Mai 2006 (PDF) - an.schläge
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für die Kundschaft bereit liegen. Angebrochene<br />
Parfumflaschen, Deos, Zahnbürsten,<br />
Rasierapparate, zwei offene Zigarettenschachteln.<br />
Das Bordell ist erst im Oktober in<br />
den Gewerbehof Ritterstraße umgezogen.<br />
Davor war es in einem Haus voller<br />
Dienstwohnungen untergebracht –<br />
kein idealer Ort, meint Fr<strong>an</strong>k. Die<br />
„Kreuzberger Chronik“, ein schickes<br />
kleinformatiges Bezirksblatt, das in allen<br />
Zimmern neben der mit bunten<br />
Bonbons gefüllten Glasschüssel aufliegt,<br />
weiß allerdings zu berichten, dass<br />
auch die Kundschaft Grund für den<br />
Umzug war: Der Springer Verlag sei in<br />
der Nähe und die Eröffnung eines<br />
großen Medienzentrums gepl<strong>an</strong>t.<br />
Grenzen wahren. Karolina* arbeitet seit<br />
Oktober hier. Früher war sie in der<br />
Straßenprostitution tätig, hat Hausund<br />
Hotelbesuche gemacht. D<strong>an</strong>n zwei<br />
Jahre Babypause. Jetzt hat die Dreißigjährige<br />
eine Ich-AG gegründet, somit erhält<br />
sie Förderungen zur Weiterbildung<br />
vom Bund. Neben ihrer Arbeit als Prostituierte<br />
ist Karolina zwei Tage die Woche<br />
als diplomierte Sozialarbeiterin in einem<br />
katholischen SeniorInnenheim <strong>an</strong>gestellt.<br />
Wenn sie sich zwischen den beiden<br />
Berufen entscheiden müsste? Tiff<strong>an</strong>y.<br />
Die Arbeitsatmosphäre sagt ihr mehr<br />
zu, und „die persönliche, die intime<br />
Grenze zu wahren, das ist im Pflegeberuf<br />
viel schwerer.“ Ob ihr nicht m<strong>an</strong>chmal<br />
graust? Eigentlich nein. Vor allem<br />
die älteren Kunden sind „sehr charm<strong>an</strong>t,<br />
die wissen g<strong>an</strong>z klar: Das ist eine<br />
Dienstleistung.“ Mit ihren privaten Vorlieben<br />
hat der berufliche Sex nichts zu<br />
tun. „Und ehrlich, es ist ja auch nicht<br />
unbedingt von Vorteil, so einen jungen<br />
Typen da liegen zu haben, der ewig<br />
k<strong>an</strong>n.“<br />
Arbeitsrecht, Abolitionismus, Kriminalisierung.<br />
Dass der Diskurs über Prostitution komplex<br />
ist, darüber ist Karolina sich im Klaren.<br />
Sie ist selbst seit ihrer Teenagezeit<br />
in einer feministischen Gruppe aktiv.<br />
Ein Beruf wie jeder <strong>an</strong>dere, das ist für<br />
sie das Stichwort, das bedeutet Arbeitsrecht,<br />
Sozialversicherung und einen gewissen<br />
Grad <strong>an</strong> Anerkennung.<br />
EMMA rotiert in der Druckerpresse.<br />
Die Linie der Redaktion ist klar: abolishing.<br />
„Das von CDU/CSU gepl<strong>an</strong>te Ge-<br />
setz zur Bestrafung der Freier von Zw<strong>an</strong>gsprostituierten<br />
ist in einer Zeit, in der<br />
Pornografie als schick und Prostitution<br />
als ‚Beruf wie jeder <strong>an</strong>dere’ gilt, ein<br />
wichtiges Signal“, verlautbart Chefredakteurin<br />
Alice Schwarzer 1 in ihrem Editorial<br />
zur K<strong>an</strong>zlerinnenk<strong>an</strong>didatur von<br />
Angela Merkel. Die Konservativen, so resümiert<br />
Schwarzer,„haben die Nase<br />
vorn (...) beim Kampf gegen die – in den<br />
verg<strong>an</strong>genen Jahren vor allem von den<br />
Grünen betriebene – Verharmlosung<br />
der Prostitution.“<br />
Was im konservativen Deutschl<strong>an</strong>d<br />
medial und politisch tatsächlich verbraten<br />
wird, ist allerdings die Rekriminalisierung<br />
der Prostituierten. Zwei Muster<br />
sind dabei zu beobachten: die Vermischung<br />
von freiwilliger und Zw<strong>an</strong>gsprostitution<br />
(intendiert oder aus Unfähigkeit<br />
zur Differenz), und die Instrumentalisierung<br />
von vermeintlichen migr<strong>an</strong>tischen<br />
Zw<strong>an</strong>gsprostituierten als<br />
Rechtfertigung für noch rassistischere<br />
Gesetzgebungen. Genau dar<strong>an</strong> scheitert<br />
auch eine sinnvolle Debatte rund<br />
um die im Juni beginnende Fußballweltmeisterschaft.<br />
In sehr männerdominierten und<br />
kulturell fragwürdigen Zusammenhängen<br />
die sexuelle und ökonomische Ausbeutung<br />
von Menschen, in diesem Fall<br />
vor allem Frauen und Mädchen, <strong>an</strong>zusprechen,<br />
ist fraglos notwendig. Was<br />
hier allerdings parallel produziert wird,<br />
ist eine hysterische Debatte, ein Jonglieren<br />
mit Zahlen bar seriöser Quellen, die<br />
medial und politisch für die Rechtfertigung<br />
von Rassismus und Sexismus instrumentalisiert<br />
werden. Jede Migr<strong>an</strong>tin<br />
wird in diesem Diskurs als <strong>an</strong>zunehmende<br />
Prostituierte geh<strong>an</strong>dhabt, und<br />
jede Prostituierte ist nun wahrscheinlich<br />
eine Zw<strong>an</strong>gsprostituierte – so k<strong>an</strong>n<br />
sich der Staat eine HelferInnenfunktion<br />
zuspielen, in dem er Menschen die Einreise<br />
nach Deutschl<strong>an</strong>d verweigert, und<br />
das auch noch zu ihrem eigenen Besten,<br />
als Schutz vor erzwungener Prostitution.<br />
Dem<strong>an</strong>ds for protection? Protektionistisch<br />
ist auch die Idee des Abolitionismus; ihr<br />
liegt die Vorstellung zu Grunde, dass<br />
Prostituierte ihrer Arbeit niemals aus<br />
freier Wahl nachgehen. Schon bei der<br />
Analyse der United Nations Convention<br />
for the Suppression of Trafficking in Women<br />
<strong>an</strong>d the exploitation of Prostitution<br />
aus dem Jahr 1949, die in vielen Staaten<br />
als grundlegendes Dokument geh<strong>an</strong>dhabt<br />
wird, kommt die italienische Politologin<br />
D<strong>an</strong>na 2 (2003:3) zu dem Schluss:<br />
„Free-choice prostitution is considered<br />
non-existent.“ Zum selben Ergebnis<br />
kommt Sus<strong>an</strong>ne Dodillet in ihrem Vortrag<br />
„Kulturschock Prostitution“ 3 , wenn<br />
sie die schwedisch-feministische Parlamentsdebatte<br />
mit dem Zitat einer Abgeordneten<br />
zusammenfasst:„Eine Prostitutierte,<br />
die gerne Prostituierte ist, muss<br />
aufgeklärt werden über ihre unterdrückte<br />
Position im Patriarchat.“ Ausgehend<br />
davon, so Dodillet, wird ein Diskurs mit<br />
den Beteiligten von Anf<strong>an</strong>g <strong>an</strong> unmöglich<br />
gemacht, indem ihnen die öffentliche<br />
Meinungsäußerung in eigener Sache<br />
verwehrt wird: Zu ihrem vermeintlichen<br />
Schutz (vor der Gesellschaft? vor<br />
sich selbst?) wird für sie und über sie gesprochen.<br />
Und auch die niederländische<br />
Politologin Petra de Vries bestätigt die<br />
intendierte Fremdbestimmung eines<br />
solchen Protektionismus:„A dem<strong>an</strong>d for<br />
protection was never me<strong>an</strong>t to be a dem<strong>an</strong>d<br />
for autonomy.“ 4<br />
AbolitionistInnen wollen staatliche<br />
Reglementierungen abschaffen, weil<br />
sie, so D<strong>an</strong>na (2003:2), als „m<strong>an</strong>ifestation<br />
of male oppression“ verst<strong>an</strong>den werden,„which<br />
historically they have been.“<br />
Der Staat als moderner Zuhälter,<br />
wie Birgit Sauer 5 , Politologin <strong>an</strong> der Universität<br />
Wien, es ausdrückt. In Folge<br />
stellt sich hier jedoch eine sehr absolute<br />
Frage: die nach der idealen Gesellschaft.<br />
Und wenn es auch unterschiedliche<br />
Vorstellungen davon gibt, wie diese<br />
aussehen soll, so k<strong>an</strong>n doch für alle<br />
Utopien gelten, dass es zu ihrer Realisierung<br />
kurz- und l<strong>an</strong>gfristiger Strategien<br />
bedarf. Selbst der Idee <strong>an</strong>hängend, dass<br />
es die aktuelle, geschlechterungleiche<br />
Form von Prostitution und ihren Strukturen<br />
in der idealen Gesellschaft nicht<br />
mehr gäbe, sattelt frau das Pferd von<br />
hinten auf, wenn Abschaffung gefordert<br />
wird, wo Arbeitsrechte und Gesundheitssicherung<br />
erkämpft werden<br />
müssen. „Die Verortung der Prostitution<br />
in Herrschaftsverhältnissen heißt nicht,<br />
dass sie nicht Ausg<strong>an</strong>gspunkt für Freiheitsentwürfe<br />
und Widerst<strong>an</strong>d sein<br />
k<strong>an</strong>n“, stellt Birgit Sauer 5 fest, und wir<br />
können das als Appell verstehen, bessere<br />
Arbeitsbedingungen und Legalisierung<br />
zu unseren politischen Forderungen<br />
zu machen. ❚<br />
sexarbeitthema<br />
Buchtipp:<br />
Elisabeth von Dücker, Museum der<br />
Arbeit (Hg.): Sexarbeit – Prostitution<br />
– Lebenswelten und Mythen.<br />
Edition Temmen, 2005, 24,90 Euro (D)<br />
Die Fotos stammen aus diesem<br />
Ausstellungskatalog.<br />
Ausstellung:<br />
Sexarbeit - Prostitution – Lebenswelten<br />
und Mythen<br />
bis 13.8., Museum der Arbeit,<br />
D-22305 Hamburg, Wiesendamm 3,<br />
T.: 0049-40/428 133-0,<br />
info@museum-der-arbeit.de,<br />
www.museum-der-arbeit.de,<br />
Mo 13-21.00, Di-Sa 10-17.00,<br />
So 10-18.00<br />
1 Alice Schwarzer: Nur eine Frage des<br />
Geschlechts? Nicht nur, aber auch.<br />
Denn auch das Gelebte zählt.<br />
Argumente zum 18. September 2005.<br />
EMMA September/Oktober 2005,<br />
Editorial<br />
2 D<strong>an</strong>iela D<strong>an</strong>na 2003: Trafficking<br />
<strong>an</strong>d prostitution of foreigners in the<br />
context of the E.U. Countires’ policy<br />
about prostitution. Paper zum NEWR<br />
Workshop on Trafficking, Amsterdam,<br />
25.-26.4.2003<br />
3 Sus<strong>an</strong>ne Dodillet: Kulturschock<br />
Prostitution. Eine Analyse deutscher<br />
und schwedischer Prostitutionsdebatten<br />
der 1990er Jahre und ihrer<br />
Geschichte. Vortrag am Kongress<br />
„Prostitution – Tauschh<strong>an</strong>del zwischen<br />
Körper und Zeichen“,<br />
Humboldt-Universität zu Berlin,<br />
17.-18.03.<strong>2006</strong><br />
4 Petra de Vries: Prostitutes <strong>an</strong>d white<br />
slaves. The Dutch <strong>an</strong>d Jewish figth<br />
against women trafficking 1900-<br />
1920. Vortrag am Kongress s.o.<br />
5 Birgit Sauer: Der l<strong>an</strong>ge Weg zur<br />
Sexarbeit. Prostitutionspolitiken im<br />
Vergleich. Vortrag am Kongress s.o.<br />
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