LT128
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Leuchtturm Nr. 128<br />
zu präsentieren und in eine Kreuztabelle einzutragen,<br />
links die Droge und oben fünf oder sechs Kategorien.<br />
Damit hat die Lehrkraft das Thema Drogen im Wesentlichen<br />
behandelt. Aber ein mehr als oberflächliches Etikettierungswissen<br />
oder die Durchdringung eines der<br />
Drogenprobleme ist damit nicht gegeben. Die Schüler<br />
haben nur gelernt, wie man Informationen von einem Format<br />
in ein anderes bringt. Der Lehrer wird ersetzt durch<br />
den Moderator der Informationsbeschaffung.<br />
Sprechen wir vom beschleunigten Wissenswandel.<br />
Wozu soll ich mir heute Wissen aneignen das morgen<br />
schon wieder veraltet ist?<br />
Wissen veraltet nicht. Das ist eine Modernisierungsparole,<br />
die keinen Gehalt hat. Sie können doch nicht sagen,<br />
dass das, was schon die Griechen an Wissen, an Kenntnissen,<br />
an Gedanken entwickelt haben oder die naturwissenschaftlichen<br />
Erkenntnisse, die vor 50 oder 100 Jahren<br />
gemacht worden sind, veraltet sind. All das ist die Basis<br />
unseres Wissens. Veraltet sind bestimmte Technologien.<br />
Wir trommeln heute nicht mehr, oder wir bedienen nicht<br />
mehr das normale Telefon. Das heutige Wissen baut auf<br />
vorgängigem auf. Nehmen wir eine Fremdsprache, die in<br />
deutschen Schulen vermittelt wird. Wer könnte sagen,<br />
dass Englisch veraltet ist? Selbst Latein ist nicht veraltet.<br />
Trotzdem hat sich das Kompetenzmodell an deutschen<br />
Schulen durchgesetzt.<br />
Weil es dazu lange Zeit keine Opposition gab. Wir befinden<br />
uns in einer Debatte über die inhaltlichen Ziele des<br />
Bildungssystems. Dort gibt es die Verfechter von Bildung<br />
und Wissen auf der einen Seite und die Protagonisten der<br />
Kompetenz in dem so verstandenen utilitaristischen Zugriff<br />
mit der Orientierung auf ein nützliches, verwendungsorientiertes<br />
Wissen auf der anderen Seite. Was<br />
kommt hiervon nun real in den Schulen an? Das ist eine<br />
einzige Katastrophe. Wenn Sie heute deutsche Schulen,<br />
insbesondere in den sogenannten ‚weichen‘ Fächern besuchen,<br />
dann werden sie erkennen, dass die Kompetenzorientierung<br />
dazu führt, dass die Schüler inhaltlich fast<br />
nichts mehr lernen. Es gibt keine Lernherausforderung<br />
mehr. Sie operieren mit Methoden, die irgendwie Spaß<br />
machen und sozial integrativ wirken sollen. Schüler werden<br />
beschäftigt. mit Methoden wie Präsentation, Gruppenarbeit,<br />
Klipperts Methodentrainings oder so schönen<br />
Dingen wie „fishbowls“, die die Inhalte des Unterrichts<br />
nur noch als Spielmaterial benutzen.<br />
Welche Methoden erachten Sie für sinnvoll?<br />
Die Methoden, die verständlich machen, warum etwas<br />
ist, wie es ist: als ein methodisch in je besonderer Weise<br />
bestimmter Gegenstand des Wissens und des Könnens.<br />
Sie können dagegen schlecht in eine Schreinerlehre gehen<br />
und laufend irgendwelche Tischkreise um das Holz herum<br />
bilden, wo sie „mindmaps“ zu Stühlen aufmalen. Dabei<br />
wird nie ein Stuhl entstehen. Selbstverständlich benutzen<br />
sie dort die Methoden, die zur Herstellung eines Stuhls<br />
notwendig sind. Wenn Sie das auf naturwissenschaftlichen<br />
Unterricht beziehen, dann sind die Methoden angebracht,<br />
die zeigen, wie ein Wissenschaftler zu einer<br />
Erkenntnis, wie man zu einem Beweis in der Mathematik<br />
gekommen ist. Die Methoden also, denen wir unsere Erkenntnisse<br />
verdanken, sind auch die Methoden, mit denen<br />
diese den Schülern durchsichtig gemacht werden müssen.<br />
Die anderen Methoden vermitteln nur sich selbst, aber<br />
schwerlich einen fachlichen Inhalt.<br />
Wie gehen Lehrkräfte mit dieser Situation um?<br />
Nach wie vor gibt es in der Schule Fächer und nicht Beschäftigungstherapie.<br />
Es herrscht ein gewaltiger Unmut<br />
in der Lehrerschaft. Die Botschaft der Kompetenzorientierung<br />
macht Lehrkräfte nicht glücklich. Natürlich gibt<br />
es einige, die das gut finden, weil sie mit den neuen Methoden<br />
scheinbar von allen pädagogischen Aufgaben entlastet<br />
sind. Sie müssen nicht mehr erziehen und nichts<br />
mehr didaktisch selbst entwickeln. Aber in der großen<br />
Mehrheit der Lehrerschaft ist eine tiefgehende Frustration<br />
gegenüber diesen Reformen vorhanden. Als Lehrer stehen<br />
sie für ein Fachwissen, das sie den Schülern zu vermitteln<br />
haben. Wird das immer weniger bedeutsam, verlieren sie<br />
den Kern ihrer Aufgabe. Und in dieser Situation treten<br />
ihnen die Schüler entgegen mit dem Hinweis: Was willst<br />
du eigentlich von mir? Was du mir vermitteln willst, kann<br />
ich beliebig mit Computer, Smartphone und Co. abrufen.<br />
Das aber zwingt den Lehrer dazu zu begründen, warum<br />
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