100 Jahre Entwicklung 1901 - UniversitätsSpital Zürich
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Stefan<br />
Zbinden<br />
Bis zum Ende des Zweiten<br />
Weltkrieges hat die Schweiz die<br />
Anästhesiologie als Spezialfach<br />
ignoriert. Die seit 1847 gebräuchliche<br />
Äthertropfnarkose blieb weitgehend<br />
unverändert bis in die fünfziger<br />
<strong>Jahre</strong> des 20. Jahrhunderts<br />
hinein das Standardnarkoseverfahren.<br />
Die Narkose war Sache des<br />
Chirurgen, der sie dem jüngsten<br />
Assistenten oder einer ihm ergebenen<br />
Schwester anvertraute. Wahloperationen<br />
in Narkose jenseits<br />
des 40. Lebensjahres wurden auf<br />
Grund des erheblichen Anästhesierisikos<br />
kaum ausgeführt.<br />
Karl Zimmermann 1 berichtet<br />
über seinen ersten Kontakt mit der<br />
Anästhesie: “Der Schreibende<br />
selbst machte seine ersten Narkosen<br />
1943 als Unterassistent der<br />
chirurgischen Universitätsklinik<br />
Basel nach dem ersten klinischen<br />
Semester unter Anleitung der Narkoseschwester:<br />
Chloräthyl-Äther-<br />
Tropfnarkosen und sogar eine<br />
Äthernarkose mit dem Ombredanne-Gerät<br />
2 am fürchterlich Schleim<br />
produzierenden Patienten mit der<br />
legendären ‚gesunden, leicht bläulichen<br />
Gesichtsfarbe’. Das<br />
Erfolgserlebnis bestand vor allem<br />
darin, als Narkotiseur aus dem<br />
Alptraum wieder erwacht zu sein.”<br />
Die Situation war nach dem 2.<br />
Weltkrieg am Kantonsspital <strong>Zürich</strong><br />
nicht anders. In der Chirurgischen<br />
Klinik unter der Direktion von<br />
Die Gründung von Lehrstuhl<br />
und Institut für Anästhesiologie<br />
an der Universität <strong>Zürich</strong><br />
im <strong>Jahre</strong> 1966<br />
Prof. Alfred Brunner, 1890-1972,<br />
pflegte man vor allem die Lokalanästhesie,<br />
da die Narkose unter<br />
den damaligen Umständen als<br />
gefährlich galt. Grosse, ausgedehnte<br />
Operationen, in den <strong>Jahre</strong>n<br />
ab 1942 sogar Thorakotomien,<br />
wurden dem Patienten im Wachzustand<br />
zugemutet.<br />
Ganz anders die Situation im<br />
angloamerikanischen Raum. Dort<br />
war die Durchführung der Narkose<br />
seit jeher dem Arzt vorbehalten. In<br />
England, Amerika und Kanada gab<br />
es Anästhesiefachärzte und -fachgesellschaften<br />
schon lange vor<br />
dem 2. Weltkrieg. Die Verbesserungen<br />
der Anästhesie in diesen<br />
Ländern ermöglichten enorme<br />
Fortschritte in der Chirurgie. Am<br />
augenfälligsten war dies auf dem<br />
jungen Gebiet der Thoraxchirurgie.<br />
Besonders krass trat der Vorsprung<br />
nach dem Ende des 2.<br />
Weltkrieges mit der Wiederaufnahme<br />
von Kontakten mit dem<br />
angelsächsischen Sprachraum<br />
zutage. Schweizer Chirurgen reisten<br />
nach England und Amerika<br />
und stellten einen erheblichen<br />
Rückstand der Chirurgie auf dem<br />
Kontinent fest. Sie erkannten, dass<br />
wesentliche Fortschritte in der<br />
Chirurgie nur über die Einführung<br />
einer modernen Narkose möglich<br />
waren.<br />
Der Begriff der modernen<br />
Anästhesie oder der neuzeitlichen<br />
Anästhesie hatte sich in der<br />
deutschsprachigen Literatur nach<br />
dem Ende des 2. Weltkrieges fest<br />
etabliert. In gewisser Hinsicht<br />
wurde darunter die Gesamtheit der<br />
technischen und methodischen<br />
Neuerungen verstanden, die aus<br />
dem englischsprachigen und skandinavischen<br />
Raum eingeführt worden<br />
sind. So zum Beispiel die<br />
endotracheale Intubation, die Kohlensäureabsorption,<br />
geschlossene<br />
Narkosesysteme, Muskelrelaxation<br />
mit Curare, Beatmung, Schockbekämpfung<br />
und das Führen eines<br />
Narkoseprotokolls. Von viel grösserer<br />
Bedeutung war die Tatsache,<br />
dass die moderne Narkose Ausdruck<br />
eines neuen Fachgebietes<br />
war, welches auf wissenschaftlicher<br />
Grundlage basierte und eine<br />
fachliche Spezialisierung der auf<br />
diesem Gebiet tätigen Ärzte verlangte.<br />
1 Dr. med. Karl Zimmermann, 1922-<br />
1999, war von 1951 bis 1975 Leiter der<br />
Anästhesie am Rotkreuzspital in<br />
<strong>Zürich</strong>. Danach war er bis zur Pensionierung<br />
1987 vollamtlicher Zentralpräsident<br />
der Verbindung der Schweizer<br />
Ärzte FMH.<br />
2 Louis Ombredanne, 1871-1956, Chirurg<br />
in Paris, hat 1908 einen Narkoseapparat<br />
mit Pendelatmung entwickelt,<br />
bei dem es erstmals möglich war, ein<br />
Luft-Äthergemisch grob quantitativ zu<br />
dosieren und kontinuierlich zu applizieren.<br />
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