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atw 2018-07

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<strong>atw</strong> Vol. 63 (<strong>2018</strong>) | Issue 6/7 ı June/July<br />

EDITORIAL 360<br />

Kernenergiebilanzen 2017 | <strong>2018</strong>:<br />

Zahlen, Fakten, Einschätzungen und zwei beachtenswerte Feststellungen<br />

Die Jahresmitte ist mit den vorliegenden Daten sicherlich ein geeigneter Zeitpunkt für ein Resümee und eine Einschätzung<br />

der Entwicklung der Kernenergie im Vorjahresverlauf. Doch vorab aus gegebenem Anlass zwei aktuelle und sicherlich<br />

beachtenswerte Feststellungen.<br />

• Mit der Inbetriebnahme des 1.086 MWe (brutto) Kernkraftwerksblocks<br />

Yangjiang 5 in China ist nicht nur das vierzigste<br />

Kernkraftwerk des Landes in Betrieb gegangen, die<br />

Gesamtzahl der in Betrieb befindlichen Kernkraftwerke<br />

weltweit hat damit auch einen weiteren historischen<br />

Höchststand erreicht. Nachdem im Jahresverlauf <strong>2018</strong> in<br />

Russland die Blöcke Leningrad 2-1 (1.199 MWe) und<br />

­Rostov 4 (1.<strong>07</strong>0 MWe) den Betrieb aufgenommen hatten,<br />

sind derzeit weltweit 451 Kernkraftwerke in Betrieb zu<br />

verzeichnen. Mit 421.553 MWe Bruttoleistung sowie<br />

398.094 MWe Nettoleistung steht weltweit auch so viel<br />

Kernenergiekapazität zur Verfügung wie nie zuvor.<br />

• Zudem steigt der Beitrag der Kernkraftwerke, je nach<br />

Struktur der Erzeugung in den einzelnen Ländern differenziert,<br />

in Bezug auf Versorgungssicherheit und Systemstabilität.<br />

Kernkraftwerke weisen heraus ragende Eigenschaften<br />

bei der Lastfolgefähigkeit auf. Mit hohen möglichen<br />

Laständerungsgeschwindig keiten sowie großen<br />

Leistungshüben, also der Differenz zwischen Minimal- und<br />

Maximalleistung, sind die Kernkraftwerke gemeinsam mit<br />

weiteren konventio nellen Kraftwerken nicht Notnagel oder<br />

Füller in Stromversorgungssystemen, sondern Grundlage<br />

für Netz stabilität und Integration der volatilen Einspeisung<br />

aus Erneuerbaren. Kernkraftwerke und konventionelle<br />

Erzeugung liefern dann Strom, wenn die Erneuerbaren<br />

nicht verfügbar sind und sie machen durch ihre Regelfähigkeit<br />

den Weg für erneuerbaren Strom dann frei, wenn<br />

dieser aufgrund der Launen der Natur einmal mit hoher<br />

Leistung verfügbar ist.<br />

Doch nun zurück zur Jahresbilanz: Mit 449 Kernkraft werken<br />

war Ende 2017 ein Block weniger in Betrieb als ein Jahr zuvor.<br />

Im Einzelnen sind vier Blöcke kritisch geworden und wurden<br />

erstmals mit dem Stromnetz synchronisiert: Fuqing 4 und<br />

Tianwan 3 in China, Chasnupp 4 in Pakistan und Rostov 4 in<br />

Russland. Fünf Kernkraftwerksblöcke stellten ihren Betrieb<br />

ein: In Deutschland gemäß der politischen Entscheidung aus<br />

dem Jahr 2011 nach 33 Jahren erfolgreichem Betrieb das<br />

Kernkraftwerk Gund remmingen B; in Japan der proto typische<br />

Schnelle Brutreaktor Monju; in der Republik Korea das erste<br />

Kernkraftwerk des Landes, Kori 1; in Schweden der Block<br />

Oskarshamn 1 und in Spanien hat der Betreiber des Kernkraftwerks<br />

Santa Maria de Garona nach fünf Jahren erfolgloser<br />

Beantragungsphase für eine Laufzeitverlängerung die endgültige<br />

Stilllegung beschlossen.<br />

Bei den Stromerzeugungskapazitäten lag die Brutto leistung<br />

der Kernenergie weltweit mit 420.383 MWe deutlich über<br />

der Marke von 400.000 MW und blieb aufgrund der hohen<br />

Leistung der Neuanlagen quasi auf Vorjahresniveau von<br />

420.534 MW. Die Nettoleistung erreichte 397.193 MWe und<br />

lag damit sogar höher als der Vorjahreswert von 397.003 MW.<br />

Ein erneut gutes Ergebnis kann die Kernenergie auch bei<br />

der Stromerzeugung verzeichnen. Mit einer Nettoerzeugung<br />

von 2.490 TWh lag diese rund 1,0 % höher als im Vorjahr mit<br />

2.477 TWh. Aufgrund von seit 2011 weiterhin nicht in Betrieb<br />

befindlichen 35 Kernkraftwerken in Japan ist diese aber noch<br />

niedriger als vor dem Erdbeben mit Tsunami und Unfall in<br />

Fukushima. Allerdings sind in Japan in 2017 mit Takahama 3<br />

und Takahama 4 weitere zwei Kernkraftwerke wieder in<br />

Betrieb gegangen. Somit sind seit 2011 insgesamt sieben<br />

Anlagen in Japan wieder in Betrieb genommen worden.<br />

Der Anteil an der gesamten weltweiten Strompro duktion lag<br />

weiterhin bei 11 %; der Anteil der Kernenergie an der gesamten<br />

weltweiten Energieversorgung bei rund 4,5 % – dies sind zwei<br />

sicherlich weitere bemerkenswerte Zahlen: Die rund 414<br />

derzeit aktiven Kernkraftwerke sind in der Lage, jeden zehnten<br />

Menschen weltweit mit Strom zu versorgen oder jeder zwanzigste<br />

Mensch weltweit deckt seinen Energiebedarf komplett<br />

mit Kernenergie. Regional und in den einzelnen Kernenergie<br />

nutzenden Ländern liegt der Anteil der Kern energie an der<br />

Stromerzeugung in einer Spannbreite von inzwischen 4 % in<br />

China – eine Verdoppelung innerhalb von 5 Jahren – bis fast<br />

72 % in Frankreich. 13 Staaten decken mehr als 30 % ihrer<br />

Stromerzeugung nuklear. Europa ist weiterhin mit 182 Reaktoren<br />

die bedeutendste Kernenergie nutzende Region. In ihr<br />

wird mit einem Anteil von rund 27 % rund jede vierte<br />

verbrauchte Kilowattstunde Strom in Kernkraftwerken erzeugt.<br />

Bei den neu begonnenen Projekten sind für das Jahr 2017<br />

drei Vorhaben zu verzeichnen: Im Newcomer-Land Bangladesh<br />

wurde gemeinsam mit dem russischen Partner mit dem Bau des<br />

ersten Blocks am Standort Rooppur begonnen, Indien hat die<br />

Errichtung des dritten Blocks in Kudankulam in Angriff<br />

enommen und in der Republik Korea startete das Projekt<br />

Shin-Kori 5. Damit waren weltweit 55 Kernkraftwerksblöcke<br />

mit 59.872 MWe Brutto- und 56.642 MWe Nettoleistung in<br />

Bau; aufgrund der Neuinbetriebnahmen zwei weniger als ein<br />

Jahr zuvor. Darüber hinaus sind rund 125 Neubauprojekte zu<br />

ver zeichnen, die sich im konkreten Planungsstadium befinden.<br />

Viele dieser Projekte werden zudem in Ländern geplant, die<br />

neu in die Kernenergie einsteigen wollen. Für weitere 100 Kernkraftwerksblöcke<br />

bestehen Vorplanungen.<br />

Diese Kernenergiezahlen spiegeln eine im Wesent lichen<br />

unspektakuläre weitere absehbare Entwicklung für die Kernenergie<br />

weltweit wider, mit eher geringfügigen Verän derungen.<br />

Ein Blick auf die Details, sowohl global als auch der einzelnen<br />

Länder, zeigt, dass Kernenergie durchaus zukünftig ihre<br />

wichtige und steigende Rolle bei der weltweiten Energieversorgung<br />

ausbauen kann: Zu begründen ist dies einerseits<br />

sicherlich mit den avisierten Laufzeiten von bestehenden<br />

Reaktoren. Heute sind 60 Jahre Laufzeit für die Anlagen<br />

technisch- wirtschaftlich Realität und 80 Jahre in der Vorbereitung,<br />

sicherheitstechnisch ohne Abstriche umsetzbar und<br />

damit für viele heute ältere Anlagen in der Vorbereitungs- bzw.<br />

Umsetzungs phase. Die kerntechnische „Alterspyramide“, mit<br />

vielen Anlagen im Bereich von 25 bis 40 Betriebsjahren wird<br />

daher in den nächsten Jahrzehnten kaum einen Einfluss haben.<br />

Auch zeigt sich im regula torischen und politischen Umfeld,<br />

dass diese Strategie akzeptiert oder gar mit Argumenten wie<br />

Ressourcen schonung, Klimaschutz, günstige und stabile Kosten<br />

sowie Versorgungssicherheit und Netzstabilität beim Umbau<br />

des Stromversorgungs systems mit mehr volatilen Quellen<br />

Unterstützung erfährt. Welchen Beitrag innovative, tech nische<br />

Entwicklungen, wie unter anderem die derzeit in vielfältiger<br />

Weise diskutierten und in Entwicklung befind lichen Kleinen-<br />

Modularen Reaktoren (Small Modular Reactors) liefern<br />

können, ist nicht konkret absehbar, zeigt aber, dass das Entwicklungspotenzial<br />

der Kernenergie technik bei Weitem nicht<br />

ausgeschöpft ist – hier befinden wir uns eher am Beginn, als am<br />

Ende der Reise.<br />

Christopher Weßelmann<br />

– Chefredakteur –<br />

Editorial<br />

Summary: Nuclear Power 2017/<strong>2018</strong>: Figures, Facts, Assessments and Two Remarkable Conclusions

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