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Arbeitsrechtliche Entscheidungen Ausgabe 2005-04

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Rechtsprechung<br />

Betriebsverfassungsrecht<br />

– der Betriebsrat unter Berücksichtigung des Zusammenarbeitsgebots<br />

und des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit versucht<br />

hat, sich den notwendigen Sachverstand selbst anzueignen,<br />

bevor er einen externen Sachverständigen hinzuzieht.<br />

Der Begriff der Erforderlichkeit bestimmt sich daher nach den<br />

konkreten Umständen im Einzelfall, der Abwägung der Interessen<br />

des Betriebs, des Betriebsrats und der Belegschaft. Unter<br />

Berücksichtigung dieser Grundsätze war die Hinzuziehung<br />

eines Sachverständigen noch nicht als erforderlich im Sinne<br />

des § 80 Abs. 3 BetrVG anzusehen.<br />

Nach Auffassung der Kammer ist als Mindestanforderung an<br />

den Begriff der Erforderlichkeit vorauszusetzen, dass die Betriebspartner<br />

hinsichtlich des zu regelnden Gegenstandes vorher<br />

Verhandlungen geführt haben, aus denen sich dann unzweifelhaft<br />

ergibt, in welchen konkreten Punkten zwischen<br />

den Beteiligten Uneinigkeit besteht und die zur Entscheidung<br />

anstehenden Fragestellungen nunmehr nicht mehr vom Betriebsrat<br />

aufgrund fehlender Sachkenntnis getroffen werden<br />

können. Dies setzt jedoch zwingend voraus, dass zwischen<br />

den Betriebspartnern zuvor Verhandlungen stattgefunden haben.<br />

Auch wenn das im Betriebsverfassungsgesetz verankerte<br />

Gebot der vertrauensvollen Zusammenarbeit nach langjähriger<br />

Kenntnis der Kammer im Betrieb der Beteiligten zu 2)<br />

wechselseitig zwar immer wieder angemahnt, jedoch selten<br />

praktiziert wurde, entbindet dies die Beteiligten nicht, in jedem<br />

Einzelfall entsprechend dem Gebot der vertrauensvollen<br />

Zusammenarbeit die Verhandlungen mit dem Ziel zur<br />

Findung einer einvernehmlichen Lösung aufzunehmen. Erst<br />

wenn dies geschehen ist, besteht die Möglichkeit den Sachverständigen<br />

mit einer konkreten Fragestellung zu beauftragen.<br />

■ Arbeitsgericht Gießen<br />

vom 9. November 20<strong>04</strong>, 5 BV 14/<strong>04</strong><br />

eingereicht von Rechtsanwalt Hansjörg Berrisch, Frankfurter<br />

Straße 15, 35390 Gießen, Tel.: 0641/76034, Fax: 0641/72987;<br />

e-mail: info@linder-berrisch.de, www.arbeitsrecht-giessen.de<br />

392. Verhaltenskodex; Unternehmensethik; Ordnung des<br />

Betriebes, Verhalten der Arbeitnehmer; Gesamtbetriebsrat,<br />

Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrats<br />

1. Die unternehmensübergreifende Einführung eines ethischen<br />

Verhaltenskodexes ist unter Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrats<br />

mitbestimmungspflichtig.<br />

2. (…) Die von der US-amerikanischen Muttergesellschaft<br />

der Beteiligten zu 2. herausgegebene Unternehmensethik<br />

unterliegt in Deutschland den Mitbestimmungsrechten der<br />

Arbeitnehmervertretungen nach dem BetrVG. Das deutsche<br />

BetrVG gilt für sämtliche inländische Betriebe, gleichgültig,<br />

ob sie zu inländischen oder ausländischen Unternehmen gehören<br />

(vgl. BAG, v. 7.12.1989, BB 1990, 564; BAG, v. 22.3.2000,<br />

BB 2000, 2098; BAG, v. 20.2.2001, NZA 2001, 1033). Bei der<br />

Einführung konzernweiter Verhaltensstandards gilt daher kollisionsrechtlich,<br />

dass in jedem betroffenen Staat die Arbeit-<br />

254 <strong>04</strong>/05<br />

nehmervertretungen die nach dem dortigen Recht vorgesehenen<br />

Befugnisse ausüben können (vgl. für die Einführung<br />

eines Verhaltenskodexes nach französischem Recht: Tribunal<br />

de Grande Instance de Versailles, v. 17.6.20<strong>04</strong>, Droit Ouvrier<br />

20<strong>04</strong>, 473; hierzu Junker, BB <strong>2005</strong>, 602). Die Mitbestimmungsrechte<br />

des BetrVG haben insoweit zwingenden Charakter und<br />

können durch eine Weisung der ausländischen Konzernmutter<br />

in keiner Weise berührt werden.<br />

3. Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrats ist gem. § 50 Abs. 1<br />

BetrVG gegeben. (…) Es handelt sich um Angelegenheiten,<br />

die das Gesamtunternehmen betreffen und nicht durch die<br />

einzelnen Betriebsräte innerhalb ihrer Betriebe geregelt werden<br />

können. Die originäre Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrates<br />

setzt voraus, dass es sich um eine überbetriebliche<br />

Angelegenheit handelt. Hierbei sind zwar reine Zweckmäßigkeitserwägungen<br />

oder ein Koordinierungsinteresse nicht ausreichend<br />

(vgl. BAG, vom 16.6.1998, AP Nr. 7 zu § 87 BetrVG<br />

1972 Gesundheitsschutz; BAG, vom 15.1.2002, AP Nr. 23 zu<br />

§ 50 BetrVG 1972), auf der anderen Seite erfordert die fehlende<br />

Regelungsmöglichkeit durch den örtlichen Betriebsrat<br />

keine objektive Unmöglichkeit (vgl. BAG, vom 23.9.1975, AP<br />

Nr. 1 zu § 50 BetrVG 1972; Eisemann, in: Erfurter Kommentar,<br />

5. Aufl. <strong>2005</strong>, § 50 BetrVG Rn 3). Es reicht aus, dass eine<br />

zwingende sachliche Notwendigkeit, ein zwingendes Erfordernis<br />

für eine betriebsübergreifende Regelung besteht (vgl.<br />

BAG, vom 15.1.2002, AP Nr. 23 zu § 50 BetrVG 1972, BAG,<br />

vom 11.12.2001, NZA 2002, 688). Der Gesamtbetriebsrat ist<br />

zuständig, wenn sich eine unterschiedliche Regelung sachlich<br />

oder rechtlich nicht rechtfertigen lässt.<br />

Von diesen Grundsätzen ausgehend ist zu berücksichtigen,<br />

dass die Beteiligte zu 2. den Verhaltenskodex einheitlich in<br />

sämtlichen Betrieben in Deutschland zur Anwendung bringen<br />

will. Aus Sicht der Beteiligten zu 2. sollen gerade unternehmensübergreifende<br />

Ethikvorstellungen bzw. Verhaltensanordnungen<br />

statuiert werden. Der von der Beteiligten zu 2.<br />

angestrebte Zweck, dass sich die Mitarbeiter ihren Unternehmensgrundsätzen<br />

verpflichtet fühlen, kann entsprechend nur<br />

durch eine unternehmenseinheitliche Regelung erreicht werden.<br />

Für den Bereich der privaten Liebesbeziehungen kommt<br />

hinzu, dass der Regelungsbereich nicht nur Liebesbeziehungen<br />

von Arbeitnehmerinnen bzw. Arbeitnehmern ein und<br />

desselben Betriebes, sondern auch verschiedener Betriebe<br />

erfasst.<br />

4. Entgegen der Rechtsansicht des Beteiligten zu 1. ist der von<br />

der Beteiligten zu 2. in Verkehr gebrachte Verhaltenskodex<br />

nicht insgesamt mitbestimmungspflichtig. So führt insbesondere<br />

die Tatsache, dass den Arbeitnehmern aufgegeben wird,<br />

den Verhaltenskodex zu lesen, nicht dazu, dass bereits durch<br />

diese Aufforderung Fragen der Ordnung des Betriebes oder<br />

des Verhaltens der Arbeitnehmer im Sinne des § 87 Abs. 1<br />

Nr. 1 BetrVG betroffen sind. Das Mitbestimmungsrecht nach<br />

§ 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG bezieht sich auf die Gestaltung des<br />

Zusammenlebens und Zusammenwirkens der Arbeitnehmer<br />

im Betrieb. Bereits durch diese Formulierung wird deutlich,

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