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Rotary Magazin 11/2023

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THÈME DU MOIS – ROTARY SUISSE LIECHTENSTEIN – NOVEMBRE <strong>2023</strong><br />

BENSENDE<br />

zu geben. Wer nicht Spielball von Gewissensentscheidungen<br />

anderer und von<br />

Interessen der Gesundheitsindustrie werden<br />

will, muss selbstverantwortlich denken<br />

und handeln.<br />

2. RÜCKSICHTNAHME GEGEN-<br />

ÜBER ANGEHÖRIGEN<br />

Ein schlecht vorbereiteter Freitod kann<br />

im Umfeld traumatische Auswirkungen<br />

haben. Wenn immer möglich, sollte das<br />

Gespräch mit den Angehörigen früh<br />

gesucht und aufrechterhalten werden,<br />

nicht erst, wenn Sterbensentscheidungen<br />

anstehen. Ein klarer Konsens der Beteiligten<br />

ist gerade bei überraschenden Bedrohungen<br />

durch Unfälle oder Krankheit Gold<br />

wert. In akuten Notsituationen ist eine<br />

Verständigung oft nicht mehr möglich.<br />

Unaufgeräumte Beziehungen erschweren<br />

das Sterben. Die Vergänglichkeit kann<br />

aber auch zur Entwicklungschance werden.<br />

Der bevorstehende Tod beleuchtet<br />

die Beziehungslandschaft nochmal anders<br />

und ermöglicht vorher Undenkbares.<br />

Optimalerweise tragen die Angehörigen<br />

einen Altersfreitod mit. Ein anfänglicher<br />

Widerstand kann sich durch Gespräche<br />

auflösen. Dann wird die Unterstützung<br />

eines Freitodes die letzte Gabe der Angehörigen<br />

an den Sterbewilligen.<br />

3. GESELLSCHAFTLICHE<br />

SOLIDARITÄT<br />

Die Todesverdrängung in unserer Gesellschaft<br />

macht uns zu irrationalen, verführbaren<br />

Todesignoranten. Falsche Anreize im<br />

Gesundheitswesen führen zu unnötigen<br />

Eingriffen und zu einem verlängerten Sterben<br />

auf Kosten der Betroffenen und der<br />

Allgemeinheit.<br />

Alte Menschen, die ihre Vergänglichkeit<br />

akzeptiert haben, treffen bessere Entscheidungen<br />

als solche, die ihre Sterblichkeit<br />

verdrängen. Sie bringen den Aufwand von<br />

Eingriffen nicht nur mit dem Gewinn an<br />

Lebensqualität, sondern auch mit der<br />

Belastung der Gesellschaft in Verbindung.<br />

Die Ressourcen sind begrenzt und sollten<br />

fair verteilt werden. Der steile Anstieg der<br />

Gesundheitskosten in den letzten zwei<br />

Lebensjahren gibt zu denken. Es ist an den<br />

Betroffenen, unvernünftige Behandlungen<br />

zu verhindern. Sie müssen sich über die<br />

gesellschaftlichen Auswirkungen ihrer<br />

Sterbensentscheidungen im Klaren sein.<br />

4. DIE VERANTWORTUNG<br />

VOR GOTT<br />

Viele Religionen helfen dem Menschen<br />

beim Umgang mit seiner Sterblichkeit. Der<br />

Glaube an ein Leben nach dem Tod mildert<br />

die Todesangst. Religiöse Rituale umhüllen<br />

das Unbegreifliche, trösten und lenken<br />

ab. Freitod und Glaube sind kein Widerspruch.<br />

Ein Freitod in verantwortungsvoller<br />

Selbstbestimmung ist mit dem<br />

christlichen Glauben vereinbar. Hans<br />

Küng, eine der wichtigsten theologischen<br />

Kapazitäten im deutschsprachigen Raum,<br />

befürwortete die Selbstbestimmung des<br />

Menschen am Lebensende.<br />

Ein verantwortungsvoller Freitod kann<br />

sowohl das Gebot der Selbst- als auch das<br />

Gebot der Nächstenliebe erfüllen. Der<br />

barmherzige Gott, der seine Geschöpfe<br />

liebt, will nicht, dass sie unnötig leiden.<br />

Wenn seine Zeit gekommen ist, darf der<br />

Mensch die Verantwortung übernehmen,<br />

seinen gottgegebenen freien Willen einsetzen<br />

und handeln.<br />

Die Ehrfurcht vor dem Leben vollzieht<br />

sich im Respekt vor dem freien Willen des<br />

Menschen und nicht in seiner Bevormundung.<br />

Die Option Selbstbestimmung verbessert<br />

die Lebensqualität.<br />

Noch bestimmt der Zufall, ob jemand<br />

selbstbestimmt sterben darf. Ärzte gehen<br />

mit ihrem Ermessensspielraum sehr unterschiedlich<br />

um. Adressen von hilfsbereiten<br />

Ärzten kursieren in der obersten Generation.<br />

Spitäler und Pflegeheime arbeiten<br />

mit Sterbehilfeorganisationen zusammen<br />

oder eben nicht.<br />

«Wer lange genug lebt, erfährt<br />

die Vorläufigkeit vieler Wertungen», ist<br />

Rot. Katrin Wiederkehr überzeugt.<br />

Der gesellschaftliche Konsens bewegt<br />

sich langsam. Das ist angesichts<br />

der Schattenseiten des selbstbestimmten<br />

Sterbens nicht verwunderlich und vielleicht<br />

auch notwendig. Selbstbestimmtes<br />

Sterben als akzeptierte Option bräuchte<br />

flankierende schützende Massnahmen,<br />

damit schwache, kranke und ungeliebte<br />

Menschen nicht unter Druck kämen,<br />

«freiwillig» zu gehen.<br />

Aber bei der Güterabwägung schwingt<br />

die Befreiung durch die Selbstbestimmungsoption<br />

weit obenaus. Dabei geht<br />

es weniger um das Sterben als um die<br />

Vorstellungen darüber in den Jahren und<br />

Jahrzehnten davor. Alle hoffen auf einen<br />

natürlichen Tod. Nur ein verschwindend<br />

kleiner Anteil aller EXIT-Mitglieder nimmt<br />

die Dienste der Organisation in Anspruch.<br />

Aber die Sicherheit, nötigenfalls selbstbestimmt<br />

sterben zu können, verbessert<br />

die Lebensqualität alter Menschen ge ­<br />

waltig und vermindert ihre Angst vor<br />

dem Sterben.<br />

K Rot. Katrin Wiederkehr | A zvg<br />

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