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LT128

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Nr. 128 12. April 2018<br />

40. Jahrgang<br />

Gezeichnet 2006 – Situation heute noch verschärft, nur mit leicht höheren Zahlen.<br />

Aber dies ist nur ein kleiner Ausschnitt aus dem Wahnsinn namens<br />

Schulsystem in Deutschland! (s. dazu auch S. 2 und weitere Artikel im Heft)<br />

Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft<br />

Kreisverbände Aurich, Emden, Jever, Norden, Varel, Wilhelmshaven und Wittmund


Nr.<br />

127<br />

21. November 2017<br />

...und..und im Bund Jamaika<br />

ka! Aber rdie<br />

GEW<br />

W bleibt<br />

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(s. S. 2)<br />

Kreisverbände Aurich, Emden, Jever, Norden,<br />

Varel, Wilhelmshaven und Wittmund<br />

39. Jahrgang<br />

Leuchtturm Nr. 128<br />

Liebe Kolleginnen und Kollegen,<br />

SCHW<br />

ARZ<br />

ZE ZUKUNFT???<br />

Niedersachsen auf dem<br />

Weg in einee Große Koali<br />

tion…<br />

Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft<br />

gleich zwei „Fehler“ auf der ersten Seite: ihr erinnert<br />

euch noch an die letzte Leuchtturm-Ausgabe mit der<br />

Überschrift „Schwarze Zukunft??? Niedersachsen<br />

auf dem Weg in eine Große Koalition…“<br />

(s. links!) Beim Layouten der Titelseite<br />

am 7. 11. 17 gingen eigentlich alle davon aus,<br />

dass – nach dem unglücklichen Agieren von<br />

Frauke Heiligenstadt - nun eine CDU-Kultusministerin<br />

zu erwarten war – das war der erste<br />

Fehler, es wurde zur Überraschung aller Herr<br />

Tonne. Und der zweite Fehler: „ … und im Bund Jamaika!“<br />

Am Erscheinungstag war die Berliner Balkon-<br />

Party schon wieder vorbei. So kann man sich irren!<br />

Aber leider hat sich die Karikatur-Frage „Volle Fahrt<br />

zurück… bzw. voraus… oder was?!?“ in einem wichtigen<br />

Punkt in Richtung „Schwarze Zukunft“<br />

beantwortet: Die Inklusion kann –<br />

wenn der Schulträger es will – die nächsten<br />

5 Jahre weiter zweigleisig gefahren<br />

werden. Zu diesem Thema findet ihr drei<br />

Beiträge auf den Seiten 4 – 7.<br />

Und von mir dazu eine Prophezeiung –<br />

historisch, bildungsgeschichtlich wg.<br />

Platzmangel nur schlaglichtartig hergeleitet:<br />

• Eine Verlängerung gemeinsamer<br />

Schulbildung für alle Kinder ist permanenter<br />

Diskussionsstoff vom Beginn erster<br />

Demokratisierungsversuche in Deutschland 1918 bis<br />

heute. Schon damals trafen die Meinungen konservativer<br />

und progressiver Gruppierungen hart aufeinander: Ging<br />

es doch um die Ablösung des vertikal gegliederten<br />

Zweiklassensystems der Kaiserzeit durch ein nach<br />

Schulstufen gegliedertes System – eine vierjährige<br />

Grundschulzeit für alle Kinder sollte zur Aufhebung der<br />

Bildungsschranken beitragen. 1919 wurde die gemeinsame<br />

Grundschule für ganz Deutschland von Berlin aus<br />

verfügt – laut Weimarer Verfassung damals möglich.<br />

• Das wurmte die Provinzfürsten wohl derart, dass sie<br />

solches unbedingt für die Zukunft verhindern wollten:<br />

Impressum<br />

„Wir leisten uns ein<br />

Schulsystem, das den<br />

Riss zementiert, der<br />

ohnehin schon durch<br />

Deutschland geht und<br />

den gesellschaftlichen<br />

Zusammenhalt in dieser<br />

Republik gefährdet.“<br />

Sebastian Christ,<br />

Journalist<br />

GEW-LEUCHTTURM Nr. 128/40. Jahrgang vom 12.04.2018 / Redaktionsschluss: 26.03.2018<br />

LehrerInnenzeitung für die Kreisverbände Aurich, Emden, Jever, Norden, Wilhelmshaven, Wittmund<br />

Herausgeber: Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft im DGB/Kreisverband Wittmund<br />

verantwortl.: Jürgen Kramm, Wangeroogestr. 8, 26409 Wittmund; 04462-6102<br />

Redaktion:<br />

KV Aurich: Franz Kampers (kv.aurich@gewweserems.de)<br />

KV Emden: Josef Kaufhold (Josef.Kaufhold@web.de)<br />

KV Jever: Heiner Wegener (heinerwegener@t-online.de)<br />

KV Norden: Herbert Czekir (herbert.czekir@ewetel.net); Anette Hillen (anette-hillen@web.de)<br />

KV WHV: Beata Bartnick-Hoeft (bartnick-hoeft@web.de)<br />

KV Wittmund: Jürgen Kramm (Juergen.Kramm.Wtm@t-online.de)<br />

Literatur: Ulli Baselau (ulrich.baselau@ajum.de)<br />

Layout: Domenic Bøe<br />

Druck: www.janssendruck.de, Finkenburgstraße 47, 26409 Wittmund<br />

2<br />

Nachdem sie schon die Bemühungen der Alliierten nach<br />

dem zweiten Weltkrieg torpediert hatten, ein „demokratisches<br />

Schulwesen“ zu installieren, schrieben sie ins<br />

Grundgesetz die Zuständigkeit der Länder für die Schulgesetzgebung<br />

(Artikel 70 GG). Und damit begann die<br />

bis heute anhaltende Malaise: Schon 1953 beschrieb ein<br />

Autor den Zustand des Bildungswesens in Deutschland<br />

als „chaotischen Zustand“. Wie weise!<br />

• Georg Picht prägte 1964 den Begriff der „Bildungskatastrophe“:<br />

Immerhin sahen sich nun die Länderfürsten<br />

gemüßigt, etwas dagegen zu tun – und kamen auf die<br />

Idee, den 5. und 6. Jahrgang als „Förder- oder Orientierungsstufe“<br />

zu installieren, jeder nach seinem Gusto.<br />

Sollte dies nun nur ein Scharnier zur Verteilung der<br />

Schüler auf das dreigliedrige Schulsystem sein – oder<br />

der Beginn einer Verlängerung der gemeinsamen Schulzeit<br />

darüber hinaus als Einstieg in eine Gesamtschule?<br />

In Niedersachsen konnten die konservativen<br />

Kräfte letzteres verhindern, u.a. weil<br />

die SPD zu hasenfüßig war und nicht für<br />

„Eine Schule für alle“ kämpfte. Nach langem<br />

Dahinsiechen unter der CDU beteiligte<br />

sich auch noch ein Herr Gabriel an<br />

Verschlimmbesserungs-Vorschlägen für<br />

die OS, verlor die Wahl und CDU/FDP<br />

schafften sie ab. Damit schien das gegliederte<br />

Schulsystem endgültig gerettet.<br />

• Doch da mischte sich doch glatt 2009<br />

die UN ein und postulierte die Behindertenrechtskonvention<br />

mit der "inklusiven<br />

Bildung“: in Artikel 24 der Konvention garantieren die<br />

Vertragsstaaten “ein integratives Bildungssystem auf<br />

allen Ebenen und lebenslanges Lernen”. Der Normalfall<br />

soll danach sein, dass Kinder “nicht aufgrund von Behinderung<br />

vom unentgeltlichen und obligatorischen<br />

Grundschulunterricht oder vom Besuch weiterführender<br />

Schulen ausgeschlossen werden” (Artikel 24 Abs.2 a).<br />

Ziel ist also der gemeinsame Schulbesuch von behinderten<br />

und nicht behinderten Kindern in einer Regelschule<br />

als “Normalfall” — es soll keine Ausnahme sein. Logisch<br />

also, dass das Auslaufen der Förderschule kommen<br />

muss. Dagegen wird massiv geschossen: In NDS z.B.<br />

durch ein 5-jähriges Moratorium<br />

für die Förderschule für Lernhilfe,<br />

durch die CDU im Koalitionsvertrag<br />

und jetzt auch im Schulgesetz<br />

festgeschrieben. Denn wenn die<br />

Förderschule wegfiele, würde ja<br />

ein Mosaiksteinchen aus dem gegliederten<br />

Schulsystem wegbrechen<br />

und womöglich auch den Rest<br />

gefähren?!?


• Meine Prophezeiung – und da schließe ich mich<br />

Franz Kampers an, wie er so schön sarkastisch formuliert:<br />

„Wenn die SPD 2022 aus der Landesregierung<br />

fliegt, wird die CDU und die FDP auch die Klassen 1 bis<br />

4 an der Sonderschule für Lernhilfe wieder einführen,<br />

flächendeckend. Diese wird dann aus Verzweiflung von<br />

einigen Eltern angewählt werden, weil das Personal für<br />

eine vernünftige sonderpädagogische Grundversorgung<br />

weiter gekürzt werden muss, - es wird ja dann vermehrt<br />

wieder in der Sonderschule gebraucht, der Unterricht<br />

dort muss ja zu 100% gesichert werden.“<br />

Fazit: 5 verschenkte Jahre!<br />

• Und warum eigentlich der ganze Eiertanz? „Das hierarchisch<br />

gegliederte Schulsystem geht von einer ungleichen<br />

Wertigkeit, der Ungleichheit der Menschen aus und<br />

reproduziert sie absichtsvoll – ein einheitliches Schulsystem<br />

geht von der demokratischen Gleichheit aller<br />

Menschen aus und trägt dazu bei, trotz individueller Unterschiede<br />

die staatsbürgerliche Gleichheit der Menschen<br />

durch gemeinsame Bildung zu erreichen. Darin<br />

3<br />

Leuchtturm Nr. 128<br />

Große Koalition in Niedersachsen – große<br />

Herausforderungen – großer Entwurf für<br />

ein zukunftsweisendes Schulsystem?<br />

Die Koalitionsvereinbarungen zwischen SPD und<br />

CDU in Niedersachsen sollen eine Basis für „bessere<br />

Bildungschancen für alle“ darstellen und zu einer<br />

„zukunftsgerecht gestalteten Bildungslandschaft“ führen.<br />

Das kann bezweifelt werden. Statt Steuerung und<br />

politischer Akzentsetzung sollen allein Elternwille und<br />

die Kommunen das Ganze richten. Statt Diskussionen<br />

über Schulstrukturen soll ein „dauerhafter Schulfrieden“<br />

her. Auch hier sehen die Koalitionäre nicht richtig hin.<br />

„Schulfrieden“ entsteht nicht dadurch, dass Gesamtschulen<br />

weiter als Regelschulen und ersetzende Schulform<br />

gelten sollen. „Schulfrieden“ setzt die Probleme des gegliederten<br />

Schulwesens fort. Ohne eine Schule für alle<br />

werden die Verwerfungen, die ein System von Hauptschule,<br />

Realschule, Oberschule und Gymnasium mit<br />

sich bringt, weiter existieren und sich noch verschärfen.<br />

Immerhin wird die Gesamtschule in ihrer Stellung nicht<br />

geschwächt, wie die CDU es doch eigentlich vorhatte.<br />

Die Lastenverteilung im derzeitigen Gebilde aus gegliedertem<br />

Schulwesen hier und Gesamtschulen auf der anderen<br />

Seite befindet sich in einer Schieflage. Inklusion<br />

und Integration machen vor Realschulen und Gymnasien<br />

Halt, weil diese den Elternwillen unterlaufen. Man berät<br />

die schwierig scheinende Schülerpopulation einfach<br />

weg. Die anderen sollen es richten. Eine mögliche Wiedereinführung<br />

der Förderschule „Lernen“ macht das<br />

liegt der Grundwiderspruch zwischen beiden Konzepten<br />

des Schulsystems. Er geht nicht um Organisationsfragen,<br />

sondern um grundsätzlich verschiedene Menschen- und<br />

Gesellschaftsbilder, die durch die Schule gefestigt werden<br />

sollen.“ (Peter Heyer u.a., „Länger gemeinsam lernen“;<br />

2003)<br />

• Noch eine interessante Beobachtung am Rande:<br />

Überschrift im „Harlinger“ am 7.3. auf Seite 1:<br />

CDU/FDP-Kreistagsfraktion: „Erhalt der Förderschulen<br />

hat Priorität“, am 9.3., also 2 Tage später ebenfalls auf<br />

Seite 1: AfD: Erhalt der Förderschulen hat Priorität<br />

• Ansonsten haben wir auch noch anderen sehr interessanten<br />

Lesestoff neben den Inklusionsartikeln zusammengetragen:<br />

u.a. das Thema „50 Jahre 68er“zieht sich<br />

durchs Heft: 68er auf Fahrt – S. 16; Das Märchen vom<br />

bösen 68er – S. 22/23; 68er in der Schule – S. 28<br />

Im Namen der Redaktion wünscht nun viel Spaß beim<br />

Lesen<br />

Jürgen Kramm<br />

auch nicht besser. Ohne wenigstens mittelfristige Ziele<br />

anzugeben, besteht so eine Schullandschaft weiter, die<br />

einem Bauchladen gleicht. Für die Koalitionäre klingt<br />

das stolz nach „Wahlfreiheit“. In Wahrheit ist es nur ein<br />

Patt, ohne die Zukunftsfragen wirklich anzugehen. Die<br />

Koalitionäre wollen vieles prüfen: z. B. die Qualität der<br />

gymnasialen Oberstufe und die Qualität der Schulformen.<br />

Hier wird es spannend werden, ob sich hinter diesen<br />

Prüfaufträgen das sachfremde Gejammer<br />

konservativer Bildungsverbände versteckt, die in allen<br />

Modernisierungsversuchen der Oberstufe inzwischen<br />

eine Absenkung der Leistungsanforderungen wittern.<br />

Was man ohne Prüfung gleich beseitigen sollte<br />

(und könnte)?<br />

Die von Gesamtschulen und Gymnasien stark kritisierte<br />

Veränderung der Wochenstunden für Leistungsund<br />

Grundkurse! Und das Ziel des Prüfauftrags für die<br />

Schulformen bleibt im Nebel. Wenn man doch alle Formen<br />

erhalten will, was will man dann sichten? Mangelnde<br />

Visionen werden immerhin mit in Aussicht<br />

gestellten personellen und finanziellen Verbesserungen<br />

erkauft. Die sind auch dringend nötig, wenn Inklusion<br />

und Integration besser gelingen sollen!<br />

Raimund Oehlmann<br />

aus: GGG-Aktuell 2/2018


Leuchtturm Nr. 128<br />

INKLUSION – dauert ?!<br />

Vor ca. 6 Jahren hatte ich das Glück, als Förderschullehrerin<br />

an einer kleinen Grundschule in einer der<br />

letzten vom Land genehmigten Integrationsklassen eingesetzt<br />

zu werden. Zusammen mit der Klassenlehrerin<br />

war ich (neben meiner Unterrichtsverpflichtung an einer<br />

Förderschule Lernen) 12 Unterrichtsstunden in der<br />

Woche im Team in dieser Klasse. Auch die restlichen<br />

Unterrichtsstunden war die Grundschulkollegin nicht allein,<br />

meistens hatte sie Unterstützung durch eine Kollegin/einen<br />

Kollegen der Grundschule. Das waren<br />

optimale Voraussetzungen, um den fünf Kindern mit<br />

sonderpädagogischem Unterstützungsbedarf und auch<br />

der Klasse insgesamt gerecht zu werden. Die Kinder<br />

lernten vier Jahre gemeinsam, sie profitierten gegenseitig,<br />

übernahmen Verantwortung und schulten ihre sozialen<br />

Kompetenzen. Am Ende der Grundschulzeit<br />

wechselten alle Kinder, in ihrem Selbstbewusstsein gestärkt<br />

durch das gemeinsame Lernen, in eine weiterführende<br />

Schule.<br />

Meine Kollegin<br />

und ich konnten<br />

nach diesen vier<br />

Jahren all unsere<br />

Nach einem gemeinsamen Einstieg in<br />

die Unterrichtsstunde, arbeiten die<br />

Kinder individuell an ihren<br />

Stationen.<br />

Erfahrungen mitnehmen<br />

in die Inklusion:<br />

In einer Grundschulklasse,<br />

wo 2-4<br />

Kinder einen sonderpädagogischen<br />

Unterstützungsbedarf<br />

haben, dazu kommen<br />

die Kinder, die<br />

einen erhöhten Förderbedarf<br />

in Teilbereichen<br />

haben, ist es<br />

möglich, individuell<br />

jedem Kind gerecht<br />

zu werden, wenn die Rahmenbedingungen stimmen. Die<br />

Förderschulkraft ist aber nur mit zwei Unterrichtsstunden<br />

(sonderpädagogische Grundausstattung) pro Grundschulklasse<br />

eingesetzt, eine durchgängige Doppelbesetzung<br />

wäre optimal. Manche Kinder mit Förderbedarf im Bereich<br />

emotionale/soziale Entwicklung bekommen auf Antrag der<br />

Eltern eine/n Schulbegleiter/in. Wenn die Grundschule<br />

Glück hat, gibt es vielleicht noch eine/n Bundesfreiwillige/n<br />

oder eine/n Praktikanten, die/der als Helfer/in eingesetzt<br />

werden kann, denn oft sind zwei Hände mehr in<br />

einer Grundschulklasse nötig.<br />

Die Schülerfächer und Stehordner sind offen und gut zugänglich,<br />

so dass es nicht stört, wenn ein Kind Arbeitsmaterial<br />

holen muss.<br />

Ein großer Klassenraum mit:<br />

⁃ individuellen Arbeitsplätzen,<br />

⁃ Platz für einen Stuhlkreis,<br />

⁃ Leseecke, Ruheecke,<br />

⁃ angrenzendem Gruppenraum,<br />

⁃ übersichtlichen Materialregalen,<br />

⁃ Schülerablagefächern,<br />

⁃ ...........<br />

ist wichtig und notwendig.<br />

Das Arbeiten,<br />

⁃ an Stationen<br />

⁃ mit Wochenplänen<br />

⁃ an Lernwerkstätten<br />

ist die Grundlage für das individuelle Lernen. Ständige<br />

Differenzierung, um den leistungsschwachen und den<br />

4


Leuchtturm Nr. 128<br />

Während die Kinder im Sprachbuch der Klasse 2 arbeiten, erledigen die Kinder mit Unterstützungsbedarf ihre<br />

individuellen Aufgaben ihres Stationsplans im Deutschunterricht.<br />

leistungsstarken Kindern gerecht zu werden, ist Voraussetzung<br />

für einen inklusiven Unterricht.<br />

Es gibt unter Eltern und auch in den Schulen Widerstände<br />

und Vorbehalte gegen den inklusiven Unterricht<br />

(s. aktuelle Presseberichte). Daher ist es wichtig, immer<br />

wieder aufzuklären und von positiven Erfahrungen mit<br />

der Inklusion zu berichten.<br />

Mein Fazit nach nunmehr einigen Jahren Inklusion:<br />

Die Lernfortschritte sind größer, die Kinder mit<br />

Förderbedarf sind zufriedener, die Akzeptanz für<br />

Kinder mit Lernschwächen ist gewachsen.<br />

Der geplante Gesetzentwurf, das Auslaufen der Förderschulen-Lernen<br />

hinauszuzögern, ist ein Rückschritt<br />

für die Gleichberechtigung von Kindern mit Förderbedarf,<br />

es erleichtert nicht die Inklusion, sondern behindert<br />

sie.<br />

Eltern, die in der<br />

Landesarbeitsgemeinschaft<br />

„Gemeinsam<br />

Leben –<br />

Gemeinsam Lernen“<br />

zusammengeschlossen<br />

sind<br />

sagen: „Wir sind<br />

sehr verärgert über<br />

das, was jetzt geplant<br />

ist, die Wiederbelebung<br />

von<br />

Förderschulen widerspricht<br />

dem Gedanken<br />

der<br />

Inklusion.“<br />

Text und Fotos:<br />

Anette Hillen<br />

Ein Kind, das mehr Ruhe zum Arbeiten<br />

benötigt, sucht sich einen ruhigen<br />

Arbeitsplatz oder benutzt Kopfhörer.<br />

5


Leuchtturm Nr. 128<br />

Inklusion - Fluch oder Segen?<br />

Kinder sind von Grund auf verschieden. Sie kommen<br />

aus unterschiedlichen familiären Verhältnissen, bringen<br />

unterschiedliche Voraussetzungen und Kompetenzen<br />

mit in die Schule und haben verschiedenste Interessen und<br />

Fähigkeiten. Das ist nicht neu und sollte jedem einleuchten.<br />

Integration in der Schule ist ein Thema, seit es Schule<br />

gibt. Schon immer, schon vor 100 Jahren, mussten Kinder<br />

verschiedenster Altersstufen und Lernvoraussetzungen<br />

miteinander differenziert beschult werden, sei es durch äußerliche<br />

oder auch innerliche Differenzierung, im und außerhalb<br />

des Unterrichts. Pädagogen standen und stehen<br />

dabei immer vor einer Herausforderung und stellen sich<br />

die Frage: Wie werde ich in dieser heterogenen Lerngruppe<br />

zeitgleich allen Kindern gerecht?<br />

Die Wahl der Unterrichtsmethoden, Lernarrangements,<br />

Gruppenzusammenstellungen und Sitzordnungen sind<br />

dabei entscheidende Bausteine für das Gelingen von gemeinsamen<br />

Lernen. Sie werden seit jeher diskutiert, um<br />

Unterricht mit einer vielfältigen Schülerschaft zu ermöglichen<br />

und so attraktiv zu gestalten, dass der Lernerfolg<br />

bei jedem Einzelnen möglichst hoch ausfällt.<br />

Der Gedanke der Inklusion ist daher nichts Neues. Vielmehr<br />

regt er dazu an, die oben genannten Bedingungen<br />

für gelingenden Unterricht in heterogenen Gruppen noch<br />

weiter zu denken und so Voraussetzungen zu schaffen, um<br />

alle Kinder in einer Schule unterrichten zu können. Mit<br />

der Entscheidung zur Inklusion werden neue Zeichen gesetzt,<br />

um Ausgrenzung, Hass und Vorurteile in der Gesellschaft<br />

endgültig den Riegel vorzuschieben. Stattdessen<br />

geraten gesellschaftliche Werte und Ziele wie Akzeptanz,<br />

Toleranz und Respekt in den Vordergrund. Gleichwertige<br />

Unterstützung unabhängig von Aussehen, Herkunft oder<br />

kognitiven Fähigkeiten sowie die Selbstverständlichkeit<br />

gemeinsamen Lernens erhalten immer mehr Bedeutung.<br />

Dies ist eine große Chance für ein Mehr an gutem sozialem<br />

Miteinander in der Gesellschaft. Um diese Gedanken<br />

nachzuverfolgen oder gar schon umzusetzen, sind gründlich<br />

vorüberlegte Konsequenzen für Schule unabdingbar.<br />

Inklusion - eine wunderbare Gelegenheit, um Zeichen<br />

zu setzen - die Welt zu verändern. Doch wie kann das gelingen?<br />

Anstatt gründlich überlegte und auf Erfahrung basierte<br />

Maßnahmen zu ergreifen, die langfristig Inklusion<br />

an Schulen möglich machen, werden die Kolleginnen und<br />

Kollegen, Schulleitungen, Schulämter und weitere pädagogische<br />

Akteure aktuell ins kalte Wasser geworfen. Teilweise<br />

werden diese zusätzlich mit dem Kopf unter Wasser<br />

gehalten, sodass kaum noch Luft bleibt, um zu atmen, geschweige<br />

denn, ordentlich zu unterrichten.<br />

Inklusion erfordert finanzielle Ressourcen in die Hand<br />

6<br />

zu nehmen und dafür zu sorgen, dass dadurch erforderliche<br />

Voraussetzungen geschaffen werden, um inklusiv unterrichten<br />

zu können. Von Nöten sind nicht nur optimale<br />

Lernbedingungen für alle Schülerinnen und Schüler, sondern<br />

ebenfalls attraktive Arbeitsbedingungen für Lehrerinnen<br />

und Lehrer. Nur auf die Weise können langfristig<br />

gut ausgebildete pädagogische Fachkräfte eingestellt werden.<br />

Fortbildungsangebote mit alltagstauglichen, praxisnahen<br />

und umsetzbaren Inhalten, geleitet von<br />

professionellen und praxiserfahrenen Teams, werden<br />

immer wichtiger. Darüber hinaus sind eine Ausschöpfung<br />

bzw. Schaffung aller möglichen räumlichen Ressourcen<br />

und nicht zuletzt die Gestaltung einer optimalen Lernumgebung<br />

durch Anpassung der technischen, medialen und<br />

möbiliaren Ausstattung anzustreben. Die strukturelle Veränderung<br />

und Anpassung der Schule an die veränderten<br />

Anforderungen muss gründlich und vor allem langfristig<br />

durchdacht werden. Kurzfristige und scheinbar finanziell<br />

attraktive Maßnahmen, die gleichzeitig mehr Belastung<br />

für jede unterrichtende Lehrkraft bedeuten, schaden dem<br />

Ansehen der Institution Schule und verletzen gleichzeitig<br />

die Fürsorgepflicht des Arbeitgebers gegenüber den Akteuren<br />

vor Ort.<br />

Wir werden den Kindern auf diese Weise nicht mehr gerecht.<br />

Sie erfahren alles andere als ein optimales Lernsetting<br />

und sind häufig auf sich allein gestellt. Das Gegenteil<br />

von dem, was wir damit erreichen wollen, wird erreicht:<br />

Zunahme von Frustration und Überforderung bei Kindern<br />

sowie Inakzeptanz und fehlender Respekt gegenüber<br />

ihren Mitschülern sind zu beobachten. Wir müssen nun<br />

handeln, finanzielle Mittel bereitstellen, Voraussetzungen<br />

schaffen, um das Mammutprojekt Inklusion zu ermöglichen<br />

- Weitblick statt kurzfristige Maßnahmen. Es geht<br />

hierbei nicht um die Optimierung eines Produkts. Kinder<br />

sind keine Ware, die wir beliebig verändern können und<br />

mit der wir umgehen können wie es uns gerade passt.<br />

Schule ist kein Unternehmen, in dem mit möglichst wenig<br />

finanziellem Aufwand das gefragteste Produkt produziert<br />

wird. Hier entscheidet nicht Angebot und Nachfrage. Hier<br />

geht es um mehr, um die Zukunft unserer Kinder und letztlich<br />

um unsere Zukunft, um die Zukunft unserer Gesellschaft.<br />

Bildung für alle, Erfolg, Gerechtigkeit, Toleranz, gegenseitiger<br />

Respekt und friedliches Miteinander können nur<br />

angestrebt werden, wenn die Voraussetzungen seitens<br />

höchster Instanz dafür geschaffen werden.<br />

Inklusion? JA, aber richtig!<br />

Inklusion - Fluch oder Segen? SEGEN, aber bitte ohne<br />

Flüchtigkeit.<br />

Jan Demandt


Im Zuge der Entscheidung<br />

des Landtages<br />

zur Anpassung des<br />

Schulgesetzes hat sich<br />

der SPD-Landtagsabgeordnete<br />

Jochen Beekhuis<br />

mit Vertreterinnen und<br />

Vertretern der GEW (Ge-<br />

7<br />

Leuchtturm Nr. 128<br />

Grünkohlessen einmal anders: J. Beekhuis am 2.3. im Austausch mit GEWlern aus<br />

Wittmund und Jever zu aktuellen schulpolitischen Themen und Problemen, die den<br />

KollegInnen auf den Nägeln brennen…<br />

werkschaft Erziehung<br />

und Wissenschaft) aus<br />

Wittmund und Friesland<br />

über die daraus resultierenden<br />

Änderungsmöglichkeiten<br />

ausgetauscht.<br />

Neben der Flexibilisierung<br />

des Einschulalters<br />

und der Verlegung der frühkindlichen Sprachförderung<br />

von den Grundschulen in die Kindertagesstätten,<br />

sollen auch die Förderschulen Lernen<br />

länger erhalten bleiben können. Beekhuis, der für<br />

seine Fraktion ordentliches Mitglied im Kultusausschuss<br />

ist, hatte sich bereits bei der damaligen<br />

Anhörung im Landtag mit den Wünschen und<br />

Bedenken der GEW zur anstehenden Gesetzesänderung<br />

auseinandergesetzt. Das jetzige Treffen<br />

nutzte der Abgeordnete, um mit den Vertreterinnen<br />

und Vertretern der GEW das erzielte Ergebnis<br />

auch nochmal vor Ort zu diskutieren und<br />

politisch zu bewerten.<br />

„Ich denke mit der Schulgesetzänderung erzielen<br />

wir nicht nur eine Verbesserung bei der<br />

Sprachförderung, sondern schaffen durch die frei<br />

gewordenen Kapazitäten auch Entlastung an unseren<br />

Grundschulen. Gleichzeitig kommen wir<br />

mit der Flexibilisierung des Einschulalters einem<br />

lange geäußerten Wunsch der Eltern nach“, so<br />

Beekhuis.<br />

Wie schon bei der damaligen Diskussion im<br />

Kultusausschuss, erneuerte die GEW ihre Kritik<br />

am weiteren Festhalten an der Förderschule Lernen<br />

bis zum Schuljahr 2027/2028. Beekhuis<br />

zeigte Verständnis für die vorgebrachte Kritik der<br />

GEW, betonte aber auch, dass es sich hierbei nur<br />

um eine Zwischenlösung handele. „Die Weiterführung<br />

der Förderschule Lernen ist an Bedingungen<br />

geknüpft, dazu zählen u.a. der<br />

nachweisbare Bedarf vor Ort, die Vorlage eines<br />

regionalen Inklusionskonzeptes sowie die politische<br />

Zustimmung vor Ort“, erklärte Beekhuis.<br />

Die geäußerte Kritik am weiterhin bestehenden<br />

Parallelsystems aus Förderschule Lernen und inklusiver<br />

Schule, das sowohl personell als auch<br />

finanziell Ressourcen bindet, teilt der Abgeordnete.<br />

Gleichzeitig verwies Beekhuis darauf, dass<br />

mit der Schulgesetzänderung eine praxisorientierte<br />

Lösung geschaffen wurde, die eine Reaktion<br />

auf die Realitäten vor Ort und die bisherigen<br />

Probleme bei der inklusiven Schule sein soll, so<br />

der Abgeordnete.<br />

Weitere Themen waren die schulpolitische<br />

Agenda der Landesregierung unter dem neuen<br />

SPD-Kultusminister Grant Hendrik Tonne, die<br />

Novellierung der Arbeitszeitverordnung sowie<br />

die gerechte Bezahlung aller niedersächsischen<br />

Lehrkräfte.<br />

Harlinger und Jeversches Wochenblatt, 08.03.2018


Leuchtturm Nr. 128<br />

Lehrkräftemangel<br />

Die Landschaft lud zum Runden Tisch<br />

Aurich wintergrau.<br />

Die versammelte Runde sah an diesem 11. Dezember<br />

2017 sorgenvoll auf die Straße hinaus. Smartphones<br />

meldeten „Schneechaos in Brüssel, Flughafen Amsterdam-Schiphol<br />

geschlossen, Enteisungsprobleme in London<br />

Heathrow ...“<br />

Es schien, als rolle eine Katastrophe auf Ostfriesland<br />

zu.<br />

Aurich im Nebel<br />

Die im Saal „Friesische Freiheit“ der Landschaft Versammelten<br />

aber hatten vordringlich ein anderes Problem<br />

zu lösen. Es ging um den Mangel an Lehrkräften in Ostfriesland,<br />

um fehlende Bewerberinnen und Bewerber,<br />

leere Stellen und Klagen über mangelhafte Vorbereitung<br />

auf den Beruf.<br />

Mängel in der Berufsvorbereitung – ein Warnsignal<br />

In der Presse war bereits Anfang Juli zu lesen, dass<br />

Schülerinnen und Schüler in Niedersachsen sich zu 37%<br />

nicht auf den Beruf vorbereitet fühlen. Eine Befragung<br />

des Bildungswerkes der niedersächsischen Wirtschaft<br />

gemeinsam mit der Leibnitz Universität wies dieses Ergebnis<br />

aus. Und die Wirtschaft schlussfolgerte sofort,<br />

dass der berufsbildende Bereich offensichtlich nicht in<br />

der Lage sei, die angemessene berufliche Vorbereitung<br />

zu vermitteln.<br />

Ostfriesland ist Randlage in Niedersachsen und gerade<br />

auf dem platten Land mangelt es an Lehrkräften. Wenn<br />

etwas ins Extrem rutscht, dann hier.<br />

Ebenfalls im Vorfeld zur Tagung hatte bereits die<br />

Kreishandwerkerschaft Leer-Wittmund die größtmögliche<br />

Beschwerdekanone herausgerollt und das Kultusministerium<br />

schriftlich in die Pflicht genommen. Sie<br />

verlangte Sofortmaßnahmen. Richtig war das, denn die<br />

gemessenen 30% Ausfall in den Berufsbildenden Schulen<br />

konnten nicht hingenommen werden. „Miese Noten<br />

wegen Unterrichtsausfall“ titelte die Ostfriesen-Zeitung<br />

am 7. Juli 2017.<br />

Geändert aber hat sich nichts.<br />

Das Schuljahr läuft<br />

Der Beginn des neuen Schuljahres wurde begleitet von<br />

Diskussionen um Versetzungen von Gymnasiallehrkräften<br />

an Grundschulen, um Quereinsteiger, um fehlende<br />

Bewerberinnen und Bewerber, unbesetzte Stellen. Reflexartig<br />

regulierte die Landesschulbehörde, es kamen<br />

wie in den Jahren zuvor die Abordnungen von und an<br />

die Schulen - mit den begleitenden Umständen: Planungsbelastung,<br />

Widerspruch, Versorgungsbeschränkung,<br />

Fachkürzung, Rechnerei Spitz auf Knopf.<br />

Das Schuljahr lief und die Lage schien sich zu verbessern.<br />

Der neue Kultusminister Niedersachsens (KM),<br />

Grant Hendrik Tonne, erklärte kurz nach der Übernahme<br />

des Amtes er wolle „100 Prozent“.<br />

Die erste Maßnahme, der Wegfall der Stunden für die<br />

vorschulische Sprachförderung, fand allerdings nicht so<br />

die Begeisterung und eine versprochene Entlastung für<br />

die Schulen lässt auf sich warten.<br />

Auch der sogenannte „Aktionsplan zur Lehrkräftegewinnung“,<br />

den der neue KM von seiner Vorgängerin<br />

übernahm und der die Situation entspannen sollte, half<br />

wenig. Es gibt bislang<br />

keine Informationen<br />

zur Resonanz<br />

darauf, die<br />

Zahlen lassen auf<br />

sich warten.<br />

Aber das Schuljahr<br />

läuft.<br />

Der Runde Tisch<br />

All das war den<br />

Teilnehmerinnen<br />

und Teilnehmern<br />

des Runden Tisches<br />

in der Vorweihnachtszeit<br />

zum<br />

Thema „Lehrkräftemangel<br />

in Ostfriesland“<br />

sehr<br />

bewusst.<br />

Auf Anregung<br />

„Lehrkräftemangel in Ostfriesland“<br />

Überlegungen, Argumente,<br />

Forderungen.<br />

Sammlung der Ergebnisse des<br />

Runden Tisches des RPZ.<br />

8


Leuchtturm Nr. 128<br />

des Landkreises Wittmund hatte die Ostfriesische Landschaft,<br />

der Landschaftspräsident Rico Mecklenburg zum<br />

Runden Tisch geladen. Die Moderation trug die Leiterin<br />

des Regionalen Pädagogischen Zentrums der Ostfriesischen<br />

Landschaft (RPZ), Dr. Brigitte Kasper-Heuermann.<br />

Das RPZ trägt wesentlich zur Aus- und Fortbildung<br />

der Lehrkräfte der Region bei, bietet unter anderem<br />

Kurse für Seiteneinsteiger und fachfremd Unterrichtende<br />

an. Die Bandbreite des Angebotes erreicht alle Schulformen.<br />

Die Zusammensetzung des Runden Tisches spiegelt<br />

die Bildungsregion. Neben Mitgliedern des Bildungsausschusses<br />

der Landschaft sitzen Vertreter der Landkreise,<br />

der Industrie- und Handelskammern, der<br />

Berufsbildenden Schulen, der Gymnasien, der Oberschulen,<br />

der Grundschulen, der Hochschule Emden-<br />

Leer, der Studienseminare.<br />

Die Vielfalt spiegelt sich schließlich im Diskussionsverlauf.<br />

Was für die eine Schulleitung als frustrierend<br />

empfunden wird, ist für andere spielend zu bewältigen<br />

oder sogar von Vorteil. Für die Vertretung des berufsbildenden<br />

Bereichs ist eine möglichst rasche Lösung wichtig,<br />

für die Ausbildung und fachliche Fundierung eine<br />

langfristig wirkungsvolle Absicherung. Die Argumente<br />

und Beispiele überschlagen sich.<br />

Eine Versuch der Bündelung.<br />

Der Bewerbungsrummel<br />

Die Schulen haben das Auswahlverfahren zu bewältigen.<br />

Klar, sobald eine Stelle ausgeschrieben werden<br />

muss, sind sie in der Pflicht. Auswahlteam besetzen, Fragenkatalog<br />

bearbeiten, Bewerbungen registrieren, Termine<br />

festlegen, Gespräche führen, Protokolle anfertigen,<br />

Favoriten benennen, Listen bearbeiten. Das alles ist termingebunden<br />

und genau geregelt.<br />

Der Rummel 2019 ist eröffnet.<br />

(Aktuelles Merkblatt für die Einstellung 2018/19 online.)<br />

Allein – das Vorgehen mancher Bewerberinnen und<br />

Bewerber wird als problematisch empfunden. Gerade<br />

kleine Schulen machen die Erfahrung, dass die Stellensuchenden<br />

oft nur eine Stelle „für's Parken“ suchen.<br />

Nach dem Motto: Festhalten und Weitersuchen. Erkennbar<br />

daran, dass bis zum letzten Tag Termine für die Abgabe<br />

der Zusage herausgezögert oder eine Bewerbung<br />

offen als „Alternative“ bezeichnet wird.<br />

Das Ergebnis: Viele Schulen, vor allem kleine Grundschulen,<br />

das sei betont, gehen trotz umfangreichem Auswahlverfahren<br />

und hohem Arbeitsaufwand leer aus.<br />

Andere, vor allem große Systeme, ziehen Vorteile aus<br />

dem Verfahren. Auch das ist unbestritten. Dennoch, die<br />

Bewerberinnen und Bewerber orientieren sich meist an<br />

großen Städten, Universitätsnähe, Infrastruktur.<br />

Das während der Besprechung vorgebrachte Ansinnen,<br />

die schulischen Auswahlverfahren auszusetzen und wieder<br />

an die Landesschulbehörde zu geben, fand wenig<br />

Gegenliebe. Die Landesschulbehörde ist immer – auch<br />

im Auswahlverfahren – die Entscheidungs- und Einstellungsinstanz.<br />

Warum sollte sie in Zeiten des Mangels die<br />

Neueinstellungen nicht dort einsetzen, wo sie wirklich<br />

gebraucht werden.<br />

Umverteilen Quasi. Ein Gegenargument lautete: „Die<br />

schreiben dann doch sofort Versetzungsgesuche.“ Klar,<br />

werden sie. Doch wie sieht die Realität aus? Kaum ist<br />

der Bewerbungsrummel verrauscht, dann müssen Abordnungen<br />

die Lücken schließen, dann dreht sich das<br />

Personalkarussell, dann werden – so gut es geht – die<br />

Lücken geschlossen.<br />

Wirklich hilfreich ist das nicht.<br />

Hindernisse ausräumen<br />

Es ist feststellbar, dass Hindernisse für die Einstellung<br />

von Lehrkräften gerade durch die Randlage der Region<br />

entstehen.<br />

Wer nach Ostfriesland geht, will z.B. auch den Lebensoder<br />

Ehepartner in der Nähe haben. Hin- und Herreisen<br />

ergeben sich oft aus der Situation, dass der Lebenspartner<br />

den Ort nicht so einfach wechseln kann. Und eine<br />

zweite Jobsuche in Ostfriesland kann schwierig sein.<br />

Junge Berufs- und Quereinsteigerinnen, Lehrerinnen,<br />

die in den Beruf zurückkehren, haben oft Kinder. Sie<br />

machen den Einstieg, das entspricht der Logik, von<br />

einem Hort- oder Kindergartenplatz abhängig.<br />

Da hat die Gemeinde, die Stadt ein Wort mitzureden.<br />

Das Land ist an anderer Stelle gefordert. In einem europäischen<br />

Land ausgebildete LehrerInnen und Lehrer<br />

9


Leuchtturm Nr. 128<br />

bewerben sich – und es werden erhebliche Auflagen gemacht,<br />

zusätzliche Ausbildungsanteile und Abschlüsse<br />

gefordert. Hier muss die Landespolitik reagieren und<br />

korrigieren. Die Einheit Europas ist offensichtlich noch<br />

nicht die Einheit in der Anerkennung von Berufsabschlüssen.<br />

Und nicht zuletzt: Städte und Gemeinden sollten auf<br />

Neueinstellungen als Zuzüge eingestellt sein. Wer mit<br />

der Stelle eine günstige Wohnung angeboten bekommt<br />

oder ein „Begrüßungspaket“ erhält, der entscheidet sich<br />

eventuell eher.<br />

Wichtig ist das Signal: Wir helfen beim Ankommen!<br />

Ostfriesland kennenlernen<br />

Mit Erstaunen nahmen die Diskutierenden im Saal der<br />

Ostfriesischen Landschaft wahr, dass Studentinnen und<br />

Studenten z.B. der Universität Oldenburg im Grunde<br />

Ostfriesland nicht kennenlernen können. Die Ausbildungsordnung<br />

schreibt einen engen Radius des Einsatzes<br />

im Praxissemester vor. Die meisten ostfriesischen<br />

Städte werden von daher nicht erreicht.<br />

Diese Regelung muss umgehend aufgehoben, neue<br />

Vorgaben erarbeitet werden.<br />

Ein Vorschlag ist, die Praxissemester mit den Ausbildungsseminaren<br />

zu koordinieren, damit die Lehrenden<br />

– und um deren Fahrzeiten geht es – entlastet werden<br />

können.<br />

Darüber hinaus trugen die Anwesenden gleich eine<br />

Reihe von Beispielen vor, auf welche Art und Weise<br />

Sympathieaktionen zum besseren Kennenlernen einer<br />

Schule beitragen können. Vom virtuellen Rundgang in<br />

der Schule auf der Homepage bis hin zu Busreisen zu<br />

den Schönheiten der ländlichen Region.<br />

Viele Schulen und Gemeinden sind hier bereits auf<br />

dem Weg.<br />

In Ostfriesland für Ostfriesland<br />

Eine positive Entwicklung erlebt das Seminar Aurich.<br />

Der Anteil der Lehramtsanwärterinnen und -anwärter<br />

steigt und die Anzahl derjenigen, die in der Region aufgewachsen<br />

sind und sich heimatnah orientieren, steigt<br />

ebenso. Junge Menschen, die ihre Zukunft in dem sehen,<br />

was ihnen wohlbekannt und lebensnah ist.<br />

Schnell liegt die Folgerung auf der Hand.<br />

Wenn sich Studentinnen und Studenten oft an ihrem<br />

Studienort orientieren, den Ort der Ausbildung für die<br />

Einstellung möglichst in der Nähe behalten wollen –<br />

warum gibt es dann keine Ausbildung in Ostfriesland?<br />

Es werden in Zukunft derart viele Lehrerinnen und<br />

Lehrer benötigt, dass absehbar ist: Die vorhandenen<br />

Ausbildungsmöglichkeiten werden nicht ausreichen.<br />

Ende 2017 kam die Bertelsmann-Stiftung mit Zahlen heraus:<br />

Es werden bundesweit 60 000 Lehrkräfte in den<br />

Ruhestand gehen, weitere 26 000 neue Stellen werden<br />

für einen zu erwartende Anstieg der Schülerzahlen benötigt<br />

und rund 19 000 für den Ausbau der Ganztagsschulen.<br />

Das sind Hochrechnungen, sicherlich, und sollten<br />

diese Zahlen stimmen, müssen zwangsläufig mehr Ausbildungsmöglichkeiten<br />

und -stätten geschaffen werden.<br />

Die Forderung also:<br />

Unsere Hochschule vor Ort muss erweitert werden,<br />

sich an den Bedürfnissen der Region orientieren.<br />

Notwendig ist die Einrichtung eines erweiterten und gut<br />

ausgestatteten Fachbereich Bildungs- und Sozialwissenschaft<br />

an der Hochschule Emden/Leer.<br />

Eine Ausbildung in Ostfriesland für Ostfriesland.<br />

Es soll die Erfahrung genutzt werden: Wer in einem<br />

Ort eine Ausbildung absolviert, die Menschen kennenlernt,<br />

die Landschaft schätzt, den Jahreslauf erlebt, sich<br />

schließlich heimisch fühlt – der möchte auch dort bleiben,<br />

Wurzeln schlagen.<br />

Aurich wintergrau<br />

Es ist niemand, soweit bekannt, an diesem wintergrauen<br />

Spätnachmittag verspätet heimgekommen, niemand<br />

in ein Schneetreiben geraten.<br />

Ostfriesland blieb verschont.<br />

Dennoch.<br />

Es rollt eine Katastrophe auf Ostfriesland zu. Es muss<br />

gehandelt werden.<br />

Jetzt.<br />

Studie der Bertelsmann-Stiftung:<br />

Klaus<br />

Klemm, Dirk Zorn:<br />

Lehrkräfte dringend<br />

gesucht. 2017<br />

Quelle:<br />

https://www.bertelsmann-stiftung.de/fileadmin/files/BSt/Publikatio<br />

nen/GrauePublikationen/BST-17-032_Broschuere-Lehrkraefte_dri<br />

ngend_gesucht_GE-<br />

SAMT_WEB.pdf (zuletzt<br />

ges. 09.03.2017)<br />

Jk<br />

KV Emden<br />

10


KV AUR: Pendelpädagogik<br />

Die Arbeitsbelastung von Lehrkräften ist zu hoch, -<br />

das wissen wir nicht erst seit unserer Arbeitszeitstudie.<br />

Wenn noch eine unzumutbare Arbeitsorganisation<br />

oben drauf gepackt wird, können schlechte Arbeitsbedingungen<br />

schließlich gesundheitsschädlich werden. Ein<br />

solches Beispiel wurde der Konferenz der GEW-Vertrauensleute<br />

und -Personalräte im Kreisverband Aurich<br />

bekannt:<br />

Die IGS Hinte-Krummhörn ist eine Schule an zwei<br />

Standorten, die rund 10 km voneinander entfernt liegen.<br />

Schulträger ist der Landkreis Aurich. Am Standort<br />

Pewsum werden die Jahrgänge 5 bis 8 und am Standort<br />

Hinte zzt. die Jahrgänge 9 bis 11 unterrichtet. (Die Oberstufe<br />

wächst auf.) An der IGS Hinte-Krummhörn sind<br />

insgesamt zzt. 59 Kolleg_innen im Unterrichtseinsatz,<br />

davon sind aktuell 49 vom Pendeln zwischen den beiden<br />

Standorten betroffen. Sie fahren täglich einmal, teils<br />

auch zweimal die Strecke zwischen den beiden Orten.<br />

Insgesamt finden 131 Pendelfahrten wöchentlich statt.<br />

Zusätzliche Standortwechsel, z. B. wegen anstehender<br />

Team-/AG-Sitzungen, sind dabei noch gar nicht berücksichtigt.<br />

Die reine Fahrtzeit für den Wechsel beträgt bei<br />

freier Straße 14 Minuten; eine Pause dauert 20 Minuten.<br />

Ein Ortswechsel ist nicht immer zeitgerecht zu schaffen<br />

und Gelegenheit für das stille Örtchen bleibt kaum.<br />

Hinzu kommen für diese Kolleg_innen die üblichen<br />

Aufsichten in den weiteren Pausen bzw. vor und nach<br />

der Schulzeit. Im extremsten Fall bedeutet dies bei 10<br />

möglichen Pausen am Vormittag, dass in 6 Pausen<br />

gependelt wird und noch zwei Pausenaufsichten übernommen<br />

werden müssen. Aufs Jahr hochgerechnet verbringen<br />

die Kolleg_innen insgesamt ca. 1200 Stunden<br />

für die Pendelfahrten im Auto. Dafür fallen etwa<br />

13.000€ an Fahrtkosten jährlich an.<br />

Viel zu wenig Zeit bleibt für die Kommunikation zwischen<br />

den Lehrkräften und die mit den Schülerinnen und<br />

Schülern. Auch Übergabegespräche oder der Austausch<br />

in erzieherischen Konfliktsituationen sind zwischen den<br />

Kolleg_innen kaum möglich, da man sich teils nur im<br />

Auto unterwegs grüßen kann. Das private Smartphone<br />

und die Nutzung weiterer digitaler Technik halten notdürftig<br />

noch eine fragmentierte Kommunikation in diesem<br />

Schulalltag aufrecht. Missverständnisse<br />

und Störungen im<br />

Informationsfluss sind programmiert.<br />

Die GEW-Vertrauensleuteund<br />

-Personalräte-Konferenz<br />

stellte fest:<br />

- In jedem Betrieb ist die Wegezeit<br />

zwischen den Einsatzorten zu<br />

entlohnende Arbeitszeit. Das<br />

muss auch für Lehrkräfte gelten,<br />

z. B. in dem ihnen dieser Zeitaufwand<br />

auf die zu erteilenden Un-<br />

11<br />

Leuchtturm Nr. 128<br />

Jürgen Faber, Mitglied<br />

des SBPR und<br />

des GEW-Bezirksvorstands,<br />

war<br />

unsere kompetente<br />

Begleitung auf der<br />

Vertrauensleuteund<br />

Personalräte-<br />

Konferenz.<br />

terrichtsstunden angerechnet<br />

wird! Ganz besonders sind in diesem<br />

Zusammenhang die Teilzeitbeschäftigten<br />

zu beachten, die ihre Arbeitszeit wegen<br />

Kindererziehung oder zur Pflege von Angehörigen reduziert<br />

haben.<br />

- Niemand kann die Kolleg_innen zwingen, ihren privaten<br />

PKW für den Pendelverkehr zur Verfügung zu<br />

stellen.<br />

- Die beschriebenen Arbeitsbedingungen können<br />

krank machen. Die Landesschulbehörde als Arbeitgeber<br />

muss ihrer Fürsorgepflicht gegenüber den Beschäftigten<br />

nachkommen.<br />

- Grundlegende Verbesserungen lassen sich mittelfristig<br />

nur umsetzen, wenn das Kultusministerium eine Unterrichtsversorgung<br />

von 100% plus X gewährleistet.<br />

Gerade für Schulen in den Randregionen des Landes<br />

müssen Maßnahmen greifen, die hier den generellen<br />

Lehrkräfte-Mangel mindestens abmildern.<br />

Als kurzfristig wirkende Maßnahme forderte die<br />

GEW-Konferenz die kommunalen Schulträger und die<br />

Schulleitung auf, sich gemeinsam mit dem Personalrat<br />

um eine Problemlösung zu bemühen. Der Landkreis Aurich<br />

hat schon reagiert; der zuständige Dezernent, Herr<br />

F. Puchert, wird nach den Osterferien zu einer Besprechung<br />

einladen, an der auch der Personalrat der IGS und<br />

Vertreter des GEW Kreisvorstands Aurich teilnehmen<br />

werden.<br />

Franz Kampers<br />

KV Wittmund:<br />

Begrüßung neuer und Ehrung langjähriger GEW-Mitglieder<br />

am Donnerstag, d. 3. Mai 2018 ab 16:30 Uhr<br />

in der Residenz Wittmund<br />

Eine personalisierte Einladung erfolgt in diesen Tagen, Anmeldung erforderlich


Leuchtturm Nr. 128<br />

GEWerkschaftliches Urgestein<br />

Prof. Siegfried Sommer - 60 Jahre Gewerkschaft, eine Hommage<br />

Vor jetzt über 60 Jahren, am 2. April 1957, trat Siegfried<br />

Sommer in die IG Druck und Papier ein.<br />

Es war das Jahr des Sputnikschocks, die Geburt der<br />

Frage: Wer ist besser und stärker: Sozialismus oder<br />

Kapitalismus? Ein übles Wettrennen um atomare Bewaffnung<br />

zeichnete sich ab. Und es war das Jahr, in dem<br />

„Die zwölf Geschworenen“ in die deutschen Kinos kam.<br />

Ein Film, der zeigte, was ein gruppendynamischer Prozess<br />

ist und was es heißt, Mut zu haben, die eigene Überzeugung<br />

zu vertreten.<br />

Beide Aspekte – die Begleitung gruppendynamischer<br />

Prozesse und den Mut, die eigene Überzeugung zu vertreten,<br />

haben sein Leben geprägt.<br />

Dabei war der Weg längst nicht vorgegeben. Im Gegenteil.<br />

Eine durchaus seltene Ehrung:<br />

Urkunde und Präsent für 60 Jahre Mitgliedschaft.<br />

Prof. Siegfried Sommer, Ursula Themer GEW KV Emden<br />

In einem kleinen Dorf in Niedersachsen aufgewachsen,<br />

lernte der junge Siegfried Sommer das dörfliche Gefüge<br />

aus der Perspektive des Nur-Geduldeten kennen –<br />

der Vater abwesend, die Mutter allein mit den Entscheidungen.<br />

Das Dorf und die soziale Schichtung entschied,<br />

ob Nachwuchs in der Kapelle der Freiwilligen Feuerwehr<br />

z.B. ein Instrument lernen durfte; die soziale<br />

Schichtung entschied, ob ein Kind in den Bus einsteigen<br />

kann, um in der nächsten kleinen Stadt das Abitur zu machen.<br />

Die Dorfschule, zwei Lehrkräfte, zwei Klassengruppen<br />

reichen oft nicht aus, um Kindern, die mehr<br />

vom Leben wollen, den Start ins Leben zu erleichtern.<br />

Wer im Abseits steht, der braucht ein Quentchen<br />

Glück. Und das kam mit dem Besuch einer Flüchtlingsfamilie,<br />

die einen entscheidenden Hinweis gab.<br />

Sie wies auf die Möglichkeit einer Lehre in Hannover<br />

hin. Der 14jährige trat nach Abschluss der Schule eine<br />

Lehre an; das war so, die Volksschüler mussten jung, zu<br />

jung in den Beruf. Er sollte Schriftsetzer werden, bei genauer<br />

Betrachtung ein Lottogewinn.<br />

Und das Leben in der Stadt – einerseits einsam, andererseits<br />

von Erfolg begleitet – hob das Selbstbewusstsein.<br />

Mit 17 das erste Gesellenjahr. Aber ein Abschluss,<br />

die neue Sicht auf eine Welt des Wissens weckt die Begierde<br />

nach dem Lernen. Aus der „Totenstarre des Dorfes“,<br />

so bezeichnete es Siegfried Sommer, ging es in ein<br />

Leben in Eigenständigkeit.<br />

Es geht, das mag seltsam klingen, den Schülern des<br />

Zweiten Bildungsweges um das Lernen-dürfen, nicht so<br />

sehr um das Lernen-können. Bildung in Deutschland<br />

war und ist ein System in Schranken. Doch auch diese<br />

Schranke wurde überwunden und der junge Schriftsetzer<br />

studierte an der PH in Lüneburg.<br />

Der unruhige gewerkschaftliche Geist – Siegfried<br />

Sommer war schon früh Vorsitzender der Graphischen<br />

Jugend – brachte im Studium unerwarteten Ärger. Es<br />

ereilte ihn ein Vorbote des Berufsverbotes, die Kriminalisierung<br />

„wegen Hausfriedensbruch und Nötigung eines<br />

Staatsorgans“ durch den Rektor der PH, der die Mitbestimmungsrechte<br />

der StudentInnen beschränken wollte.<br />

Eine prägende Erfahrung. Das stand einem Abschluss<br />

allerdings nicht im Wege. Mit dem Diplom in der Tasche<br />

fand er eine erste Anstellung als Jugendbildungsreferent<br />

beim Landesjugendring in Bremen.<br />

12


Leuchtturm Nr. 128<br />

Drei Generationen müsse man schon in Ostfriesland<br />

leben, bevor man sich als solcher akzeptiert und heimisch<br />

fühlen dürfe, das erklärte ihm sein Schwiegervater<br />

- ein ostfriesischer Pfarrer – beim Wechsel nach Emden.<br />

Die Arbeit an der Fachhochschule, die zu der Zeit noch<br />

auf wackeligen Beinen stand, brachte Aktivität über die<br />

Tätigkeit als Lehrender hinaus.<br />

Die Jugendzentrumsbewegung forderte mehr Freiheiten<br />

für die Selbstorganisation und Entfaltungsmöglichkeiten.<br />

Der Einsatz für die Jugend in der Hafenstadt<br />

gestaltete sich schwierig. Die Emder sind manchmal<br />

schwer zu bewegen, aber das ist heute noch so.<br />

Dennoch. Die Arbeit richtete sich bald auch auf die<br />

Geschichte der Jugend- und Arbeiterbewegung, die „AG<br />

ehemaliger SAJ-ler vor 1933 und nach 1945“, die Falken,<br />

eine umfangreiche Sammlung biographischer Darstellungen<br />

und Materialien aus dunkelster NS-Zeit<br />

wuchs – eingefügt darin Dokumentationen von Holocaust-Überlebenden<br />

aus Emden. Siegfried Sommer<br />

brachte den „Arbeitskreis Juden in Emden“, heute<br />

„Max-Windmüller-Gesellschaft“, mit auf die Beine und<br />

1984 - anlässlich des 50. Jahrestags der Zerstörung Emdens<br />

- den „AK Bunkermuseum Emden e. V.“ auf den<br />

Weg. Der „AK Stolpersteine in Emden“ hat seine Wurzeln<br />

in dieser Arbeit. Ton- und Bildsammlungen, Dokumentationen<br />

und Ausstellung in Emden - darunter<br />

„Geschichte der Arbeiterjugendbewegung in der Region<br />

Ostfriesland“, Ausstellung „Frauen in der Arbeiterbewegung<br />

- Zur Geschichte der AWO in Emden“, Ausstellung<br />

„ Zur Geschichte der Arbeiterbewegung in Emden“, um<br />

nur einige zu nennen, gehen auf seine Aktivitäten zurück.<br />

Ab 1994, das sei besonders erwähnt, begann Siegfried<br />

Sommer mit einer Zusammenarbeit, die weit über die<br />

Grenzen hinausging und Emden ein neues Selbstverständnis<br />

gab. Es lebte der Austausch mit der Minsker<br />

Staatlichen Linguistischen Universität auf, es gab regelmäßige<br />

Kontakte nach Minsk – und in der Folge des<br />

grausamen Unfalls eine langjährige Mitarbeit in der Stiftung<br />

„Kinder in Tschernobyl“.<br />

Über Jahrzehnte pflegte er die Mitarbeit in der Bundes-<br />

und Landesarbeitsgemeinschaft der Gedenkstätten.<br />

In dieser Rolle gab es die Mitwirkung in der Gesetzesinitiative<br />

zur „Förderung von Gedenkstätten und Initiativen<br />

im Lande Niedersachsen“, die Mitarbeit im „AK<br />

Frieden in Forschung und Lehre an Fachhochschulen<br />

und Universitäten der BRD“ und gemeinsame Tagungen<br />

mit der Staatlichen Kommission für Friedenspolitik der<br />

DDR. Seit 2010 wirkt Siegfried Sommer in der<br />

GEW-AG „Courage gegen Rechtsextremismus“ mit.<br />

Die Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter der<br />

GEW haben Anlass, Siegfried Sommer zu danken. „Vertraue<br />

deinen Wahrnehmungen und Vorhaben“, erklärte<br />

Siegfried Sommer einmal, „aber verzichte nicht auf das<br />

so wichtige Quentchen Glück, wenn es dich im Kampf<br />

für eine bessere Gesellschaft gesund und munter hält.“<br />

Weitere Ehrungen im KV Emden<br />

Josef Kaufhold<br />

Neben der Ehrung für Prof. Siegfried Sommer für<br />

sechzig Jahre Mitgliedschaft wurden geehrt<br />

> für 25 Jahre Mitgliedschaft Ruth Frerichs und<br />

Hans Gerd de Beer<br />

> für 40 Jahre Mitgliedschaft Holger Harms, Bodo<br />

Dechert, Ursula Olthoff, Ingrid Becker, Doris Sprick und<br />

Renate Kohle.<br />

Und es gab zwei weitere besondere Auszeichnungen:<br />

Für 50 Jahre Mitgliedschaft wurden Detlef Spindler<br />

und Friedrich Hentschel geehrt.<br />

Ursula Themer überreicht Friedrich Hentschel eine<br />

Ehrenurkunde und ein Präsent. Detlef Spindler konnte<br />

leider nicht anwesend sein.<br />

13


Leuchtturm Nr. 128<br />

Arbeitskreis Ostriesische Hochschultage der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW)<br />

Jürgen Richter und Hasso Rosenthal verabschiedet<br />

Abschied stand im Mittelpunkt der Sitzung des Arbeitskreises<br />

im Europahaus Aurich. Aus privaten<br />

Gründen traten Jürgen Richter (Vorsitzender) und Hasso<br />

Rosenthal (Pressewart) von der Vorstandsarbeit zurück.<br />

Jürgen Richter hatte<br />

1975 im Arbeitskreis angefangen,<br />

seit 1996 gestaltet<br />

Hasso Rosenthal<br />

die Homepages mit Tagungsberichten<br />

und<br />

Fotos der Dozenten und<br />

Teilnehmer. Jürgen Richter<br />

würdigte die Arbeit<br />

des Teams des Arbeitskreises.<br />

Die Mitglieder<br />

wie Detlev Spindler und<br />

Hasso Rosenthal hätten<br />

die Arbeit immer wieder<br />

vorangetrieben und ordnend<br />

eingegriffen. In der<br />

Regel im Zweijahresrhythmus<br />

fanden die<br />

Fortbildungsangebote<br />

der GEW als überregionales<br />

Angebot statt und<br />

hatten dank der sehr<br />

guten Kontakte von Detlev<br />

Spindler immer auch<br />

herausragende Seminare<br />

und Workshops anbieten<br />

können. Die Hilfe des<br />

Kreisverbandes Aurich<br />

wurde besonders gewürdigt.<br />

Dabei hätten aktuelle<br />

Entwicklungen<br />

immer mit dem Ziel im<br />

Jürgen Richter und Hasso Rosenthal bei ihrer<br />

Verabschiedung und Ehrung im Europahaus Aurich,<br />

mit zwei alten Plakaten der Ostfriesischen Hochschultage<br />

Vordergrund gestanden, praktische Hilfen für den Schulbetrieb<br />

anzubieten. „Oft waren Träume der besseren Pädagogik<br />

Programm!“. Stefan Stürmer, der<br />

Bezirksvorsitzende der GEW erinnerte daran, dass die<br />

enorme Arbeit der Vorbereitung<br />

solcher Hochschultage<br />

nicht genug gewürdigt werden<br />

könne. Der Ostfriesische<br />

Lehrerverein hatte<br />

schon lange vor dem Wechsel<br />

in die GEW dieses Angebot<br />

gestaltet. In der Regel<br />

alle zwei Jahre trifft man<br />

sich und der Bezirk unterstützt<br />

das Angebot der<br />

gewerkschaftlichen Fortbildung.<br />

Im Grunde gebe es<br />

seit mehr als 200 Jahren<br />

selbstorganisierte Fortbildung.<br />

Mehr als die Fortbildung<br />

in den Kreisverbänden<br />

bieten die Ostfriesischen<br />

Hochschultage „den Blick<br />

über den Tellerrand“. Mehr<br />

als in den so genannten<br />

sozialen Netzwerken wird<br />

mit dem persönlichen dialogischen<br />

Austausch im Gegensatz<br />

zu den dort<br />

vorherrschenden monologischen<br />

Kommunikationsformen<br />

Denken und Handeln<br />

lebendig „Face to Face“<br />

entwickelt. (siehe nächste<br />

Seite)<br />

Gudrun Jakobs, Karl Hoops, Hans-Peter Schröder, Jürgen Richter<br />

v.l.n.r.: Günter Beyer, als Gäste: Ullrich Schierz, Jürgen Kramm;<br />

Josef Kaufhold<br />

14


Leuchtturm Nr. 128<br />

v.l.n.r.: Stefan Störmer, Hasso Rosenthal,<br />

Alexander Wiebel, Detlef Spindler<br />

Stefan Störmer beschreibt die Wichtigkeit der Ostfriesischen<br />

Hochschultage für die Bildungsregion Ostfriesland und die<br />

aktive Rolle von Jürgen Richter und Hasso Rosenthal<br />

Stefan Störmer, GEW-Bezirksvorsitzender, hatte auch Präsente<br />

für die beiden zu Verabschiedenden mitgebracht<br />

Wanted...<br />

Ein Brand hat viele alte Plakate,<br />

Flyer und Dokumente der Ostfriesischen<br />

Hochschultage vernichtet.<br />

Wer noch OHT-Unterlagen von vor<br />

1994 in seinem „Archiv“ findet,<br />

wendet sich bitte an Jürgen Richter:<br />

AJRichter@t-online.de<br />

Vorteile des Gruppengesprächs bei jeder Fortbildung:<br />

01. Erfahrung der Stimmung der Gesprächspartner<br />

02. Erfahrung der Mimik<br />

03. Erfahrung der Gestik<br />

04. Erfahrung des lebendigen Gegenübers<br />

05. Sachauseinandersetzung im direkten Gespräch mit<br />

Pro und Contra<br />

06. Dialogische Annäherung<br />

07. Verschärfung (Klarheit) der Gegensätze<br />

08. Intellektueller Austausch<br />

09. keine monologische Einbahnstraße (im Gegensatz<br />

zum Austausch in `sozialen´ Netzwerken)<br />

10. Weiterentwicklung des Wissenstandes (auch durch<br />

sofortiges Feedback)<br />

11. Erfahrung der Stimmenmodulation, der Stimmlage<br />

12. Ausloten der Zwischentöne<br />

13. Erlebnis des persönlichen Gesprächs<br />

14. Wirkung der nonverbalen Kommunikation<br />

15. Lebendigkeit des Ausdrucks<br />

16. Nutzung der sprachlich stimmlichen Ausdrucksformen<br />

(fragend, ausrufend, betonend, befehlend,<br />

widersprechend, schmeichelnd, liebevoll, freundschaftlich,<br />

ärgerlich, begeistert, wütend, gelangweilt...)<br />

17. Entwicklung der Empathie (und ständige Fortentwicklung)<br />

18. Erfahrung des Gefühls<br />

19. Verstärkung des Gruppengefühls<br />

20. Entwicklung solidarischer Interaktion<br />

Hasso Rosenthal<br />

15


Leuchtturm Nr. 128<br />

Da kam Freude auf!<br />

SeniorInnen aus Jever, Varel und Wittmund besuchten Karl Marx-Ausstellung in Hamburg<br />

Man glaubt ja gar nicht, wie spontan die älteren GewerkschafterInnen<br />

(Alt-68-er?) sein können. Kaum<br />

war die Einladung zur Fahrt nach Hamburg ins „Museum<br />

der Arbeit“ zur Ausstellung „Das Kapital“ anlässlich<br />

des 150. Jubiläums der Erstausgabe raus, da<br />

überstürzten sich die An- und Rückmeldungen. Letztlich<br />

waren wir 27 SeniorInnen, die von Wittmund über Jever<br />

und Varel am 28. November nach Hamburg unterwegs<br />

waren. Es gab lecker Frühstück im Bus, um fit für die<br />

Führung durch die Ausstellung zu sein. Sie startete beeindruckend<br />

mit einer riesigen Warenansammlung –<br />

symbolisiert durch unzählige Konservendosen mit Aufschriften<br />

wie T-Shirts, Bier, Musik – als Anschauung für<br />

den ersten Satz des Kapitals von Karl Marx:<br />

„Der Reichtum der Gesellschaften, in welchen kapitalistische<br />

Produktionsweise herrscht, erscheint als eine<br />

ungeheure Warensammlung, die einzelne Ware als seine<br />

Elementarform.“<br />

Hier sei eine kleine Abschweifung gestattet zum<br />

Thema „Reichtum“. John Holloway weist in seinem<br />

Aufsatz „Ganz am Anfang beginnen“ darauf hin, dass<br />

Marx davon spricht, dass der Reichtum als ungeheure<br />

Warensammlung erscheint und es daher eine andere<br />

Form des Reichtums geben muss. Nach Holloway versperrt<br />

der Blick auf den Reichtum an Waren den Blick<br />

auf den wahren Reichtum, nämlich unser Potenzial, unsere<br />

Fähigkeiten, die es frei zu entfalten gelte und nicht<br />

als Arbeitskraft zu verkaufen seien, damit es dem Käufer<br />

der Arbeitskraft mehr Geld verschafft. In einem anderen<br />

Beispiel verweist er auf die Versuche, das Schulsystem<br />

zu privatisieren und den Reichtum Bildung zur Ware<br />

werden zu lassen. Und dieser Reichtum, unser Potenzial,<br />

so Holloway, sei allemal besser als Anknüpfungspunkt<br />

für Veränderungen geeignet als das Blicken auf den<br />

Reichtum an Waren. Das mal so am Rande erwähnt.<br />

Aber zurück zu unserer Führung, die ein prekär beschäftigter<br />

promovierter Ethnologe interessant gestaltete,<br />

so dass wir am Ende noch in kleinen Gruppen zum<br />

Diskutieren zusammenstanden. Stoff gab es ja genug.<br />

Angefangen bei Marx’ Sponsor Engels, der gezeigt hat,<br />

dass Mäzenatentum auch außerhalb des Dunstkreises der<br />

Kunst existieren kann bis zu der Frage, wie die Mehrwertproduktion<br />

im Zeitalter der Digitalisierung funktioniert.<br />

Nach dem Mittagessen im Fabrik-Café haben einige<br />

erfolgreich Weihnachtseinkäufe getätigt, andere Glühwein<br />

und Bratwurst genossen. Gegen 21 Uhr waren wir<br />

wieder zurück und freuen uns schon auf weitere Veranstaltungen<br />

im Jahr 2018.<br />

Klaus Blume-Wenten<br />

16


17<br />

Leuchtturm Nr. 128<br />

„Kompetenzorientierung ist nicht eine Erfindung<br />

von Pädagogen, sondern von der OECD in Paris“<br />

Lernziele und Lernformen haben sich verändert. Über die Zeit verlor das Stoffpauken an Bedeutung,<br />

im Vordergrund steht heute der Erwerb von Kompetenzen. Stefany Krath sprach mit dem<br />

Erziehungswissenschaftler Prof. Dr. Andreas Gruschka über kompetenzorientierten Unterricht.<br />

Herr Prof. Gruschka, warum halten sie die Kompetenzorientierung<br />

der Curricula im deutschen<br />

Bildungssystem für falsch?<br />

Man muss verschiedene Dimensionen bei diesem<br />

Thema unterscheiden. Die erste ist, dass das Wort bzw.<br />

die Forderung nach Kompetenz schlecht zu kritisieren<br />

sind. Die Alternative für Kompetenz wäre Inkompetenz!?<br />

Jeder Mensch mit Sinn und Verstand muss für Kompetenz<br />

sein. Insofern sollte man auch nicht gegen Kompetenzorientierung<br />

sein. Diese positive Aufladung des Begriffs<br />

macht die Opposition gegen die konkrete Bildungspolitik<br />

ein bisschen schwierig. Ich habe natürlich überhaupt<br />

nichts dagegen, dass Schüler kompetent werden. Man<br />

sollte allerdings gerade bei solchen Heilsbegriffen genauer<br />

hinschauen. Die Frage ist doch, worauf bezieht sich<br />

diese Kompetenz? Es gibt ja eine Menge menschliche Fähigkeiten,<br />

eben Kompetenzen, vor der wir allen Grund<br />

haben, uns zu fürchten. Und manche Kompetenz kann für<br />

gute wie für schlechte Zwecke eingesetzt werden.<br />

Was ist die Konsequenz?<br />

In unserem Fall lässt sich feststellen, dass die Forderung<br />

in strikter Ablehnung zu dem entsteht, was in unserer Tradition<br />

Bildung heißt. Man will einen Perspektivenwechsel<br />

einleiten. Insofern ist zu fragen, ob wir eine Orientierung<br />

auf Kompetenzen wollen können, wenn dies zugleich bedeutet,<br />

die bisherige normative Orientierung unseres Bildungssystems<br />

aufzugeben. Es heißt ja nicht umsonst<br />

Bildungssystem und nicht Kompetenzsystem, Schule und<br />

nicht Kompetenzzentrum. In der OECD-Sprache heißt<br />

das Literacy, und Literacy ist etwas anderes als Bildung.<br />

Literacy soll Menschen in die Lage versetzen, sehr flexibel<br />

je nach Situation Wissensbestände für Problemlösungen<br />

zu nutzen. Kompetenz bedeutet somit instrumentelle<br />

Verfügung über Wissen, das man gar nicht im Sinne von<br />

Bildung verinnerlicht haben muss. Schauen Sie sich die<br />

PISA-Testaufgaben an: Es wird nicht nach dem Verständnis<br />

gefragt, nicht Urteils- und Kritikfähigkeit gefordert,<br />

sondern die Fähigkeit, Gelerntes auf vorgegebene, in den<br />

Tests relativ einfache, künstliche Problemlösungen anzuwenden.<br />

Alles Wissen und Können zielt auf Nützlichkeit.<br />

Beides wird zum bloßen Mittel für einen von außen kommenden<br />

Zweck. Er erzieht zur Indifferenz gegenüber den<br />

Inhalten und zur Folgebereitschaft. Das ist ein sehr markanter<br />

Kontrastpunkt zum herkömmlichen<br />

Humboldt‘schen Bildungsbegriff, der Kompetenz vor<br />

allem auf die innere Beziehung zu den Inhalten, die fachliche<br />

Urteils- und Kritikfähigkeit ausrichtete.<br />

Worin liegen die Gefahren einer Ökonomisierung von<br />

Bildung?<br />

Die Allgemeinbildung stand und steht bisher vor der<br />

Berufsbildung. Diese erst richtet sich auf die ökonomischen<br />

und technischen Bedingungen. Wenn nun aber die<br />

ersten 10-13 Jahre der Schule ebenfalls ausgerichtet werden,<br />

auf das, war später beruflichen Erfolg verspricht und<br />

was vermeintlich die „Wirtschaft“ will, werden wir eher<br />

nützliche Idioten als urteilsfähige Bürger unserer Gesellschaft<br />

produzieren. Die begleitende Botschaft der Modernisierer,<br />

die gerne vom Bildungsschrott sprechen, lautet:<br />

Du sollst deinen Kopf nicht vollschütten mit Wissen, das<br />

du nicht brauchst. Für den Fall, dass du solches Wissen<br />

brauchst, hast du ein kleines Gerät in der Hand, mit dem<br />

du auf Knopfdruck alles erfahren kannst. Viel wichtiger<br />

ist, dass du weißt, wie du das Wissen nutzen sollst. Nicht<br />

unbedingt für deinen eigenen Nutzen. Du wirst dienstbereit<br />

gemacht für Aufgaben, die andere für dich bestimmt<br />

haben. Über deren Sinn kannst du freilich nicht mehr<br />

kompetent urteilen. Das Hintergrundwissen und Verstehen,<br />

das dagegen zu erwerben ist, dient unserer Orientierung<br />

in der Welt. Mit der können wir auf Distanz zu<br />

solcher Vernutzung unserer Fähigkeiten durch andere<br />

gehen.<br />

Geht die Kompetenzorientierung zu Lasten von Wissensvermittlung<br />

in der Schule?<br />

Das lässt sich empirisch an den Umstellungen der Lehrpläne<br />

beobachten. Es geht nicht mehr primär darum, Wissen<br />

zu erwerben, sondern dass ein Schüler auf eine ihm<br />

gestellte Frage Wissen als Information aus den digitalen<br />

Technologien heranzieht und es als solche präsentiert.<br />

Nicht umsonst ist die Methode, die in deutschen Schulen<br />

den größten Erfolg in den letzten zwanzig Jahren hat, die<br />

Präsentation. Ein triviales Beispiel: Im Biologieunterricht<br />

werden Drogen behandelt, also sollen sich die Schüler<br />

über Drogen informieren. Der einfachste Modus ist der,<br />

dass man Drogen in acht Beispielen ausdifferenziert und<br />

Zweier- oder Dreiergruppen von Schülern den Auftrag<br />

gibt, nach Maßgabe der chemischen Formeln, nach Maßgabe<br />

der Langzeitwirkung, der Verbreitung und einiger<br />

anderer Kriterien Informationen zu sammeln. Danach bekommen<br />

sie den Auftrag, in zwei Minuten die Ergebnisse


Leuchtturm Nr. 128<br />

zu präsentieren und in eine Kreuztabelle einzutragen,<br />

links die Droge und oben fünf oder sechs Kategorien.<br />

Damit hat die Lehrkraft das Thema Drogen im Wesentlichen<br />

behandelt. Aber ein mehr als oberflächliches Etikettierungswissen<br />

oder die Durchdringung eines der<br />

Drogenprobleme ist damit nicht gegeben. Die Schüler<br />

haben nur gelernt, wie man Informationen von einem Format<br />

in ein anderes bringt. Der Lehrer wird ersetzt durch<br />

den Moderator der Informationsbeschaffung.<br />

Sprechen wir vom beschleunigten Wissenswandel.<br />

Wozu soll ich mir heute Wissen aneignen das morgen<br />

schon wieder veraltet ist?<br />

Wissen veraltet nicht. Das ist eine Modernisierungsparole,<br />

die keinen Gehalt hat. Sie können doch nicht sagen,<br />

dass das, was schon die Griechen an Wissen, an Kenntnissen,<br />

an Gedanken entwickelt haben oder die naturwissenschaftlichen<br />

Erkenntnisse, die vor 50 oder 100 Jahren<br />

gemacht worden sind, veraltet sind. All das ist die Basis<br />

unseres Wissens. Veraltet sind bestimmte Technologien.<br />

Wir trommeln heute nicht mehr, oder wir bedienen nicht<br />

mehr das normale Telefon. Das heutige Wissen baut auf<br />

vorgängigem auf. Nehmen wir eine Fremdsprache, die in<br />

deutschen Schulen vermittelt wird. Wer könnte sagen,<br />

dass Englisch veraltet ist? Selbst Latein ist nicht veraltet.<br />

Trotzdem hat sich das Kompetenzmodell an deutschen<br />

Schulen durchgesetzt.<br />

Weil es dazu lange Zeit keine Opposition gab. Wir befinden<br />

uns in einer Debatte über die inhaltlichen Ziele des<br />

Bildungssystems. Dort gibt es die Verfechter von Bildung<br />

und Wissen auf der einen Seite und die Protagonisten der<br />

Kompetenz in dem so verstandenen utilitaristischen Zugriff<br />

mit der Orientierung auf ein nützliches, verwendungsorientiertes<br />

Wissen auf der anderen Seite. Was<br />

kommt hiervon nun real in den Schulen an? Das ist eine<br />

einzige Katastrophe. Wenn Sie heute deutsche Schulen,<br />

insbesondere in den sogenannten ‚weichen‘ Fächern besuchen,<br />

dann werden sie erkennen, dass die Kompetenzorientierung<br />

dazu führt, dass die Schüler inhaltlich fast<br />

nichts mehr lernen. Es gibt keine Lernherausforderung<br />

mehr. Sie operieren mit Methoden, die irgendwie Spaß<br />

machen und sozial integrativ wirken sollen. Schüler werden<br />

beschäftigt. mit Methoden wie Präsentation, Gruppenarbeit,<br />

Klipperts Methodentrainings oder so schönen<br />

Dingen wie „fishbowls“, die die Inhalte des Unterrichts<br />

nur noch als Spielmaterial benutzen.<br />

Welche Methoden erachten Sie für sinnvoll?<br />

Die Methoden, die verständlich machen, warum etwas<br />

ist, wie es ist: als ein methodisch in je besonderer Weise<br />

bestimmter Gegenstand des Wissens und des Könnens.<br />

Sie können dagegen schlecht in eine Schreinerlehre gehen<br />

und laufend irgendwelche Tischkreise um das Holz herum<br />

bilden, wo sie „mindmaps“ zu Stühlen aufmalen. Dabei<br />

wird nie ein Stuhl entstehen. Selbstverständlich benutzen<br />

sie dort die Methoden, die zur Herstellung eines Stuhls<br />

notwendig sind. Wenn Sie das auf naturwissenschaftlichen<br />

Unterricht beziehen, dann sind die Methoden angebracht,<br />

die zeigen, wie ein Wissenschaftler zu einer<br />

Erkenntnis, wie man zu einem Beweis in der Mathematik<br />

gekommen ist. Die Methoden also, denen wir unsere Erkenntnisse<br />

verdanken, sind auch die Methoden, mit denen<br />

diese den Schülern durchsichtig gemacht werden müssen.<br />

Die anderen Methoden vermitteln nur sich selbst, aber<br />

schwerlich einen fachlichen Inhalt.<br />

Wie gehen Lehrkräfte mit dieser Situation um?<br />

Nach wie vor gibt es in der Schule Fächer und nicht Beschäftigungstherapie.<br />

Es herrscht ein gewaltiger Unmut<br />

in der Lehrerschaft. Die Botschaft der Kompetenzorientierung<br />

macht Lehrkräfte nicht glücklich. Natürlich gibt<br />

es einige, die das gut finden, weil sie mit den neuen Methoden<br />

scheinbar von allen pädagogischen Aufgaben entlastet<br />

sind. Sie müssen nicht mehr erziehen und nichts<br />

mehr didaktisch selbst entwickeln. Aber in der großen<br />

Mehrheit der Lehrerschaft ist eine tiefgehende Frustration<br />

gegenüber diesen Reformen vorhanden. Als Lehrer stehen<br />

sie für ein Fachwissen, das sie den Schülern zu vermitteln<br />

haben. Wird das immer weniger bedeutsam, verlieren sie<br />

den Kern ihrer Aufgabe. Und in dieser Situation treten<br />

ihnen die Schüler entgegen mit dem Hinweis: Was willst<br />

du eigentlich von mir? Was du mir vermitteln willst, kann<br />

ich beliebig mit Computer, Smartphone und Co. abrufen.<br />

Das aber zwingt den Lehrer dazu zu begründen, warum<br />

18


Leuchtturm Nr. 128<br />

es wichtig ist, dieses und jenes zu verstehen, nicht bloß<br />

sich darauf zu verstehen, einen Suchbefehl zu platzieren.<br />

Der Pädagoge gerät mehr und mehr in die Rolle des<br />

Moderators?<br />

Es gibt wundersame Begriffsveränderungen. Erziehen<br />

ist ein mühseliges Geschäft. Das weiß jede Mutter und<br />

jeder Vater. Lehrer haben es noch ein bisschen schwieriger,<br />

weil sie nicht nur ein Kind vor der Nase haben, sondern<br />

gleich dreißig oder mehr. Aber Lehrkräfte sollen<br />

nicht mehr erziehen. Sie sind jetzt „Classroom-Manager“.<br />

Mit Schülern hat das begrifflich schon nichts mehr zu tun,<br />

denn Lehrer sind jetzt Raumpfleger. Sie gestalten und<br />

pflegen „Lernlandschaften“, in denen sich die Kinder<br />

selbstständig tummeln und bewegen. Sie haben mit den<br />

schmuddeligen Aufgaben des Erziehens nichts mehr zu<br />

tun. Das ist natürlich sehr verführerisch, allerdings nur<br />

für die, die eigentlich mit der Pädagogik nichts zu schaffen<br />

haben wollen.<br />

Was müsste die Politik also tun?<br />

Nicht wenigen Verantwortlichen wird mittlerweile<br />

schockartig klar, dass sie den Zug in die falsche Richtung<br />

bewegt haben. Sie können das an den rhetorischen Versuchen<br />

zurück zu rudern feststellen. Man hört zunehmend<br />

den Satz: Wir müssen wieder das Fachliche stärken. Das,<br />

was die Bildungspolitik seit Jahrhunderten auszeichnet,<br />

ist eine Pendelbewegung. Der geht inzwischen in die andere<br />

Richtung. Natürlich wird kein Politiker öffentlich<br />

eingestehen, dass er auf das falsche Pferd gesetzt hat.<br />

Aber in den Schulen ist die Kompetenzorientierung bereits<br />

weitgehend im Lehrerbewusstsein als eine gescheiterte<br />

Reform abgelegt.<br />

Sie sprechen von der Eigengesetzlichkeit von Bildung<br />

und Pädagogik. Könnten Sie das bitte erläutern?<br />

Das eine ist eine theoretische Figur und eine Beobachtung,<br />

die Sie in der Praxis machen können. Die theoretische<br />

Figur sagt, dass wir in unseren modernen<br />

Gesellschaften, die eine ungewisse offene Zukunft haben,<br />

als erwachsene Generation nicht mehr präzise voraussagen<br />

können, was die nächste Generation an Wissen, Können<br />

und natürlich auch an Kompetenzen erwerben muss,<br />

um die auf sie zukommenden Aufgaben zu erfüllen. Das<br />

war in alten traditionellen Gesellschaften anders. Da hatte<br />

man einen stabilen Zukunftshorizont. Die erwachsene<br />

Generation wusste genau, der Sohn wird Nachfolger auf<br />

dem Hof oder Handwerksbetrieb. So konnte man ihn entsprechend<br />

auf die Übernahme der Funktion der Erwachsenengeneration<br />

vorbereiten. Das ist in der modernen<br />

Gesellschaft nicht mehr der Fall. Die Vorbereitung der<br />

nachfolgenden Generation auf die Aufgaben der Zukunft<br />

muss das berücksichtigen. Dazu benötigen wir Bildung.<br />

Das heißt also Autonomie, Urteilskraft, Kritikfähigkeit<br />

und natürlich substanzielles Wissen, eine Fähigkeit die<br />

mit der Urteilskraft verknüpft ist. Wissen, das nicht beliebig<br />

austauschbar ist, sondern einen möglichst rationalen<br />

Standpunkt, eine Orientierung in der Welt ermöglicht.<br />

Wenn wir diese Aufgabe vernachlässigen, hat das fatale<br />

Konsequenzen, weil keine Mündigkeit mehr entsteht,<br />

sondern nur noch Funktionalität und verantwortungslose<br />

Anpassung eingeübt wird. Da sind wir wieder bei der<br />

Kompetenzorientierung. Das ist für eine demokratische<br />

Gesellschaft nicht tauglich. Das kann man für eine technokratische<br />

Gesellschaft beispielsweise nach dem Muster<br />

Chinas empfehlen, aber nicht für unsere modernen demokratischen<br />

Gesellschaften.<br />

Und die praktische Dimension?<br />

Wenn Sie in einer Schulklasse Kinder unterrichten,<br />

haben sie zwei Optionen. Sie können die Kinder zu Papageien<br />

machen, die Ihnen blind oder opportunistisch<br />

(mit den Fruchtstückchen als Belohnung) gehorchen. Sie<br />

richten sie darauf aus, dass sie aus eigenem Antrieb – eine<br />

gute Note zu bekommen – tun, was ein anderer sagt, auch<br />

wenn sie das innerlich ablehnen. Das ist die eine Perspektive,<br />

sozusagen eine Anpassungspädagogik. Sie steht im<br />

Widerspruch zu dem Allgemeinziel von Mündigkeit. Wie<br />

zeigt sich ganz schlicht diese Zielsetzung in der Praxis?<br />

Wenn ein Schüler im Unterricht etwas Falsches sagt, korrigieren<br />

Sie ihn. Sie fordern ihn auf, dass er Begründungen<br />

für das liefert, was er vorträgt. Sie verpflichten ihn<br />

zu Rationalität. Dazu gehört, in der Lage zu sein, auf das,<br />

was ein anderer sagt, auch zu hören und zu antworten.<br />

Das ist die Aufgabe der Pädagogik. Sie finden in der Praxis<br />

unausgesetzt diese Zielsetzung, nicht zuletzt, dass sie<br />

von den Schülern artikuliert wird, weil sie einem Unterricht<br />

widerstehen, der sie unterfordert. Sie stellen die<br />

guten unbequemen Fragen, weil sie nicht verstehen,<br />

worum es geht und der Lehrer ihnen nicht klar macht,<br />

warum sie das lernen sollen. Diese Form von Ansprüchen<br />

erleben wir fast in jedem Unterricht. Die andere Seite verweist<br />

auf die Nicht-Erfüllung der Ansprüche, hier muss<br />

die Kritik am Unterricht ansetzen. Ein Lehrer, der, damit<br />

er keine Konflikte mit den Schülern hat, alles was von<br />

den Schülern kommt positiv beantwortet und gute Noten<br />

verteilt, korrumpiert die pädagogische Tätigkeit. Schüler<br />

erkennen das. Sie wissen, dass sie betrogen werden.<br />

Andreas Gruschka<br />

Andreas Gruschka war Professor im Fachbereich Erziehungswissenschaften<br />

am Institut für Pädagogik der Sekundarstufe der Goethe-Universität Frankfurt.<br />

Seit 2016 ist er emeritiert. Dieser Beitrag wurde in der Zeitschrift „BE-<br />

GEGNUNG – Deutsche schulische Arbeit im Ausland“ 1-2018 veröffentlicht.<br />

19


Leuchtturm Nr. 128<br />

Das Bunkermuseum in Emden<br />

Ist das wirklich echt?“ Ja, alles ist wirklich echt – die<br />

„ Gasmaske ebenso wie der Bunkerkoffer, die verschmorte<br />

Kamera, die Puppe eines Vertriebenenkindes,<br />

die Isolatoren vom Stacheldrahtzaun des KZ Bergen-<br />

Belsen, der Kohleofen in der Nachkriegsküche .... alle<br />

Ausstellungsstücke sind original! Sie verteilen sich auf<br />

6 Etagen und auf über 20 Räume, womit das Bunkermuseum<br />

im wahrsten Sinne des Wortes zu den größten in<br />

Ostfriesland zählt.<br />

tet, damals der erste<br />

seiner Art in Deutschland.<br />

Das Gebäude gehört<br />

seit einigen Jahren der<br />

Stadt Emden und wird<br />

an den Träger des Museums,<br />

den Arbeitskreis<br />

Bunkermuseum<br />

e.V. vermietet.<br />

Der Museumsbunker ist einer von 31 verbliebenen der<br />

ursprünglich 35 Luftschutzbunker in Emden. Er bot im<br />

2. Weltkrieg Schutz für die gesamte Emder Bevölkerung,<br />

die damals ca. 36.000 Menschen umfasste. Der<br />

Bunkerbau begann 1940 zum Schutz der Zivilbevölkerung,<br />

nachdem bei Luftangriffen die ersten Toten zu beklagen<br />

waren, und verhinderte eine größere Zahl von<br />

Kriegsopfern.<br />

Die große Mehrzahl der Emder Bunker, der sog.<br />

Grauen Riesen, konnte nicht abgetragen bzw. gesprengt<br />

werden aufgrund der Bauweise und der engen Bebauung<br />

in unmittelbarer Nachbarschaft. Die Bunker gehören<br />

nach wie vor zum Emder Stadtbild und erfahren heutzutage<br />

unterschiedliche Nutzungen: z. T. werden sie noch<br />

für den Katastrophenschutz vorgehalten, vielfach dienen<br />

sie als Lagerräume,<br />

z.B. für das Stadtarchiv<br />

in Emden – oder als<br />

schalldichte Proberäume<br />

für Emder Musikgruppen.<br />

Es wurden<br />

aber auch Wohnungen<br />

an- oder Penthousewohnungen<br />

oben aufgebaut.<br />

Der Museumsbunker<br />

in der Holzsägerstraße,<br />

also auf der ehemaligen<br />

Altstadtwarft,<br />

wurde 1995 eingerich-<br />

Das Bunkermuseum<br />

erinnert als authentischer<br />

Ort an die Schrecken<br />

des Krieges und<br />

soll ein Mahnmal<br />

gegen das Vergessen sein. Es soll vor allem Jugendliche<br />

und junge Erwachsene dabei unterstützen, einen Zugang<br />

zur Zeit des Nationalsozialismus zu finden. Teilaspekte<br />

sind Terror, Verfolgung und Deportation, Bunkerbau und<br />

Leben im Bunker, Weg in den Krieg und in die Zerstörung,<br />

Leben und Alltag im Nationalsozialismus und in<br />

der Nachkriegszeit, Gedenken und Wiederaufbau. Im<br />

Fokus stehen dabei vor allem auch die regionalen Bezüge<br />

und – ganz entscheidend - die Personalisierung.<br />

Zu letzterem gehören auch Zeitzeugendokumente, die<br />

helfen sollen, das Unfassbare fassbar zu machen - der<br />

Kerngedanke der museumspädagogischen Arbeit.<br />

Es wird versucht, die Schülerinnen und Schüler mit<br />

vielen Sinnen anzusprechen und es sollen Bezüge hergestellt<br />

werden zu den ehemals Betroffenen und zur heutigen<br />

Lebenswirklichkeit.<br />

Das Lernen mit vielen Sinnen beinhaltet z. B. das genaue<br />

Hinsehen bei einem fotounterstützten Durchgang,<br />

akustisch v. a. durch den „Holzklumpenraum“ und die<br />

Sirene, im Medienraum spüren die Kinder Enge und Anspannung<br />

des damaligen Bunkeraufenthalts, Temperatur<br />

20


Leuchtturm Nr. 128<br />

und Lichtverhältnisse unterscheiden sich z. T. erheblich<br />

zwischen innen und außen.<br />

Der Aufenthalt im Bunker war nur ein Teil des Kriegsalltages,<br />

für viele aber besonders stark nachwirkend.<br />

Emden wurde rund 80-mal angegriffen, es gab hunderte<br />

Male Luftalarm, Tag und Nacht. Bei dem schwersten<br />

Angriff m 6. September 1944 wurde die Stadt zu nahezu<br />

80% zerstört. Einen Eindruck vermittelt ein Film, der zu<br />

Beginn des Besuchs gezeigt werden kann (ca. 20 Minuten).<br />

Neben einer Führung bietet das Museum inzwischen<br />

einen Grundstock an museumspädagogischen<br />

Materialien. Hierzu gehören ein Foto unterstützter<br />

Durchgang mit einer Auswahl an 60 Bildern, Arbeitsbögen<br />

„Rundgang durch das Museum“, „Damals und<br />

Heute“, „Bunkerbau“, „Geschichte(n) und Menschen“,<br />

„Leben innerhalb und außerhalb der Bunker.“ Die Materialien<br />

bedienen verschiedene Altersgruppen und<br />

schließen jeweils Lösungsbögen mit ein. So können sie<br />

von Lehrkräften und älteren Jugendlichen eigenständig<br />

und/oder unter Einbeziehung des Museumspersonals<br />

eingesetzt werden. Für den Besuch im Museum sollten<br />

1,5 bis 2 Stunden angesetzt werden.<br />

Zusammen mit dem<br />

Stadtarchiv (in unmittelbarer<br />

Nähe) bietet das<br />

Bunkermuseum Quellen<br />

für Referate, Facharbeiten<br />

und Präsentationen.<br />

Informationen zur<br />

Adresse, zu Öffnungszeiten<br />

und Eintrittspreisen<br />

finden sich unter<br />

www.bunkermuseum.de.<br />

Christel Hallensleben<br />

NIGE Esens<br />

Museumspädagogin<br />

Bunkermuseum Emden<br />

„Was halten Sie denn davon?“<br />

Neulich in einem Norder Baumarkt…<br />

...treffe ich (F) auf zwei ehemalige AZUBIS (A) und<br />

(B) des Groß- und Außenhandels, die ich vor vielen Jahren<br />

an den BBS-Norden unterrichtet habe und die inzwischen<br />

in leitenden Positionen tätig sind.<br />

A: „Das ist ja gut, dass wir mal mit unserem alten Politiklehrer<br />

sprechen können.<br />

Sie haben uns damals erzählt, dass Wahlergebnisse<br />

wichtig für die Regierungsbildung sind.“<br />

B: „Und ich erinnere mich daran, dass Sie uns auf die<br />

Geschichte der Weimarer Republik hingewiesen haben.<br />

Zu viele Parteien im Reichstag hätten Hitler erst möglich<br />

gemacht.“<br />

F: „Richtig...“<br />

B: „Und dann haben Sie mit uns das Grundgesetz besprochen<br />

und uns erklärt, wie es zu einer Regierungsbildung<br />

kommt. Und nun das Tohuwabohu in Berlin. Da<br />

kann man sich ja freuen, dass das in Niedersachsen mal<br />

anders gelaufen ist.“<br />

A: „Aber wie ist es möglich, dass die AFD überall so<br />

viele Stimmen bekommt? Das ist ja wie damals in Weimar.“<br />

F: „Dafür habe ich auch keine einfache Erklärung...“<br />

A: „Ich habe mir überlegt, dass es uns persönlich und<br />

Deutschland insgesamt wohl sehr gut, vielleicht ja zu<br />

gut geht. Aber es gibt eben auch viele Leute, die mit<br />

ihrem Leben unzufrieden sind und sich von der Politik<br />

mit ihren Sorgen allein gelassen fühlen.“<br />

B: „Und ich spreche hier im Baumarkt ja mit vielen<br />

Kunden - die einen sind eben helle und die anderen weniger<br />

- letztere suchen häufig nach einfachen Lösungen.<br />

Die sind dann wohl für die AFD ein gefundenes Fressen.“<br />

A: „Es kann doch wohl nicht wahr sein, dass die Rechten<br />

wieder in Deutschland und in Europa auf dem Vormarsch<br />

sind. Denkzettel für Politiker sind keine Lösung.<br />

Dazu ist unsere Welt zu kompliziert.“<br />

F: „Wenn ich Euch Zwei so reden höre, denke ich mir:<br />

So ganz umsonst war mein Politikunterricht bei Euch ja<br />

nicht... Sagt weiterhin Eure Meinung und mischt Euch<br />

bitte ein - hier am Arbeitsplatz, im Verein und anderswo,<br />

vielleicht ja sogar in einer demokratischen Partei oder<br />

in einer Gewerkschaft... danke, dass Ihr mich angesprochen<br />

habt.“<br />

Hans-Hermann Fischer<br />

21


Leuchtturm Nr. 128<br />

Das Märchen vom bösen 68er<br />

Von wegen 68er: Die realen Probleme Deutschlands haben sehr viel mehr mit den Spät- und Nebenfolgen<br />

der letzten konservativen Wende zu tun - kein Grund für noch so einen Schub Blödsinn.<br />

Eine Kolumne von Thomas Fricke auf<br />

SPIEGEL ONLINE<br />

Der 68er ist ganz schön praktisch. Zumindest für die<br />

eher zum Konservativen Neigenden unter uns. Egal<br />

war schief läuft, der 68er ist schuld. Ob an Heimatverlust,<br />

osteuropäischen Banden, flächenweit mangelndem Patriotismus<br />

oder, noch schlimmer, Gleichstellung der Frau. Und<br />

irgendwie auch an so komplizierten Dingen wie der „Geldmengeneskalation“<br />

der Europäischen Zentralbank, also<br />

dem Nullzins.<br />

So tönte der führende deutsche Dichter und Denker Alexander<br />

Dobrindt, als er zum Jahresstart irgendwas mit konservativer<br />

Revolution zu wünschen gedachte. So liest sich<br />

auch die eine oder andere Kolumne im Land.<br />

Jetzt lässt sich bei dem einen oder anderen Phänomen des<br />

Jahres 2018 nach Christus analytisch sicher eine Spur über<br />

fünfzig Jahre zurück nach 1968 verfolgen. Also wahrscheinlich.<br />

Für die meisten aktuellen Übel braucht es ein<br />

zumindest etwas gröberes Verständnis von Ursache-Wirkungs-Ketten,<br />

also den Zusammenhang zwischen der Kommune<br />

1 und rumänischen Gastkriminellen. Oder Uschi<br />

Obermaier und Mario Draghi.<br />

Das wirkt dann eher wie ein ziemlich dreister konservativer<br />

Versuch der Geschichtsumdeutung.<br />

In Wahrheit liegt das Gros der tieferen Probleme heute ja<br />

weniger bei den Langhaarigen von anno dazumal, sondern<br />

im Gegenteil in den Spätfolgen jener konservativen Wende,<br />

mit der die Hippie-Garde um Ronald Reagan, Margaret<br />

Thatcher und Helmut Kohl in den frühen Achtzigern die<br />

Ära vom Glauben an heilige Marktkräfte und das Durchsickern<br />

des großen Geldes hin zu den Armen einleiteten -<br />

samt späterem Kontrollverlust und Heimatkrise. Dann hilft<br />

gegen unsere Probleme aber auch nicht, jetzt den nächsten<br />

konservativen Unsinn noch draufzulegen. Geschichtsgott,<br />

hilf!<br />

Wenn es heute in Dörfern keine Post mehr gibt, hat das<br />

ja weniger mit Alt-68ern als damit zu tun, dass im Reagan-<br />

Thatcher-Kohlschen Liberalisierungseifer einst irgendwie<br />

alles privatisiert werden und dem Alles-muss-jetzt-Gewinnmachen-Fetisch<br />

erliegen musste. Da wurde die Zahl der<br />

Post-Beschäftigten eben drastisch gekürzt. Von einem<br />

CDU-Postminister. Wodurch der Laden schön Gewinn<br />

machte. Nur gibt es eben jetzt keine Post mehr im Dorf.<br />

Was ähnlich gilt für die Ärzteversorgung. Auch die darf ja<br />

nicht so viel kosten. Da kann man eben nicht überall im<br />

Land eine Praxis haben. Und da muss der Patient auch mal<br />

ein paar Monate auf Abfertigung warten.<br />

22<br />

Hauptsache, die Staatsquote fällt<br />

Wenn es in Deutschland heute vermeintlich zu wenig<br />

Polizisten zum Aufpassen gibt, hat auch das mehr mit<br />

marktliberaler als linker Staatsfeindschaft zu tun. Konservative<br />

Errungenschaft. Es musste ja über Jahre, weil der<br />

Markt es nach gängigem Dogma immer besser kann, der<br />

Staat kleiner werden. Hauptsache, die Staatsquote fällt. Was<br />

dazu führte, dass dieselben Ökonomiepäpste juchzten, dass<br />

in öffentlichen Verwaltungen Jahr für Jahr ein Prozent weniger<br />

Leute beschäftigt waren, die jetzt Stellenmangel beklagen.<br />

Da gab es am Ende eben auch weniger Polizisten.<br />

Und wir müssen schon einmal ein paar Monate warten, bis<br />

unsere Slimfit-Behörden einen Ausweis fertig haben.<br />

Wenn osteuropäische Banden heute so locker auf Einbruchtourismus<br />

machen, ist das ebenfalls kein linker Feldzug<br />

gegens Bürgertum, sondern - wenn überhaupt -<br />

Nebenfolge jenes konservativ-wirtschaftsliberalen Leitmotivs,<br />

nach dem Grenzen nicht offen genug sein können. Und<br />

deshalb auch möglichst schnell möglichst viele Länder in<br />

die EU kommen sollten. Was nirgendwo heute so grotesk<br />

wirkt wie in Großbritannien, das einst vorbildlich wirtschaftsliberal<br />

die Grenzen für Osteuropäer schon öffnete,<br />

bevor es die EU-Verabredungen vorschrieben - und heute<br />

Populisten beheimatet, die mit Wehklagen über polnische<br />

Klempner das Land ins Politdesaster stürzen. Das spricht<br />

nicht dafür, die EU wieder abzubauen, belegt aber, dass das<br />

Problem eher bürgerliche Wurzeln hat.<br />

Nächstes Beispiel: das Verschwinden regionaler Eigenheiten?<br />

Auch ziemlich weitgehend vom marktliberalem<br />

Verständnis getrieben: weil das Ideal vollkommener Konkurrenz<br />

nur gewährleistet ist, wenn einzelne Länder nicht<br />

hier und da Sondernormen halten, die es ausländischen<br />

Konkurrenten schwer machen, dort zu verkaufen. Grundsätzlich<br />

nachvollziehbar. Nur eben fraglich, ob das Prinzip<br />

nicht zu weit getrieben wurde. Auf Kosten des Lokalkolorits.<br />

Der Homo Oeconomicus ist universell<br />

Nichts ist im Grunde so gleichmachend, geschichts- und<br />

identitätsvergessen wie die handelsüblichen Ökonomie-Erklärungsmodelle<br />

der vergangenen Jahrzehnte. Da ist ziemlich<br />

wenig die Rede von (nationalen) Identitäten oder<br />

menschlichen Mentalitätsunterschieden. Der Homo oeconomicus<br />

ist universell. Ob in Bottrop oder Hanoi. Multikulti<br />

auf Ökonomisch. Kern liberal-konservativen<br />

Wirtschaftsverständnisses. Ob man das gut findet oder<br />

nicht.<br />

Selbst Zuwanderung und Gleichberechtigung sind keine


Leuchtturm Nr. 128<br />

Exklusiv-Empathien ausgeprägter Linker, dem stehen auch<br />

Wirtschaftsverbände recht wohlwollend gegenüber - wenn<br />

auch aus etwas schnöderen Gründen: wenn Arbeitskräfte<br />

fehlen, werden Frauen und Ausländer gebraucht (die müssen<br />

ja deshalb nicht gleich in den Vorstand).<br />

Die Liste lässt sich noch verlängern. Wenn Regierungen<br />

heute zum Unmut des Volkes gelegentlich etwas hilflos wirken,<br />

hat das seine Ursprünge nicht 1968, sondern darin,<br />

dass mancher Konzern vor lauter Markttreiben und Globalisierung<br />

einfach zu einer kleinen Weltmacht geworden ist.<br />

Oder es für Reiche Steuermodelle auf Inseln gibt. Und die<br />

Großakteure an den Finanzmärkten schon einmal Regierungen<br />

vor sich hertreiben. Demokratie? Wenn der weise<br />

Markt urteilt, muss halt auch das Volk mal die Klappe halten.<br />

Bevormundung.<br />

Exzesse eines schief gelaufenen Experiments<br />

Unsere Bundestagsabgeordneten hätten in der Euro-Krise<br />

nicht so hastig Akuthilfen für Griechen absegnen müssen,<br />

wenn nicht diese Finanzmärkte wieder verrückt gespielt -<br />

und von Frohsinn auf Panikattacken umgeschaltet hätten<br />

(wie 2011/12). Auch das hat seine Wurzeln nicht bei Uschi<br />

Obermaier, sondern bei Ronald Reagan - Folge der Exzesse<br />

eines schief gelaufenen konservativen Experiments. Verständlich,<br />

dass mancher im Land ärgerlich ist, wenn über<br />

Jahre alles Mögliche gekürzt wurde - und jetzt (scheinbar)<br />

mehr Geld für Andere da ist. Die Frage müsste nur lauten:<br />

musste überhaupt so viel gestrichen werden?<br />

Dass an allem die 68er schuld sein sollen, ist ein ganz<br />

schön plumper Versuch, die Geschichte umzudeuten. Egal,<br />

was man von denen hält. Was nicht heißt, dass es für Konservative<br />

keinen legitimen Wunsch gibt, sich an Volksfesten<br />

und Nationalsymbolen zu erfreuen. Nur: wer die Probleme<br />

im Land wirklich lösen will, sollte auch ein bisschen genauer<br />

hinsehen - vom ritualisierten Schimpfen auf gealterte<br />

Lieblingsfeinde gehen die bestimmt nicht weg. So schön<br />

das die konservative Seele erheitert.<br />

Der Banker Leonhard Fischer hat kürzlich gesagt: „Der<br />

systemverändernde Politikwechsel wird von links kommen,<br />

sobald sich die Linke konzeptionell erneuert hat.“ Vielleicht.<br />

Könnte sich lohnen, wenn der eine oder andere Konservative<br />

dabei ist.<br />

Abgedruckt mit Genehmigung von SPIEGEL ONLINE<br />

Es geht um das Problem der mangelnden politischen Bildung:<br />

Angehende LehrerInnen & Medien…<br />

Die Kommunikationswissenschaftler der TU-Dresden<br />

haben eine Studie veröffentlicht, die die Informationsquellen<br />

angehender LehrerInnen untersucht hat. Nur 20%<br />

lesen mehrmals pro Woche eine gedruckte Zeitung, 40%<br />

lesen keine Zeitung. Als erste Quelle nennen viele die „sozialen“<br />

Medien. Befragt wurden KollegInnen, die Deutsch,<br />

Ethik und Politik studieren.<br />

Dabei ist problematisch, dass hier die Bildungsdefizite in<br />

der `Schule der Demokratie´, nämlich der Schule, auftauchen.<br />

Hier lernt die nächste Generation, wie unsere Demokratie<br />

mit Parlament, Regierung und Opposition<br />

funktioniert. Auch, warum wie unabhängige Gerichte brauchen,<br />

die die Bürgerrechte schützen.<br />

Lehrer müssen die Fähigkeit lehren können, wie man sich<br />

kompetent informiert und im Internet Wahrheit und Lüge<br />

unterscheiden kann. Schüler müssen erfahren, dass man<br />

mindestens zwei unabhängige Quellen braucht und jede<br />

Meinung eine Gegenmeinung hat. Solche seriösen Informationen<br />

erfährt man nur mit Printmedien. Denn der Kodex<br />

der Journalisten schreibt solche Nachrichten-Sichtung vor.<br />

Doch in fast allen digitalen Bildungsplänen fehlt diese<br />

Kompetenz. Und eine kritische Auseinandersetzung mit<br />

dem Problem, dass die individuelle Infosuppe das Gegenteil<br />

von seriöser Informationsbeschaffung ist. Der ehemalige<br />

23<br />

Verfassungsrichter Udo di Fabio schreibt: „An die Stelle<br />

von journalistischer Recherche tritt das zusammengeflickte<br />

Momentanwissen in Erregungszuständen.“<br />

„Soziale“ Medien neigen beim Kampf um die Aufmerksamkeit<br />

der Nutzer zum Propagieren extremistischer Positionen.<br />

„Zwietracht wird gesät, die Demokratie wird<br />

zerstört“ (brit. Historiker Niall Ferguson). Problematisch<br />

ist auch die Abhängigkeit von sozialen Medien als überwiegende<br />

Informationsquelle. Selten steht Nachrichtenkompetenz<br />

in Curricula oder Schulbüchern. „In Zeiten<br />

beliebig manipulierbarer Fakten und Fotos, Audiodateien<br />

und Videos wird die Unterscheidung von Wahrem und<br />

Nichtwahrem zur zentralen Aufgabe bei jeder Informationsbeschaffung.“<br />

Wichtig bleibt bei LehrerInnen eine fundierte<br />

politische Bildung und die Befähigung zur<br />

Informationsbeschaffung durch seriöse Medien. Dabei bleiben<br />

analoge Medien wie Zeitungen und öffentlich-rechtliche<br />

Infokanäle die erste Wahl. Die individuelle Infosuppe<br />

jedwelcher digitaler Echokammern birgt keine Nachrichten<br />

darüber, wie es wirklich in der Welt aussieht.<br />

Hasso Rosenthal<br />

Quelle: „Nachhilfe in Skepsis – Wie informieren sich angehende<br />

Lehrer über demokratische Berichterstattung; Die Zeit; von Martin<br />

Spiewak; 1. März 2018


Leuchtturm Nr. 128<br />

Nicht vergessen – hoffen!<br />

Besuch in der Gedenkstätte KZ Engerhafe<br />

Der italienische Chemiker und Schriftsteller, Überlebender<br />

des KZ Auschwitz, Primo Levi hat einmal<br />

eher beiläufig gesagt: „Die Pflicht zu hoffen und die<br />

Pflicht, nicht zu vergessen, sind weder Synonyme noch<br />

Gegensätze.“ Ich möchte ergänzen: beide sind unerlässliche<br />

Folgen des anderen Satzes von Primo Levi, den wir<br />

neben das Panzergrabenmahnmal in Sandhorst gesetzt<br />

haben: „Es ist geschehen, folglich kann es wieder geschehen.“<br />

Die Gedenkstätte<br />

KZ Engerhafe zeigt<br />

einprägsam und umfassend,<br />

was geschehen<br />

ist: die<br />

Nazi-Herrschaft in<br />

Deutschland mit<br />

ihrer unverhohlenen<br />

Grausamkeit und<br />

Brutalität. Wie unter<br />

Herbert Müller, "Engerhafe und Totenzettel",<br />

Aquarellcollage 2002<br />

einem Brennglas<br />

werden alle Fassetten<br />

sichtbar: Die<br />

Opfer kamen aus 14<br />

europäischen Ländern;<br />

sie wurden<br />

verhaftet, weil sie<br />

sich gegen Gewalt<br />

und Unterdrückung aufgelehnt hatten, weil sie Juden<br />

waren, weil die Wehrmacht sie als Geiseln genommen<br />

hatte, weil sie anderer Meinung waren als die Machthaber.<br />

Das Lager war klein und übersichtlich, es lag mitten<br />

im Dorf zwischen der Kirche und der Schule; der Pausenhof<br />

grenzte an den Lagerzaun, die Schulkinder, aber<br />

auch alle anderen Einwohner hatten das Elend unmittelbar<br />

vor Augen. Von etwa 2000 Gefangenen starben in den<br />

zwei Monaten des Bestehens, 21. Oktober bis 22. Dezember<br />

1944, 188 auf dem Engerhafer Friedhof beigesetzte<br />

Gefangene, zu Grunde gegangen an Hunger,<br />

Erschöpfung und Krankheit, unter der Überschrift: „Vernichtung<br />

durch Arbeit“.<br />

Herbert Müller, "Lager und<br />

Gulfhof", Kohle, 2000<br />

Landung alliierter<br />

Streitkräfte in der Normandie<br />

sollte die Nordseeküste<br />

befestigt<br />

werden und in dem<br />

dazu geplanten „Friesenwall“<br />

war Aurich<br />

als Festung vorgesehen.<br />

Dazu wurden<br />

Häftlinge aus dem KZ<br />

Neuengamme als Arbeiter<br />

eingesetzt, die<br />

vor allem Aurich durch<br />

den Bau eines Panzerabwehrgrabens<br />

schützen sollten. Der Elendszug der<br />

streng bewachten Gefangenen zu ihrer Arbeitsstelle<br />

schleppte sich täglich morgens und abends vor aller<br />

Augen durch die Stadt und die umliegenden Dörfer. Besonders<br />

qualvoll war für die nur dürftig bekleideten Männer<br />

das außergewöhnlich nass-kalte Herbst- und<br />

Winterwetter, dem sie schutzlos ausgeliefert waren.<br />

Niemand konnte sich diesem unmenschlichen Treiben<br />

entgegenstellen; für viele galten sie ohnehin als Feinde<br />

und Verbrecher. Sie waren durch ein großes gelbes Kreuz<br />

auf dem Rücken gezeichnet; man nannte sie „Gelbkreuzler“.<br />

Unmittelbar nach dem Krieg stellten Mitglieder der<br />

„Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes“ (VVN)<br />

Gedenksteine auf dem Gräberfeld auf. 1952 wurden bei<br />

der Suche nach den vielen in Europa verschollenen Männern<br />

vom französischen Suchdienst die Gräber geöffnet<br />

und die Toten, soweit möglich, identifiziert. Anfang der<br />

60er Jahre wurde das Gräberfeld in eine Anlage umgewandelt,<br />

erst 1990 sorgten Lehrer und Schüler des Auricher<br />

Gymnasiums für die Aufstellung des Mahnmals. Die<br />

jetzige Gestaltung des Gräberfeldes wurde erst nach der<br />

Gründung des Vereins Gedenkstätte KZ Engerhafe e.V.<br />

2009 möglich und 2016 verwirklicht. 2015 wurde an<br />

einem noch deutlich sichtbaren Teilstück des Panzergrabens<br />

in Sandhorst ein Mahnmal errichtet.<br />

Die Geschichte des Lagers wirft ein Licht auf das<br />

Leben in Deutschland am Ende des Krieges. Es war ursprünglich<br />

zur Aufnahme von niederländischen Zwangsarbeitern<br />

eingerichtet, die Luftschutzbunker für die<br />

Bevölkerung der Stadt Emden zu bauen hatten. Nach der<br />

Dieses Teilstück und das Gräberfeld sind sichtbare Beweise<br />

dafür, dass so Unglaubliches selbst in einer Kulturnation<br />

wie Deutschland möglich gewesen ist. Und<br />

Primo Levi ist wohl darin recht zu geben, dass „es wieder<br />

geschehen kann“. Diese Erkenntnis zwingt zu der Frage:<br />

24


Leuchtturm Nr. 128<br />

Was schützt uns davor? Man wird zugeben müssen, dass<br />

uns in unserem weitgehend wieder normalisierenden<br />

Leben in Deutschland, vor allem nach 1933 nichts vor<br />

dem Hochkommen Hitlers und seiner Parteigänger geschützt<br />

hat. Erwiesen ist: Menschen sind verführbar –<br />

verführbar auch zu solchen Graden von Unmenschlichkeit,<br />

wie sie im „3. Reich“ praktiziert wurden. Und wenn<br />

der Point of no return erreicht ist, gibt es keine Chance<br />

auf Änderung mehr. Dies muss erinnert werden. „Er –<br />

innert“ ist wörtlich zu nehmen: es muss ins kommunikative<br />

Gedächtnis eingeprägt sein. Dazu möchten wir in unserer<br />

Gedenkstätte helfen und laden deshalb gern<br />

Schülerinnen und Schüler ein, uns zu besuchen.<br />

Es genügt indessen nicht, nur zu erinnern. Das ist nur<br />

die eine Pflicht. Die andere meldet sich dann gleichgewichtig<br />

mit der Frage: Worauf darf ich hoffen? Gibt es<br />

einen Schutz vor dem Abgleiten in menschenfeindliches<br />

Verhalten?<br />

Mit Hilfe von Bildern und Opfermappen, in denen<br />

Schülerinnen Schicksale der Opfer recherchieren können,<br />

und Berichten von Angehörigen der Getöteten versuchen<br />

wir, den Opfern ihren Namen und ihre Geschichte<br />

wiederzugeben und eine empathische Beziehung zu<br />

ihnen und ihrem Schicksal aufzubauen. Dazu helfen auch<br />

die eindrucksvollen Bilder von Herbert Müller.<br />

1945 hat das Entsetzen über den Krieg die Völker dieser<br />

Erde in San Franzisko zu den „Vereinten Nationen“<br />

zusammengeführt und zur Verantwortung gerufen. Es<br />

war damals klar, dass nur eine bindende Verpflichtung<br />

Wiederholungen verhindern kann. Und so schrieb man<br />

in die am 10. 12. 1948 verkündete Erklärung der Menschenrechte<br />

als ersten Satz: „Alle Menschen sind frei geboren<br />

und gleich an Würde und<br />

Rechten“. Unser Grundgesetz<br />

übernahm das mit der Formulierung:<br />

„Die Würde des Menschen<br />

ist unantastbar:“<br />

In der Gedenkstätte, Grabungsbücher und Schädelportraits<br />

von Herbert Müller<br />

Damit wurde eine Gegenbewegung<br />

ausgerufen, ein entschlossenes<br />

Eintreten für das Leben in<br />

Würde und Freiheit eines jeden<br />

Menschen. Die Grundlage für<br />

dieses Eintreten ist ein waches<br />

Einfühlungsvermögen in meinen<br />

Mitmenschen. Dies zu stärken<br />

und wenn nötig zu wecken,<br />

sehen wir als Aufgabe unserer<br />

Gedenkstätte. Die Erinnerung<br />

macht den Zusammenhang deutlich<br />

zwischen national-sozialistischem Denken, Ausgrenzung,<br />

Krieg und menschenverachtendem Verhalten.<br />

Dabei bleiben wir aber nicht stehen, sondern möchten<br />

zeigen, wie aus Begegnung Verstehen und Versöhnung<br />

wachsen kann, die zu einer grenzüberschreitenden Menschenfreundlichkeit<br />

aktiviert.<br />

Wir haben eine Pädagogikgruppe, mit der ein Besuch<br />

am besten vorher auch hinsichtlich des Termins sowie<br />

der didaktischen Wünsche und Möglichkeiten besprochen<br />

werden sollte. Also: Wer für seine Schülerinnen und<br />

Schüler augenfällig demonstriert haben möchte, wohin<br />

Nationalismus und Rassismus geführt haben und führen,<br />

setzt sich am besten mit der Leiterin dieser Gruppe in<br />

Verbindung: Frau Lilo Kessler Tel. 04942/ 3526; Mail:<br />

lilokes@googlemail.com. Es ist auch möglich, mich,<br />

Carl Osterwald, Jahrgang 1927, zu einem einführenden<br />

Vortrag in die Schule einzuladen. Tel. 04942/3237;<br />

Mail: carl.osterwald@ewetel.net. Weitere Informationen:<br />

www.gedenkstaette-kz-engerhafe.de<br />

Carl Osterwald, Mühlenstr. 40, 26624 Münkeboe<br />

Carl Osterwald bei einer Führung am Modell des Lagers<br />

25


Leuchtturm Nr. 128<br />

Förderung der informationellen Grundbildung,<br />

Ausbau der Entwicklung praktischer Fähigkeiten<br />

Stellungnahme des GEW-OV Rheiderland<br />

Informationelle Grundbildung ist der Begriff, der vor<br />

ca. 30 Jahren gebildet wurde, um die Konsequenzen<br />

der Entwicklung der Rechnertechnologie zu beschreiben.<br />

Heute steht der Begriff der „digitalen Bildung“ im<br />

Vordergrund. Wir warnen vor einer einseitigen Fokussierung<br />

auf die „informationellen Technologie“, denn:<br />

Auch wenn wir eine neue Revolution im Produktionsund<br />

Dienstleistungsbereich erleben, bleibt die Arbeitsteilung<br />

in handwerklich/industrielle -, Dienstleistungund<br />

agrarische Arbeitsformen bestehen. Ein Betrieb, der<br />

Handwerker braucht, kann keine Auszubildenden mit<br />

„zwei linken Händen“ gebrauchen. Und im Dienstleistungsbereich<br />

bleibt die Grundanforderung (z. B. eine<br />

Friseurin, um sich mit den Kunden unterhalten zu können),<br />

dass Auszubildende Allgemeinbildung und Kommunikationsfähigkeit<br />

beherrschen.<br />

Deshalb fordern wir:<br />

01. Einerseits den verstärkten Ausbau des informationellen<br />

Grundangebots in den Schulen.<br />

Dazu gehören mit integrierter digitaler Bildung Spiralcurricula<br />

für alle Fächer für die Klassen 1-10, verbesserte<br />

personelle und sächliche Ressourcen,<br />

unterstützende Maßnahmen durch das NLI, Internetangebote<br />

des MK, verbesserte Fortbildungsmöglichkeiten.<br />

02. Andererseits eine stärkere Fokussierung in den Allgemeinbildenden<br />

Schulen auf die praktischen Fächer<br />

wie Technik, Werken, Textil und Hauswirtschaft. Die bestehenden<br />

Curricula für die Klassen 1-10 müssen auf<br />

ihre Praxisrelevanz hin untersucht werden. Die analoge<br />

Bildung muss im Abgleich mit der digitalen ihren nötigen<br />

Stellenwert erhalten.<br />

Begründung:<br />

Die alltagspraktischen Fächer wie Hauswirtschaft, Werken,<br />

Textil, Kunst und Technik sind unentbehrliche Bestandteile<br />

der Allgemeinbildung, weil sie Fähigkeiten<br />

(Handlungsziele, Kompetenzen) entwickeln helfen, die<br />

zur Bewältigung technisch und handwerklich geprägter<br />

Lebenssituationen erforderlich sind. Zum Beispiel leistet<br />

der Technikunterricht viel:<br />

- Sachorientierung,<br />

- Einführung in typische Methoden und Handlungsformen<br />

in den Bereichen Planen, Konstruieren, Herstellen,<br />

Bewerten, Verwenden und Entsorgen,<br />

- Erkenntnis von Funktionen der technischen Systeme<br />

und Prozesse,<br />

26<br />

- Berufsorientierung für Mädchen und Jungen,<br />

- Entwicklung von Interesse an Technik und Förderung<br />

technischer Begabungen,<br />

- Erlebnis der Schrittfolgen Idee, Planung, Zeichnung,<br />

Materialversorgung, Umsetzung in ein konkretes Werkstück,<br />

Funktion, Kontrolle und Erfolg bei der Verwirklichung<br />

technischer Projekte,<br />

- Durchhaltevermögen, Fehlertoleranz und Kooperationsfähigkeit.<br />

Die Schülerinnen und Schüler lernen über das Anfertigen<br />

praktischer Gebrauchsgegenstände das manuelle<br />

Bearbeiten von Materialien wie Holz, Glas, Metall,<br />

Kunststoff und elektronischer Bauteile und nicht zuletzt<br />

auch die praktische Anwendung im Rahmen der informationellen<br />

Grundbildung (z.B. CNC-Simulation). Allein<br />

die zwei bzw. dreistündigen Stundenblocks<br />

erzwingen die ausdauernde Beschäftigung an einem Projekt.<br />

Dazu gehört als immanenter Teil die informationelle<br />

Grundbildung. Der Begriff „digitale Bildung“ ist sehr an<br />

der binären Arbeitsweise der Rechner gekoppelt, der Begriff<br />

informationelle Grundbildung erfasst da mehr.<br />

Rechner sind nicht nur Werkzeuge, sondern auch ein<br />

„neues“ Medium. Seit den 80er Jahren gibt es in vielen<br />

deutschen Schulen Lehrerinnen und Lehrer, die sich der<br />

informationellen Grundbildung (damals „Neue Technologien“)<br />

verschrieben haben. So wurde in vielen Schulen<br />

der „erste Schulrechner“ mit Hilfe des Programms: der<br />

„NDR-Klein-Computer“ schon 1984 gebaut. Netzwerke<br />

wurden gegründet, mit LOGO und GW-Basic programmiert.<br />

Man traf sich in regionalen und überregionalen<br />

Netzwerken, um sich auszutauschen und Curricula<br />

(schulinterne und überschulische Lehrpläne) zu entwickeln.<br />

Seinerzeit war Grundprinzip, die Inhalte auf die<br />

einzelnen Fächer herunter zu brechen. Allerdings stand<br />

und fiel der Grundgedanke mit der Bereitschaft und Fähigkeit<br />

der Kollegien, sich mit der Problematik auseinanderzusetzen.<br />

Problematisch ist, dass es derzeit mit<br />

der Ausweitung der „digitalen Bildung“ offenkundig<br />

analog wirkende Fächer mit Technik, Werken, Textil und<br />

Hauswirtschaft zurückgedrängt werden. Ein Fehler.<br />

Damit wird eine über Generationen entwickelte Form<br />

der alltagspraktischen Schularbeit unreflektiert aufgegeben.<br />

Gefragt wird nicht mehr: „Was nützt mir der Rechner<br />

wo?“, sondern digitale Bildung wird als Selbstzeck<br />

ersetzend verstanden. Das Lernen mit „Kopf, Herz und


Leuchtturm Nr. 128<br />

Hand“ wird ersetzt mit überwiegend virtuellen Lernformen.<br />

Natürlich ist die digitale (bzw. informationelle) Grundbildung<br />

Teil der Allgemeinbildung. Doch man muss<br />

Sorge dafür tragen, dass die umfassende analoge Bildung<br />

erhalten und ausgebaut wird. Mit der MINT-Initiative<br />

(Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und<br />

Technik) der KMK und des nds. MK wird seit ca. 10<br />

Jahren eine Schwerpunktverlagerung diskutiert, über die<br />

wichtige Ziele der Allgemeinbildenden Schule aus dem<br />

Blick geraten. Zwar versteht sich die Initiative interdisziplinär,<br />

will auch die affektiven und psychomotorischen<br />

Lernbereiche berücksichtigen. Doch es werden wichtige<br />

Teilbereiche der „herkömmlichen“ schulpraktischen Fächer<br />

vernachlässigt. Nicht ohne Grund hieß es bei der<br />

Einführung Neuer Technologien (mit einer herausragenden<br />

Begleitung durch das NLI mit Lehrerfortbildungen<br />

und fachbezogenen Unterrichtsmaterialien) vor 30 Jahren:<br />

„Ein neues Fach zu schaffen widerspricht den () bildungstheoretischen<br />

Überlegungen. Ebenso ist die<br />

Arbeitszeit der Schüler nicht weiter ausweitbar.“<br />

Technik und Werkunterricht haben eine nicht zu unterschätzende<br />

Bedeutung in der handwerklichen Bildung<br />

der Schüler, die neben der Berufsorientierung auch alltagspraktische<br />

Bedeutung für das Arbeiten im privaten<br />

Haushalt hat. Die Zielvorstellung, Erfahrungen mit<br />

Werkstoffen und Werkzeugen zu ermöglichen und technische<br />

Grundeinsichten wie die Förderung praktischer<br />

Fähigkeiten und Fertigkeiten entsprechen den Möglichkeiten<br />

all der Schülerinnen und Schüler, auch einerseits<br />

in industrielle und handwerkliche Berufe zu wechseln,<br />

als auch dem wachsenden Trend folgen zu können, im<br />

eigenen Haushalt Hand anzulegen (Heimwerker).<br />

Das praktische Tun setzt planerisches Vorgehen voraus,<br />

hier fließen die kognitiven Elemente des Technikund<br />

Werkunterrichts ein. Die entstehende<br />

Abstraktionsfähigkeit z.B. bei Werkzeichnungen und<br />

beim Technischen Zeichnen bildet auch die Entwicklung<br />

des Raumvorstellungsvermögens, schult logisches<br />

Denkvermögen.<br />

Die Freude am gelungenen praktischen Tun wächst<br />

mit den Erfolgen der praktischen Vorhaben. Die Ergebnisse<br />

dieser Arbeit schmücken die Schule, stehen aber<br />

auch oft im Wohnzimmerregal der Familie: „Schau mal,<br />

das habe ich geschafft!“ Das befriedigende Werkerlebnis<br />

gestaltet den Prozess der Persönlichkeitsbildung, natürlich<br />

auch die Projekte im Hauswirtschafts-, Werk- oder<br />

Kunstunterricht.<br />

01. Wir haben immer Wert darauf gelegt, dass praktisches,<br />

analoges Lernen im Vordergrund stehen muss.<br />

02. Jeder Computer ist ein Werkzeug. Er dient den einzelnen<br />

Gewerken bei der Arbeit.<br />

03. Mit Grausen sehen wir, dass in den neuen Curricula<br />

die Schwerpunkte der praktischen Bildung vernachlässigt<br />

werden. Übrigens sehr zum Unbehagen der aufnehmenden<br />

Firmen.<br />

04. Als Informatik wie für die Schule vom niedersächsischen<br />

NLI sehr umfassend begleitet eingeführt wurde,<br />

war es immer TEIL der Curricula der einzelnen Fächer.<br />

Also wurde immer geschaut:<br />

Was nützt mir der Rechner wo?<br />

05. Als Frau Wanka verkündete, Schülern sollte freigestellt<br />

werden, wann sie ihr Smartphone während des Unterrichts<br />

nutzen können, fielen bundesweit die<br />

Kinnladen der Kolleginnen und Kollegen herunter. Wem<br />

soll es nutzen, wenn Jugendliche und Kinder den Unterricht<br />

willkürlich durch externe Kommunikationsformen<br />

stören dürfen?<br />

06. Klar. Digitale Bildung ist Teil der Allgemeinbildung.<br />

Aber man muss höllisch aufpassen, dass sie nicht als<br />

deren Ersatz angesehen wird.<br />

Hasso Rosenthal<br />

Im Februar 2018 traf sich der GEW Ortsverband Krummhörn zum jährlichen Kohlessen in Wirdum.<br />

In diesem Rahmen wurde Uta van Gerpen für langjährige Gewerkschaftsmitgliedschaft geehrt.<br />

27<br />

Gerd Kather, der langjährige, ehemalige (bis<br />

vor 1 Jahr) Vorsitzende des OV Krummhörn


Leuchtturm Nr. 128<br />

TV<br />

öD<br />

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Die GEW verlangt:<br />

• Sechs Prozent mehr Gehalt<br />

• die Anhebung kleinerer Einkommen durch einen Mindestbetrag<br />

von 200 Euro<br />

• die Anhebung der Jahressonderzahlung Ost auf das Niveau der<br />

West- Kommunen<br />

► Auch in der zweiten Tarifrunde wieder kein Angebot der Arbeitgeber<br />

– deshalb Warnstreiks am 12. April 2018!<br />

► Nächste Verhandlungsrunde am 15./16. April 2018.<br />

Alle aktuellen Informationen findet man unter www.gew.de/tarifrunde<br />

GEW-Eintritte<br />

auf der didacta<br />

Der GEW-Stand auf der didacta hat sich in jeder<br />

Hinsicht gelohnt: war er doch Treffpunkt, Ruhepol,<br />

Cafe-Bar, Informationsstelle für viele gewerkschaftliche<br />

Fragen. Nicht zuletzt sind in den 5 Tagen<br />

der Bildungsmesse insgesamt 134 Kolleginnen und<br />

Kollegen in die GEW eingetreten, allein in den Landesverband<br />

Niedersachsen 78 Kolleg*innen und 56<br />

Eintritte in andere Landesverbände.<br />

28<br />

Die 68er<br />

Vorführstunde. Deutsch in der Zehn, Realschule. Den<br />

Unterricht hält ein bekennender 68er. 1968 ist gerade<br />

zehn Jahre vorüber, die Wellen aber schlagen immer<br />

noch hoch. Thema der Stunde: Die Waage der Baleks,<br />

Heinrich Böll. Der kluge Jungpädagoge wählte den fragend-entwickelnden<br />

Unterricht. Problematisch, da der<br />

Boden auf der Suche nach Interpretationen dünn ist.<br />

Aber der 68er hält am Prinzip fest. Die Jugendlichen<br />

sollen die Begriffe „Arbeiterklasse“, „Besitzende<br />

Klasse“, „Kapitalisten“ oder zumindest „Oberschicht“<br />

und „Unterschicht“ finden, nennen und beschreiben.<br />

Das Unglück naht. Was hat die brutale Ungerechtigkeit<br />

per betrügerischer Waage mit diesen Begriffen zu tun?<br />

Der Kampf um die entscheidenden Worte zieht sich hin.<br />

Schließlich ein Brückenbau.<br />

„Zu welchen Schichten gehören die Beteiligten?“ Da<br />

ist er, der entscheidende Hinweis. Die Hände schnellen<br />

hoch. Der Jungpädagoge strahlt überglücklich, weist auf<br />

eine besonders heftig winkende Hand.<br />

Der Zehntklässler bölkt die vermutete Lösung förmlich<br />

in die Klasse: „Arm und Reich!“<br />

Dem 68er fallen die Gesichtszüge auseinander. Ernst<br />

und verärgert stellt er fest:<br />

„Arm und Reich haben wir doch schon längst abgeschafft!“<br />

Na - denn. jk


29<br />

Leuchtturm Nr. 128<br />

Die GEW auf der Buchmesse in Leipzig<br />

Ganz anders als in Frankfurt, wo vor allem Geschäfte<br />

gemacht werden, findet in Leipzig die Buchmesse<br />

nicht nur in den fünf Hallen und dem großen Verbindungsbogen<br />

statt, sondern auch in der ganzen Stadt. Das<br />

ist der Geschichte geschuldet, also der Not an großen<br />

Ausstellungsräumlichkeiten, damals. Heute aber ist es<br />

ein schönes Relikt, das viele Personen hineinzieht in die<br />

Welt der Bücher. Nicht so schön ist es für die Kinderund<br />

Jugendliteratur, dass sich viele Buchmessen zugleich<br />

oder in zeitlicher Nähe etabliert haben (Internationale<br />

Kinderbuchmesse Bologna, Münchner<br />

Bücherschau, lit.Cologne in Köln, Europäische Kinderund<br />

Jugendbuchmesse in Saarbrücken etc.).<br />

2018 im März hat die Arbeitsgemeinschaft Jugendliteratur<br />

und Medien der GEW (AJUM) erstmalig mit den<br />

Landesverbänden der GEW Sachsen, Sachsen-Anhalt<br />

und Thüringen einen gemeinsamen Stand auf der Messe<br />

konzipiert und veranstaltet. Das gelang selbstverständlich<br />

im Vorfeld nicht ohne kleine Reibereien, weil die<br />

Zielsetzungen schon ein wenig voneinander abwichen,<br />

war aber immer von gegenseitigem Respekt geprägt. Der<br />

gemeinsame Auftritt auf der Leipziger Buchmesse war<br />

ein voller Erfolg, der viele Besucher hineinzog in den<br />

Stand und zu vielen Gesprächen rund um Schule und<br />

Schulpolitik führte.<br />

Erfreulicherweise stellte sich heraus, dass eben nicht<br />

nur GEW-Mitglieder sich über Neues erkundigten, sondern<br />

auch der eine oder andere Aufnahmeantrag zur Mitgliedschaft<br />

mitgenommen oder sogar vor Ort ausgefüllt<br />

wurde.<br />

Die AJuM ist seit langer Zeit auf der Leipziger Buchmesse<br />

vertreten, um mit den Verlagen in Kontakt zu bleiben<br />

und um neuen Verlagen eine Chance zu eröffnen,<br />

miteinander bekannt zu werden. Das geschieht vor alle<br />

durch die Datenbank, die jede Person unter<br />

www.ajum.de nutzen kann. Wenn man das Archiv anklickt<br />

und dann ohne weiteres Kriterium (also frei) suchen<br />

lässt, weiß man, dass über 65.000 Rezensionen zur<br />

Verfügung stehen (aktuell, also mit den Erscheinungsjahren<br />

2016 bis 2018) sind es mehr als 8.000). Wer gut<br />

sucht, findet viele Empfehlungen für die Schule, für den<br />

Unterricht, für diverse Themen.<br />

Der Autor am GEW-Messestand<br />

Die Cosplayer-Szene (Stichwort Manga) gibt es auf<br />

der auf der Buchmesse in Leipzig seit etwa 10 Jahren.<br />

Die Halle 1 ist allerdings nur mehr und ausschließlich<br />

Kommerz, in der sich fast nur Kinder und Jugendliche<br />

bewegen und völlig überteuertes „Krimskrams“ kaufen<br />

sollen. Daneben ist die Selbstdarstellung der verkleideten<br />

Jugendlichen ein großes Thema – trotz Kälteeinbruchs<br />

mit viel nackter Haut und in überfüllten<br />

Straßenbahnen.<br />

Insgesamt haben rund 2600 Verlage ihren Platz gefunden<br />

(davon lediglich vier mit rechter Gesinnung und viel<br />

zu viel Aufmerksamkeit durch die Medien), machen<br />

viele der insgesamt 46 Staaten je einen Gemeinschaftsstand.<br />

Der diesjährige Partnerstaat Rumänien lag ein<br />

wenig abseits und hatte ein Sprachproblem, denn kaum<br />

eins der ausgestellten Bücher gibt es in einer Übersetzung.<br />

Ein Besuch der Buchmesse in Leipzig ist für Lehrkräfte<br />

immer lohnenswert, weil sich Vieles um Schule,<br />

Bildung, Wissen etc. dreht. Sinnvollerweise ist man allerdings<br />

Mitglied der AJuM und kann sich unter Umständen<br />

die Fahrt und die Unterkunft bezahlen lassen.<br />

Okay, das ist auch mit Arbeit verbunden, aber die macht<br />

Spaß und Freude. Wirklich.<br />

Weitere Informationen über<br />

ulrich.baselau@ajum.de


Leuchtturm Nr. 128<br />

Die Geschichte geht unter die Haut<br />

Martin Petersen erhält mit „EXIT SUGARTOWN“ den Heinrich-Wolgast-Preis der AJuM der GEW<br />

Am 4. November 2017 wurde auf der Sitzung des Gesamtvorstandes<br />

der Arbeitsgemeinschaft Jugendliteratur<br />

und Medien (AJuM) der GEW der diesjährige<br />

Preisträger des Heinrich-Wolgast-Preises verkündet. Der<br />

mit 2.000 € dotierte Preis zeichnet im zweijährigen Turnus<br />

Kinder- und Jugendbücher aus, die sich in besonderer<br />

Weise der Darstellung von Arbeitswelten in der<br />

Kinder- und Jugendliteratur verpflichtet haben. Der<br />

Heinrich-Wolgast-Preis wurde 1986 vom Bildungs- und<br />

Förderungswerk (BFW) der Gewerkschaft Erziehung<br />

(GEW) im DGB e.V. gestiftet.<br />

Bücher der Shortlist<br />

Aus den ca. 150 Einsendungen zahlreicher Kinderund<br />

Jugendbuchverlage hat sich die Jury schließlich für<br />

ein ganz besonderes Buch entschieden:<br />

Martin Petersen: Exit Sugartown<br />

aus dem Dänischen von Friederike Buchinger<br />

Hamburg: Dressler Verlag, 2016<br />

ISBN: 978-3-7915-0007-2<br />

288 S · geb · ab 14 J<br />

Der Preis wurde am 02. März 2018 in feierlichem Rahmen<br />

in den Bücherhallen Hamburg (Zentralbibliothek,<br />

Hühnerposten 1) verliehen.<br />

Dr. Alexandra Ritter (Vorsitz AJuM),<br />

Mario Zehe (Vorsitz der Jury), Martin Petersen<br />

Aus der Begründung<br />

der Jury<br />

Die siebzehnjährige<br />

Dawn hat genug von<br />

der aufzehrenden, aber<br />

letztlich ertraglosen<br />

Arbeit und dem ärmlichen<br />

Leben in Sugartown.<br />

In der Hoffnung<br />

auf ein einträglicheres<br />

Einkommen und ein<br />

besseres Leben in City,<br />

einer reichen Stadt jenseits<br />

des Meeres, legt<br />

sie ihr Schicksal<br />

schließlich in die<br />

Hände von Fluchthelfern, die ihr einträgliches Geschäft<br />

freilich nicht aus reiner Menschenliebe betreiben. Es<br />

folgt eine Reise voller Strapazen und Gefahren, in der<br />

natürliche wie auch von Menschen geschaffene Grenzen<br />

und Hindernisse überwunden werden müssen. Endlich<br />

in City angekommen, wird ihr Traum, sich und ihrer Familie<br />

durch eine menschenwürdige Arbeit eine gesicherte<br />

Existenz zu ermöglichen, jedoch auf eine harte<br />

Probe gestellt.<br />

EXIT SUGARTOWN ist engagierte Jugendliteratur im<br />

besten Sinne: Ganz ohne Pathos, Moralisierung, platte<br />

Schuldzuweisung und stereotype Feindbilder, direkt, unmittelbar<br />

und schonungslos. Martin Petersen nutzt für<br />

seine Geschichte einen lakonisch-nüchternen, fast journalistisch<br />

präzisen Erzählton, den er seiner Protagonistin<br />

in den Mund legt. Dabei wirkt die Erzählweise weder<br />

neutral noch unbeteiligt. „Gerade wegen seiner Sachlichkeit<br />

berührt und schockiert dieses Jugendbuch zutiefst.<br />

Anhand eines individuellen Schicksals macht es<br />

auf zentrale und<br />

skandalöse gesell-<br />

30<br />

Sabine Arndt, Rebekka Starkloff<br />

von der Jury<br />

schaftliche Missstände<br />

aufmerksam,<br />

die strukturelle Ursachen<br />

haben und einer<br />

dringenden Lösung<br />

bedürfen“, so Mario<br />

Zehe, Vorsitzender<br />

der Jury.<br />

Neben dem Preisträger<br />

wurden weitere<br />

zehn Bücher<br />

verschiedener Gat-


Leuchtturm Nr. 128<br />

tungen und Altersstufen für den Preis nominiert. Eine<br />

ausführliche Jurybegründung inkl. Übersicht über die<br />

Nominierungen findet sich unter: www.ajum.de<br />

Zum Autor<br />

Martin Petersen wurde 1950 in Kopenhagen geboren,<br />

arbeitete lange Zeit als Lehrer und in der Kinder- und<br />

Jugendhilfe. Seit 1989 ist er außerdem als Schriftsteller<br />

tätig und hat seitdem elf Romane für Kinder und Jugendliche<br />

veröffentlicht.<br />

Der Jury 2016/2017 gehörten an<br />

Mario Zehe (Leipzig) / Sabine Arndt (Weimar) / Rebekka<br />

Starkloff (Altenburg) / Prof. Dr. Michael Ritter<br />

(Halle/Saale)<br />

Kontakt: Ulrich.Baselau@ajum.de<br />

© alle Fotos Ulrich H. Baselau<br />

Flucht in die „Weiße Welt“<br />

Der Roman „Exit Sugartown“ hat 2017 den Heinrich-<br />

Wolgast-Preis der Arbeitsgemeinschaft Jugendliteratur<br />

und Medien (AJuM) der GEW erhalten,<br />

„Engagierte Jugendliteratur im besten Sinne“, urteilte<br />

die Jury. Ein Gespräch mit Autor Martin Petersen:<br />

E&W: In „Exil Sugartown“ erzählen Sie die Geschichte<br />

der 17-jährigen Dawn, die ihre Heimat verlässt,<br />

um Armut und Perspektivlosigkeit zu entkommen. Mit<br />

Hilfe von Schleusern erreicht sie die „Weiße Welt“ und<br />

nutzt hier jede Möglichkeit, Geld zu verdienen. Warum<br />

dieses politisch kontroverse Thema?<br />

Martin Petersen: Den Anstoß zu „Exit Sugartown“<br />

erhielt ich vor acht Jahren, als immer mehr afrikanische<br />

Flüchtlinge nach Südeuropa kamen, um dort zu arbeiten.<br />

Diese Art Völkerwanderung ist weltweit zu beobachten,<br />

und klar ist: Ökonomische Flüchtlinge lassen sich nicht<br />

stoppen. Solange die Ungleichheit in der Welt so groß<br />

ist, wird dieses Phänomen existieren.<br />

E&W: Diese Menschen werden in der gegenwärtigen<br />

Debatte als Wirtschaftsflüchtlinge verunglimpft, ihre<br />

Fluchtmotive nicht akzeptiert...<br />

Petersen: In Dänemark sind Menschen, die vor<br />

Kriegen wie in Bosnien oder Syrien geflüchtet sind, irgendwie<br />

akzeptiert - nicht jedoch Menschen, die aus<br />

wirtschaftlichen Gründen zu uns kommen. Ich wollte die<br />

Gründe aufspüren, warum sie ihr Land verlassen. Denn<br />

sie machen sich nicht aus Spaß auf den Weg. Ihr Leben<br />

ist geprägt von Armut, Hunger und Elend. Wer würde<br />

nicht versuchen, aus diesen Verhältnissen auszubrechen?<br />

E&W: Sie schildern Flüchtlinge wie Dawn und ihre<br />

Freundin Didi nicht als Opfer, sondern als selbstbestimmt<br />

handelnde Menschen.<br />

Petersen: Wichtig war mir, eine 17-Jährige als Person<br />

zu entwickeln, die in vielerlei Hinsicht Gleichaltrigen<br />

in Dänemark oder Deutschland ähnelt. Wenn die<br />

Mädchen in einigen Szenen Party machen oder Dawn<br />

mit ihrem Schleuserflirtet, sind sie ganz normale Teenager.<br />

Sie wurden aufgrund der Lebensverhältnisse in Sugartown<br />

in diese Situation gedrängt.<br />

31<br />

E&W: Ihr widersprüchliches oder moralisch illegitimes<br />

Handeln wird nachvollziehbar...<br />

Petersen: Dawn erlebt Situationen, in denen sie vor<br />

einem Dilemma steht - und der Leser mit ihr: Jeder findet<br />

es abstoßend, dass Dawn fast in der Prostitution landet<br />

oder sich an Raubzügen beteiligt. Doch sie tut es, um<br />

sich über Wasser zu halten und Geld für ihre Familie zu<br />

Hause zu verdienen. Der Leser ist in diesen Situationen<br />

gezwungen, die Welt aus Dawns Perspektive zu sehen.<br />

Man muss sich fragen: Was würde ich an ihrer Stelle tun,<br />

wenn ich das Geld so dringend brauche? Würde ich mit<br />

dem Mann gehen, um 200 Euro zu verdienen? Diese Dilemmata<br />

sind wichtig, um ihr Handeln nachzuvollziehen.<br />

E&W: Sie schildern das Leben im armen Sugartown<br />

und in City — der „Weißen Welt“ — sehr detailreich.<br />

Beim Lesen entstehen im Kopf Bilder von realen Orten.<br />

Warum anonymisieren Sie sie dennoch?<br />

Petersen: Ich möchte verdeutlichen, dass diese Orte<br />

nicht existieren. Diese Anonymisierung verleiht der Geschichte<br />

eine besondere Kraft: Indem sie an einem unbestimmten<br />

Ort spielt, spielt sie überall. Indem sie von<br />

irgendjemandem handelt, handelt sie von allen.<br />

E&W: Ihr Roman greift Themen wie Globalisierung,<br />

Migration und Kinderarbeit auf. Sind jugendliche Leser<br />

damit nicht überfordert?<br />

Petersen: Dieser Roman bietet einen anderen Weg,<br />

sich den großen Fragen zu nähern: Erstartet mit dem<br />

Schicksal eines Menschen, Dawn, die sich Geld leiht,<br />

um Schleuser zu bezahlen. Die die Überfahrt über das<br />

Meer wagt und in der organisierten Kriminalität landet.<br />

Hier bekommt der Leser Infos aus anderen Quellen.<br />

Viele Lehrer in Dänemark nutzen das Buch, um mit<br />

ihren Schülern über Migration oder Globalisierung zu<br />

sprechen. Ich freue mich, wenn ich in Schulen eingeladen<br />

werde und mit ihnen diskutieren darf.<br />

Michaela Ludwig, freie Journalistin<br />

(Abdruck mit freundlicher Genehmigung aus<br />

„Erziehung und Wissenschaft“ 02/2018)


MaiProgramm 2018<br />

in der DGB-Region oldenburg-ostfriesland<br />

Aurich<br />

1. Mai 2018<br />

Nordenham<br />

1. Mai 2018<br />

Wilhelmshaven<br />

1. Mai 2018<br />

ab 15:00 Uhr<br />

Eröffnung:<br />

Grußwort:<br />

Maifeier in Aurich<br />

Marktplatz<br />

Hans Hammerich<br />

stellvertr. DGB Kreisverbandsvorsitzender<br />

Hinrich Röben<br />

stellv. Bürgermeister der Stadt Aurich<br />

Mairede:<br />

Stefan Störmer<br />

Vorsitzender GEW Bezirksverband<br />

Weser-Ems Foto links<br />

Musik: All Ages<br />

Anschließend das Maifest für die ganze Familie!<br />

Emden<br />

1. Mai 2018<br />

ab 10:00 Uhr<br />

ab 11:00 Uhr<br />

Eröffnung:<br />

Demonstration<br />

Treffen am Bahnhofsvorplatz ab 9.30 Uhr<br />

Musikalische Begleitung:<br />

„Marchingband Brake e.V.“<br />

Maikundgebung<br />

Jahnhalle<br />

Mustafa Dogan<br />

DGB Kreisverbandsvorsitzender<br />

Wesermarsch<br />

Mairede:<br />

Laura Pooth<br />

GEW Vorsitzende Landesbezirk<br />

Niedersachsen<br />

Foto links<br />

Musik: Gruppe „Jasch“<br />

Anschließend das Maifest für die ganze Familie!<br />

ab 11:00 Uhr<br />

Eröffnung:<br />

Musik:<br />

Maikundgebung Wilhelmshaven<br />

Pumpwerk Wilhelmshaven<br />

Axel Opitz<br />

DGB Stadtverbandsvorsitzender<br />

Mairede: Dagmar König<br />

ver.di Bundesvorstand Ressort 05<br />

Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik<br />

Foto links<br />

Off Course<br />

Season4<br />

Jugend-Bigband Wilhelmshaven<br />

Anschließend das Maifest für die ganze Familie!<br />

9:30 Uhr Ökumenischer Gottesdienst<br />

Am Hafentor<br />

10:30 Uhr Demonstration<br />

Start: Am Hafentor<br />

11:30 Uhr Maikundgebung<br />

Am Stadtgarten<br />

Eröffnung:<br />

Grußwort:<br />

Mairede:<br />

Horst Götze<br />

DGB Stadtverbandsvorsitzender Emden<br />

Bernd Bornemann<br />

Oberbürgermeister der Stadt Emden<br />

Markus Fuß Foto oben<br />

Leiter politisches Verbindungsbüro<br />

ver.di Bundesverwaltung Ressort 1<br />

Anschließend das Maifest für die ganze Familie!<br />

ab 11:00 Uhr<br />

Eröffnung:<br />

Grußwort:<br />

Norden<br />

1. Mai 2018<br />

Maifest<br />

Forum des Weiterbildungszentrum<br />

Hans Forster<br />

DGB Ortsverbandsvorsitzender<br />

Mario Hasnik<br />

IG Metall Wohnbereich Nörderland<br />

Harm-Udo Wäcken<br />

Vorsitzender ver.di OV Norderland<br />

Mairede:<br />

Michael Hehemann Foto links<br />

Geschäftsführer IG Metall Emden<br />

Musik:<br />

Anschließend das Maifest für die ganze Familie!<br />

ab 11:15 Uhr<br />

Grußwort:<br />

Norderney<br />

1. Mai 2018<br />

Maifeier auf Norderney<br />

Kurplatz<br />

Olaf Poppinga<br />

DGB stellvertretender<br />

Ortsverbandsvorsitzender<br />

Mairede:<br />

Tino Junghans<br />

Teamleiter DGB Rechtsschutz<br />

Oldenburg<br />

Foto links<br />

Musik: KGS Schüler Big Band<br />

Anschließend das Maifest für die ganze Familie!<br />

ab 11:00 Uhr<br />

Varel<br />

1. Mai 2018<br />

Maifeier in Varel<br />

an der Weberei<br />

Mairede:<br />

Nina Dusper<br />

Krankenschwester und Mitglied<br />

im ver.di-Landesvorstand NRW<br />

Foto links<br />

Musik: „2 - 3 oder 4“<br />

Evergreens mal anders!<br />

Anschließend das Maifest für die ganze Familie!

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