LT128
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Leuchtturm Nr. 128<br />
„Kompetenzorientierung ist nicht eine Erfindung<br />
von Pädagogen, sondern von der OECD in Paris“<br />
Lernziele und Lernformen haben sich verändert. Über die Zeit verlor das Stoffpauken an Bedeutung,<br />
im Vordergrund steht heute der Erwerb von Kompetenzen. Stefany Krath sprach mit dem<br />
Erziehungswissenschaftler Prof. Dr. Andreas Gruschka über kompetenzorientierten Unterricht.<br />
Herr Prof. Gruschka, warum halten sie die Kompetenzorientierung<br />
der Curricula im deutschen<br />
Bildungssystem für falsch?<br />
Man muss verschiedene Dimensionen bei diesem<br />
Thema unterscheiden. Die erste ist, dass das Wort bzw.<br />
die Forderung nach Kompetenz schlecht zu kritisieren<br />
sind. Die Alternative für Kompetenz wäre Inkompetenz!?<br />
Jeder Mensch mit Sinn und Verstand muss für Kompetenz<br />
sein. Insofern sollte man auch nicht gegen Kompetenzorientierung<br />
sein. Diese positive Aufladung des Begriffs<br />
macht die Opposition gegen die konkrete Bildungspolitik<br />
ein bisschen schwierig. Ich habe natürlich überhaupt<br />
nichts dagegen, dass Schüler kompetent werden. Man<br />
sollte allerdings gerade bei solchen Heilsbegriffen genauer<br />
hinschauen. Die Frage ist doch, worauf bezieht sich<br />
diese Kompetenz? Es gibt ja eine Menge menschliche Fähigkeiten,<br />
eben Kompetenzen, vor der wir allen Grund<br />
haben, uns zu fürchten. Und manche Kompetenz kann für<br />
gute wie für schlechte Zwecke eingesetzt werden.<br />
Was ist die Konsequenz?<br />
In unserem Fall lässt sich feststellen, dass die Forderung<br />
in strikter Ablehnung zu dem entsteht, was in unserer Tradition<br />
Bildung heißt. Man will einen Perspektivenwechsel<br />
einleiten. Insofern ist zu fragen, ob wir eine Orientierung<br />
auf Kompetenzen wollen können, wenn dies zugleich bedeutet,<br />
die bisherige normative Orientierung unseres Bildungssystems<br />
aufzugeben. Es heißt ja nicht umsonst<br />
Bildungssystem und nicht Kompetenzsystem, Schule und<br />
nicht Kompetenzzentrum. In der OECD-Sprache heißt<br />
das Literacy, und Literacy ist etwas anderes als Bildung.<br />
Literacy soll Menschen in die Lage versetzen, sehr flexibel<br />
je nach Situation Wissensbestände für Problemlösungen<br />
zu nutzen. Kompetenz bedeutet somit instrumentelle<br />
Verfügung über Wissen, das man gar nicht im Sinne von<br />
Bildung verinnerlicht haben muss. Schauen Sie sich die<br />
PISA-Testaufgaben an: Es wird nicht nach dem Verständnis<br />
gefragt, nicht Urteils- und Kritikfähigkeit gefordert,<br />
sondern die Fähigkeit, Gelerntes auf vorgegebene, in den<br />
Tests relativ einfache, künstliche Problemlösungen anzuwenden.<br />
Alles Wissen und Können zielt auf Nützlichkeit.<br />
Beides wird zum bloßen Mittel für einen von außen kommenden<br />
Zweck. Er erzieht zur Indifferenz gegenüber den<br />
Inhalten und zur Folgebereitschaft. Das ist ein sehr markanter<br />
Kontrastpunkt zum herkömmlichen<br />
Humboldt‘schen Bildungsbegriff, der Kompetenz vor<br />
allem auf die innere Beziehung zu den Inhalten, die fachliche<br />
Urteils- und Kritikfähigkeit ausrichtete.<br />
Worin liegen die Gefahren einer Ökonomisierung von<br />
Bildung?<br />
Die Allgemeinbildung stand und steht bisher vor der<br />
Berufsbildung. Diese erst richtet sich auf die ökonomischen<br />
und technischen Bedingungen. Wenn nun aber die<br />
ersten 10-13 Jahre der Schule ebenfalls ausgerichtet werden,<br />
auf das, war später beruflichen Erfolg verspricht und<br />
was vermeintlich die „Wirtschaft“ will, werden wir eher<br />
nützliche Idioten als urteilsfähige Bürger unserer Gesellschaft<br />
produzieren. Die begleitende Botschaft der Modernisierer,<br />
die gerne vom Bildungsschrott sprechen, lautet:<br />
Du sollst deinen Kopf nicht vollschütten mit Wissen, das<br />
du nicht brauchst. Für den Fall, dass du solches Wissen<br />
brauchst, hast du ein kleines Gerät in der Hand, mit dem<br />
du auf Knopfdruck alles erfahren kannst. Viel wichtiger<br />
ist, dass du weißt, wie du das Wissen nutzen sollst. Nicht<br />
unbedingt für deinen eigenen Nutzen. Du wirst dienstbereit<br />
gemacht für Aufgaben, die andere für dich bestimmt<br />
haben. Über deren Sinn kannst du freilich nicht mehr<br />
kompetent urteilen. Das Hintergrundwissen und Verstehen,<br />
das dagegen zu erwerben ist, dient unserer Orientierung<br />
in der Welt. Mit der können wir auf Distanz zu<br />
solcher Vernutzung unserer Fähigkeiten durch andere<br />
gehen.<br />
Geht die Kompetenzorientierung zu Lasten von Wissensvermittlung<br />
in der Schule?<br />
Das lässt sich empirisch an den Umstellungen der Lehrpläne<br />
beobachten. Es geht nicht mehr primär darum, Wissen<br />
zu erwerben, sondern dass ein Schüler auf eine ihm<br />
gestellte Frage Wissen als Information aus den digitalen<br />
Technologien heranzieht und es als solche präsentiert.<br />
Nicht umsonst ist die Methode, die in deutschen Schulen<br />
den größten Erfolg in den letzten zwanzig Jahren hat, die<br />
Präsentation. Ein triviales Beispiel: Im Biologieunterricht<br />
werden Drogen behandelt, also sollen sich die Schüler<br />
über Drogen informieren. Der einfachste Modus ist der,<br />
dass man Drogen in acht Beispielen ausdifferenziert und<br />
Zweier- oder Dreiergruppen von Schülern den Auftrag<br />
gibt, nach Maßgabe der chemischen Formeln, nach Maßgabe<br />
der Langzeitwirkung, der Verbreitung und einiger<br />
anderer Kriterien Informationen zu sammeln. Danach bekommen<br />
sie den Auftrag, in zwei Minuten die Ergebnisse