David Kriegleder, Die Integral-Theorie Ken Wilbers ... - Integral World
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Gesellschaft“ (1955). Im Gegensatz zu Marcuse (und Norbert Elias, wie ich im letzten Kapitel<br />
gezeigt habe) bezieht sich Jürgen Habermas allerdings nicht auf Freud, sondern auf die neueren<br />
entwicklungspsychologischen Ansätze von Jean Piaget und Lawrence Kohlberg. Aufbauend auf<br />
deren Arbeiten zur kognitiven Entwicklung des Menschen versucht Habermas die Ego-<br />
Entwicklung mit Phasen der gesellschaftlichen Evolution zu verknüpfen. Dabei nimmt er sowohl<br />
das 3-Stufenmodell Kohlbergs (Preconventional level - Conventional level - Postconventional<br />
level der Ego-Entwicklung) als auch das 4-Stufenmodell der Kindheitsentwicklung Piagets<br />
(Sensomotorische Phase - Präoperationale Phase – Konkretoperationale Phase –<br />
Formaloperationale Phase) auf, um zu zeigen, dass sowohl Individuen als auch Gesellschaften<br />
diese oder zumindest ähnliche Phasen durchlaufen. 129 Nachweisbare Homologien zwischen<br />
Ontogenese und Phylogenese vermutet Habermas vor allem dort, wo sich Moral und Recht<br />
manifestieren. Während sich der Entwicklungsprozess der Ontogenese – analysierbar an Hand der<br />
individuellen Erkenntnis- Sprach- und Handlungsfähigkeit 130 - als Zunahme der normativenmoralischen<br />
Strukturen des Individuums deuten ließe, drücke sich die Entwicklung in der<br />
Phylogenese sowohl in Form der Evolution von kollektiven Rechts- und Moralvorstellung<br />
(„Weltbildern“) als auch in den dazugehörigen gesellschaftlichen Institutionen des Rechts und der<br />
Moral aus, in denen moralische Urteile über die Handlungen von Individuen zum Ausdruck<br />
kommen. 131 Entscheidend sind für Habermas in diesem Zusammenhang weniger die<br />
„strukturellen Analogien zwischen Weltbildern und (im engeren Sinne) kognitiven Entwicklung,<br />
als vielmehr zwischen Weltbildern und dem System der Ich-Abgrenzung.“ 132<br />
Kurz<br />
zusammengefasst: Habermas stellt die präoperationale Phase der Individualpsychologie der<br />
gattungsgeschichtlichen Entwicklungsstufe gegenüber, in der die Menschen im<br />
Stammesverbänden lebten. Beide Weltauffassungen scheinen nach innen bzw. selbstzentriert:<br />
Beim Kind auf das eigene Ich, beim Stammesverband auf sein Zentrum. <strong>Die</strong> nächste<br />
individualpsychologische Entwicklungsstufe – der konkretoperationalen Phase Piagets – findet<br />
ihre Homologie in den archaischen Kulturen, in denen anstatt von familiären bzw.<br />
Stammesbeziehungen Mythen die Legitimation von Herrschaftsordnungen übernehmen. <strong>Die</strong><br />
weitere Entwicklung zu den Hochkulturen bringt Hochreligionen, Philosophien und<br />
kosmologische Weltbilder hervor, sowie explizit lehrbares Wissen, das zunächst der<br />
Dogmatisierung fähig ist. Langsam verlieren die obersten Prinzipien ihren fraglosen Charakter.<br />
das Bild des bewussten und moralisch autonomen Egos überhaupt noch haltbar sei, und ob nicht dadruch die<br />
Psychologie eigentlich ihre Subtanz verloren hätte - siehe Stirk, 2000, S.89.<br />
129<br />
Ebd. S.90ff.<br />
130<br />
Habermas, 1976, S.14.<br />
131<br />
Vgl ebd. S.13 sowie S.135. – die entwicklungslogisch nachkonstruierbare moralische Insitutionalisierung des<br />
Rechts als Form konsensueller Konfliktregelungen von vorhochkulturellen Gesellschaften, über archaische<br />
und entwickelte Hochkulturen bis zur Moderne.<br />
132<br />
Vgl. ebd. S.18, und in weiter Folge zum Verhätlntis zwischen der Kreation von Ego-Identitäten und<br />
kollektiven Identitäten S.20ff.<br />
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