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Rotary Magazin 01/2024

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GASTBEITRAG<br />

GLÜCK SPENDEN<br />

THÈME DU MOIS – ROTARY SUISSE LIECHTENSTEIN – JANVIER <strong>2024</strong><br />

28<br />

Die Idee besticht durch ihre Einfachheit: Anstatt sich vom<br />

Unglück dieser Welt erdrücken zu lassen, solle man mit Spenden<br />

grösstmöglichen Nutzen stiften.<br />

Ist diese Idee zu einfach? Schliesslich gibt es<br />

seit Urzeiten Spendenaufrufe ohne Zahl.<br />

Wenn sich aber ein Ethiker wie der Australier<br />

Peter Singer, der in Oxford, New York und<br />

Princeton lehrt, auf dieses Thema stürzt,<br />

bekommt die Wohltätigkeit eine spezielle<br />

Färbung. Denn sie ist die Nagelprobe auf<br />

den von ihm propagierten Utilitarismus.<br />

FURCHT<br />

VOR DEM DAMMBRUCH<br />

Der besteht darin, die Ethik allein unter<br />

den Gesichtspunkt des Nutzens zu stellen.<br />

Speziell für die Deutschen ist das der pure<br />

Horror. Denn der christlich geprägte Idealismus<br />

hat weite Zonen des Lebens mit<br />

dem Tabu der Unberührbarkeit umgeben.<br />

So ist die «Würde des Menschen unantastbar».<br />

Auf dieser Basis stehen auch die<br />

Menschenrechte. Dabei ist es unerheblich,<br />

dass gegen diese Grundsätze im Alltag<br />

massiv verstossen wird, denn die Empirie<br />

ist nicht geeignet, das Ideal zu widerlegen.<br />

Vertreter dieser idealistisch-mitteleuro -<br />

päischen Ethik verweisen immer wieder<br />

darauf, dass eine Aufweichung ihrer<br />

Grundsätze die Gesellschaft auf eine<br />

schiefe Ebene führen könnte. Die Debatte<br />

um die Sterbehilfe zeigt die grosse Furcht<br />

vor einem «Dammbruch». Wenn das<br />

Tötungstabu an einer Stelle aufgehoben<br />

wird, so die Befürchtung, wird aus der<br />

Ausnahme eine zunehmend selbstverständliche<br />

Praxis.<br />

EINE EINFACHE FRAGE<br />

Als Utilitarist denkt Peter Singer völlig<br />

anders. Für ihn gibt es keine Tabus, sondern<br />

allein Nutzenabwägungen. Wenn ein<br />

Mensch nur noch Schmerzen erleidet und<br />

keine Aussicht auf Linderung oder Besserung<br />

besteht, dann soll er freiwillig aus<br />

dem Leben scheiden können. Diese Meinung<br />

vertritt Peter Singer schon seit Jahrzehnten,<br />

und weil er in Bezug auf die<br />

Leidensfähigkeit keinen prinzipiellen Unterschied<br />

zwischen höher entwickelten<br />

Tieren und Menschen sieht, wird er regelmässig<br />

angefeindet, ausgebuht, bedroht<br />

und als Redner erst ein-, dann aber wieder<br />

ausgeladen, weil die Veranstalter Randale<br />

im Publikum befürchten.<br />

Mit seinem neuen Buch über «effektiven<br />

Altruismus» zeigt Singer aber am Beispiel<br />

des Spendens, dass der Utilitarismus<br />

für das praktische Handeln ausgesprochen<br />

fruchtbar ist. Denn die Grundlage bietet<br />

eine simple Frage: Was kann ich dazu beitragen,<br />

dass Leiden gemindert und somit<br />

das Lebensglück möglichst vieler gesteigert<br />

wird? Man blockiert sich also nicht selbst<br />

durch schwierige Erwägungen wie etwa die<br />

Frage nach der Gerechtigkeit: Ist es gerecht,<br />

diesem und jenem zu helfen, anderen aber<br />

nicht? Probleme dieser Art können jede<br />

Handlungsmotivation unterminieren. Bei<br />

Singer ist es umgekehrt: Du kannst helfen.<br />

Warum tust du es dann nicht?<br />

VERBLÜFFENDE ERGEBNISSE<br />

Da in der utilitaristischen Logik des grössten<br />

Glücks, der grössten Zahl die Forderung<br />

nach einem Maximum der Effizienz<br />

angelegt ist, nimmt Singer die Hilfsorganisationen<br />

in zweifacher Hinsicht unter die<br />

Lupe: Welche Hilfe entfaltet die grösste<br />

Wirkung? Und wie gut sind die Hilfsorganisationen<br />

aufgestellt, sodass das gespendete<br />

Geld einen maximalen Wirkungsgrad<br />

hat und nicht in der Organisation selbst<br />

verbrennt? Diese Untersuchungen werden<br />

inzwischen geradezu professionell betrieben,<br />

sodass man sich auf der Website von<br />

givewell.org und Effective Altruism Forum<br />

gut orientieren kann. Die Effizienzüberlegungen<br />

führen bisweilen zu verblüffenden<br />

Ergebnissen. So macht Singer klar, dass die<br />

Malaria pro Jahr mehr als eine Million<br />

Opfer fordert, aber die Gegenmassnahmen<br />

extrem preiswert sind. Moskitonetze<br />

helfen viel, kosten aber wenig. Das Gleiche<br />

gilt für Impfungen. Die Frage, an<br />

welcher Stelle geholfen werden soll, wird<br />

ganz einfach beantwortet: Da, wo der<br />

grösstmögliche Effekt erzielt wird. Das<br />

lässt sich mit Statistiken erfassen.<br />

HELFEN MACHT GLÜCKLICH<br />

Die Tatsache, dass effiziente Hilfe möglich<br />

ist, kann aber nicht als eine Art ethisches<br />

Gesetz angesehen werden, das jeden zum<br />

Altruismus zwingt. Singer würde nicht wie<br />

Immanuel Kant moralische Gesetze postulieren,<br />

die unabhängig von der Motivation<br />

und der jeweiligen Stimmungslage gelten.<br />

Denn er weiss, dass die Vernunft allein ein<br />

zu schwacher Motivator ist. Daher dreht<br />

er den Spiess einfach um: Du musst zwar<br />

nicht helfen, aber die Erfahrung lehrt, dass<br />

dir der Altruismus guttut. Helfen macht<br />

glücklich. Weltweit habe sich eine starke<br />

Bewegung, so Singer, herausgebildet, die<br />

sich dem Altruismus widmet.<br />

Und so schildert Singer viele Personen,<br />

die grosse Teile ihres Einkommens spenden,<br />

also auf Konsum verzichten, und sich<br />

dadurch bereichert fühlen. Dazu kommt<br />

die befriedigende Gewissheit, dass auch<br />

kleinere Beträge, die in den reichen Ländern<br />

des Westens im täglichen Konsum<br />

einen sehr geringen Gegenwert haben,<br />

richtig eingesetzt, in der Dritten Welt eine<br />

enorme Wirkung entfalten. Aber nicht<br />

jeder wird diesen Schritt wagen, und so<br />

kommt es, dass Singers Ethik auch etwas<br />

Bedrängendes hat. Denn er zeigt Wege<br />

und Möglichkeiten auf, auf die man nicht<br />

bloss mit einem Achselzucken reagieren<br />

kann. Und es hilft auch nicht, Singers<br />

Überlegungen als eine Art negativer Utopie<br />

abzutun, die am Ende zum Zusammenbruch<br />

unserer Wirtschaft aufgrund zu<br />

geringer Nachfrage nach Waren und<br />

Dienstleistungen führen würde. Denn die<br />

Gefahr, dass es so weit kommt, dürfte sehr<br />

gering sein.

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