel (SS), der Sturmabteilung (SA), der Nationalsozialistischen <strong>Deutsch</strong>en<br />
Arbeiterpartei (NSDAP) und der örtlichen Feuerwehr in Brand gesetzt und<br />
bis auf die Außenmauern zerstört. Die Ruine blieb nur stehen, weil eine Sprengung<br />
für die umliegenden Gebäude zu gefährlich gewesen wäre.<br />
Nach dem Krieg wurde sie lange Zeit nicht beachtet, denn man war, wie auch<br />
an vielen anderen Orten in der Bundesrepublik, lange nicht bereit, sich mit der<br />
Verfolgung und Deportation der Juden aus der eigenen Stadt auseinander zu<br />
setzen. Erst im Zuge der neuen Geschichtsbewegung Ende der siebziger Jahre,<br />
als Bürgerinnen und Bürger, Gruppen von Laien und engagierte Historiker damit<br />
begannen sich für die Untersuchung der Geschichte des Nationalsozialismus auf<br />
lokaler Ebene einzusetzen und auf eine Institutionalisierung der Beschäftigung mit<br />
diesem Thema zu drängen, wurde die Synagoge als erhaltenswerter Ort wieder<br />
entdeckt. Am 9. November 1980, über vierzig Jahre nach ihrer Zerstörung, wurde<br />
die Alte Synagoge als Gedenkstätte und historisch-politisches Dokumentationsforum<br />
der Öffentlichkeit übergeben.<br />
Die Geschichte der Alten Synagoge wurde durch Dr. Peter Schwiderowski, den<br />
stellvertretenden Leiter, dargestellt. Die Gruppe erhielt die Gelegenheit, das<br />
Gebäude und die Dauerausstellungen „Stationen jüdischen Lebens. Von der<br />
Emanzipation bis zur Gegenwart“ und „Verfolgung und Widerstand in Essen<br />
1933-1945“ zu erkunden. In einem anschließenden Gespräch wurde festgestellt,<br />
dass die inhaltliche Arbeit der Gedenkstätte noch weit über einen ersten Eindruck<br />
hinaus geht. So finden beispielsweise eine Reihe von Veranstaltungen wie Einzelvorträge,<br />
die sogenannten Donnerstagsgespräche, Vortragsreihen, Lesungen,<br />
Lehrhausveranstaltungen, verschiedene Projekte, Musik- und Rezitationsabende<br />
sowie Symposien und Seminare statt. Die Besucherbetreuung besteht aus thematischen<br />
Führungen und Stadtrundfahrten (vgl. Abschnitt 4.17). Darüber hinaus gibt<br />
40
Dokumentation des Seminars<br />
es auch ein spezielles Beratungsangebot für Einzelne oder Gruppen, die sich mit<br />
der Geschichte der Juden beziehungsweise mit der Zeit des Nationalsozialismus<br />
auseinander setzen möchten. Speziell für Lehrer und Lehrerinnen werden Arbeitsgruppen<br />
und Fortbildungsseminare organisiert. Die Gedenkstätte verfügt zudem<br />
über eine umfangreiche Sammlung von Materialien zur Stadtgeschichte zwischen<br />
1918 und 1945 und zur allgemeinen Geschichte des Nationalsozialismus, die für<br />
wissenschaftliche und pädagogische Zwecke auch von Außenstehenden genutzt<br />
werden darf.<br />
Auf diese Weise ist die Alte Synagoge ein Lernort, der durch das vielfältige Angebot<br />
einen „Prozeß des Erinnerns“ (Genger 1995, 49) initiieren will. In einem<br />
Vortrag von Dr. Peter Schwiderowski in der Alten Synagoge Essen<br />
41
Dokumentation des Seminars<br />
Bericht, der anschließend von zwei Seminarteilnehmern aus dem ehemaligen<br />
Jugoslawien verfasst wurde, heißt es über den Besuch in der Alten Synagoge:<br />
„In unseren Staaten gibt es solche Einrichtungen leider nicht. Bei uns gibt es nur<br />
Museen, die Ausstellungen zeigen, die bloß einen Teil der Geschichte darstellen.<br />
Dadurch sieht man die Geschichte, kann sie aber nicht spüren oder erleben und<br />
man lernt auch nicht so viel. Wir sind der Meinung, dass die Alte Synagoge in<br />
Essen ein sehr gutes Beispiel dafür ist, wie wir bei uns mit ähnlichen Fragen und<br />
Problemen umgehen müssen.“<br />
Literatur<br />
Alte Synagoge Essen (Hrsg.): Gestern Synagoge – „Alte Synagoge“ heute. Geschichte im<br />
Spiegel von 75 Jahren Bau-Geschichte, Essen 31992, S. 2-8.<br />
Arbeitskreis NS-Gedenkstätten NW (Hrsg.): Den Opfern gewidmet – auf Zukunft gerichtet.<br />
Gedenkstätten für die Opfer des Nationalsozialismus in Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf<br />
41998 (erweiterte und überarbeitete Neuauflage), S. 8-33 und S. 57-62.<br />
Genger, Angela: Lernen, Erinnern, Gedenken. Erfahrungen aus der Gedenkstättenarbeit,<br />
in: Annegret Ehmann [et. al.] (Hrsg.): Praxis der Gedenkstättenpädagogik. Erfahrungen<br />
und Perspektiven, Opladen 1995, S. 48-54.<br />
Zur Reichskristallnacht vgl. Jäckel, Eberhard/Longerich, Peter/Schoeps¸ Julius H. (Hrsg.):<br />
Enzyklopädie des Holocaust. Die Verfolgung und Ermordung der europäischen Juden,<br />
3 Bde., Berlin 1993, hier: Bd. 2, S. 1205-1210.<br />
Puvogel, Ulrike [et.al.] (Hrsg.): Gedenkstätten für die Opfer des Nationalsozialismus.<br />
Eine Dokumentation, Bd. 1, Bonn 21995 (überarbeitete und erweiterte Auflage),<br />
S. 538-542.<br />
3.3.3 Geschichtswerkstatt Dortmund e. V.<br />
Seit den siebziger Jahren nimmt das Interesse an alltagsgeschichtlichen Themen<br />
immer stärker zu. Im Zuge dieser Entwicklung gründeten sich an vielen Orten<br />
Geschichtswerkstätten (vgl. Abschnitt 4.9), in denen professionelle Historiker und<br />
historisch Interessierte außerhalb der Universitäten zusammen arbeiten wollen.<br />
Mittlerweile gibt es bundesweit mehr als fünfzig solcher lokalen Arbeitskreise, die<br />
heute als wichtige Foren und Akteure der Alltags-, Regional- und Lokalgeschichte<br />
anerkannt werden.<br />
In Dortmund existiert seit fast zwanzig Jahren die „Dortmunder Geschichtswerkstatt<br />
e. V.“. Bei unserem Besuch berichtete Andreas Müller, ein langjähriges Mitglied<br />
dieser Initiative, über ihre vielfältigen Aktivitäten. Dazu gehören beispielsweise<br />
Lesungen in Kneipen oder Cafés, Stadt(teil)rundfahrten und -gänge (vgl.<br />
Abschnitt 4.17), die Organisation von Ausstellungen, die Arbeit mit Zeitzeugen,<br />
42
Andreas Müller (m.) von der Geschichtswerkstatt Dortmund e. V.<br />
Dokumentation des Seminars<br />
Auftritte mit dem Figurentheater und eine Reihe von Veröffentlichungen über die<br />
Geschichte der Stadt Dortmund. Mehrere Projekte sind der Geschichte der NS-<br />
Zeit gewidmet, wie die Veranstaltungsreihe über den „Faschismus in Dortmund“,<br />
die 1990 in Zusammenarbeit mit der Dortmunder Volkshochschule durchgeführt<br />
wurde. Darüber hinaus beschäftigt sich die Geschichtswerkstatt mit einem breiten<br />
Themenspektrum, das von der Hexenverfolgung in der Frühen Neuzeit bis zur<br />
Geschichte der Arbeiterbewegung reicht. Von ihrem Selbstverständnis her verstehen<br />
sie sich am ehesten als „Bürgerinitiativbewegung“ (Geschichtswerkstatt o.<br />
J., 11). Kooperationen vor Ort bestehen mit den verschiedensten Organisationen,<br />
aber nicht mit der Stadt Dortmund. Die abweichende Themenauswahl und die<br />
alternative Herangehensweise an Geschichte haben eine Zusammenarbeit bisher<br />
verhindert. An den Projekten arbeiten ungefähr zehn bis fünfzehn Personen<br />
regelmäßig mit. Ihre Aktivitäten finanzieren sie beispielsweise durch den Verleih<br />
von Ausstellungen, Lesungen oder Auftragsarbeiten. Spenden machen nur einen<br />
geringen Teil der Einnahmen aus. Der Besuch bei dieser Initiative vermittelte<br />
der Gruppe unter anderem einen wichtigen Eindruck davon, wie wichtig diese<br />
Akteure und Foren für die Alltags-, Regional- und Lokalgeschichte sein können,<br />
auch wenn viele ihrer Akteure über keine wissenschaftliche Ausbildung verfügen,<br />
43
Dokumentation des Seminars<br />
sondern historisch „nur“ interessiert sind. „Diese Menschen [die Mitarbeiter der<br />
Geschichtswerkstatt, d. A.] haben uns eine Fülle von Informationen gegeben und<br />
damit unser Ziel deutlicher gemacht. [...] Lerne von der Geschichte, dann wird sich<br />
dir die Zukunft eröffnen. Beschäftige dich mit der Geschichte, denn du bist ein Teil<br />
von ihr,“ schrieben später Seminarteilnehmer aus dem ehemaligen Jugoslawien<br />
zu ihren Eindrücken über die Geschichtswerkstatt.<br />
Literatur<br />
Geschichtswerkstatt Dortmund e. V. (Hrsg.): 10 Jahre Geschichtswerkstatt, Dortmund<br />
o. J.<br />
3.3.4 Die Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit<br />
Dortmund e. V. (11. Oktober 2002)<br />
Unter dem Einfluss der amerikanischen Militärbehörden entstand 1948 in München<br />
die erste Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit. Dahinter<br />
stand der Gedanke, durch Aufklärung und Erziehung religiöse Intoleranz und<br />
weltanschaulichen Fanatismus zu überwinden. In den folgenden Jahren wurden<br />
weitere Gesellschaften gegründet, so dass es heute bundesweit fast 80 regionale<br />
Vereinigungen gibt. Sie alle sind im Koordinierungsrat der Gesellschaften für<br />
christlich-jüdische Zusammenarbeit zusammengeschlossen. Das Programm wird<br />
von theologischen, pädagogischen und politischen Fragestellungen bestimmt.<br />
Seit 1951 findet in der Bundesrepublik jährlich die Woche der Brüderlichkeit<br />
statt. Sie soll die Ziele der Gesellschaften in <strong>Deutsch</strong>land bekannt machen. In<br />
diesem Rahmen wird seit 1968 die Buber-Rosenzweig-Medaille für besondere<br />
Verdienste um die christlich-jüdische Verständigung verliehen. In den Ländern<br />
Südosteuropas findet man ebenfalls eine Anzahl von ähnlichen Organisationen,<br />
die sich für das Miteinander der Religionen einsetzen. Dies stellte sich als ein<br />
wichtiger Anknüpfungspunkt für die folgende Diskussion heraus. Die Begegnung<br />
mit dieser Organisation sollte verdeutlichen, dass nach einer Erfahrung wie der<br />
Shoah (hebräisch für Katastrophe, Vernichtung; für den Völkermord an europäischen<br />
Juden) ein Dialog zwischen den betroffenen Gruppen – einerseits Juden,<br />
andererseits Christen – wieder entstehen kann.<br />
Es konnte mit Günther Birkmann, dem Vorsitzenden der Dortmunder Gesellschaft,<br />
die 1954 gegründet wurde, ein Gespräch geführt werden. Zuerst schilderte er<br />
die Geschichte der Gesellschaften im Allgemeinen, um dann auf Fragen (vgl.<br />
Abschnitt 4.2) und auf die konkrete Arbeit vor Ort einzugehen. Dazu gehört unter<br />
anderem die Planung und Durchführung von Seminaren und Vortagsreihen,<br />
44
Dokumentation des Seminars<br />
Zu Gast bei der Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit<br />
„zur Auseinandersetzung mit Geschichte und Gegenwart und zur Förderung des<br />
christlich-jüdischen Dialogs“, die Erstellung von Dokumentationen, Ausstellungen<br />
oder die Organisation von Studienfahrten, die der Begegnung mit der jüdischen<br />
Kultur und Religion gewidmet sind. Ein weiteres wichtiges Aufgabenfeld ist das<br />
Beratungsangebot in der pädagogischen Arbeit, das sich vor allem an Lehrerinnen<br />
und Lehrer wendet. Außerdem ist die Pflege der freundschaftlichen Beziehungen<br />
zu den jüdischen Gemeinden in Dortmund und Umgebung und zum Staat Israel<br />
ein bedeutsames Anliegen der Gesellschaft. Deshalb finden beispielsweise regelmäßig<br />
Veranstaltungen statt, die über die aktuelle Lage in Israel informieren. Ein<br />
Besuch des Gottesdienstes in der Synagoge und die dazugehörige Vorbereitung<br />
sind ebenfalls über die Dortmunder Gesellschaft möglich. Zu den bestehenden<br />
Tendenzen von Intoleranz und Rassismus in <strong>Deutsch</strong>land nimmt die Dortmunder<br />
Gesellschaft gleichermaßen Stellung, da sie sich grundsätzlich gegen die<br />
„Diskriminierung von Menschen aus religiösen, weltanschaulichen, politischen,<br />
ökonomischen oder ethnischen Gründen“ einsetzen will.<br />
Literatur<br />
Ehrlich, Ernst Ludwig: Die Gesellschaften für christlich-jüdische Zusammenarbeit und der<br />
christlich-jüdische Dialog, in: Nachama, Andreas/Schoeps, Julius H. (Hrsg.): Aufbau<br />
45
Dokumentation des Seminars<br />
nach dem Untergang. <strong>Deutsch</strong>-jüdische Geschichte nach 1945. In memoriam Heinz<br />
Galinzki, Berlin 1992, S. 323-330.<br />
Presser, Ellen: Gesellschaften für christlich-jüdische Zusammenarbeit, in: Schoeps, Julius<br />
H. (Hrsg.): Neues Lexikon des Judentums, Gütersloh 2000 (überarbeitete Auflage),<br />
S. 297.<br />
Presser, Ellen: Woche der Brüderlichkeit, in: Schoeps, Julius H. (Hrsg.): Neues Lexikon<br />
des Judentums, Gütersloh 2000 (überarbeitete Auflage), S. 877.<br />
3.3.5 Stadtrundgang in Dortmund<br />
Unter der Führung von Heiko Hamer, <strong>Bildungs</strong>referent beim IBB und Mitglied der<br />
Seminarleitung, wurde in Dortmund ein Stadtrundgang (vgl. Abschnitt 4.17) zum<br />
Thema Nationalsozialismus unternommen. Die Durchführung eines historischen<br />
Stadtrundganges in Dortmund wird durch eine Vielzahl von Veröffentlichungen,<br />
besonders über die Stätten des nationalsozialistischen Terrors und des antifaschistischen<br />
Widerstandes, ermöglicht, die beispielsweise durch die Geschichtswerkstatt<br />
angeboten werden.<br />
Ein wichtiger Bestandteil dieser Erkundung war der Besuch in der „Mahn- und<br />
Gedenkstätte Steinwache“, dem 1928 erbauten Polizeigefängnis, das nach 1933<br />
unter dem Kommando der Gestapo zu einer berüchtigten Folterstätte wurde.<br />
Als 1982 beabsichtigt wurde, die Steinwache abzureißen, bewirkte der Protest<br />
zahlreicher Bürger und Initiativen den Erhalt des Gefängnistraktes. Seit 1992<br />
ist dort die ständige Ausstellung des Stadtarchivs „Widerstand und Verfolgung<br />
in Dortmund 1933-1945“ zu sehen. Sie erstreckt sich über fünf Stockwerke. An<br />
verschiedenen authentisch überlieferten Stellen des ehemaligen Gestapo-Gefängnisses<br />
wurden Einzelbereiche, wie die Verhörzelle oder eine exemplarische<br />
Haftzelle rekonstruiert.<br />
Eine weitere Station war der Platz der Alten Synagoge, dem heutigen Opernvorplatz.<br />
Dort erinnert seit 1990 eine Gedenktafel an die große Synagoge, die dort<br />
bis zu ihrer Zerstörung in der sogenannten „Reichskristallnacht“ 1938 stand. Auf<br />
dem Granitblock ist das Bild der früheren Synagoge eingemeißelt und an der<br />
Stirnseite steht zu lesen:<br />
„Auf diesem Platz stand einst die Synagoge / Der Jüdischen Gemeinde Dortmund.<br />
/ 1900 errichtet als / ‚Zierde der Stadt für ewige Zeiten‘ / 1938 zerstört durch den<br />
Terror des Naziregimes. // Gedenke, Ewiger, was uns geschah. / Den jüdischen<br />
Bürgerinnen und Bürgern unserer / Stadt, / die von 1933-1945 Opfer nationalsozialistischer<br />
/ Gewaltherrschaft wurden, zum Gedenken. / Allen Lebenden zur<br />
ewigen Mahnung.“<br />
46
Vor der „Mahn- und Gedenkstätte Steinwache“<br />
Literatur<br />
Dokumentation des Seminars<br />
Högl, Günther (Hrsg.): Widerstand und Verfolgung in Dortmund 1933-1945. Katalog zur<br />
ständigen Ausstellung des Stadtarchivs Dortmund in der Mahn- und Gedenkstätte<br />
Steinwache (Veröffentlichung des Stadtarchivs Dortmund Bd. 8), Dortmund 1992.<br />
<strong>Internationales</strong> Rombergpark-Komitee, Sachsenhausenkomitee/Antifaschistisches Seminar<br />
(Hrsg.): 1933-1945. Antifaschistischer Stadtführer. Stätten des Widerstandes gegen<br />
das Naziregime und des faschistischen Terrors in Dortmund, o. O. 2 1987.<br />
Pfeiffer, Ernst: Die Juden in Dortmund. Das Buch zur Kabelfunkserie, hrsg. vom WDR-<br />
Kabelfunk Dortmund, Dortmund, Unna-Massen 1987.<br />
Puvogel, Ulrike [et. al.] (Hrsg.): Gedenkstätten für die Opfer des Nationalsozialismus.<br />
Eine Dokumentation, Bd. 1, Bonn 2 1995 (überarbeitete und erweiterte Auflage),<br />
S. 519-525.<br />
47
Dokumentation des Seminars<br />
3.3.6 Zeitzeugengespräch mit Valentin Frank<br />
Am zweiten Seminartag hatten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer die immer<br />
seltener werdende Gelegenheit, mit einem der noch wenigen Zeitzeugen (vgl.<br />
Abschnitt 4.13) zu sprechen, der die Zeit des Nationalsozialismus in <strong>Deutsch</strong>land<br />
erlebt hat und bereit ist, darüber öffentlich zu sprechen. Seit langem ist die Arbeit<br />
mit Zeitzeugen ein unverzichtbarer Bestandteil der schulischen und außerschulischen<br />
politischen <strong>Bildungs</strong>arbeit. Bei der Vermittlung von historisch-politischen<br />
Inhalten und Erkenntnissen ermöglicht es die Methode des Zeitzeugengespräches,<br />
Geschichte durch das „authentische Erleben“ (Stiepani 2000, 212) lebendig,<br />
erfahrbar und nachvollziehbar zu machen. Daher kam diesem Programmpunkt<br />
eine besondere Bedeutung zu. Um einen Eindruck von der Person Valentin Franks<br />
zu vermitteln, der während der NS-Zeit als „Halbjude“ verfolgt wurde, wird seine im<br />
Laufe des Gesprächs in Erfahrung gebrachte Lebensgeschichte bis zur Befreiung<br />
1945 im Folgenden kurz wiedergegeben.<br />
Valentin Frank wurde 1929 als Sohn von Johannes und Paula Frank in Dortmund<br />
geboren. Sein Vater, ein zum christlichen Glauben konvertierter Jude, bekam bereits<br />
vor 1933 durch den zunehmenden Antisemitismus große berufliche Schwierigkeiten<br />
und verlor seine Stelle als Lehrer. Nach der „Machtergreifung“ durch die<br />
Nationalsozialisten lebten die Eltern von Valentin Frank zwar in einer „geschützten<br />
Ehe“, da nur ein Elternteil jüdisch war, durch den Wegfall des Einkommens geriet<br />
die insgesamt siebenköpfige Familie jedoch in große finanzielle Not.<br />
Der als „Halbjude“ geltende Valentin Frank erlebte die „Reichskristallnacht“, den<br />
Pogrom gegen die Juden in <strong>Deutsch</strong>land und Österreich in der Nacht vom 9. auf<br />
den 10. November 1938, in Dortmund. Kurze Zeit später musste seine Familie<br />
eine schreckliche Tragödie durchmachen. Der älteste Bruder von Valentin Frank,<br />
Paul Hans, der durch einen Unfall seit seiner frühesten Kindheit geistig behindert<br />
war, wurde im Juli 1941 im Zuge des „Euthanasie“-Vernichtungsprogramms der<br />
NS-Regierung in Hadamar ermordet. Im gleichen Jahr bot sich Valentin Frank die<br />
Möglichkeit, im Rahmen der sogenannten „Kinderlandverschickung“ (seit 1940<br />
Einrichtung zur Verschickung von 10–14-jährigen Kindern und ihren Lehrern<br />
aus luftkriegsgefährdeten in weniger gefährdete Gebiete) unterzutauchen und<br />
so dem Antisemitismus zu entgehen. In dieser Zeit wurde ihm aufgrund seiner<br />
ausgesprochen guten schulischen Leistungen sogar ein Stipendium für die weitere<br />
wissenschaftliche Ausbildung angeboten, das er aber als „Halbjude“ nicht<br />
annehmen konnte.<br />
Im Sommer 1944 kehrt er nach Dortmund zurück. Eine berufliche Ausbildung, die<br />
seinen Neigungen entsprach, war unter der nationalsozialistischen Diktatur für ihn<br />
48
Zeitzeugengespräch mit Valentin Frank<br />
Dokumentation des Seminars<br />
unmöglich. Schließlich konnte er eine Lehre als Anstreicher beginnen. Nur einige<br />
Monate später, kurz nach dem größten Bombenangriff auf Dortmund im Oktober<br />
1944, wurde der erst fünfzehnjährige Valentin Frank in das dem Gestapo-Polizeigefängnis<br />
angegliederte „Straflager“ in Hagen-Haspe gebracht. Dort musste<br />
er zunächst Zwangsarbeit in einem nahegelegenen Stahlwerk leisten. Im Auftrag<br />
der Geheimen Staatspolizei wurde er aber bald für Kurierdienste eingesetzt. Zu<br />
seinen Aufgaben gehörte auch die bewaffnete Begleitung von Kriegsgefangenen.<br />
Als ihm bei einem dieser Aufträge drei Gefangene entkamen wurde er zur Bestrafung<br />
für drei Tage in Dunkelhaft isoliert. Eine schwere Erkrankung war die Folge.<br />
Nachdem er einigermaßen wiederhergestellt war, wurde er im Frühjahr 1945 als<br />
Hilfskraft in ein Hagener Außenlager des Konzentrationslagers Buchenwald gebracht.<br />
Am 12. April 1945, kurz vor der Befreiung durch die Alliierten, musste er<br />
einen Brief überbringen, der nur durch Zufall von einer befreundeten Frau geöffnet<br />
wurde. Darin standen zehn Todesurteile, darunter sein eigenes. Daraufhin gelang<br />
es ihm zu fliehen und in einem Versteck bis zum Kriegsende durchzuhalten.<br />
Heute lebt Valentin Frank in Dortmund. Sein Engagement gilt vor allem der Aufarbeitung<br />
des Nationalsozialismus und der Lokalgeschichte seiner Heimatstadt.<br />
49
Dokumentation des Seminars<br />
Literatur<br />
Frank, Valentin: Als mein Bruder in Hadamar ermordet wurde: Paul Hans Frank – Opfer<br />
der NS-“Euthanasie“ – mit Fotos und Dokumenten, Dortmund 1994.<br />
Zur Euthanasie vgl. Jäckel, Eberhard/Longerich, Peter/Schoeps¸ Julius H. (Hrsg.): Enzyklopädie<br />
des Holocaust. Die Verfolgung und Ermordung der europäischen Juden, 3 Bde.,<br />
Berlin 1993, hier: Bd. 1, S. 422-425.<br />
Stiepani, Ute: Zeitzeuge, in: Kuhn, Hans-Werner/Massing, Peter (Hrsg.): Lexikon der politischen<br />
Bildung. Bd. 3: Methoden und Arbeitstechniken, Schwalbach/Taunus 2000,<br />
S. 212f.<br />
3.3.7 Zwischenauswertung<br />
Die Zwischenauswertung (vgl. Abschnitt 4.1) war ein integraler Bestandteil des<br />
Seminars. Dazu wurden drei Kleingruppen gebildet, die sich jeweils mit einem der<br />
Leiter zu einem Blitzlicht (vgl. Abschnitt 4.3) zusammensetzten. Auf diese Weise<br />
wurde den Teilnehmerinnen und Teilnehmern zeitig die Gelegenheit gegeben,<br />
sich über den bisherigen Verlauf des Seminars zu äußern. Die folgenden Fragen<br />
wurden von der Seminarleitung vorgegeben:<br />
a) Was war dein bestes Erlebnis?<br />
b) Was war dein schlechtestes Erlebnis?<br />
c) Was könnte sich noch ändern?<br />
Dabei stellte sich heraus, dass das Zeitzeugengespräch wie auch die Gedenkstättenbesuche<br />
(Alte Synagoge in Essen und Steinwache in Dortmund) die tiefsten<br />
Eindrücke bei der Gruppe hinterlassen hatten. Gelobt wurde das angenehme<br />
Gruppenklima, die gut funktionierende Kommunikation und das attraktive Programm.<br />
Kritisiert wurde der Zeitmangel, die Unpünktlichkeit mancher Teilnehmer<br />
und die ständige Müdigkeit. Für die Zukunft wünschten sich viele von ihnen mehr<br />
Hintergrundinformationen, Möglichkeiten das Gelernte in die Praxis umzusetzen<br />
und natürlich mehr Freizeit.<br />
Nach dem Abschluss der Zwischenauswertung sollte in Erfahrung gebracht werden,<br />
ob es in den Heimatländern Initiativen, Orte und Methoden gibt, die den in den<br />
vorausgegangenen Tagen kennen gelernten ähneln. Dazu wurde das Brainstorming<br />
als eine Standardmethode aus der <strong>Bildungs</strong>arbeit eingesetzt (vgl. Abschnitt<br />
4.4). Um die Überlegungen ein wenig zu strukturieren, gab die Seminarleitung die<br />
folgenden Fragen vor:<br />
a) Gibt es in eurer Stadt beziehungsweise eurem Land einen ähnlichen Ort wie<br />
die Alte Synagoge?<br />
50
Dokumentation des Seminars<br />
b) Gibt es in eurer Stadt beziehungsweise eurem Land eine Initiative, die so<br />
ähnlich ist wie die Geschichtswerkstatt?<br />
c) Gibt es in eurer Stadt beziehungsweise eurem Land eine Initiative wie die<br />
Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit?<br />
d) Habt ihr in eurer Stadt beziehungsweise eurem Land schon mal ein Gespräch<br />
mit einem Zeitzeugen geführt?<br />
Die Antworten wurden auf Karten festgehalten und dann nach Fragen geordnet<br />
an eine Stellwand geheftet. Dadurch wurde deutlich, dass es in den Ländern<br />
durchaus einige Orte und Initiativen gibt, die denen von uns besuchten ähneln.<br />
Besonders viele der genannten Organisationen widmen sich dem Dialog zwischen<br />
den Religionen. Die Bemühungen der Gesellschaft für christlich-jüdische<br />
Zusammenarbeit, die kurz zuvor in Dortmund besucht worden war, erinnerte viele<br />
Teilnehmerinnen und Teilnehmer an ähnliche Initiativen in ihren Heimatländern.<br />
Außerdem stellte sich heraus, dass die wenigsten von ihnen jemals zuvor ein<br />
Zeitzeugengespräch außerhalb der Familie geführt hatten.<br />
3.3.8 Stadtrundgang/Stadtrallye in Weimar<br />
Nach unserer Ankunft in Weimar konnten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer<br />
selbständig die Stadt erkunden. Dafür wurde eine spezielle Methode gewählt:<br />
die Rallye (vgl. Abschnitt 4.17). Der Reiz liegt hier in der Bewegung im Freien, in<br />
der Erkundung vor Ort und in der realen Begegnung historischer Gebäude und<br />
Plätze.<br />
Es wurden drei Gruppen gebildet. Jede von ihnen bekam einen Stadtplan ausgehändigt,<br />
auf dem jeweils eine andere Route durch die Stadt eingezeichnet war.<br />
Ihre Aufgabe war es, über die nur auf ihrem Plan markierten Gebäude und Plätze<br />
so viel wie möglich in Erfahrung zu bringen. Jede Gruppe hatte dazu ungefähr<br />
eine Stunde Zeit. Anschließend trafen sich alle auf dem Theaterplatz wieder und<br />
gingen dann sämtliche Anlaufpunkte gemeinsam ab. Dabei musste jede Gruppe<br />
kurz über die von ihr herausgefundenen Informationen referieren. Diese wurden<br />
dann, falls nötig, ergänzt. So lernte die Gruppe – erst getrennt und dann gemeinsam<br />
– viele historisch interessante Orte in Weimar kennen, beispielweise das<br />
<strong>Deutsch</strong>e Nationaltheater, Goethes und Schillers ehemalige Wohnhäuser, das<br />
Stadtschloss und die Anna-Amalia-Bibliothek.<br />
Literatur<br />
Eisenschmidt, Rainer (Red.): Baedeker Weimar, Ostfildern 32001. 51
Dokumentation des Seminars<br />
3.3.9 Thementag „<strong>Deutsch</strong>e Wiedervereinigung“<br />
An diesem Tag beschäftigte sich die Gruppe mit der jüngsten deutschen<br />
Geschichte. Dieser Programmpunkt war für das Seminar von Bedeutung, weil die<br />
Teilnehmerinnen und Teilnehmer hier Parallelen zur eigenen realsozialistischen<br />
Vergangenheit entdecken sollten.<br />
Gut zehn Jahre ist es erst her, dass 1989 die Mauer in Berlin geöffnet wurde.<br />
Dadurch wurde einerseits die deutsche Vereinigung wahr, andererseits verloren<br />
mit ihr mehrere Millionen Menschen aus den neuen Bundesländern den Staat<br />
und die Gesellschaft, mit denen sie aufgewachsen waren. Die Gruppe erhielt<br />
die Gelegenheit, mit drei unterschiedlichen Zeitzeugen (vgl. Abschnitt 4.13) über<br />
deren persönliche Erlebnisse in der DDR und über ihre Eindrücke während des<br />
Vereinigungsprozesses zu sprechen. Auf diese Weise bekam die Gruppe einen<br />
sehr persönlichen Eindruck von den Verhältnissen an den DDR-Universitäten, der<br />
kirchennahen Opposition, von der Friedensbewegung und den Ereignissen in der<br />
Zeit des Umbruchs. Die Intensität der Zeitzeugengespräche führte den Teilnehmerinnen<br />
und Teilnehmern noch einmal die Vorzüge dieser Methode vor Augen:<br />
Geschichte erfahrbar, nachvollziehbar und lebendig zu machen.<br />
I. Zeitzeugengespräch mit Karl-Heinz Fröhlich<br />
Der erste Gesprächspartner war Karl-Heinz Fröhlich. Eine Seminarteilnehmerin<br />
aus Bulgarien charakterisierte ihn später als „einen Mann, der drei politische<br />
Systeme erlebt hat“. Im Laufe des Gespräches gab er einige grundlegende biografische<br />
Auskünfte, die im Folgenden kurz wiedergegeben werden: Karl-Heinz<br />
Fröhlich wurde Anfang der dreißiger Jahre in Schlesien geboren. Während der<br />
NS-Zeit war er zwei Jahre lang als „Pimpf“ (10–14-jährige Jungen in der Hitlerjugend).<br />
1946 flüchtete er mit seiner Familie aus Schlesien nach Thüringen. Karl-<br />
Heinz Fröhlich wuchs in der bald darauf gegründeten DDR auf und besuchte<br />
dort die Schule. Nach seinem Abschluss studierte er Germanistik und arbeitete<br />
anschließend 17 Jahre lang als Lehrer. 1972 wurde er zur Lehrerausbildung an<br />
die Universität nach Jena berufen. Sein Spezialthema ist die klassische Literatur,<br />
vor allem Goethes „Faust“. An der Universität in Jena und in der Stadt Weimar<br />
erlebte er 1989 die Proteste gegen die DDR-Regierung und den Mauerfall. Bis<br />
zur Rente im Jahre 1997 unterrichtete er angehende Lehrer. Allerdings behielten<br />
nur 20 Prozent seiner ostdeutschen Kollegen ihre Arbeitsstellen an der Universität<br />
in Jena. Die Lehrstühle wurden mit Dozenten aus Westdeutschland neu besetzt.<br />
Seit er in Rente ist, arbeitet er unter anderem als Stadtführer in Weimar.<br />
52
Michael Rüben vom IBB und Karl-Heinz Fröhlich<br />
Dokumentation des Seminars<br />
II. Zeitzeugengespräch mit Andrea Wagner und Stephan Eschler<br />
Frau Wagner wurde 1960 in Zwickau (DDR) geboren und wuchs in einem kommunistisch<br />
geprägten Elternhaus auf. Als sie 15 Jahre alt war, verließ sie ihre Familie.<br />
Im Umkreis der evangelischen Kirche fand sie schließlich ein neues Zuhause.<br />
1978 bestand sie das Abitur, heiratete und hat vier Kinder. In den folgenden Jahren<br />
schloss sie eine Ausbildung ab und arbeitete bis 1990 für die evangelische<br />
Kirche. Die Proteste gegen die DDR-Regierung und den Mauerfall erlebte sie in<br />
einem oppositionell geprägten Milieu. 1990 trennte sie sich von ihrem Ehemann.<br />
Darauf folgten viele Umzüge, sowohl im östlichen wie auch im westlichen Teil des<br />
mittlerweile vereinigten <strong>Deutsch</strong>lands. In dieser Zeit schloss sie auch ein Zusatzstudium<br />
in Mediation ab. Seit 1995 ist sie als Gleichstellungsbeauftragte bei der<br />
Stadt Weimar beschäftigt und engagiert sich parallel mit ihrer eigenen Firma auf<br />
dem Gebiet der „visuellen Kommunikation“.<br />
53
Dokumentation des Seminars<br />
Stephan Eschler wurde 1964 in Jena (DDR) geboren. Sein Vater war evangelischer<br />
Pfarrer, seine Mutter Lehrerin. Die Schule besuchte er nur zehn Jahre,<br />
da ein Schulabschluss mit Abitur für ihn als Pfarrerssohn fast unmöglich war. Er<br />
machte deshalb eine Ausbildung zum Kellner und arbeitete bis 1990 in einigen<br />
guten Hotels. 1984 bis 1985 leistete er seinen Wehrdienst bei der Nationalen<br />
Volksarmee. Da er den Waffendienst verweigerte, musste er in einer besonderen<br />
Einheit dienen: bei den „Spatensoldaten“ (Bau-Bataillon). In den achtziger Jahren<br />
engagierte er sich ehrenamtlich in der evangelischen Kirche, in der Jugendarbeit<br />
und in der Arbeit mit „Armeeverweigerern“. In diesem oppositionell geprägten<br />
Umfeld erlebte er auch die Proteste gegen die DDR-Regierung und den Mauerfall.<br />
Nach der Vereinigung beteiligte er sich am Aufbau der Zivildienstverwaltung in den<br />
neuen Bundesländern. Ab 1991 war er als Mitarbeiter beim „Neuen Forum“ tätig,<br />
einer Bürgerrechtsbewegung, die noch kurz vor dem Mauerfall in der DDR gegründet<br />
wurde. Von 1991 bis 1997 arbeitete er als Jugendbildungsreferent bei der<br />
evangelischen Akademie in Thüringen und studierte gleichzeitig Sozialpädagogik<br />
in Jena. Heute ist er als Referent bei der Europäischen Jugendbildungsstätte<br />
(EJBW) in Weimar tätig.<br />
Literatur<br />
Holzer, Jerzy: Der Kommunismus in Europa. Politische Bewegung und Herrschaftssystem,<br />
Frankfurt/Main 41998. Sontheimer, Kurt/Bleek, Wilhelm: Grundzüge des politischen Systems der Bundesrepublik<br />
<strong>Deutsch</strong>land, München 111999 [aktualisierte Neuausgabe].<br />
3.3.10 Gedenkstätte Buchenwald<br />
Buchenwald war während der NS-Diktatur eines der größten Konzentrationslager<br />
auf deutschem Boden. Es umfasste 130 Nebenlager und Außenkommandos.<br />
Auf dem Ettersberg, acht Kilometer nördlich der Stadt Weimar, befand sich das<br />
Hauptlager. Es wurde am 16. Juli 1937 eröffnet und am 11. April 1945 von den<br />
amerikanischen Streitkräften mit Unterstützung des Lagerwiderstandes befreit.<br />
Besonders groß war die Gruppe der politischen Gefangenen. Nach der „Reichskristallnacht“<br />
im November 1938 wurden zusätzlich Tausende von Juden in das<br />
Lager gebracht. Ihnen folgten nach Kriegsbeginn Tausende Polen und sowjetische<br />
Kriegsgefangene. Zeitweise befanden sich über 85.000 Häftlinge gleichzeitig<br />
im Lager, dass in den acht Jahren seines Bestehens, die Nebenlager eingeschlossen,<br />
von fast 240.000 Häftlingen aus 30 Ländern durchlaufen wurde. Über<br />
40.000 von ihnen wurden ermordet oder kamen ums Leben. Widerstandszellen<br />
54
Dokumentation des Seminars<br />
Das Krematorium im ehemaligen Konzentrationslager Buchenwald<br />
gab es von Anfang an in Buchenwald. 1938 gründeten beispielsweise Mitglieder<br />
der Kommunistischen Partei <strong>Deutsch</strong>lands (KPD) eine solche Gruppe im Lager.<br />
Nach Kriegsbeginn und mit dem Zustrom von politischen Gefangenen aus den<br />
besetzten Ländern bildeten sich zunehmend nationale Widerstandsgruppen. Es<br />
konnten einige beachtliche Erfolge erzielt werden. So wurden durch Mitglieder<br />
des Untergrunds sogar Waffen und Munition ins Lager geschmuggelt und in den<br />
Rüstungsbetrieben, in denen Gefangene aus Buchenwald Zwangsarbeit leisten<br />
mussten, wurden Sabotageakte verübt.<br />
Nach dem Zweiten Weltkrieg diente das ehemalige Konzentrationslager der<br />
sowjetischen Besatzungsmacht als Internierungslager. Das sogenannte Speziallager<br />
Nr. 2 bestand von 1945 bis 1950. Es wurden hauptsächlich Personen, die<br />
als Mitglieder der NSDAP oder in anderer Funktion dem nationalsozialistischen<br />
Regime nahe gestanden hatten, sowie willkürlich Verhaftete und Oppositionelle<br />
eingeliefert. Über 7.000 der insgesamt ungefähr 28.000 Inhaftierten starben in<br />
dieser Zeit, vor allem an den Folgen von Unterernährung und Vernachlässigung.<br />
55
Dokumentation des Seminars<br />
Nach der Gründung der DDR wurden die Gebäude Anfang der fünfziger Jahre<br />
weitgehend abgerissen, um auf dem Gelände eine Gedenkstätte des antifaschistischen<br />
Widerstands einzurichten. 1958 wurde schließlich die „Nationale Mahn- und<br />
Gedenkstätte Buchenwald“ eingeweiht. Die heutige Gedenkstätte Buchenwald,<br />
die nach der Vereinigung der beiden deutschen Staaten völlig neu konzeptualisiert<br />
wurde, ist Teil der von der Bundesregierung und vom Land Thüringen<br />
getragenen Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora. Sie soll an<br />
das nationalsozialistische Konzentrationslager und das sowjetische Speziallager<br />
auf dem KZ-Gelände erinnern. Der Schwerpunkt liegt aber auf der Erinnerung an<br />
das Konzentrationslager.<br />
Für den Besuch in der Gedenkstätte Buchenwald (vgl. Abschnitt 4.8) war im Programm<br />
ein ganzer Tag vorgesehen. Die Gruppe wurde von Daniel Gaede, dem<br />
pädagogischen Leiter der Gedenkstätte, begleitet und betreut. Das Interesse galt<br />
weniger dem Thema Nationalsozialismus als dem methodischen Kontext des<br />
pädagogischen Angebotes. Seit der Neukonzeption bieten „vier neue Dauerausstellungen,<br />
ergänzende Beschilderungen auf dem Gelände sowie pädagogische<br />
Einrichtungen wie die Jugendbegegnungsstätte ein differenziertes Angebot zur<br />
Auseinandersetzung mit dem Ort und seiner Geschichte“ (Thillm 2000, 22). Dazu<br />
gehört auch eine zwei- bis vierstündige Führung, die gewöhnlich den Mittelpunkt<br />
eines Gedenkstättenbesuchs von Jugendgruppen und Schulklassen bildet. Diese<br />
Art der Besichtigung lässt die Besucherinnen und Besucher jedoch relativ fremdbestimmt.<br />
Sie gilt deshalb nur als begrenzte Möglichkeit für eine aktive Auseinandersetzung<br />
mit der NS-Geschichte.<br />
Zur Vervollständigung bedarf sie der Einbettung in einen mit der jeweiligen Besuchergruppe<br />
zu erarbeitenden methodischen Kontext. Daniel Gaede setzte an den<br />
Anfang des Besuches in Buchenwald beispielsweise die Befragung von Bildern<br />
(vgl. Abschnitt 4.7), eine in der politischen Bildung oft eingesetzte Methode. Jeder<br />
erhielt ein Foto, das er im Folgenden beschreiben sollte. Die meisten Bilder waren<br />
zur NS-Zeit auf dem Gelände aufgenommen worden. Motive waren nicht nur Leid<br />
und Schrecken, sondern auch die SS-Offiziersmesse, das Mahnmahl der späteren<br />
Gedenkstätte und die „Paradebaracken“. Der Zugang soll helfen die stereotypen<br />
Sichtweisen von Buchenwald zu hinterfragen und abzubauen. Gleichzeitig<br />
fordert er dazu auf, sich ein eigenes Bild zu machen. Anschließend führte Daniel<br />
Gaede die Gruppe über das Gelände des ehemaligen Konzentrationslagers und<br />
durch zwei der insgesamt vier Dauerausstellungen: die historische Ausstellung<br />
zur Geschichte des Konzentrationslagers und des Speziallagers Nr. 2.<br />
Viele Gedenkstätten in <strong>Deutsch</strong>land sind heute gleichzeitig Lernorte. KZ-Gedenkstätten<br />
haftet aufgrund ihrer authentischen Relikte eine spezielle Aura an, die<br />
56
Dokumentation des Seminars<br />
Daniel Gaede führt die Gruppe durch die Gedenkstätte Buchenwald<br />
besondere Wirkung auf die Besucherinnen und Besucher ausübt. Bei der Auswertung,<br />
die noch am gleichen Abend stattfand, wurde das sehr deutlich. Anders<br />
als der Besuch in der Alten Synagoge in Essen hatte der Tag in Buchenwald bei<br />
vielen Seminarteilnehmerinnen und Seminarteilnehmern, die zum Teil noch durch<br />
ihre eigene unmittelbare Kriegserfahrung geprägt sind, starke emotionale Eindrücke<br />
hinterlassen. Einige Teilnehmer äußerten den Wunsch, in Zukunft mehr für<br />
die Erinnerung an solche Orte in ihren Ländern tun zu wollen. Besonders gelobt<br />
wurde die gute Betreuung durch Daniel Gaede. Die Konzeption und Präsentation<br />
der Dauerausstellungen sowie die Vielfalt der methodischen Zugänge wurde<br />
ebenfalls als sehr positiv hervorgehoben.<br />
Literatur<br />
Hackett, David A. (Hrsg.): Der Buchenwald-Report. Bericht über das Konzentrationslager<br />
Buchenwald bei Weimar, München 2002.<br />
57
Dokumentation des Seminars<br />
Am Gedenkstein für die Opfer des Speziallagers Nr. 2<br />
Zu Buchenwald vgl. Jäckel, Eberhard/Longerich, Peter/Schoeps, Julius H. (Hrsg.): Enzyklopädie<br />
des Holocaust. Die Verfolgung und Ermordung der europäischen Juden, 3<br />
Bde., Berlin 1993, hier: Bd. 1, S. 248-251.<br />
Kogon, Eugen: Der SS-Staat. Das System der deutschen Konzentrationslager, München<br />
4 1993.<br />
Thüringer Institut für Lehrerfortbildung, Lehrplanentwicklung und Medien (Thillm) (Hrsg.):<br />
Sehen, Verstehen und Verarbeiten. KZ Buchenwald 1937-1945. KZ Mittelbau-Dora<br />
1943-1945, Bad Berka 2000.<br />
3.3.11 Das thüringisch-hessische Grenzmuseum „Schifflersgrund“.<br />
Mahnmal, Begegnungsstätte und Lernort an der überwundenen<br />
innerdeutschen Grenze<br />
1990 wurden die Wahlen zum ersten gesamtdeutschen Bundestag abgehalten.<br />
Gleich nach der Wende wurde damit begonnen, die Spuren der Teilung zu beseitigen.<br />
Das galt auch für die Berliner Mauer und für den Rest des Grenzzaunes, der<br />
jahrzehntelang von der Ostsee bis hinunter nach Thüringen und Bayern reichte.<br />
58
Dokumentation des Seminars<br />
In der Nähe von Kassel, an der thüringisch-hessischen Grenze, gründete sich<br />
in dieser Zeit ein Verein aus Privatleuten, der sich zum Ziel setzte, ein Museum<br />
(vgl. Abschnitt 4.12) am „Schifflersgrund“ zu errichten, um auf diese Weise an die<br />
Zeit der deutschen Teilung zu erinnern. Der elf Meter hohe Beobachtungsturm<br />
der DDR-Grenztruppen überragt auch heute noch das Gelände und ist schon<br />
von weitem zu sehen. Viele Exponate stammen aus den Beständen des Bundesgrenzschutz<br />
und der DDR-Grenztruppen.<br />
Die Ausstellung informierte über die deutsch-deutsche Vergangenheit und erlaubte<br />
Eindrücke über das Leben im grenznahen Raum. Die Besichtigung eines<br />
etwa ein Kilometer langen Teilstückes des sogenannten „Todesstreifens“, der als<br />
Teil des Mahnmals erhalten worden ist, vermittelte ein besonders einprägsames<br />
Bild von der noch sehr nahen deutsch-deutschen Geschichte und dem täglichen<br />
Leben mit der Grenze. Der besondere Wert dieses Museums liegt vor allem darin,<br />
dass es sich um eine private, unabhängige Initiative handelt, die durch ihr<br />
Engagement versucht, Bewusstsein für die Probleme der deutsch-deutschen<br />
Geschichte zu erzeugen.<br />
Im Grenzmuseum „Schifflersgrund“<br />
59
Dokumentation des Seminars<br />
3.3.12 Workshop I<br />
An diesem Tag wurden parallel zwei unterschiedliche Workshops (vgl. Abschnitt<br />
4.20) angeboten. Dadurch erhielten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer die<br />
Möglichkeit, einen speziellen Aspekt des Seminars gemeinsam und weitgehend<br />
selbstbestimmt zu bearbeiten. Eine Gruppe beschäftigte sich mit den bisher erlebten<br />
Zeitzeugengesprächen (vgl. Abschnitt 4.13) und die anderen widmeten sich<br />
der Spurensuche (vgl. Abschnitt 4.6 und 4.16) vor Ort. Dabei musste jede Gruppe<br />
eine Wandzeitung (vgl. Abschnitt 4.19) gestalten, die am Ende des Workshops zur<br />
Präsentation der Ergebnisse vor der ganzen Gruppe verwendet wurde.<br />
Gruppe A: Oral History<br />
Am Anfang des Workshops wurden in einem Brainstorming (vgl. Abschnitt 4.4) die<br />
speziellen Faktoren gesammelt, die der Interviewer eines Zeitzeugen vor, während<br />
und nach dem Gespräch zu beachten hat. Die Ideen wurden auf Zettel notiert<br />
und an einer Stellwand dem jeweiligen Bereich zugeordnet (vgl. Abschnitt 4.19).<br />
Das Sammeln und Niederschreiben der Gedanken war strukturiert und sehr produktiv.<br />
Es wurde deutlich, dass die Teilnehmerinnen und Teilnehmer die Abläufe<br />
während der Zeitzeugengespräche intensiv beobachtet hatten. Eine Teilnehmerin<br />
aus Rumänien schrieb später, dass ihr zu diesem Zeitpunkt klar wurde, wie viel<br />
sie durch die bisher erlebten Zeitzeugengespräche schon gelernt hatte.<br />
Der zweite Schritt galt der praktischen Erfahrung. Dazu wurde sich des Rollenspiels<br />
(vgl. Abschnitt 4.14) mit Video-Beobachtung (vgl. Abschnitt 4.11) bedient<br />
und für einen ersten Durchgang das Thema „Mein bester Freund“ gewählt. Das<br />
bedeutete: Jeder Teilnehmer des Workshops bekam eine Rolle zugewiesen. Er<br />
konnte entweder Befragter, Interviewer, Beobachter oder Teil des Publikums sein.<br />
Nach einer kurzen Vorbereitungszeit begann das Simulationsspiel. Dann wurden<br />
die Rollen neu verteilt und ein anderes, die Gruppe direkt betreffendes Thema<br />
festgelegt: „Die Situation in Jugoslawien von 1990 bis 1992“. Zwei Teilnehmer<br />
aus dem ehemaligen Jugoslawien erklärten sich dazu bereit, die Rolle des Interviewers<br />
und des Befragten zu übernehmen. In den an die beiden Rollenspiele<br />
anschließenden Diskussionen und der gemeinsamen Auswertung der Videoaufzeichnungen<br />
wurde deutlich, dass der Perspektivenwechsel und das Einfühlen in<br />
eine fremde Rolle beim simulierten Zeitzeugengespräch von der Gruppe als sehr<br />
positiv und hilfreich empfunden wurde.<br />
60
Beim Rollenspiel<br />
Dokumentation des Seminars<br />
Gruppe B: Spurensuche<br />
Die zweite Gruppe beschäftigte sich mit dem Lernprozess an historischen Orten<br />
im Rahmen einer Erkundung. Das Ziel der Exkursion war das ehemalige KZ-<br />
Außenlager Buchenwald in Witten-Annen. Mitte der achtziger Jahre hatte eine<br />
Schulklasse aus Witten durch Zufall Aufzeichnungen über das Lager entdeckt.<br />
Daraufhin wurde ein Historiker beauftragt Nachforschungen anzustellen. Kurze<br />
Zeit später wurde eine „Gedenkschrift für die Opfer der Zwangsarbeit in Witten,<br />
1941-1945“ veröffentlicht und ein künstlerischer Ideenwettbewerb zur Errichtung<br />
einer Gedenkstätte initiiert.<br />
Die Gruppe besichtigte mit einem Denkmalpfleger der Stadt Witten, Martin Jakel,<br />
das Gelände und wurde von ihm in die Geschichte des Lagers eingeführt. Anschließend<br />
hatten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer dieses Workshops Zeit,<br />
selbstständig das Gebiet zu erkunden, zu fotografieren (vgl. Abschnitt 4.11) und Interviews<br />
(vgl. Abschnitt 4.2) in der Nachbarschaft zu machen. Dabei bewahrheitete<br />
sich, dass es nicht mehr viele Überreste auf dem Gelände zu sehen gibt, außer<br />
einer Gedenktafel und den freigelegten, aber zum Teil wieder fast überwucherten<br />
Zaunpfählen, die das ehemalige Lager einst umgaben. Die Gespräche mit den Anwohnern<br />
waren zwar nicht sehr ergiebig, aber immerhin wussten einige von ihnen<br />
61
Dokumentation des Seminars<br />
Martin Jakel zeigt Fotos<br />
von der Existenz des ehemaligen Außenlagers. In der anschließenden Diskussion<br />
wurde deutlich, dass es sich hier um einen historischen Ort handelt, der zwar in<br />
Vergessenheit geraten und von dessen ehemaliger Geschichte zu sehen ist, dass<br />
aber durch die Zusammenarbeit und das Engagement verschiedener Menschen<br />
und Institutionen trotzdem ein Gedenkort errichtet werden konnte. Am Schluss<br />
wurde eine Wandzeitung (vgl. Abschnitt 4.19) mit Fotos und Informationen über<br />
das Außenlager angefertigt und später der ganzen Gruppe präsentiert.<br />
Literatur<br />
Stadt Witten (Hrsg.): Künstlerischer Ideenwettbewerb zu einer Gedenkstätte auf dem Gelände<br />
des ehemaligen KZ-Außenlagers Buchenwald in Witten-Annen. Dokumentation,<br />
Witten, Wetter 1993.<br />
Völkel, Klaus: „Hier ruhen 22 Genossen, zu Tode gequält ...“. Gedenkschrift für die Opfer<br />
der Zwangsarbeit in Witten, 1941-1945, hrsg. von der Stadt Witten, Bochum 1992.<br />
3.3.13 Stadtrundgang mit Valentin Frank in Dortmund<br />
Gemeinsam mit der Gruppe suchte Valentin Frank, der unter den Nationalsozialisten<br />
als „Halbjude“ verfolgt worden war, in der Dortmunder Innenstadt nach den<br />
Spuren (vgl. Abschnitt 4.16) seiner Kindheit und Jugendzeit im Dritten Reich. Im<br />
62
Dokumentation des Seminars<br />
Vordergrund dieses Stadtrundgangs (vgl. Abschnitt 4.17) standen seine Erlebnisse<br />
während der „Reichskristallnacht“ 1938. Anhand von Postkarten zeigte er<br />
der Gruppe die heute kaum mehr widerzuerkennenden Orte und berichtete über<br />
seine Erinnerungen aus dieser Zeit. Eine wichtige Station war der Platz der Alten<br />
Synagoge (vgl. Stadtrundgang in Dortmund, Abschnitt 3.3.5), dem heutigen<br />
Opernvorplatz. Dort stand bis zur „Reichskristallnacht“ die größte Dortmunder<br />
Synagoge. Am Morgen danach war der neunjährige Valentin durch die Straßen<br />
gelaufen und auch an diesem zerstörten Gebäude vorbei gekommen.<br />
Die Lokalpresse berichtete in verschiedenen Zeitungen über das Seminar und veröffentlichte<br />
ein Foto der Gruppe auf dem Platz der Alten Synagoge. Im Anschluss<br />
an diesen Stadtrundgang wurden einige der deutschsprechenden Teilnehmerinnen<br />
und Teilnehmer auch noch für das lokale Radio interviewt.<br />
3.3.14 Workshop II<br />
Beim zweiten Workshop (vgl. Abschnitt 4.20) stand die Auseinandersetzung mit<br />
der durch das Seminar erfahrenen Geschichtsaufarbeitung in <strong>Deutsch</strong>land einerseits<br />
und den persönlichen Erfahrungen der Teilnehmerinnen und Teilnehmer<br />
andererseits im Vordergrund. Das Ziel war, Projektideen für die eigenen Länder<br />
zu entwerfen beziehungsweise zu transformieren mithilfe der neu erworbenen<br />
Kenntnisse. Zuerst wurde eine kurze Bewegungseinheit „Katze und Mäuse“ (vgl.<br />
Abschnitt 4.10) durchgeführt, um den Kreislauf für einen langen Tag im Sitzen<br />
anzukurbeln.<br />
Dann wurde ein Fragebogen (vgl. Abschnitt 7.2) verteilt, der im Wesentlichen den<br />
üblichen Antragsformularen für staatliche oder EU-Förderungen (zum Beispiel<br />
EU-Programm „Jugend“) ähnelt. Die Teilnehmer sollten in Einzelarbeit oder zu<br />
zweit eine Projektidee formulieren, die Umsetzungsschritte skizzieren und ein<br />
Budget festlegen. Die Anträge, die so entstanden und in der zweiten Phase des<br />
Workshops der Gruppe vorgestellt wurden, waren sehr unterschiedlich, bezogen<br />
sich aber auf den internationalen Austausch mit historisch orientierten Themen.<br />
Eine Teilnehmerin aus Bulgarien und ein Teilnehmer aus Mazedonien planten beispielsweise<br />
ein gemeinsames Projekt, mit dem Ziel den Nationalismus auf beiden<br />
Seiten zu bekämpfen und eine Annäherung der beiden Nachbarländer zu fördern.<br />
Die Gruppe sollte aus Studierenden bestehen und zum großen Teil mit den Methoden<br />
arbeiten, die sie in <strong>Deutsch</strong>land kennen gelernt hatten. Über die Verständigung<br />
und Zusammenarbeit auf dem Balkan gab es gleich drei verschiedene<br />
Projekt ideen, die immer länderübergreifend geplant wurden. Die Betonung der<br />
63
Dokumentation des Seminars<br />
Während des Workshops<br />
gemeinsamen Vergangenheit und die Skizzierung einer gemeinsamen Zukunft<br />
spielten dabei stets eine große Rolle. Weitere Projektideen beschäftigten sich mit<br />
dem Zusammenleben der verschiedenen ethnischen Gruppen, der Verarbeitung<br />
des Kommunismus und dem Umgang mit der eigenen Geschichte. Darüber hinaus<br />
gab es auch konkrete Vorschläge für Weiterbildungsveranstaltungen mit Lehrern<br />
und anderen Fachkräften aus der schulischen und außerschulischen Jugend- und<br />
Erwachsenenbildung, um unter anderem die erlernten Methoden weitergeben zu<br />
können. Eine Teilnehmerin aus Rumänien skizzierte die Errichtung eines kulturellen<br />
und pädagogischen Zentrums in ihrer Heimatstadt. Nach ihren Überlegungen<br />
sollte ein Ort geschaffen werden, an dem Schüler, Studenten, Einwohner und auch<br />
Touristen aus dem In- und Ausland sich über die verschiedenen Religionen, Kulturen<br />
und Gesellschaften austauschen können. In zeitlicher und finanzieller Hinsicht<br />
waren die meisten Projektideen sehr realistisch. Am Ende des Workshops wurde<br />
vereinbart, sich weiter über die geplanten Projekte auszutauschen, um vielleicht<br />
einige der Einfälle verwirklichen zu können.<br />
64
Dokumentation des Seminars<br />
3.3.15 Schlussauswertung<br />
Ein wichtiger Bestandteil des Seminars war die Schlussauswertung (vgl. Abschnitt<br />
4.1). Die Seminarteilnehmerinnen und Seminarteilnehmer erhielten dabei<br />
die Gelegenheit, sich konstruktiv, aber auch kritisch über das Projekt zu äußern.<br />
Am Anfang dieses Abschnittes stand wieder eine kleine Bewegungseinheit (vgl.<br />
Abschnitt 4.10). Nachdem der Kreislauf erneut in Schwung gebracht worden<br />
war, begann es mit einer einfachen Auswertungsmethode, dem Zeitstrahl (vgl.<br />
Abschnitt 4.1). Dabei wurde auf einem großen Plakat ein langer Pfeil aufgemalt:<br />
am Anfang stand das erste Datum unserer Begegnung und am Ende das letzte.<br />
Darunter waren nebeneinander alle Termine aufgeführt, die die Gruppe in den<br />
vorausgegangenen zehn Tagen wahrgenommen hatte. Bevor die Teilnehmerinnen<br />
und Teilnehmer den Zeitstrahl zu sehen bekamen, wurden sie aufgefordert,<br />
die Punkte auf Karten zu schreiben, die ihnen gut gefallen hatten oder die sie für<br />
besonders wichtig hielten. Anschließend mussten sie ihre Karten am Zeitstrahl<br />
zuordnen. Dabei stellte sich heraus, dass besonders der Besuch in Buchenwald,<br />
die Zeitzeugengespräche und der Workshop zur Oral History auf herausragendes<br />
Interesse gestoßen waren. Darüber hinaus wurden besonders die Begegnung und<br />
Freundschaft in der Gruppe, die Informationen über die deutsche Geschichte, die<br />
neu erlernten Methoden und die gute Organisation hervorgehoben.<br />
In einem zweiten Schritt sollte jedes Mitglied der Gruppe einen Brief an sich selbst<br />
schreiben. Thema waren die vorausgegangenen zehn Tage. Dieser Brief wurde<br />
dann kuvertiert und der Seminarleitung übergeben, die ihn mehrere Wochen später<br />
an den entsprechenden Teilnehmer verschickte. Dadurch konnten die Teilnehmerinnen<br />
und Teilnehmer eine persönliche Bilanz ziehen. Die spätere Zustellung<br />
sollte sie noch einmal an das Seminar, ihre Eindrücke und Vorsätze erinnern. Dann<br />
wurde die Frage vom ersten Tag wiederholt: „Was bedeutet Geschichte für dich?“<br />
Die Diskussion war relativ kurz und wenig ergiebig. Der ersten Einschätzung<br />
hatten nur wenige etwas hinzuzufügen. Zum Abschluss der Auswertung wurde<br />
eine weitere unkomplizierte Auswertungsmethode, der Fischteich (vgl. Abschnitt<br />
4.1), genutzt. Dafür wurde auf einem Plakat ein Fischteich, ein Koffer und eine<br />
Glaskugel gezeichnet. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer befestigten darauf<br />
ihre Karten (in Fischform), auf denen sie zuvor ihre Einschätzungen zu folgenden<br />
Punkten vermerkt hatten:<br />
a) Das will ich nicht mit nach Hause nehmen.<br />
b) Das will ich mit nach Hause nehmen.<br />
c) Das habe ich vermisst.<br />
65
Dokumentation des Seminars<br />
Bei der Schlussauswertung<br />
Hier wurden die bisherigen Antworten noch einmal deutlicher ausdifferenziert als<br />
beim Zeitstrahl. Die Gruppe evaluierte das Seminar im Ganzen als sehr positiv<br />
und funktional. Die Motivation, das neu gewonnene Wissen in ihrem Heimatland<br />
zu verbreiten, war sehr hoch. Kritisiert wurde hauptsächlich, dass es zu wenig<br />
Pausen und Phasen der Ruhe gegeben hätte.<br />
Zum Schluss erhielten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer einige Unterlagen<br />
über die vermittelten Methoden. Außerdem sollten sie innerhalb von zwei Wochen<br />
eine Bücherliste an die Organisatoren senden, mit dem Material, das sie für das<br />
Thema geeignet fänden. Aus den Vorschlägen und Wünschen wurde eine Liste<br />
von zwölf englischsprachigen Publikationen zum Thema Geschichtsaufarbeitung<br />
erstellt. Diese Bücher wurden angeschafft und an die Teilnehmerinnen und Teilnehmer<br />
verschickt, die sie in ihren Heimatländern an öffentlichen Orten unterbringen<br />
und damit auch für andere Interessierte zugänglich machen sollen.<br />
66
4. Methoden<br />
4.1 Auswertung<br />
Methoden<br />
Um Seminare beurteilen und vielleicht auch verbessern zu können, sind Informationen<br />
über den Ablauf notwendig. Deshalb gilt es herauszuarbeiten, „wie sich<br />
das Seminargeschehen (und die Gruppe) entwickelt, festzustellen, was gut läuft<br />
und/oder wo es Probleme gibt“ (Gugel 1994, 61). Hier wird (selbst-)kritisch nach<br />
einer Bewertung der verschiedenen Bestandteile gefragt und gemeinsam mit<br />
den Teilnehmerinnen und Teilnehmern besprochen. Vor der Gesamtauswertung<br />
am Ende einer Veranstaltung kann eine Zwischenbilanz für die Optimierung des<br />
weiteren Verlaufs sorgen. Das Blitzlicht (vgl. Abschnitt 4.3) ist dafür gut geeignet,<br />
denn es liefert in kürzester Zeit ein Meinungsbild. Gemeinsam ist Zwischenbilanz<br />
und Auswertung, dass sie den Teilnehmerinnen und Teilnehmern das Gefühl vermittelt,<br />
ernst genommen zu werden. Darüber hinaus haben sie eine entlastende<br />
Funktion, da auf diesem Wege Gefühle und Meinungen geäußert werden können.<br />
Der Zeitstrahl im Seminar<br />
67
Methoden<br />
Die Seminarleitung erhält so Informationen, die „eine wichtige Grundlage und<br />
Entscheidungshilfe für das weitere Vorgehen bzw. für die Konzeption späterer<br />
<strong>Bildungs</strong>veranstaltungen“ (Gugel 2000, 61) darstellen. Im Seminar wurden zwei<br />
einfache Auswertungsmethoden angewendet: der Zeitstrahl und der Fischteich.<br />
Der Zeitstrahl<br />
Für diese Auswertungsmethode wird ein großes Plakat benötigt. Darauf wird ein<br />
langer Pfeil gemalt: am Anfang steht das Datum des ersten Seminartages und am<br />
Ende das letzte. Unter dem Zeitstrahl können dann der Reihe nach alle gemeinsamen<br />
Termine beziehungsweise Programmbestandteile aufgeführt werden. Bevor<br />
die Teilnehmerinnen und Teilnehmer das Plakat zu Gesicht bekommen, werden<br />
sie gebeten, auf Karten diejenigen Programmpunkte oder -bestandteile aufzuschreiben,<br />
die ihnen gut gefallen haben oder die sie für besonders wichtig hielten.<br />
Anschließend werden sie unter dem Zeitstrahl angebracht. So ergibt sich durch<br />
unterschiedliche Häufigkeiten der Nennungen ein übersichtliches Stimmungsbild.<br />
Rückfragen zu den einzelnen Karten sind möglich.<br />
Der Fischteich<br />
Auch hier wird ein großes Plakat benötigt. Darauf wird ein Fischteich, ein Koffer<br />
und eine Glaskugel gezeichnet. Der Fischteich symbolisiert die Frage nach den<br />
Dingen, die Bestandteil des Seminars waren, aber nicht mit nach Hause genommen<br />
werden wollen. In den Koffer kommen all jene Dinge, welche die Teilnehmerinnen<br />
und Teilnehmer gerne mitnehmen würden. Die Glaskugel steht schließlich<br />
für Fragen und Probleme, die nicht geklärt oder vermisst werden. Dann erhalten<br />
die Teilnehmerinnen und Teilnehmer genügend Karten (vielleicht in Form von<br />
Fischen und in unterschiedlichen Farben zurechtgeschnitten) und tragen darauf<br />
ihre Antworten auf die oben genannten Fragen ein. Anschließend heften alle aus<br />
der Gruppe nacheinander ihre Karten auf das Plakat und kommentieren wenn<br />
möglich ihre Stichpunkte. Nachfragen sind hier erwünscht.<br />
Vorbereitung<br />
Es ist wichtig, für genügend Stifte, Karten, Stecknadeln und ein großes Plakat<br />
(braunes Packpapier, alte Tapetenrolle, Posterrückseite etc.) zu sorgen.<br />
Literatur<br />
Ackermann, Paul/Breit, Gotthard/Cremer, Will [et. al.]: Politikdidaktik kurzgefaßt. Planungsfragen<br />
für den Politikunterricht, Bonn 1995 [Neudruck].<br />
68
Der Fischteich<br />
Methoden<br />
69
Methoden<br />
Gugel, Günther: Praxis politischer <strong>Bildungs</strong>arbeit. Methoden und Arbeitshilfen, Tübingen<br />
3 1994, S. 61-73.<br />
Kuhn, Hans-Werner: Auswertung, in: Kuhn, Hans-Werner/Massing, Peter (Hrsg.): Lexikon<br />
der politischen Bildung. Bd. 3: Methoden und Arbeitstechniken, Schwalbach/Taunus<br />
2000, S. 9.<br />
Vergleiche Abschnitt 3.3.7 „Zwischenauswertung“ und Abschnitt 3.3.15 „Schlussauswertung“<br />
4.2 Befragung<br />
Zur Beschaffung von Informationen wird im politischen Unterricht und in der<br />
außerschulischen Jugend- und Erwachsenenbildung häufig die Methode der<br />
Befragung beziehungsweise der Expertenbefragung genutzt. Verhältnismäßig<br />
neu ist, dass die Befragung, welche beispielsweise im Rahmen einer Erkundung<br />
(vgl. Abschnitt 4.6) stattfinden kann, einen offenen Ausgang hat. Ziel ist es, einen<br />
Konflikt zu erfassen und einen eigenen Standpunkt zu entwickeln. Befragt werden<br />
Betroffene oder Expertinnen und Experten. So lernen die Teilnehmerinnen und<br />
Teilnehmer den Umgang mit kompetenten Gesprächspartnern und sich selbst<br />
ein Bild zu machen. „Bei ‚Expertenbefragungen‘ werden fachkundige Personen<br />
in Interviews oder in Diskussionen, die unter gezielten Fragestellungen stehen,<br />
um Informationen zu bestimmten Sachverhalten gebeten“ (Gugel 1994, 296).<br />
Im Gegensatz zur Textarbeit ist dies eine handlungsorientierte Methode, um an<br />
Informationen zu kommen.<br />
Der Experte oder die Expertin kann aus der Gruppe oder dem näheren Umfeld<br />
stammen, dass heißt eine Person (oder mehrere Personen) aus der Gruppe arbeitet<br />
sich in ein Themengebiet ein und stellt sich dann den Fragen. Es ist aber<br />
auch möglich, eine Person von außerhalb einzuladen oder zu besuchen. Im Politikunterricht<br />
werden beispielsweise nicht selten Jugendrichter oder Staatsanwälte<br />
nach einer Gerichtsverhandlung von Jugendlichen befragt.<br />
Eine wichtige Voraussetzung für eine gelungene Durchführung ist immer eine<br />
gute Vorbereitung: „Je besser die Lernenden vorbereitet sind, desto eher werden<br />
sie Fragen stellen, die die Expertin bzw. den Experten fordern. Sie werden sich<br />
mit ausweichenden Antworten nicht zufrieden geben und Nachfragen stellen“<br />
(Breit 2000, 40). Ist die Vorbereitung unzulänglich, wird der Experte diese Gelegenheit<br />
wahrscheinlich nutzen, um einen Vortrag zu halten. Die anschließende<br />
Diskussion wird er dann durch seine Sachverständigkeit dominieren können und<br />
es verstehen, seine Ansichten in das beste Licht rücken. Eine Vorbereitung der<br />
Expertin oder des Experten ist ebenfalls unerlässlich. Es ist beispielsweise keine<br />
70
Methoden<br />
Voraussetzung für eine Expertenbefragung, die Fachsprache zu verstehen. Der<br />
Befragte sollte deshalb versuchen, sich dem Niveau der Gruppe anzupassen und<br />
sich verständlich auszudrücken.<br />
Vorbereitung<br />
1. In der Vorbereitungsphase sollte das Vorverständnis der Teilnehmerinnen<br />
und Teilnehmer vom Sachverhalt geklärt werden. Welche Informationen und<br />
Einschätzungen besitzen wir bereits? Wo liegen unsere Unsicherheiten, sind<br />
Recherchen nötig?<br />
2. Was können wir überhaupt von einem Experten erwarten und wo finden wir die<br />
geeignete Person zu unserem Themenbereich? Eine Möglichkeit ist es, sich<br />
an Parteien, Verbände, Vereine oder Universitäten zu wenden und dort um<br />
Unterstützung zu bitten. Manchmal ist es schwer, eine geeignete Person einzuladen,<br />
da sie beruflichen Verpflichtungen nachkommen muss. Expertinnen<br />
und Experten, zu deren beruflichen Aufgaben die Öffentlichkeitsarbeit gehört,<br />
sind meistens leichter zu gewinnen.<br />
3. Bei der Suche und Auswahl sollte bedacht werden, worin die spezifische<br />
fachliche Kompetenz des Experten liegt. Wer ist der richtige Experte für unsere<br />
Gruppe und für unsere Fragestellung? Falls der Experte einen speziellen<br />
Ansatz vertritt, wäre es darüber hinaus sinnvoll zu klären, ob auch andere<br />
Richtungen gehört werden sollen. Dazu können die Expertinnen und Experten<br />
einzeln oder gleichzeitig befragt werden. Diese spezifische Form der Sachverständigenbefragung<br />
wird Hearing genannt und vor allem im parlamentarischpolitischen<br />
Raum genutzt.<br />
4. Die finanzielle Seite muss geregelt werden. Erwartet der Experte ein Honorar<br />
für das Gespräch beziehungsweise können wir ihm überhaupt ein Honorar<br />
anbieten? Eine Möglichkeit Kosten zu sparen, ist die Suche nach anderen<br />
Organisationen, die Interesse an diesem Expertengespräch haben und<br />
bereit zu einer finanziellen Beteiligung sind (wie Vereine, Gewerkschaften,<br />
Universitäten, etc.).<br />
5. Ein Fragenkatalog beziehungsweise Interviewleitfaden muss erarbeitet werden.<br />
Welche Themenbereiche sollen angesprochen werden? Daneben sollte<br />
noch Platz für spontane, nicht vorbereitete Fragen eingeplant werden.<br />
6. Es muss eine Absprache getroffen werden über die Arbeitsform während der<br />
Expertenbefragung. Wer übernimmt die Moderation? Wer stellt die Fragen?<br />
Wie soll die Befragung strukturiert sein?<br />
7. Wie wird anschließend mit den Ergebnissen weiter gearbeitet? Soll die<br />
Befragung dokumentiert werden? Dann muss vor dem Gespräch geklärt<br />
werden, wie diese Dokumentation aussehen soll. Wer übernimmt welche<br />
71
Methoden<br />
72<br />
Aufgaben? Wie wird dokumentiert (Video, Foto, Tonbandaufzeichnung, etc.)?<br />
Ist der Experte überhaupt mit einer Dokumentation einverstanden?<br />
Durchführung<br />
1. Zuerst können die Expertinnen und Experten ihre Position kurz darstellen.<br />
Danach werden die Äußerungen hinterfragt, vertieft und in Frage gestellt.<br />
Dabei strukturieren die Fragen der Teilnehmerinnen und Teilnehmer die<br />
Veranstaltung.<br />
2. Expertenbefragungen sind keine Expertenvorträge. Deshalb sollte der<br />
Moderator darauf achten, dass tatsächlich auf die Fragen aus der Gruppe<br />
eingegangen wird.<br />
Nachbereitung<br />
1. Nach der Expertenbefragung sollten die Eindrücke und die neugewonnenen<br />
Informationen miteinander verglichen werden.<br />
2. Unklarheiten werden durch weitere Recherchen beseitigt.<br />
Literatur<br />
Breit, Gotthard: Expertenbefragung, in: Kuhn, Hans-Werner/Massing, Peter (Hrsg.):<br />
Lexikon der politischen Bildung. Bd. 3: Methoden und Arbeitstechniken, Schwalbach/<br />
Taunus 2000, S. 39-42.<br />
Engelhart, Klaus: Arbeitsformen und Arbeitstechniken, in: Mickel, Wolfgang W./Zitzlaff,<br />
Dietrich (Hrsg.): Handbuch zur politischen Bildung, Bonn 1988, S. 262-267.<br />
Giesecke, Hermann: Politische Bildung. Didaktik und Methodik für Schule und Jugendarbeit,<br />
Weinheim, München 22000 [überarbeitete und erweiterte Auflage].<br />
Gugel, Günther: Praxis politischer <strong>Bildungs</strong>arbeit. Methoden und Arbeitshilfen, Tübingen<br />
31994, S. 296.<br />
Nitzschke, Volker: Befragung, in: Kuhn, Hans-Werner/Massing, Peter (Hrsg.): Lexikon der<br />
politischen Bildung. Bd. 3: Methoden und Arbeitstechniken, Schwalbach/Taunus 2000,<br />
S. 10.<br />
Vergleiche Abschnitt 3.3.4 „Die Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit<br />
Dortmund e. V.“<br />
4.3 Blitzlicht<br />
„Ein Blitzlicht stellt eine Momentaufnahme des Seminargeschehens dar und<br />
spiegelt die Stimmung der Gruppe wider“ (Gugel 2000, 14). Dazu werden alle<br />
Teilnehmerinnen und Teilnehmer gebeten, sich der Reihe nach kurz zu einer Fra-
Methoden<br />
gestellung, die vom Moderator vorgegeben wird, zu äußern (Zum Beispiel: „Welcher<br />
Programmpunkt war für mich heute wichtig?“). Hierbei gibt es fünf Regeln:<br />
1. Fasse dich kurz.<br />
2. Wiederhole nicht, was dein Vorredner gesagt hat.<br />
3. Unterbreche niemanden, lass den Redner ausreden.<br />
4. Nur der Moderator hat das Recht, jemanden zu unterbrechen oder in den<br />
Ablauf einzugreifen, wenn er es für nötig hält.<br />
5. Der Moderator muss im Falle einer Störung eingreifen, um wieder eine<br />
Arbeitsatmosphäre herzustellen.<br />
Diese Methode bietet der Seminarleitung die Möglichkeit, rasch ein Meinungsbild<br />
zu ermitteln und es kann immer dann eingesetzt werden, wenn man die Stimmung<br />
in der Gruppe erheben will. Während des Blitzlichtes findet keine Diskussion statt,<br />
die Äußerungen werden nicht kritisiert oder kommentiert. Es geht vor allem darum,<br />
dass jeder seine Meinung frei mitteilen kann.<br />
Ein Blitzlicht braucht nicht weiter in der Gruppe bearbeitet zu werden. Es kann<br />
für sich stehen bleiben. Wird aber beabsichtigt, es als eine Grundlage für das<br />
weitere Vorgehen zu nutzen, dann sollte noch einmal mit allen Teilnehmerinnen<br />
und Teilnehmern über die verschiedenen Aspekte, die während des Blitzlichtes<br />
deutlich wurden, diskutiert werden.<br />
Literatur<br />
Gugel, Günther: Praxis politischer <strong>Bildungs</strong>arbeit. Methoden und Arbeitshilfen, Tübingen<br />
31994, S. 65.<br />
Gugel, Günther: Blitzlicht, in: Kuhn, Hans-Werner/Massing, Peter (Hrsg.): Lexikon der<br />
politischen Bildung. Bd. 3: Methoden und Arbeitstechniken, Schwalbach/Taunus 2000,<br />
S. 14.<br />
Vergleiche Abschnitt 3.3.7 „Zwischenauswertung“<br />
4.4 Brainstorming<br />
Das Brainstorming (wörtlich übersetzt: Gehirnsturm) ist eine Kreativitätstechnik<br />
und Standardmethode der <strong>Bildungs</strong>arbeit, die auf dem Prinzip der freien Assoziation<br />
basiert. Sie gilt als aktivierend, da dass Engagement und die Handlungsmöglichkeiten<br />
der Teilnehmerinnen und Teilnehmer im Vordergrund steht. Einzelne<br />
oder Gruppen sollen zu einer klar benannten Frage (Problem) ihre Gedanken<br />
beziehungsweise Einfälle äußern. Diese werden ungefiltert visualisiert, beispielsweise<br />
auf einer Wandzeitung (vgl. Abschnitt 4.19). Die zur Verfügung stehende<br />
Zeit sollte begrenzt sein (5-10 Minuten).<br />
73
Methoden<br />
Ziel ist es, Blockaden auszuschalten und eine Fülle von Einfällen zu sammeln. Dabei<br />
soll Raum für konventionelle ebenso wie für innovative und auch „wilde“ Ideen<br />
sein. Kritik oder Bewertung sind in dieser Phase nicht erwünscht. Kommentare,<br />
Gelächter oder Beifall wirken störend. Eine Bedingung für diese Methode ist eine<br />
entspannte und offene Gruppenatmosphäre. Heterogene Gruppen produzieren<br />
dabei mehr Einfälle als homogene. Deshalb sollte das Brainstorming nicht in der<br />
Anfangsphase eines Seminars eingesetzt werden, da sein Einsatz eine gewisse<br />
Vertrautheit der Teilnehmerinnen und Teilnehmer voraussetzt. Erst im zweiten<br />
Schritt, in der Auswertung, werden die Ideen geordnet, erläutert und bewertet.<br />
„Die Hauptwirkungsweise von Brainstorming liegt im sogenannten Synergieeffekt,<br />
dem produktiven Zusammenwirken verschiedener Sichtweisen und Erfahrungen<br />
und der damit verbundenen Mobilisierung bislang unbewusster Einfälle“ (Gugel<br />
2000, 15). Durch Brainstorming wird Gruppenarbeit produktiver, da fremde Ideen<br />
als „Sprungbrett“ benutzt werden können. Ein Moderator sorgt dafür, dass die<br />
Regeln eingehalten werden.<br />
Vorbereitung<br />
Die benötigten Materialien sollten vorhanden sein: eine Wandtafel oder ein großes<br />
Blatt Papier, ausreichend Stifte, Karten und Stecknadeln.<br />
Literatur<br />
Gugel, Günther: Praxis politischer <strong>Bildungs</strong>arbeit. Methoden und Arbeitshilfen, Tübingen<br />
31994, S. 135 und 138.<br />
Gugel, Günther: Brainstorming, in: Kuhn, Hans-Werner/Massing, Peter (Hrsg.): Lexikon<br />
der politischen Bildung. Bd. 3: Methoden und Arbeitstechniken, Schwalbach/Taunus<br />
2000, S. 14-15.<br />
Vergleiche Abschnitt 3.3.7 „Zwischenauswertung“ und Abschnitt 3.3.12 „Workshop<br />
I“<br />
4.5 Bühnenspiel<br />
Anfangssituationen, wenn eine neue Gruppe sich formiert, sind immer von Unsicherheit<br />
geprägt. Das Bühnenspiel dient dem Einstieg und dem ersten Kennenlernen.<br />
Es soll helfen, die Spannung zu nehmen und eine gute Atmosphäre unter<br />
den Teilnehmerinnen und Teilnehmern zu schaffen.<br />
Eine Voraussetzung für das Bühnenspiel ist eine Gruppengröße von mindestens<br />
15 Personen. Der Raum wird zu diesem Zweck in einen Zuschauerbereich und<br />
eine Bühne eingeteilt. Im Vorfeld überlegt sich die Spielleitung Fragestellungen,<br />
74
Methoden<br />
die für sie und die Gruppe interessant sein könnten. Die vorbereiteten Aufgaben<br />
werden zu Beginn des Spiels vorgelesen, wie: „Alle, die hier mehr als zwei Menschen<br />
kennen, bitte auf die Bühne!“ oder „Alle, die gut Englisch verstehen und<br />
sprechen, bitte auf die Bühne!“ Man kann auch eine große Gruppe auf die Bühne<br />
bitten – zum Beispiel mit der Frage „Wer spricht eine Fremdsprache?“ – und diese<br />
Gruppe immer weiter verkleinern („Wer spricht zwei Fremdsprachen? Drei?<br />
Vier?“). Zum Ende können die Teilnehmerinnen und Teilnehmer selbst die Möglichkeit<br />
erhalten, ihren Mitspielern solche Fragen zu stellen. Bei internationalen<br />
Begegnungen muss auf die Sprachkenntnisse geachtet werden! Das Ziel dieser<br />
Methode ist es, die Informationen übereinander für alle „sichtbar“ zu machen und<br />
einen spielerischen, angstfreien Einstieg in ein Seminar zu ermöglichen.<br />
Vorbereitung<br />
Es muss dafür gesorgt werden, dass ein genügend großer Raum zur Verfügung<br />
steht (falls das Wetter gut ist, kann das „Spiel“ auch draußen stattfinden). Der<br />
Raum muss in einen Zuschauerraum und eine Bühne eingeteilt werden (eventuell<br />
mit Kreppband markieren).<br />
Literatur<br />
transfer e. V. (Hrsg.): Reader zu dem trägerübergreifenden Grundkurs für Teamerinnen<br />
und Teamer von internationalen Begegnungen 2001, Köln 2001.<br />
Vergleiche Abschnitt 3.3.1 „Gegenseitiges Kennenlernen und Vorstellung des<br />
Programms“<br />
4.6 Erkundung<br />
Die „Erkundung ist eine Realitätsbegegnung mit der Alltags- oder Umgebungswelt<br />
der Lernenden. Es geht dabei darum, Wirklichkeit so wie sie erscheint (nicht<br />
wie sie durch Wort, Schrift und Bild vermittelt wird) in sinnlicher Anschauung und<br />
Erfahrung zu erfassen, zu ordnen, zu analysieren“ (Gugel 1994, 292). Vor allem<br />
im Politikunterricht wird diese Methode immer häufiger eingesetzt, da sie „das<br />
abstrakte Lernen unterstützen, voranbringen und ergänzen“ kann (Weißeno 2000,<br />
37). Es handelt sich hier um eine Form der Exkursion, bei der im Gegensatz zur<br />
Besichtigung Begegnungen mit Dritten vorgesehen sind. Die aktive Mitarbeit<br />
der Teilnehmerinnen und Teilnehmer ist eine wichtige Voraussetzung. Sie sollen<br />
eigenständig Erkundungsaufträge durchführen, die durch Anregungen zustande<br />
gekommen sind, selbst ausgewählt oder sogar selbst entwickelt wurden. Es können<br />
Alleinerkundungen (bei einfachen Beobachtungsaufgaben), Gruppenerkun-<br />
75
Methoden<br />
dungen (bei komplizierteren Aufgaben, welche die gegenseitige Hilfe erfordern)<br />
und Großgruppenerkundungen (aus Zeit- beziehungsweise Sicherheitsgründen)<br />
durchgeführt werden. Eine Erkundung kann bereits vorstrukturiert sein oder die<br />
Teilnehmerinnen und Teilnehmer entscheiden selbst über die Methoden, den<br />
Schwerpunkt und das Erkundungsfeld.<br />
Vorbereitung<br />
1. Eine thematische Vorbereitung ist sehr wichtig, damit die Teilnehmerinnen<br />
und Teilnehmer sachkundige Fragen stellen und Beobachtungen machen<br />
können.<br />
2. Es müssen klare Absprachen über das Ziel der Erkundung und die Methoden<br />
getroffen werden; der Besuch sollte gegebenenfalls angekündigt werden.<br />
3. Es ist auch notwendig, dass die Lernenden die nötigen Arbeitstechniken beherrschen<br />
wie den Umgang mit einem Fragebogen, Interviewtechniken, das<br />
Recherchieren in Archiven etc.<br />
4. Erwartungen, Vorwissen, Einstellungen und Motivation der Lernenden sollten<br />
vor der Erkundung in Erfahrung gebracht werden.<br />
5. Die Zuständigkeiten und einzelnen Arbeitsschritte müssen festgelegt und verteilt<br />
werden.<br />
6. Die Art der Dokumentation sollte festgelegt werden (Fotodokumentation,<br />
Tagebuchaufzeichnungen etc.).<br />
Durchführung<br />
1. Die Beobachtungen, Befragungen, Gespräche etc. werden durchgeführt.<br />
2. Erste Eindrücke, Bewertungen und Erlebnisse können bereits festgehalten<br />
und auch schon präsentiert werden.<br />
Nachbereitung<br />
1. Ist die Erkundung erfolgreich verlaufen? In diesem Zusammenhang sollten<br />
auch die Arbeitstechniken und das Arbeitsverhalten einer Analyse unterzogen<br />
werden.<br />
2. Fertigstellung der Dokumentation: Bearbeitung, Präsentation und Zu sammenfassung<br />
der Ergebnisse.<br />
3. Zuletzt sollte die Bedeutung der Erkundung für das eigene Verhalten und die<br />
eigenen Einstellungen überprüft werden.<br />
76
Literatur<br />
Methoden<br />
Ackermann, Paul (Hrsg.): Politisches Lernen vor Ort. Außerschulische Lernorte im Politikunterricht,<br />
Stuttgart 1988.<br />
Gugel, Günther: Praxis politischer <strong>Bildungs</strong>arbeit. Methoden und Arbeitshilfen, Tübingen<br />
3 1994, S. 292.<br />
Weißeno, Georg: Erkundung, in: Kuhn, Hans-Werner/Massing, Peter (Hrsg.): Lexikon der<br />
politischen Bildung. Bd. 3: Methoden und Arbeitstechniken, Schwalbach/Taunus 2000,<br />
S. 37-38.<br />
Vergleiche Abschnitt 3.3.12 „Workshop I“<br />
4.7 Foto- und Bildbeschreibung<br />
„Bilder sprechen vor allem die Gefühlswelt des Menschen an. Sie wirken deshalb<br />
unmittelbarer als Texte. Sie erregen Neugier, erwecken oft spontane Zustimmung<br />
oder Ablehnung“ (Gugel 1994, 197). Der Begriff Bild ist hier sehr umfassend gemeint.<br />
Er trifft auf die Karikatur gleichermaßen zu wie auf das Werbeplakat oder<br />
das Gemälde. Nicht nur in der <strong>Bildungs</strong>arbeit werden symbol- und bildorientierte<br />
Darstellungen immer wichtiger, oft ergänzen oder ersetzen sie Sprache und<br />
Schrift. Dabei bedürfen sie einer Interpretation und Erläuterung, denn sie bilden<br />
die Realität nicht einfach ab, sondern können sie gleichzeitig interpretieren oder<br />
verfälschen. Durch die moderne Technik wie die elektronische Bildbearbeitung<br />
sind ganz neue Möglichkeiten entstanden.<br />
In der <strong>Bildungs</strong>arbeit gibt es verschiedene Formen und Intensitätsstufen zur Auseinandersetzung<br />
mit Bildern. Eine Möglichkeit ist zum Beispiel die Befragung von<br />
Bildern. Diese Herangehensweise, besonders wenn es sich um Fotos handelt,<br />
die historische Ereignisse festhalten, eignet sich gut zum Einstieg in ein Thema.<br />
Sie kann helfen, historische oder aktuelle Ereignisse nachvollziehbarer und greifbarer<br />
zu machen. Um diese Methode zu veranschaulichen, werden im Folgenden<br />
mögliche Fragen vorgeschlagen, die man stellen könnte: Was sehe ich? Was ist<br />
das Thema des Bildes? Wie ist die Bildaufteilung (Vordergrund, Hintergrund etc.)?<br />
Was ist besonders auffallend (beispielsweise die Wahl des Motivs, die Farben,<br />
Anordnung der Personen etc.)? Gibt es eine offensichtliche Funktion des Bildes?<br />
Ist das Bild untertitelt? Wenn ja, wird die Bildaussage bestätigt oder wird ihr widersprochen?<br />
Welche Gefühle werden durch das Bild bei mir ausgelöst?<br />
Vorgehensweise<br />
Es ist wichtig, dass alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer das Bild gut sehen können.<br />
Eine Vergrößerung mit dem Kopierer oder eine Projektion mit dem Overheadprojektor<br />
könnte hilfreich sein.<br />
77
Methoden<br />
Foto- und Bildbeschreibung in der Gedenkstätte Buchenwald<br />
78
Literatur<br />
Methoden<br />
Gugel, Günther: Praxis politischer <strong>Bildungs</strong>arbeit. Methoden und Arbeitshilfen, Tübingen<br />
3 1994, S. 197-244.<br />
Gugel, Günther: Foto- und Bildbeschreibung, in: Kuhn, Hans-Werner/Massing, Peter<br />
(Hrsg.): Lexikon der politischen Bildung. Bd. 3: Methoden und Arbeitstechniken,<br />
Schwalbach/Taunus 2000, S. 55-56.<br />
Vergleiche Abschnitt 3.3.10 „Gedenkstätte Buchenwald“<br />
4.8 Gedenkstättenbesuch<br />
Alle Gedenkstätten für die Opfer des Nationalsozialismus in <strong>Deutsch</strong>land befinden<br />
sich auf Geländen oder in Gebäuden, welche in der NS-Zeit eine wichtige Funktion<br />
hatten. Das können Stätten des SS-, Gestapo- und Justizterrors (vgl. Abschnitt<br />
3.3.5 „Stadtrundgang in Dortmund“), Orte des deutschen politischen Widerstandes,<br />
Konzentrationslager (vgl. Abschnitt 3.3.10 „Gedenkstätte Buchenwald“) beziehungsweise<br />
KZ-Außenlager (vgl. Abschnitt 3.3.12 „Workshop I“) etc. sein. Ein<br />
Sondertypus sind die Zentren einstigen jüdischen Lebens (vgl. Abschnitt 3.3.2<br />
„Die Alte Synagoge Essen“). Es gibt aber auch Gedenkausstellungen an Orten,<br />
die keinen direkten Bezug zum Thema haben.<br />
Betrachtet man die Geschichte und die aktuellen Probleme der Gedenkstätten im<br />
vereinigten <strong>Deutsch</strong>land, muss vor allem eine Unterscheidung zwischen Ost- und<br />
Westdeutschland gemacht werden. In der ehemaligen DDR wurde ein sogenannter<br />
„antifaschistischer Mythos“ gepflegt, der eine wirkliche Auseinandersetzung mit<br />
der Vergangenheit sehr erschwerte. In Westdeutschland spielte das Gedenken an<br />
die NS-Opfer lange Zeit eine untergeordnete Rolle. Es dauerte Jahrzehnte, bis<br />
die öffentliche Bearbeitung der nationalsozialistischen Verbrechen zu einem Teil<br />
der Kultur der alten Bundesrepublik wurde. Heute wird darüber nachgedacht, „ob<br />
Begriffe wie ‚Gedenken‘ oder auch ‚Mahnen‘ für das Eingehen auf das NS-System,<br />
seine Verbrechen und seine Opfer noch zeitgemäß sind“ (Zimmermann 1997,<br />
757). Denn das „persönliche Eingedenken“ (Zimmermann 1997, 757), welches<br />
konkrete Bilder hervorruft und Selbsterlebtes wieder lebendig werden lässt, wird<br />
für die Besucher der Gedenkstätten wegen des größer werdenden Zeitabstands<br />
immer schwieriger. Deshalb werden Ausstellungen mit hohem musealen Standard<br />
immer wichtiger für die Gedenkstättenarbeit (vgl. Abschnitt 3.3.10 „Gedenkstätte<br />
Buchenwald“). Der Besuch einer Gedenkstätte sollte eine gewisse Mindestdauer<br />
haben. „Blitzbesuche“ wirken eher kontraproduktiv.<br />
Der Besuch in einer Gedenkstätte muss gründlich vorbereitet und ausgewertet<br />
werden. Das gilt für die Arbeit mit Schülern wie in der außerschulischen Ju-<br />
79
Methoden<br />
Die Gruppe in der Gedenkstätte Buchenwald<br />
80
Methoden<br />
gend- und Erwachsenenbildung. „Die Intensität des Erlebens vor Ort kann zu<br />
einem intensiven Sich-Einlassen auf die Geschichte führen. Die exemplarische<br />
Beschäftigung ermöglicht es, einzelne Schicksale zu verfolgen und in der Masse<br />
der Opfer die einzelnen Menschen zu erkennen“ (Gugel 1994, 297). Dabei sollte<br />
die emotionale Wirkung nicht unterschätzt werden. Anteilnahme, Sprachlosigkeit,<br />
Betroffenheit, auch Wut und Aggression gehören zu einem Gedenkstättenbesuch.<br />
Sie sollten nicht erzwungen oder „verordnet“ werden. Es ist jedoch möglich eine<br />
Atmosphäre zu schaffen, in der diese Gefühle Raum haben und zugelassen<br />
werden können.<br />
Vorbereitung<br />
1. Was soll mit dem Gedenkstättenbesuch bezweckt werden?<br />
2. Welche Vorkenntnisse über das Thema bringen die Teilnehmerinnen und<br />
Teilnehmer mit?<br />
3. Um welche Art von Gedenkstätte handelt es sich? An welche Ereignisse<br />
mahnt und erinnert diese Gedenkstätte? Wie ist der konkrete historische<br />
Zusammenhang?<br />
4. Was für Zeugnisse aus der Vergangenheit kann man dort vorfinden? Dabei<br />
muss bedacht werden, dass eine Gedenkstätte aufgrund ihrer authentischen<br />
Relikte von der Faszination des Grauens oder von der Aura des Ortes bestimmt<br />
sein kann. Diese Vorgänge erklären sich nicht von selbst, sie bedürfen einer<br />
Erklärung.<br />
5. Gibt es vielleicht Zeitzeugen mit denen eine Zusammenarbeit möglich ist (vgl.<br />
Abschnitt 4.13)?<br />
6. Wie können sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer auf den Besuch vorbereiten<br />
beziehungsweise in die Vorbereitung mit einbezogen werden? Welche<br />
Vorbereitungsmaterialien gibt es? Was muss besorgt werden?<br />
7. Wie soll der Besuch dokumentiert werden (Fotodokumentation,<br />
Tagebuchaufzeichnungen etc.)?<br />
Durchführung<br />
1. Wie lange dauert der Besuch in der Gedenkstätte?<br />
2. Soll nur eine Führung gemacht werden? Bei der Entscheidung sollte berücksichtigt<br />
werden, dass eine Führung die Besucher relativ fremdbestimmt lässt.<br />
Ein methodischer Kontext, der auch die aktive Mitarbeit der Teilnehmerinnen<br />
und Teilnehmer fördert, wäre wünschenswert.<br />
3. Gibt es kompetente Gesprächspartner beziehungsweise Zeitzeugen, die hinzugezogen<br />
werden können?<br />
81
Methoden<br />
4. Bleibt die Gruppe zusammen oder wird sie aufgeteilt?<br />
5. Wie soll über die Täter und wie über die Opfer berichtet werden?<br />
6. Gibt es konkrete Recherchemöglichkeiten zum Beispiel in Form eines Archivs<br />
mit Akten und Bildern in der Gedenkstätte? Sollen konkrete handwerkliche<br />
Tätigkeiten, wie die Säuberung von Wegen, die Pflege von Gräbern etc. ausgeführt<br />
werden? Besonders an Orten, wo ein Gedenkstein oder Mahnmal das<br />
einzig Sichtbare sind, wäre dies möglich.<br />
7. Pausen sind wichtig für Gespräche, Essen etc. Ist dafür genug Zeit eingeplant?<br />
8. Wie geht man souverän mit unvorhergesehen Situationen um, wenn beispielsweise<br />
ein Jugendlicher sein Pausenbrot während der Führung isst?<br />
Nachbereitung<br />
1. Welche Themen müssen stärker bearbeitet werden? Wo sind noch<br />
Unklarheiten?<br />
2. Eine Gedenkstätte ist trotz ihrer authentischen Relikte ein Ort, an dem die<br />
Vergangenheit rekonstruiert wurde. Wie wird also in der Gedenkstätte an das<br />
Geschehen vor Ort erinnert? Welche Themen werden angesprochen und welche<br />
nicht?<br />
3. Die Reaktionen auf einen Gedenkstättenbesuch können sehr unterschiedlich<br />
sein. Welche haben die Teilnehmerinnen und Teilnehmer an sich selbst festgestellt<br />
und welche an den anderen?<br />
4. Können die gewonnen Erkenntnisse im eigenen Umfeld vertieft werden, beispielsweise<br />
in der eigenen Familie oder am Heimatort?<br />
Literatur<br />
Gugel, Günther: Praxis politischer <strong>Bildungs</strong>arbeit. Methoden und Arbeitshilfen, Tübingen<br />
3 1994, S. 297-299.<br />
Rathenow, Hanns-Fred: Gedenkstättenbesuch, in: Kuhn, Hans-Werner/Massing, Peter<br />
(Hrsg.): Lexikon der politischen Bildung. Bd. 3: Methoden und Arbeitstechniken,<br />
Schwalbach/Taunus 2000, S. 59.<br />
Rathenow, Hanns-Fred/Weber, Norbert H.: Gedenkstättenbesuche im historisch-politischen<br />
Unterricht, in: Ehmann, Annegret/Kaiser, Wolf/Lutz, Thomas [et. al.] (Hrsg.):<br />
Praxis der Gedenkstättenpädagogik. Erfahrungen und Perspektiven, Opladen 1995,<br />
S. 12-36.<br />
Zimmermann, Michael: „Gedenkstätten für die Opfer des Nationalsozialismus“ in der Bundesrepublik<br />
<strong>Deutsch</strong>land, in: Bergmann, Klaus/Fröhlich, Klaus/Kuhn, Annette [et. al.]<br />
(Hrsg.): Handbuch der Geschichtsdidaktik, Seelze-Velber 5 1997, S. 752-757.<br />
82
Methoden<br />
Vergleiche Abschnitt 3.3.2 „Die Alte Synagoge in Essen), Abschnitt 3.3.5 „Stadtrundgang<br />
in Dortmund“, Abschnitt 3.3.10 „Gedenkstätte Buchenwald“ und Abschnitt<br />
3.3.12 „Workshop I“<br />
4.9 Geschichtswerkstatt<br />
In den achtziger Jahren wurden von Historikern und historisch Interessierten viele<br />
lokale Geschichtswerkstätten in Westdeutschland und nach der Vereinigung 1990<br />
auch in den neuen Bundesländern gegründet. Ihr Ziel war es, sich außerhalb der<br />
Universitäten mit der Geschichte vor Ort und in der Region, im Gegensatz zu<br />
der bis dahin vorherrschenden Ereignis- und Strukturgeschichte, auseinander<br />
zusetzen. Lange vernachlässigte Fragestellungen und Themen rückten in den<br />
Mittelpunkt des Interesses. Neue Methoden wie die Oral History (vgl. Abschnitt<br />
4.13) wurden für die historische Spurensuche (vgl. Abschnitt 4.16) genutzt.<br />
Der Impuls für diese Bewegung kam Ende der siebziger Jahre aus Schweden<br />
und auch in anderen Ländern gab es ähnliche Entwicklungen, wie die „People’s<br />
Vor der Dortmunder Geschichtswerkstatt<br />
83
Methoden<br />
History“ in den Vereinigten Staaten oder die „History Workshop“ in England. Ein<br />
weiterer Anlass für die Gründung der Geschichtswerkstätten war die Unzufriedenheit<br />
mit der „Abgehobenheit und Folgenlosigkeit geschichtswissenschaftlicher<br />
Forschung“ (Schneider 1997, 737) sowie die nicht adressatengeeignete Präsentation<br />
der Ergebnisse.<br />
In <strong>Deutsch</strong>land gibt es die Geschichtswerkstatt e. V., der ungefähr fünfzig lokale<br />
Geschichtswerkstätten und in etwa genauso viele Arbeitsgruppen gegenüber<br />
stehen. Die bundesweite Geschichtswerkstatt e. V. sieht sich als eine Koordinierungsstelle<br />
für alle Initiativen. Zusätzlich führt sie eigene Veranstaltungen und<br />
Projekte durch und bringt die Zeitschrift „Geschichtswerkstatt“ heraus. Heute sind<br />
die Geschichtswerkstätten aus der Alltags-, Regional-, und Lokalgeschichte nicht<br />
mehr wegzudenken. Ihre Finanzierung wird aber zusehends schwieriger, da beispielsweise<br />
die Kommunen über immer weniger Geld verfügen. Ein weiteres Problem<br />
ist die „Akademisierung“ (Schneider 1997, 741) vieler Geschichtswerkstätten.<br />
Der ehemalige Anspruch, Laienhistoriker zur Entdeckung und Aufarbeitung<br />
ihrer Geschichte zu bewegen, gerät deshalb immer mehr aus dem Blickfeld.<br />
Literatur<br />
Frei, Alfred Georg: Die Geschichtswerkstätten in der Krise, in: Berliner Geschichtswerkstatt<br />
(Hrsg.): Alltagskultur, Subjektivität und Geschichte. Zur Theorie und Praxis von Alltagsgeschichte,<br />
Münster 1994, S. 315-327.<br />
Hufer, Klaus-Peter: Die Geschichtswerkstatt. Eine aktivierende Projektmethode in der Erwachsenenbildung,<br />
in: Mickel, Wolfgang M./Zitzlaff, Dietrich (Hrsg.): Methodenvielfalt<br />
im politischen Unterricht, Schwalbach/Taunus 31998 [unveränderte Auflage], S. 264-<br />
273.<br />
Lüdtke, Alf: Einleitung: Was ist und wer treibt Alltagsgeschichte?, in: Lüdtke, Alf (Hrsg.):<br />
Alltagsgeschichte. Zur Rekonstruktion historischer Erfahrungen und Lebensweisen,<br />
Frankfurt/Main, New York 1989, S. 9-47.<br />
Schneider, Gerhard: Geschichtswerkstätten, in: Bergmann, Klaus/Fröhlich, Klaus/Kuhn,<br />
Annette [et. al.] (Hrsg.): Handbuch der Geschichtsdidaktik, Seelze-Velber 51997, S.<br />
736-742.<br />
Stiepani, Ute: Geschichtswerkstätten, in: Kuhn, Hans-Werner/Massing, Peter (Hrsg.):<br />
Lexikon der politischen Bildung. Bd. 3: Methoden und Arbeitstechniken, Schwalbach/<br />
Taunus 2000, S. 61.<br />
Vergleiche Abschnitt 3.3.3 „Geschichtswerkstatt Dortmund e. V.“<br />
84
4.10 Kicks<br />
Methoden<br />
Kicks sind kleine Bewegungseinheiten, um den Kreislauf beispielsweise während<br />
eines Seminars wieder anzukurbeln. Dadurch wird die Konzentrationsfähigkeit der<br />
Gruppe erhöht beziehungsweise wiederhergestellt. Gute Momente für einen Kick<br />
sind die Zeitpunkte des Tages, an denen der Biorhythmus noch auf dem Tiefstand<br />
ist, wie nach dem Frühstück oder nach der Mittagspause. Zwei verschiedene Kicks<br />
werden im Folgenden kurz vorgestellt.<br />
„Katze und Mäuse“<br />
Alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer sind die Mäuse, bis auf eine Person, welche<br />
die Rolle der Katze übernimmt. Wichtig dabei ist, dass es eine ungerade Zahl an<br />
Mäusen gibt, sonst funktioniert das Spiel nicht. Dann verteilen sich alle Teilnehmer<br />
im Raum. Auf ein Kommando der Katze müssen sich alle Mäuse eine andere Maus<br />
suchen und sich bei ihr unterhaken; denn nur Mäusepärchen sind vor der Katze<br />
sicher; Dreiergruppen oder einzelne Personen können von ihr gefangen werden.<br />
Hat die Katze eine Maus erwischt, müssen sie die Rollen tauschen und das Spiel<br />
beginnt von vorne.<br />
„Obstkorb“<br />
In einem Raum wird ein Stuhlkreis gebildet. Die einzelnen Stühle sollten dabei eng<br />
zusammenstehen. Alle sitzen, außer einer Person, die in der Mitte steht. Dann<br />
werden drei Städtenamen festgelegt (eigentlich sind es Obstsorten, die dem Spiel<br />
seinen Namen gegeben haben), zum Beispiel Hattingen, Weimar und Essen, die<br />
einen Bezug zum Seminar hatten und unabhängig von Sprachenkenntnissen sind.<br />
An alle Teilnehmer werden nun der Reihe nach die vorher festgelegten Städtenamen<br />
vergeben. Also: „Hattingen, Weimar, Essen, Hattingen, Weimar, Essen und<br />
immer so weiter“. Die Person in der Mitte muss dann einen dieser Städtenamen<br />
laut in den Raum rufen und alle, die dieser Stadt zugeteilt wurden, müssen sich<br />
einen neuen Sitzplatz suchen. Diesen Moment muss auch die Person ohne Stuhl<br />
nutzen, um für sich selbst einen Platz im Stuhlkreis zu ergattern. Wer übrig bleibt,<br />
muss in die Mitte und das Spiel beginnt von vorne. Zusätzlich wird ein Signalwort<br />
eingeführt, im konkreten Beispiel „Seminar“, das für einen allgemeinen Wechsel<br />
steht. Kein Begriff darf mehrmals nacheinander gerufen werden. „Der positive<br />
Effekt des Spieles ist der, daß die Teilnehmer dadurch, daß sie im Zimmer ‚herumrennen‘<br />
und sich ‚albern‘ benehmen, nach dem Game lockerer sind als vorher.<br />
Sie können lockerer/offener miteinander umgehen“ (Seifert/Göbel 1988, 33).<br />
85
Methoden<br />
Literatur<br />
Seifert, J. W./Göbel H.-P.: Games. Spiele für Moderatoren & Gruppenleiter, Offenbach<br />
1988, S. 32-33.<br />
transfer e. V. (Hrsg.): Reader zu dem trägerübergreifenden Grundkurs für Teamerinnen und<br />
Teamer von internationalen Begegnungen 2001, Köln 2001, S. 62.<br />
Vergleiche Abschnitt 3.3.14 „Workshop II“<br />
4.11 Medieneinsatz<br />
Im sogenannten Medienzeitalter nimmt die Bedeutung von visuell vermittelten<br />
Botschaften und Informationen immer weiter zu. Der Umgang mit Medien erfordert<br />
aber auch besondere Fähigkeiten und Fertigkeiten, die unter anderem die<br />
„Kompetenzentwicklung im Umgang mit Medien betreffen“ (Schelle 2000, 205).<br />
Darüber hinaus können Visualisierungen den Lernprozess unterstützen. Die Bildsprache<br />
„wirkt motivierend, weil Aufmerksamkeit und Neugier geweckt werden.<br />
Sie stellt zudem eine Reproduktionshilfe dar, weil sie eine gedächtnisstützende<br />
Funktion besitzt. Visualisierung kann helfen, komplexe Zusammenhänge zu strukturieren<br />
und zu verstehen“ (Kroll 2000, 207). Im Seminar können unterschiedliche,<br />
zum Teil audiovisuelle Medien eingesetzt werden. Besonders die Arbeit mit Fotos<br />
und Videos stößt im Allgemeinen bei Teilnehmern und Teilnehmerinnen auf großes<br />
Interesse.<br />
Fotos und Bilder<br />
Sie eignen sich gut zur Visualisierung von thematischen Fragestellungen. Von<br />
Bedeutung ist besonders die Motivauswahl; sie sollte die Bildaussage unterstützen.<br />
Ergebnisse von Workshops I können auf einer Wandzeitung (vgl. Abschnitt<br />
4.19) mit Hilfe von Fotos festgehalten werden. Dabei können beispielsweise bei<br />
der historischen Spurensuche (vgl. Abschnitt 4.16) die Möglichkeiten der Fotodokumentation<br />
genutzt werden. Die in der Gedenkstätte Buchenwald praktizierte<br />
Methode der Foto- und Bildbeschreibung (vgl. Abschnitt 4.7) ist eine weitere<br />
Möglichkeit, den Lernprozess zu unterstützen.<br />
Videoarbeit<br />
In der außerschulischen Jugend- und Erwachsenenbildung ist die Videoarbeit als<br />
sogenannte „alternative Medienarbeit“ (Schelle 2000, 204) weit verbreitet. Dabei<br />
können Videos auf vielfältige Weise eingesetzt werden, als Informationsmittel, um<br />
eigene Filme zu produzieren oder Situationen festzuhalten etc. Die Dokumentation<br />
ist eine weitere Möglichkeit, die dieses Medium bietet. Sie kann eine Hilfe für die<br />
86
Überprüfung der Videokamera<br />
Methoden<br />
87
Methoden<br />
Auswertung von Abläufen der unterschiedlichsten Art sein. Denn die Aufnahmen<br />
stehen sofort wieder zur Verfügung und können Verhaltens- und Argumentationsweisen<br />
veranschaulichen. Nach der Betrachtung des Materials erfolgt dann<br />
die Auswertung und Analyse durch die Seminarleitung und die Teilnehmerinnen<br />
und Teilnehmern. So können Rollenspiele (vgl. Abschnitt 4.14) dokumentiert und<br />
ausgewertet, Diskussionen mitgeschnitten, Arbeitsergebnisse aus Untergruppen<br />
vermittelt, die Prozesse und die Arbeit in der Gruppe festgehalten und wichtige<br />
Seminarteile dokumentiert werden.<br />
Literatur<br />
Gugel, Günther: Praxis politischer <strong>Bildungs</strong>arbeit. Methoden und Arbeitshilfen, Tübingen<br />
31994, S. 311-312.<br />
Kroll, Karin: Visualisierung, in: Kuhn, Hans-Werner/Massing, Peter (Hrsg.): Lexikon der<br />
politischen Bildung. Bd. 3: Methoden und Arbeitstechniken, Schwalbach/Taunus 2000,<br />
S. 206-207.<br />
Schelle, Carla: Fotoroman, -dokumentation, in: Kuhn, Hans-Werner/Massing, Peter<br />
(Hrsg.): Lexikon der politischen Bildung. Bd. 3: Methoden und Arbeitstechniken,<br />
Schwalbach/Taunus 2000, S. 56.<br />
Schelle, Carla: Videoarbeit, in: Kuhn, Hans-Werner/Massing, Peter (Hrsg.): Lexikon der<br />
politischen Bildung. Bd. 3: Methoden und Arbeitstechniken, Schwalbach/Taunus 2000,<br />
S. 204-206.<br />
Vergleiche Abschnitt 3.3.10 „Gedenkstätte Buchenwald“ und Abschnitt 3.3.12<br />
„Workshop I“<br />
4.12 Museum<br />
Aus den privaten Sammlungen unterschiedlichster Vergangenheitszeugnisse<br />
kirchlicher und weltlicher Fürsten entwickelte sich im Laufe der Jahrhunderte<br />
eine öffentliche Institution, das Museum. Seine Aufgabe besteht im Sammeln,<br />
Bewahren und Erforschen historischer Relikte. Nach 1968 forderten junge Historiker,<br />
Volkskundler und Kunsthistoriker eine Erneuerung des Museums, einen<br />
Wandel vom „Musentempel“ zum „Lernort“. Das beinhaltet auch die Vermittlung<br />
historischer Inhalte und Wissensbestände sowie die Schaffung eines Bewusstseins<br />
für die Probleme der Gegenwart. Dadurch sollen Denkanstöße zu deren<br />
Bewältigung gegeben werden.<br />
Ein weiteres Ziel ist, die Präsentation und Erläuterung der historischen Objekte<br />
so zu gestalten, dass sie für ein möglichst breites Publikum verständlich sind.<br />
Denn das Museum steht allen Bevölkerungsgruppen offen und muss mit den<br />
unterschiedlichsten Besuchern rechnen. Das Angebot soll „Kindern und Schul-<br />
88
Im Grenzmuseum „Schifflersgrund“<br />
Methoden<br />
89
Methoden<br />
klassen unterschiedlichster Altersstufen bis hin zu Erwachsenengruppen mit den<br />
verschiedensten Interessen, Vorbildungen und sozialen Zusammensetzungen“<br />
(Grütter 1997, 712) gleichzeitig etwas bieten können. Dazu werden Dauer- und<br />
Sonderausstellungen sowie auch sämtliche Medien der <strong>Bildungs</strong>arbeit genutzt.<br />
Meistens unterstützt ein museumspädagogischer Dienst die Besucherbetreuung<br />
und die didaktische Konzeption. Dies alles geschieht, um dem bildungspolitischen<br />
Auftrag „Vergangenes zu veranschaulichen und in seinen Bezügen zur Gegenwart<br />
zu vermitteln“ (Stiepani 2000, 115) nachzukommen.<br />
Heute gibt es eine ausdifferenzierte Museumslandschaft. Sie reicht von Heimat-,<br />
Regional- oder Freilichtmuseen über (kultur-) historische beziehungsweise archäologische,<br />
Naturkunde-, Technik-, und naturwissenschaftlichen Museen bis hin zu<br />
den Kunst- und Kunstgewerbemuseen sowie Gemäldegalerien.<br />
In den letzten Jahren zeichnet sich eine neue Entwicklung ab, welche die Museen<br />
zunehmend in eine verstärkte Konkurrenz untereinander und zu anderen<br />
Kultureinrichtungen und Unterhaltungsmedien bringt. Die Folge ist eine verstärkte<br />
Öffentlichkeitsarbeit in Form von Besucherbefragungen, Werbekampagnen, Presse-<br />
und Medienarbeit und sogenannten Kulturevents.<br />
Literatur<br />
Grütter, Heinrich Theodor: Geschichte im Museum, in: Bergmann, Klaus/Fröhlich, Klaus/<br />
Kuhn, Annette [et. al.] (Hrsg.): Handbuch der Geschichtsdidaktik, Seelze-Velber 51997, S. 707-713.<br />
Hochreiter, Walter: Vom Musentempel zum Lernort. Zur Sozialgeschichte deutscher Museen<br />
1800-1914, Darmstadt 1994.<br />
Stiepani, Ute: Museum, in: Kuhn, Hans-Werner/Massing, Peter (Hrsg.): Lexikon der politischen<br />
Bildung. Bd. 3: Methoden und Arbeitstechniken, Schwalbach/Taunus 2000,<br />
S. 115.<br />
Vergleiche Abschnitt 3.3.11 „Das thüringisch-hessische Grenzmuseum ‚Schifflersgrund‘“<br />
4.13 Oral History (Zeitzeugenbefragung)<br />
Die Art von geschichtlicher Überlieferung, welche die erzählte Lebensgeschichte<br />
der Beteiligten mit einschließt, wird aufgrund der aus den USA stammenden Tradition<br />
auch „oral history“ (wörtlich übersetzt: mündliche Geschichte) genannt. Eine<br />
zentrale Absicht der Oral History ist es, Spuren des Alltags zu sichern, das heißt<br />
Aussagen über die Alltagsgeschichte zu gewinnen. Darüber hinaus interessieren<br />
sich Alltagsforscher auch für die spezifischen lebensgeschichtlichen Erfahrungen<br />
90
Methoden<br />
Zeitzeugengespräch in Weimar. V.l.n.r. Heiko Hamer (IBB), Stephan Eschler,<br />
Andrea Wagner<br />
sowie den heutigen Umgang der Interviewpartner mit ihrer Vergangenheit. Bei<br />
der Oral History können grundsätzlich zwei Typen von Interviews unterschieden<br />
werden: Das thematische Interview, bei dem der Befragte zu einem bestimmten<br />
Sachverhalt, sei es ein Ereignis, ein Stück Alltagswelt oder zu einer begrenzten<br />
biografischen Erfahrung Auskunft geben soll. Beim biografischen Interview wird<br />
dagegen die ganze Lebensgeschichte in den Zusammenhang einer Epoche, historischer<br />
Brüche und Kontinuitäten gestellt.<br />
Gespräche mit Zeitzeugen werden nicht nur von der Wissenschaft als zusätzliche<br />
Quelle genutzt. Seit langem sind sie ein unverzichtbarer Bestandteil der politischen<br />
<strong>Bildungs</strong>arbeit. Die Methode, die „Betroffenen“ selbst zu Wort kommen zu<br />
lassen, wird wegen ihrer „Fähigkeit, Geschichte durch das eigene authentische<br />
Erleben erfahrbar, lebendig und nachvollziehbar zu machen, ein hoher Stellenwert<br />
bei der Vermittlung historisch-politischer Inhalte und Erkenntnisse im Rahmen<br />
der schulischen und außerschulischen politischen <strong>Bildungs</strong>arbeit beigemessen“<br />
(Stiepani 2000, 212).<br />
91
Methoden<br />
Vorbereitung<br />
1. Die Zielsetzung und die Vorgehensweise sollten geklärt werden. Das betrifft<br />
auch die Zusammenstellung der Leitfragen des Gesprächs, die offen und neutral<br />
sein sollten.<br />
2. Sichtung bereits vorhandener Quellen und Berichte über das geplante<br />
Projektthema sowie das Zusammentragen von Informationen über das lokale<br />
Umfeld. Hilfreich wäre auch die Erstellung einer Kurzbiografie.<br />
3. Suche und Auswahl der Interviewpartner, zum Beispiel durch die Mithilfe von<br />
Vertrauenspersonen aus dem Umfeld der Zeitzeugen (wie Nachbarn oder<br />
Vereine) und die Vereinbarung eines Gesprächstermins.<br />
4. Bei einer <strong>Bildungs</strong>veranstaltung sollte auch die finanzielle Seite geregelt sein.<br />
Erwartet der Gesprächspartner vielleicht ein Honorar? Falls das nicht der Fall<br />
ist, wäre es trotzdem angebracht eine kleine Aufmerksamkeit zu besorgen<br />
(beispielsweise einen Blumenstrauß oder Konfekt).<br />
5. Wenn es sich um eine <strong>Bildungs</strong>veranstaltung handelt, sollte die Vorbereitung<br />
der Gruppe eingeplant werden. An dieser Stelle kann auch geklärt werden, wer<br />
die Moderation übernimmt und wie die Zuhörer eingebunden werden können<br />
(zum Beispiel durch die Vorbereitung von Fragen).<br />
6. Der Zeitzeuge sollte bei einer <strong>Bildungs</strong>veranstaltung ebenfalls auf die Gruppe<br />
vorbereitet werden (zum Beispiel über die Zusammensetzung der Gruppe, das<br />
Alter, den Wissensstand etc.).<br />
7. Für eine <strong>Bildungs</strong>veranstaltung wäre zudem der Einsatz von Bildmaterial interessant.<br />
Vielleicht besitzt der Zeitzeuge Fotos etc., die er oder sie zur Verfügung<br />
stellen würde.<br />
Durchführung<br />
1. Da die Erinnerungsarbeit für die Zeitzeugen sehr anstrengend ist, sollte das<br />
Interview nicht länger als zwei Stunden dauern. Vielleicht kann das Gespräch<br />
zu einem späteren Zeitpunkt fortgesetzt werden.<br />
2. Beim Interview selbst sollten die gegenseitigen Erwartungen geklärt werden,<br />
wie die Frage, ob der Interviewpartner mit einer Tonband- oder Videoaufzeichnung<br />
(vgl. Abschnitt 4.11) einverstanden ist. Wenn erwünscht, muss<br />
die Anonymität des Interviews zugesichert und gewährleistet sein. Erst wenn<br />
eine vertrauensvolle Gesprächssituation entstanden ist, können persönliche<br />
Aspekte angesprochen werden.<br />
3. Für diese Art von Interviews gilt, dass sie zu Beginn möglichst offen und durchgängig<br />
narrativ geführt werden sollten. Diese Vorgehensweise ermöglicht dem<br />
Gesprächspartner sich in seine Erinnerungen zu versenken. Dabei sollte man<br />
92
Methoden<br />
die Fragen, deren Beantwortung und Klärung man sich von dem Gespräch<br />
erhofft, jedoch nicht aus den Augen verlieren.<br />
4. Bei einer <strong>Bildungs</strong>veranstaltung muss der Moderator darauf achten, dass der<br />
Zeitrahmen eingehalten wird und gleichzeitig die wichtigsten Fragen angesprochen<br />
werden.<br />
5. Zur besseren Visualisierung bei einer <strong>Bildungs</strong>veranstaltung sollten die wichtigsten<br />
Daten für alle sichtbar festgehalten werden.<br />
Nachbereitung<br />
1. Das Gespräch, das möglichst auf Tonband aufgezeichnet wird, sollte im<br />
Anschluss daran wortwörtlich transkribiert werden. Bei einer Länge der<br />
Tonaufzeichnung von zwei Stunden muss mit einem Transkript von ungefähr<br />
100 Seiten gerechnet werden.<br />
2. Zur inhaltlichen Auswertung der Interviewpassagen ist der Vergleich mit anderen<br />
Interviews sowie weiterer ergänzender Quellen (wie Fotos, Tagebücher,<br />
etc.) hilfreich.<br />
3. Es ist auch sehr hilfreich, wenn die interviewte Person das Transkript durchsieht<br />
und autorisiert. Eventuell können auch die Zeitzeugen selbst zur Auswertung<br />
der Interviews gewonnen werden. Denn sie sind nicht nur Experten ihres<br />
Alltags, sondern werden durch die Interviews oft angeregt, sich weiter mit<br />
ihren biografischen Erfahrungen und Erlebnissen zu beschäftigen.<br />
4. Werden mehrere Interviews zum gleichen Thema geführt, sollten die persönlichen<br />
und die Interviewdaten auf einer Karteikarte festgehalten werden.<br />
5. Nach einer <strong>Bildungs</strong>veranstaltung muss auch die Aufarbeitung in der<br />
Gruppe eingeplant werden. Da durch das Gespräch gewonnene Eindrücke<br />
und Ergebnisse stark voneinander abweichen können, sollten bestehende<br />
Unklarheiten beseitigt werden.<br />
Literatur<br />
Geppert, Alexander C. T.: Forschungstechnik oder historische Disziplin? Methodische<br />
Probleme der Oral History, in: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 45 (1994),<br />
S. 303-323.<br />
Gugel, Günther: Praxis politischer <strong>Bildungs</strong>arbeit. Methoden und Arbeitshilfen, Tübingen<br />
3 1994, S. 289.<br />
Perks, Robert/Thomson, Alistair (Hrsg.): The Oral History Reader, London, New York 2000<br />
[Reprint].<br />
Stiepani, Ute: Zeitzeuge, in: Kuhn, Hans-Werner/Massing, Peter (Hrsg.): Lexikon der politischen<br />
Bildung. Bd. 3: Methoden und Arbeitstechniken, Schwalbach/Taunus 2000,<br />
S. 212-213.<br />
93
Methoden<br />
Wierling, Dorothee: Oral History, in: Bergmann, Klaus/Fröhlich, Klaus/Kuhn, Annette [et. al.]<br />
(Hrsg.): Handbuch der Geschichtsdidaktik, Seelze-Velber 5 1997, S. 236-239.<br />
Vergleiche Abschnitt 3.3.6 „Zeitzeugengespräch mit Valentin Frank)“, Abschnitt<br />
3.3.9 „Thementag ‚<strong>Deutsch</strong>e Wiedervereinigung‘“ und Abschnitt 3.3.12 „Workshop<br />
I“<br />
4.14 Rollenspiel<br />
„Das Rollenspiel gehört zu den Methoden, mit deren Hilfe in der Gruppe Erfahrungen<br />
gemacht werden können. Aufgrund dieser Erfahrungen mit eigenen<br />
Einstellungen und eigenem Verhalten erleben Einzelne das Problem als für sich<br />
wichtig. Durch Rollenspiele ist so soziales Lernen möglich, also Lernen, durch das<br />
Einstellungen und Verhaltensweisen geändert werden können. Es wird spielerisch<br />
Realität simuliert, es wird zur Probe (also ohne Folgen in der Realität) gehandelt“<br />
(Gugel 1994, 272). Wenn diese Methode im politischen Unterricht oder in der<br />
politischen Bildung eingesetzt wird, werden vor allem typische gesellschaftliche<br />
und soziale Konflikte nachgespielt.<br />
Es gibt verschiedene Varianten des Rollenspiels. Das Spontanrollenspiel ist eines<br />
davon. Kennzeichnend ist hier, dass es nur wenige Vorgaben, aber einen möglichst<br />
großen Gestaltungsraum für die Spielerinnen und Spieler gibt. Ein weiteres<br />
Beispiel ist das Strukturrollenspiel. Hier gibt es eine klare Rollenvorgabe. Spontanrollenspiele<br />
können beispielsweise zur Zeitzeugenbefragung (vgl. Abschnitt<br />
4.13) durchgeführt werden.<br />
Es müssen eine Aufwärmphase, eine Spielphase, eine Reflexionsphase und die<br />
Auswertung eingeplant werden. Der Zeitaufwand ist also erheblich. Obwohl bei<br />
dieser Methode eine genau strukturierte Vorgehensweise erforderlich ist, gehören<br />
auch Experimentierfreude und Risikobereitschaft dazu. Die Spielleitung muss außerdem<br />
bereit sein, die Steuerung der Vorgänge an die Spielerinnen und Spieler<br />
abzugeben. In jedem Fall sollte die Vergabe der Rollen auf freiwilliger Basis geschehen.<br />
Ein Rollenspiel, zu dem die Spieler mit Druck überredet werden, ist nicht<br />
sehr produktiv. Eine gute Vorbereitung schützt jedoch nicht vor Überraschungen.<br />
Sollte ein Rollenspiel missglücken, kann es aber immer noch zu einem Lerneffekt<br />
kommen. Bei der Auswertung können dann die Gründe für das Scheitern diskutiert<br />
und sachliche Fehler durch die Lehrenden berichtigt werden. Im Folgenden<br />
werden die einzelnen Phasen vorgestellt (vgl. dazu Gugel 1994, 272).<br />
94
Methoden<br />
Vorbereitung<br />
1. Vor dem Beginn eines Rollenspiels können Rollenkarten, dass sind die<br />
Spielrollen der einzelnen Personen, ausgearbeitet werden. Sie können<br />
Informationen enthalten über den Namen, Beruf, Alter, Familienstand, Kinder,<br />
Geburtsland etc. Es ist auch möglich, einen kurzen Lebenslauf zu jeder Rolle<br />
vorzugeben. Ansichten, Meinungen und Zusammenhänge können auch festgelegt<br />
werden.<br />
2. Der Zeitaufwand darf nicht unterschätzt werden, es müssen mindestens 90<br />
Minuten zur Verfügung stehen. Ein Drittel der Zeit wird dabei für die Einführung<br />
und die Vorbereitung der Rollen, ein weiteres Drittel für die Durchführung und<br />
das letzte Drittel für die Nachbereitung benötigt.<br />
3. Besonders effektiv ist eine Videoaufzeichnung (vgl. Abschnitt 4.11) des<br />
Rollenspiels. Dann können sich alle Spielerinnen und Spieler später noch<br />
einmal selbst in ihren Rollen sehen. Kritik und die Reaktionen aus der Gruppe<br />
lassen sich so besser nachvollziehen.<br />
Durchführung<br />
1. Die Aufwärmphase. Zuerst muss die Neugier der Teilnehmerinnen und<br />
Teilnehmer geweckt werden. Dann wird ein Problem beziehungsweise eine<br />
Situation und der Rahmen durch die Spielleitung vorgegeben. Mögliche<br />
Erfahrungen werden angesprochen. Die Sensibilität der Spieler für dieses<br />
Thema soll geweckt, Spontanreaktionen und Stellungsnahmen können provoziert<br />
werden. Dann werden die Rollen beschrieben und eingeübt (beispielsweise<br />
die Mimik, Gestik, Sprache etc.). Kernsätze werden erarbeitet und der<br />
Verlauf fixiert.<br />
2. Die Spielphase. Die Rollen werden verteilt (Spielrollen, Beobachterrollen und<br />
Publikum). Anschließend kann das Rollenspiel beginnen, die Spielerinnen und<br />
Spieler nehmen ihre Rollen an; sie versuchen, sich in der gespielten Situation<br />
zu erleben. Sie reagieren so auf das Verhalten der anderen, wie sich ihrer<br />
Meinung nach Menschen in diesen Rollen verhalten würden.<br />
3. Die Reflexionsphase. Die Akteure können befragt und die gespielten Rollen<br />
bewertet werden. Ein Bericht der Beobachter ist hier angebracht. Um eine<br />
Rollendistanz zu gewinnen, kann es noch einmal durchgeführt werden. Dabei<br />
müssen die Besetzung, der Verlauf und die Rahmenbedingungen verändert<br />
werden. Anschließend sollen die Rollenspieler versuchen, einen Transfer zu<br />
leisten, getroffene Handlungsweisen und Entscheidungen werden in Frage<br />
gestellt und reflektiert.<br />
95
Methoden<br />
Nachbereitung<br />
1. Auswertung auf der Rollenebene. Wie wurde die Rolle gespielt und wie war<br />
das Verhalten? Wie fühlten sich die Spielerinnen und Spieler in ihren Rollen?<br />
2. Auswertung auf der Gruppenebene. Was bedeutet das Rollenspiel für die<br />
Gruppe und wie wirkt sich das auf die weitere gemeinsame Arbeit aus?<br />
3. Auswertung auf der Situationsebene. Welche Alternativen wären möglich<br />
gewesen? Welches Verhalten würde zu einem besseren Ergebnis führen?<br />
Welche Ziele werden durch diese Verhaltenweisen erreicht?<br />
4. Auswertung auf der gesellschaftspolitischen Ebene. Lassen sich soziale<br />
Mechanismen erkennen? Wurden Einstellungen und Vorurteile gegenüber<br />
bestimmten Situationen oder Personengruppen im Spiel deutlich?<br />
Literatur<br />
Buddensiek, Wilfried: Rollen- und Simulationsspiele, in: Mickel, Wolfgang W. (Hrsg.):<br />
Handbuch zur politischen Bildung, Bonn 1999, S. 369-373.<br />
Gugel, Günther: Praxis politischer <strong>Bildungs</strong>arbeit. Methoden und Arbeitshilfen, Tübingen<br />
31994, S. 272-275.<br />
Kroll, Katrin: Rollenspiel, in: Kuhn, Hans-Werner/Massing, Peter (Hrsg.): Lexikon der politischen<br />
Bildung. Bd. 3: Methoden und Arbeitstechniken, Schwalbach/Taunus 2000,<br />
S. 155-158.<br />
Massing, Peter: Handlungsorientierter Politikunterricht. Ausgewählte Methoden,<br />
Schwalbach/Taunus 1998, S. 13-25.<br />
Vergleiche Abschnitt 3.3.12 „Workshop I“<br />
4.15 Sitzordnung<br />
Früher hatte die Sitzordnung in den Schulen oft eine hierarchisierende beziehungsweise<br />
disziplinierende Funktion zu erfüllen. Heute wird die Sitzordnung<br />
durch die „Kommunikationsstruktur des Unterrichts“ (Meyer 1994, 137) festgelegt.<br />
Wie jede unterrichtsmethodische Maßnahme sollte auch die Entscheidung<br />
für eine spezielle Sitzordnung „auf die von ihr zu erwartende didaktische – hier<br />
insbesondere kommunikative und interaktive – Funktion in der betreffenden Handlungssituation<br />
des Unterrichtsprozesses erfolgen“ (Koopmann 2000, 166). Das gilt<br />
auch für Seminare in der außerschulischen Jugend- und Erwachsenenbildung.<br />
Einzel- (Einzelarbeitsplatz) oder Partnerarbeitsphasen (Zweierarbeitsplatz) erfordern<br />
deshalb andere Sitzordnungen als beispielsweise Gruppenarbeitsphasen.<br />
Diskussionen im Plenum werden deshalb oft in kreisförmiger oder rechteckiger,<br />
Lehrer- beziehungsweise Schülervorträge eher in der klassischen frontalen Sitzordnung<br />
durchgeführt. Wer im Politikunterricht, in anderen Fächern oder auch in<br />
96
Methoden<br />
der außerschulischen Bildung zur Verbesserung von demokratischer und sozialer<br />
Partizipationskompetenz beitragen will, sollte hauptsächlich interaktions- und<br />
kommunikationsfördernde Sitzordnungen wie Kreis-, Gruppen- und Rechteckformen<br />
wählen.<br />
Literatur<br />
Koopmann, Klaus: Sitzordnung, in: Kuhn, Hans-Werner/Massing, Peter (Hrsg.): Lexikon<br />
der politischen Bildung. Bd. 3: Methoden und Arbeitstechniken, Schwalbach/Taunus<br />
2000, S. 166.<br />
Meyer, Hilbert: Unterrichtsmethoden. Bd. 1: Theorieband, Frankfurt/Main 61994 [durchgesehene<br />
Auflage].<br />
Vergleiche Abschnitt 3.3.1 „Gegenseitiges Kennenlernen und Vorstellung des<br />
Programms“<br />
4.16 Spurensuche<br />
Seit Beginn der achtziger Jahre richten sowohl Historikerinnen und Historiker, aber<br />
vor allem auch historisch interessierte Laien ihr Interesse auf die unmittelbare<br />
regionale und lokale Umgebung. Spezielle Methoden wie die Oral History (vgl.<br />
Abschnitt 4.13) und Fragestellungen der sogenannten Alltagsgeschichte stellen<br />
so das Subjekt, die „Namenlosen“ (Lüdtke 1989, 34), in seinen alltäglichen<br />
historischen Lebenswelten in den Mittelpunkt. Das erklärte Ziel ist es, vor Ort<br />
die verschiedensten Spuren der Vergangenheit aufzuspüren beziehungsweise<br />
„auszugraben“ (vgl. Lindqvist 1989). Von großer Bedeutung ist dabei oft der gemeinsame<br />
Lernprozess der Interessierten mit den Betroffenen. Auf diese Weise<br />
wird „im lokalen Umfeld aktive Erinnerungsarbeit“ (Stiepani 2000, 174) geleistet.<br />
Dabei ist es dem Engagement von einzelnen Personen, freien Initiativen wie den<br />
Geschichtswerkstätten (vgl. Abschnitt 4.9) und politisch oder gewerkschaftlich<br />
organisierten Gruppen zu verdanken, dass viele Zeugnisse aus der Vergangenheit<br />
gerettet werden konnten und Verdrängtes wieder ins Bewusstsein gebracht<br />
wurde.<br />
Literatur<br />
Lindqvist, Sven: Grabe wo du stehst. Handbuch zur Erforschung der eigenen Geschichte,<br />
Bonn 1989.<br />
Lüdtke, Alf: Einleitung: Was ist und wer treibt Alltagsgeschichte?, in: Lüdtke, Alf (Hrsg.):<br />
Alltagsgeschichte. Zur Rekonstruktion historischer Erfahrungen und Lebensweisen,<br />
Frankfurt/Main, New York 1989, S. 9-47.<br />
97
Methoden<br />
Stiepani, Ute: Spurensuche, in: Kuhn, Hans-Werner/Massing, Peter (Hrsg.): Lexikon der<br />
politischen Bildung. Bd. 3: Methoden und Arbeitstechniken, Schwalbach/Taunus 2000,<br />
S. 174-175.<br />
Vergleiche Abschnitt 3.3.12 „Workshop I“ und Abschnitt 3.3.13 „Stadtrundgang mit<br />
Valentin Frank in Dortmund“<br />
4.17 Stadterkundung<br />
Seit den späten siebziger Jahren werden immer öfter sogenannte alternative<br />
Stadtrundgänge beziehungsweise -rundfahrten angeboten. Die politisch-didaktische<br />
Zielsetzung der Begleitbroschüren und alternativen Stadtführer ist oft<br />
gewollt. Besonders in Berlin gibt es eine Vielzahl dieser Veröffentlichungen, die<br />
vom Stadtplan „Hundert Jahre Revolutionäres Berlin“ über historische Stadtteilund<br />
Bezirkswanderungen bis zum „Kreuzberger Wanderbuch“ reichen. In vielen<br />
anderen Gemeinden gibt es ebenfalls alternative Stadtrundgänge beziehungsweise<br />
-rundfahrten. Manchmal werden die Stadtführer auch von einem Zeitzeugen<br />
begleitet. Verfasser und Veranstalter sind selten professionelle Historiker, sondern<br />
Stadterkundung mit dem Zeitzeugen Valentin Frank in Dortmund<br />
98
Methoden<br />
Geschichtswerkstätten (vgl. Abschnitt 4.9), Weiterbildungsinstitutionen, Gewerkschaftsorganisationen,<br />
Friedensinitiativen etc. Sie finden sich meistens nur im<br />
Programm kleiner Verlage oder entstehen im Eigendruck.<br />
„Solche Stadterkundungen setzen sich zum Ziel, die in offiziellen Veröffentlichungen<br />
oft verschwiegene oder verdrängte Geschichte der ‚kleinen Leute‘ aufzuspüren,<br />
Zeugnisse der Industrialisierung und der Arbeiterbewegung ins Bewußtsein<br />
zu rücken, an Stätten des nationalsozialistischen Terrors und des antifaschistischen<br />
Widerstandes zu erinnern und mit dem geschichtlichen Wissen zugleich<br />
politische Bildung zu vermitteln“ (Hey 1997, 729-730). Die „große Geschichte“<br />
wird auf die regionale und lokale Ebene gebracht und so anschaulicher gemacht.<br />
Stadterkundungen (vgl. Abschnitt 4.17) zum Nationalsozialismus zielen oft auf<br />
die Betroffenheit der Lebenden ab und häufig wird der Bezug zum heutigen<br />
politischen Geschehen wie etwa zur Gefahr des Neonazismus hergestellt. Ein<br />
Problem ist die Legendenbildung, die oft fehlende Archivarbeit oder der nicht sehr<br />
differenzierte Umgang mit der Erinnerung von Zeitzeugen.<br />
Die Rallye ist eine weitere Möglichkeit der Stadterkundung. Sie bezeichnet eine<br />
sport- und spielorientierte Methode, ähnlich einer Autorallye in mehreren Etappen.<br />
Ihr Reiz liegt in der Bewegung im Freien, der Realbegegnung mit Einrichtungen<br />
und Personen und der Erkundung vor Ort. In den letzten Jahren zeichnet sich<br />
dazu ein neuer Trend ab; Stadtführer und -prospekte sind immer besser durchdacht<br />
und anspruchsvoller gestaltet. Sie öffnen sich zunehmend neuen Inhalten<br />
wie der Architektur- oder Literaturgeschichte und neuen Zielgruppen. So gibt es<br />
beispielsweise spezielle Stadtführer für Kinder.<br />
Vorgehensweise<br />
1. Welches Thema soll ausgewählt werden? Welche Informationen und<br />
Materialien besitzen wir bereits? Wo liegen unsere Wissenslücken und wie<br />
können wir sie füllen?<br />
2. Die Zielsetzung des Stadtrundganges sollte im Vorfeld geklärt werden. Was<br />
soll vermittelt werden?<br />
3. Ein Stadtrundgang muss gut vorbereitet sein. Dazu gehört auch die Spurensuche<br />
(vgl. Abschnitt 4.16). Es können auch die Archivarbeit, die Befragung<br />
von Zeitzeugen (vgl. Abschnitt 4.13) und/oder das Aufspüren von Fotos und<br />
anderen Quellen (auch aus privatem Besitz) hinzugezogen werden.<br />
4. Wenn ein Zeitzeuge an dem Stadtrundgang teilnehmen soll, ist eine gute gemeinsame<br />
Vorbereitung des Stadtführerteams unerlässlich. Dafür muss Zeit<br />
eingeplant werden.<br />
99
Methoden<br />
5. Die Quellen, wie beispielsweise Erinnerungen von Zeitzeugen, erfordern einen<br />
differenzierten Umgang. So kann Legendenbildung verhindert werden.<br />
6. Welche Art von Stadterkundung soll entwickelt werden? Ein geführter<br />
Stadtrundgang oder ein Stadtrundgang ohne Begleitung? Oder beides?<br />
7. Soll eine Begleitbroschüre oder ein alternativer Stadtführer erstellt werden?<br />
Die Sichtung und Beschäftigung mit Materialien bereits bestehender Angebote<br />
könnte hier hilfreich sein. Die finanziellen Möglichkeiten sollten ebenfalls geklärt<br />
werden (Zuschüsse, eventuelle Einnahmen durch geführte Stadtrundgänge<br />
etc.).<br />
8. Bevor der Stadtrundgang öffentlich angeboten wird, sollte er vorher mindestens<br />
einmal geprobt werden, um eventuelle Schwierigkeiten (beispielsweise<br />
bei der Dauer der Veranstaltung) zu beseitigen oder zu minimieren.<br />
Literatur<br />
Hagensen, Martin: Rallye-Ideen. Rallyes zu Fuß, mit dem Fahrrad, mit dem Auto, auf Skiern,<br />
Ravensburg 1979, S. 75-80.<br />
Hey, Bernd: Exkursionen, Lehrpfade, alternative Stadterkundungen, in: Bergmann, Klaus/<br />
Fröhlich, Klaus/Kuhn, Annette [et. al.] (Hrsg.): Handbuch der Geschichtsdidaktik, Seelze-Velber<br />
51997, S. 727-731.<br />
Olberg, Hans-Joachim von: Rallye, in: Kuhn, Hans-Werner/Massing, Peter (Hrsg.): Lexikon<br />
der politischen Bildung. Bd. 3: Methoden und Arbeitstechniken, Schwalbach/Taunus<br />
2000, S. 149.<br />
Vergleiche Abschnitt 3.3.3 „Geschichtswerkstatt Dortmund e. V.“, Abschnitt 3.3.5<br />
„Stadterkundung in Dortmund“, Abschnitt 3.3.8 „Stadtrundgang/Stadtrallye in Weimar“<br />
und Abschnitt 3.3.13 „Stadtrundgang mit Valentin Frank in Dortmund“<br />
4.18 Steckbrief<br />
Eigentlich bezeichnet der Steckbrief einen plakatartigen Aushang, auf dem eine<br />
Personenbeschreibung optisch und schriftlich festgehalten wird und mit dem<br />
die Polizei einen Kriminellen sucht. Für die Kennenlernphase in einer Gruppe<br />
ist diese Methode ebenfalls bestens geeignet. Das Ausfüllen eines vorbereiteten<br />
Steckbriefs (vgl. Abschnitt 7.1) ist eine gute Gelegenheit, um einen ersten<br />
Eindruck von den anderen Teilnehmerinnen und Teilnehmern zu bekommen.<br />
Schnell werden so Anknüpfungspunkte für erste Gespräche gefunden. Dabei<br />
gibt es verschiedene Einsatzmöglichkeiten des Steckbriefes. Einerseits können<br />
sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer gegenseitig in Partnerarbeit befragen<br />
und anschließend jeweils ein steckbriefartiges Kurzporträt (vielleicht mit einer<br />
Zeichnung oder einem Sofortbild) vom anderen erstellen. Die Notizen können für<br />
100
Methoden<br />
die Vorstellung des Partners in der Gruppe genutzt werden. Andererseits können<br />
selbstverfasste Steckbriefe über einen selbst auch sehr interessant sein und einen<br />
noch intensiveren biografischen Zugang ermöglichen.<br />
Vorbereitung<br />
Die vorgedruckten Steckbriefe sollten in ausreichender Anzahl vorhanden sein.<br />
Literatur<br />
Olberg, Hans-Joachim von: Steckbrief, in: Kuhn, Hans-Werner/Massing, Peter (Hrsg.):<br />
Lexikon der politischen Bildung. Bd. 3: Methoden und Arbeitstechniken, Schwalbach/<br />
Taunus 2000, S. 177-176.<br />
transfer e. V. (Hrsg.): Reader zu dem trägerübergreifenden Grundkurs für Teamerinnen und<br />
Teamer von internationalen Begegnungen 2001, Köln 2001, S. 6.<br />
Vergleiche Abschnitt 3.3.1 „Gegenseitiges Kennenlernen und Vorstellung des<br />
Programms“<br />
4.19 Wandzeitung<br />
Eine Wandzeitung dient dazu Meinungen, Ergebnisse und Informationen in Bildern,<br />
Texten, Skizzen, Fotos und Karikaturen zu präsentieren. Den Betrachtern<br />
soll so ein guter Überblick über ein Thema geboten werden. Die Wandzeitung<br />
visualisiert Aussagen dabei auf großem Format.<br />
Werden auf einer Wandzeitung die Ergebnisse einer Diskussionsrunde, Gruppenarbeit<br />
etc. dargestellt, dann sollten zuerst grobe Gliederungs- und Gestaltungspunkte<br />
diskutiert und abgesprochen werden. Das gesamte Material muss<br />
gesichtet werden, um zu entscheiden, was Verwendung finden soll. Eine gute<br />
Wandzeitung lädt zum Anschauen und Lesen ein. Neben dem Informationswert ist<br />
also auch die grafische Gestaltung wichtig und es muss eine Überschrift gefunden<br />
werden. Meistens befinden sich auf einer Wandzeitung nur Begriffe oder Stichworte,<br />
die einer Kommentierung und Erläuterung durch ihre Gestalter bedürfen.<br />
Vorbereitung<br />
Die benötigten Materialien sollten vorhanden sein, beispielsweise ausreichend<br />
großformatiges Papier (beispielsweise braunes Packpapier, Posterrückseiten<br />
oder eine alte Tapetenrolle) und ausreichend Stifte.<br />
101
Methoden<br />
Wandzeitung im Workshop I<br />
Literatur<br />
Greiner, Monika/Gaßmann, Reinhard: Wandzeitung, in: Kuhn, Hans-Werner/Massing,<br />
Peter (Hrsg.): Lexikon der politischen Bildung. Bd. 3: Methoden und Arbeitstechniken,<br />
Schwalbach/Taunus 2000, S. 207.<br />
Gugel, Günther: Praxis politischer <strong>Bildungs</strong>arbeit. Methoden und Arbeitshilfen, Tübingen<br />
3 1994, S. 85.<br />
Vergleiche Abschnitt 3.3.12 „Workshop I“<br />
4.20 Workshop<br />
Der Workshop (wörtlich übersetzt: Werkstatt) ist eine vom Ausgang und Ziel her<br />
offene Begegnungs-, Bearbeitungs- und Lernmöglichkeit. Die Teilnehmerinnen<br />
und Teilnehmer widmen sich dabei gleichberechtigt und relativ selbstbestimmt<br />
einem Thema, Raum oder Medium. Ein Produkt oder Ergebnis dieser gemeinsamen<br />
Auseinandersetzung kann zum Schluss der Veranstaltung ein konkreter<br />
102
Methoden<br />
Vorschlag zur Veränderung des lokalen Umfelds, eine Dokumentation oder Wandzeitung<br />
(vgl. Abschnitt 4.19) sein.<br />
Beim Workshop stehen nicht die strukturellen und globalen Fragen, das politische<br />
System, der Staat, die Ökonomie etc. im Vordergrund, sondern die Subjektivität,<br />
der Alltag und der ganzheitliche Lernprozess, der gleichzeitig sinnliche Wahrnehmung<br />
und kreative Handlungen beinhaltet. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer<br />
beschäftigen sich zum Beispiel mit einer „vor Ort“ bestehenden Frage oder einem<br />
lokal bedeutsamen historischen Vorgang. Das nötige Fachwissen wird entweder<br />
gemeinsam erarbeitet oder durch die Workshopleitung beziehungsweise durch<br />
die Befragung eines Experten von außerhalb vermittelt. Neben methodischem<br />
Wissen und Sachkenntnis müssen die Leiterinnen und Leiter dieser Veranstaltungsform<br />
über eine motivationspsychologische Kompetenz und gruppendynamische<br />
Sensibilität verfügen, aber auch Konfliktfähigkeit und Verhandlungsgeschick<br />
bei der Umsetzung der Ergebnisse beweisen. Ein Workshop ist eine auf einen<br />
längeren Zeitraum hin angelegte Veranstaltung. Sie findet meistens in kompakten<br />
Seminaren und/oder in kontinuierlichen Sitzungen statt. Mittlerweile sind in den<br />
verschiedensten Bereichen Workshops entstanden und zwar als Zukunfts-, Medien-,<br />
Schreib-, und Geschichtswerkstätten (vgl. Abschnitt 4.9).<br />
Literatur<br />
Hufer, Klaus-Peter: Die Geschichtswerkstatt: eine aktivierende Projektmethode in der Erwachsenenbildung,<br />
in: Mickel, Wolfgang W./Zitzlaff, Dietrich (Hrsg.): Methodenvielfalt<br />
im politischen Unterricht, Schwalbach/Taunus 31998 [unveränderte Auflage], S. 264-<br />
273.<br />
Hufer, Klaus-Peter: Werkstätten/Workshops, in: Kuhn, Hans-Werner/Massing, Peter<br />
(Hrsg.): Lexikon der politischen Bildung. Bd. 3: Methoden und Arbeitstechniken,<br />
Schwalbach/Taunus 2000, S. 207-208.<br />
Jungk, Robert/Müller Norbert R.: Zukunftswerkstätten. Mit Phantasie gegen Routine und<br />
Resignation, München 31989 [überarbeitete und aktualisierte Neuausgabe].<br />
Vergleiche Abschnitt 3.3.3 „Geschichtswerkstatt Dortmund e. V.“, Abschnitt 3.3.12<br />
„Workshop I“ und Abschnitt 3.3.14 „Workshop II“<br />
103
104
Die Zukunft des Projekts<br />
5. Die Zukunft des Projekts<br />
Heike Catrin Bala, Eva R. Schultz und Sebastian Welter<br />
Eine Gesellschaft braucht Individuen, Initiativgruppen und eine geförderte<br />
schulische sowie außerschulische Bildung und Kultur, um die Aufarbeitung der<br />
Vergangenheit anzugehen. Laut Höpken (1999) kann aber auch sinnvoll und<br />
hilfreich sein, wenn Impulse und Hilfe aus dem Ausland kommen. Als Träger der<br />
Jugend- und Erwachsenenbildung mit einem besonderen Interesse an den Transformationsländern<br />
in Ost- und Südosteuropa versuchen das IIZ/DVV und das IBB<br />
zivilgesellschaftliche Prozesse zu unterstützen. Das Seminar „Erinnern für die<br />
Zukunft“ will jungen Menschen aus Südosteuropa Methoden der Geschichtsaufarbeitung<br />
näher bringen und so den Aufbau dieser Region fördern.<br />
Die erfolgreiche Begegnung im Oktober 2002 soll nicht die letzte Maßnahme<br />
dieser Art bleiben. Wenn der herausgearbeitete Ansatz langfristig Wirkung zeigen<br />
soll, ist es notwendig, dem Projekt eine Zukunft zu geben. Im Folgenden wird auf<br />
das Zusammenwirken von Vergangenheitsbearbeitung und Demokratisierungsprozess<br />
in Südosteuropa eingegangen, um anschließend Ideen zur Weiterführung<br />
des Projektes zu skizzieren.<br />
„Vergangenheitsbewältigung“ in Südosteuropa<br />
Höpken (1999) nennt verschiedene Möglichkeiten, um die Vergangenheit zu „bewältigen“.<br />
Dabei lassen sich drei Kategorien identifizieren:<br />
Die erste ist die Vorstellung vom „Schlussstrich“, die Nichtbeachtung der Vergangenheit<br />
zum Wohle der Zukunft. Ihr steht die strafrechtliche Bewältigung der<br />
Vergangenheit gegenüber; sie orientiert sich gezielt an der Wiedergutmachung für<br />
die Opfer. Als dritte mögliche Form gilt die Aufarbeitung der Vergangenheit durch<br />
den öffentlichen gesellschaftlichen Diskurs. Eine zentrale Voraussetzung dafür ist<br />
die Anerkennung von Schuld; sie ist dabei „mehr als nur Bekenntnis zur Vergangenheit,<br />
sie ist nicht Ablaß, sondern verlangt, das unter eigener Beteiligung oder<br />
auch nur im Namen der eigenen Gesellschaft begangene Unrecht zur Grundlage<br />
kollektiven Bewußtseins dieser Gesellschaft zu machen“ (Höpken 1999, 617).<br />
Möglich sei eine wirkliche Auseinandersetzung mit der Gesellschaft nur in einer<br />
demokratischen und pluralistischen Gesellschaft.<br />
Die Staaten in Südosteuropa stehen vor einer besonders schwierigen Aufgabe:<br />
Sie müssen ihre sozialistische Vergangenheit aufarbeiten und gleichzeitig, in den<br />
Staaten des ehemaligen Jugoslawiens, die Erfahrung von Krieg und ethnischen<br />
105
Die Zukunft des Projekts<br />
Gewaltexzessen verarbeiten. Vor allem im Kosovo, aber teilweise auch in Bosnien,<br />
wird momentan eher therapeutische Hilfe benötigt. In vielen südosteuropäischen<br />
Ländern werden die Verbrechen des Totalitarismus mittlerweile öffentlich<br />
erörtert. So erwähnt Höpken (1999), dass es in Rumänien eine Reihe von Initiativen<br />
gibt, die sich gegen das Vergessen der Opfer der Ceauçescu-Diktatur und<br />
seiner Vorläufer richten.<br />
„Zu einem wirklichen gesellschaftlichen Aufklärungsdiskurs in selbstreflexiver<br />
Absicht aber hat sich all dies in den meisten Ländern nicht verdichtet“ (Höpken<br />
1999, 620). Die „symbolischen Denkmalsstürze“ (Höpken 1999, 621), wie das<br />
Umbenennen von Straßen, ersetzen oft eine wirkliche Auseinandersetzung. Ein<br />
Grund dafür ist, dass durch einige südosteuropäische Länder, wie Rumänien und<br />
Bulgarien, ein tiefer Riss geht, wenn die sozialistische Vergangenheit bewertet<br />
werden soll. In den Schulbüchern, die ein Indikator für den Umgang mit der Geschichte<br />
sind, finden sich trotz vieler Bemühungen immer noch mehr oder weniger<br />
deutliche nationalistische Aussagen. Man kann die „rehabilitierende, oftmals auch<br />
unkritisch idealisierende Konstruktion einer vor-sozialistischen Gegen-Geschichte“<br />
beobachten (Höpken 1999, 621). Dazu werden zweifelhafte Bezüge zum 19.<br />
Jahrhundert oder zur Zwischenkriegszeit hergestellt, wobei die Nation der zentrale<br />
Faktor bleibt.<br />
Die Verarbeitung des Krieges und die Arbeit an einem friedlichen Zusammenleben<br />
von Serben, Albanern und Kroaten, Christen und Muslimen ist ein äußerst<br />
schwieriges Unterfangen. Die Ereignisse sind noch frisch und es sind allenfalls<br />
Ansätze einer Vergangenheitsbearbeitung zu erkennen. „Auf allen Seiten wird die<br />
Geschichte der vergangenen Konflikte und Kriege miteinander bislang in einer völlig<br />
asymmetrischen Weise wahrgenommen, d. h. ausschließlich aus der eigenen<br />
Opferperspektive und nicht mit Blick auf das eigene Tun“ (Höpken 1999, 624).<br />
Die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit kann zwar von außen angeregt<br />
werden. Voraussetzung dafür ist jedoch eine innere Bereitschaft zur Selbstreflexion,<br />
die in der Region noch nicht sehr weit verbreitet ist. Ein langfristiges Ziel ist<br />
deshalb der „Mentalitätswandel“ (Höpken 1999, 628), ohne den eine Aufarbeitung<br />
kaum zu erreichen ist. Damit eine Gesellschaft aber eine stabile demokratische<br />
Kultur wirklich erreichen könne, sei die „Bereitschaft zur Erinnerung und auch zur<br />
Annahme eigener Verantwortung“ notwendig.<br />
Demokratieförderung<br />
Der Stabilitätspakt für Südosteuropa berücksichtigt diese Verbindung zwischen<br />
Vergangenheitsbearbeitung und Demokratisierungsprozess. Er strebt eine grund-<br />
106
Die Zukunft des Projekts<br />
legende Umorientierung der westlichen Balkanpolitik an, weg vom „akuten Konfliktmanagement“<br />
und hin zur „strukturellen Konfliktprävention“ (Biermann 2001,<br />
137). Die Hoffnungsträger sind „die neuen europäisch gesinnten Menschen [in<br />
der Region], die diese Zukunft in ihre eigenen Hände nehmen sollen“ (Mintchev<br />
2000, 57).<br />
Um sie zu stärken, benötigen die Projekte des Arbeitstisches I (Demokratisierung<br />
und Menschenrechte) besonders viel Aufmerksamkeit und Engagement. Sie setzen<br />
genau dort an, wo die zukünftige intellektuelle und professionelle Elite geformt<br />
wird. Die jungen Menschen müssen zur Selbstverantwortung in der Gesellschaft<br />
ermutigt werden, „die ausschlaggebend ist für den Erfolg jeder integrativen Strategie<br />
für die Region“ (Mintchev 2000, 58).<br />
Das schließt den Abbau von nationalen Stereotypen und die Betrachtung der Geschichte<br />
Südosteuropas aus den unterschiedlichen Perspektiven mit ein (Schur<br />
2001). Dabei muss den Initiatoren des Stabilitätspaktes bewusst gewesen sein,<br />
dass der Arbeitstisch I bei der Entwicklung von Demokratie und Menschenrechten<br />
den kompliziertesten Bereich darstellt. „Nur durch langfristig verlaufende Prozesse<br />
und unter starker Beteiligung der Zivilgesellschaft können hier nachhaltige<br />
Lösungen erzielt werden. Dazu ist ein substanzieller Beitrag der Nichtregierungsorganisationen<br />
notwendig“ (Schur 2001, 12).<br />
Das Projekt „Erinnern für die Zukunft“ stellt einen solchen Beitrag zur Demokratieförderung<br />
dar.<br />
Wie soll es weitergehen?<br />
Derzeit werden verschiedene weiterführende Projektideen ausgearbeitet, die der<br />
Verbreitung des Projektansatzes dienen sollen und neue Möglichkeiten zur Fortführung<br />
der Geschichtsaufarbeitung werden durchdacht.<br />
Ein bedeutsames Ziel ist die Vergrößerung des Personenkreises, der mit den<br />
Inhalten und Konzeptionen geschichtsbezogener und demokratieorientierter <strong>Bildungs</strong>arbeit<br />
vertraut ist. Eine Initiative wie ein Lernfest kann die Aufmerksamkeit<br />
der Menschen wecken, die Integration in die länderspezifische und regionalorientierte<br />
Projektarbeit eine breitere Wirkung ermöglichen. Hier fällt den Teilnehmenden<br />
des Projektes besondere Bedeutung zu, da sie als Multiplikatoren in<br />
ihrem jeweiligen Lebensumfeld neue Träger einer entsprechenden <strong>Bildungs</strong>arbeit<br />
zusammenführen und fortbilden können. Ihnen sollte hierbei weitere methodischdidaktische<br />
Unterstützung zuteil werden, um ihre Handlungssicherheit zu erhöhen<br />
107
Die Zukunft des Projekts<br />
und ihre Autorität im Falle von Widerständen gegen Formen des kritischen gesellschaftlichen<br />
Diskurses historischer Ereignisse zu stärken.<br />
Weiterhin gilt es, den Teilnehmenden über eine weitere Projektförderung die Realisierung<br />
eigener, auf das lokale Umfeld bezogener Projektansätze zu ermöglichen.<br />
Denn mit der Schaffung von Gedenkstätten und Erinnerungsorten werden historische<br />
Ereignisse von der Ebene abstrakten nationalen Gedenkens in direkten<br />
Bezug zum Lebensumfeld des einzelnen Menschen gebracht. Dies ermöglicht die<br />
persönliche Auseinandersetzung mit dem Geschehenen, was wiederum Grundlage<br />
für Lernprozesse darstellt.<br />
Zugleich sollten die zwischen den Teilnehmenden des Projektes entstandenen<br />
zwischenmenschlichen Kontakte zur Schaffung überregionaler und transnationaler<br />
Projektansätze genutzt werden. Sie bieten positive Beispiele der Kooperationsmöglichkeiten<br />
zwischen den Angehörigen unterschiedlicher Nationalitäten<br />
und verschiedenartigen Glaubens. Dies ermöglicht es gegenüber Dritten, die<br />
Realisierbarkeit des dem Projekt zugrundeliegenden Demokratiekonzeptes sinnfällig<br />
erfahrbar zu machen.<br />
Die im bisherigen Verlauf des Projektes durchgeführten Maßnahmen und die an<br />
die Teilnehmenden vermittelten Erkenntnisse bieten Ansätze zu einer Aufarbeitung<br />
der Vergangenheit im öffentlich gesellschaftlichen Diskurs. Voraussetzung ist allerdings<br />
das Erreichen einer gewissen Breitenwirkung. Hierzu werden weiterhin<br />
die finanzielle Unterstützung auswärtiger Geber und Mittel des Stabilitätspakts<br />
erforderlich sein.<br />
Um die in der praxisbezogenen Projektarbeit gewonnene Erfahrungen dem<br />
wissenschaftlichen Diskurs zugänglich machen zu können und um einen selbsttragenden<br />
breiten Prozess der Vergangenheitsbewältigung in Gang zu setzen,<br />
bedarf es längerfristiger Förderung. Die systematische Reflektion der Ergebnisse<br />
und Erkenntnisse ermöglicht deren Einordnung in nationale und internationale<br />
Fachdiskussionen. Hierdurch werden Perspektiven eröffnet, die Konzepte der<br />
geschichtsbezogenen, demokratieorientierten <strong>Bildungs</strong>arbeit zum integralen Bestandteil<br />
der politischen Bildung zu machen und so die Voraussetzungen für ihre<br />
finanzielle Absicherung zu schaffen.<br />
Literatur<br />
Biermann, Rafael: Südosteuropa am Scheidepunkt: Der Stabilitätspakt, das Ende der<br />
Miloševic-Ära und die neu aufbrechende „albanische Frage“, in: Wagner, Wolfgang/<br />
Dönhoff, Marion Gräfin/Kaiser, Karl [et. al.] (Hrsg.): Jahrbuch Internationale Politik 1999-<br />
108
Die Zukunft des Projekts<br />
2000 (= Jahrbücher des Forschungsinstituts der <strong>Deutsch</strong>en Gesellschaft für Auswärtige<br />
Politik, Bd. 24), München 2001, S. 137-148.<br />
Höpken, Wolfgang: „Vergangenheitsbewältigung“ in Südosteuropa: Chance oder Last?, in:<br />
Südosteuropa 48 (1999), S. 613-628.<br />
Mintchev, Emil: Europa und die Probleme des Balkans. Ein Jahr Stabilitätspakt für Südosteuropa,<br />
in: Internationale Politik 55 (2000), H. 8, S. 53-58.<br />
Schur, Wolfgang: Politische Bildung in der Stabilitätspaktregion. Analysen und Handlungsmöglichkeiten.<br />
Im Auftrag des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit<br />
und Entwicklung. IPE 30. Bonn: IIZ/DVV 2001.<br />
109
110
6. Kontaktadressen<br />
6.1 <strong>Deutsch</strong>land<br />
Kontaktadressen<br />
Alte Synagoge in Essen<br />
Steeler Straße 29<br />
45127 Essen<br />
Telefon: +49-(0)201/ 884 52-18 oder -23<br />
Telefax: +49-(0)2 01/ 884 52-25<br />
DGB-Jugendbildungszentrum Hattingen<br />
Willi-Bleicher-Haus<br />
Am Homberg 44<br />
45529 Hattingen<br />
Telefon: +49-(0)2324/ 59 51 00<br />
Telefax: +49-(0)2324/ 59 53 10<br />
Internet: www.jugendbildungszentrum.de<br />
Europäische Jugendbildungs- und Jugendbegegnungsstätte Weimar<br />
(EJBW)<br />
Jenaer Straße 2/4<br />
99425 Weimar<br />
Telefon: +49-(0)3643/ 82 71-01<br />
Telefax: +49-(0)3643/ 82 71-11<br />
E-Mail: kontakt@ejbweimar.de<br />
Internet: www.ejbweimar.de<br />
Gedenkstätte Buchenwald<br />
Abt. Öffentlichkeitsarbeit<br />
99427 Weimar<br />
Telefon: +49-(0)3643/ 43 01-43<br />
Telefax: +49-(0)3643/ 43 01-00<br />
E-Mail: buchenwald@buchenwald.de<br />
Internet: www.buchenwald.de<br />
Geschichtswerkstatt Dortmund e. V.<br />
Wellinghofer Straße 44<br />
44263 Dortmund<br />
Telefon: +49-(0)231/ 41 22 42<br />
111
Kontaktadressen<br />
Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit Dortmund e. V.<br />
Schulte-Witten-Haus<br />
Wittener Straße 3<br />
44149 Dortmund<br />
Telefon: +49-(0)231/ 17 13 17<br />
Telefax: +49-(0)231/ 176 54 58<br />
Grenzmuseum „Schifflersgrund“<br />
37318 Asbach-Sickenberg<br />
Telefon: +49-(0)36087/ 984-09<br />
Telefax: +49-(0)36087/ 984-14<br />
E-Mail: GreMu1991@aol.com<br />
Internet: www.grenzmuseum.de<br />
Institut für Internationale Zusammenarbeit des <strong>Deutsch</strong>en<br />
Volkshochschul-Verbandes e. V. (IIZ/DVV)<br />
Obere Wilhelmstraße 32<br />
53225 Bonn<br />
Telefon: +49-(0)228/ 975 69-0<br />
Telefax: +49-(0)228/ 975 69-55<br />
E-Mail: iiz-dvv@iiz-dvv.de<br />
Internet: www.iiz-dvv.de<br />
<strong>Internationales</strong> <strong>Bildungs</strong>- und Begegnungswerk e. V. (IBB)<br />
Thomasstraße 1<br />
D 44135 Dortmund<br />
Telefon: +49-(0)231/ 95 20 96-0<br />
Telefax: +49-(0)231/ 52 12 33<br />
E-Mail: ibb-dortmund@t-online.de<br />
Kulturzentrum „Grend“<br />
Westfalenstraße 311<br />
45276 Essen<br />
Telefon: +49-(0)201/ 851 32 30<br />
E-Mail: grend@t-online.de<br />
Mahn- und Gedenkstätte „Steinwache“<br />
Steinstraße 50<br />
D 44147 Dortmund<br />
Telefon: +49-(0)231/ 502 50 02<br />
Telefax: +49-(0)231/ 502 60 11<br />
112
6.2 IIZ/DVV-Projektbüros in Südosteuropa<br />
Albanien<br />
Projekti Arsimimi I Te Rriturve Ne<br />
Jochen Blanken<br />
Rr. „Andon Zako Çajupi“, Pallati Nr. 7<br />
Post Box 8153<br />
Tirana<br />
Telefon: +355-42/ 574 77, 425 94 94<br />
Telefax: +355-42/ 574 76<br />
E-Mail: iizparsh@albaniaonline.net<br />
Bosnien-Herzegowina<br />
Emir Avdagic<br />
Branilaca Sarajeva 24/2<br />
71000 Sarajevo<br />
Telefon: +387-33/ 21 52 52<br />
Telefax: +387-33/ 21 52 53<br />
E-Mail: iizdvvbh@bih.net.ba<br />
Bulgarien<br />
IIZ/DVV-Projektbüro<br />
Johann Theessen<br />
Knjaz-Boris-I-Str. 147<br />
1000 Sofia<br />
Telefon: +359-2/ 983 65 43<br />
Telefax: +359-2/ 983 64 82<br />
E-Mail: theessen@iizdvv-bg.org<br />
Kroatien<br />
IIZ/DVV Hrvatska<br />
Branimira Mrak<br />
Zavojina 8<br />
10000 Zagreb<br />
Telefon: +385-1/ 466 86 96<br />
Telefax: +385-1/ 466 60 07<br />
E-mail: iiz-dvv@globalnet.hr<br />
Kontaktadressen<br />
113
Kontaktadressen<br />
Mazedonien<br />
IIZ/DVV-Projektbüro<br />
Maja Avramovska-Trpevska<br />
Ul. Blagoj Strackov 8<br />
1000 Skopje<br />
Telefon: +389-91/ 217 81 06<br />
Telefax: +389-91/ 217 82 70<br />
E-Mail: iiz_dvv@mol.com.mk<br />
Rumänien<br />
Asociatia Universitatilor Populare Germane<br />
Mariana Matache<br />
Str. Slanic 12, et 3, ap. 4, sec 3<br />
70446 Bucuresti<br />
Telefon: +40-21/ 310 12 22<br />
Telefax: +40-21/ 313 58 83<br />
E-Mail: iizdvvro@fx.ro<br />
Serbien-Montenegro<br />
Gesellschaft für Erwachsenenbildung<br />
Dr. Katarina Popovic<br />
Vuka Karadzica 12<br />
11000 Belgrad<br />
Telefon: +381-11/ 63 46 74<br />
Telefax: +381-11/ 62 56 73<br />
E-Mail: iiz-dvv@eunet.yu<br />
114
7. Anhang<br />
7.1 Steckbrief<br />
Wer ist denn das?<br />
Foto / Zeichnung<br />
Das bin ich! Ich heiße:<br />
Normalerweise lebe ich in:<br />
Wo ich...<br />
Wenn ich das nicht tue, verbringe ich meine Freizeit mit...<br />
In der Zukunft will ich...<br />
Mein größter Wunsch ist es, ...<br />
Aber ich kann es gar nicht ausstehen, wenn...<br />
Anhang<br />
115
Anhang<br />
7.2 Projektantrag<br />
Projektantrag<br />
1. Titel des Projektes:<br />
2. In welchem Land bzw. in welchen Ländern wird dieses Projekt stattfinden?<br />
3. Für welchen Ort/welche Orte wird dieses Projekt geplant?<br />
4. Beschreiben Sie kurz die wesentlichen Elemente des Projektes!<br />
5. Wie lange soll das Projekt dauern?<br />
Projektbeginn:____.___.___ Projektende: ___.___.___<br />
6. Beschreiben Sie bitte die Zielgruppe, die Sie mit diesem Projekt ansprechen<br />
wollen!<br />
7. Beschreiben Sie bitte die Ziele des Projektes!<br />
116
Anhang<br />
8. Beschreiben Sie, mit welchen Methoden Sie diese Ziele erreichen wollen!<br />
9. Beschreiben Sie die zur Realisierung des Projektes notwendigen<br />
Rahmenbedingungen!<br />
10. Von welchen Personen/Institutionen erhoffen Sie sich Unterstützung für dieses<br />
Projekt?<br />
11. Welche Probleme sind bei der Durchsetzung des Projektes zu erwarten?<br />
117
Anhang<br />
12. Bitte stellen Sie einen Zeitplan für das Projekt auf!<br />
Zeitraum Tätigkeit<br />
13. Bitte stellen Sie einen Kostenplan für das Projekt auf!<br />
Projektphase Höhe der Aufwendungen Art der Aufwendungen<br />
Gesamtsumme<br />
118
8. Abkürzungsverzeichnis<br />
Abkürzungsverzeichnis<br />
BMZ Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und<br />
Entwicklung<br />
BRD Bundesrepublik <strong>Deutsch</strong>land<br />
d. A. die Autoren/Autorin<br />
DDR <strong>Deutsch</strong>e Demokratische Republik<br />
DGB <strong>Deutsch</strong>er Gewerkschaftsbund<br />
e. V. eingetragener Verein<br />
EBiS Erwachsenenbildung in Südosteuropa<br />
EJBW Europäische Jugendbildungs- und Jugendbegegnungsstätte Weimar<br />
Gestapo Geheime Staatspolizei<br />
H. Heft<br />
HDZ Hvratska Demokratska Zajednica (Kroatische Demokratische Union)<br />
IBB <strong>Internationales</strong> <strong>Bildungs</strong>- und Begegnungswerk e. V.<br />
IIZ/DVV Institut für Internationale Zusammenarbeit des <strong>Deutsch</strong>en<br />
Volkshochschul-Verbandes e. V.<br />
KfW Kreditanstalt für Wiederaufbau<br />
KPD Kommunistische Partei <strong>Deutsch</strong>lands<br />
KZ Konzentrationslager<br />
m. Mitte<br />
NRO Nicht-Regierungsorganisation<br />
NSDAP Nationalsozialistische <strong>Deutsch</strong>e Arbeiterpartei<br />
OSZE Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa<br />
SA Sturmabteilung<br />
SED Sozialistische Einheitspartei <strong>Deutsch</strong>lands<br />
SPD Sozialdemokratische Partei <strong>Deutsch</strong>lands<br />
SS Schutzstaffel<br />
WDR Westdeutscher Rundfunk<br />
119
120
9. Weiterführende Literatur<br />
<strong>Deutsch</strong>-deutsche Geschichte<br />
Weiterführende Literatur<br />
Andersen, Uwe/Woyke, Wichard (Hrsg.): Handwörterbuch des politischen Systems der<br />
Bundesrepublik <strong>Deutsch</strong>land, Opladen 5 2003 [überarbeitete Auflage].<br />
Benz, Wolfgang (Hrsg.): Geschichte der Bundesrepublik <strong>Deutsch</strong>land, 4 Bde., Frankfurt/<br />
Main 1989 [aktualisierte und erweiterte Neuausgabe].<br />
Berger, Stefan: Historians and Nation-Building in Germany After Reunification, in: Past &<br />
Present 148 (1995), S. 187-222.<br />
Glaser, Hermann: Kleine Kulturgeschichte der Bundesrepublik <strong>Deutsch</strong>land 1945-1989,<br />
Bonn 2 1991 [durchgesehene Auflage].<br />
Kleßmann, Christoph: Zwei Staaten, eine Nation. <strong>Deutsch</strong>e Geschichte 1955-1970, Göttingen<br />
1988.<br />
McAdams, A. James: Germany Divided: From the Wall to Reunification, Princeton 1993.<br />
McAdams, A. James: Judging the Past in Unified Germany, Cambridge, New York 2001.<br />
Sontheimer, Kurt/Bleek, Wilhelm: Grundzüge des politischen Systems der Bundesrepublik<br />
<strong>Deutsch</strong>land, München 11 1999 [aktualisierte Neuausgabe].<br />
Thomaneck, Jürgen K. A./Niven, Bill: Dividing and Uniting Germany, London [et. al.]<br />
2001.<br />
Turner, Henry A.: Germany from Partition to Reunification, New Haven 1992.<br />
Methoden des historisch-politischen Lernens<br />
Ackermann, Paul (Hrsg.): Politisches Lernen vor Ort. Außerschulische Lernorte im Politikunterricht,<br />
Stuttgart 1988.<br />
Ackermann, Paul/Breit, Gotthard/Cremer, Will [et. al.]: Politikdidaktik kurzgefaßt. Planungsfragen<br />
für den Politikunterricht, Bonn 1995 [Neudruck].<br />
Bala, Heike Catrin: Ausgestellte Geschichte. Die Alte Synagoge und das Jüdische Museum<br />
Westfalen im Vergleich, in: Sachor 8 (1998), S. 24-40.<br />
Behrends-Cobet, Heidi (Hrsg.): Bilden und Gedenken. Erwachsenenbildung in Gedenkstätten<br />
und an Gedächtnisorten (= Geschichte und Erwachsenenbildung, Bd. 9), Essen<br />
1998.<br />
Bergmann, Klaus/Fröhlich, Klaus/Kuhn, Annette [et. al.] (Hrsg.): Handbuch der Geschichtsdidaktik,<br />
Seelze-Velber 5 1997, S. 707-713.<br />
Berliner Geschichtswerkstatt (Hrsg.): Alltagskultur, Subjektivität und Geschichte. Zur Theorie<br />
und Praxis von Alltagsgeschichte, Münster 1994, S. 315-327.<br />
Brinkmann, Annette/Ehmann, Annegret/Milton, Sybil [et. al.] (Hrsg.): Lernen aus der Geschichte.<br />
Projekte zu Nationalsozialismus und Holocaust in Schule und Jugendarbeit/<br />
Learning from history. The Nazi era and the Holocaust in German education [mit CD-<br />
ROM], Bonn 2000.<br />
121
Weiterführende Literatur<br />
Brown, Cynthia S.: Like It Was: A Complete Guide to Writing Oral History, New York<br />
1988.<br />
Cremer, Will/Dallinger, Gernot (Red.): Erfahrungsorientierte Methoden der politischen<br />
Bildung, Bonn 1988, S. 178-215.<br />
Dovermann, Ulrich/Reiberg, Ludger (Hrsg.): Interkulturelles Lernen. Arbeitshilfen für die<br />
politische Bildung, Bonn 2000 [Neudruck].<br />
Ehmann, Annegret/Kaiser, Wolf/Lutz, Thomas [et. al.]: Praxis der Gedenkstättenpädagogik.<br />
Erfahrungen und Perspektiven, Opladen 1995.<br />
Fritz Bauer Institut (Hrsg.): Auschwitz: Geschichte, Rezeption und Wirkung (= Jahrbuch zur<br />
Geschichte und Wirkung des Holocaust, Bd. 1996), Frankfurt/Main, New York 1996.<br />
Geppert, Alexander C. T.: Forschungstechnik oder historische Disziplin? Methodische<br />
Probleme der Oral History, in: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 45 (1994),<br />
S. 303-323.<br />
Geschichtswerkstatt Dortmund e.V. (Hrsg.): 10 Jahre Geschichtswerkstatt, Dortmund<br />
o. J.<br />
Giesecke, Hermann: Methodik des politischen Unterrichts, München 4 1976.<br />
Giesecke, Hermann: Politische Bildung. Didaktik und Methodik für Schule und Jugendarbeit,<br />
Weinheim, München 2 2000 [überarbeitete und erweiterte Auflage].<br />
Gray, Wood: Historian‘s Handbook: A Key to the Study and Writing of History, Prospect<br />
Heights/Illinois 2 1991.<br />
Gugel, Günther: Praxis politischer <strong>Bildungs</strong>arbeit. Methoden und Arbeitshilfen, Tübingen<br />
3 1994.<br />
Hagensen, Martin: Rallye-Ideen. Rallyes zu Fuß, mit dem Fahrrad, mit dem Auto, auf<br />
Skiern, Ravensburg 1979.<br />
Hochreiter, Walter: Vom Musentempel zum Lernort. Zur Sozialgeschichte deutscher Museen<br />
1800-1914, Darmstadt 1994.<br />
Hufer, Klaus-Peter (Hrsg.): Lexikon der politischen Bildung. Bd. 2: Außerschulische Jugend-<br />
und Erwachsenenbildung, Schwalbach/Taunus 1999.<br />
Jungk, Robert/Müllert, Norbert R.: Zukunftswerkstätten. Mit Phantasie gegen Routine und<br />
Resignation, München 3 1989 [überarbeitete und aktualisierte Neuauflage].<br />
Keim, Helmut (Hrsg.): Planspiel, Rollenspiel, Fallstudie. Zur Praxis und Theorie lernaktiver<br />
Methoden, Köln 1992.<br />
Kuhn, Hans-Werner/Massing, Peter (Hrsg.): Lexikon der politischen Bildung. Bd. 3: Methoden<br />
und Arbeitstechniken, Schwalbach/Taunus 2000.<br />
Leo, Annette: Geschichtsbewußtsein „herstellen“ – ein Rückblick auf Gedenkstättenarbeit<br />
in der DDR, in: Behrends-Cobet, Heidi (Hrsg.): Bilden und Gedenken. Erwachsenenbildung<br />
in Gedenkstätten und an Gedächtnisorten (= Geschichte und Erwachsenenbildung,<br />
Bd. 9), Essen 1998, S. 35-50.<br />
Lindqvist, Sven: Grabe wo du stehst. Handbuch zur Erforschung der eigenen Geschichte,<br />
Bonn 1989.<br />
122
Weiterführende Literatur<br />
Loewy, Hanno/Moltmann, Bernhard (Hrsg.): Erlebnis – Gedächtnis – Sinn. Authentische<br />
und konstruierte Erinnerung (= Wissenschaftliche Reihe des Fritz-Bauer-Instituts,<br />
Bd. 3), Frankfurt/Main, New York 1996.<br />
Lüdtke, Alf: Einleitung: Was ist und wer treibt Alltagsgeschichte?, in: Lüdtke, Alf (Hrsg.):<br />
Alltagsgeschichte. Zur Rekonstruktion historischer Erfahrungen und Lebensweisen,<br />
Frankfurt/Main, New York 1989, S. 9-47.<br />
Marius, Richard/Page, Melvin E.: A Short Guide to Wrting About History, New York 4 2002.<br />
Massing, Peter: Handlungsorientierter Politikunterricht. Ausgewählte Methoden,<br />
Schwalbach/Taunus 1998.<br />
Mickel, Wolfgang W. (Hrsg.): Handbuch zur politischen Bildung, Bonn 1999.<br />
Mickel, Wolfgang W./Zitzlaff, Dietrich (Hrsg.): Handbuch zur politischen Bildung, Bonn<br />
1988, S. 262-267.<br />
Mickel, Wolfgang W./Zitzlaff, Dietrich (Hrsg.): Methodenvielfalt im politischen Unterricht,<br />
Schwalbach/Taunus 3 1998 [unveränderte Auflage].<br />
Perks, Robert: Oral History: An Annotated Bibliography, London 1999.<br />
Perks, Robert/Thomson, Alistair (Hrsg.): The Oral History Reader, London, New York 2000<br />
[Reprint].<br />
Ritchie, Donald A.: Doing Oral History (= Twayne’s Oral History Series, Bd. 15), New York<br />
1995.<br />
Rosenthal, Gabriele: Erlebte und erzählte Lebensgeschichte. Gestalt und Struktur biographischer<br />
Selbstbeschreibungen, Frankfurt/Main, New York 1995.<br />
Sander, Wolfgang (Hrsg.): Handbuch politische Bildung (= Reihe Politik und Bildung,<br />
Bd. 11), Schwalbach/Taunus 2 1999.<br />
Storey, William Kelleher: Writing History: A Guide for Students, New York, Oxford 1999.<br />
Thüringer Institut für Lehrerfortbildung, Lehrplanentwicklung und Medien (Thillm) (Hrsg.):<br />
Sehen, Verstehen und Verarbeiten. KZ Buchenwald 1937-1945. KZ Mittelbau-Dora<br />
1943-1945, Bad Berka 2000.<br />
transfer e. V. (Hrsg.): Reader zu dem trägerübergreifenden Grundkurs für Teamerinnen<br />
und Teamer von internationalen Begegnungen 2001, Köln 2001.<br />
Vorländer, Herwart (Hrsg.): Oral History. Mündlich erfragte Geschichte. Acht Beiträge,<br />
Göttingen 1990.<br />
Weschenfelder, Klaus/Zacharias, Wolfgang: Handbuch Museumspädagogik. Orientierungen<br />
und Methoden für die Praxis, Düsseldorf 1981.<br />
Williams, Robert Chadwell: The Historian‘s Toolbox: A Student‘s Guide to the Theory and<br />
Craft of History, Armonk/New York, London 2003.<br />
Nationalsozialismus<br />
Arbeitskreis NS-Gedenkstätten NW (Hrsg.): Den Opfern gewidmet – auf Zukunft gerichtet.<br />
Gedenkstätten für die Opfer des Nationalsozialismus in Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf<br />
4 1998 [erweiterte und überarbeitete Neuauflage].<br />
Bala, Heike Catrin/Scholz, Christian (Hrsg.): <strong>Deutsch</strong>-Jüdisches Verhältnis? Fragen, Betrachtungen,<br />
Analysen, Essen 1997.<br />
123
Weiterführende Literatur<br />
Brenner, Michael: Nach dem Holocaust. Juden in <strong>Deutsch</strong>land 1945-1950, München<br />
1995.<br />
Broszat, Martin/Frei, Norbert (Hrsg.): Das Dritte Reich im Überblick. Chronik – Ereignisse<br />
– Zusammenhänge, München 6 1999 [durchgesehene und aktualisierte Auflage].<br />
Frei, Norbert: National Socialist Rule in Germany: The Führer State, 1933-1945, Oxford<br />
[et. al.] 1993. (<strong>Deutsch</strong>e Ausgabe: Frei, Norbert: Der Führerstaat. Nationalsozialistische<br />
Herrschaft 1933 bis 1945, München 5 1997.)<br />
Frei, Norbert: Vergangenheitspolitik. Die Anfänge der Bundesrepublik und die NS-Vergangenheit,<br />
München 1996.<br />
Hackett, David A. (Hrsg.): The Buchenwald Report, Boulder/Colorado [et. al.] 1997. (<strong>Deutsch</strong>e<br />
Ausgabe: Hackett, David A. (Hrsg.): Der Buchenwald-Report. Bericht über das<br />
Konzentrationslager Buchenwald bei Weimar, München 2002.)<br />
Jäckel, Eberhard/Longerich, Peter/Schoeps, Julius H. (Hrsg.): Enzyklopädie des Holocaust.<br />
Die Verfolgung und Ermordung der europäischen Juden, 3 Bde., Berlin 1993.<br />
Kershaw, Ian: The „Hitler Myth“: Image and Reality in the Third Reich, Oxford 2001.<br />
Kershaw, Ian: The Nazi Dictatorship: Problems and Perspectives of Interpretation, London<br />
4 2000. (<strong>Deutsch</strong>e Ausgabe: Kershaw, Ian: Der NS-Staat. Geschichtsinterpretationen<br />
und Kontroversen im Überblick, Reinbek 1994 [vollständig überarbeitete und<br />
erweiterte Neuausgabe].)<br />
Kogon, Eugen: The Theory and Practice in Hell: The German Concentration Camps and<br />
the System Behind Them, New York 1998. (<strong>Deutsch</strong>e Ausgabe: Kogon, Eugen: Der<br />
SS-Staat. Das System der deutschen Konzentrationslager, München 4 1993.)<br />
Lichtenstein, Heiner/Romberg, Otto R. (Hrsg.): Täter – Opfer – Folgen. Der Holocaust in<br />
Geschichte und Gegenwart (= Schriftenreihe der Bundeszentrale für politische Bildung,<br />
Bd. 335), Bonn 1995.<br />
Puvogel, Ulrike/Stankowski, Martin [et. al.] (Hrsg.): Gedenkstätten für die Opfer des Nationalsozialismus.<br />
Eine Dokumentation Bd. 1), Bonn 2 1995 [überarbeitete und erweiterte<br />
Auflage].<br />
Schoeps, Julius H. (Hrsg.): Neues Lexikon des Judentums, Gütersloh 2000 [überarbeitete<br />
Auflage].<br />
Südosteuropäische Geschichte<br />
Ágh, Attila: Emerging Democracies in East Central Europe and the Balkans, Cheltenham<br />
1998.<br />
Courtois, Stéphane/Werth, Nicolas/Panné, Jean-Louis [et. al.]: The Black Book of Communism:<br />
Crimes, Terror, Repression, Cambridge/Massachusetts , London 1999. (<strong>Deutsch</strong>e<br />
Ausgabe: Courtois, Stéphane/Werth, Nicolas/Panné, Jean-Louis [et. al.]: Das Schwarzbuch<br />
des Kommunismus. Unterdrückung, Verbrechen und Terror, München 3 1993.)<br />
Holzer, Jerzy: Der Kommunismus in Europa. Politische Bewegung und Herrschaftssystem,<br />
Frankfurt/Main 4 1998.<br />
Höpken, Wolfgang: „Vergangenheitsbewältigung“ in Südosteuropa: Chance oder Last?, in:<br />
Südosteuropa 48 (1999), S. 613-628.<br />
124
Weiterführende Literatur<br />
Hösch, Edgar: Geschichte der Balkanländer. Von der Frühzeit bis zur Gegenwart, München<br />
1999.<br />
Hupchick, Dennis P.: The Balkans: From Constantinople to Communism, Basingstoke/<br />
Hampshire [et. al.] 2002.<br />
Kaser, Karl: Südosteuropäische Geschichte und Geschichtswissenschaft, Köln, Weimar,<br />
Wien 2 2002 [völlig neu bearbeitete Auflage].<br />
Mazover, Mark: The Balkans: A Short History, London 2000. (<strong>Deutsch</strong>e Ausgabe: Mazover,<br />
Mark: Der Balkan, Berlin 2002.)<br />
Meier, Victor: Jugoslawiens Erben. Die neuen Staaten und die Politik des Westens, München<br />
2001.<br />
Roth, Harald (Hrsg.): Studienhandbuch Östliches Europa. Bd. 1: Geschichte Ostmittel- und<br />
Südosteuropas, Köln, Weimar, Wien 1999.<br />
Schur, Wolfgang: Politische Bildung in der Stabilitätspaktregion. Analysen und Handlungsmöglichkeiten.<br />
Im Auftrag des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit<br />
und Entwicklung. IPE 30. Bonn: IIZ/DVV 2001.<br />
125
126