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Die Berufsanerkennungsrichtlinie 2005/36/EG - European Legal ...

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Eva-Maria Tieke<br />

<strong>Die</strong>lingerstr. 9<br />

49074 Osnabrück<br />

E-Mail: Eva-Maria.Tieke@t-online.de<br />

6. Fachsemester<br />

Matr.-Nr.: 921559<br />

Osnabrück, den 15.05.2007<br />

Blockseminar zum Europäischen <strong>Die</strong>nstleistungsrecht:<br />

Qualität von <strong>Die</strong>nstleistungen<br />

bei Professor Dr. Oliver Dörr, Professor Dr. Jens-Peter<br />

Schneider und Professor Dr. Martin Schmidt-Kessel<br />

Sommersemester 2007<br />

Seminararbeit


<strong>Die</strong> <strong>Berufsanerkennungsrichtlinie</strong><br />

Eine Analyse unter besonderer Berücksichtigung von<br />

Marktzutrittsregelungen als Sicherungsinstrumente für<br />

die Qualität von <strong>Die</strong>nstleistungen


Thesenpapier<br />

� <strong>Die</strong> Ausgestaltung und der Inhalt des allgemeinen und beruflichen Bildungssystems<br />

unterliegt gemäß Art. 149 f. <strong>EG</strong>V der Kompetenz der Mitgliedstaaten, der Gemeinschaft<br />

kommt lediglich unterstützende und ergänzende Rolle zu<br />

� <strong>Die</strong> gegenseitige Anerkennung der Berufsqualifikationen als elementare Voraussetzung<br />

zur Ermöglichung einer umfassenden Wahrnehmung der primärrechtlichen Freizügigkeits-<br />

rechte<br />

� <strong>Die</strong> <strong>Berufsanerkennungsrichtlinie</strong> wurde im Rahmen der Lissabon-Agenda erlassen, deren<br />

Ziel es ist, die EU bis 2010 zum wettbewerbsfähigsten und dynamischsten wissensbasierten<br />

Wirtschaftsraum der Welt zu machen, um damit Vorbild für den wirtschaftlichen,<br />

sozialen und ökologischen Fortschritt zu sein<br />

� Prinzip der gegenseitigen Anerkennung einfacher zu implementieren als eine umfassende<br />

Harmonisierung der bestehenden nationalen Rechtsvorschriften<br />

� Systematik der Richtlinie: abgestuftes System, das sowohl zwischen der <strong>Die</strong>nstleistung<br />

und der „Niederlassungsleistung“ unterscheidet, als auch innerhalb der letzteren nochmals<br />

zwischen den unterschiedlichen Berufsgruppen nach dem Grad ihrer bereits erfolgten<br />

Harmonisierung, um hieran unterschiedliche Anforderungen an die Berufsqualifikation für<br />

ihre Anerkennung zu knüpfen<br />

� Problemkreise der Richtlinie sind insbesondere der sektorübergreifende (horizontale)<br />

Regelungsansatz, der Verzicht auf eine (weitergehende) Harmonisierung bzw. das Prinzip<br />

der gegenseitigen Anerkennung an sich sowie die Abgrenzung der <strong>Die</strong>nstleistungs- von<br />

der Niederlassungsfreiheit<br />

� <strong>Die</strong> Abgrenzung <strong>Die</strong>nstleistung – Niederlassung ist jedoch insbesondere im Hinblick auf<br />

den Verhältnismäßigkeitgrundsatz relevant, denn mit diesem ist es (laut EuGH) nicht<br />

vereinbar, eine nur vorübergehende <strong>Die</strong>nstleistung derselben administrativen Last zu<br />

unterstellen wie eine dauernde Niederlassung<br />

� <strong>Die</strong> Richtlinie beinhaltet eine Reihe von (wirkungsvollen?) Instrumentarien zur<br />

provisorischen Bekämpfung bzw. Eingrenzung der Nachteile und Gefahren, die sie mit<br />

sich bringen könnte<br />

III


Literaturverzeichnis<br />

Basedow, Jürgen <strong>Die</strong>nstleistungsrichtlinie, Herkunftslandprinzip und In-<br />

ternationales Privatrecht, EuZW 2004, S. 423 ff.<br />

Bauch, Anton Bericht aus Brüssel, EU-Verbindungsbüro der Bundesarchitektenkammer<br />

e.V. und der Bundesingenieurkammer,<br />

Ausgabe-Nr. 1/2006<br />

Bettin, Grietje Rede zur Anerkennung von Berufsqualifikationen,<br />

23.09.2004, http://www.g-bettin.de/cms/default/dok/<br />

46/46188.rede_zur_anerkennung_von_berufsqualifika.htm,<br />

Homepage zuletzt besucht am 6.5.2007<br />

Bieber, Roland<br />

Epiney, Astrid<br />

Haag, Marcel<br />

Bieber, Roland<br />

Epiney, Astrid<br />

Haag, Marcel<br />

<strong>Die</strong> Europäische Union: Europarecht und Politik, 7.<br />

Auflage, Baden-Baden 2006<br />

Europarecht – 300 Prüfungsfragen, Basel u. a. 2006<br />

Calliess, Christian Europäischer Binnenmarkt und europäische Demokratie:<br />

Von der <strong>Die</strong>nstleistungsfreiheit zur <strong>Die</strong>nstleistungsrichtlinie<br />

– und wieder Retour?, DVBl 2007, S. 3<strong>36</strong> ff.<br />

Calliess, Christian<br />

Ruffert, Matthias<br />

Kommentar des Vertrages über die Europäische Union<br />

und des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft:<br />

EUV/<strong>EG</strong>V, 2. Auflage, Neuwied 2002<br />

IV


Capelli, Fausto The Free Movement of Professionals in the <strong>European</strong><br />

Community, in: Schermers, Henry G./Flinterman,<br />

Cees/Kellermann, Alfred E./Haersolte, Johan C.<br />

van/Meent, Gert-Wim A. van de (editors), Dordrecht,<br />

Boston, London 1993<br />

Frenz, Walter Fällt der Handwerksmeister durch die <strong>Berufsanerkennungsrichtlinie</strong>?<br />

– Änderungsbedarf für das deutsche<br />

Handwerksrecht –, DVBl 2007, S. 347 ff.<br />

Frenz, Walter Handbuch Europarecht, Band 1 – Europäische Grundfreiheiten,<br />

1. Auflage, Berlin u. a. 2004 Rn. 2593 ff; Rn.<br />

168 ff.<br />

Grabitz, Eberhard<br />

Hilf, Meinhard<br />

Das Recht der Europäischen Union, EUV/<strong>EG</strong>V, Band I,<br />

München 2006<br />

Henssler, Martin Der europäische Rechtsanwalt, AnwBl 1996, S. 353 ff.<br />

Henssler, Martin Der Richtlinienvorschlag über die Anerkennung von<br />

Berufsqualifikationen, EuZW 2003, S. 229 ff.<br />

Kluth, Winfried<br />

Rieger, Frank<br />

<strong>Die</strong> neue EU-<strong>Berufsanerkennungsrichtlinie</strong>, aktuelle<br />

Stellungnahmen 4/05, Institut für Kammerrecht e. V., 2.<br />

aktualisierte Fassung vom 7.4.2006<br />

V


Kluth, Winfried<br />

Rieger, Frank<br />

Kluth, Winfried<br />

Rieger, Frank<br />

Kluth, Winfried<br />

Rieger, Frank<br />

<strong>Die</strong> neue EU-<strong>Berufsanerkennungsrichtlinie</strong> – Regelungsgehalt<br />

und Auswirkungen für Berufsangehörige<br />

und Berufsorganisationen, EuZW <strong>2005</strong>, S. 486 ff.<br />

<strong>Die</strong> gemeinschaftsrechtlichen Grundlagen und berufsrechtlichen<br />

Wirkungen von Herkunftslandprinzip und<br />

Bestimmungslandprinzip – Eine Analyse am Beispiel<br />

von <strong>Die</strong>nstleistungs- und <strong>Berufsanerkennungsrichtlinie</strong><br />

–, GewArch 2006, S. 1 ff.<br />

EU-<strong>Die</strong>nstleistungsrichtlinie und Herkunftslandprinzip,<br />

aktuelle Stellungnahme 3/05, Institut für Kammerrecht<br />

e. V., Fassung vom 9.5.<strong>2005</strong><br />

Körber, Torsten Grundfreiheiten und Privatrecht, Tübingen 2004<br />

Kugelmann, <strong>Die</strong>ter <strong>Die</strong> <strong>Die</strong>nstleistungs-Richtlinie der <strong>EG</strong> zwischen Liberalisierung<br />

von Wachstumsmärkten und europäischem<br />

Sozialmodell, EuZW <strong>2005</strong>, S. 327 ff.<br />

Lottes, Ralf Das erweiterte Zeitmoment beim Begriff <strong>Die</strong>nstleistung,<br />

EuZW 2004, S. 112 ff.<br />

Mankowski, Peter Wider ein Herkunftslandprinzip für <strong>Die</strong>nstleistungen im<br />

Binnenmarkt, IPRax 2004, S. 385 ff.<br />

Mann, Thomas Randnotizen zum Richtlinienentwurf über die Anerkennung<br />

von Berufsqualifikationen, EuZW 2004, S. 615 ff.<br />

VI


Mittelstein, Marlen Annika Zur gegenseitigen Anerkennung von Berufsqualifikationen<br />

– Unzureichende Umsetzung der Richtlinie<br />

2001/19/<strong>EG</strong> –, http://www.infopoint-europa.de/Anerkennung%20von%20Be-rufsqualifikationen.htm,Homepage<br />

zuletzt besucht am 6.5.2007<br />

Rühle, Heide Gegenseitige Anerkennung von Berufsqualifikationen,<br />

Bürokratieabbau ohne Gefährdung der Qualitätsstandards,<br />

11.05.<strong>2005</strong>, http://www.gruene-europa.de/<br />

cms/presse/dok/68/68309.gegenseitige_ anerkennung_von_berufsquali.htm,<br />

Homepage zuletzt aufgerufen<br />

am 7.5.2007<br />

Ruthig, Josef<br />

Storr, Stefan<br />

Öffentliches Wirtschaftsrecht, 1. Auflage, Heidelberg<br />

<strong>2005</strong><br />

Schwarze, Jürgen EU-Kommentar, 1. Auflage, Baden-Baden 2000<br />

Steindorff, Ernst Gemeinsamer Markt als Binnenmarkt, ZHR 150 (1986),<br />

S. 687 ff.<br />

Streinz, Rudolf Europarecht, 7. Auflage, Heidelberg <strong>2005</strong><br />

Voigt, Stefan Institutionenökonomik, München 2002<br />

<strong>Die</strong> folgenden Abkürzungen entsprechen denen aus Hildebert Kirchner/Cornelie Butz,<br />

Abkürzungsverzeichnis der Rechtssprache, 5. Auflage, Berlin 2003.<br />

VII


Gliederung<br />

A. Einleitung.................................................................................................................1<br />

B. Der Entstehungsprozess ...........................................................................................2<br />

C. Anwendungsbereich, Regelungsgehalt und Systematik der Richtlinie ...................5<br />

I. Das Prinzip der gegenseitigen Anerkennung – Das Herkunftslandprinzip...........7<br />

II. <strong>Die</strong> Regelungen zum Marktzugang im Hinblick auf die <strong>Die</strong>nstleistungsfreiheit 9<br />

III. <strong>Die</strong> Regelungen zum Marktzugang bezüglich der Niederlassungsfreiheit.......12<br />

1. Automatische Anerkennung von Berufsqualifikationen ................................13<br />

2. Anerkennung von Berufserfahrung ................................................................14<br />

3. Allgemeine Auffangregelung .........................................................................15<br />

4. Verfahren für die Anerkennung der Berufsqualifikationen............................18<br />

IV. Verwaltungszusammenarbeit, Durchführungsbefugnisse und sonstige<br />

Bestimmungen ........................................................................................................19<br />

D. Zielsetzungen und Instrumente..............................................................................20<br />

E. <strong>Die</strong> Konsequenzen für den europäischen Binnenmarkt .........................................22<br />

I. Der sektorübergreifende Ansatz..........................................................................22<br />

II. <strong>Die</strong> Abgrenzung der <strong>Die</strong>nstleistungsfreiheit von der Niederlassungsfreiheit....24<br />

III. Wettbewerb der Rechtsordnungen versus Qualitätssicherung?........................26<br />

IV. Fehlende (weitergehende) Harmonisierung .....................................................32<br />

F. Resümee .................................................................................................................33<br />

VIII


<strong>Die</strong> <strong>Berufsanerkennungsrichtlinie</strong><br />

Eine Analyse unter besonderer Berücksichtigung von Marktzutrittsrege-<br />

lungen als Sicherungsinstrumente für die Qualität von <strong>Die</strong>nstleistungen<br />

A. Einleitung<br />

Für die Wahrnehmung der primärrechtlichen Grundfreiheiten der Arbeitnehmerfrei-<br />

zügigkeit (Art. 39 <strong>EG</strong>V), der <strong>Die</strong>nstleistungsfreiheit (Art. 49, 50 <strong>EG</strong>V) und der Nie-<br />

derlassungsfreiheit (Art. 43 <strong>EG</strong>V) ist die gegenseitige Anerkennung von Berufsquali-<br />

fikationen, also der Eignung und Fähigkeit einer Person, eine bestimmte Tätigkeit<br />

regelmäßig auf einem gewissen Niveau auszuführen, ein notwendiges Kriterium. 1<br />

Der Grund dafür ist, dass die meisten Unionsbürger nicht von der Option der Ausübung<br />

ihrer Rechte aus den unmittelbar wirkenden 2 Grundfreiheiten Gebrauch machen<br />

werden, wenn ihre in einem Mitgliedstaat erworbenen Befähigungen in den<br />

anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union nicht anerkannt werden. Umgekehrt<br />

bestehen für Unionsbürger wenig Anreize dazu, ihre Berufsausbildung in einem anderen<br />

Mitgliedstaat abzulegen, wenn diese dann nicht in ihrem Heimatland anerkannt<br />

wird. 3<br />

Schon im EWG-Vertrag, der 1958 in Kraft getreten ist, wurde daher in dessen Art.<br />

57 I (der jetzige Art. 47 I <strong>EG</strong>V) festgelegt, dass für die Erleichterung der Aufnahme<br />

und Ausübung selbstständiger Tätigkeiten Richtlinien für die gegenseitige Anerkennung<br />

der Diplome, Prüfungszeugnisse und sonstigen Befähigungsnachweise vom Rat<br />

im Mitentscheidungsverfahren gemäß Art. 251 <strong>EG</strong>V erlassen werden.<br />

Um dem Ziel der Verschmelzung der nationalen Märkte zu einem einheitlichen<br />

Markt, also der Verwirklichung eines Binnenmarktes, der gemäß Art. 3 I c), 14 II<br />

<strong>EG</strong>V durch die Abschaffung jeglicher Hindernisse für den freien Waren-, Personen-,<br />

<strong>Die</strong>nstleistungs- und Kapitalverkehr zwischen den Mitgliedstaaten charakterisiert ist,<br />

näher zu kommen, strebten die europäischen Normgeber dieses Ziel zunächst über<br />

den Weg einer Harmonisierung, d. h. einer positiven Rechtsangleichung der Regelungen<br />

über die Zulassung zur Berufsausübung, mithilfe von Richtlinien auf der Ba-<br />

1 Bröhmer, in: Calliess/Ruffert, Art. 47 Rn. 1; Grabitz/Hilf, Art. 47 <strong>EG</strong>V, Rn. 16; Mittelstein,<br />

http://www.infopoint-europa.de/Anerkennung %20von%20Berufsqualifikationen.htm, S. 1, Homepage<br />

zuletzt besucht am 6.5.2007.<br />

2 Bieber/Epiney, § 15 Rn. 1; Streinz, Rn. 407, 835.<br />

3 Mittelstein, http://www.infopoint-europa.de/Anerkennung %20von%20Be-rufsqualifikationen. htm,<br />

S. 1, Homepage zuletzt besucht am 6.5.2007.<br />

1


sis des Art. 95 <strong>EG</strong>V an. 4 <strong>Die</strong> Verhandlungen zwischen den Mitgliedstaaten über eine<br />

Rechtsangleichung erwiesen sich jedoch – auch im Hinblick auf die immer größer<br />

werdende Europäische Union – als schwerfällig und langwierig, da insbesondere die<br />

Kompromissbereitschaft der einzelnen Mitgliedstaaten sehr gering war, obwohl die<br />

Kommission sich im Rahmen ihrer Vorschläge verstärkt auf Mindestharmonisierungen<br />

beschränkte. 5<br />

So wurde vor allem durch die direkte Anwendung der Grundfreiheiten und damit<br />

letztlich anhand der Grundsätze, die vom Europäischen Gerichtshof (EuGH) im Laufe<br />

seiner Rechtsprechung im Rahmen der Erfüllung seiner Aufgaben der Rechtswahrung<br />

(Art. 220 <strong>EG</strong>V) und -fortbildung entwickelt worden sind, versucht, eine Lösung<br />

für die Probleme bei der Wahrnehmung der primärrechtlich gewährleisteten Freizügigkeitsrechte<br />

zu finden. Vor allem im Hinblick auf die Fortentwicklung der Grundfreiheiten<br />

von Diskriminierungs- zu allgemeinen Beschränkungsverboten hat der<br />

EuGH als „Motor des Gemeinschaftsrechts bzw. der Integration“ fungiert, indem er<br />

die Mitgliedstaaten zur Absenkung der Marktzutrittsschwellen gezwungen hat. 6 So<br />

legte er in einer Reihe von Entscheidungen die Voraussetzungen für die gegenseitige<br />

Anerkennung von Qualifikationen fest. Im Fall „Unectef“ 7 hat er beispielsweise entschieden,<br />

dass einem Mitgliedstaat die Verpflichtung obliegt, seinen nationalen Behörden<br />

zu ermöglichen, objektiv festzustellen, ob ein ausländisches Diplom seinem<br />

Inhaber die gleichen Fähigkeiten und das gleiche Wissen wie das innerstaatliche Diplom<br />

oder zumindest gleichwertige Kenntnisse und Fähigkeiten bescheinigt. Nicht nur<br />

die Ausbildung des Betroffenen muss dabei Berücksichtigung finden, sondern auch<br />

seine gegebenenfalls vorhandene Berufserfahrung. 8<br />

B. Der Entstehungsprozess<br />

Im Zuge dieser Entwicklung hat die Kommission innerhalb der letzten Jahre im<br />

Weißbuch „Europäisches Regieren“ 9 und in mehreren ihrer Mitteilungen 10 angekündigt,<br />

die Rahmenbedingungen für die grenzüberschreitende <strong>Die</strong>nstleistungserbringung<br />

durch vereinfachende Regelungen im Bereich der Berufsqualifikationen<br />

verbessern zu wollen.<br />

4<br />

Kluth/Rieger, aktuelle Stellungnahmen 3/05, IFK, S. 4.<br />

5<br />

Kluth/Rieger, EuZW <strong>2005</strong>, 486.<br />

6<br />

Mittelstein, http://www.infopoint-europa.de/Anerkennung%20von%20Berufsqualifikationen. htm, S.<br />

1, Homepage zuletzt besucht am 6.5.2007.<br />

7<br />

EuGH, Rs. 222/86, Slg. 1987, 4097, para 13 – Unectef.<br />

8<br />

EuGH, Rs. 340/89, Slg. 1991, 2357, para 15 f. – Vlassopoulou.<br />

9<br />

Kommission, Weißbuch „Europäisches Regieren“, KOM (2001) 428.<br />

10<br />

Kommission, Mitteilung „Eine Binnenmarktstrategie für den <strong>Die</strong>nstleistungssektor“, KOM (2000)<br />

888; Kommission, Mitteilung „Neue europäische Arbeitsmärkte – offen und zugänglich für alle“,<br />

KOM (2001) 116.<br />

2


<strong>Die</strong> Initiative der Kommission hierfür erfolgte dabei auf eine Forderung des Europäi-<br />

schen Rates, der gemäß Art. 14 III <strong>EG</strong>V zur Festlegung von Leitlinien und Bedingungen<br />

zur Verwirklichung des Binnenmarktes verpflichtet ist, nach einer transparenteren,<br />

flexibleren und einheitlicheren Regelung 11 im Rahmen des bereits 2000<br />

verabschiedeten Lissabon-Programms. Das Ziel dieses Programms ist, die Europäische<br />

Union innerhalb von zehn Jahren – also bis 2010 – zum wettbewerbsfähigsten<br />

und dynamischsten wissensbasierten Wirtschaftsraum der Welt zu machen, um ein<br />

Vorbild für den wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Fortschritt in der Welt<br />

zu sein. 12<br />

So wurde im Rahmen der Lissabon-Agenda ein Rechtssetzungsprojekt inzwischen<br />

abgeschlossen, dessen Ergebnis die Richtlinie <strong>2005</strong>/<strong>36</strong>/<strong>EG</strong> des Europäischen Parlaments<br />

und des Rates vom 7.9.<strong>2005</strong> über die Anerkennung von Berufsqualifikationen,<br />

die sog. <strong>Berufsanerkennungsrichtlinie</strong> 13 , darstellt.<br />

Für die möglichst umfassende Gewährung der Wahrnehmung der <strong>Die</strong>nstleistungsund<br />

Niederlassungsfreiheit, der eine elementare Rolle bei der Förderung des Binnenmarktes<br />

zukommt (Art. 3 I c), 14 II <strong>EG</strong>V), verfolgte die Kommission dabei nun<br />

die Methode, nicht ausschließlich durch eine mühsame positive Angleichung der in<br />

den Mitgliedstaaten sehr unterschiedlich ausgestalteten Voraussetzungen für den<br />

Erwerb einer Berufsqualifikation, sondern durch die einfacher durchzuführende<br />

wechselseitige Anerkennung von Befähigungsnachweisen und Berufsqualifikationen<br />

im Sinne einer negativen Rechtsangleichung 14 unter Verzicht auf eine Sachrechtsharmonisierung<br />

15 diese Grundfreiheiten zu gewährleisten, wobei die Mitgliedstaaten<br />

gegebenenfalls von sog. Anpassungsinstrumentarien Gebrauch machen können.<br />

<strong>Die</strong> Anerkennung von Berufsqualifikationen, die in einem anderen Mitgliedstaat als<br />

dem der <strong>Die</strong>nstleistungserbringung oder Niederlassung erworben wurden, knüpft<br />

dabei allein an den Ort des Erwerbs der Berufsqualifikation, nicht an die Herkunft<br />

oder den gewöhnlichen Aufenthalt des Berufsträgers an. Auch besteht die Möglichkeit,<br />

dass die Mitgliedstaaten die außerhalb der Europäischen Gemeinschaft erworbenen<br />

Qualifikationen berücksichtigen, wenn diese schon in einem anderen Mitgliedstaat<br />

anerkannt worden sind. 16<br />

11<br />

S. dazu den 2. Erwägungsgrund der RL <strong>2005</strong>/<strong>36</strong>/<strong>EG</strong>.<br />

12<br />

Schlussfolgerungen des Vorsitzes zur Tagung des Europäischen Rates (Lissabon) vom 23. und<br />

24.3.2000, 100/1/00, Rn. 5; vgl. BT-Drucks. 16/2460, Tz. 888; Bröhmer, in: Calliess/Ruffert, Art. 47<br />

Rn. 8.<br />

13<br />

Im Folgenden abgekürzt mit RL <strong>2005</strong>/<strong>36</strong>/<strong>EG</strong>.<br />

14<br />

Kluth/Rieger, aktuelle Stellungnahmen 3/05, IFK, S. 4.<br />

15<br />

Ruthig/Storr, Rn. 65.<br />

16<br />

10. Erwägungsgrund zur RL <strong>2005</strong>/<strong>36</strong>/<strong>EG</strong>.<br />

3


Ein solches System der gegenseitigen Anerkennung kann grundsätzlich auf zweierlei<br />

Weise konzipiert werden. Ein generelles System knüpft an abstrakte Qualifikations-<br />

niveaus an, deren Erlangung im Einzelfall überprüft wird, sodass im Hinblick darauf<br />

die primärrechtlichen Freizügigkeitsrechte gewährleistet werden. Im Gegensatz dazu<br />

regelt ein berufsspezifisches bzw. sektorales System gewisse Vorgaben bezüglich<br />

eines bestimmten Berufs bzw. einer bestimmten Berufsgruppe, wobei insbesondere<br />

die Besonderheiten dieses Berufsbildes Berücksichtigung finden. 17<br />

Der ursprüngliche Ansatz war ein sektorieller, als dessen Folge in den letzten 40 Jahren<br />

eine Vielzahl von Richtlinien über die gegenseitige Anerkennung von Qualifikationen<br />

ergangen sind, wobei bis heute nur wenige Berufsbranchen umfassend harmonisiert<br />

sind. Bei der RL <strong>2005</strong>/<strong>36</strong>/<strong>EG</strong> verfolgte der europäische Normgeber jedoch<br />

neuerdings einen allgemeinen bzw. horizontalen Ansatz, denn die vorherige Strategie<br />

einer sektoralen Regelung, die in dem Erlass einer Vielzahl von speziellen Richtlinien<br />

für bestimmte Berufe resultierte, hätte bei der bestehenden Mannigfaltigkeit der<br />

Berufswelt eine umfassende und vor allem zeitaufwändige Normsetzung erfordert,<br />

sodass ein erschöpfendes, berufsspezifisches Modell der freien <strong>Die</strong>nstleistungserbringung<br />

nur über einen sehr langen Zeitraum hinaus zu realisieren gewesen wäre.<br />

18 <strong>Die</strong> RL <strong>2005</strong>/<strong>36</strong>/<strong>EG</strong> stellt also die erste Modernisierung des gesamten gemeinschaftlichen<br />

Systems der Anerkennung von Berufsqualifikationen dar.<br />

<strong>Die</strong> Richtlinie, die sich insbesondere auf Art. 40, 47 I, II 1 und 3, 55 <strong>EG</strong>V stützt,<br />

erging im sog. Mitentscheidungsverfahren gemäß Art. 251 <strong>EG</strong>V. Sie stellt also einen<br />

gemeinsamen Rechtsakt des Europäischen Parlaments und des Rates dar, bei dem<br />

das Parlament substanziell mitbestimmen und mitgestalten darf. 19<br />

Den ersten Vorschlag 20 für die neue <strong>Berufsanerkennungsrichtlinie</strong> hat die Kommission<br />

im März 2002 vorgelegt. Daraufhin hat ihn das Europäische Parlament nach der<br />

Stellungnahme des Wirtschafts- und Sozialausschusses und Ausschussberatungen<br />

sowie Sachverständigenanhörungen in 2002 und 2003 in der ersten Lesung am<br />

11.2.2004 durch die Einbringung von insgesamt 125 Abänderungsvorschlägen faktisch<br />

verworfen. 21 Danach hat die Kommission gemäß ihrer Kompetenz nach Art.<br />

250 II <strong>EG</strong>V am 20.4.2004 einen geänderten Richtlinienvorschlag präsentiert, der<br />

aber lediglich 55 dieser 125 Änderungsvorschläge des Europäischen Parlaments voll-<br />

17<br />

Henssler, EuZW 2003, 229.<br />

18<br />

Henssler, EuZW 2003, 229.<br />

19<br />

Streinz, Rn. 513.<br />

20<br />

Kommission, Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die<br />

Anerkennung von Berufsqualifikationen vom 7.3.2002, KOM (2002) 119 endg.<br />

21<br />

Kluth/Rieger, EuZW <strong>2005</strong>, 486; dies., aktuelle Stellungnahmen 4/05, IFK, S. 1.<br />

4


ständig oder sinngemäß übernahm. 22 Der Rat beschloss am 21.12.2004 einen Ge-<br />

meinsamen Standpunkt 23 , der wiederum Modifikationen des zweiten Richtlinienvor-<br />

schlags enthielt. Nachdem die Kommission diesem zugestimmt hatte, hat das Europäische<br />

Parlament dazu am 11.5.<strong>2005</strong> eine Empfehlung für die zweite Lesung des<br />

Entwurfs durch die Billigung des Gemeinsamen Standpunktes mit nur kleinen Änderungsvorschlägen<br />

angenommen. <strong>Die</strong>se Vorschläge beruhten auf einem Kompromiss<br />

zwischen dem Rat, der Kommission und dem Berichterstatter des Europäischen Parlaments,<br />

sodass ein Vermittlungsverfahren i. S. d. Art. 251 III 2, IV <strong>EG</strong>V vermieden<br />

wurde. <strong>Die</strong>se Änderungen hat die Kommission akzeptiert und in ihren Richtlinienvorschlag<br />

übernommen, der vom Rat am 6.6.<strong>2005</strong> gegen die Stimmen von Griechenland<br />

und Deutschland angenommen wurde. 24 Schließlich trat die Richtlinie am<br />

20.10.<strong>2005</strong> in Kraft (Art. 64 RL <strong>2005</strong>/<strong>36</strong>/<strong>EG</strong>), wobei die für die Mitgliedstaaten geltende<br />

Umsetzungsfrist gemäß Art. 63 RL <strong>2005</strong>/<strong>36</strong>/<strong>EG</strong> am 20.10.2007 endet.<br />

C. Anwendungsbereich, Regelungsgehalt und Systematik der Richtlinie<br />

In den Anwendungsbereich der RL <strong>2005</strong>/<strong>36</strong>/<strong>EG</strong> fallen alle Angehörigen eines Mitgliedstaats,<br />

die als Selbstständige oder abhängig Beschäftigte einen reglementierten<br />

Beruf in einem anderen Mitgliedstaat ausüben wollen als dem, in dem sie ihre Berufsqualifikationen<br />

erworben haben. Der zentrale Begriff des reglementierten Berufs<br />

ist es auch, mit Hilfe dessen sich eine Abgrenzung des Anwendungsbereichs der RL<br />

<strong>2005</strong>/<strong>36</strong>/<strong>EG</strong> von dem der sog. <strong>Die</strong>nstleistungsrichtlinie 25 , gemäß deren Art. 3, 22 V<br />

die <strong>Berufsanerkennungsrichtlinie</strong> als lex specialis in Abgrenzungsfragen den Vorrang<br />

genießen soll, 26 vornehmen lässt. 27<br />

Reglementierte Berufe sind dabei gemäß der Definitionsnorm des Art. 3 I a) alle beruflichen<br />

Tätigkeiten, bei denen die Aufnahme oder Ausübung direkt oder indirekt<br />

durch Rechts- oder Verwaltungsvorschriften an den Besitz bestimmter Berufsqualifikationen<br />

gebunden ist. Unter einer Berufsqualifikation ist nach Art. 3 I b), c) eine<br />

Qualifikation zu verstehen, die durch einen Ausbildungsnachweis, der von einer Behörde<br />

für einen erworbenen Abschluss ausgestellt wird, oder einen sonstigen Befähigungsnachweis,<br />

aber auch durch Berufserfahrung nachgewiesen wird. Somit werden<br />

22<br />

Kommission, Geänderter Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates<br />

über die Anerkennung von Berufsqualifikationen vom 20.4.2004, KOM (2004) 317 endg.<br />

23<br />

Rat der Europäischen Union, Gemeinsamer Standpunkt (<strong>EG</strong>) Nr. 10/<strong>2005</strong>, festgelegt am<br />

21.12.2004 hinsichtlich des Erlasses der Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über<br />

die Anerkennung von Berufsqualifikationen, AblEU C 58 vom 8.3.<strong>2005</strong>, 1 ff.<br />

24<br />

Rat der Europäischen Union, Pressemitteilung vom 6.6.<strong>2005</strong>, 9775/05.<br />

25<br />

Richtlinie 2006/123/<strong>EG</strong> des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12.12.2006 über <strong>Die</strong>nstleistungen<br />

im Binnenmarkt, AblEU L 376/<strong>36</strong>.<br />

26<br />

Bauch, S. 3.<br />

27<br />

Kluth/Rieger, GewArch 2006, 1, 3.<br />

5


von der RL <strong>2005</strong>/<strong>36</strong>/<strong>EG</strong> nicht nur Berufe aus Handwerk, Industrie und Handel, son-<br />

dern auch freie Berufe wie z. B. Architekten oder Ärzte erfasst. Jedoch sind etwa<br />

Rechtsanwälte und Notare vom Anwendungsbereich der RL <strong>2005</strong>/<strong>36</strong>/<strong>EG</strong> ausge-<br />

nommen. Der Grund dafür ist, dass die RL <strong>2005</strong>/<strong>36</strong>/<strong>EG</strong> die für Anwälte geltenden,<br />

sektoralen Richtlinien 77/249/EWG 28 und 98/5/<strong>EG</strong> 29 unberührt lässt, 30 da sie nicht<br />

auf die Anerkennung der Berufsqualifikationen ausgerichtet sind, sondern auf die<br />

Anerkennung der Berechtigung zur Berufsausübung. Auf den Notar ist die RL<br />

<strong>2005</strong>/<strong>36</strong>/<strong>EG</strong> nicht anwendbar, weil er als staatlich gebundener Beruf 31 in den Ausnahmebereich<br />

der Ausübung öffentlicher Gewalt gemäß Art. 39 IV, 45 <strong>EG</strong>V fällt, für<br />

den die <strong>Berufsanerkennungsrichtlinie</strong> nicht gilt. 32<br />

<strong>Die</strong> Richtlinie dient also der Konsolidation von 15, bisher für die Anerkennung von<br />

Examina und Diplomen geltenden sektoriellen, aber auch allgemeineren Richtlinien<br />

wie die sog. Hochschuldiplomanerkennungsrichtlinie 89/48/<strong>EG</strong>, die gleichzeitig<br />

durch die RL <strong>2005</strong>/35/<strong>EG</strong> gemäß deren Art. 62 aufgehoben werden. 33 Als Folge wird<br />

sektorübergreifend nahezu jeder reglementierte Beruf erfasst. <strong>Die</strong> RL <strong>2005</strong>/<strong>36</strong>/<strong>EG</strong><br />

regelt jedoch lediglich die Voraussetzungen für die gegenseitige Anerkennung der<br />

Berufsqualifikationen, die konkrete Ausgestaltung der Ausbildung ist den einzelnen<br />

Mitgliedstaaten überlassen.<br />

<strong>Die</strong> RL <strong>2005</strong>/<strong>36</strong>/<strong>EG</strong> besteht aus insgesamt sechs Titeln, wobei am bedeutendsten<br />

Titel I (Art. 1-4), der die grundlegenden Begriffe definiert, Titel II (Art. 5-9), der die<br />

maßgeblichen Bestimmungen zur Verwirklichung der <strong>Die</strong>nstleistungsfreiheit enthält,<br />

und Titel III (Art. 10-49), der die entscheidenden Vorschriften zum Regelungssystem<br />

bezüglich der Niederlassungsfreiheit beinhaltet, sind. 34 <strong>Die</strong> RL <strong>2005</strong>/<strong>36</strong>/<strong>EG</strong> unterscheidet<br />

also zwischen zwei Möglichkeiten der grenzüberschreitenden <strong>Die</strong>nstleistungserbringung,<br />

entweder durch eine Niederlassung in einem anderen Mitgliedstaat<br />

als dem, in dem die <strong>Die</strong>nstleistung erbracht wird, wodurch der sachliche Schutzbereich<br />

der <strong>Die</strong>nstleistungsfreiheit i. S. d. Art. 49, 50 <strong>EG</strong>V eröffnet ist, oder durch eine<br />

28<br />

Richtlinie 77/249/EWG des Rates vom 22.3.1977 zur Erleichterung der tatsächlichen Ausübung des<br />

freien <strong>Die</strong>nstleistungsverkehrs der Rechtsanwälte, ABl<strong>EG</strong> L 78 vom 26.3.1977, S. 17, zuletzt geändert<br />

durch die Beitrittsakte 2003.<br />

29<br />

Richtlinie 98/5/<strong>EG</strong> des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16.2.1998 zur Erleichterung<br />

der ständigen Ausübung des Rechtsanwaltsberufs in einem anderen Mitgliedstaat als dem, in dem die<br />

Qualifikation erworben wurde, ABl<strong>EG</strong> L 77 vom 14.3.1998, S. <strong>36</strong>, geändert durch die Beitrittsakte<br />

2003.<br />

30<br />

42. Erwägungsgrund zur RL <strong>2005</strong>/<strong>36</strong>/<strong>EG</strong>; vgl. Art. 62 RL <strong>2005</strong>/<strong>36</strong>/<strong>EG</strong>.<br />

31<br />

BVerfGE 73, 280, 293; 73, 301, 315 f.<br />

32<br />

41. Erwägungsgrund zur RL <strong>2005</strong>/<strong>36</strong>/<strong>EG</strong>.<br />

33<br />

Ruthig/Storr, Rn. 37 Fn. 31.<br />

34<br />

Mann, EuZW 2004, 616.<br />

6


Niederlassung im Inland, bei der die Niederlassungsfreiheit gemäß Art. 43 <strong>EG</strong>V ein-<br />

schlägig ist. 35<br />

<strong>Die</strong> Richtlinie beinhaltet dabei sowohl Regelungen bezüglich des Marktzugangs, also<br />

die Eröffnung der Möglichkeit eines Wirtschaftssubjektes, an einem Markt als Käu-<br />

fer oder Verkäufer teilzunehmen, als auch bezüglich des Marktverhaltens, wobei<br />

jedoch die Marktzutrittsvorschriften den wesentlichen Teil der RL <strong>2005</strong>/<strong>36</strong>/<strong>EG</strong> aus-<br />

machen. <strong>36</strong> <strong>Die</strong> Wirkung der Berufsqualifikationsanerkennung durch den Aufnahme-<br />

mitgliedstaat besteht dabei gemäß Art. 4 I RL <strong>2005</strong>/<strong>36</strong>/<strong>EG</strong> darin, dass sie dem Be-<br />

rufsangehörigen ermöglicht, in dem Aufnahmemitgliedstaat denselben Beruf wie<br />

den, für den er in dem Herkunftsmitgliedstaat eine Qualifikation besitzt, aufzuneh-<br />

men und unter denselben Voraussetzungen wie Inländer auszuüben. Art. 4 I statuiert<br />

mithin zwei unterschiedliche Prinzipien: Das Herkunftslandprinzip bzw. das Prinzip<br />

der gegenseitigen Anerkennung 37 , dass im Bereich des Marktzuganges gilt, und das<br />

Bestimmungslandprinzip bzw. Gebot der Inländergleichbehandlung, dass grundsätzlich<br />

bezüglich des Marktverhaltens nach dem schon erfolgten Zutritt besteht. 38<br />

I. Das Prinzip der gegenseitigen Anerkennung – Das Herkunftslandprinzip<br />

Der Zugang zum <strong>Die</strong>nstleistungsmarkt eines anderen Mitgliedstaates erfolgt dementsprechend<br />

innerhalb des Anwendungsbereichs der RL <strong>2005</strong>/<strong>36</strong>/<strong>EG</strong> nach dem Prinzip<br />

der gegenseitigen Anerkennung. <strong>Die</strong>s bedeutet, dass der (potenzielle) <strong>Die</strong>nstleistungserbringer<br />

im Bereich des Marktzutritts allein den Bestimmungen seines Herkunftsmitgliedstaates<br />

unterworfen ist, um die <strong>Die</strong>nstleistung im Binnenmarkt vollständig<br />

verkehrsfähig zu machen. 39<br />

<strong>Die</strong> Ursprünge des Herkunftslandsprinzips gehen auf die Rechtsprechung des EuGH<br />

zurück. 40 In den Urteilen „van Binsbergen“ 41 , „Cassis de Dijon“ 42 , „Dassonville“ 43<br />

35<br />

Vgl. Henssler, AnwBl 1996, 353.<br />

<strong>36</strong><br />

Kluth/Rieger, aktuelle Stellungnahmen 4/05, IFK, S. 5.<br />

37<br />

Eine Differenzierung zwischen diesen beiden Begriffen, wie sie einige Autoren (z. B. Calliess,<br />

DVBl 2007, 3<strong>36</strong>, 340 f.) vornehmen, um den Unterschied bei der Kontrolle der Tätigkeit nach erfolgtem<br />

Marktzugang entweder durch den Aufnahme- oder durch den Herkunftsstaat deutlich zu machen,<br />

kann hier wegen ihres gleichen Aussagegehaltes im Hinblick auf den in dieser Arbeit ausschließlich<br />

darzustellenden Marktzugang ausbleiben. Daher werden im Folgenden beide Begriffe synonym verwendet<br />

(s. Kluth/Rieger, aktuelle Stellungnahmen 3/05, S. 3 f.; dies., GewArch 2006, 1, 2; Kugelmann,<br />

EuZW <strong>2005</strong>, 327, 329; Frenz, Rn. 168 ff.).<br />

38<br />

Kluth/Rieger, aktuelle Stellungnahmen 4/05, IFK, S. 2; dies., EuZW <strong>2005</strong>, 486, 487; dies., GewArch<br />

2006, 1, 5.<br />

39<br />

Vgl. zur ähnlichen Regelung der <strong>Die</strong>nstleistungsrichtlinie Kluth/Rieger, aktuelle Stellungnahmen<br />

3/05, IFK, S. 3.<br />

40<br />

Kluth/Rieger, GewArch 2006, 1.<br />

41<br />

EuGH, Rs. 33/74, Slg. 1974, 1299 – van Binsbergen.<br />

42<br />

EuGH, Rs. 120/78, Slg. 1979, 649 – Rewe (Cassis de Dijon).<br />

43<br />

EuGH, Rs. 8/74, Slg. 1974, 837 – Dassonville.<br />

7


und „Bosman“ 44 legte er ausgehend von der Warenverkehrs- und der <strong>Die</strong>nstleis-<br />

tungsfreiheit sowie der Arbeitnehmerfreizügigkeit den Grundsatz fest, dass in den<br />

primärrechtlichen Grundfreiheiten nicht nur ein Verbot von Diskriminierungen ge-<br />

genüber ausländischen Waren und Personen zu sehen sei, sondern über dieses Gebot<br />

der Inländergleichbehandlung hinaus auch das Verbot von Beschränkungen des<br />

grenzüberschreitenden Verkehrs von Produkten und Personen. 45 Beschränkungen<br />

liegen dann vor, wenn eine Maßnahme geeignet ist, die Wahrnehmung der Grund-<br />

freiheit zu unterbinden, zu behindern oder weniger attraktiv zu machen. 46 Im Fall<br />

„Cassis de Dijon“ begründete der EuGH das Prinzip, dass jede Ware, die in einem<br />

Mitgliedstaat legal hergestellt und in den Verkehr gebracht wurde, im gesamten Gebiet<br />

der Europäischen Gemeinschaft uneingeschränkt zirkulieren darf. 47<br />

<strong>Die</strong>ses im Rahmen des Marktzugangs geltende Prinzip der gegenseitigen Anerkennung,<br />

was normalerweise von einer Harmonisierung der bestehenden Rechtsvorschriften<br />

begleitet wird, dient dabei als Mittel zur Entwicklung des Binnenmarktes. 48<br />

<strong>Die</strong>se Instrumente sind allerdings keine Neuerscheinungen, sondern altbewährte<br />

Maßnahmen zur Verwirklichung des Binnenmarktkonzeptes, die schon 1985 im<br />

Weißbuch der Kommission zur „Vollendung des Binnenmarktes“ 49 auftauchten. Im<br />

Rahmen der sog. neuen Strategie der Kommission gab diese jedoch, wie oben bereits<br />

erwähnt, aufgrund der Probleme bei der Konsensfindung im Rat der Europäischen<br />

Union ihre ursprünglich verfolgte Konzeption der positiven Rechtsangleichung auf,<br />

und versuchte nun verstärkt, mit der gegenseitigen Anerkennung die beschränkende<br />

Wirkung unterschiedlicher nationaler Produkt- und Qualifikationsstandards zu beseitigen,<br />

ohne diese harmonisieren zu müssen. 50<br />

So wurde in Anknüpfung an die Rechtsprechung des EuGH das Prinzip der gegenseitigen<br />

Anerkennung der in den Mitgliedstaaten geltenden Standards hergeleitet, wonach<br />

jede Ware und <strong>Die</strong>nstleistung im ganzen Binnenmarkt abgesetzt werden kann,<br />

wenn sie die rechtlichen Anforderungen des Herkunftsstaates erfüllt. 51 Jedermann<br />

kann demgemäß als Selbstständiger oder abhängig Beschäftigter in anderen Mitgliedstaaten<br />

der Europäischen Gemeinschaft tätig werden, wenn er über die hierzu<br />

notwendigen Befähigungsnachweise seines Herkunftslandes verfügt, 52 er darf also<br />

44<br />

EuGH, Rs. C-415/93, Slg. 1995, I-4921 – Bosman.<br />

45<br />

Streinz, Rn. 797.<br />

46<br />

EuGH, Rs. C-55/94, Slg. 1995, I-4165, 4195, Rn. 37 = NJW 1996, 579 – Gebhard.<br />

47<br />

EuGH, Rs. 120/78, Slg. 1979, 649, 664, Rn. 14.<br />

48<br />

Streinz, Rn. 916 f.<br />

49<br />

Dok. KOM (1985) 310.<br />

50<br />

Kluth/Rieger, aktuelle Stellungnahmen 3/05, IFK, S. 3 f.; Streinz, Rn. 916, 9<strong>36</strong> f.<br />

51<br />

Frenz, Rn. 168.<br />

52<br />

EuGH, Rs. C-340/89, Slg. 1991, I-2357, 2382 ff., Rn. 10 ff. – Vlassopoulou; Steindorff, ZHR 150<br />

(1986), 687, 689.<br />

8


nicht dadurch benachteiligt werden, dass er seine Qualitätsstandards in einem anderen<br />

Mitgliedstaat erworben hat. 53<br />

<strong>Die</strong> Tatsache, dass nach der RL <strong>2005</strong>/<strong>36</strong>/<strong>EG</strong> das Herkunftslandprinzip ausschließlich<br />

für den Marktzutritt und nicht für die spätere Ausübung der Tätigkeit gilt, lässt sich<br />

dabei in Anlehnung an die Rechtsprechung des EuGH im Fall „Keck“ 54 begründen. 55<br />

Hierin hat der EuGH eine tatbestandliche Einschränkung im Hinblick auf den freien<br />

Warenverkehr für sog. „Verkaufsmodalitäten“, also Regelungen der Mitgliedstaaten,<br />

die unterschiedslos für den Marktabsatz nach bereits erfolgtem Marktzugang gelten,<br />

vorgenommen. Obwohl die Anwendbarkeit der im „Keck“-Urteil entwickelten<br />

Grundsätze auf die anderen Grundfreiheiten bisher noch nicht vom EuGH entschieden<br />

wurde 56 , ist konsequenterweise eine solche Einschränkung auch bei den Personenverkehrsfreiheiten<br />

seit ihrer Ausweitung von Diskriminierungs- zu allgemeinen<br />

Beschränkungsverboten durch den EuGH geboten 57 , sodass nach dem erfolgten<br />

gleichberechtigten Marktzugang die insoweit Schwierigkeiten bereitende Herkunft<br />

zurücktritt und nur noch die Modalitäten der Ausübung der Tätigkeit durch den<br />

Migranten, der sich hierdurch in den Markt des Aufnahmemitgliedstaats einfügt,<br />

unterschiedslos für ihn wie für Inländer nach den in dem Aufnahmeland geltenden<br />

Vorschriften ausgestaltet sein müssen (Bestimmungslandprinzip).<br />

II. <strong>Die</strong> Regelungen zum Marktzugang im Hinblick auf die <strong>Die</strong>nstleistungsfreiheit<br />

Unter Titel II der RL <strong>2005</strong>/<strong>36</strong>/<strong>EG</strong> sind die Bestimmungen zur Anerkennung der Berufsqualifikationen<br />

für den Fall der Eröffnung des Schutzbereichs der <strong>Die</strong>nstleistungsfreiheit<br />

geregelt.<br />

<strong>Die</strong> primärrechtlich in Art. 49, 50 <strong>EG</strong>V niedergeschriebene <strong>Die</strong>nstleistungsfreiheit<br />

erfasst dabei gemäß Art. 50 <strong>EG</strong>V alle vorübergehenden bzw. im Sinne eines gelegentlichen<br />

Tätigwerdens zeitweiligen 58 Leistungen, die in der Regel gegen Entgelt<br />

erbracht werden, soweit sie nicht den Vorschriften über den freien Waren- und Kapitalverkehr<br />

und die Freizügigkeit der Personen unterliegen, also insbesondere nur<br />

selbstständige Tätigkeiten. <strong>Die</strong>sbezüglich geht der Anwendungsbereich der RL<br />

53<br />

Frenz, Rn. 170.<br />

54<br />

EuGH, verbundene Rs. C-267/91 und 268/91, Slg. 1993, I-6097, Rn. 16 f. – Keck und Mithouard.<br />

55<br />

Vgl. hierzu auch Frenz, Rn. 178 f.<br />

56<br />

Offen gelassen in EuGH, Rs. C-384/93, Slg. 1995, I-1141, Rn. 35 ff. – Alpine Investments.<br />

57<br />

Streinz, Rn. 808 f.<br />

58<br />

Holoubek, in: Schwarze, Art. 50 <strong>EG</strong>V Rn. 12; Capelli, in: Schermers/Flinterman/Kellermann/v.<br />

Haersolte/v. d. Meent, S. 437.<br />

9


<strong>2005</strong>/<strong>36</strong>/<strong>EG</strong> weiter als derjenige der primärrechtlichen <strong>Die</strong>nstleistungsfreiheit, indem<br />

auch Fälle der Leistungserbringung durch abhängig Beschäftigte erfasst werden, die<br />

im Grunde unter die Grundfreiheit der Arbeitnehmerfreizügigkeit nach Art. 39 <strong>EG</strong>V<br />

fallen. 59 Jedoch nimmt die Richtlinie gemäß ihrem Art. 2 I nur auf Fälle der aktiven<br />

<strong>Die</strong>nstleistungsfreiheit Bezug, in denen der <strong>Die</strong>nstleistende selbst zum Zwecke der<br />

Tätigkeitserbringung vorübergehend in einem anderen Mitgliedstaat als dem, in dem<br />

er sich niedergelassen hat, tätig wird.<br />

Im Bereich der <strong>Die</strong>nstleistungsfreiheit gilt bezüglich des Marktzugangs der zentrale<br />

Grundsatz des Art. 5 I RL <strong>2005</strong>/<strong>36</strong>/<strong>EG</strong>, wonach sie aufgrund der Berufsqualifikation<br />

nicht eingeschränkt werden darf. Voraussetzung hierfür ist jedoch, dass der (potenzielle)<br />

<strong>Die</strong>nstleistungserbringer rechtmäßig in einem anderen Mitgliedstaat eine Niederlassung<br />

zur Ausübung desselben Berufs besitzt, soweit dieser auch im „Niederlassungsmitgliedstaat“<br />

reglementiert ist.<br />

Ist der betreffende Beruf im Niederlassungsstaat nicht reglementiert, ist es gemäß<br />

Art. 5 I b) RL <strong>2005</strong>/<strong>36</strong>/<strong>EG</strong> ausreichend, dass der <strong>Die</strong>nstleistungserbringer diesen<br />

Beruf mindestens zwei der vorangegangenen zehn Jahre lang ausgeübt hat, damit er<br />

ihn auch in dem anderen Mitgliedstaat ausüben darf. <strong>Die</strong> Mindestvoraussetzung für<br />

die gegenseitige Anerkennung stellt also eine mindestens zweijährige Berufserfahrung<br />

dar. 60<br />

Der ursprüngliche Entwurf der Richtlinie 61 sah noch eine konkrete Zeitangabe vor,<br />

wonach unter die <strong>Die</strong>nstleistungsfreiheit nur ein Tätigwerden in einem anderen Mitgliedstaat<br />

von nicht länger als 16 Wochen pro Jahr fallen sollte. Im Gegensatz dazu<br />

ist nun der zeitliche Anwendungsfall der <strong>Die</strong>nstleistungsfreiheit in Art. 5 II Unterabs.<br />

2 RL <strong>2005</strong>/<strong>36</strong>/<strong>EG</strong> nicht starr festgeschrieben. Es besteht daher ein Ermessensspielraum<br />

im Rahmen einer Einzelfallbewertung, was – in Abgrenzung zur dauerhaften<br />

Niederlassung in einem anderen Staat – als vorübergehendes und gelegentliches Tätigwerden<br />

anzusehen ist. Als Maßstab kann man dabei die Grundsätze heranziehen,<br />

die in Art. 5 II Unterabs. 2 2. Halbs. in Übereinstimmung mit der EuGH-<br />

Rechtsprechung in der Rechtssache „Gebhard“ 62 aufgeführt sind, nämlich Dauer,<br />

Häufigkeit, regelmäßige Wiederkehr und Kontinuität der <strong>Die</strong>nstleistung.<br />

59<br />

Art. 2 I RL <strong>2005</strong>/<strong>36</strong>/<strong>EG</strong>; Henssler, EuZW 2003, 229.<br />

60<br />

Kluth/Rieger, aktuelle Stellungnahmen 4/05, IFK, S. 2.<br />

61<br />

Kommission, Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die<br />

Anerkennung von Berufsqualifikationen vom 7.3.2002, KOM (2002) 119 endg.<br />

62<br />

EuGH, Rs. C-55/95, Slg. 1995, I-4165, 4195, Rn. 27 = NJW 1996, 579 - Gebhard.<br />

10


<strong>Die</strong> Vergangenheit hat gezeigt, dass einzelne Mitgliedstaaten durch eine Erhebung<br />

diesbezüglich unzulässiger Anforderungen, insbesondere einem aufwendigen An-<br />

meldeverfahren, die <strong>Die</strong>nstleistungsfreiheit behindern. Grundlegend hierzu sind die<br />

Urteile des EuGH in der Rechtssache „Corsten“ 63 und hieran angelehnt in der Sache<br />

„Schnitzer“ 64 .<br />

Im Fall „Corsten“ hat der EuGH auf Vorlage eines deutschen Amtgerichts entschie-<br />

den, dass es mit den Art. 49, 50 <strong>EG</strong>V unvereinbar sei, wenn ein Unternehmen mit<br />

rechtmäßigem Sitz in einem EU-Mitgliedstaat, das nur gelegentlich oder einmalig in<br />

einem anderen Mitgliedstaat <strong>Die</strong>nstleistungen erbringen will, durch den Aufnahmestaat<br />

verpflichtet wird, sich dort in ein Berufsregister (hier die Handwerksrolle) eintragen<br />

zu lassen, bevor es seine Tätigkeit aufnimmt. Das mit der Pflicht zur Eintragung<br />

verfolgte Ziel der Qualitätssicherung und des Schutzes des <strong>Die</strong>nstleistungsempfängers<br />

vor Schäden könne zwar einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses<br />

darstellen, der grundsätzlich imstande ist, eine Beschränkung der <strong>Die</strong>nstleistungsfreiheit<br />

zu rechtfertigen. Ferner muss die beschränkende Regelung jedoch auch verhältnismäßig<br />

sein. <strong>Die</strong>s ist bei einer einmaligen oder nur gelegentlichen Erbringung<br />

der Tätigkeit im Aufnahmeland aber nur dann der Fall, wenn das Eintragungserfordernis<br />

so ausgestaltet ist, dass es die Aufnahme der Tätigkeit weder verzögert noch<br />

erschwert, nachdem die Voraussetzungen hierfür bereits geprüft worden sind und<br />

festgestellt wurde, dass sie erfüllt sind. 65 Eine etwa erforderliche Eintragung in die<br />

Handwerksrolle könne daher nur automatisch erfolgen. Sie dürfe weder eine Voraussetzung<br />

für die Erbringung der <strong>Die</strong>nstleistung sein noch Verwaltungskosten verursachen,<br />

noch obligatorische Beitragszahlungen an die Handwerkskammer nach sich<br />

ziehen. Hieran anknüpfend hat der EuGH im Fall „Schnitzer“ seine Rechtsprechung<br />

zur Pflicht eines <strong>Die</strong>nstleistungserbringers aus einem Mitgliedstaat, sich in die<br />

Handwerksrolle eintragen zu lassen, modifiziert. <strong>Die</strong>se Pflicht ist auch dann nicht<br />

begründet, wenn ein in einem anderen Staat der Europäischen Union niedergelassener<br />

Berufsträger zwar gleiche oder ähnliche <strong>Die</strong>nstleistungen wiederholt oder regelmäßig,<br />

auch über einen längeren Zeitraum hinweg erbringt, aber nicht vor Ort über<br />

eine stabile Infrastruktur bzw. einem Berufsdomizil verfügt. 66 Was allerdings eine<br />

„ausreichende Infrastruktur“ darstellt, hat der EuGH offen gelassen.<br />

Dementsprechend stellen nach Art. 6 RL <strong>2005</strong>/<strong>36</strong>/<strong>EG</strong> insbesondere spezielle Zulassungsverfahren<br />

oder die Zulassung, Eintragung oder Pflichtmitgliedschaft bei einer<br />

Berufsorganisation wie z. B. einer Kammer unzulässige Beschränkungen der <strong>Die</strong>nst-<br />

63<br />

EuGH, Rs. C-58/98, Slg. 2000, I-7919 = EuZW 2000, 763 – Corsten.<br />

64<br />

EuGH, Rs. C-215/01, Slg. 2001, I-14847 = EuZW 2004, 95 – Schnitzer.<br />

65<br />

Bieber/Epiney/Haag, Frage 184, S. 168 f.<br />

66<br />

Hierzu auch: Frenz, DVBl 2007, 347, 353; Lottes, EuZW 2004, 112 ff.<br />

11


leistungsfreiheit dar. Jedoch können zur Verfahrenserleichterung, vor allem hinsicht-<br />

lich der Disziplinarbestimmungen, denen der <strong>Die</strong>nstleistungserbringer gemäß Art. 5<br />

III RL <strong>2005</strong>/<strong>36</strong>/<strong>EG</strong> im Aufnahmemitgliedstaat unterliegt, eine automatische vorüber-<br />

gehende Eintragung oder Pro-Forma-Mitgliedschaften bei einer Berufsorganisation<br />

vorgesehen werden. Dem <strong>Die</strong>nstleistungserbringer dürfen jedoch – wie oben bereits<br />

beschrieben – aus einer solchen Maßnahme keine Nachteile bezüglich des Zutritts<br />

zum entsprechenden Markt des Aufnahmestaates erwachsen, also seine Leistungs-<br />

erbringung weder verzögern noch erschweren noch dem <strong>Die</strong>nstleistungserbringer<br />

zusätzliche Kosten oder Verwaltungsaufwand auferlegen.<br />

Bei der erstmaligen Absicht der Erbringung einer <strong>Die</strong>nstleistung im Aufnahmemit-<br />

gliedstaat kann dieser jedoch gemäß Art. 7 RL <strong>2005</strong>/<strong>36</strong>/<strong>EG</strong> vom <strong>Die</strong>nstleistungserb-<br />

ringer fordern, dass er vorher den zuständigen Behörden schriftlich Meldung erstattet<br />

und diese jährlich erneuert. Der Meldung sind Einzelheiten über den Versicherungsschutz<br />

oder eine andere Art des individuellen oder kollektiven Schutzes bezüglich<br />

der Berufshaftpflicht beizufügen. Darüber hinaus kann der Aufnahmestaat verlangen,<br />

dass der ersten Meldung die in Art. 7 II RL <strong>2005</strong>/<strong>36</strong>/<strong>EG</strong> genannten Unterlagen wie z.<br />

B. ein Staatsangehörigkeitsnachweis, eine Bescheinigung über die rechtmäßige Niederlassung<br />

des <strong>Die</strong>nstleisters im anderen Mitgliedstaat oder ein Berufsqualifikationsnachweis<br />

beigefügt wird. Hierdurch kann die Pro-Forma-Mitgliedschaft und die sich<br />

daran anschließenden berufsständischen, gesetzlichen und verwaltungsrechtlichen<br />

Berufsregeln, die im Aufnahmemitgliedstaat gelten, sowie die Aufsichtszuständigkeit<br />

der Berufsorganisationen begründet werden. 67<br />

III. <strong>Die</strong> Regelungen zum Marktzugang bezüglich der Niederlassungsfreiheit<br />

<strong>Die</strong> Regelungen zur Anerkennung von Berufsqualifikationen im Hinblick auf die<br />

Niederlassungsfreiheit i. S. d. Art. 43 <strong>EG</strong>V finden sich unter dem in vier Kapiteln<br />

unterteilten Titel III der RL <strong>2005</strong>/<strong>36</strong>/<strong>EG</strong>. <strong>Die</strong> Niederlassungsfreiheit erfasst dabei die<br />

Fälle der Errichtung einer dauerhaften Niederlassung in einem anderen Mitgliedstaat<br />

als dem, in dem der Berufsangehörige seiner Qualifikation erworben hat. 68 Kapitel<br />

IV enthält gemeinsame Bestimmungen für die Niederlassung über auf Verlangen der<br />

Mitgliedstaaten vom Berufsträger einzureichende Unterlagen und Formalitäten u. a.<br />

des Marktzutritts. <strong>Die</strong> Kapitel I bis III des Titels III unterscheiden dagegen zwischen<br />

67 Kluth/Rieger, EuZW <strong>2005</strong>, 486, 487.<br />

68 Kluth/Rieger, EuZW <strong>2005</strong>, 486, 487.<br />

12


drei Anerkennungsmodalitäten, denen die unterschiedlichen Berufe zugeordnet sind<br />

und die sich nach dem Grad der Harmonisierung der jeweiligen Berufe richten. 69<br />

<strong>Die</strong> Kapitel II und III gelten dabei gemäß Art. 10 RL <strong>2005</strong>/<strong>36</strong>/<strong>EG</strong> vorrangig gegen-<br />

über der allgemeinen Auffangbestimmung des Kapitels I.<br />

1. Automatische Anerkennung von Berufsqualifikationen<br />

Kapitel III des Titels III regelt die automatische Anerkennung von Berufsqualifikationen<br />

für die Berufe, in denen die Mindestanforderungen an die Ausbildung auf der<br />

Ebene der Gemeinschaft schon vorher durch berufsspezifische Richtlinien koordiniert<br />

und harmonisiert wurden. 70 Wenn also ein Betroffener einen individuellen Antrag<br />

bei der zuständigen Stelle des Aufnahmestaates stellt, müssen die staatlich anerkannten<br />

Diplome, Zeugnisse und andere Abschlüsse jedes Mitgliedstaates automatisch<br />

im Aufnahmemitgliedstaat anerkannt werden, sofern sie die von dem Gemeinschaftsrecht<br />

vorgesehenen Minimalbedingungen für die Ausbildung erfüllen. <strong>Die</strong><br />

Berufsbilder, die diese Regelung betrifft, werden im Anhang V der RL <strong>2005</strong>/<strong>36</strong>/<strong>EG</strong><br />

im Einzelnen aufgelistet. <strong>Die</strong>s sind die Berufe des Arztes, der Krankenschwester und<br />

des Krankenpflegers für allgemeine Pflege, des Zahnarztes, des Tierarztes, der Hebamme,<br />

des Apothekers und des Architekten bzw. Bauingenieurs. Darüber hinaus<br />

sind im Anhang V die Namen der Ausbildungsnachweise, auch für Spezialisierungen<br />

wie z. B. der Fachärzte, und die ausstellende Stelle eines jeden Mitgliedstaates verzeichnet.<br />

<strong>Die</strong> RL <strong>2005</strong>/<strong>36</strong>/<strong>EG</strong> übernimmt diesbezüglich die bereits bestehenden berufsspezifischen<br />

Vorschriften über die Mindestanforderungen an die Ausbildung für diese Berufe,<br />

über die Bedingungen der automatischen Anerkennung der Ausbildungsnachweise<br />

und die Aufnahme der beruflichen Tätigkeit. Zum Zweck der Anerkennung<br />

der vom <strong>Die</strong>nstleistungserbringer erworbenen Qualifikationen legt die Richtlinie z.<br />

B. für den Beruf der Krankenschwester und des Krankenpflegers, die/der für die allgemeine<br />

Pflege verantwortlich ist, als Mindestvoraussetzung für den Zugang zur<br />

Ausbildung fest, dass sie/er bereits eine zehnjährige allgemeine Schulausbildung mit<br />

einem von den zuständigen Behörden oder Stellen eines Mitgliedstaates ausgestellten<br />

Diplom oder einem anderen Zeugnis abgeschlossen hat. <strong>Die</strong> nachfolgende Ausbildung<br />

umfasst mindestens drei Jahre oder 4600 Stunden theoretischen und klinischpraktischen<br />

Vollzeitunterricht über das in Anhang V, Ziffer 5.2.1 genannte Ausbildungsprogramm.<br />

69<br />

Kluth/Rieger, EuZW <strong>2005</strong>, 486, 487.<br />

70<br />

Henssler, EuZW 2003, 229, 230; Kluth/Rieger, EuZW <strong>2005</strong>, 486, 488.<br />

13


Ebenfalls übernimmt die RL <strong>2005</strong>/<strong>36</strong>/<strong>EG</strong> das Prinzip der automatischen Anerken-<br />

nung für die ärztlichen und zahnärztlichen Fachrichtungen, die zumindest in zwei<br />

Mitgliedstaaten bekannt sind. Jedoch ist die Aufnahme neuer automatisch anzuer-<br />

kennender Fachrichtungen in die Richtlinie auf solche begrenzt, die in mindestens<br />

zwei Fünfteln der Mitgliedstaaten vertreten sind. 71<br />

2. Anerkennung von Berufserfahrung<br />

Für den Bereich des Handwerks, der Industrie und des Handels sieht Kapitel II i. V.<br />

m. Anhang IV eine automatische Anerkennung der Qualifikationen auf der Grundlage<br />

der Berufserfahrung vor. Hierbei werden Berufe behandelt, die in den Mitgliedstaaten<br />

sehr unterschiedlichen Regelungen unterworfen sind und bei denen keine<br />

Mindestharmonisierung der Berufsqualifikation erfolgt. <strong>Die</strong> RL <strong>2005</strong>/<strong>36</strong>/<strong>EG</strong> greift<br />

auf diesem Gebiet die Berufsfelder der früheren „Übergangsrichtlinien“<br />

(64/222/EWG, 64/427/EWG, 68/<strong>36</strong>4/EWG, 689/<strong>36</strong>6/EWG, 68/<strong>36</strong>8/EWG,<br />

70/523/EWG, 75/<strong>36</strong>8/EWG, 75/<strong>36</strong>9/EWG, 82/470/EWG und 82/489/EWG, die<br />

schon mit der Richtlinie 1999/42/<strong>EG</strong> konsolidiert wurden) wieder auf und reduziert<br />

die Anzahl der Anerkennungsmöglichkeiten auf drei. Für die Anerkennung der Berufserfahrung<br />

finden die Dauer und die Art der Tätigkeit (als Selbstständiger oder<br />

abhängig Beschäftigter) Berücksichtigung. Zudem kann eine vorherige Ausbildung,<br />

die durch ein staatlich anerkanntes Zeugnis bescheinigt oder von der zuständigen<br />

Berufsorganisation als vollwertig angesehen wird, auf die Dauer der geforderten Berufserfahrung<br />

angerechnet werden.<br />

<strong>Die</strong> einzelnen, unter das Kapitel II fallenden Berufsgruppen werden in den Verzeichnissen<br />

I bis III des Anhangs IV aufgeführt, z. B. das Textilgewerbe, die Getränkeherstellung<br />

oder die elektrotechnische Industrie. <strong>Die</strong> Einordnung der verschiedenen Berufe<br />

in die entsprechenden Verzeichnisse I bis III erfolgt dabei anhand der unterschiedlichen<br />

Arten der Berufserfahrung.<br />

So enthält das Verzeichnis I vor allem Berufsbilder, die dem Baugewerbe angehören<br />

oder der Herstellung von Waren dienen. <strong>Die</strong> hierfür erforderliche Berufserfahrung<br />

regelt Art. 17 RL <strong>2005</strong>/<strong>36</strong>/<strong>EG</strong>, wonach sie z. B. für einen Selbstständigen oder einen<br />

Betriebsleiter grundsätzlich sechs Jahre beträgt, in der er ununterbrochen diese Tätigkeit,<br />

deren Beendigung nicht länger als zehn Jahre ab dem Zeitpunkt der Einrei-<br />

71<br />

20. Erwägungsgrund zur RL <strong>2005</strong>/<strong>36</strong>/<strong>EG</strong>; s. auch Kommission, Stellungnahme vom 1.6.<strong>2005</strong> zu den<br />

Abänderungen des Europäischen Parlaments am gemeinsamen Standpunkt des Rates zum Vorschlag<br />

für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Anerkennung von Berufsqualifikationen,<br />

KOM (<strong>2005</strong>) 248 endg.<br />

14


chung des Zulassungsantrags zurückliegen darf, ausgeübt hat (Art. 17 I a), II RL<br />

<strong>2005</strong>/<strong>36</strong>/<strong>EG</strong>).<br />

Das Verzeichnis II beinhaltet Berufe im Bereich des Verkehrs, beispielsweise betref-<br />

fend die Herstellung von Eisenbahnen, Fahrzeugteilen, Schiffen und Luftfahrzeugen,<br />

das Post- und Fernmeldewesen und die Reise- und Transportdienstleistungen. Auf sie<br />

ist Art. 18 RL <strong>2005</strong>/<strong>36</strong>/<strong>EG</strong> anwendbar, der vorschreibt, dass für die gegenseitige An-<br />

erkennung der Berufserfahrung prinzipiell eine fünfjährige ununterbrochene Tätig-<br />

keit als Selbstständiger oder Betriebsleiter in diesem Beruf ausgeübt worden sein<br />

muss.<br />

Schließlich umfasst das Verzeichnis III den weiten Bereich des Groß- und Einzel-<br />

handels sowie der Vermittlungs- und Vermietungstätigkeiten. <strong>Die</strong> dafür notwendige<br />

selbstständige ununterbrochene Berufserfahrung beträgt gemäß Art. 19 I a) RL<br />

<strong>2005</strong>/<strong>36</strong>/<strong>EG</strong> grundsätzlich drei Jahre.<br />

3. Allgemeine Auffangregelung<br />

In dem subsidiär anzuwendenden Kapitel I des Titels III der RL <strong>2005</strong>/<strong>36</strong>/<strong>EG</strong> finden<br />

sich die Anforderungen für die Niederlassung im Bereich aller reglementierten Beru-<br />

fe, die keinem der in Kapitel II oder III genannten Berufsfelder zugeordnet werden<br />

können, und für die Fälle, in denen eine Berufsqualifikation wegen besonderer und<br />

außergewöhnlicher Gründe nicht den dort aufgestellten Anforderungen gerecht wird<br />

(Art. 10 RL <strong>2005</strong>/<strong>36</strong>/<strong>EG</strong>).<br />

Nach Art. 13 RL <strong>2005</strong>/<strong>36</strong>/<strong>EG</strong> müssen die Mitgliedstaaten die Berufsqualifikationen,<br />

die in anderen Mitgliedstaaten erworben wurden, anerkennen. Sofern also die Aufnahme<br />

eines reglementierten Berufs in dem Aufnahmemitgliedstaat von dem Besitz<br />

bestimmter Berufsqualifikationen abhängig gemacht, so muss die zuständige Behörde<br />

des Aufnahmestaates dem Antragssteller diese Berufsaufnahme unter denselben<br />

Voraussetzungen wie Inländern erlauben, wenn er einen in dem anderen Mitgliedstaat<br />

erworbenen Berufsabschluss nachweisen kann, der mindestens dem Qualifikationsniveau<br />

entspricht, das unmittelbar unter dem im Aufnahmestaat geforderten Niveau<br />

liegt.<br />

Ist daher z. B. in Deutschland ein Universitätsdiplom erforderlich, das einen mindestens<br />

vierjährigen Studiengang abschließt, reicht für eine Niederlassung eines Ausländers<br />

aus, dass er eine (Fach-)Hochschulausbildung von mindestens drei Jahren abgeschlossen<br />

hat.<br />

15


<strong>Die</strong> RL <strong>2005</strong>/<strong>36</strong>/<strong>EG</strong> unterscheidet hinsichtlich der Anerkennung von Befähigungs-<br />

und Ausbildungsnachweisen gemäß ihrem Art. 11 fünf verschiedene Qualifikations-<br />

niveaus.<br />

Niveau a) entspricht einem von der zuständigen Stelle des Herkunftsmitgliedstaates<br />

ausgestellten Befähigungsnachweis aufgrund einer Ausbildung, für die kein Zeugnis<br />

oder Diplom erteilt wird, oder aufgrund einer dreijährigen ununterbrochenen Berufs-<br />

tätigkeit während der letzten zehn Jahre, bzw. einem Befähigungsnachweis als<br />

Nachweis einer allgemeinen Schulbildung von Primär- und Sekundärniveau, der bescheinigt,<br />

dass der Inhaber über Allgemeinkenntnisse verfügt. Niveau b) wird durch<br />

den Abschluss einer Ausbildung auf Sekundarniveau erreicht, für den ein Prüfungszeugnis<br />

als Nachweis einer technischen, berufsbildenden oder allgemein bildenden<br />

Sekundarausbildung, die durch einen Berufsausbildungsgang ergänzt wird, ausgestellt<br />

wird. Diplome über einen Ausbildungsgang, der einer postsekundären Ausbildung<br />

von mindestens einem Jahr oder einer Ausbildung für die in Anhang II aufgeführten<br />

Berufe (z. B. Augenoptiker, Logopäden, Zahntechniker oder Masseure) entspricht,<br />

die eine vergleichbare Berufsbefähigung vermittelt und auf vergleichbare<br />

berufliche Funktionen und Verantwortung vorbereitet, bilden das dritte Qualifikationsniveau.<br />

Dem vierten Niveau entsprechen Diplome für den Abschluss einer mindestens<br />

drei- und höchstens vierjährigen Ausbildung an einer Hochschule. Niveau e)<br />

wird schließlich nur durch einen Hochschulabschluss aufgrund einer mindestens<br />

vierjährigen Ausbildung erreicht.<br />

In Ausnahmefällen können gemäß Art. 12 I RL <strong>2005</strong>/<strong>36</strong>/<strong>EG</strong> andere Ausbildungsgänge<br />

einem dieser fünf Niveaus gleichgestellt werden, sofern sie eine in der Europäischen<br />

Gemeinschaft erworbene Ausbildung abschließen, von dem ausstellenden Mitgliedstaat<br />

als gleichwertig anerkannt werden und im Hinblick auf die Aufnahme oder<br />

Ausübung des Berufs dieselben Rechte verleihen oder auf die Berufsausübung vorbereiten.<br />

Bereits erworbene Rechte werden von Art. 12 II RL <strong>2005</strong>/<strong>36</strong>/<strong>EG</strong> geschützt,<br />

insbesondere bei späterer Anhebung des für die Berufszulassung oder -ausübung<br />

erforderlichen Ausbildungsniveaus im Herkunftsstaat, indem dann die vorher absolvierten<br />

Ausbildungsgänge entsprechend dem Niveau der neuen Ausbildung eingestuft<br />

werden.<br />

Wenn dagegen im Herkunftsmitgliedstaat der Zugang zu einer Berufstätigkeit nicht<br />

vom Besitz bestimmter Berufsqualifikationen abhängig gemacht wird, muss der Berufsträger<br />

gemäß Art. 13 II <strong>EG</strong>V eine zweijährige Berufserfahrung gesammelt haben<br />

und zudem im Besitz eines oder mehrerer Befähigungsnachweise sein, dessen/deren<br />

Niveau zumindest direkt unter dem erforderlichen Niveau nach Art. 11 RL<br />

16


<strong>2005</strong>/<strong>36</strong>/<strong>EG</strong> liegt/liegen, um in dem Aufnahmemitgliedstaat, der diesen Beruf reglementiert,<br />

seine Tätigkeit aufnehmen zu können. <strong>Die</strong> Nachweise müssen bescheinigen,<br />

dass auf die Ausübung des Berufs vorbereitet wurde. <strong>Die</strong>se Regelung ist insbesondere<br />

auch dann anwendbar, wenn der Herkunftsmitgliedstaat die Qualifikationsanforderungen<br />

hebt und die bisher bereits erworbenen Qualifikationen als erworbene<br />

Rechte schützt. Jedoch ist eine zweijährige Berufserfahrung nicht notwendig, wenn<br />

z. B. in einem Mitgliedstaat wie Deutschland gemäß Anhang III eine Berufsausbildung<br />

abgeschlossen wurde.<br />

Auch hat der Aufnahmemitgliedstaat in diesem Bereich Spielraum für weitere Regelungen,<br />

mit denen er die Anerkennung der Befähigungsnachweise davon abhängig<br />

machen kann, dass der Antragssteller eine Ausgleichsmaßnahme absolviert. Gemäß<br />

Art. 14 RL <strong>2005</strong>/<strong>36</strong>/<strong>EG</strong> kann er in den Fällen einer deutlichen Unterschreitung des<br />

von ihm geforderten Qualifikationsniveaus Anpassungslehrgänge oder Eignungsprüfungen<br />

vorschreiben.<br />

Unter einem Anpassungslehrgang versteht man gemäß Art. 3 I g) RL <strong>2005</strong>/<strong>36</strong>/<strong>EG</strong> die<br />

Ausübung des reglementierten Berufs unter der Aufsicht und Verantwortung eines<br />

qualifizierten Berufsangehörigen im Aufnahmemitgliedstaat. <strong>Die</strong>se kann unter Umständen<br />

mit einer Zusatzausbildung verbunden werden. Eine Eignungsprüfung stellt<br />

eine allein auf die beruflichen Kenntnisse des Antragsstellers bezogene und von den<br />

zuständigen Behörden des Aufnahmemitgliedstaates durchgeführte Prüfung über die<br />

Fähigkeit des Antragsstellers zur Berufsausübung im Aufnahmestaat dar. Eine eindeutige<br />

Unterschreitung des erforderlichen Niveaus liegt beispielsweise vor, wenn<br />

gemäß Art. 14 I a) RL <strong>2005</strong>/<strong>36</strong>/<strong>EG</strong> die vom Antragssteller nachgewiesene Ausbildungsdauer<br />

mindestens ein Jahr unter der vom Aufnahmestaat verlangten Ausbildungsdauer<br />

liegt, oder wenn sich seine bisherige Ausbildung auf Fächer bezieht, die<br />

sich wesentlich von denen unterscheiden, die durch den im Aufnahmestaat vorgeschriebenen<br />

Ausbildungsnachweis abgedeckt werden (Art. 14 I b) RL <strong>2005</strong>/<strong>36</strong>/<strong>EG</strong>).<br />

Im Bereich der kaum harmonisierten Berufe i. S. d. Kapitels II des Titels III, bei denen<br />

die Regelungen des Kapitels I subsidiär zur Anwendung kommen können, hat<br />

der Aufnahmestaat jedoch, falls er wegen einer wesentlichen Abweichung der Ausbildungsinhalte<br />

eine solche Ausgleichsmaßnahme verlangt, zuerst zu prüfen, ob die<br />

vom Antragssteller aufgrund seiner Berufserfahrung erworbenen Kenntnisse und<br />

Fähigkeiten diese Differenzen ganz oder teilweise aufheben.<br />

Prinzipiell muss der Aufnahmemitgliedstaat dem Antragsteller die Entscheidung<br />

zwischen der Teilnahme an einem Anpassungslehrgang und der Absolvierung einer<br />

17


Eignungsprüfung überlassen. Ausnahmsweise darf er jedoch bei den in Art. 14 III<br />

RL <strong>2005</strong>/<strong>36</strong>/<strong>EG</strong> vorgesehenen Fällen oder nach Zustimmung der Kommission von<br />

diesem Grundsatz der freien Wahl des Antragstellers abweichen. <strong>Die</strong>s ist speziell für<br />

die Aufnahme solcher Berufe möglich, für die spezifische Kenntnisse des einzelstaatlichen<br />

Rechts erforderlich sind.<br />

Weiterhin sieht die RL <strong>2005</strong>/<strong>36</strong>/<strong>EG</strong> vor, dass die auf nationaler und europäischer<br />

Ebene repräsentativen Berufsverbände „gemeinsame Plattformen“ schaffen können,<br />

in deren Rahmen ihnen die Möglichkeit der Mitgestaltung eingeräumt wird. Unter<br />

dem Begriff „gemeinsame Plattformen“ ist nach Art. 15 I RL <strong>2005</strong>/<strong>36</strong>/<strong>EG</strong> eine Reihe<br />

von qualifikationsbezogenen Kriterien zu verstehen, die geeignet sind, wesentliche<br />

Unterschiede festzustellen und auszugleichen, die zwischen den Ausbildungsanforderungen<br />

von mindestens zwei Dritteln der Mitgliedstaaten und jedenfalls der Mitgliedstaaten,<br />

die den betreffenden Beruf reglementieren, bestehen. Wenn mit einer<br />

solchen Plattform die gegenseitige Anerkennung von Qualifikationen erleichtert<br />

werden kann, so kann die Kommission, nachdem ihr die Plattform von den Mitgliedstaaten<br />

oder den Berufsverbänden vorgelegt worden ist, Entwürfe für Maßnahmen<br />

vorlegen, die dann gemäß Art. 58 II RL <strong>2005</strong>/<strong>36</strong>/<strong>EG</strong> im Komitologieverfahren in<br />

Form des Regelungsverfahrens i. S. d. Art. 5 oder des Verfahrens bei Schutzmaßnahmen<br />

nach Art. 7 des Beschlusses 1999/468/<strong>EG</strong> (Komitologie-Beschluss) 72 angenommen<br />

werden können. Mit der Annahme einer solchen Maßnahme wird den Mitgliedstaaten<br />

gleichzeitig gemäß Art. 15 III <strong>EG</strong>V verwehrt, Anpassungslehrgänge und<br />

Eignungsprüfungen von solchen Antragstellern zu verlangen, die die Anforderungen<br />

der Plattform erfüllen.<br />

Bis spätestens zum 20.10.2010, also drei Jahre nach Ablauf der für die Mitgliedstaaten<br />

geltenden Umsetzungsfrist der Richtlinie, legt die Kommission dem Europäischen<br />

Parlament und dem Rat einen Bericht über die Anwendung der Bestimmungen<br />

über die gemeinsamen Plattformen und gegebenenfalls geeignete Vorschläge zu ihrer<br />

Änderung vor (Art. 15 VI RL <strong>2005</strong>/<strong>36</strong>/<strong>EG</strong>).<br />

4. Verfahren für die Anerkennung der Berufsqualifikationen<br />

Um zu dem entsprechenden Markt des Aufnahmemitgliedstaates zugelassen zu werden,<br />

müssen die (potenziellen) <strong>Die</strong>nstleistungserbringer ein spezielles Anerkennungsverfahren,<br />

das sich nach Art. 51 RL <strong>2005</strong>/<strong>36</strong>/<strong>EG</strong> richtet, durchlaufen. Hierzu<br />

haben die Mitgliedstaaten bis spätestens zum Ablauf der Umsetzungsfrist der RL<br />

72<br />

Zu den einzelnen Ausschussverfahren näher: Streinz, Rn. 523 ff.<br />

18


<strong>2005</strong>/<strong>36</strong>/<strong>EG</strong> am 20.10.2007 gemäß Art. 57 RL <strong>2005</strong>/<strong>36</strong>/<strong>EG</strong> jeweils eine einheitliche<br />

Kontaktstelle als Ansprechpartner (sog. Single Points of Contact bzw. Prinzip des<br />

„one-stop-shop“ 73 ) einzurichten, die die Bürger und die Kontaktstellen der anderen<br />

Mitgliedstaaten über alle wichtigen Fragen bezüglich der Anerkennung von Berufs-<br />

qualifikationen und insbesondere über die Zulassungsvoraussetzungen des betreffen-<br />

den Aufnahmestaates informieren.<br />

Der Anerkennungsantrag ist bei der zuständigen Stelle des Aufnahmemitgliedstaates<br />

einzureichen. <strong>Die</strong>sem sind bestimmte Unterlagen und Bescheinigungen, die in Anhang<br />

VII aufgeführt sind (z. B. ein Staatsangehörigkeitsnachweis oder eine Kopie der<br />

Befähigungsnachweise oder des Ausbildungsnachweises), beizufügen. <strong>Die</strong> zuständige<br />

Behörde hat den Eingang des Antrags innerhalb eines Monats unter Angabe aller<br />

fehlenden Unterlagen zu bestätigen. Das Verfahren für die Prüfung eines Zulassungsantrages<br />

im Aufnahmemitgliedstaat ist gemäß Art. 51 II <strong>EG</strong>V binnen kürzester<br />

Zeit abzuschließen, spätestens drei Monate nach Einreichung der vollständigen Unterlagen<br />

des Antragsstellers, wobei gegebenenfalls die Frist um höchstens einen Monat<br />

verlängert werden kann. Ferner muss die nationale Rechtsordnung Rechtsbehelfe<br />

gegen die von der zuständigen Stelle im Aufnahmemitgliedstaat zu begründende<br />

Entscheidung und gegen eine nicht fristgemäße Entscheidung vorsehen. 74<br />

IV. Verwaltungszusammenarbeit, Durchführungsbefugnisse und sonstige Bestimmungen<br />

<strong>Die</strong> RL <strong>2005</strong>/<strong>36</strong>/<strong>EG</strong> sieht eine enge Zusammenarbeit und einen Informationsaustausch<br />

(sog. administrative Kooperation 75 ) zwischen den zuständigen Stellen des<br />

Aufnahme- und des Herkunftsstaates vor, um die Anwendung ihrer Bestimmungen<br />

zu erleichtern. Zudem nennt die Richtlinie unter ihrem Titel V eine Reihe von Maßnahmen<br />

zur Anwendungserleichterung, die in den Art. 56-59 RL <strong>2005</strong>/<strong>36</strong>/<strong>EG</strong> aufgeführt<br />

sind. Gemäß Art. 56 IV RL <strong>2005</strong>/<strong>36</strong>/<strong>EG</strong> benennt jeder Mitgliedstaat einen Koordinator,<br />

der eine einheitliche Anwendung der RL <strong>2005</strong>/<strong>36</strong>/<strong>EG</strong> unterstützen soll.<br />

Ferner muss jeder Mitgliedstaat bis spätestens zum 20.10.2007 eine Kontaktstelle<br />

benennen, die den Bürgern alle nützlichen Informationen über die Anerkennung der<br />

Berufsqualifikationen gibt und ihnen helfen soll, ihre Rechte wahrnehmen zu können<br />

(Art. 57 RL <strong>2005</strong>/<strong>36</strong>/<strong>EG</strong>). Jeder Mitgliedstaat ernennt einen Vertreter für den Ausschuss<br />

über die Anerkennung der Berufsqualifikationen. <strong>Die</strong>ser Komitologieauss-<br />

73<br />

Calliess, DVBl 2007, 3<strong>36</strong>, 340.<br />

74<br />

Kluth/Rieger, EuZW <strong>2005</strong>, 486, 488.<br />

75<br />

Bauch, S. 3.<br />

19


chuss, dessen Vorsitz ein Kommissionsvertreter übernimmt, wird die Kommission<br />

bei der Wahrnehmung der ihr durch die RL <strong>2005</strong>/<strong>36</strong>/<strong>EG</strong> übertragenen Befugnisse<br />

unterstützen. Schließlich hat die Kommission nach Art. 59 RL <strong>2005</strong>/<strong>36</strong>/<strong>EG</strong> Vertreter<br />

der verschiedenen, durch die RL <strong>2005</strong>/<strong>36</strong>/<strong>EG</strong> erfassten Berufsgruppen in angemes-<br />

sener Weise zu konsultieren.<br />

<strong>Die</strong> Mitgliedstaaten müssen der Kommission alle zwei Jahre einen Bericht über die<br />

Anwendung des durch die RL <strong>2005</strong>/<strong>36</strong>/<strong>EG</strong> eingeführten Systems vorlegen. <strong>Die</strong><br />

Kommission hat dafür gemäß Art. 60 II RL <strong>2005</strong>/<strong>36</strong>/<strong>EG</strong> die Pflicht, ab dem<br />

20.10.2007, also nach Ende der Frist für die Umsetzung der Richtlinie durch die<br />

Mitgliedstaaten, alle fünf Jahre einen Bericht über die Anwendung der <strong>Berufsanerkennungsrichtlinie</strong><br />

vorzulegen. Für den Fall, dass bei der Anwendung einer Anordnung<br />

der Richtlinie erhebliche Schwierigkeiten zu Tage treten, untersucht die Kommission<br />

diese gemeinsam mit dem betreffenden Mitgliedstaat, wobei die Kommission<br />

im Komitologieverfahren nach Art. 58 II RL <strong>2005</strong>/<strong>36</strong>/<strong>EG</strong> erforderlichenfalls diesen<br />

Mitgliedstaat vorübergehend von der Anwendung der entsprechenden Bestimmung<br />

freistellen kann.<br />

D. Zielsetzungen und Instrumente<br />

<strong>Die</strong> RL <strong>2005</strong>/<strong>36</strong>/<strong>EG</strong> verfolgt im Allgemeinen sehr unterschiedliche Ziele, die jedoch<br />

im Großen und Ganzen lediglich dem Endziel der Verwirklichung und Fortentwicklung<br />

des europäischen Binnenmarktes als eines Raumes ohne Binnengrenzen, in dem<br />

ein hohes Niveau der Qualität von <strong>Die</strong>nstleistungen – insbesondere durch eine enge<br />

Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten untereinander sowie der Mitgliedstaaten und<br />

der Kommission – gewährleistet ist, dienen. Der möglichst unbeschränkte Marktzugang<br />

stellt diesbezüglich eine bedeutende Voraussetzung für die Schaffung eines<br />

Binnenmarktes dar. Mittels der Vereinfachung und Förderung der Wahrnehmung der<br />

Freizügigkeit, der <strong>Die</strong>nstleistungs- und der Niederlassungsfreiheit durch diejenigen,<br />

die einen reglementierten Beruf innerhalb des Binnenmarktes aufnehmen bzw. ausüben<br />

wollen, sollen die Arbeitsmärkte in den Mitgliedstaaten flexibler und offener<br />

ausgestaltet werden. 76<br />

Nicht zuletzt soll dies über eine Verbesserung der Rechtsklarheit, Rechtssicherheit<br />

und Regelungstransparenz hinsichtlich der Anerkennung beruflicher Qualifikationen,<br />

u. a. mithilfe der Zusammenfassung und Ersetzung der bisher geltenden 15 Einzelrichtlinien<br />

im Sinne einer Deregulierung durch die sektorübergreifende, allgemeine<br />

76 Henssler, EuZW 2003, 229.<br />

20


RL <strong>2005</strong>/<strong>36</strong>/<strong>EG</strong> erreicht werden. 77 Ferner zielt die Richtlinie auf die Stärkung der<br />

automatischen Anerkennung von Qualifikationen sowie die Vereinfachung und<br />

Straffung der Verwaltungsverfahren ab 78 , damit die Erbringung von grenzüberschrei-<br />

tenden <strong>Die</strong>nstleistungen weiter liberalisiert bzw. den Unionsbürgern die Wahrneh-<br />

mung der Arbeitschancen im europäischen Ausland erleichtert wird. Um sich an den<br />

wachsenden europäischen Arbeitsmarkt und seine zunehmende Komplexität verbessert<br />

anpassen zu können, besteht zudem eine größere Flexibilität bei der Aktualisierung<br />

der Richtlinie durch das Komitologieverfahren nach Art. 58 II RL <strong>2005</strong>/<strong>36</strong>/<strong>EG</strong><br />

als bei den zuvor für die Berufsanerkennung geltenden 15 Richtlinien.<br />

Auch dem Verbraucherschutz sowie der öffentlichen Gesundheit und Sicherheit soll<br />

genügend Rechnung getragen werden. Das Instrument, das die RL <strong>2005</strong>/<strong>36</strong>/<strong>EG</strong> hierfür<br />

vorsieht, ist die Aufstellung spezifischer Anforderungen für die reglementierten<br />

Berufe, die einen besonderen Bezug zur öffentlichen Gesundheit und Sicherheit ha-<br />

ben. 79<br />

Zur Vereinfachung der Mobilität der Berufsangehörigen in der Europäischen Union,<br />

aber auch zur Gewährleistung eines angemessenen Qualifikationsniveaus sollen die<br />

Mitgliedstaaten oder mitgliedstaatliche oder europäische Berufsverbände- bzw. organisationen<br />

auf EU-Ebene die oben beschriebenen Plattformen, anhand derer die<br />

wesentlichen Unterschiede zwischen den Ausbildungsanforderungen in mindestens<br />

zwei Dritteln der Mitgliedstaaten möglichst umfassend ausgeglichen werden können,<br />

vorschlagen können. 80 Dabei wird versucht, anhand des durch die RL <strong>2005</strong>/<strong>36</strong>/<strong>EG</strong><br />

eingeführten Systems der Einstufung der Berufsqualifikation in fünf Kategorien nach<br />

der jeweiligen Länge und Dauer der Ausbildung im Bereich der Niederlassungsfreiheit<br />

eine bessere Vergleichbarkeit der Qualifikationslevels in den Mitgliedstaaten,<br />

insbesondere hinsichtlich der noch nicht oder nur wenig harmonisierten Berufsfelder,<br />

zu erreichen.<br />

Als zentraler Maßstab der RL <strong>2005</strong>/<strong>36</strong>/<strong>EG</strong> innerhalb der Regelungen des Marktzugangs<br />

dient das bereits dargestellte Herkunftslandprinzip. Insbesondere die konkrete<br />

Art und Weise, wie dieses innerhalb der Richtlinie ausgestaltet ist, soll der Gewährleistung<br />

der Qualität von <strong>Die</strong>nstleistungen dienen. Denn bei der gegenseitigen Anerkennung<br />

nach Maßgabe der RL <strong>2005</strong>/<strong>36</strong>/<strong>EG</strong> wird im Gegensatz zu den Regelungen<br />

des ursprünglichen Entwurfs für die <strong>Die</strong>nstleistungsrichtlinie 81 die Gleichwertigkeit<br />

77<br />

Mann, EuZW 2004, 615 f.<br />

78<br />

Kommission, Begründung zum Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des<br />

Rates über die Anerkennung von Berufsqualifikationen vom 7.3.2002, KOM (2002) 119 endg., S. 6 ff.<br />

79<br />

6. Erwägungsgrund zur RL <strong>2005</strong>/<strong>36</strong>/<strong>EG</strong>.<br />

80<br />

16. Erwägungsgrund zur RL <strong>2005</strong>/<strong>36</strong>/<strong>EG</strong>.<br />

81<br />

Kommission, Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über <strong>Die</strong>nstleistungen<br />

im Binnenmarkt vom 25.2.2004, KOM (2004) 2 endg.<br />

21


der anerkannten nationalen Berufsqualifikationen sichergestellt und nicht das Her-<br />

kunftslandprinzip für gesamten Bereich der <strong>Die</strong>nstleistungen angeordnet, ohne die<br />

Gleichwertigkeit sicherzustellen. 82 <strong>Die</strong>s geschieht insbesondere durch die den Mit-<br />

gliedstaaten eingeräumte Möglichkeit, dem potenziellen <strong>Die</strong>nstleistungserbringer<br />

Ausgleichsmaßnahmen – einen Eignungstest oder einen Anpassungslehrgang – in<br />

dem Bereich der unter die allgemeine Regelung des Kapitels I des Titels III fallenden<br />

Berufe, bei denen die Mindestanforderungen an die Ausbildung für die Aufnahme<br />

und Ausübung der Tätigkeit nicht harmonisiert sind, vorzuschreiben.<br />

E. <strong>Die</strong> Konsequenzen für den europäischen Binnenmarkt<br />

Welche konkreten Auswirkungen die <strong>Berufsanerkennungsrichtlinie</strong> auf den Binnen-<br />

markt haben wird, kann man momentan noch nicht genau voraussagen, zumal die<br />

Umsetzungsfrist der RL <strong>2005</strong>/<strong>36</strong>/<strong>EG</strong> erst am 20.10.2007 abläuft. Jedoch lassen sich<br />

sowohl einzelne Problemkreise erkennen, die durch die Richtlinie hervorgerufen<br />

werden könnten bzw. die jetzt schon bestehen, als auch Vorzüge und Chancen für<br />

den Binnenmarkt ausmachen, die der eigentlichen Intention der Berufsanerkennungs-<br />

richtlinie entsprechen, nämlich die Erbringung von grenzüberschreitenden <strong>Die</strong>nst-<br />

leistungen im Binnenmarkt durch die Abschaffung von Hemmnissen im <strong>Die</strong>nstleis-<br />

tungsbereich zu vereinfachen, um einem der zentralen Ziele der Europäischen Union,<br />

der Schaffung eines Raumes ohne Binnengrenzen (Art. 3 I c), 14 II <strong>EG</strong>V), zu die-<br />

nen. 83 Kritische sowie positive Bewertungen der <strong>Berufsanerkennungsrichtlinie</strong> lassen<br />

sich dabei insbesondere im Hinblick auf die folgenden Aspekte aufstellen.<br />

I. Der sektorübergreifende Ansatz<br />

Schon während des Rechtsetzungsverfahrens wurden diverse Bedenken hinsichtlich<br />

der neuen RL <strong>2005</strong>/<strong>36</strong>/<strong>EG</strong> geäußert. <strong>Die</strong> erste Problematik der Richtlinie stellt sich<br />

im Zusammenhang mit ihrem sektorübergreifenden Ansatz. Zwar ist die RL<br />

<strong>2005</strong>/<strong>36</strong>/<strong>EG</strong> darauf angelegt, die bestehenden Regelungen bezüglich der Qualifikationsanerkennung<br />

bei nahezu allen regulierten Berufen zu vereinfachen, zu straffen<br />

und dadurch insgesamt überschaubarer zu machen. Jedoch führt sie gerade durch<br />

diese umfassende Einbeziehung der sehr unterschiedlichen Berufsgruppen zu einem<br />

eher unübersichtlichen, komplexen Regelungsgeflecht, das mit insgesamt 65 Artikeln,<br />

die zum Teil sehr lang und verschachtelt sind, und sieben Anhängen einen Umfang<br />

von ca. 140 Seiten erreicht. Zwar ist diese sekundärrechtliche Regelungstechnik<br />

nicht unüblich, jedoch widerspricht sie dem durch die Richtlinie eigentlich verfolgten<br />

82<br />

Kluth/Rieger, aktuelle Stellungnahmen 4/05, IFK, S. 5.<br />

83<br />

Kluth/Rieger, GewArch 2006, 1, 3.<br />

22


Zielen der Rechtsklarheit und Transparenz. 84 Hierzu trägt auch die infolge des gene-<br />

ralisierenden Ansatzes der Richtlinie notwendige Verwendung unbestimmter, sehr<br />

abstrakter Rechtsbegriffe bei, wie z. B. die „vergleichbaren Tätigkeiten“ in Art. 4 II<br />

RL <strong>2005</strong>/<strong>36</strong>/<strong>EG</strong> oder ein Berufsqualifikationsniveau „unmittelbar unter dem gefor-<br />

derten Niveau“ i. S. d. Art. 13 I 2 b) RL <strong>2005</strong>/<strong>36</strong>/<strong>EG</strong>. 85<br />

Darüber hinaus leidet die RL <strong>2005</strong>/<strong>36</strong>/<strong>EG</strong> aufgrund ihres nicht-berufsspezifischen<br />

Ansatzes daran, dass auf berufliche Besonderheiten nicht im Speziellen ausführlich<br />

eingegangen werden kann, wobei allerdings die gleichwohl in der Richtlinie enthal-<br />

tenen Differenzierungen wiederum zu einer Unüberschaubarkeit führen. 86 Einerseits<br />

sind insbesondere die für den Bereich der Ärzte, Hebammen, Apotheker etc. gelten-<br />

den Regelungen der Art. 20 ff. RL <strong>2005</strong>/<strong>36</strong>/<strong>EG</strong> sehr detailliert ausgeformt, sodass<br />

sich dies mit der Forderung nach der Berücksichtigung berufsbezogener Eigenheiten,<br />

die einer Nivellierung entgegenwirkt, deckt. Auf der anderen Seite machen die dort<br />

geregelten berufsspezifischen Ausnahmen und Besonderheiten 25 der insgesamt 65<br />

Artikel aus, während andere Freie Berufe wie die des Ingenieurs oder Steuerberaters,<br />

die nicht durch sektorielle Richtlinien harmonisiert worden sind, lediglich unter die<br />

allgemeine Auffangregelung der Art. 10 ff. fallen, sodass ihre Besonderheiten dementsprechend<br />

außer Betracht bleiben. <strong>Die</strong>se divergente Regelungsdichte im Hinblick<br />

auf die verschiedenen Berufe kann man damit als willkürlich kritisieren. 87<br />

In der RL <strong>2005</strong>/<strong>36</strong>/<strong>EG</strong> werden zwei bisher geltende Systeme der Gewährleistung der<br />

<strong>Die</strong>nst- und Niederlassungsfreiheit zusammengeführt, namentlich das für die gewerblichen<br />

Berufe, das zuvor in der Richtlinie 92/51/EWG 88 geregelt war, und das<br />

System für diejenigen Tätigkeiten der Freien Berufe, die sich durch eine besondere<br />

Qualifikation, Profession und Vertrauensstellung auszeichnen, 89 für die bislang die<br />

Hochschuldiplomanerkennungsrichtlinie 90 galt. Selbst bei der Hochschuldiplomanerkennungsrichtlinie<br />

stellte sich bereits heraus, dass sie aufgrund der Verschiedenartigkeit<br />

der Freien Berufe den einzelnen Besonderheiten nicht genügen konnte, sodass<br />

84<br />

Henssler, EuZW 2003, 229, 231; Mann, EuZW 2004, 615, 618; Kluth/Rieger, EuZW <strong>2005</strong>, 486,<br />

490.<br />

85<br />

Henssler, EuZW 2003, 229, 231.<br />

86<br />

Mann, EuZW 2004, 615, 618.<br />

87<br />

Mann, EuZW 2004, 615, 618.<br />

88<br />

Richtlinie 92/51/EWG des Rates vom 18.6.1992 über eine zweite allgemeine Regelung zur Anerkennung<br />

beruflicher Befähigungsnachweise in Ergänzung zur Richtlinie 89/48/EWG, Abl<strong>EG</strong> 1992 L<br />

209 vom 24.7.1992, 25; zuletzt geändert durch Art. 2 der Richtlinie 2001/19/<strong>EG</strong> vom 14.5.2001<br />

(„SLIM-Richtlinie“) Abl<strong>EG</strong> 2001 L 206 vom 31.7.2001, 1.<br />

89<br />

BT-Drucks. 16/2460, Tz. 874.<br />

90<br />

Richtlinie 89/48/EWG vom 21.12.1988 über eine allgemeine Regelung zur Anerkennung der Hochschuldiplome,<br />

die eine mindestens dreijährige Berufsausbildung abschließen, Abl<strong>EG</strong> L 19 vom<br />

24.1.1989, 16.<br />

23


die gesonderte <strong>Die</strong>nstleistungs- und Niederlassungsrichtlinie für Rechtsanwälte 91<br />

ergingen. So werden durch die Integrierung der Hochschuldiplomanerkennungsricht-<br />

linie und der Richtlinie über die Befähigungsnachweise der gewerblichen Berufe in<br />

die einheitlich für beide Berufsgruppen geltende RL <strong>2005</strong>/<strong>36</strong>/<strong>EG</strong> Berufe zusammen-<br />

geführt, die anscheinend nicht harmonisierungsfähig sind. 92 Auch deshalb gilt die<br />

bezweckte Deregulierung nicht konsequent für alle reglementierten Berufsbilder,<br />

sondern neben den berufsspezifischen <strong>Die</strong>nstleistungs- und Niederlassungsrichtlinien<br />

für Rechtsanwälte, die nicht durch die RL <strong>2005</strong>/<strong>36</strong>/<strong>EG</strong> aufgehoben und ersetzt wer-<br />

den, bleibt z. B. auch die Richtlinie 84/253/<strong>EG</strong> über die Anerkennungsmodalitäten<br />

für Abschlussprüfer unberührt. 93<br />

Ferner birgt die Erfassung ausschließlich der reglementierten Berufe durch die RL<br />

<strong>2005</strong>/<strong>36</strong>/<strong>EG</strong> die Gefahr eines Missbrauchs und einer Willkür in dem Sinne, dass die<br />

Aufnahmemitgliedstaaten selbst über die Eröffnung des Anwendungsbereichs dieser<br />

Richtlinie entscheiden können, indem sie bestimmte Berufe regulieren, deregulieren<br />

oder einfach unreguliert lassen.<br />

II. <strong>Die</strong> Abgrenzung der <strong>Die</strong>nstleistungsfreiheit von der Niederlassungsfreiheit<br />

Große Kritik hat es auch ursprünglich an dem ersten Vorschlag für die RL<br />

<strong>2005</strong>/<strong>36</strong>/<strong>EG</strong> in Bezug auf dessen Art. 5 II gegeben. 94 Für die Abgrenzung der Niederlassungsfreiheit<br />

von der in diesem Tatbestand konkretisierten <strong>Die</strong>nstleistung wurden<br />

ein Zeitraum von höchstens 16 Wochen pro Jahr vorgesehen, in denen der Berufsangehörige<br />

seine berufliche Tätigkeit in einem Mitgliedstaat ausüben durfte, in<br />

dem er nicht seine Niederlassung besaß.<br />

Auch aufgrund der Tatsache, dass „vorübergehend“ soviel wie „gelegentlich“, also<br />

etwas anderes als „zeitlich begrenzt“ bedeutet, und sich schon im Hinblick auf das<br />

„16-Wochen-Kriterium“ für die Charakterisierung einer Tätigkeit als <strong>Die</strong>nstleistung<br />

Unklarheiten über die Berechnung dieses Zeitraums ergaben, ob z. B. diese 16 Wochen<br />

pro Jahr für ein Kalenderjahr oder ein Zwölfmonatszeitraum galten, hat man<br />

sich von dieser konkreten Zeitbestimmung abgewandt. Nun enthält der Art. 5 II Unterabs.<br />

2 RL <strong>2005</strong>/<strong>36</strong>/<strong>EG</strong> in Anlehnung an die „Gebhard“ 95 -Rechtsprechung des<br />

EuGH nur noch eine Einzelfallbewertung seitens der Mitgliedstaaten, was noch als<br />

<strong>Die</strong>nstleistung anzusehen ist. <strong>Die</strong> Beurteilung der „vorübergehenden Natur der Tätigkeit“<br />

richtet sich demgemäß vor allem nach der Dauer, Häufigkeit, regelmäßigen<br />

91<br />

Vgl. dazu den 42. Erwägungsgrund zur RL <strong>2005</strong>/<strong>36</strong>/<strong>EG</strong>.<br />

92<br />

Henssler, EuZW 2003, 229, 231; Mann, EuZW 2004, 615, 618.<br />

93<br />

42. Erwägungsgrund zur RL <strong>2005</strong>/<strong>36</strong>/<strong>EG</strong>.<br />

94<br />

Henssler, EuZW 2003, 229, 232; Lottes, EuZW 2004, 112, 113; Mann, EuZW 2004, 615, 619.<br />

95<br />

EuGH, Rs. C-55/94, a. a. O.<br />

24


Wiederkehr und Kontinuität der <strong>Die</strong>nstleistung. Hierbei sei auf die physische, tat-<br />

sächliche Präsens des <strong>Die</strong>nstleistungserbringers in dem Aufnahmestaat abzustellen. 96<br />

Folglich ist die stabile und kontinuierliche Einordnung des <strong>Die</strong>nstleistungserbringers<br />

in die nationale Wirtschaftsordnung des Aufnahmemitgliedstaates entscheidend für<br />

die Bewertung seiner Betätigung als Niederlassung. 97<br />

Nach Ansicht des EuGH soll jedoch für den Charakter der Tätigkeit als <strong>Die</strong>nstleistung<br />

i. S. v. Art. 49, 50 <strong>EG</strong>V irrelevant sein, wenn sich der Berufsangehörige im<br />

Aufnahmemitgliedstaat eine eigene Infrastruktur aufbaut, z. B. durch die Errichtung<br />

eigener Geschäftsräume oder durch die Anstellung von Teilzeitmitarbeitern. Auch<br />

eine nicht nur kurzfristige, sondern über einen längeren Zeitraum erbrachte Ausübung<br />

der Tätigkeit soll noch unter die <strong>Die</strong>nstleistungsfreiheit fallen. 98 <strong>Die</strong> Betonung<br />

und Ausweitung des Zeitmoments bei der <strong>Die</strong>nstleistung führt dazu, dass sie sich<br />

nicht mehr als Gegenstück zur Niederlassung darstellt, sondern als „wesensgleiches<br />

Minus“ 99 , als „kleine Niederlassung“ 100 . Aufgrund dieser durch den EuGH geprägten<br />

zeitlichen Erweiterung des <strong>Die</strong>nstleistungsbegriffs erscheint die Ziehung einer klaren<br />

Trennlinie zwischen <strong>Die</strong>nstleistungs- und Niederlassungsfreiheit kaum noch möglich<br />

zu sein. 101<br />

Eine Abgrenzung wird jedoch insbesondere dafür relevant, dass für die nur vorübergehende<br />

Erbringung von grenzüberschreitenden <strong>Die</strong>nstleistungen ein formelles Anerkennungsverfahren<br />

nicht erforderlich ist, für die Niederlassung in einem anderen<br />

Mitgliedstaat jedoch wohl. Auch eine von Art. 11 RL <strong>2005</strong>/<strong>36</strong>/<strong>EG</strong> festgelegte Kategorisierung<br />

des erworbenen Berufsqualifikationsniveaus eines <strong>Die</strong>nstleistungserbringers,<br />

der unter die allgemeine Auffangregelung der Art. 10 ff. RL <strong>2005</strong>/<strong>36</strong>/<strong>EG</strong> fallen<br />

würde, findet bei der Inanspruchnahme der <strong>Die</strong>nstleistungsfreiheit im Gegensatz zur<br />

Niederlassungsfreiheit nicht statt.<br />

Darüber hinaus kommt es generell hinsichtlich der Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes<br />

auf eine Abgrenzung der beiden Grundfreiheiten an, denn entsprechend<br />

der Rechtsprechung des EuGH in den Fällen „Säger“ 102 und „Corsten“ 103 ist es<br />

mit diesem nicht vereinbar, eine nur vorübergehende <strong>Die</strong>nstleistung derselben administrativen<br />

Last zu unterstellen wie eine Niederlassung als dauernde Eingliederung in<br />

einem anderen Mitgliedstaat.<br />

96<br />

EuGH, NJW 1996, 579 f.<br />

97<br />

Frenz, Rn. 1938.<br />

98<br />

EuGH, EuZW 2004, 95.<br />

99<br />

Henssler, EuZW 2003, 229, 232.<br />

100<br />

Lottes, EuZW 2004, 112, 113; Henssler, EuZW 2003, 229, 232.<br />

101<br />

Kugelmann, EuZW <strong>2005</strong>, 327, 329.<br />

102<br />

EuGH, NJW 1991, 2693 – Säger.<br />

103<br />

EuGH, Rs. C-58/98, a. a. O.<br />

25


Trotz alledem lässt sich von den Behörden eines Mitgliedstaates und dem Berufsan-<br />

gehörigen selbst in einer sachlichen und realistischen Einschätzung in den meisten<br />

Fällen bestimmen, ob er in dem Aufnahmestaat ein festes Berufsdomizil errichtet hat,<br />

von dem aus er regelmäßig, häufig und über einen längeren Zeitraum hinweg Tätig-<br />

keiten erbringt, und von wo aus er sich vor allem an die Staatsangehörigen des Auf-<br />

nahmemitgliedstaates richtet 104 , sodass in diesem Fall die Niederlassungs- und nicht<br />

die <strong>Die</strong>nstleistungsfreiheit einschlägig wäre.<br />

III. Wettbewerb der Rechtsordnungen versus Qualitätssicherung?<br />

Da es dem Charakter der RL <strong>2005</strong>/<strong>36</strong>/<strong>EG</strong> als Richtlinie entspricht, ausschließlich<br />

gemäß Art. 249 III <strong>EG</strong>V hinsichtlich des zu erreichenden Ziels verbindlich zu sein,<br />

überlässt sie die Auswahl von Form und Mittel zur Erreichung des Ziels, also die<br />

konkrete Ausgestaltung der Regelungen über die Anerkennung der Berufsqualifikationen,<br />

den Mitgliedstaaten. 105 Hierdurch sollen weitgehend die Besonderheiten des<br />

nationalen Rechts gewahrt werden. Daraus folgt aber, dass eine uneingeschränkte<br />

Einräumung der Freizügigkeitsrechte für Arbeitnehmer und Selbstständige im Bereich<br />

der regulierten Berufe nicht vorstellbar ist, da die Berufsausbildung und -<br />

zulassung in den einzelnen Mitgliedstaaten aus wirtschaftlichen, historischen, rechtlichen<br />

und politischen Gründen teilweise erheblich voneinander abweichenden Regelungen<br />

unterliegen. Es bestehen mithin keine Vorgaben von bestimmten Qualifikationsstandards<br />

durch die RL <strong>2005</strong>/<strong>36</strong>/<strong>EG</strong>, die in jedem Mitgliedstaat gelten sollen,<br />

abgesehen von den eigens in Kapitel III des Titels III geregelten Tätigkeiten der Ärzte,<br />

Krankenschwestern und -pflegern, Zahnärzten, Tierärzten, Hebammen, Apothekern<br />

und Architekten bzw. Bauingenieure, sondern es wird durch die Richtlinie lediglich<br />

vorgeschrieben, dass zum Zwecke des Marktzugangs das Prinzip der gegenseitigen<br />

Anerkennung gelte, sodass die ausländischen Berufsträger die vom Aufnahmemitgliedstaat<br />

als angemessen erachteten Qualifikationsanforderungen einfacher<br />

erfüllen können. 106<br />

Hieraus ergibt sich die Gefahr, dass bezüglich der Qualität von <strong>Die</strong>nstleistungen eine<br />

Rechtsangleichung nach unten bzw. ein nachteiliger Qualitätsabfall, ein sog. „race to<br />

the bottom“ 107 , hervorgerufen wird, insofern in manchen Staaten ein nicht so hoher<br />

Qualitätsstandard wie in anderen gilt, und letztere aufgrund der RL <strong>2005</strong>/<strong>36</strong>/<strong>EG</strong> diese<br />

im Ausland erworbenen Qualifikationen anerkennen müssen, sodass eine Nivellie-<br />

104<br />

Lottes, EuZW 2004, 112, 113.<br />

105<br />

Frenz, DVBl 2007, 347, 349.<br />

106<br />

Frenz, DVBl 2007, 347, 350.<br />

107<br />

Kluth/Rieger, aktuelle Stellungnahmen 3/05, IFK, S. 4; Calliess, DVBl 2007, 3<strong>36</strong>, 340.<br />

26


ung auf dem Qualitätsniveau des Mitgliedstaates mit dem jeweils geringsten Stan-<br />

dard stattfinden könnte. 108 <strong>Die</strong>ses würde aber gerade der Vorgabe des Gemein-<br />

schaftsrechts in Art. 95 III, 153 I und 174 II 1 <strong>EG</strong>V, von einem hohen Schutzniveau<br />

auf den Gebieten der Gesundheit, der Sicherheit, des Umwelt- und Verbraucherschutzes<br />

auszugehen, widersprechen. 109<br />

Darüber hinaus geht die RL <strong>2005</strong>/<strong>36</strong>/<strong>EG</strong> von einer prinzipiellen Gleichwertigkeit der<br />

Ausbildungs- und Befähigungsnachweise aus anderen Mitgliedstaaten aus, und dies<br />

sogar gemäß Art. 12 RL <strong>2005</strong>/<strong>36</strong>/<strong>EG</strong> bei Ausbildungsgängen, die nicht vollständig<br />

kongruent mit den nationalen Qualifikationsstandards des Aufnahmestaates sind. 110<br />

Auch Art. 13 I 2 b) RL <strong>2005</strong>/<strong>36</strong>/<strong>EG</strong> birgt das Risiko der Förderung eines Abstiegs<br />

des Qualifikationslevels der Berufsangehörigen und damit verbunden eines Qualitätsniveaus<br />

der von ihnen erbrachten <strong>Die</strong>nstleistungen innerhalb der Europäischen<br />

Gemeinschaft, denn hiernach gilt ein vom Migranten erworbenes Berufsqualifikationsniveau,<br />

dass unmittelbar eine Stufe unter dem vom Aufnahmemitgliedstaat geforderten<br />

Niveau i. S. d. Art. 11 RL <strong>2005</strong>/<strong>36</strong>/<strong>EG</strong> liegt, als äquivalent zu diesem, sodass<br />

eine Marktzugangserlaubnis unter denselben Voraussetzungen wie bei Inländern<br />

vom Aufnahmestaat zu erteilen ist. 111 <strong>Die</strong> Möglichkeit, gemäß Art. 14 einen Anpassungslehrgang<br />

oder eine Eignungsprüfung als Ausgleichsmaßnahmen zu fordern, ist<br />

den Mitgliedstaaten dabei nur bei einer erheblichen Unterschreitung des von ihnen<br />

verlangten Qualifikationsniveaus eingeräumt.<br />

<strong>Die</strong> Konsequenz davon ist z. B., dass in Deutschland im Bereich des Handwerks Inländer<br />

eine Meisterprüfung als Marktzutrittsvoraussetzung für die Zulassung zur<br />

selbstständigen Gewerbeausübung absolvieren müssen, während für die Zulassung<br />

ausländischer Handwerksleistungserbringer in Deutschland gemäß der RL<br />

<strong>2005</strong>/<strong>36</strong>/<strong>EG</strong> bereits die Ablegung einer Gesellenprüfung und gegebenenfalls eine<br />

mehrjährige Berufserfahrung ausreichen. Es werden also an die Zulassung eines<br />

deutschen Staatsangehörigen zum selbstständigen Gewerbe höhere Anforderungen<br />

gestellt als an eine Zulassung von ausländischen Handwerkern. <strong>Die</strong>s stellt eine sog.<br />

Inländerdiskriminierung dar 112 , denen die Art. 43, 49 <strong>EG</strong>V aufgrund des mangelnden<br />

Grenzbezuges dieser rein nationalen Sachverhalte nicht entgegengehalten werden<br />

können 113 . 114<br />

108<br />

Streinz, Rn. 941.<br />

109<br />

Kluth/Rieger, GewArch 2006, 1, 2.<br />

110<br />

Hierzu auch Frenz, DVBl 2007, 347, 351.<br />

111<br />

Frenz, DVBl 2007, 347, 348.<br />

112<br />

Vgl. Mankowski, IPrax 2004, 385, 387.<br />

113<br />

Bieber/Epiney, § 15 Rn. 4, 9; BT-Drucks. 16/2460, Tz. 979.<br />

27


Im Gegensatz zur <strong>Die</strong>nstleistungsrichtlinie ist in der RL <strong>2005</strong>/<strong>36</strong>/<strong>EG</strong> auch kein eige-<br />

nes Kapitel für die Sicherstellung der Qualität von <strong>Die</strong>nstleistungen zum Schutz der<br />

Verbraucher als ein wichtiges Allgemeininteresse vorgesehen, insbesondere kein<br />

vergleichbarer Artikel zu Art. 26 der <strong>Die</strong>nstleistungsrichtlinie, nach dem die Mit-<br />

gliedstaaten zusammen mit der Kommission Maßnahmen ergreifen sollen, die die<br />

<strong>Die</strong>nstleistungserbringer ermutigen, freiwillig die Qualität ihrer <strong>Die</strong>nstleistungen zu<br />

wahren.<br />

Daher sollten die Mitgliedstaaten das von ihnen als adäquat angesehene Mindestniveau<br />

der notwendigen Qualifikation insbesondere für die noch nicht reglementierten<br />

Berufe, die unter die allgemeine Regelung der Art. 10 ff. RL <strong>2005</strong>/<strong>36</strong>/<strong>EG</strong> fallen, festlegen,<br />

um die Qualität der in ihrem Gebiet zu erbringenden Leistungen zu sichern. 115<br />

<strong>Die</strong>sbezüglich ist aber zu bedenken, dass die Bewertung einer <strong>Die</strong>nstleistung als qualitativ<br />

hochwertig immer auch von der subjektiven Beurteilung der (potenziellen)<br />

<strong>Die</strong>nstleistungsempfänger abhängt. Qualität umfasst daher alle Eigenschaften einer<br />

<strong>Die</strong>nstleistung, die sie unmittelbar kennzeichnen oder auch nur in einem mittelbaren<br />

Zusammenhang mit ihr stehen und die vom Nachfrager auf irgendeine Art und Weise<br />

wertgeschätzt werden, sei es die Schnelligkeit Leistungserbringung, haltbares Verarbeitungsmaterial,<br />

der persönliche Umgang des <strong>Die</strong>nstleistungserbringers mit seinen<br />

Kunden oder auch eine geschmackvolle Einrichtung der Büroräume. 116<br />

<strong>Die</strong> den Mitgliedstaaten auferlegte Pflicht zur gegenseitigen Anerkennung eröffnet<br />

die Chance, dass Berufsträger auch ohne eine aufwendige Anpassung an die unterschiedlichen<br />

nationalen Rechtsordnungen ihre <strong>Die</strong>nstleistungen ungehindert grenzüberschreitend<br />

erbringen können, 117 sodass gleichzeitig die Nachfrager aus einem<br />

breiten Angebot von <strong>Die</strong>nstleistungen unterschiedlicher Art und Standards und folglich<br />

auch Preisen auswählen können. 118 Hierdurch könnte der Wettbewerb der nationalen<br />

Rechtsordnungen um die mobilen Produktfaktoren belebt und auf diesem Weg<br />

Anreize geschaffen werden, die Leistungsqualität zu verbessern, kosteneffektiver<br />

und -effizienter zu arbeiten sowie innovative <strong>Die</strong>nstleistungen anzubieten. 119 Gleichzeitig<br />

könnten Hemmnisse bezüglich der <strong>Die</strong>nstleistungserbringung abgesenkt werden,<br />

wodurch eine Verschmelzung der nationalen Märkte zu einem einheitlichen<br />

114<br />

Deshalb fordert die Monopolkommission in ihrem 31. Sondergutachten (S. 6) die Abschaffung des<br />

großen Befähigungsnachweises im Bereich des Handwerks (Meisterprüfung) als Voraussetzung für<br />

den Marktzutritt.<br />

115<br />

11. Erwägungsgrund zur RL <strong>2005</strong>/<strong>36</strong>/<strong>EG</strong>; Frenz, DVBl 2007, 347, 350.<br />

116<br />

BT-Drucks. 16/2460, Tz. 939.<br />

117<br />

Basedow, EuZW 2004, 423.<br />

118<br />

Kluth/Rieger, GewArch 2006, 1, 2.<br />

119<br />

BT-Drucks. 16/2460, Tz. 888.<br />

28


Markt effektiver verwirklicht werden kann. 120 <strong>Die</strong>s soll positive Wohlfahrtseffekte<br />

für den gesamten europäischen Raum nach sich ziehen und somit die Wirtschaft der<br />

Gemeinschaft insgesamt fördern. 121<br />

Dabei schließt das in der RL <strong>2005</strong>/<strong>36</strong>/<strong>EG</strong> verankerte Prinzip der gegenseitigen Anerkennung<br />

eine (weitergehende) Harmonisierung nicht aus. Vielmehr kann es auf den<br />

Ergebnissen des Wettbewerbs der einzelnen Jurisdiktionen aufbauen. 122 Durch diesen<br />

Wettbewerb wird auch dem Subsidiaritätsgrundsatz des Art. 5 II <strong>EG</strong>V, nach dem die<br />

Gemeinschaft auf einem Gebiet, dass nicht in ihre ausschließliche Zuständigkeit fällt,<br />

nur tätig werden darf, sofern und soweit die Ziele der in Betracht gezogenen Maßnahmen<br />

auf Gemeinschaftsebene besser als auf mitgliedstaatlicher Ebene erreicht<br />

werden können, ebenfalls Genüge getan, sodass die bezüglich der RL <strong>2005</strong>/<strong>36</strong>/<strong>EG</strong><br />

aufgekommene Kritik, sie würde einen Angriff auf die mitgliedstaatliche Souveränität<br />

oder sogar eine Kompetenzüberschreitung der <strong>EG</strong> darstellen, nicht greifen<br />

kann. 123 Der Wettbewerb zwischen den Mitgliedstaaten schützt diese vor einer zu<br />

umfassenden zentralisierten Regelung und eröffnet eine leichtere und schnellere Anpassung<br />

der nationalen Rechtslage an sich ändernde Umstände als ein aufwändiges<br />

Rechtssetzungsverfahren auf Gemeinschaftsebene. Als weitere Konsequenz ergibt<br />

sich, dass die unterschiedlichen Berufsträger sich die Rechtsordnung suchen können,<br />

die ihren Anforderungen, aber auch ihren Erwartungen am ehesten entspricht. 124<br />

Dementsprechend ist aber auch denkbar, dass viele Unionsbürger oder Bürger von<br />

Drittstaaten in einem Mitgliedstaat oder Drittstaat ihre Ausbildung absolvieren, in<br />

dem der Qualitätsstandard nicht so hoch angesetzt und die Ausbildung dementsprechend<br />

einfacher bzw. schneller ist, um sich danach den Zugang zum Markt eines<br />

anderen Mitgliedstaates mit einem höher angesetzten Qualifikationsstandard zu verschaffen.<br />

<strong>Die</strong> hierdurch bedingten wirtschaftlichen Nachteile für den „Ausbildungsstaat“<br />

wie insbesondere die Kosten der Ausbildung oder auch eventuell befürchtete<br />

Nachteile für seine „Reputation“ könnte dieser nun dadurch zu vermeiden versuchen,<br />

dass er seine Anforderungen an die Berufsausbildung auf ein Level erhöht, dass über<br />

denen der anderen Mitgliedstaaten liegt. Somit könnte es zu einer dem „race to the<br />

bottom“ gegenläufigen Entwicklung eines „race to the top“ kommen, die eventuell<br />

120 Basedow, EuZW 2004, 423.<br />

121 Kugelmann, EuZW <strong>2005</strong>, 327.<br />

122 Kluth/Rieger, GewArch 2006, 1 ff.<br />

123 Kluth/Rieger, GewArch 2006, 1, 2.<br />

124 Mankowski, IPrax 2004, 385, 387.<br />

29


nicht nur zu einer wünschenswerten Qualitätssicherung führt 125 , sondern schon zu<br />

einer „Qualitätsübersicherung“ bzw. einem überhöhten Qualitätsniveau. Wenn dem-<br />

zufolge von einer <strong>Die</strong>nstleistung ausschließlich eine qualitativ hochwertige Version<br />

angeboten wird, und qualitativ höherwertige Produkte in der Regel teurer sind als<br />

minderwertige, könnte dieses Qualitätsniveau gerade dem Ziel eines breiten Zugangs<br />

zur in Rede stehenden <strong>Die</strong>nstleistung entgegenwirken, da viele Nachfrager eventuell<br />

nicht bereit oder nicht in der Lage sind, diese zwar qualitativ hochwertige, aber teure<br />

Leistung in Anspruch zu nehmen. 126 Andererseits wirkt die Regelung des Art. 11 RL<br />

<strong>2005</strong>/<strong>36</strong>/<strong>EG</strong> eben dieser Qualitätsübersicherung sowie auf der Gegenseite der Qualitätsnivellierung<br />

nach unten entgegen, indem er die Berufsqualifikationen in fünf feste<br />

Kategorien je nach Länge und Niveau der Ausbildung einstuft.<br />

Ebenfalls ist das Risiko der Abwanderung von <strong>Die</strong>nstleistungserbringern aus Hochstandardländern<br />

infolge des Abbaus von Importschranken in diesen Ländern 127 und<br />

die Gefahr des sog. qualification shopping eingeschränkt. Hierunter versteht man die<br />

Umgehung des Qualifikationsniveaus im Herkunftsland durch eine Anerkennung der<br />

Berufsausübungsberechtigung mit geringerem Niveau in einem Nachbarland (die<br />

grundsätzlich durch Art. 13 I 2 b) RL <strong>2005</strong>/<strong>36</strong>/<strong>EG</strong> ermöglicht wird 128 ), um dann gegebenenfalls<br />

eine nachfolgende Anerkennung im Herkunftsland zu fordern. 129<br />

<strong>Die</strong>se Prävention ist insbesondere der durch die RL <strong>2005</strong>/<strong>36</strong>/<strong>EG</strong> den Mitgliedstaaten<br />

eingeräumten Möglichkeit, den Berufsträgern im Falle einer Niederlassung im Aufnahmestaat<br />

Ausgleichsmaßnahmen aufzuerlegen – wenn auch nur bei wesentlicher<br />

Unterschreitung des verlangten Niveaus –, zu verdanken. Auch die Bildung der gemeinsamen<br />

Plattformen, mit denen erhebliche Unterschiede bezüglich der Ausbildungsanforderungen<br />

in den verschiedenen Mitgliedstaaten festgestellt und ausgeglichen<br />

werden können, und die damit die gegenseitige Anerkennung auf der Basis eines<br />

gemeinsamen Standards erleichtern, spielt dabei eine große Rolle für die Sicherstellung<br />

der Qualität der <strong>Die</strong>nstleistungen. Darüber hinaus besteht eine Pflicht der<br />

<strong>Die</strong>nstleistungserbringer, die Kunden bzw. Verbraucher über die eigenen Qualifikationen<br />

zu unterrichten. 130 Zudem sollen die Aufnahme- und Herkunftsmitgliedstaaten<br />

gemäß Art. 56 RL <strong>2005</strong>/<strong>36</strong>/<strong>EG</strong> Informationen über Sachverhalte, die sich auf die<br />

125<br />

So Körber, S. 31 f., der durch den Wettbewerb der Rechtsordnungen die Chance eröffnet sieht,<br />

mitgliedstaatliche Überregulierung abzubauen, da Deregulierung mehr Raum für Privatautonomie<br />

schaffe.<br />

126<br />

BT-Drucks. 16/2460, Tz. 937 f.<br />

127<br />

Mankowski, IPrax 2004, 385, 386.<br />

128<br />

Mann, EuZW 2004, 615, 617.<br />

129<br />

S. dazu den12. Erwägungsgrund zur RL <strong>2005</strong>/<strong>36</strong>/<strong>EG</strong>.<br />

130<br />

Rühle, http://www.gruene-europa.de/cms/presse/dok/68/68309.gegenseitige_ anerkennung_von<br />

_berufsquali.htm, Homepage zuletzt besucht am 7.5.2007.<br />

30


Ausübung der in der Richtlinie erfassten Tätigkeiten auswirken könnten, austau-<br />

schen. Dabei erleichtert insbesondere die Möglichkeit, einen Berufsausweis auf eu-<br />

ropäischer Ebene durch Berufsverbände und -organisationen einzuführen, mit dem<br />

der berufliche Werdegang einer Person dokumentiert wird, den Informationsaus-<br />

tausch zwischen dem Herkunfts- und dem Aufnahmemitgliedstaat. 131<br />

Hieran ist deutlich erkennbar, dass die RL <strong>2005</strong>/<strong>36</strong>/<strong>EG</strong> intendiert, im Rahmen ihrer<br />

Umsetzung in nationales Recht ein ausgeprägtes Informationssystem sowohl zwi-<br />

schen den Mitgliedstaaten untereinander als auch zwischen dem Aufnahmestaat und<br />

dem Berufsträger sowie dem Letzteren und seinem Kunden aufzubauen. Aus grund-<br />

freiheitlicher Perspektive ist dies sinnvoll, da infolge der Ausdehnung der Grundfreiheiten<br />

zu Beschränkungsverboten durch den EuGH grundsätzlich jede mitgliedstaatliche<br />

Beschränkung einer Rechtfertigung bedarf. 132 Als nach den geschriebenen<br />

Rechtfertigungsgründen des Art. 46 <strong>EG</strong>V (ggf. i. V. m. Art. 55 <strong>EG</strong>V) zu prüfende<br />

ungeschriebene Rechtfertigungsgründe sind dabei die zwingenden Gründe des Allgemeinwohls<br />

seit dem „Cassis de Dijon“ 133 -Urteil anerkannt, die u. a. im Verbraucher-,<br />

Umwelt- und Gesundheitsschutz oder dem Schutz der öffentlichen Ordnung<br />

bestehen können. Ferner sind bei der Prüfung der Verhältnismäßigkeit unter dem<br />

Aspekt der Erforderlichkeit Informationspflichten der Marktteilnehmer im Vergleich<br />

zu inhaltlich zwingenden Regelungen bezüglich der Anforderungen an das Produkt<br />

„<strong>Die</strong>nstleistung“ das mildere und in der Regel gleich geeignete Mittel zur Erreichung<br />

dieses Schutzes. 134<br />

Als Folge dieses durch die RL <strong>2005</strong>/<strong>36</strong>/<strong>EG</strong> vorgeschriebenen Informationsaustausch<br />

wird nun eine umfassende Markttransparenz gewährleistet. Ökonomisch betrachtet<br />

spielt die Markttransparenz eine entscheidende Rolle bei dem Abbau einer asymmetrischen<br />

Informationsverteilung. <strong>Die</strong>se liegt vor, wenn bei einer Transaktion eine der<br />

beteiligten Personen über mehr Informationen verfügt als die andere. 135 In Bezug auf<br />

die Qualität von <strong>Die</strong>nstleistungen ist dies in der Regel derjenige, der die <strong>Die</strong>nstleistung<br />

erbringt. <strong>Die</strong> <strong>Die</strong>nstleistungsempfänger sind oft nicht in der Lage, die Qualität<br />

der Leistung oder ihren Bedarf hiernach hinreichend genau einzuschätzen, da sie die<br />

Beschaffenheit der angebotenen <strong>Die</strong>nstleistung oder die fachlichen Fähigkeiten bzw.<br />

die Qualifikation des Anbieters nicht ausreichend beurteilen können. 1<strong>36</strong><br />

131<br />

32. Erwägungsgrund zur RL <strong>2005</strong>/<strong>36</strong>/<strong>EG</strong>.<br />

132<br />

Kluth/Rieger, GewArch 2006, 1, 2; dies., aktuelle Stellungnahmen 3/05, IFK, S. 4 f.<br />

133<br />

EuGH, Rs. 120/78, a. a. O.<br />

134<br />

Kluth/Rieger, GewArch, 1, 2.<br />

135<br />

Voigt, S. 102; BT-Drucks. 16/2460, Tz. 916.<br />

1<strong>36</strong><br />

BT-Drucks. 16/2460, Tz. 916 f.<br />

31


Hieraus kann sich die Gefahr ergeben, dass der <strong>Die</strong>nstleistungserbringer weniger<br />

Qualität bewirkt als optimal wäre bzw. die Leistungsempfänger entweder ihre Nach-<br />

frage nach der angebotenen <strong>Die</strong>nstleistung senken oder von vornherein nur eine geringe<br />

Gegenleistung bieten, da sie mit einem solchen Qualitätsmangel rechnen. Insbesondere<br />

können diese Effekte bei nur gelegentlich im Ausland tätig werdenden<br />

Leistungserbringern auftreten, da ihnen aufgrund der geringen Wahrscheinlichkeit<br />

einer Wiederbegegnung Anreize fehlen, durch die Erbringung qualitativ hochwertiger<br />

<strong>Die</strong>nstleistungen Reputation aufzubauen. 137 <strong>Die</strong>s kann dazu führen, dass für bestimmte,<br />

qualitativ hochwertige Leistungen überhaupt kein Markt mehr vorhanden<br />

ist, was man als „adverse Selektion“ bezeichnet. 138<br />

Um diesem unerwünschten Ergebnis und damit einer Qualitätssenkung vorzubeugen,<br />

kann beim Aufkommen einer asymmetrischen Informationsverteilung als Form eines<br />

Marktversagens eine Regulierung notwendig sein, die durch die neue RL<br />

<strong>2005</strong>/<strong>36</strong>/<strong>EG</strong> vor allem in Gestalt der Setzung von Mindeststandards geschaffen wird.<br />

Auch könnte die (freiwillige) Schaffung einheitlicher Zertifizierungen auf europäischer<br />

Ebene dieser Entwicklung entgegenwirken.<br />

IV. Fehlende (weitergehende) Harmonisierung<br />

Das in die RL <strong>2005</strong>/<strong>36</strong>/<strong>EG</strong> bezüglich des Marktzugangs aufgenommene Prinzip der<br />

gegenseitigen Anerkennung ist nicht ohne weiteres anwendbar auf den Gebieten, auf<br />

denen eine Harmonisierung erforderlich ist, beispielsweise für einige besonders sensible<br />

Berufe wie etwa Ärzte, Apotheker, Hebammen oder Architekten. In diesen Bereichen<br />

ist teilweise schon eine Harmonisierung in gewissem Umfang erfolgt, wie<br />

oben bereits erwähnt 139 , jedoch setzt die gegenseitige Anerkennung ihrerseits eine<br />

wesentliche Gleichwertigkeit der Standards z. B. im Verbraucher-, Gesundheits- und<br />

Umweltschutz voraus. 140 Bevor also überhaupt erst eine gegenseitige Anerkennung<br />

der Qualifikationen in diesen Bereichen in Betracht kommt, ist eine gewisse Mindestharmonisierung<br />

für die Ermöglichung eines Wettbewerbs erforderlich, die es den<br />

Mitgliedstaaten erleichtert, bei den noch verbleibenden Divergenzen Toleranz, Akzeptanz<br />

sowie Vertrauen gegenüber dem in einem anderen Mitgliedstaat geltenden<br />

Recht zu zeigen. 141 <strong>Die</strong>ses Mindestmaß an positiver Rechtsangleichung verkörpert<br />

die RL <strong>2005</strong>/<strong>36</strong>/<strong>EG</strong> an sich, da sie als Basis für die gegenseitige Anerkennung der<br />

137<br />

Mankowski, IPrax 2004, 385, 390.<br />

138<br />

Voigt, S. 103; Mankowski, IPrax 2004, 385, 386 f.; BT-Drucks. 16/2460, Tz. 919 ff.<br />

139<br />

S. dazu S. 13 f.<br />

140<br />

Mankowski, IPrax 2004, 385, 393.<br />

141<br />

Basedow, EuZW 2004, 423.<br />

32


Berufsqualifikationen gewisse Mindestanforderungen z. B. an die Ausbildung der<br />

<strong>Die</strong>nstleistungserbringer stellt. 142<br />

Jedoch könnte sich als Konsequenz der durch die RL <strong>2005</strong>/<strong>36</strong>/<strong>EG</strong> geschaffenen<br />

Mindeststandards bei gleichzeitigem Verzicht auf einen Ausbau der Harmonisierung<br />

der Ausbildungsgänge in einigen Berufsfeldern auch ergeben, dass sich die mitglied-<br />

staatlichen Ausbildungsstandards jeweils in eine völlig unterschiedliche Richtung<br />

entwickeln und damit auch die Leistungsprofile der Migranten. Folglich könnte es –<br />

entgegen der von der RL <strong>2005</strong>/<strong>36</strong>/<strong>EG</strong> angestrebten Stärkung der Freizügigkeitsrechte<br />

– zu einer faktischen Behinderung der Mobilität der <strong>Die</strong>nstleistungserbringer kom-<br />

men. Denn ein Arbeitgeber aus einem Mitgliedstaat mit einem vergleichbar hohen<br />

Ausbildungsstandard, der an diesen höheren Qualifikationsstandard gewöhnt ist,<br />

wird höchstwahrscheinlich Arbeitnehmer aus einem Mitgliedstaat mit einem niedri-<br />

geren Qualifikationsstandard nicht einstellen. 143<br />

F. Resümee<br />

Insgesamt lässt sich festhalten, dass der für die RL <strong>2005</strong>/<strong>36</strong>/<strong>EG</strong> gewählte sektorüber-<br />

greifende Ansatz trotz der dargelegten Bedenken grundsätzlich geeignet ist, aus dem<br />

„Flickenteppich“ 144 der vorher bestehenden Richtlinien bezüglich der Anerkennung<br />

von Berufsqualifikationen einen einheitlichen und kohärenten Rechtsrahmen zu<br />

schaffen, der im Sinne einer Deregulierung allein schon durch die Konsolidation der<br />

Vielzahl von Richtlinien erheblich zur Rechtsklarheit und daher -sicherheit bei-<br />

trägt. 145 Durch die speziellen Vorschriften z. B. zur besonders sensiblen Berufsgrup-<br />

pe der Ärzte oder Krankenschwestern bzw. Krankenpflegern ist der Versuch unter-<br />

nommen worden, einer Nivellierung durch die Berücksichtigung der Besonderheiten<br />

zumindest dieser Berufe entgegenzuwirken.<br />

Gerade durch die Zusammenführung der vielen Berufe in eine einzige Richtlinie<br />

wird den Berufsangehörigen dieser reglementierten Berufe die Möglichkeit geboten,<br />

vom in der RL <strong>2005</strong>/<strong>36</strong>/<strong>EG</strong> statuierten, relativ einfachen Berufsanerkennungssystem<br />

zu profitieren. Im Gegensatz dazu war vorher nur für insgesamt acht Berufe, die nun<br />

unter die automatische Anerkennung nach Kapitel III des Titels III der RL<br />

<strong>2005</strong>/<strong>36</strong>/<strong>EG</strong> fallen, die gegenseitige Anerkennung der Berufsqualifikation durch spezielle<br />

Richtlinien geregelt. <strong>Die</strong> bedeutendste Neuheit der Richtlinie besteht also in-<br />

142<br />

Kluth/Rieger, aktuelle Stellungnahmen 3/05, IFK, S. 4.<br />

143<br />

Henssler, EuZW 2003, 229, 233.<br />

144<br />

Henssler, EuZW 2003, 229.<br />

145<br />

Bettin, http://www.g-bettin.de/cms/default/dok/46/46188.rede_zur_anerkennung_von_berufsqualifika.<br />

htm, Homepage zuletzt besucht am 6.5.2007.<br />

33


haltlich in einer Regelung der Anerkennung von Berufsqualifikationen für alle reg-<br />

lementierten Berufe, die vorher noch nicht von einer sektoralen Richtlinie erfasst<br />

waren, und die nun der allgemeinen einheitlichen Auffangregelung des Kapitels I,<br />

Titel III der RL <strong>2005</strong>/<strong>36</strong>/<strong>EG</strong> unterfallen, sowie in der vereinfachten Struktur der<br />

Verwaltungsverfahren. 146<br />

<strong>Die</strong> durch diesen horizontalen Ansatz notwendigerweise entstehende Komplexität<br />

und Undurchsichtigkeit der RL <strong>2005</strong>/<strong>36</strong>/<strong>EG</strong> kann dabei durch Informationen abge-<br />

baut werden, die die mitgliedstaatlichen Kontaktstellen den Bürgern und den Kon-<br />

taktstellen der anderen Mitgliedstaaten vermitteln. 147 Zwar ist das Verfahren zur An-<br />

erkennung nicht so vereinfacht wie bei der <strong>Die</strong>nstleistungsrichtlinie, da die Kontaktstellen<br />

als „einheitliche Ansprechpartner“ nur Informationen über die Anerkennung<br />

geben, nicht jedoch das Anerkennungsverfahren selbst koordinieren. Jedoch wird<br />

allein schon durch den Informationsaustausch das gegenseitige Vertrauen zwischen<br />

den Mitgliedstaaten, das der im Rahmen des Marktzugangs geltenden gegenseitigen<br />

Anerkennung als notwendige Basis dient, gestärkt. <strong>Die</strong>ses Vertrauen, das die Mitgliedstaaten<br />

der Rechtsordnung eines anderen Mitgliedstaates entgegenbringen sollten,<br />

ist dadurch gerechtfertigt, dass sämtliche Mitgliedstaaten der Europäischen Union<br />

über hochentwickelte Rechtssysteme verfügen, die den gleichen Werten verpflichtet<br />

sind, Art. 6 I, II EUV. So können die Mitgliedstaaten zulassen, dass ausländische<br />

Wirtschaftsteilnehmer nicht die innerstaatlichen Standards einhalten, solange<br />

sie die Standards ihres Herkunftslandes erfüllen. 148<br />

Für die gegenseitige Anerkennung zum Zwecke des Marktzutritts gilt dabei im Rahmen<br />

einer Gesamtbetrachtung der Richtlinie ein abgestuftes System, das sowohl zwischen<br />

den beiden Möglichkeiten der <strong>Die</strong>nstleistungserbringung – entweder mit Niederlassung<br />

im Ausland oder im Inland – unterscheidet, als auch innerhalb der letzteren<br />

Möglichkeit, also durch Inanspruchnahme der primärrechtlichen Niederlassungsfreiheit,<br />

nochmals zwischen den unterschiedlichen Berufsgruppen nach dem Grad<br />

ihrer bereits erfolgten Harmonisierung differenziert und hieran unterschiedliche Anforderungen<br />

an die Berufsqualifikation für ihre Anerkennung knüpft. 149<br />

Probleme könnten sich jedoch daraus ergeben, dass die RL <strong>2005</strong>/<strong>36</strong>/<strong>EG</strong> lediglich<br />

dieses allgemein geltende Anerkennungssystem einführt, ohne aber eine weitere<br />

Harmonisierung und Koordinierung der Qualifikationsanforderungen für die reglementierten<br />

Berufe anzustreben. Sie setzt im Bereich des Marktzugangs ausschließ-<br />

146 Kluth/Rieger, EuZW <strong>2005</strong>, 486, 491.<br />

147 Kluth/Rieger, EuZW <strong>2005</strong>, 486, 490.<br />

148 Grabitz/Hilf, Art. 47 <strong>EG</strong>V, Rn. 17.<br />

149 Kluth/Rieger, EuZW <strong>2005</strong>, 486, 491.<br />

34


lich auf ein Mindestmaß an Harmonisierung und Standardisierung der Ausbildungs-<br />

gänge. Insbesondere bezüglich der kaum bzw. überhaupt nicht harmonisierten Be-<br />

rufsfelder erscheint die von der RL <strong>2005</strong>/<strong>36</strong>/<strong>EG</strong> statuierte Anerkennungspflicht sehr<br />

weitreichend. 150<br />

Jedoch ist, wie oben dargelegt, der bereits in der Vergangenheit gemachte Versuch<br />

einer Vereinheitlichung der Qualifikationsstandards gescheitert und zudem wird ge-<br />

rade durch die Kategorisierung der Ausbildungsniveaus, der Berücksichtigung von<br />

Berufserfahrung und der Möglichkeit von Ausgleichsmaßnahmen weitestgehend die<br />

Gleichwertigkeit der anerkannten nationalen Berufsqualifikationen sichergestellt. <strong>Die</strong><br />

Forderung nach einer möglichst vollständigen Vereinheitlichung der nationalen<br />

Rechtsvorschriften 151 , die zudem im Vergleich zur gegenseitigen Anerkennung verstärkt<br />

in die durch Art. 5 I, II <strong>EG</strong>V gewährleistete Regelungshoheit der Mitgliedstaaten<br />

eingreifen würde, ist also unbegründet. 152 Ferner hat die gegenseitige Anerkennung<br />

im Gegensatz zu einer umfassenden Harmonisierung den Vorteil, dass sie nationale<br />

Eigentümlichkeiten und Besonderheiten unter dem Motto „kulinarische Vielfalt<br />

statt europäischem „Einheitsbrei“ beibehält, statt diesen einem gemeinschaftlichen<br />

Anpassungsdruck auszusetzen. 153<br />

<strong>Die</strong> <strong>Berufsanerkennungsrichtlinie</strong> ist daher durchaus in der Lage, die Balance zwischen<br />

der Gewährleistung eines möglichst hohen Qualifikationsniveaus und der Mobilität<br />

der Fachkräfte einerseits sowie qualitativ hochstehender Bildung und der Achtung<br />

der Interessen der <strong>Die</strong>nstleistungsempfänger und der mitgliedstaatlichen Souveränität<br />

andererseits zu halten. Letztlich bleibt abzuwarten, ob sich die Hoffnungen<br />

der europäischen Normgeber, durch die Anerkennung der Berufsqualifikationen anhand<br />

der RL <strong>2005</strong>/<strong>36</strong>/<strong>EG</strong> den Weg hin zu der möglichst umfassenden Verwirklichung<br />

des Binnenmarktes zu ebnen, um die Europäische Union bis 2010 zum wettbewerbsfähigsten<br />

und dynamischsten wissensbasierten Wirtschaftsraum der Welt<br />

und damit zum Vorbild für den wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Fortschritt<br />

in der Welt zu machen, realisieren lassen.<br />

150 Henssler, EuZW 2003, 229, 232.<br />

151 Henssler, EuZW 2003, 229, 232.<br />

152 Grabitz/Hilf, Art. 47 <strong>EG</strong>V, Rn. 17.<br />

153 Streinz, Rn. 9<strong>36</strong>.<br />

35

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