100 Jahre Entwicklung 1901 - UniversitätsSpital Zürich
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Th. Pasch, E.R. Schmid, A. Zollinger Vorwort<br />
Vorwort<br />
In der Mitte der vierziger <strong>Jahre</strong><br />
des 19. Jahrhunderts wurde die epochale<br />
Entdeckung gemacht, dass<br />
durch das Einatmen geeigneter Gase<br />
ein Zustand erzeugt werden kann,<br />
der durch eine vollständige, aber<br />
zeitlich begrenzte Ausschaltung des<br />
Bewusstseins, der Erinnerung und<br />
jeglicher Wahrnehmung von Sinneseindrücken<br />
- und seien sie noch so<br />
schmerzhafter Natur - gekennzeichnet<br />
ist und deshalb ein völlig<br />
schmerzloses Operieren ermöglicht.<br />
Dieser Zustand erhielt schon bald<br />
den Namen Anästhesie, wurde aber<br />
im deutschen Sprachraum meistens<br />
als Narkose bezeichnet. Schon<br />
damals war es nicht schwer vorauszusagen,<br />
dass mit dieser Entdeckung<br />
eine der grundlegenden Voraussetzungen<br />
für die <strong>Entwicklung</strong><br />
der Chirurgie bis zu ihrem heutigen<br />
Standard geschaffen war. Seit diesem<br />
historisch gut eingrenzbaren<br />
Anfang ist die Anästhesie zur hochspezialisierten<br />
Fachdisziplin Anästhesiologie<br />
mit wissenschaftlicher<br />
und klinischer Eigenständigkeit<br />
geworden und über ihren Ursprung,<br />
das Erzeugen einer Anästhesie für<br />
eine Operation, weit hinaus gewachsen:<br />
Indem sie auf die <strong>Entwicklung</strong><br />
der perioperativen Patientenbetreuung,<br />
der Intensiv- und Notfallmedizin<br />
sowie der Behandlung akuter<br />
und chronischer Schmerzen entscheidenden<br />
Einfluss genommen<br />
hat, sind diese Arbeitsbereiche ungeachtet<br />
ihres interdisziplinären Charakters<br />
zu konstituierenden Teilen<br />
der Anästhesiologie geworden.<br />
Zweifellos hat der letzte Jahrhundert-<br />
und Jahrtausendwechsel unserer<br />
Neigung, geschichtliche Prozesse<br />
mittels säkularer Zäsuren zu analysieren<br />
oder zumindest in säkularen<br />
Dimensionen essayistisch auszuleuchten,<br />
Vorschub geleistet. Der<br />
Anlass, am 23. November 2001 ein<br />
Symposium mit dem Titel “Anästhesie<br />
in <strong>Zürich</strong> - <strong>100</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Entwicklung</strong>”<br />
zu veranstalten und die Beiträ-<br />
ge in diesem Verhandlungsband zu<br />
publizieren, war, dass das Jahr 2001<br />
für die Anästhesiologie gerade in<br />
<strong>Zürich</strong> eine konkrete Bedeutung hat,<br />
die für die <strong>Entwicklung</strong> des Fachgebietes<br />
charakteristisch ist und über<br />
den lokalen Bezug hinausweist.<br />
<strong>1901</strong><br />
Im <strong>Jahre</strong> <strong>1901</strong> veröffentlichte Dr.<br />
Ernest Overton, ein junger Zürcher<br />
Wissenschaftler, der Privatdozent der<br />
Biologie und Assistent der Botanik<br />
an der Zürcher Universität war, ein<br />
Buch mit dem Titel “Studien zur<br />
Narkose”. In diesem Werk beschrieb<br />
er eine umfassende Theorie der Narkose,<br />
die wegweisend war und auch<br />
heute noch aktuell ist. Im ersten Beitrag<br />
beschreibt G. Kreienbühl den<br />
Lebensweg Overtons, der sehr<br />
modern anmutet, denn er führte von<br />
Schottland über <strong>Zürich</strong> und Deutschland<br />
nach Schweden. Inwieweit<br />
Overtons Theorie heutige, mit<br />
modernen zell- und molekularbiologischen<br />
Methoden erhaltene<br />
Erkenntnisse über die Wirkungsmechanismen<br />
der Anästhesie vorausgesagt<br />
hat, in welchem Grade sie also<br />
noch Gültigkeit beanspruchen und<br />
die Zielrichtung weiterer Forschung<br />
befruchten kann, wird von P. Urban<br />
dargestellt. Eine ganz moderne<br />
Anwendung der vertieften Einsicht<br />
in die Wirkungsweise von Medikamenten<br />
auf das Gehirn beschreibt U.<br />
Rudolf. Seine Arbeitsgruppe hat die<br />
verschiedenen Benzodiazepin-Wirkungen<br />
auf unterschiedliche Subtypen<br />
von Rezeptoren für diese Substanzklasse,<br />
welche auch in der<br />
Anästhesie vielfältig eingesetzt wird,<br />
zurückführen können.<br />
1921<br />
20 <strong>Jahre</strong> nach dem Erscheinen<br />
von Overtons Buch, am 23. November<br />
1921, wurde Professor Georg<br />
Hossli geboren. Er hat mit bewundernswerter<br />
Zielstrebigkeit quasi aus<br />
dem Nichts heraus die Anästhesiologie<br />
am Kantonsspital <strong>Zürich</strong> zu einer<br />
leistungsfähigen klinischen und akademischen<br />
Institution entwickelt.<br />
1951<br />
Nachdem G. Hossli 1950 von<br />
Prof. A. Brunner, dem Chef der<br />
Chirurgischen Klinik des Kantonsspitals<br />
<strong>Zürich</strong> als chirurgischer Assistenzarzt<br />
angestellt worden war,<br />
wurde er ab 1951 vorwiegend im<br />
Anästhesiedienst eingesetzt. Wie in<br />
fast allen kontinentaleuropäischen<br />
Ländern hatte die Anästhesie in der<br />
Schweiz bis zu dieser Zeit einen<br />
deutlichen <strong>Entwicklung</strong>srückstand<br />
gegenüber den angloamerikanischen<br />
Ländern. Massgeblich hierfür war,<br />
dass im Krieg ein internationaler<br />
Austausch extrem erschwert, ja<br />
sogar unmöglich war und die Mehrzahl<br />
der hiesigen Chirurgen jegliche<br />
Eigenständigkeit der Anästhesie<br />
ablehnte. Obendrein war F. Sauerbruch,<br />
der im <strong>Jahre</strong> 1951 starb, als<br />
einflussreichster deutscher Chirurg<br />
ein dezidierter Gegner der Intubationsnarkose,<br />
die am Ende des 2.<br />
Weltkriegs in den angelsächsischen<br />
Ländern und Schweden für alle grösseren<br />
Operationen bereits weit verbreitet<br />
war. In Kontinentaleuropa<br />
blieb deshalb die Äther-Tropfnarkose<br />
lange die dominierende Methode.<br />
Aber in dieser Zeit war bereits die<br />
Chance ergriffen worden, von anderen,<br />
die weiter fortgeschritten waren,<br />
zu lernen, aufzuholen und möglichst<br />
schnell gleichzuziehen. W. Hügin<br />
(Basel) hatte 1947 in Boston die<br />
neuen Methoden erlernt und war<br />
1949 Leiter der Unterabteilung für<br />
Anästhesie am Kantonsspital Basel<br />
geworden. 1951 erschien sein<br />
damals wegweisendes Buch “Die<br />
Grundlagen der Inhalationsnarkose”,<br />
und im selben Jahr gründete er mit<br />
C. Bovay und K. Zeller eine Berufsgemeinschaft<br />
schweizerischer Anästhesiologen,<br />
aus der ein Jahr später<br />
die Schweizerische Gesellschaft für<br />
Anästhesiologie entstand. So markiert<br />
1951 den Beginn der modernen<br />
Anästhesiologie in <strong>Zürich</strong> und der<br />
Schweiz.<br />
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