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Die Erschaffung und der Verfall oppositioneller Identität

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d8 FORSCHUNGSJOURNAL NSB 2/93<br />

Hans-Gerd Jaschke (1992) spricht vom Rechtsextremismus<br />

als "sozialer Protestbewegung", die<br />

das demokratische F<strong>und</strong>ament <strong>der</strong> B<strong>und</strong>esrepublik<br />

durch radikalere For<strong>der</strong>ungen <strong>und</strong> entsprechende<br />

Konzessionsbereitschaft des Establishments<br />

ernsthaft gefährden könne.<br />

<strong>Die</strong> Skinhead-Szene wird unter Vernachlässigung<br />

bzw. Verwischung wesentlicher Unterschiede<br />

leichtfertig mit linksoppositionellen Jugendkulturen<br />

<strong>der</strong> 60er Jahre gleichgesetzt, gezielte<br />

Provokation mit Protest verwechselt. Da die Provokation<br />

aber nur dem Zweck dient, eine konsequentere<br />

Abwehrreaktion/Repression des Staates<br />

gegenüber Asylsuchenden <strong>und</strong> an<strong>der</strong>en<br />

"Randgruppen" zu erzwingen, handelt es sich<br />

gerade nicht um eine Rebellion gegen den Staat.<br />

Rechte Randale ist kein "Protest gegen die Verantwortung",<br />

wie Burkhard Schrö<strong>der</strong> meint<br />

(1992:116), son<strong>der</strong>n spiegelt - wenngleich verzerrt<br />

<strong>und</strong> überspitzt - die gesellschaftlichen Herrschafts-,<br />

Macht- <strong>und</strong> Gewaltverhältnisse, d.h. im<br />

Gr<strong>und</strong>e soziale Verantwortungslosigkeit, wi<strong>der</strong>.<br />

Dafür sprechen folgende zwei Indizien: <strong>Die</strong> Brutalität<br />

rechtsextremer Schlägerbanden bzw. Subkulturen<br />

(Skinheads, Hooligans, Faschos) <strong>und</strong> neonazistischer<br />

Organisationen richtet sich nicht zufällig<br />

gegen Gruppen, die auch von <strong>der</strong> Gesamtgesellschaft<br />

ausgegrenzt werden (Flüchtlinge,<br />

Auslän<strong>der</strong>/innen, Behin<strong>der</strong>te, Drogenabhängige,<br />

Strafentlassene, Obdachlose, Homosexuelle <strong>und</strong><br />

Prostituierte). Sie wuchs außerdem im selben<br />

Maße, wie das Gewaltpotential in an<strong>der</strong>en Lebensbereichen<br />

zunahm. Der Bogen einer sinkenden<br />

Gewaltschwelle reicht von <strong>der</strong> Ellenbogenmentalität<br />

im Berufsleben über die Risikobereitschaft<br />

bzw. Rücksichtslosigkeit im Straßenverkehr<br />

bis zu den Blutorgien im Femsehen<br />

(Reality-TV). "Gewalt hat in atemberauben<strong>der</strong><br />

Dichte Alltag durchsetzt. Zerstörung von Lebensräumen,<br />

von Alltags- <strong>und</strong> Lebensplanungen<br />

brechen sich durch Gewalt Bahn." (Esser<br />

1992:25)<br />

<strong>Die</strong> "Ethnisierung" <strong>der</strong> sozialen Beziehungen<br />

(Hans-Gerd Jaschke) ist Ausdruck einer Verdinglichung,<br />

Entleemng <strong>und</strong> Verrohung <strong>der</strong> sozialen<br />

Beziehungen. Fremdenhaß resultiert nicht zuletzt<br />

aus einer Entfremdung <strong>der</strong> Einheimischen, die<br />

ihre Handlungsautonomie im Bemfsleben, im<br />

Wohnalltag <strong>und</strong> im Freizeitbereich weitgehend<br />

einbüßen. <strong>Die</strong> Schickeria-, Yuppie- <strong>und</strong> Walkman-Gesellschaft<br />

löst ihr Versprechen eines kontinuierlich<br />

wachsenden Wohlstandes für alle nicht<br />

ein, son<strong>der</strong>n läßt immer mehr Verarmte, (materiell<br />

bzw. mental) Verelendete <strong>und</strong> existentiell Verunsicherte<br />

zurück. <strong>Die</strong> (Re-)Privatisierung sozialer<br />

Risiken <strong>und</strong> audiovisueller Medien trägt mit<br />

dazu bei, gesellschaftliche Zusammenhänge aufzulösen,<br />

in denen sich Menschen früher "zu Hause"<br />

gefühlt haben.<br />

Mit <strong>der</strong> Enttabuisierung des Begriffs "Rassismus",<br />

den man in <strong>der</strong> B<strong>und</strong>esrepublik durch das (im<br />

ersten Teil unpräzise, wenn nicht ganz bewußt<br />

irreführende, im zweiten Teil verharmlosende)<br />

Wort "Auslän<strong>der</strong>feindlichkeit" ersetzt hatte, gelang<br />

im Pogromherbst 1992, als sich selbst <strong>der</strong><br />

B<strong>und</strong>estag in seiner Entschließung zum Rechtsextremismus<br />

einer klaren Sprache bediente, kein<br />

semantischer Sieg <strong>der</strong> Linken^ aber eine Normalisierung<br />

gegenüber den Län<strong>der</strong>n des angelsächsischen<br />

<strong>und</strong> romanischen Sprachraums, wo <strong>der</strong><br />

Terminus eher an kolonialistische Traditionen<br />

als an die Vernichtungslager des Nazi-Reiches<br />

erinnert. Wilhelm Heitmeyer warnt neuerdings<br />

gar vor einer Inflationierung des Rassismusbegriffs,<br />

weil sie die Gefahr eines "schwärmerischen"<br />

Antirassismus verstärke (1992; 1993:12).<br />

Rechtsextreme Ideologien/Organisationen haben<br />

nur Erfolg, wenn sie die beson<strong>der</strong>s in gesellschaftlichen<br />

Krisen- <strong>und</strong> Umbmchsituationen spürbare<br />

Unzufriedenheit <strong>der</strong> Unter- bzw. <strong>der</strong> vom sozialen<br />

Abstieg bedrohten Mittelschichten aufgreifen,<br />

sind daher ohne rebellische Basisimpulse überhaupt<br />

nicht denkbar. <strong>Die</strong>s ist jedoch kein Gr<strong>und</strong>,<br />

ihnen einen plebejisch-revolutionären Charakter

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