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Die Erschaffung und der Verfall oppositioneller Identität

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Beitrag mit einer Darstellung <strong>der</strong> Situation in<br />

Polen, dem Land mit <strong>der</strong> ausgeprägtesten Vorgeschichte<br />

sozialer Bewegungen in Osteuropa. In<br />

zwei weiteren Abschnitten gehe ich auf die Beson<strong>der</strong>heiten<br />

<strong>der</strong> Entwicklung in <strong>der</strong> ehemaligen<br />

Tschechoslowakei <strong>und</strong> Ungarn ein. Unter<br />

vergleichenden Gesichtspunkten erörtere ich im<br />

Schlußteil einige Entwicklungsprobleme, die sowohl<br />

für Parteien als auch soziale Bewegungen<br />

in den ost-mitteleuropäischen Län<strong>der</strong>n von Bedeutung<br />

sind.<br />

1. Polen<br />

In Polen ist die Geschichte sozialer Bewegungen<br />

mit <strong>der</strong> Entstehung einer "zweiten Öffentlichkeit"<br />

<strong>und</strong> unabhängiger Organisationen im<br />

Umfeld des Bürgerrechtskomitees KOR in den<br />

siebziger Jahren verb<strong>und</strong>en. Vor diesem Hintergr<strong>und</strong><br />

kann auch die Gründung von Solidamosc<br />

1980 <strong>und</strong> die Wie<strong>der</strong>zulassung <strong>der</strong> unabhängigen<br />

Gewerkschaft 1989 gesehen werden. Kennzeichnend<br />

für die Herausbildung von unabhängigen<br />

Strukturen <strong>der</strong> Öffentlichkeit <strong>und</strong> von Solidamosc<br />

war ein Wechselspiel von informellen<br />

<strong>und</strong> formalen Strukturen, das auch als gr<strong>und</strong>legend<br />

für die Entstehung an<strong>der</strong>er sozialer Bewegungen<br />

in Osteuropa bezeichnet werden kann 1<br />

:<br />

Solidamosc war 1980/81 Träger einer unabhängigen<br />

politischen Öffentlichkeit <strong>und</strong> von Strukturen<br />

einer zukünftigen "Bürgergesellschaft" 2<br />

.<br />

Ähnlich kann <strong>der</strong> Prozeß <strong>der</strong> schrittweisen Ablösung<br />

vom monozentrischen Herrschaftssystem<br />

1988/89 interpretiert werden: <strong>Die</strong> Rolle des informellen<br />

Sektors 3<br />

, die schrittweise Wie<strong>der</strong>aneignung<br />

des öffentlichen Raumes durch unabhängige<br />

Initiativen, politische Klubs <strong>und</strong> Bürgerkomitees<br />

war typisch für die Phase <strong>der</strong> Überwindung<br />

des monozentrischen Herrschaftssystems<br />

in Polen 1988/89.<br />

Für den demokratischen Systemwandel in Polen<br />

war es seit 1989 entscheidend, wie <strong>der</strong> Prozeß<br />

<strong>der</strong> Ausdifferenzierung von politischen In­<br />

FORSCHUNGSJOURNAL NSB 2/93<br />

teressen, Themen <strong>und</strong> Handlungsfel<strong>der</strong>n im Umfeld<br />

von Solidamosc verlief. Nach den gewonnenen<br />

Wahlen zum Sejm <strong>und</strong> zum Senat von<br />

1989 zeigte sich an <strong>der</strong> Rolle <strong>der</strong> Bürgerkomitees<br />

als einer "temporären Allianz" <strong>der</strong> oppositionellen<br />

Strömungen, wo die Konfliktlinien innerhalb<br />

<strong>der</strong> Solidamosc lagen: Solidamosc war<br />

eine Gewerkschaft, die ihren Aktionsrahmen in<br />

einem sich än<strong>der</strong>nden politischen <strong>und</strong> wirtschaftlichen<br />

System bestimmen mußte. <strong>Die</strong> wie<strong>der</strong><br />

zugelassene Solidamosc fungierte zugleich als<br />

Akteur in <strong>der</strong> politischen Arena.<br />

1.1. Der interne Konflikt über Einfluß,<br />

Ziele <strong>und</strong> Organsiationsformen <strong>der</strong><br />

Bürgerkomitees <strong>und</strong> Solidamosc'<br />

Das Hauptmotiv für die Entscheidung <strong>der</strong> Landesleitung<br />

<strong>der</strong> Gewerkschaft, daß sich die Bürgerkomitees<br />

auflösen sollten, war in <strong>der</strong> "drohenden<br />

Gefahr" einer Doppelmacht in <strong>der</strong> Bewegung<br />

Solidamosc zu sehen 4<br />

. In dem Konflikt<br />

zwischen <strong>der</strong> Landesleitung in Danzig <strong>und</strong> den<br />

Bürgerkomitees um das Selbstverständnis <strong>der</strong><br />

"neuen" Solidamosc handelte es sich genauer<br />

betrachtet um einen strukturellen Konflikt im<br />

Bewegungssektor Polens: Neben <strong>der</strong> Sphäre <strong>der</strong><br />

industriellen Arbeit <strong>und</strong> <strong>der</strong> Großbetriebe entstanden<br />

lokale Milieus <strong>der</strong> gesellschaftlichen Aktivität,<br />

in denen in kurzer Zeit über zehntausend<br />

aktive (Schlüssel-) Personen mobilisiert werden<br />

konnten 5<br />

.<br />

In <strong>der</strong> Wahlkampagne von Ende April bis Anfang<br />

Juni 1989 wurden zahlreiche Bürgerkomitees<br />

in Stadtvierteln von Warschau, Krakau, Danzig<br />

<strong>und</strong> an<strong>der</strong>en Städten Polens gegründet, die<br />

ganz unterschiedliche Milieus vereinigten: Intellektuelle,<br />

Künstler, Wissenschaftler, Arbeiter,<br />

Studenten <strong>und</strong> Gewerkschafter.<br />

Den Schlüsselpersonen aus den "Bürgerkomitees<br />

Solidamosc" war trotz ihrer Erfolge in <strong>der</strong><br />

Mobilisierung von Anhängern nach den Wahlen

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