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Mai 2006 (PDF) - an.schläge

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Kerstin Kellerm<strong>an</strong>n<br />

Supermänner überall<br />

Gerade erhielt in Berlin ein junger M<strong>an</strong>n, dessen<br />

Familie vor dreißig Jahren nach Deutschl<strong>an</strong>d einw<strong>an</strong>derte,<br />

seine Verurteilung zu neun Jahren Haft,<br />

weil er seine Schwester ermordet hatte. Angeblich<br />

passte ihm ihr Lebensstil nicht. Wie konnte es zu<br />

dieser extremen Zuspitzung der Situation in der Familie<br />

kommen? Der Kampf gegen Zw<strong>an</strong>gsehe und Zw<strong>an</strong>gsprostitution<br />

wird mittlerweile von vielen verschiedenen Org<strong>an</strong>isationen<br />

geführt. Doch die verwendeten Methoden und die<br />

Fähigkeit zur Selbstreflexion machen einen großen Unterschied<br />

aus. Wenn z.B. die Familie integriert wird, SozialarbeiterInnen,<br />

NachbarInnen, PolizistInnen, Bek<strong>an</strong>nte und Verw<strong>an</strong>dte<br />

sich mit den Familienmitgliedern ausein<strong>an</strong>der setzen,<br />

muss es nicht unbedingt so weit kommen, dass das<br />

Mädchen ihre Familie verlassen muss oder das Blut fließt.<br />

Doch dafür ist viel Zeit, Mühe und Geduld notwendig. Jahrzehntel<strong>an</strong>ge<br />

Kränkungen werden hervor brechen. Dass die<br />

Mädchen ihren Vätern über den Kopf gewachsen sind, ist<br />

eigentlich noch die kleinste davon.<br />

Über Jahrzehnte gewachsene Familienstrukturen werden<br />

nicht leichter veränderbar, wenn „der Held” aus einer Beratungsorg<strong>an</strong>isation<br />

Superm<strong>an</strong>n spielt und sich in missionarischem<br />

Eifer nach einer halben Stunde Rechtsberatung <strong>an</strong>maßt,<br />

das Leben einer Frau oder eines Mädchens zu durchschauen.<br />

Oder Polizisten das geflüchtete Mädchen nach<br />

einer Nacht im Gefängnis einfach ohne Unterstützung in die<br />

Familie zurückschicken, wie es in Tirol passierte, bevor ein<br />

Junge seine Schwester ermordete. Männlich-privat-persönliche<br />

Meinungen werden mit juristischen oder polizeilichen<br />

Mitteln zur Unterstützung vermischt.<br />

Die meisten Regeln sind auf Extremsituationen <strong>an</strong>gelegt,<br />

kontinuierliche Aufbauarbeit hat keine große Tradition.<br />

Es muss ein gutes Gefühl sein, eine bedrohte Person vor der<br />

Abschiebung oder vor Übergriffen zu retten – Jahre dieser Arbeit<br />

in Einzelkämpfer-Mission können einem aber leicht zu<br />

Kopfe steigen. Der wahre Retter will und weiß das Beste für<br />

die Frau. Denkt er, zumindest. Gefragt wird die Frau oder das<br />

Mädchen nicht. Des Retters Einschätzung k<strong>an</strong>n ja auch ab<br />

und zu die richtige sein – aber eben nicht immer. Denn die<br />

Frauen sind ja schließlich nicht dumm, oder?<br />

Es ist immer interess<strong>an</strong>t zu sehen, wer aller „die fremden<br />

Frauen” vor der Unterdrückung durch ihre Ehemänner, Brüder,<br />

Väter retten will. Und welche Ausmaße dieser missionarische<br />

Eifer <strong>an</strong>nehmen k<strong>an</strong>n. (M<strong>an</strong>n muss ja nicht unbedingt<br />

gleich Präsident Bush sein, der <strong>an</strong>geblich die afgh<strong>an</strong>ischen<br />

Frauen retten wollte. Und das Öl dazu.) Oft tun Leute groß<br />

ihre Meinung kund, die niemals etwas mit realen Fällen von<br />

Gewalt zu tun hatten. Noch schwieriger wird es, wenn nicht<br />

mehr differenziert wird, die Situation in Ländern wie Ir<strong>an</strong>, Irak<br />

oder Afgh<strong>an</strong>ist<strong>an</strong> einfach mit Österreich gleichgesetzt wird.<br />

Der naive, patriarchale Kavalier einfach von Österreich aus<br />

bewertet – mit m<strong>an</strong>chmal nichts als dem ORF als Argumentfaktor.<br />

Junge Mädchen, die in Österreich geboren wurden,<br />

studieren und nicht unbedingt schon als Teenager heiraten<br />

wollen, tragen aus <strong>an</strong>deren Gründen das Kopftuch als zum<br />

Beispiel in Bosnien, wo fin<strong>an</strong>zielle Unterstützung aus arabischen<br />

Ländern fließt.<br />

Dass nicht genauer geschaut bzw. gefragt wird, liegt<br />

dar<strong>an</strong>, dass das großartige Hilfsmodell schnelle Bewertungen<br />

und Einschätzungen fördert und den kontinuierlichen,<br />

direkten Kontakt mit den Frauen und Mädchen verhindert.<br />

Superm<strong>an</strong>n hilft und geht wieder. Superwom<strong>an</strong> k<strong>an</strong>n sich<br />

oft auch nur für Extremsituationen erwärmen. Noch einmal:<br />

Eine halbe Stunde Rechtsberatung im Monat ist zu wenig,<br />

um eine Frau und ihre Lebenslage „zu kennen” und einzuschätzen!<br />

M<strong>an</strong>n ist ja nicht Gott, oder? Frauen, die in Flüchtlingsheimen<br />

arbeiten und länger mit den Menschen zu tun<br />

haben, tun sich leichter, bei Gewalt in der Ehe oder Einschränkung<br />

der Lebensmöglichkeiten durch die soziale<br />

Kategorie „Frau” zu reagieren. Die werden oft auch direkt<br />

und konkret um Unterstützung <strong>an</strong>geg<strong>an</strong>gen.<br />

Dass sich das kurze, schnelle Beratungsmodell als beliebtestes<br />

Modell des Kontaktes zwischen „den Gebürtigen” und<br />

„den Fremden” durchgesetzt hat, liegt einerseits dar<strong>an</strong>, dass<br />

die österreichische Gesetzeslage dazu zwingt. Aber <strong>an</strong>dererseits<br />

sicher auch dar<strong>an</strong>, dass das Modell der „Hilfe für diese<br />

armen, unterdrückten Frauen” sich so stark in den Köpfen<br />

eingenistet hat, dass es Modelle ebenbürtiger Kommunikation<br />

in Netzwerken und aufbauende, kontinuierliche, l<strong>an</strong>gfristige<br />

Arbeit verhindert! ❚<br />

<strong>an</strong>.spruch<br />

mai <strong>2006</strong><strong>an</strong>.<strong>schläge</strong> 05

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