Die Erschaffung und der Verfall oppositioneller Identität

Paßt alles zum Trend. Die Chuzpe des achselzuckenden
Skandalpolitikers findet ihr Äquivalent
in den Schrei- und Gewaltshows, wo Regeln
um der Sensation willen außer Kraft gesetzt
sind.
IV.
Medien brauchen heute das Verbrechen live, nicht
als geglättete Wort- oder Bildnachricht, sondern
vor laufenden Kameras in der Drehbuchlogik von
Krimis. Reality-TV heißt das Zauberwort der
Fernsehmacher: immer explosiv, akut, in Not.
Die Dysfiinktionalitäten der gesellschaftlichen Systeme
sind augenfällig: Ob Wirtschaft oder
Politik,Schule oder Medien - alles ist in Bewegung.
Aber die Aufgaben werden nicht mehr erledigt.
Das gleiche auf Seiten der Protestbewegungen,
dem anderen Partner in der gesellschaftlichen
Arbeitsteilung: Keine Visionen, keine Initiative,
keine Überraschung.
FORSCHUNGSJOURNAL NSB 2/93
Sicherlich, überall finden sich heute leicht und
schnell ein paar Menschen zusammen, um gegen
den Ausbau einer Straße zu protestieren, eine
Interessengemeinschaft für eine neue Krankheit,
eine Gruppe zum Schutze in Ehen unterdrückter
Männer oder gegen unfaire Berichterstattung in
den Medien zu gründen. Kein Anliegen, zu dem
es nicht eine Initiative gibt: Ausländer-, Bürger-,
Frauen-, Männer-, Kindergarten-, Umwelt-, Partei-
oder Wählerinitiative. Aber eben ohne Gestaltungskraft.
Die Protestkultur ist längst Allgemeingut geworden.
Ihre Extrakte kann jeder nach Gutdünken
nutzen. Warum auch nicht? Ist es nicht das,
was die 68er wollten, nachdem sie sich auf den
Straßen nasse Füße und blaue Flecken geholt
hatten und mit dem langen Marsch durch die
Institutionen begannen?
Etablierte wie Kritiker haben die Forderungen
der anderen kapiert, ihre Formen kopiert: Die
kleinen und großen Machthebel halten die Grü-