Mai 2006 (PDF) - an.schläge
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Buch davon spricht, dass Männer immer<br />
die Sammler und Jäger bleiben<br />
werden. Ein Blick in das Buch zeigt: Der<br />
Sammler und Jäger hat offensichtlich<br />
große Angst.<br />
Als Pfeiler seiner Argumentation<br />
werden zwei (!!) Katastrophen aus der<br />
Geschichte raus gepickt. Mit beiden Ereignissen<br />
will Schirrmacher zeigen, dass<br />
sich Menschen in Krisensituationen um<br />
ihre Familie fürsorglich kümmern, Alleinstehende<br />
sich jedoch einen feuchten<br />
Dreck um Freunde oder Mitbetroffene<br />
scheren. Liest eine so etwas, beschert<br />
der Autor Assoziationen, die schon weit<br />
weg schienen:„Blut ist dicker als Wasser“,<br />
ich glaub, das will er uns sagen.<br />
KomplizInnen. Nun ist es durchaus berechtigt<br />
zu fragen:Warum soll frau sich<br />
mit derartigen Absurditäten beschäftigen?<br />
Antworten gibt es mehrere: Die<br />
KomplizInnenschaft der JournalistInnen<br />
etwa ist eine. Das führt mich wieder zu<br />
Beckm<strong>an</strong>ns Talkshow, denn dieser spaziert<br />
in seiner Sendung mit Schirrmacher<br />
H<strong>an</strong>d in H<strong>an</strong>d ins Märchenl<strong>an</strong>d.<br />
Beckm<strong>an</strong>n h<strong>an</strong>tiert in Bezug auf die<br />
„Gebährunwilligen“ mit Begriffen wie<br />
„dramatisch“ und meint:„Wie dramatisch<br />
das ist, das wollen wir mal mit<br />
Zahlen belegen.“ JournalistInnen ziehen<br />
also dermaßen engagiert mit, dass es<br />
schon ein größeres Problem ist, als die<br />
verschrobene Argumentation eines<br />
(mächtigen) Medienm<strong>an</strong>nes.<br />
Zum Beispiel in der Presse:„Doch<br />
m<strong>an</strong> k<strong>an</strong>n ihm nicht vorwerfen, in die<br />
Fallen des Biologismus geg<strong>an</strong>gen zu<br />
sein.“ 2<br />
Abgesehen von den sexistischen<br />
Plattitüden, die von JournalistInnen und<br />
KommentatorInnen teilweise thematisiert<br />
werden, bleibt auf der Strecke,<br />
dass es in Schirrmachers Aussagen<br />
auch noch einen latenten Rassismus<br />
gibt, der in diesem Fahrwasser zu allem<br />
Übel auch noch mit schwimmt.<br />
Genau wie Schirrmacher Frauen<br />
meint, wenn er sagt „wir“ müssen wieder<br />
die altruistischen Werte entdecken,<br />
meinte er deutsche oder europäische<br />
Kinder, die in die Welt gesetzt werden<br />
müssen, um den Sozialstaat zu retten.<br />
Das Thema Einw<strong>an</strong>derung kommt praktisch<br />
nicht vor. Und noch eine zweite<br />
Ebene des Rassismus kommt hinzu, nun<br />
aber von Seiten der Medien bzw. Jour-<br />
nalistInnen:Würde ein Muslim oder eine<br />
Muslimin derartige Inhalte in einer<br />
Fernsehshow verbreiten, würden sie<br />
von JournalistInnen wahrscheinlich<br />
darauf aufmerksam gemacht werden,<br />
dass es ein wesentlicher Teil „unserer“<br />
Gesellschaft ist, dass Frauen frei zwischen<br />
verschiedenen Lebensformen<br />
wählen können. Für Schirrmacher gilt<br />
das nicht:„Es wird ein Riesendruck auf<br />
sie entstehen. Sie müssen arbeiten,<br />
Kinder kriegen und es stellt sich für sie<br />
die Frage: Was tue ich mit meinen alten<br />
Eltern.“ 3<br />
Es sollen doch wieder die selbstlosen<br />
Werte zurückkehren, was für ihn bedeutet,<br />
dass die Arbeit ohne Lohn wieder<br />
aufgenommen werden soll (leider<br />
wurde diese ja noch gar nicht niedergelegt).<br />
Und seine Lösung, damit alle<br />
künftig eine Pension erhalten lautet:<br />
Babys!<br />
Schirrmacher weiß <strong>an</strong>scheinend<br />
nicht, dass die jetzigen Erwerbsbeteiligten<br />
die Pensionen derer zahlen, die jetzt<br />
in Pension sind und er denkt nicht dar<strong>an</strong>,<br />
dass eine hohe Geburtenrate nicht<br />
gewährleistet, dass diese Menschen irgendw<strong>an</strong>n<br />
eine gut bezahlte Arbeit bekommen,<br />
mit der sie d<strong>an</strong>n wiederum<br />
die Pensionen mitfin<strong>an</strong>zieren können.<br />
Das Umlageverfahren der Rentensysteme<br />
in Österreich und Deutschl<strong>an</strong>d<br />
hängt nicht von der Anzahl des Nachwuchses<br />
ab, sondern davon, ob die<br />
Menschen Arbeit haben.<br />
Eine niedrige Erwerbsbeteiligung<br />
zu erhöhen, ist wohl Aufgabe der Politik,<br />
nicht die Aufgabe der Frauen. Schirrmacher<br />
schlägt also vor, die Aufgaben und<br />
Probleme der Allgemeinheit im Privaten<br />
zu lösen, die Politik soll sich nicht zuständig<br />
fühlen.<br />
Der Widerspruch. Ein weiterer Punkt, warum<br />
Beiträge wie die Schirrmachers<br />
nicht einfach ignoriert werden sollten<br />
besteht darin, dass einmal mehr der<br />
auffallende Widerspruch zwischen neoliberaler<br />
Argumentation und Konservatismus<br />
zutage tritt und damit auch die<br />
Frage:Warum plädieren neoliberale PolitikerInnen<br />
für die Bewahrung familialer<br />
Traditionen? Was hat Neoliberalismus<br />
eigentlich mit Konservatismus zu<br />
tun? Nämlich gar nichts. Diskussionen<br />
um den „Wert der Familie“ zeigen dies.<br />
Während der Konservatismus um Erhaltung<br />
von Traditionen, egal wie zweifel-<br />
haft diese sind, bemüht ist, geht es im<br />
Neoliberalismus um eine Ausweitung<br />
des Marktes, für den laufende Veränderungen<br />
nötig sind.<br />
„Die pauschale Marktgesellschaft<br />
gehört (jedoch) zu den Hauptfaktoren<br />
der Verstärkung eben jener Desintegrationskräfte,<br />
die das Familienleben in<br />
Mitleidenschaft ziehen und die vom<br />
Neoliberalismus, wenn er sein fundamentalistisches<br />
Kostüm trägt, diagnostiziert<br />
und heftig <strong>an</strong>gegriffen werden.<br />
Das ist wirklich ein instabiles<br />
Gemisch.“ 4<br />
Wenn eineR schon Angst vor dem<br />
Verschwinden des traditionellen Familienmodells<br />
hat und dies öffentlich betrauert,<br />
sollte er zumindest die Finger<br />
davon lassen, Frauen dafür ver<strong>an</strong>twortlich<br />
zu machen.<br />
Schirrmacher schlüpft nur zu gerne<br />
für den Neoliberalismus in dieses fundamentalistische<br />
Kostüm, seine rechte,<br />
fundamentalistische Haltung wird jedoch<br />
in den Medien nicht als solche demaskiert<br />
(davon abgesehen ist das<br />
Wort „fundamentalistisch“ derzeit für<br />
<strong>an</strong>dere reserviert). Sei es wegen seiner<br />
Position als Herausgeber oder den Seilschaften<br />
zu <strong>an</strong>deren Kollegen, die von<br />
den Herausgebern vom Spiegel bis zur<br />
Bild reichen.<br />
Schirrmacher ist ein Ideologielieferer<br />
des Neoliberalismus. Er liefert einer<br />
Politik, die „keinerlei theoretische Begründung“<br />
5 hat, eine Ideologie, die sich<br />
die neoliberale Politik nur zu gern überstülpt.<br />
Schirrmacher erweist sowohl einer<br />
CDU in Deutschl<strong>an</strong>d als auch einer<br />
ÖVP/FPÖ Regierung einen großen<br />
Dienst.<br />
„Denn die Familie als privates Versorgungsnetz,<br />
Urversicherungs<strong>an</strong>stalt<br />
des Lebens, wird in dem Augenblick lebenswichtig,<br />
da sich der Wohlfahrtsstaat<br />
zurückzieht.“ 6 Er liefert die Antwort<br />
darauf, wer die Lücke der gestrichenen<br />
sozialen Leistungen, vor deren<br />
Erfüllung sich der Staat zurückzieht,<br />
schließen soll. Dass ist nun gleichzeitig<br />
der Grund warum es sich PolitikerInnen<br />
neoliberaler Gesinnung nicht mit reaktionär-konservativen<br />
PredigerInnen verscherzen<br />
wollen. Es geht nicht nur darum,<br />
das M<strong>an</strong>ko einer Theorie auszugleichen,<br />
sondern es geht um die Umverteilung<br />
der sozialen Aufgaben, die ein<br />
Staat zu tragen hat, auf den Raum des<br />
Privaten. ❚<br />
glücklichkinderlos<br />
1 Beckm<strong>an</strong>n, Sendung vom<br />
13.03.<strong>2006</strong><br />
2 Die Presse vom 18.03.<strong>2006</strong>,„Nur<br />
die Simpsons sind noch intakt“<br />
3 Der St<strong>an</strong>dard-Interview vom<br />
28.03.<strong>2006</strong> von Birgit Baum<strong>an</strong>n.<br />
„FAZ“-Herausgeber zu Geburtenrückg<strong>an</strong>g:„Ein<br />
Thema, das nicht<br />
erk<strong>an</strong>nt wurde.“<br />
4 Anthony Giddens, Jenseits von<br />
Links und Rechts; Suhrkamp, 1999,<br />
Seite 29<br />
5 Ebd, Seite 29<br />
6 Fr<strong>an</strong>k Schirrmacher, Minimum,<br />
Karl Blessing Verlag; <strong>2006</strong>, Klappentext<br />
mai <strong>2006</strong><strong>an</strong>.<strong>schläge</strong> 09