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42 WISSENSWERTES<br />
Bundesverfassungsgericht zu<br />
häuslichem Arbeitszimmer<br />
Mit 5:3 Stimmen entschied der 2. Senat<br />
des Bundesverfassungsgerichts (Beschl.<br />
v. 06.07.2010, Az. 2 BvL 13/09), dass die<br />
im Jahr 2007 zusätzlich beschränkte<br />
steuerliche Berücksichtigung des häuslichen<br />
Arbeitszimmers gegen das<br />
Grundgesetz verstößt, soweit Aufwendungen<br />
auch dann unberücksichtigt<br />
bleiben, wenn für die betriebliche oder<br />
berufliche Tätigkeit kein anderer<br />
Arbeitsplatz zur Verfügung steht.<br />
Das Steueränderungsgesetz 2007 erlaubte<br />
den Abzug der Aufwendungen für ein<br />
häusliches Arbeitszimmer sowie die<br />
Kosten der Ausstattung nur noch, wenn<br />
das Arbeitszimmer den Mittelpunkt der<br />
gesamten betrieblichen und beruflichen<br />
Betätigung bildet. Zuvor waren immerhin<br />
noch Pauschalbeträge abzugsfähig,<br />
wenn – unabhängig vom Mittelpunkt –<br />
die betriebliche oder berufliche Nutzung<br />
des Arbeitszimmers mehr als 50%<br />
der gesamten betrieblichen und beruflichen<br />
Tätigkeit betrug oder wenn für<br />
die betriebliche oder berufliche Tätigkeit<br />
kein anderer Arbeitsplatz zur Verfügung<br />
stand.<br />
Der Mittelpunkt lag nach der finanzgerichtlichen<br />
Rechtsprechung dann im<br />
Arbeitszimmer, wenn der Steuerpflichtige<br />
dort diejenigen Handlungen vornimmt<br />
und Leistungen erbringt, die für<br />
den ausgeübten Beruf wesentlich und<br />
prägend waren. Der „Mittelpunkt“<br />
bestimmte sich somit nach dem inhaltlichen<br />
(qualitativen) Schwerpunkt der<br />
beruflichen und betrieblichen Betätigung<br />
des Steuerpflichtigen, zeitlichquantitative<br />
Gewichtungen hatten<br />
allenfalls indizielle Bedeutung. Ein<br />
Indiz war es ebenfalls, wo der Schwerpunkt<br />
der Haupttätigkeit lag. Es fand<br />
eine Gesamtbetrachtung statt. Der<br />
Schwerpunkt der Tätigkeit von hauptberuflich<br />
Lehrenden lag dann nach einhelliger<br />
Rechtsprechung am Unterrichtsort,<br />
für Lehrer – regelmäßig ohne<br />
eigenem Arbeitszimmer an der Schule –<br />
wie für Hochschullehrer – regelmäßig<br />
mit eigenem Arbeitszimmer an der<br />
Hochschule.<br />
<strong>DNH</strong> 4-5 ❘ 2010<br />
Jüngere finanzgerichtliche Entscheidungen<br />
bestätigten das sogar für eine Universitätsprofessorin<br />
im Forschungssemester<br />
(FG Hannover, Urt. v.<br />
17.12.2009, Az. 14 K 125/08), allerdings<br />
erhielt eine Professorin an einer Fachhochschule<br />
mit überwiegenden Aufgaben<br />
bei der Erstellung und Aktualisierung<br />
von Studienbriefen in einem<br />
berufsbegleitenden Verbundstudiengang<br />
das Arbeitszimmer als beruflichen Mittelpunkt<br />
anerkannt (FG Münster, Urt. v.<br />
05.07.2010, Az. 15 K 4254/06 E, Ki).<br />
Das Finanzgericht Münster legte die<br />
Bestimmung aus dem Steueränderungsgesetz<br />
2007 wegen durchgreifender verfassungsrechtlicher<br />
Bedenken den Richtern<br />
in Karlsruhe vor (Beschl. v.<br />
8.5.2009, Az. 1 K 2872/08 E). Das Bundesverfassungsgericht<br />
hatte die Rechtsänderung<br />
am Gleichheitssatz des<br />
Grundgesetzes zu überprüfen und sah<br />
den Ausschluss der steuerlichen Berücksichtigungsfähigkeit<br />
von Aufwendungen<br />
für ein häusliches Arbeitszimmer<br />
nicht gerechtfertigt, wenn für die<br />
betriebliche oder berufliche Tätigkeit<br />
kein anderer Arbeitsplatz zur Verfügung<br />
steht.<br />
Die Kompetenz des Gesetzgebers, typisierende,<br />
generalisierende Regelungen<br />
gerade für den privat und beruflich<br />
gemischten häuslichen Bereich zu erlassen<br />
und vom objektiven Nettoprinzip<br />
abzuweichen werde überschritten, weil<br />
der Regelung keine hinreichend realitätsgerechte<br />
Typisierung zu Grunde<br />
liege. Ohne anderweit verfügbaren<br />
Arbeitsplatz für die betriebliche oder<br />
berufliche Tätigkeit ergebe sich die<br />
Erforderlichkeit eines häuslichen<br />
Arbeitsplatzes durch objektive Merkmale.<br />
Zwar sei die Erforderlichkeit keine<br />
allgemeine Voraussetzung für die Qualifikation<br />
als berufliche Erwerbsaufwendungen.<br />
Die erkennbar gegebene Erforderlichkeit<br />
fungiere dann aber als legitimes<br />
Hilfsmittel einer typisierenden<br />
Abgrenzung von Erwerbs- und Privat-<br />
sphäre. Der Mangel eines alternativen<br />
Arbeitsplatzes liefere die leicht nachprüfbare<br />
Tatsachenbasis für die Feststellung<br />
der tatsächlich betrieblichen oder<br />
beruflichen Nutzung. Gemessen an den<br />
Zielen des Gesetzes – Vereinfachung,<br />
Streitvermeidung und Gleichmäßigkeit<br />
der Besteuerung – verfehlt deshalb das<br />
Abzugsverbot für Aufwendungen für ein<br />
häusliches Arbeitszimmer für die Fallgruppe<br />
„kein anderes Arbeitszimmer“<br />
das Gebot hinreichend realitätsgerechter<br />
Typisierung.<br />
Der Wegfall von Steuervorteilen für die<br />
zeitliche Nutzung des Arbeitszimmers<br />
mit mehr als 50% der gesamten beruflichen<br />
Tätigkeit war für die Verfassungsrichter<br />
unproblematisch: Bei einer typisierenden<br />
Betrachtung sei der Ausschluss<br />
dieser Fallgruppe vertretbar, da<br />
der Umfang der Nutzung des Arbeitszimmers<br />
allenfalls ein schwaches Indiz<br />
für dessen Notwendigkeit ist, soweit<br />
dem Steuerpflichtigen von seinem<br />
Arbeitgeber ein weiterer Arbeitsplatz zur<br />
Verfügung gestellt wird.<br />
Der Gesetzgeber ist nun verpflichtet,<br />
den verfassungswidrigen Zustand rückwirkend<br />
auf den 1. Januar 2007, den<br />
Beginn des Anwendungszeitraums des<br />
Steueränderungsgesetzes 2007, durch<br />
Neufassung des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6b<br />
EStG zu beseitigen. Für Hochschullehrer,<br />
die regelmäßig über einen Arbeitsplatz<br />
an der Hochschule verfügen,<br />
ergibt sich leider keine Änderung. Es ist<br />
nicht zu erwarten, dass der Gesetzgeber<br />
seinen Regelungsauftrag weit versteht<br />
und sie in den Kreis der Begünstigten<br />
der Neuregelung einbezieht. Es gibt derzeit<br />
wenig Aussicht, den Aspekt sonst,<br />
etwa bei der Feststellung einer verfassungswidrigen,<br />
amtsunangemessen<br />
geringen Alimentation einfließen zu lassen<br />
oder sogar Aufwendungen für das –<br />
typische – häusliche Arbeitszimmer<br />
direkt vom Dienstherrn oder Arbeitgeber<br />
erstattet zu erhalten (entsprechendes<br />
arbeitsgerichtliches Revisionsverfahren<br />
für Lehrer ist allerdings beim BAG<br />
unter dem Zeichen 9 AZR 14/10 anhängig).