David Kriegleder, Die Integral-Theorie Ken Wilbers ... - Integral World
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eines multidisziplinären, integrativen Evolutionsgedankens samt seinen Erklärungsmöglichkeiten<br />
die Sozialwissenschaft von ihren postmodernen Fesseln befreien könnte.<br />
Im Hinblick auf die Weiterführung des evolutionistischen Gedankens erscheinen mir die vor<br />
allem von Jürgen Habermas aufgeworfenen Fragen am interessantesten und noch am wenigsten<br />
ausreichend geklärt: Wie und unter welchen Bedingungen ist das menschliche Bewusstsein<br />
entstanden und warum haben sich normative Strukturen als wesentliches Charakteristikum<br />
menschlicher Gesellschaftsorganisation entwickelt? <strong>Die</strong> rein funktionalistische Sichtweise,<br />
wonach eine normativ-soziokulturelle Lebensweise als Folge vergrößerter Lernkapazität und<br />
zunehmender Instinktentbundenheit entstanden sei bzw. entstehen musste, greift letztlich zu kurz,<br />
da sie nicht klären kann, „inwieweit die normative Strukturierung humaner Lebensweise ein<br />
emergentes, gleichzeitig aber auch ein nicht-notwendiges Ergebnis evolutiv vorwegliegender<br />
Bedingungsstrukturen ist.“ 153<br />
Das führt unausweichlich zur Frage, welche Rolle „Bewusstsein“<br />
als „Basisdimension“ der Evolution von Gesellschaften (neben den sonst eher favorisierten<br />
Kategorien von Technologie und Ökonomie) spielen könnte. Folgt man dieser Überlegung, so<br />
stößt man rasch an die Grenzen des sozialwissenschaftlichen Kerngebiets und dringt auch in den<br />
Bereich der Bewusstseinsforschung, der Entwicklungspsychologie und der Moralphilosophie vor<br />
– was eine Ausweitung des Interdisziplinarität verlangt.<br />
Methodischer Kritik sahen sich die diversen evolutionären <strong>Theorie</strong> nicht zuletzt auch dadurch<br />
ausgesetzt, da sie als <strong>Theorie</strong>n nicht dem Ideal der deduktiven Wissenschaft entsprachen (also im<br />
Popperschen Sinn schwer falsifizierbar sind) und statt eines empirischen Gesetzes einen<br />
Mechanismus beschreiben. 154 Hierbei stellt sich allerdings die Frage, ob ein solches Bild der<br />
Wissenschaft, das sich stark am Modell der newtonschen oder galileischen Physik orientiert, zu<br />
Beginn des 21. Jahrhunderts überhaupt noch zeitgemäß ist 155 . Ironischerweise sind es just<br />
naturwissenschaftliche Erkenntnisse (z.B. im Bereich theoretischen Physik/Quantenphysik) sowie<br />
die bereits kurz erwähnten und diese Entwicklung in der theoretischen Physik vorwegnehmenden<br />
Thesen von Charles Sanders Pierce, die implizieren, dass unsere alten mechanischen Modelle des<br />
Universums und der Betonung des linearen Denkens bei der Beschreibung der Realität<br />
zunehmend an ihre Grenzen stoßen und sich daher langsam (auch in der Sozialwissenschaft) ein<br />
neues Weltbild konstituieren müsste. 156<br />
Dabei wäre, wie bereits angedeutet, vor allem zu<br />
hinterfragen, ob der materialistische geprägte „common sense“ heutigen akademischen Welt<br />
sowie die strikte kategoriale Unterscheidung zwischen Natur-, Geistes- und Sozialwissenschaft<br />
153<br />
Niedenzu, 2003, In: Meleghy/Niedenzu, S.198/199 sowie S.201.<br />
154<br />
Meleghy/Tamás, 2003 In: Meleghy/Niedenzu, S.132.<br />
155<br />
Ebd.<br />
156<br />
Vgl: Capra, 1999, S.28 ff.<br />
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