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Rotary Magazin 01/2024

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THÈME DU MOIS – ROTARY SUISSE LIECHTENSTEIN – JANVIER <strong>2024</strong><br />

36<br />

Es scheint, dass heute die Kritik an der<br />

Philanthropie weitaus lauter ist als ihre<br />

Verteidigung. Dies überrascht nicht, wenn<br />

man feststellt, dass dies wohl schon immer<br />

so gewesen ist.<br />

In der Zeit der Aufklärung wurde<br />

Philanthropie kritisiert, denn das private<br />

Engagement widersprach dem Grundsatz<br />

der Gleichheit der Menschen. Denn durch<br />

die private Spende für einen bestimmten<br />

Zweck entscheidet der Geldgeber, was die<br />

andere Person braucht. Besonders kritisch<br />

wurden die Stiftungen gesehen. Mit dem<br />

Aufkommen der Philanthropie in den USA<br />

im 19. Jahrhundert wuchs ebenfalls die<br />

Kritik daran. Sie entbrannte vor allem an<br />

den teils rücksichtslosen und skrupellosen<br />

Geschäftspraktiken der Tycoons, die nicht<br />

durch Philanthropie zum Lebensende<br />

überdeckt werden sollten. Auch in den<br />

USA zeigte die Kritik Wirkung – wenn auch<br />

mit einigen Jahrzehnten Verspätung. In<br />

den 1960er-Jahren wurde ein Ausschüttungsgebot<br />

von jährlich 5 Prozent des<br />

Stiftungsvermögens festgelegt, das bis<br />

heute gilt. Schliesslich hat die Philanthropie<br />

ab der zweiten Hälfte der 1990er Jahre<br />

wieder an Bedeutung gewonnen und die<br />

gesellschaftliche wie wissenschaftliche<br />

Auseinandersetzung mit dem Phänomen<br />

der Grosszügigkeit nahm zu. In den letzten<br />

Jahren sind mehrere Bücher erschienen,<br />

die Kritik an der Philanthropie üben, meist<br />

mit dem Fokus auf die Gegebenheiten in<br />

den USA.<br />

WAS PHILANTHROPIE<br />

AUSMACHT<br />

Die Kritik an manchen Auswüchsen der<br />

Philanthropie ist berechtigt, genauso wie<br />

es haarsträubende Beispiele fehlgeleiteter<br />

Grosszügigkeit gibt. Ebenso können aus<br />

der Kritik neue interessante Ansätze für<br />

die weitere Entwicklung abgeleitet werden.<br />

Gleichzeitig aber verkennen die Kritiker<br />

einige zentrale Wesensmerkmale, die<br />

letztlich auch der Grund sind, warum die<br />

Philanthropie trotz aller Kritik bis heute<br />

überdauert hat.<br />

Philanthropie hat einen persönlichen<br />

Ursprung<br />

Philanthropie ist eine freiwillige Handlung,<br />

die sich zu einem Ursprung zurückverfolgen<br />

lässt, nämlich zu einer oder mehreren<br />

Stifterpersonen. Dementsprechend ist sie<br />

von den persönlichen Erfahrungen, Haltungen<br />

und Einschätzungen dieser Personen<br />

geprägt. Der besondere gesellschaftliche<br />

Mehrwert der Philanthropie ergibt<br />

sich gerade dann, wenn persönliche Werte<br />

und gesellschaftlicher Nutzen zusammenkommen.<br />

Philanthropie wirkt nicht<br />

über Geld allein, sondern durch Engagement<br />

und Überzeugungskraft.<br />

Spenden sind kein Ersatz für Steuern<br />

Die Faszination vieler Menschen an der<br />

Philanthropie geht von den grossen Beträgen<br />

der Megastiftungen aus. Wenn die<br />

Mehrzahl der Debatten über die Bill and<br />

Melinda Gates Foundation geführt wird,<br />

dann entwickelt sich daraus eine verzerrte<br />

Wahrnehmung. Daraus abgeleitet, wird<br />

eine zu grosse Einflussnahme der Philanthropie<br />

vermutet, die staatliches Wirken<br />

gefährden könnte. Dazu eine einfache<br />

Rechnung: Würde man alle Ausschüttungen<br />

von Stiftungen in der Schweiz eines<br />

Jahres (2 bis 3 Milliarden Franken) nur für<br />

die Finanzierung der Schulen verwenden<br />

(26 bis 28 Milliarden Franken), wären am<br />

28. Januar alle Mittel aufgebraucht.<br />

Danach gäbe es nicht nur keine Schule,<br />

sondern es fehlten auch alle weiteren<br />

Mittel für Umwelt, Soziales, Forschung,<br />

Kultur usw., die Stiftungen das ganze Jahr<br />

über leisten. Spenden und Stiftungsbeiträge<br />

können nie die staatlichen Leistungen<br />

ersetzen.<br />

Philanthropie kann vieles, aber nicht<br />

Umverteilung<br />

Die Hoffnung, über Philanthropie eine<br />

Umverteilung von Reich zu Arm zu bewältigen,<br />

ist utopisch. Im Gegenteil, Philanthropie<br />

zeichnet sich gerade dadurch aus,<br />

dass sie nicht der Idee verfällt, mit Almosen<br />

etwas gegen die gesellschaftliche<br />

Ungleichheit unternehmen zu können.<br />

Ansätze, die systematisch etwas verändern<br />

wollen, setzen bei Förderbereichen<br />

wie Forschung, Kultur, Sozialen Diensten<br />

oder Gesundheitswesen an, von denen<br />

die Ärmsten der Gesellschaft erst in zweiter<br />

oder dritter Linie profitieren.<br />

Macht ist nur ein Faktor unter vielen<br />

«Wer zahlt, befiehlt», heisst das Sprichwort<br />

und selbstverständlich liegt darin ein<br />

Stück Wahrheit. Jedoch suchen nicht alle<br />

Philanthropen diese Macht. Viele Stifterpersonen<br />

haben sich von ihrem Reich tum<br />

getrennt, ohne daraus einen Machtanspruch<br />

abgeleitet zu haben. Stephan<br />

Schmidheiny übertrug seine südamerika-<br />

ZUR PERSON<br />

Georg von Schnurbein ist Professor für<br />

Stiftungsmanagement an der Universität<br />

Basel und Direktor des von ihm<br />

gegründeten Center for Philanthropy<br />

Studies (CEPS). Er ist Mitherausgeber<br />

des Swiss Foundation Code und des<br />

jährlich erscheinenden Schweizer<br />

Stiftungsreports. Zuletzt erschienen<br />

sind «Strategische Philanthropie»,<br />

zusammen mit Peter Frumkin, und<br />

«Finanzmanagement in Non-Profit-<br />

Organsiationen». Georg von Schnurbein<br />

ist Mitglied im RC Basel-Wettstein.<br />

Der vorliegende Beitrag beruht auf<br />

dem Kapitel «Philanthropie in der Kritik<br />

– Fördert Philanthropie die gesellschaftliche<br />

Ungerechtigkeit?», erschienen<br />

in: von Schnurbein, G. (Hrsg.):<br />

Gutes tun oder es besser lassen? Philanthropie<br />

zwischen Kritik und Anerkennung,<br />

Basel: Christoph Merian<br />

Verlag, 2023.<br />

nischen Firmen 2003 dem Viva Trust<br />

(damaliger Wert 1 Milliarde Franken), aus<br />

dem er sich später vollständig zurückzog.<br />

Der 2023 verstorbene Milliardär Chuck<br />

Feeney spendete mehr als 8 Milliarden<br />

US-Dollar weitgehend anonym und lebte<br />

zurückgezogen in Kalifornien. Solche<br />

Beispiele zeigen, dass Macht nicht das<br />

einzige Motiv für Philanthropie ist. Mitbestimmung<br />

und Einfluss sind Treiber für<br />

philanthropisches Engagement, genauso<br />

wie Mitleid, Betroffenheit, persönliches<br />

Schicksal oder Enthusiasmus.<br />

Zusammenfassend lässt sich die Situation<br />

der Philanthropie heute so darstellen,<br />

dass sich die Kritik an einer kleinen, sehr<br />

spezifischen Gruppe von Personen und<br />

Stiftungen ausrichtet und daraus aber eine<br />

Globalkritik an der Philanthropie entwickelt<br />

wird, die bei näherer Betrachtung<br />

nicht haltbar ist. Die Wucht der Kritik ist<br />

jedoch ernst zu nehmen, gerade weil sie<br />

auf eine Reihe von häufig bedienten<br />

Klischees und Vorstellungen aufbaut.<br />

Deshalb ist es notwendig, dass sich die<br />

Philanthropie – und damit alle beteiligten<br />

Gruppen wie Stifterpersonen, Stiftungen,<br />

Spenderinnen und Spender, NPO usw. –<br />

stetig weiterentwickelt und dadurch die<br />

Kritik entkräftet.<br />

K Rot. Georg von Schnurbein | A zvg

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