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Arbeitsrechtliche Entscheidungen Ausgabe 2005-04

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Rechtsprechung<br />

Kündigungsrecht<br />

3. Im vorliegenden Fall hat die Beklagte den Betriebsrat<br />

nicht fehlerhaft beteiligt.<br />

Bei der Fallgestaltung der bewusst irreführenden oder unvollständigen<br />

Information des Arbeitgebers gegenüber dem<br />

Betriebsrat hat der Arbeitnehmer zunächst substantiiert zu<br />

behaupten, dass der Arbeitgeber den Betriebsrat bewusst<br />

irreführend oder unvollständig informiert hat. Danach obliegt<br />

dem Arbeitgeber die Beweislast für die den Grundsätzen der<br />

subjektiven Determinierung entsprechende Unterrichtung<br />

des Betriebsrates (Ascheid/Preis/Schmidt, Kündigungsrecht,<br />

2. Aufl., § 102 BetrVG Nr. 165 b). Die Klägerin hat im Verfahren<br />

keinerlei Tatsachen behauptet, die eine bewusste<br />

unvollständige Information der Beklagten belegen und es<br />

sind auch derartige Umstände nicht ersichtlich. Aus dem<br />

Anhörungsschreiben vom 05.11.20<strong>04</strong> geht hervor, dass von<br />

der W alle Rezeptionsleistungen übernommen werden sollen.<br />

Über die Übertragung der unstreitig wahrgenommenen<br />

Schreibarbeiten der Mitarbeiterinnen der Rezeption an die<br />

Mitarbeiter des Schreibdienstes steht im Anhörungsschreiben<br />

an den Betriebsrat nichts. Selbst wenn, wie in der mündlichen<br />

Verhandlung der Geschäftsführer der Beklagten behauptet<br />

hat, der Betriebsrat davon Kenntnis hatte, dass die Angebote<br />

gegenüber Dritten Rezeptionsleistungen ohne Schreibarbeiten<br />

beinhaltet haben, sind die Erklärungen der Beklagten<br />

im Anhörungsschreiben unmissverständlich so zu verstehen,<br />

dass die Schreibarbeiten auch an die Firma W übertragen<br />

werden. Die Mitteilung, „dass der gesamte Rezeptionsdienst“<br />

übernommen wird, enthält keinen Hinweis darauf, dass<br />

Arbeiten der Rezeption bei der Beklagten verbleiben. Es<br />

ist davon auszugehen, dass die Beklagte die Übertragung<br />

der Schreibarbeiten unbewusst übersehen hat. Das bloße<br />

„Vergessen“ ist kein Verstoß im Sinne von § 102 Abs. l Satz 3<br />

BetrVG.<br />

Auch andere Verletzungen des Anhörungsverfahrens sind<br />

nicht feststellbar. Es wird nicht der Auffassung der Klägerin<br />

gefolgt, dass die Beklagte weitere Mitteilungen im Hinblick<br />

auf die Sozialauswahl gegenüber dem Betriebsrat hätte<br />

vornehmen müssen. Ist der Arbeitgeber der Auffassung, dass<br />

eine Sozialauswahl überflüssig ist, weil keine mit dem zu<br />

kündigenden Arbeitnehmer vergleichbaren Arbeitnehmer<br />

vorhanden sind, braucht er dem Betriebsrat überhaupt keine<br />

Auswahlgesichtspunkte und weitere Angaben zu machen,<br />

selbst wenn dies bei objektiv Betrachtung nicht zutrifft (BAG,<br />

Urteil vom 16.01.1987, RzK III l b Nr. 9; KR, 7. Aufl. § 102 BetrVG<br />

Rn 62 i).<br />

4. Die Beklagte hat mit dem Vortrag der Übertragung der<br />

Schreibtätigkeiten an den medizinischen Schreibdienst einen<br />

Kündigungsgrund nachgeschoben, den sie vorher nicht dem<br />

Betriebsrat mitgeteilt hat. Ihr Vorbringen im Prozess unterliegt<br />

dem Verwertungsverbot. Es handelt sich nicht lediglich um<br />

eine Erläuterung des Kündigungsgrundes, sondern um einen<br />

wesentlichen Teil des Kündigungssachverhaltes.<br />

Wo die Grenze zwischen Nachschieben und Konkretisierung<br />

von Kündigungsgründen verläuft, ist im Einzelfall zu ermitteln.<br />

238 <strong>04</strong>/05<br />

Der Arbeitgeber hat im Prozess die Kündigungsgründe darzustellen,<br />

die seinen Kündigungsentschluss tragen. Im Verfahren<br />

obliegt dem Arbeitgeber eine erweiterte Darlegung, insbesondere<br />

bei qualifiziertem Bestreiten der Kündigungsgründe<br />

durch den Arbeitnehmer, den Sachverhalt substantiierter darzustellen<br />

als gegenüber dem Betriebsrat. Hält sich der Vortrag<br />

des Arbeitgebers im Rahmen des dem Betriebsrat bereits mitgeteilten<br />

Sachverhaltes, liegt lediglich eine jederzeit zulässige<br />

Konkretisierung vor, die ohne erneute Beteiligung des Betriebsrates<br />

zulässig ist. Greift der Arbeitgeber zur Begründung<br />

seiner Kündigung jedoch auf dem Betriebsrat nicht mitgeteilte<br />

Sachverhalte zurück, die wesentlich für die Begründung<br />

der Kündigung sind, handelt es sich um ein Nachschieben<br />

von Kündigungsgründen (Ascheid/Preis/Schmidt, Kündigungsrecht,<br />

2. Aufl. § 102 BetrVG Rn 166).<br />

Im vorliegenden Fall hat die Beklagte auf den Hinweis der Klägerin,<br />

dass nicht alle Tätigkeiten der Rezeption fremd vergeben<br />

werden, mitgeteilt, dass Schreibarbeiten in der Rezeption<br />

in der Vergangenheit erledigt worden sind und den Mitarbeitern<br />

des medizinischen Schreibdienstes diese Arbeiten übertragen<br />

werden. Die Übertragung der Schreibarbeiten ist nicht<br />

als Erläuterung oder Konkretisierung des Kündigungsgrundes<br />

anzusehen. Der Arbeitgeber genügt seiner Darlegungs- und<br />

Beweislast für den Kündigungsgrund nicht allein durch Vortrag<br />

der getroffenen unternehmerischen Entscheidung, sondern<br />

er muss begründen, dass das Bedürfnis für die Weiterbeschäftigung<br />

des Arbeitnehmers entfallen ist, was durch das<br />

Gericht voll nachzuprüfen ist (BAG, Urteil vom 07.03.1976, EZA<br />

§ l KSchG Betriebsbedingte Kündigung Nr. 84; Erfurter Kommentar,<br />

5. Aufl., § l KSchG Rn 425).<br />

Bei einer Rationalisierungsmaßnahme muss der Arbeitgeber<br />

vortragen, ob sich unmittelbar durch die Maßnahme der Arbeitsanfall<br />

und der Bedarf an Arbeitskräften verringert hat<br />

und wie sich die betriebliche Veränderung auf den Arbeitsplatz<br />

des gekündigten Arbeitnehmers auswirkt (BAG, Urteil<br />

vom 07.12.1978, AP § l KSchG Betriebsbedingte Kündigung<br />

Nr. 6; Erfurter Kommentar, 5. Aufl., § l KSchG Rn 425). Die Beklagte<br />

hatte somit die Auswirkungen der Rationalisierungsmaßnahme<br />

auf die Arbeitsmenge der Klägerin darzulegen.<br />

Da die Beklagte die Klägerin langfristig neben den reinen Rezeptionstätigkeiten<br />

auch mit Schreiben und Korrigieren von<br />

Arzt- und Therapieberichten beschäftigt hat, musste die Beklagte<br />

ihre Entscheidung offenlegen, wer diese Arbeiten in<br />

der Zukunft bei Kündigung der Klägerin ausführen soll. Die<br />

Beklagte hatte neben der Fremdvergabe eine weitere unternehmerische<br />

Entscheidung getroffen. Hierbei handelt es sich<br />

um eine reine organisatorische Maßnahme. Jedoch erst durch<br />

die Verteilung der Schreibarbeiten ist die Beschäftigungsmöglichkeit<br />

für die Klägerin vollständig entfallen. Damit gehört die<br />

Übertragung der Schreibarbeiten zur Begründung der Dringlichkeit<br />

i. S. von § l Abs. 2 KSchG.<br />

Die Dringlichkeit umfasst eine Überprüfung der Art der Umsetzung<br />

der Unternehmensentscheidung. Zu einer Kündigung<br />

kann es demnach nur kommen, wenn die Umsetzung zwangs-

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