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CI-IMPULSE, Ausgabe 3-2010 - HCIG

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Erfahrungsbericht Ragna Sprigade<br />

Hirnstamm-Implantat - Meine Erfahrungen mit<br />

dem Hören vor und nach dem Erhalt eines ABI<br />

Ich möchte mit der Geschichte meines zweiten Lebens beginnen,<br />

das ganz anders ist als das erste. Es begann, als<br />

ich 53 Jahre alt war und mich physisch und psychisch auf<br />

dem Höhepunkt fühlte. Ich erkrankte an Meningitis; beide<br />

Innenohren waren lahm gelegt - sowohl die Schnecke als<br />

auch das Labyrinth. Die Meningitis ließ mich aber immerhin<br />

am Leben und verschonte mein Gehirn. Innerhalb von vier<br />

Tagen war ich taub und hatte auch kein Gleichgewichtsempfinden<br />

mehr. Als die Entzündung des Innenohrs (erst)<br />

nach einem halben Jahr abklang, war die Verknöcherung<br />

der Schnecke schon sehr weit fortgeschritten.<br />

Trotz nicht eindeutiger Befunde bezüglich der Hörnerven<br />

wurde mir an der Charité (Berlin) rechts ein Cochlea-<br />

Implantat eingepflanzt, so gut es eben bei dem Zustand<br />

der Schnecke möglich war. Leider war es kein Erfolg – ich<br />

konnte nicht wirklich hören, nahm nur eine Vibration wahr,<br />

die mein Gehirn in Dröhnen übersetzte, für alle Geräusche<br />

gleich. Lang – kurz, stark – schwach, das war alles, was mich<br />

aus der akustischen Außenwelt erreichte; das war aber immerhin<br />

schon mehr als vorher. Mir half, dass ich sehr guten<br />

Einzelunterricht im Absehen erhielt, so dass die direkte<br />

mündliche Verständigung nicht unmöglich, wenn auch sehr<br />

anstrengend war. Mit meinen Töchtern wurde auch das Fingeralphabet<br />

genutzt, das beide schnell erlernten.<br />

Als Ertaubte unter Normalhörenden<br />

Ansonsten wurde schriftlich kommuniziert. Bis zu meinem<br />

Ruhestand 2005 habe ich 39 Jahre lang an der Humboldt-Universität<br />

zu Berlin Englischkurse für Studenten aller<br />

Fachrichtungen gegeben; glücklicherweise hatte mich<br />

schon vor der Ertaubung auf das Akademische Schreiben<br />

spezialisiert. Die Arbeit nahm ich eineinhalb Jahre nach der<br />

Erkrankung und gleich nach einer Reha in Rendsburg wieder<br />

auf. An der Arbeitsstelle hatte ich eine ausgezeichnete<br />

studentische Hilfskraft als Arbeitsassistentin, die in Sitzungen<br />

für mich mitschrieb. In Diskussionen hatte ich es sehr<br />

schwer, weil es so schnell ging. Ich bin zwar ein schneller<br />

Leser, war aber trotzdem im Hintertreffen, wenn ich etwas<br />

beisteuern wollte, weil die Kollegen dann oft schon bei<br />

einem anderen Thema waren. Dazu kam, dass sie immer<br />

wieder vergaßen, dass ich ertaubt war, weil sie mich ja von<br />

vorher als gut hörend kannten. Im Unterricht (Englisches<br />

Akademisches Schreiben) übernahm meine Assistentin<br />

den direkten Kontakt mit den Studenten, falls etwas nicht<br />

funktionierte. Bei mir hätte es zu lange gedauert (Zeit wäre<br />

dem Unterricht verloren gegangen). Der eigentliche Unterricht,<br />

bei dem wir zur Verständigung ein Konferenzprogramm<br />

nutzten, fand im Computerpool statt; die Arbeiten<br />

der Studenten und meine Kommentare dazu wurden über<br />

E-Mail verschickt.<br />

Natürlich gab es keine geselligen Kontakte mit den Kolle-<br />

19<br />

gen, weil ich in einer zwanglosen geselligen Runde keine<br />

Chance zum Verstehen hatte. Ich konnte nur ab und zu mit<br />

jeweils einem Kollegen/einer Kollegin essen oder Kaffee<br />

trinken gehen.<br />

Meine Taubheit ließ mich auch in gefährliche Situationen<br />

geraten; beispielsweise gab es bei uns im Gebäude Feueralarm,<br />

von dem ich nichts mitbekam. Es dachte auch keiner<br />

der Kollegen daran, mich zu verständigen. Meine Studentin<br />

wollte gerade das Gebäude betreten, als die Kollegen<br />

schon draußen waren. Sie vermisste mich unter ihnen und<br />

durchschaute die Situation sofort. Über einen Schleichweg<br />

erreichte sie mein Zimmer und verständigte mich. Zum<br />

Glück war nichts passiert; das Feuer in der oberen Etage<br />

war unter Kontrolle. Erst nach diesem Vorfall wurde ein<br />

Feuermelder mit Lichtsignal in meinem Zimmer installiert,<br />

der aber meist ohne besonderen Grund losging und mich<br />

beim Arbeiten störte.<br />

Fachliche Beratung ist unverzichtbar<br />

Auf beharrliches Anraten einer <strong>CI</strong>-Patientin entschied ich<br />

mich für eine Reha in Bad Berleburg. Dort schöpfte ich<br />

Hoffnung auf ein <strong>CI</strong> mit parallel array (anderer Zugang für<br />

eine zweite Elektrode wg. Verknöcherung durch Meningitis)<br />

für das linke Ohr.<br />

Zu diesem Zweck wandte ich mich der MHH zu, wo mir<br />

auch Hoffnung gemacht und ein Termin für die OP vereinbart<br />

wurde. Zum Glück war Professor Lenarz, der mich operieren<br />

wollte, misstrauisch gegenüber den Befunden und<br />

bestand auf einem Test direkt vor der OP. Dieser fiel negativ<br />

aus. Es wurde ein PET-Scan veranlasst, der zweifelsfrei ergab,<br />

dass beide Hörnerven nicht funktionsfähig waren. Ein<br />

zweites <strong>CI</strong> hätte also auch keinen Erfolg gehabt. Im gleichen<br />

Zug wurde mir aber das ABI angeboten. Meine erste<br />

Reaktion war Entsetzen und Furcht. Ich war doch froh, dass<br />

mein Gehirn bei der Meningitis verschont geblieben war -<br />

und nun ein Eingriff direkt am Gehirn! Aber ich studierte die<br />

Berichte im Internet und ließ mich noch einmal eingehend<br />

in Hannover beraten. Frau Dr. Lesinski-Schiedat (damals<br />

noch keine Professorin) machte mir - wirklich sehr geduldig<br />

- die Chancen klar und bot mir sogar an, Fragen auch<br />

am Wochenende noch zu beantworten. Auf der Heimfahrt<br />

hatte ich dann den Beschluss gefasst, es zu wagen. Ich<br />

wusste: Der Zeitpunkt (61 Jahre) war noch günstig für mich,<br />

es war ein erfahrenes, ausgezeichnetes Team und es war<br />

die letzte Chance für mich, überhaupt noch etwas hören<br />

zu können. Mir wurden keine großen Erfolge prophezeit,<br />

aber allein das Wahrnehmen von Geräuschen und die Unterstützung<br />

des Absehens würden für mich einen enormen<br />

Gewinn darstellen. Mir wurde auch mitgeteilt, dass ich die<br />

erste Patientin mit ABI in Deutschland sein würde, die vorher<br />

keine Neurofibromatose 2 hatte.

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